Hessisches Budget für Arbeit! Aber wie?

Autor:in - Andreas Jürgens
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 73, 02/2015, Seite 12–16; Schwerpunkt: Budget für Arbeit impulse (73/2015)
Copyright: © Andreas Jürgens 2015

Abbildungsverzeichnis

    Zusammenfassung

    Hinter dem Begriff „Budget für Arbeit“ verbergen sich verschiedene Modelle die eines gemeinsam haben: behinderten Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind oder ohne das Budget für Arbeit in einer solchen aufgenommen würden, durch finanzielle Unterstützung eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

    Hessisches Budget für Arbeit! Aber wie?

    Warum denken wir über ein Budget für Arbeit nach? Dafür sprechen verschiedene Interessenlagen:

    1. die betroffenen behinderten Menschen sollen dabei unterstützt werden, statt der Sonderwelt WfbM eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, d.h. gemeinsam mit nicht behinderten Menschen, in regulären Betrieben. In einem ordentlichen Arbeitsvertrag mit den gleichen Rechten und Pflichten wie anderen Arbeitnehmern auch, zu einem Einkommen, das dem Entgelt der anderen Kollegen entspricht. Sie werden damit in aller Regel zugleich unabhängig von Sozialhilfeleistungen und können ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten.

    2. die Arbeitgeber, die durch den Zuschuss des Budgets für Arbeit auch Personen in ihren Betrieben wirtschaftlich einsetzen können, bei denen es ohne diesen Zuschuss schwierig bis unmöglich wäre. Im Zuge des Fachkräfte- und allgemeinen Arbeitskräftemangels könnte großes Interesse daran bestehen, möglichst viele Menschen zu befähigen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Dafür brauchen wir nicht nur Menschen mit hohen oder höchsten Qualifikationen. Wenn dem Fachkräftemangel durch Höherqualifikation begegnet werden soll, macht jeder Aufstieg in der Qualifikation „unten“ Platz für weniger qualifizierte Menschen. Das erleichtert auch die Beschäftigung vieler behinderter Menschen.

    3. der Sozialhilfeträger – in Hessen der LWV – kann damit die engen Grenzen der gesetzlichen Vorgaben des SGB XII kreativ gestalten. Nach § 54 SGB XII i. V. m. § 41 SGB IX ist der Sozialhilfeträger für die Finanzierung der Beschäftigung im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM zuständig für diejenigen Leistungsberechtigten, die keinen anderen Kostenträger haben. Es geht dabei um Personen, bei denen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Sie gelten als dauerhaft voll erwerbsgemindert, also erwerbsunfähig.

    Abbildung 1.

    Symbolschild "Treppe rechts abwärts"

    Foto: wikimedia.org

    Für die Förderung der Beschäftigung von erwerbsfähigen behinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind andere Sozialleistungsträger, insbesondere die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherungsträger, sowie das Integrationsamt zuständig. Für die Sozialhilfeträger kommt daher eine Förderung von Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich nur in Betracht, wenn ansonsten eine Beschäftigung in einer WfbM gezahlt werden müsste. Für uns beschränkt sich daher die Zielgruppe bei einem Budget für Arbeit tatsächlich auf diesen Personenkreis. Gelegentlich geäußerte Wünsche, dass das Budget für Arbeit auch für andere Personen gelten soll, müssten sich nach der heutigen Rechtslage an andere Träger richten.

    Für den Sozialhilfeträger gibt es aber noch eine weitere Leitplanke: das Budget für Arbeit darf jedenfalls nicht teurer sein, möglichst sogar preiswerter, als ein Werkstattplatz. Wenn eine freiwillige Sozialhilfeleistung wie das Budget für Arbeit erbracht werden soll, geht dies nur, wenn dadurch andere Ausgaben in gleicher Höhe oder gar darüber hinaus erspart werden.

    Für den LWV Hessen kann ich daher zwei grundlegende Bedingungen für ein Budget für Arbeit bereits festhalten: es geht um den Personenkreis der Werkstattberechtigten Menschen und kann nicht mehr Leistungen umfassen, als beim alternativen Werkstattbesuch ausgegeben werden müssten.

    Die Werkstätten für behinderte Menschen als Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben haben nach § 136 SGB IX den Auftrag, behinderten Menschen eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung anzubieten und Ihnen zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen. „Sie fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen“ (§ 136 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen wird den Werkstätten durch ein Budget für Arbeit vermutlich erleichtert.

    Dem gesetzlichen Auftrag haben sich die Träger der hessischen Werkstätten für behinderte Menschen und der LWV Hessen bereits in den 1990iger Jahren gestellt. Mit dem damaligen Hessischen Konzeptionspapier zur Schaffung und Finanzierung von Arbeits-, Ausbildungs- und Beschäftigungsplätzen außerhalb von Werkstätten für Behinderte, wie sie damals bezeichnet wurden, wurde ein innovativer Ansatz verfolgt, der sich aus meiner Sicht durchaus bewährt hat.

    Parallel dazu hat der LWV Hessen den Werkstätten, die sich diesem Auftrag im besonderen Maße stellen wollten, zusätzliches Personal – Fachkräfte für berufliche Integration (FBI) – finanziert, welches sich mit diesem Themenfeld schwerpunktmäßig beschäftigt hat.

    Um die Grundlagen für die Arbeit zu aktualisieren, hat eine Arbeitsgruppe ein Nachfolgepapier zu dem bereits zitierten Hessischen Konzeptionspapier erarbeitet, das Ihnen vielleicht als Hessisches Übergangspapier – kurz HÜP genannt - ein Begriff ist. Ein zentraler Punkt bei der Überarbeitung war bei den Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen, wie die früheren „Außenarbeitsplätze“ jetzt heißen, stärker den individuellen Bedarf des behinderten Menschen in den Mittelpunkt zu rücken.

    Parallel dazu wurde zwischen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen, den Verbänden privater Träger in Hessen und dem LWV Hessen eine Rahmenzielvereinbarung über den Ausbau von Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen – kurz BiB genannt – für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 abgeschlossen. Ziel dabei ist es, die Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätze von 600 wie zu Beginn dieser Laufzeit auf 1200 bis zum Ende der Laufzeit zu verdoppeln. Dabei sind die Personen auf den BiBs weiterhin Mitarbeiter der Werkstatt zu den Bedingungen der Werkstattmitarbeiter. Die Idee ist allerdings, dass bei einer entsprechenden Eignung auch ein Übergang in den Betrieb erfolgt, bei dem die BiBs eingerichtet sind.

    Nach zwei Jahren kann festgestellt werden, dass die Zahl der 600 BiB im Vergleich zum Beginn des Abschlusses der Rahmenzielvereinbarung um nahezu 50 % auf 887 BiB zum 31.12.2014 gesteigert werden konnte. Bei mehr als 16.500 Personen, die in Kostenträgerschaft des LWV Hessen in hessischen Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind, eine beachtliche Zahl.

    Dies ist ein Erfolg für jede einzelne Person, die die Chance erhält, sich auf einem BiB zu profilieren, und ggf. den Schritt schafft, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzugehen. Auch bei diesem Ziel, das unserem in 2013 verabschiedeten Leitbild Inklusion entspricht, konnten wir bezogen auf die Leistungsberechtigten in Zuständigkeit des LWV Hessen eine kontinuierliche Steigerung in den letzten fünf Jahren feststellen.

    Waren es in 2010 noch 21 Personen, konnten in 2011 bereits 23 Personen den Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vollziehen. In 2012 und 2013 haben jeweils 28 Personen diesen Schritt geschafft, wobei im letzten Jahr 2014 wiederum eine Steigerung auf 35 Personen festzustellen war.

    Hinzu kommen noch die Personen, die den Wechsel vollziehen und in Kostenträgerschaft z. B. der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Rentenversicherung oder anderer außerhessischer Sozialhilfeträger stehen. Bezogen auf die Jahre 2012 und 2013 sind die Vermittlungen in Ihrer Gesamtheit über alle Kostenträger hinweg von 37 im Jahr 2012 auf 48 in 2013 gestiegen.

    Auch in das seit 2014 geltende Hessische Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen – kurz HePAS – konnten wir ausdrücklich die Förderung beim Übergang von einer Werkstatt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufnehmen.

    Für diese Personen gilt: sie konnten ohne zusätzliches Budget für Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden. Sie leben derzeit unabhängig von Hilfe zum Lebensunterhalt und von Eingliederungshilfe.

    Wir müssten ein Budget für Arbeit so gestalten, dass wir die bisherigen Erfolge noch steigern können, ohne reine Mitnahmeeffekte zu erzielen. Bei der Ausgestaltung sind eine Reihe von Aspekten zu beachten, die ich im Folgenden skizzieren möchte.

    Da ist zunächst einmal die Sicht des betroffenen behinderten Menschen: Er wird einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen und dazu einen Arbeitsvertrag abschließen. Dies bedeutet eine rechtliche Gleichstellung mit anderen Arbeitnehmern statt der besonderen Rechtsstellung der Werkstattmitarbeiter, die nach wie vor nicht als Arbeitnehmer gelten.

    Die Arbeit wird es ermöglichen, ein möglichst selbständiges Leben zu führen und den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften sicherzustellen. Dies führt zu mehr Selbstbestimmung und Selbstbestätigung. Der Landschaftsverband Westfalen- Lippe hat festgestellt, dass bei den Personen, die über das dortige Budget für Arbeit den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft haben, wohl auch der Unterstützungsbedarf im Bereich Wohnen sinkt. Wer mehr Selbstständigkeit im Bereich Arbeit erfährt, findet sich auch in anderen Lebensbereichen besser zurecht und braucht hierbei weniger Unterstützung. Für die betroffenen Menschen ein Zugewinn an Selbstbestimmung. Für den Kostenträger eine zusätzliche Entlastung.

    Diesem Ansatz der Normalisierung muss aus meiner Sicht auch die technische Umsetzung folgen. Das Budget für Arbeit kann daher nicht nach dem Prinzip erbracht werden, wie wir es vom persönlichen Budget in anderen Leistungsbereichen kennen.

    Das persönliche Budget bedeutet, dass der Betroffene Geld erhält, mit dem er sich soziale Dienstleistungen – z.B. im betreuten Wohnen – am Markt eigenständig beschaffen kann. Das Arbeitsverhältnis ist aber dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer Arbeitszeit und Arbeitsleistung schuldet, der Arbeitgeber das entsprechende Entgelt. Dazu würde es nicht passen, wenn der (behinderte) Arbeitnehmer den Arbeitgeber dafür bezahlt, dass dieser ihn beschäftigen und bezahlen kann. Das Budget für Arbeit sollte daher m.E. als Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber ausgestaltet als direkte Leistung und nicht im „Umweg“ über den Leistungsberechtigten sein.

    Aus Sicht der Betroffenen ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Bei der Beschäftigung in einer WfbM werden aus Bundesmitteln Rentenversicherungsbeiträge geleistet, die den Betroffenen eine Erwerbsminderungsrente nach 20 Jahren aufgrund von Beiträgen in Höhe von 80% eines Durchschnittsbeitrags gewährleisten. Bei einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden Rentenversicherungsbeiträge nach dem realen Einkommen berechnet, das beim Budget für Arbeit in den meisten Fällen deutlich darunter liegen wird, vermutlich eher in der Nähe des Mindestlohns.

    Für diejenigen, die bereits eine Rente beziehen, oder kurz davor sind, ist daher ein Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht sehr attraktiv. In Betracht kommen daher aus meiner Sicht vor allem Personen, die unmittelbar vor Aufnahme in eine Werkstatt stehen oder erst relativ kurze Zeit dabei sind.

    Auch für diese Personen, so zeigen es auch die Regelungen in anderen Bundesländern, ist es unerlässlich, den betroffenen Personen ein uneingeschränktes Rückkehrrecht in die Werkstatt für behinderte Menschen einzuräumen, sofern die Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht weiter aufrechterhalten werden kann. In diesem Falle müssten die bereits erworbenen Anwartschaften, die aus früheren Beschäftigungszeiten in der WfbM herrühren, wieder aufleben.

    Die betroffenen Personen können weiterhin als dauerhaft voll erwerbsgemindert gelten, da sie nur mit diesem Lohnkostenzuschuss ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingehen können.

    Daraus abgeleitet die nicht minder bedeutsame Frage, welche Folgen sich bzgl. der rentenversicherungsrechtlichen Ansprüche mit dem Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben? Diese Fragen müssen geklärt werden.

    Aus Sicht des Sozialhilfeträgers ist die finanzielle Ausgestaltung eines Budgets für Arbeit von Bedeutung. Wie hoch soll ein Zuschuss sein, welchen Anteil sollen die Arbeitgeber übernehmen, wie kann erreicht werden, dass v.a.die Personen profitieren, die ansonsten keine oder kaum Aussichten haben. Es soll schließlich so ausgestaltet sein, dass potentielle Arbeitgeber mit den finanziellen Konditionen eine Perspektive für behinderte Menschen bieten können. Soweit ich informiert bin, wird in den meisten Ländern, in denen ein Budget für Arbeit existiert, ein Zuschuss von bis zu 70 % des Arbeitgeberbruttos geleistet, höchstens jedoch der im Falle einer WfbM-Beschäftigung zu zahlende Betrag.

    Auch kommt es entscheidend darauf an, ob neben Eingliederungshilfemitteln des Sozialhilfeträgers auch ergänzende Mittel des Integrationsamtes aus der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden können. Wie Ihnen bekannt ist, leistet das Integrationsamt einen nicht unerheblichen Beitrag an finanziellen Leistungen an den Arbeitgeber, wenn dieser einen schwerbehinderten Menschen – gerade im Anschluss an Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen – beschäftigt. Diese sollten Bestandteil eines Budgets für Arbeit sein. Dies muss mit dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration abgestimmt werden, bei dem die Fachaufsicht für das Integrationsamt liegt. Wichtig ist auch die Frage, inwieweit ein Integrationsfachdienst die Begleitung am Arbeitsplatz sicherstellen kann, um den Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für den behinderten Menschen und für den Arbeitgeber erfolgreich zu gestalten.

    Von der Klärung dieser und einiger weiterer Fragen wird abhängen, ob und wie ggf. ein Hessisches Budget für Arbeit zu verwirklichen ist.

    Der Beitrag beruht auf einem Vortrag am 23.4.2015 in Marburg/ Lahn und wurde auch im Diskussionsforum der DVfR veröffentlicht.

    Abbildung 2. Dr. Andreas Jürgens

    Portraitfoto von Andreas Jürgens

    Dr. Andreas Jürgens war von 1986 bis 2003 war Richter am Amtsgericht in Kassel, von 2003 bis April 2012 Mitglied des Hessischen Landtags. Seit dem 1. Mai 2012 ist er Erster Beigeordneter des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen.

    Kontakt und nähere Informationen

    Dr. Andreas Jürgens

    Landeswohlfahrtsverband Hessen

    Ständeplatz 6-10, 34117 Kassel

    Tel.: 0561-10042202

    Mail: andreas.juergens@lwv-hessen.de

    Quelle

    Andreas Jürgens: Hessisches Budget für Arbeit! Aber wie? Erschienen in: impulse Nr. 73/2015, Seite 12–15.

    bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 11.11.2017

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