Unterstützte Beschäftigung

Ein Dreiklang

Autor:in - Paul Wilson
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 70, 03/2014, Seite: 16–21. impulse (70/2014)
Copyright: © Paul Wilson 2014

Abbildungsverzeichnis

    Ein Exkurs

    Meistens sprechen wir über Unterstützte Beschäftigung unter der Annahme, diese sei eine in sich geschlossene Einheit. Wir gehen davon aus, dass unsere Gesprächspartner das gleiche Bild vor Augen haben. Das kann manchmal zu Missverständnissen führen. Im Rahmen des von EUSE online angebotenen „European Supported Employment Toolkit“ wurden während der letzten Jahre Beiträge veröffentlicht, die die Grundlage für eine europaweite Vereinheitlichung der Kriterien von Unterstützter Beschäftigung bilden. Parallel dazu sollten wir einen zentralen Aspekt unserer beruflichen Tätigkeit deutlich hervorheben – nämlich den, dass Unterstützte Beschäftigung eben keine „in sich geschlossene Einheit“ ist.

    Meine Begründung ist naheliegend und wird für viele Fachleute auf dem Gebiet der Unterstützten Beschäftigung nicht neu sein. Meine Hoffnung ist, dass eine nochmalige Erörterung einen hilfreichen Blickwinkel bieten könnte, mithilfe dessen länderübergreifende Vergleiche und Gegenüberstellungen, sowie Austausch und gegenseitiges Lernen über die jeweiligen Ansätze zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung stattfinden können.

    Mein Kerngedanke ist der, dass die Unterstützte Beschäftigung vom Grundsatz her drei Facetten hat. Sie ist gleichzeitig Technik, Strategie und Philosophie. Sie ist Technik in dem Sinn, dass sie beschreibt, wie ein Leistungserbringer mit einem/einer Nutzer_in seiner Dienstleistung bzw. seinem/seiner Kund_in interagiert, und damit die Art und Weise gestaltet, in der Entscheidungen getroffen, Arbeitgeber involviert und Arbeitsabläufe trainiert werden.

    Sie ist eine Strategie, weil sie festlegt, wie Ressourcen abgerufen und eingesetzt werden (im Rahmen eines „Programms“, einer „Dienstleistung“ oder einer „Maßnahme“), um Nutzeffekte für eine Gruppe von Individuen zu erzielen.

    Sie ist eine Philosophie, weil sie Fragen nach dem „Warum?“ und dem „Wie?“ aufwirft. Im Spannungsfeld zwischen der gesellschaftlichen und der medizinischen Interpretation von „Behinderung“ werden hier vielfach polarisierende Antworten gegeben. Ich werde jedoch versuchen aufzuzeigen, dass sich die Situation über die ganze Bandbreite der Unterstützten Beschäftigung (UB) oft hintergründiger und komplexer darstellt.

    Diese drei Aspekte der UB sind selbstverständlich eng miteinander verwoben und überlagern sich. In diesem Sinne stellen sie einen „Dreiklang“ dar. Es ist ein Beispiel für – um auf einen Fachbegriff aus der Didaktik zurückzugreifen – unbewusste Kompetenz, die viele Menschen in sich tragen. Sich dieses Gedankens bewusst zu werden, ihn an die Oberfläche zu holen und damit manchmal das Offensichtliche zu konstatieren, könnte es meiner Meinung nach für uns wesentlich vereinfachen, genau zu benennen, wie an unterschiedlichen Orten oder sogar in verschiedenen Nationen Leistung erbracht wird. Letztlich kann dadurch der Vorgang des Vergleichens und Gegenüberstellens, des Austauschs und des voneinander Lernens an Wert gewinnen.

    Abbildung 1.

    Schwarz-weiß Fotographie einer eisernen Türklinge

    Foto: Marvin Siefke, pixelio.de

    Was mich betrifft, nahm dieser Gedankengang während meines von EUSE geförderten Stipendiums in Deutschland im September 2012 Gestalt an. Während dieses Aufenthalts habe ich zwei Förderschulen in Heidelberg und Schwetzingen besucht. Danach reiste ich nach Hamburg zu einem Meinungsaustausch mit der BAG UB und mit der Hamburger Arbeitsassistenz, einem der ältesten Dienstleister im Bereich der UB. Bei beiden konnte ich auch Ausschnitte ihrer täglichen Arbeit beobachten.

    Nach meiner Rückkehr nach Großbritannien waren meine Kollegen darüber verblüfft, wie stark die Anwendung normativer Kriterienkataloge im deutschen Arbeitsgesetz verankert ist und wie selbstverständlich Lohnzuschüsse ein Teil der deutschen Herangehensweise an UB sind. Ihrer Meinung nach sei es ein besserer Ansatz, die Arbeitsplatzbeschreibungen individuell an den jeweiligen Menschen auszurichten und so dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer mit Lernbehinderung diese so geschaffene Arbeit gut verrichten könne; zumindest der Anspruch der Betroffenen auf gesellschaftliche Gleichbehandlung sei damit besser berücksichtigt. Nichtsdestoweniger stimmten sie, wenngleich widerstrebend, ihren deutschen Kollegen zu, dass eine Vermittlungsquote im Vereinigten Königreich von lediglich 7% ein schlimmer Zustand sei.

    Für mich ergeben sich nun eine ganze Reihe von Fragen: Wie kann eine so ausgeprägte Diskrepanz entstehen, in einer Situation in der zwei Nationen doch nichts anderes tun, als identische Modelle von Unterstützter Beschäftigung zu realisieren – in beiden Fällen durch planvolle Umsetzung der Vorgehensweise vom Erstellen beruflicher Profile, Vermitteln und Trainieren? Woraus resultieren die Unterschiede? Und könnte die Irritation darüber einem Austausch- und Lernprozess zweier Länder über ihre jeweils sinnvollen Herangehensweisen im Wege stehen? Herangehensweisen die, um mich einer Formulierung aus dem amerikanischen Roman von Jonathan Safran Foers zu bedienen, sich extrem ähneln und doch Welten auseinander liegen.

    Eine Woche in Deutschland

    Meine Woche war zweigeteilt. In Baden- Württemberg besuchte ich zwei Schulen, die Graf-von-Galen-Schule in Heidelberg, geleitet von Winfried Monz und die Comenius-Schule in Schwetzingen mit Eleonore Frölich als Direktorin. Beide gelten als Einrichtungen, die mit besonders innovativen Konzepten zur Eingliederung von Menschen mit Behinderung arbeiten. Im Rahmen meines Besuches führte ich eine Reihe von Einzelgesprächen, beobachtete einige Gruppenaktivitäten und nahm an einer Besprechung teil, in der der Status der Beschäftigung eines Schülers festgestellt wurde.

    Ich nahm an einer Besprechung teil, bei der eine Gruppe von sechzehnjährigen Schüler_innen mit Lernbehinderung in ihrer Förderschule in Schwetzingen ein zweijähriges Programm zur Vorbereitung auf das Berufsleben begannen. Die Maßnahme ist eine Alternative zur in Deutschland regulären dreijährigen Ausbildung. Die Schwetzinger Schüler_innen beginnen die zwei Jahre mit einer Serie von kurzen Praktika. Sobald ihnen eine Tätigkeit zusagt, kann das Praktikum verlängert werden. Ein/e Integrationsberater_in des Integrationsfachdienstes (finanziert aus Mitteln der Zwangsabgabe von Arbeitgebern, die nicht die Beschäftigungsquote behinderter Arbeitnehmer_innen erfüllen) arbeitet eng mit der Comenius-Schule zusammen und dient als Schnittstelle zu Arbeitgebern. Dieser partnerschaftliche Ansatz ist in Baden-Württemberg bereits weit verbreitet, jedoch noch nicht deutschlandweit. Bei passender Gelegenheit tritt der/die Integrationsberater_in mit dem Arbeitgeber in Kontakt, um die Überführung eines Praktikums in ein festes Arbeitsverhältnis zu erreichen. Dieser Prozess baut auf den beträchtlichen Erfahrungen der Schüler_innen an unterschiedlichsten „Arbeitsstellen“ auf. In der von mir besuchten Klasse haben die acht Schüler_innen der 7. und 8. Jahrgangsstufe (im Alter von 14 und 15 Jahren) im Rahmen ihrer regulären Praktika bereits ein ganzes Spektrum von Tätigkeiten ausprobiert, in KFZ-Werkstätten, bei der Gebäuderenovierung, als Fußbodenverleger_in, in Altersheimen und Supermärkten sowie in einem Blumenladen und einer Tierhandlung.

    Die Maßnahme umfasst auch theoretische Komponenten. Dies führt im deutschen System jedoch nicht zu einer formalen Qualifikation, ein Umstand, der durch aktuelle Bestrebungen geändert werden soll. Im Vordergrund steht jedoch immer die Fokussierung auf Aktivitäten im Rahmen der praktischen Arbeit, flankiert von der Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten durch z.B. Kochkurse oder Übernachtungen in der schuleigenen „Wohnung“.

    Bei einer weiteren Gruppe, in der ich hospitierte, wurde eine Unterrichtseinheit in Holzbearbeitung dadurch bereichert, dass die Schule sich auf dem Gelände einer Gesamtschule befindet – ein Modell, das sich deutschlandweit mehr und mehr durchsetzt. Lernbehinderte Schüler der Comenius-Schule wurden gemeinsam mit gleichaltrigen Lehrlingen aus einer Berufsschule unterrichtet. Für die Comenius- Schüler_innen ist dies als eine Erfahrung zur Entwicklung einer adäquaten Einstellung zur Berufstätigkeit gedacht. Für „beide Seiten“ war die Anwesenheit der jeweils anderen Gruppe – als Mitschüler_innen und Arbeitskolleg_innen – offensichtlich normal und nicht weiter bemerkenswert.

    An der Graf-von-Galen-Schule gab es eine ähnliche Konstellation zu beobachten, in der Schüler_innen im Rahmen eines Programms zur Entwicklung von lebenspraktischen Fähigkeiten einen Tag pro Woche an einer nahe gelegenen Berufsschule verbringen. Wie als Beleg für die Effektivität des Lehrplans mit Schwerpunkt auf Berufsvermittlung wurde während meines Besuchs einem der Schüler, Tobias, von der Parkverwaltung der Stadt Schwetzingen ein regulärer Arbeitsvertrag angeboten. Dies war das Ergebnis eines Langzeitpraktikums, dessen Umfang sich stufenweise auf drei Wochenarbeitstage gesteigert hatte. Tobias war im Alter von 18 Jahren gerade dabei, seine Schulzeit abzuschließen und besuchte die Schule nur noch an zwei Tagen.

    Mitarbeiter_innen beider Schulen räumten ein, dass dieser Ansatz in Deutschland noch nicht weit verbreitet sei. Es sei immer noch praktiziertes Verfahren, dass Menschen mit Lernbehinderung in einer der vielen Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) arbeiteten. Die von der Comenius-Schule und der Graf-von-Galen- Schule verfolgte Strategie ist darauf ausgelegt, den betroffenen Familien die Wahl zwischen diesen Werkstätten und einer regulären Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dieses Verfahren wird gerade von einer Initiative aufgegriffen, die darauf zielt, Mitarbeiter_innen in WfbM einen persönlichen finanziellen Verfügungsrahmen (Persönliches Budget) bereitzustellen, dessen Höhe sich nach den Aufwendungen für die Beschäftigung in der Werkstatt richtet, und der dazu verwendet werden kann, eine Arbeitsvermittlung für die Suche nach einem regulären Arbeitsplatz zu bezahlen.

    Der zweite Teil meiner Reise führte mich in den Norden, nach Hamburg. Ich übernachtete im behaglichen Stadthaushotel, bekannt als eines von Deutschlands ältesten gemeinnützigen Unternehmen, dessen dreizehnköpfige Belegschaft elf Mitarbeiter_innen mit Behinderung umfasst, sechs davon mit Lernbehinderung. Das Geschäftsmodell wurde vor zwanzig Jahren von einem Zusammenschluss von Familien entwickelt. Die acht „Gründungsangestellten“ – einige davon noch im aktiven und sehr bemerkenswerten (zweisprachigen) Hoteldienst – leben noch immer im Obergeschoss in einer kleinen Wohngemeinschaft.

    In den Geschäftsräumen der Hamburger Arbeitsassistenz, einer von Deutschlands ältesten und etabliertesten Fachdiensten für Unterstützte Beschäftigung, traf ich Rolf Behncke, den Geschäftsführer, und Kirsten Hohn, langjährige Mitarbeiterin bei der BAG UB. Beide unterstützten mich nach Kräften dabei, meine Wissenslücken über das in Deutschland praktizierte System zur Unterstützten Beschäftigung zu füllen.

    Ich konnte an einer wöchentlichen Veranstaltung teilnehmen, die von der Hamburger Arbeitsassistenz für eine Gruppe von hauptsächlich jugendlichen Menschen mit Behinderung angeboten wird. Alle sind Teilnehmer an einem Programm bzw. einer „Maßnahme“ zur Unterstützten Beschäftigung der deutschen Agentur für Arbeit (eine von sechs von der Agentur für Arbeit bezuschussten Maßnahmen). Die von der Agentur für Arbeit öffentlich ausgeschriebene Maßnahme beinhaltet zu großen Teilen ein staatlich gefördertes Programm für den Übergang junger Deutscher direkt von der Förderschule in die Unterstützte Beschäftigung.

    An vier Tagen in der Woche sind die Teilnehmer_innen der UB-Maßnahme in einem Zyklus von Praktika beschäftigt. Sollte sich bei einem Praktikum eine realistische Chance für eine Umwandlung in ein reguläres Arbeitsverhältnis zeigen, kann es erst einmal verlängert werden. Am fünften Tag der Woche treffen sich die Teilnehmer und tauschen sich über ihre Erfahrungen während ihrer „Arbeitswoche“ aus. Dabei werden sie von zwei Mitarbeiter_innen des Fachdienstes unterstützt. Im Rahmen dieser Treffen werden die Teilnehmer_innen auch mit den Feinheiten des komplizierten deutschen Steuer- und Versicherungsrechts vertraut gemacht, erhalten Einführungen in Buchführung und Computerarbeit und suchen mit entsprechender Unterstützung nach offenen Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Der Vormittag wird mit einem gemeinsamen Mittagessen abgeschlossen.

    In Hamburg ist die Hamburger Arbeitsassistenz mit der Betreuung fünf solcher Gruppen beauftragt, wobei jede Gruppe aus etwa zwölf Teilnehmer_innen besteht. Die Maßnahme erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei Jahren; es bestehen gewisse Zielvereinbarungen, die Honorierung erfolgt aber nicht erfolgsorientiert. Jede/r Teilnehmer_in erhält genau so viel Unterstützung, wie zur Erzielung einer regulären Arbeitsstelle erforderlich ist.

    Ein Dreiklang: Technik, Strategie und Philosophie

    Technik

    Es ist offensichtlich, dass sowohl in Deutschland, als auch in Großbritannien in der UB die Technik des „erst platzieren, dann qualifizieren“ identisch ist. Alles, was ich in Deutschland beobachten konnte, in den Schulen, in Praktikumsstellen und im Kontext der Maßnahme der Agentur für Arbeit zur UB, hat mich in der Auffassung bestätigt, dass das Erarbeiten eines beruflichen Profils, die direkte Beteiligung der Arbeitgeber, Arbeitsplatzanalyse und Arbeitstraining mittels systematischer Anleitung die Basis für beide Systeme bilden.

    Strategie

    Es liegt auf der Hand, dass die beiden Systeme unter unterschiedlichen sozialen Rahmenbedingungen operieren. Sie sind nicht zuletzt vom anhaltenden Höhenfluges der deutschen Wirtschaft einerseits und den Sparmaßnahmen in Großbritannien andererseits gekennzeichnet, Das wirkt sich unmittelbar auf den Umfang der Fördermitteln aus, die den Dienstleistern für UB zur Verfügung stehen, wobei die Situation in einigen südeuropäischen Ländern noch angespannter ist.

    In beiden Systemen bestehen deutlich unterschiedliche Gesetzgebungen. Der deutsche Ansatz ist immer noch stark von einem Gefühl der Notwendigkeit einer Wiedergutmachung, entstanden in der Nachkriegsära, den behinderten Menschen gegenüber geprägt. Die Bereitstellung von WfbM in großem Umfang - mit mehr als 300.000 Mitarbeitern mit Behinderung – ist das Kernstück eines entschlossenen Versuches der deutschen Gesellschaft während der vergangenen 60 Jahre, eine Infrastruktur zu erstellen, die nahezu jedem behinderten Menschen einen „Arbeitsplatz“ garantieren kann, sofern er denn möchte. Als Resultat bietet das deutsche System mit den Werkstätten ein weitgespanntes „Sicherheitsnetz“, basierend auf niedriger Entlohnung bei gleichzeitig hinreichendem Ruhestandsgeld. Damit kontrastierend wurde in Großbritannien das Netz der von den kommunalen Behörden und von Remploy[1] unterstützten Betriebe aufgegeben und durch die Forderung ersetzt, dass Arbeitsplätze jedenfalls auf dem regulären Arbeitsmarkt zu akquirieren seien. Dies war das Resultat der Kombination des „Fürsorge innerhalb der Gesellschaft“-Ansatzes (im Gegensatz zu „Fürsorge in Institutionen“) aus den 1980er-Jahren, dem „Disability Discrimination Act“ aus dem Jahr 1995, der einem kaum eingesetzten Quotensystem ein Ende bereitete, sowie einer zunehmenden Individualisierung, welche neuerdings von einigen unabhängigen Akteuren angeschoben wird.

    Trotz dieser entwicklungsbedingten Unterschiede können wir bei der Betrachtung der Umsetzung der Technik des „erst platzieren, dann qualifizieren“ konstatieren, dass sich etliche der bestimmenden Faktoren aus dem Umfeld der UB auf beruhigende Weise ähneln.

    Abbildung 2.

    Fotographie einer eisernen, rostigen Türklinge

    Foto: Günter Hamich, pixelio.de

    Ich würde vermuten, dass sich viele Dienstleister in Großbritannien glücklich schätzen würden, könnten sie ein Angebot für die von der Hamburger Arbeitsassistenz umgesetzten Programme abgeben. In Deutschland mehren sich jedoch die Bedenken darüber, dass die sehr honorarorientierte Ausschreibungspraxis der deutschen Agentur für Arbeit auch fachfremde aufgewendeten Mittel auszahlen lassen und damit einen Dienstleister für Unterstützte Beschäftigung bezahlen. Diese Möglichkeit wird jedoch nicht in nennenswertem Umfang genutzt. Diese in Deutschland gemachte Erfahrung (z.B. haben 2009 gerade einmal 30 Personen deutschlandweit dieses Persönliche Budget in Anspruch genommen, 15 davon in Lübeck, wo es nicht einmal entsprechende Dienstleistungsangebote gab) scheint sich in Großbritannien allmählich als normale Situation durchzusetzen. Auch hier erstellen die Kommunen Ausschreibungen für einen Dienstleister für Unterstützte Beschäftigung. und privatwirtschaftliche Anbieter auf den Plan ruft, mit negativen Auswirkungen auf die Qualität der gelieferten Dienstleistungen. Diese Bedenken werden in Großbritannien durchaus geteilt. Ähnlichkeiten sind auch darin festzustellen, wie versucht wird, das Konzept des „Persönlichen Budgets“ in das Umfeld der Unterstützten Beschäftigung einzubringen. Gestützt durch die deutsche Sozialgesetzgebung existiert hierüber nun ein möglicher Weg aus der nicht-integrierten Beschäftigung; wer sich für das Persönliche Budget entscheidet, kann sich die für die Arbeit in der WfbM aufgewendeten Mittel auszahlen lassen und damit einen Dienstleister für Unterstützte Beschäftigung bezahlen. Diese Möglichkeit wird jedoch nicht in nennenswertem Umfang genutzt. Diese in Deutschland gemachte Erfahrung (z.B. haben 2009 gerade einmal 30 Personen deutschlandweit dieses Persönliche Budget in Anspruch genommen, 15 davon in Lübeck, wo es nicht einmal entsprechende Dienstleistungsangebote gab) scheint sich in Großbritannien allmählich als normale Situation durchzusetzen. Auch hier erstellen die Kommunen Ausschreibungen für einen Dienstleister für Unterstützte Beschäftigung.Auch bei den spezialisierten Übergangsprogrammen gibt es in beiden Ländern Gemeinsamkeiten.Die Schulen in Heidelberg und Schwetzingen sind ganz klar Innovationsträger. Ihre Fokussierung auf Beschäftigung als wichtigen Bestandteil und zentrale Komponente der Ausbildung zu erleben, war faszinierend und motivierend zugleich. Die in Deutschland geleistete Arbeit sowohl in den Schulen wie auch die von der Hamburger Arbeitsassistenz erbrachten Leistungen zur UB teilen gemeinsame Ansätze und verfolgen ähnliche Ziele wie die Einstiegsaktivitäten in Großbritannien. Aus meiner Sicht ist das deutsche System jedoch bereits fester etabliert, während in Großbritannien erst noch eine Anzahl erfolgversprechender Pilotprojekte aufgesetzt werden müsste.

    In zwei Aspekten jedoch zeigt sich der Unterschied in den nationalen Vorgehensweisen besonders deutlich: Der Handlungsdruck, der wegen der gesetzlichen Quotenregelung für Beschäftigte mit Behinderung auf allen deutschen Unternehmen lastet und die systematische Gewährung von langfristigen Lohnzuschüssen in Deutschland. Zum üblichen Verfahren der UB gehört in Deutschland die Bestimmung des Grades einer Behinderung. Bei dem von mir begleiteten Eintritt von Tobias in ein reguläres Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis stand für die Schwetzinger Parkverwaltung fest, dass sie nur für 30% von Tobias‘ Gehalt aufkommen wird. Es ist eine Festlegung, die gemeinsam von der Schule, dem Arbeitgeber, dem Job Coach und der Agentur für Arbeit getroffen wird, und basiert auf der Annahme, dass Tobias 70% der Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht wird erbringen können. Alle Beteiligten stimmen darin überein, dass diese Vereinbarung über einen sehr langen Zeitraum Bestand haben werde.

    Philosophie

    Der Anspruch der UB ist in beiden Ländern identisch. In beiden wird das Recht auf Arbeit betont. In beiden wird der Wert einer guten Arbeitsstelle hochgehalten und es wird anerkannt, dass Menschen mit Behinderung befähigt sind, gute Arbeitnehmer_innen zu sein. Bei der Entwicklung der Branche wird in beiden Ländern die Professionalisierung der Leistungserbringer vorangetrieben. In Großbritannien wurde vor Kurzem die „National Occupation Standards“ etabliert, in dessen Folge sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine auf breiter Basis anerkannte berufliche Qualifizierung durchsetzen wird. In Deutschland gibt die BAG UB vierteljährlich die Fachzeitschrift „impulse“ heraus, in der auch besondere berufliche Leistungen gewürdigt werden – etwas, was in Großbritannien auch getan werden sollte.

    Eine Zeit lang dachte ich, die Unterschiede lägen im Spannungsfeld der Modelle „medizinischer Ansatz“ gegenüber „soziale Herangehensweise“. Tatsächlich lokalisiert der medizinische Ansatz das „Problem“ bei dem Individuum, Behinderung wird darüber beschrieben, was mit der Person „nicht stimmt“ und wie der Unterschied zum „Normalzustand“ wahrgenommen wird. Dieses Vorgehen ist bis zu einem gewissen Grad die Basis für die Festlegung des „Grades der Behinderung“, die Grundfeste des deutschen Systems der Lohnzuschüsse.

    Im Gegensatz dazu interpretiert die soziale Herangehensweise Behinderung nicht als Merkmal eines Einzelnen, sondern eher als Benachteiligung oder Einschränkung bei den Möglichkeiten der Teilnahme am Leben in der Gesellschaft. Nachteile, die dadurch entstehen, dass in manchen Aspekten des gesellschaftlichen Miteinanders die Bedürfnisse behinderter Menschen nicht genügend berücksichtigt werden.

    Obwohl Teilaspekte des medizinisch orientierten Modells im deutschen „Grad der Behinderung“ ganz klar ihren Niederschlag finden, erschien mir eine auf den Aspekt „Gesellschaft/Medizin“ reduzierte Analyse der Unterschiede beider Ansätze letztendlich als zu sehr vereinfachend. Bei genauerer Betrachtung sehe ich zwei Facetten, die bei der Klärung der von mir konstatierten philosophischen Unterschiede hilfreich sein könnten. Die erste ergibt sich aus der Frage, ob eine berufliche Tätigkeit als Selbstzweck oder als Bestandteil einer umfassenderen gesellschaftlichen Zielsetzung gesehen wird. Wird durch eine, wie auch immer abgesicherte, bezahlte Tätigkeit jenes Bürgerrecht auf Teilhabe am Arbeitsleben verwirklicht? Oder gehört sie zu einer umfassenderen Vision von Inklusion, in der die Charakterisierung von Menschen mittels ihrer Einschränkungen keinen Platz hat?

    Die zweite besteht darin, den deutschen Ansatz als technokratisch, und das in Großbritannien angewendete Verfahren als Streben nach Gleichberechtigung anzusehen. Mir scheint, dass das deutsche Verfahren von der Vorstellung geleitet wird, dass wir in einem nicht optimalen Umfeld leben, in dem viele Menschen die Gleichberechtigung von Mitmenschen mit Behinderung in Frage stellen, und dass es keinen Sinn macht, auf einen optimalen Zustand zu warten. Mit diesem Leitgedanken sucht das deutsche Modell nach der effizientesten und wirkungsvollsten Methode, im Rahmen dieser suboptimalen Bedingungen möglichst viele Menschen mit Behinderung in nachhaltige Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, weil, so wird argumentiert, ein Job die umfassende und sinnvollste gesellschaftliche Teilhabe sicherstelle.

    Im Gegensatz dazu, so würde ich argumentieren, geht das in Großbritannien angewendete Verfahren von vornherein davon aus, dass Behinderung ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, und dass dieser nicht-optimale Zustand – bestehende Zweifel an der „Gleichwertigkeit“ von Menschen mit Behinderung – in jeder Interaktion zwischen den Dienstleistern und den Arbeitgebern korrigiert werden muss. Daraus resultiert zwar eine geringere Zahl an erreichbaren Beschäftigungsverhältnissen bei gleichzeitig höherem Aufwand, aber all dies, so ist man überzeugt, würde sich langfristig lohnen. Beide Verfahren sind wirksam, unterscheiden sich aber in ihren jeweiligen Annahmen darüber, was es heißt, integraler und wirklicher Teil eines Gemeinwesens zu sein.

    Vermutlich sind es diese philosophischen Varianten, kombiniert mit den Auswirkungen historischer Entwicklungen, die schlussendlich zu diesen Unterschieden in der Praxis führen – nicht aber in den Techniken der UB.



    [1] ein staatlicher Dienstleister mit zum Teil ähnlichen Aufgaben wie die deutschen Integrationsfachdienste, betreibt aber auch eigene „Integrationsfirmen“, Die Redaktion

    Einige Danksagungen

    Überall in Deutschland wurde ich liebenswürdig und gastfreundlich aufgenommen. Alle meine Gesprächspartner_innen fühlten sich tief dem Ziel verpflichtet, ihren Schüler_innen und Klient_innen mit Behinderung durch das Erreichen eines Beschäftigungsverhältnisses eine Lebensperspektive zu verschaffen, eine Aufgabe, an deren Lösung sie mit Professionalität und Hingabe arbeiten. Alle meine Kontakte ließen mich auch großzügig an ihren Erfahrungen teilhaben.

    Ich möchte mich bei den Mitarbeiter_innen der Graf-von-Galen-Schule in Heidelberg und der Comenius-Schule in Schwetzingen bedanken, genauso wie bei der Belegschaft des Stadthaushotels in Hamburg, bei der Hamburger Arbeitsassistenz und der BAG UB .

    Mein besonderer Dank geht an meine Freunde Kirsten Hohn, Winfried Monz, Christian Hippeli und Eleonore Frölich.

    Zum Autor

    Paul Wilson verbrachte im Sommer 2012 einen Forschungsaufenthalt im Rahmen eines von der EUSE geförderten Stipendiums in Deutschland.

    Kontakt und nähere Informationen

    Mail: impulse@bag-ub.de

    Quelle

    Paul Wilson: Unterstützte Beschäftigung: Ein Dreiklang. Erschienen in: impulse Nr. 70/2014, Seite 16–21.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 30.01.2016

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