Unterstützte Beschäftigung - als Bindeglied zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der Eingliederung in die WfB

Autor:in - Angelika Thielicke
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 12, Juni 1999 impulse (12/1999)
Copyright: © Angelika Thielicke 1999

Unterstützte Beschäftigung - als Bindeglied zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der Eingliederung in die WfB

Der folgende Text ist die schriftliche Fassung des auf dem 3. Bundeskongreß der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation in der Arbeitsgruppe 9 "Besondere Modelle der Eingliederung" gehaltenen Referates:

Die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen wird auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angesichts steigender Anforderungen und sinkender Neueinstellungen schwieriger, die entsprechenden Zahlen und Quoten über die Beschäftigung Schwerbehinderter belegen diesen Trend eindeutig. Im folgenden soll daher nicht nur über Bestehendes berichtet, sondern vor allen Dingen auf problematische Hemmnisse und auf die Notwendigkeit zeitgemäßer Weiterentwicklungen hingewiesen werden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung (BAG UB) hat ihren Sitz in Hamburg und besteht seit 1994. Sie hat mittlerweile fast 200 Mitglieder und ist der bundesweite Zusammenschluß von Trägern und Initiativen, von Institutionen und Einzelpersonen, die mit Unterstützter Beschäftigung neue Wege der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung gehen. Die meisten der in der Bundesrepublik tätigen Integrationsfachdienste, auch die, die zur Zeit über das BMA gefördert werden, sind Mitglied der BAG UB. Die BAG UB ist Veranstalter von Fortbildungen und Fachtagungen, zur Zeit wird eine berufsbegleitende Qualifizierung für Fachkräfte aus Integrationsfachdiensten, Werkstätten für Behinderte und anderen Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt, im September 1999 endet der erste Kurs und beginnt der zweite. Viermal im Jahr erscheint die Zeitschrift "impulse", die über Ansätze und Entwicklungen von Unterstützter Beschäftigung im In- und Ausland berichtet. Über ihre seit 1998 eingerichtete Informations- und Beratungsstelle fördert die BAG UB die Kooperation und Vernetzung und den fachlichen Austausch der in der Bundesrepublik tätigen Träger und Initiativen von Unterstützter Beschäftigung. Auf europäischer Ebene ist sie als Mitglied der EUSE (European Union of Supported Employment) tätig.

Unterstützte Beschäftigung ist ein individueller Ansatz, der ursprünglich aus den USA stammt, und den einzelnen Menschen mit seinen Fähigkeiten und Stärken in den Mittelpunkt stellt, ohne seine Behinderung aus den Augen zu verlieren. Grundsätzlich ist dieser Ansatz für alle Menschen mit Behinderungen offen, unabhängig von der Art und Schwere ihrer Behinderung, und nicht beschränkt auf die sogenannten Leistungsträger, von denen mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sie irgendwann nach ausreichender Förderung und geeigneter Qualifizierung reguläre Arbeitnehmer des allgemeinen Arbeitsmarktes werden. Der wesentliche Unterschied zu anderen Förder- und Qualifizierungsansätzen liegt darin, daß Unterstützte Beschäftigung von vorne herein in regulären Betrieben stattfindet, d.h., es gibt keine Trockenübungen, bis der potentielle Schwimmer für schwimmfähig erklärt wird und zum Sprung ins kalte Wasser ansetzen muß, sondern die vorhandenen Fähigkeiten werden von Anfang an in reale Arbeitsprozesse an realen Arbeitsorten eingebracht und dort systematisch weiterentwickelt.

Auch wenn ein Mensch mit seiner Behinderung erheblich eingeschränkt ist, geht es primär darum, seine erkennbaren Fähigkeiten und Stärken zu nutzen, einen geeigneten Betrieb zu finden und dort zunächst mit einigen wenigen, vielleicht nur einem einzigen kleinen Arbeitssegment sinnvolle Arbeit zu leisten. Mit der notwendigen Unterstützung werden diese Arbeitssegmente sukzessive, so weit es die Fähigkeiten des Betreffenden zulassen, ausgeweitet, um so konkreten an diesem Arbeitsort benötigten Anforderungen gerecht zu werden. Für die dort geleistete Arbeit erhält der Betreffende eine angemessene Entlohnung, die die Wertschätzung seiner Arbeit deutlich macht und seine Motivation steigert.

Unterstützte Beschäftigung läßt sich in der Landschaft der Behindertenhilfe nur dann etablieren, wenn ein Paradigmawechsel vorausgeht, denn an die Stelle von Aussonderung tritt Integration, statt besonderer Konzepte wird Normalisierung angestrebt, statt Fremdbestimmung steht Selbstbestimmung im Vordergrund, anstelle von Defiziten werden Kompetenzen in den Blickpunkt gerückt und statt Ungleichheit ist Gleichberechtigung Voraussetzung. Besonders das letztgenannte führt zu entscheidenden Veränderungen, denn nur im gleichberechtigten konstruktiven Dialog, der bei Menschen mit psychischer oder sogenannter geistiger Behinderung kompetenter und einfühlsamer Kommunikationsformen bedarf, kann der Unterstützer einen geeigneten Arbeitsplatz finden, den der Betreffende auf Dauer auch ausfüllen kann.

Wenn gemeinhin von Arbeitsplätzen im allgemeinen Arbeitsmarkt die Rede ist, so assoziiert man in der Regel einen möglichst im Stellenplan erfaßten, sozialversicherungspflichtigen, tariflich entlohnten Arbeitsplatz, der neu zu besetzen ist. Für eine größere Gruppe von Menschen mit Behinderungen bleibt diese Hürde jedoch angesichts eines Arbeitsmarktes mit mehr als vier Millionen Arbeitslosen, der zunehmend Leistungseffizienz, Mehrfachqualifikationen und Flexibilität fordert, viel zu hoch. Wenn im folgenden von Arbeitsplätzen die Rede ist, so ist damit zunächst nichts anderes gemeint als ein Platz in einem regulären Betrieb, an dem sinnvolle Arbeit geleistet werden kann, ohne daß derjenige, der diesen Platz ausfüllt, auch gleichzeitig sozialversicherungspflichtiger, tariflich entlohnter Arbeitnehmer dieses Betriebes sein muß. Ein sinnvoller Büroarbeitsplatz können z.B. nur einfache Kopierarbeiten sein. Ein sinnvoller Arbeitsplatz an einer Tankstelle kann lediglich aus Autowaschen und Gartenpflege bestehen. Ein sinnvoller Arbeitsplatz in einem Altenheim kann mit einfachen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und zuhörenden Gesprächen ausgefüllt werden.

Der übliche Weg der beruflichen Rehabilitation sieht vor, jemanden an einem besonderen Ort in einer allgemeinen und möglichst umfassenden Ausbildung zum Bürogehilfen, zum Tankwart oder zum Altenpfleger zu qualifizieren und ihm danach, sofern er den Anforderungen genügt, einen Arbeitsplatz in einem Betrieb zu suchen. Unterstützte Beschäftigung geht einen anderen Weg, indem die Meßlatte nicht von vorne herein in einer bestimmten Höhe angelegt wird und dabei in Kauf genommen wird, daß ein Teil scheitert, sondern Unterstützte Beschäftigung fängt von unten an, indem man bei jedem einzelnen Menschen schaut, wie hoch er springt, einen Betrieb sucht, in dem auch diese geringe Sprunghöhe zunächst akzeptabel ist, und an diesem Ort und unter den dortigen Bedingungen mit einem individuellen Training die Leistung soweit wie möglich steigert.

Unterstützte Beschäftigung ist im Prinzip nichts anderes, als die Fähigkeiten und Stärken eines Menschen und die Anforderungen eines ganz bestimmten Arbeitsplatzes in einem Betrieb von beiden Seiten aneinander anzupassen und steht damit zwischen den Qualifizierungsprozessen des allgemeinen Arbeitsmarkt und den Leistungsanpasssungen in einer Werkstatt für Behinderte.

Man kann davon ausgehen, daß in Betrieben, in denen humane Arbeitsbedingungen herrschen, auch grundsätzlich die Bereitschaft vorhanden ist, einen Menschen mit Behinderung zu akzeptieren und ihm die Möglichkeit der Mitarbeit eingeräumt wird, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Denn bei der Arbeitsaufnahme steht für einen Betrieb nicht die Art und Schwere der Behinderung im Vordergrund, sondern sind ganz pragmatische Fragen zu lösen. Ist der behinderte Arbeitnehmer für diesen Arbeitsplatz geeignet? Welche Hilfen sind nötig? Wie werden sie organisiert? Wie werden sie finanziert?

Es hat sich gezeigt, daß die berufliche Integration unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung unter bestimmten Bedingungen sehr erfolgreich verlaufen kann. Voraussetzung ist zunächst immer die Motivation des behinderten Menschen, der in einem regulären Betrieb mitarbeiten möchte und der in aller Regel auch weiß, welche Dinge er besonders gut kann oder welche Dinge er besonders gerne machen möchte. Erfährt dieser Mensch nun in einem geeigneten Betrieb eine ausreichende individuelle Unterstützung und Begleitung, so daß er vorhandene Fähigkeiten ausbauen und weiterentwickeln kann, wird seine Leistung, selbst wenn sie nur den Bruchteil eines regulären, tariflich entlohnten Arbeitsplatzes ausmacht, von Arbeitskollegen und Vorgesetzten geschätzt. Herrscht in diesem Betrieb ein positives soziales Klima, sind Arbeitskollegen nach anfänglichen Unsicherheiten auch bereit, einem behinderten Mitarbeiter notwendige Hilfestellungen zu geben. Wenn nun der Betrieb von zusätzlichen Kosten und von zusätzlichem bürokratischem Aufwand entlastet wird, so läßt sich dort ein Mensch mit einer Behinderung erfolgreich und dauerhaft integrieren.

In der Praxis zeigen sich mittlerweile unterschiedlichste Formen von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen, die aber z.T. problematisch sind. Das beginnt mit regulären tariflich entlohnten Arbeitsplätzen und endet bei Arbeitstätigkeiten in einer Tagesförderstätte.

Die folgende Aufzählung macht das Spektrum deutlich:

  1. tariflich entlohnter, regulärer Arbeitsplatz

  2. regulärer Arbeitsplatz mit Minderleistungsausgleich

  3. untertariflich entlohnter Arbeitsplatz (Öffnungsklausel)

  4. reduzierter Arbeitsvertrag bei vollem Stundenumfang

  5. 630 DM Job

  6. Langzeitpraktikum

  7. zeitlich begrenzter ausgelagerter WfB-Platz

  8. quasi unbegrenzt ausgelagerter WfB-Platz

  9. ausgelagerte WfB-Gruppe

  10. geschützte Betriebsabteilung

  11. Arbeit in einer WfB

  12. Arbeit in einer Tagesförderstätte

Wenn dies auch zunächst nach Vielfalt und individuellen Regelungen aussieht, so sind Arbeitsplätze mit Werkstattstatus in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes doch Einzelfälle und Ausnahmen, denn berufliche Reha-Maßnahmen kommen um die Entscheidung, ob jemand ordentlicher Arbeitnehmer des allgemeinen Arbeitsmarktes oder ob er Mitarbeiter in einer WfB wird, nicht herum. Nach dem Motto "die guten ins Töpfchen" - sprich Leistungsfähige als Arbeitnehmer in den allgemeinen Arbeitsmarkt - und "die schlechten ins Kröpfchen" - sprich Leistungseingeschränkte als Mitarbeiter in die WfB - ist spätestens nach Fördermaßnahmen durch das Arbeitsamt die eindeutige Zuordnung zu einem Kostenträgers notwendig, will man nicht gänzlich durch die Maschen des sozialen Netzes fallen. Für Arbeitnehmer des allgemeinen Arbeitsmarktes ist die Hauptfürsorgestelle zuständig, wobei in der Regel das tariflich entlohnte Dauerarbeitsverhältnis die Voraussetzung für begleitende Hilfen und Minderleistungsausgleich sind, für Mitarbeiter in der WfB ist der überörtliche Sozialhilfeträger zuständig. Diese starre Zweiteilung verhindert bisher die Eingliederung in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes und kann den unterschiedlichen Fähigkeiten und der Vielfalt von Menschen mit Behinderungen nicht gerecht werden.

Für die "Eingliederung in das Arbeitsleben" benötigt ein Mensch mit Behinderungen eigentlich nur drei Dinge, erstens einen Betrieb, der einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, zweitens eine Person, die die notwendige Unterstützung leistet, und drittens ein Einkommen, das existenzsichernd ist. Sofern man in einer WfB arbeitet, wird alles dies im notwendigen Umfang durch die Sozialbehörden finanziert, arbeitet man allerdings in einem Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes, so wird dies bis auf geringe, zeitlich begrenzte begleitende Hilfen einzig und allein dem Arbeitgeber aufgebürdet, weil man anscheinend davon ausgeht, daß ein Betrieb generell von der Arbeitsleistung eines Menschen im ausreichenden Maße profitiert und sich die verbliebenen Beeinträchtigungen im Laufe der Zeit verlieren. Eine dauerhafte Unterstützung für Menschen mit Behinderungen ist in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes bisher nicht vorgesehen.

Dabei machen Integrationsfachdienste, Berufsbegleitende Dienste, Arbeitsassistenten, Fachkräfte für berufliche Integration, wie immer man sie nennt, also die Fachleute, die mit der beruflichen Integration betraut sind, die Erfahrung, daß genau diese starre Zweiteilung ihre Arbeit sehr erschwert, weil ein Betrieb die Frage nach der dauerhaften Einstellung bisher nur dann bejahen kann, wenn der behinderte Arbeitnehmer auch weitestgehend in der Lage ist, einen regulären, nicht besetzten Arbeitsplatz auszufüllen; denn Betriebe verstehen sich in erster Linie als wirtschaftlich arbeitende Unternehmen und nicht als karitative Organisationen.

Dauerhafte Regelungen und flexible Unterstützung sind in den Betrieben notwendig und für die Arbeit der Integrationsfachdienste wäre ein klar abgesicherter Status des Arbeitsuchenden, ein ausreichender Zeitrahmen für die Integration und eine gesicherte Finanzierung des Fachdienstes zusätzliche erfolgssteigernde Faktoren.

Es wäre also an der Zeit umzudenken und die Lücke zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der Eingliederung in die Werkstatt mit flexiblen und individualisierten Angeboten zu schließen. Unterstütze Beschäftigung könnte eine weitreichendere Form der beruflichen Rehabilitation sein, wenn es einen Anspruch auf Eingliederung in das Arbeitsleben mit der notwendigen dauerhaften Unterstützung auch außerhalb von Gebäuden einer Einrichtung gibt. Der Hilfeanspruch müßte individuell an die Person und nicht an die Einrichtung gekoppelt sein. An der Finanzierung müßten sich im Rahmen einer Poolfinanzierung nur diejenigen beteiligen, die dadurch entlastet werden, also der überörtliche Sozialhilfeträger bei der Eingliederungshilfe, der örtliche Sozialhilfeträger bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, das Arbeitsamt bei der Ausbildung, denn als "ambulante Maßnahme" auf der Ebene des örtlichen Sozialhilfeträgers lassen sich zur Zeit keine neuen Wege erschließen.

Hier an dieser Stelle müßte die eigentliche Arbeit beginnen, denn wenn man sich vorstellen kann, daß ein Mensch unabhängig von seiner Behinderung nicht nur an einem besonderen Ort, sondern auch in einem geeigneten Betrieb am Arbeitsleben teilnehmen kann, dann muß es neue Kooperationsformen zwischen dem Träger, der die Unterstützung leistet, dem Betrieb, der den Arbeitsort stellt, und den Kostenträgern, die die berufliche Rehabilitation finanzieren, geben. Wie diese Kooperation auch generell aussieht, ob diese Konstruktion unter dem virtuellen Dach einer WfB geschieht oder ob Unterstützte Beschäftigung als ein eigenständiges Bindeglied zum allgemeinem Arbeitsmarkt im Rehabilitationsrecht verankert werden kann, sie muß zumindest so konstruiert sein, daß für den Einzelfall genügend Gestaltungsspielraum bleibt, weil sowohl die unterschiedlichen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen eines Menschen als auch die spezifischen Bedingungen und Anforderungen eines Betriebes individuelle und flexible Lösungen erfordern.

Da, wo in Einzelabsprachen und als Ausnahmeregelung solche Arbeitsformen entstanden sind, zeigt sich, daß sie langfristig nicht teurer werden als traditionelle Lösungen, denn die soziale Integration bleibt dann kein separat anzupeilendes Integrationsziel. Mit der Integration in das "richtige" Arbeitsleben beginnt der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg der sozialen Integration.

von Angelika Thielicke, spectrum e.V. - Marburg

Quelle:

Angelika Thielicke: Unterstützte Beschäftigung - als Bindeglied zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der Eingliederung in die WfB

Erschienen in: impulse Nr. 12 / Juni 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 08.02.2005

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