Gesetzliche Betreuung - Einstiegshilfe in das Arbeitsleben?

Autor:in - Rüdiger Pohlmann
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 12, Juni 1999 impulse (12/1999)
Copyright: © Rüdiger Pohlmann 1999

Gesetzliche Betreuung - Einstiegshilfe in das Arbeitsleben?

Das seit 1992 bestehende Betreuungsgesetz bietet die unterschiedlichsten Möglichkeiten alte, psychisch veränderte und behinderte Menschen zu unterstützen und rechtlich zu vertreten. Vorausgesetzt, andere Hilfssysteme stehen nicht zur Verfügung oder sind im Einzelfall nicht nutzbar.

(§1896, 2 BGB ... die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können)

Intention des Betreuungsgesetzes (welches das Vormundschaftsrecht abgelöst hat) ist, die Wünsche und das Wohl der Betroffenen umzusetzen und sie entsprechend ihrer Fähigkeiten zu fördern.

(§1901, 1 BGB der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten)

Gesetzliche Betreuer werden vom Gericht für die unterschiedlichsten Aufgaben eingesetzt wie z. B. für die Vermögenssorge (d.h. Verwaltung des Einkommens, Schuldenregulierung, Durchsetzung von Ansprüchen auf Sozialleistungen usw.), die Gesundheitssorge (d.h. Veranlassung und Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen, Zustimmung zu Operationen, Arztwahl usw.), die Interessenvertretung in Einrichtungen der Behindertenhilfe (d.h. Überprüfung der Leistungsgewährung gemäß Heimvertrag, Klärung von Problemen in Werkstätten für Behinderte usw.).

Die Aufgaben der Betreuer können und sollen sich an den jeweiligen Bedürfnissen der Betroffenen ausrichten. So gibt es betreute Menschen, bei denen die gesetzlichen Betreuer diverse Aufgaben regeln müssen, bei anderen wiederum nur ein oder zwei Aufgaben.

Wie eingangs beschrieben, soll der gesetzliche Betreuer die Aufgaben (im Gesetz Aufgabenkreise genannt) immer im Sinne des Betroffenen regeln und ihn entsprechend seiner Fähigkeiten beteiligen. Die Festlegung der Aufgabenkreise setzt natürlich voraus, daß alle Beteiligten, angefangen beim Gericht, sich ihrer hohen Verantwortung bewußt sind. Außerdem müssen die Beteiligten ausreichende Kenntnisse haben, um den tatsächlichen Betreuungsbedarf eines behinderten Menschen zu erfassen und nicht nach dem Motto handeln, 100% behindert = 100% Betreuungsbedarf.

Eine Betreuung, in der für den Betroffenen zuviel geregelt wird, wirkt entwicklungshemmend und im ungünstigsten Fall entmündigend. Im umgekehrten Fall kann eine geringfügige Betreuung eine Vernachlässigung darstellen. Deutlich wird, daß Aufgabenkreise, ausgerichtet am individuellen Bedarf, auch lauten können: Organisation unterstützender Hilfen, Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes, Vertretung gegenüber Arbeitgebern, Vertretung in/gegenüber der Werkstatt für Behinderte, Suche geeigneter Arbeitsmöglichkeiten. Aufgabenkreise, die in der Praxis vereinzelt schon bestehen. Die Möglichkeit, Aufgabenkreise nach dem individuellen Unterstützungsbedarf festzulegen, kann also durchaus eine Hilfestellung im Arbeitsleben darstellen. Behinderte Menschen, in deren Umfeld keine Hilfesysteme wie Angebote der unterstützten Beschäftigung zur Verfügung stehen oder die keine Kenntnisse über ein derartiges Angebot haben, könnten durch ihren gesetzlichen Betreuer an den allgemeinen Arbeitsmarkt herangeführt werden. Mit dem Aufgabenkreis Interessenvertretung gegenüber Ämtern, sozialen Diensten und/oder Dritten können Antragstellungen auf Arbeitsassistenz gestellt werden. In den Werkstätten für Behinderte können Arbeitsplatzwahl, Kündigung, Teilzeitarbeit, Vorruhestandsregelungen geklärt werden. Für den Werkstattbereich eignet sich besonders der Aufgabenkreis Interessenvertretung in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Bei einer bestehenden gesetzlichen Betreuung müßte der gesetzliche Betreuer gemeinsam oder in Abstimmung mit dem Betroffenen eine Aufgabenkreiserweiterung beim Gericht anregen. Sollte noch keine Betreuung bestehen, müßte erstmalig eine Betreuung angeregt werden. Ist ausschließlich eine Anregung für den Aufgabenkreis Arbeitsfragen vorgesehen, sollte dies sehr genau abgewogen werden, denn es besteht die Gefahr, daß in den Mühlen des Verfahrens der Betroffene überfordert und verunsichert ist. Das Ergebnis könnte dann eine nie gewollte umfassende Betreuung sein. Leider gibt es immer noch ausreichend Gutachter und Richter, die den behinderten Menschen als ausschließliches Defizitmodell sehen. Die Frage, ob behinderte Menschen eine gesetzliche Betreuung eher als diskriminierend und weniger als Hilfe verstehen, ist selbstverständlich vor allen Anregungsüberlegungen ausreichend zu besprechen und abzuklären. Bis jetzt gibt es viel zu wenig Beratung und Kurse für Betroffene, um Kenntnisse über die gesetzliche Betreuung zu erlangen.

An dieser Stelle möchte ich auf das Beratungsangebot der Betreuungsvereine hinweisen. Ein Beratungsgespräch im Betreuungsverein zum Ja oder Nein einer Betreuung, zur genauen Formulierung eines Aufgabenkreises oder zur Betreuerauswahl sollten behinderte Menschen, ihre Angehörigen und gesetzlichen Betreuer vor Einrichtung oder Aufgabenkreiserweiterung einer Betreuung nutzen. Zu berücksichtigen sind dabei die ab 01.01.99 in Kraft getretenen Veränderungen, deren Vorschriften zur Vergütung für Berufsbetreuer auch Nachteile für den Betroffenen mit sich bringen können.

Informationen über Betreuungsvereine erhält man vom Amtsgericht, den örtlichen Betreuungsbehörden und sozialen Diensten.

Rüdiger Pohlmann

Leben mit Behinderung Hamburg

Postfach 60 53 10

22248 Hamburg

Quelle:

Rüdiger Pohlmann: Gesetzliche Betreuung - Einstiegshilfe in das Arbeitsleben?

Erschienen in: impulse Nr. 12 / Juni 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 15.02.2005

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