Die Zukunft nach dem Zukunftsfest

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 66, 03/2013, Seite 15. impulse (66/2013)
Copyright: © Andreas Hinz, Robert Kruschel 2013

Abbildungsverzeichnis

    Die Zukunft nach dem Zukunftsfest

    Dabei kommen drei Elemente in folgender Weise zur Wirkung: Das Bild des Unterstützerkreises – mit vier konzentrischen Kreisen – bildet ein Planungsinstrument für das Fest und seine personelle Zusammensetzung, mit Hilfe von MAP – der Kette mit acht Gliedern – wird der Horizont der Möglichkeiten und Potenziale der Hauptperson und ihres Umfeldes aufgezeigt, bevor schließlich mit dem PATH – dem Pfeil zu einem Ziel – ein Weg in eine positive Zukunft entwickelt wird. MAP und PATH benötigen jeweils einen Zeitumfang von etwa zwei Stunden, bei einem Zukunftsfest bietet sich an, zwischen beiden eine Mittagspause mit einem gemeinsamen Essen einzulegen.

    Abbildung 1. Grundelemente eines Zukunftsfests

    Mit dem Feiern eines Zukunftsfests sind Hoffnungen verbunden – etwa die Hoffnung, etwas zu verändern, neue Möglichkeiten zu erschließen, den Horizont zu erweitern und eine nachhaltige Verbesserung im Leben der Hauptperson zu etablieren. Es existieren bisher keine Studien, inwiefern Zukunftsfeste diesen Anforderungen gerecht werden können. Der folgende Text beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die im Anschluss an Zukunftsfeste sichtbar werden können. Um hierzu Informationen zu erhalten, wurden zwölf Menschen, die Rolle einer Hauptperson in einem Zukunftsfest eingenommen haben, mindestens ein halbes Jahr nach der Planung telefonisch nach ihren bis dahin gewonnen Erfahrungen befragt. Im Folgenden finden sich drei dieser Interviews, die auf unterschiedliche Weise dargestellt werden und so auch die Unterschiedlichkeit der ProtagonistInnen widerspiegelen. Das erste Beispiel, Klara Kaufmann, handelt von einer Frau, Anfang 50, mit Conterganschädigung, die durch ihr Zukunftsfest aus der Isolation hin zu einem aktiveren Sozialleben findet. Ganz anders im zweiten Beispiel: Franziska Friedrich, Mutter zweier Kinder und voll berufstätig, wünscht sich eine berufliche Veränderung. Den Anschub für diese anscheinend längst überfällige Entscheidung erhält sie in ihrem Zukunftsfest im Kreise der Familie und engsten Freunde.

    Mit Sicherheit sind die folgenden Beispiele nicht repräsentativ für alle Zukunftsfeste. Doch sie vermitteln eine Ahnung von dem, was möglich ist – und das ohne den Einsatz großer finanzieller Ressourcen. Die einzig nötigen Ressourcen sind in jedem der Beispiele gleich: Menschen aus dem Umkreis der Hauptperson, die eine unterstützende Funktion eingenommen haben.

    Klara: „Mein Leben hat sich um 200 Grad gedreht!“

    Klara Kaufmann ist Anfang 50, lebt allein im Haus ihrer verstorbenen Eltern in einer ländlichen Gegend und hat eine körperliche Beeinträchtigung. Auf einer Informationsveranstaltung in der Umgebung hört sie von der Möglichkeit ein Zukunftsfest zu veranstalten und ist schnell begeistert. Sie stört sich vor allem an ihrer sozialen Isolation und ihrer Wohnsituation, auch würde sie gern mehr reisen. Zu ihrem Zukunftsfest kommt eine Gruppe von etwa zehn Menschen. Alle arbeiten gemeinsam und über einen längeren Zeitraum intensiv zusammen, so dass das Zukunftsfest für Klara ein voller Erfolg wird. Das folgende, leicht gekürzte Interview wurde ca. sechs Monate nach dem Treff en mit ihr geführt.

    Frage: Wie war denn dein Zukunftsfest damals für dich?

    Klara: Gut, sehr gut! Und mit voller Freude.

    F: Das ist schön zu hören. Weißt du noch, wie du dich danach gefühlt hast?

    K: Erleichtert, selbstbewusster. Ich bestimme jetzt mehr über mein Leben als die Anderen über mich. Mein Leben hat sich um 200 Grad gedreht.

    F: Wow! Was ist denn nach deinem Zukunftsfest passiert?

    K: In der Planung war vor allem Kontakte über den PC zu knüpfen wichtig.

    F: Das heißt, du hast über das Internet neue Kontakte geknüpft?

    K: Ja, ich habe Männer kennengelernt.

    F: Toll! Das heißt, du hast jetzt ein aktives Sozialleben?

    K: Ja, total aktiv!

    F: Was ist denn noch so passiert in den letzten Monaten?

    K: Ich bin viel unterwegs, bin positiver, lustiger, nehme alles nicht mehr so schwer. Ich nehme es viel leichter. Es ist einfach alles anders.

    F: Und du wolltest doch Urlaub machen. Ist in dieser Richtung was passiert?

    K: Nein, das hat nicht geklappt, weil sich keiner dafür bereit erklärt hat. Die Barbara kann aus gesundheitlichen Gründen nicht, die anderen sind bei der Arbeit. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

    F: Und es ging doch auch noch um die Möglichkeit umzuziehen, oder?

    K: Ja, das war auch mal im Gespräch, aber jetzt nicht mehr, da es mir so gut geht, dass ich in meinem Elternhaus bleiben möchte. Und ich habe jetzt fleißig renoviert. Das macht mir viel Freude und ich habe echt Lust darauf. Ich bin mobil, fahr’ viel mit Bus und Zug weg. Neulich war ich bei der Fahrradmesse in Friedrichshafen und konnte dort ein paar positive Erfahrungen mit der Umgebung machen. Es war total schön, der Tag – war klasse. Und da geht es einem dann doch anders, wenn man dann heim kommt. Und mit Helga, meiner Freundin, habe ich jede Woche Kontakt und da kann ich ihr auch viel erzählen. Das ist immer total toll. Ich kann wirklich sagen, dass ich so ein Zukunftsfest wieder machen würde. Aber nicht mehr am Ort.

    F: Sondern?

    K: Irgendwo anders. Da habe ich noch keinen Vorschlag.

    F: Und warum nicht am Ort?

    K: Wegen der Verwandtschaft. Es gab Probleme, weil meine Cousine nicht eingeladen wurde. Aber sie hätte keine Ahnung gehabt. Sie hätte da immer nur versucht reinzureden. Ich rede aber, was ich will. Was wirklich vernachlässigt wird, ist die Aufgabe der Agentin[1]. Das wird nicht kontrolliert.

    F: Sie hat ihre Aufgabe nicht wahrgenommen?

    K: Nein, ich habe einmal versucht sie zu erinnern, aber da hieß es dann: Ich habe Stress! Ich hab Stress! Und jetzt frage ich gar nicht mehr danach. Jetzt bin ich selber Agentin.

    F: Hast du dir denn eigentlich die Bilder, die der grafische Moderator damals erstellt hat, noch oft angeschaut?

    K: Die habe ich ungefähr drei Wochen hängen lassen. Die habe ich schon oft angeschaut und gelesen. Und das tat mir gut.

    F: Gab es denn noch Treff en des Unterstützerkreises danach?

    K: Nein, aber ich hab mich noch mal mit den ModeratorInnen getroffen. Das war schön.

    F: Könntest du mit ein paar Worten erklären, wie sich jetzt deine Situation im Vergleich zu vorher verändert hat?

    K: Ich bin jetzt viel freier als vorher und lustiger, fröhlicher. Ich nehme alles viel leichter und denke, wenn man Probleme hat, dann kann man darüber reden. Das Zukunftsfest war total super und es hat mich echt weiter gebracht. Zuerst war ich skeptisch, aber dann war ich froh, dass ich es gemacht habe. Total fordernd.

    F: Ich danke dir für das Gespräch und wünsche dir weiter viel Erfolg.

    Da Klara nicht mehr über nähere Familienmitglieder verfügt, waren fast nur Freunde von ihr und einige entferntere Verwandte anwesend. Es zeigt sich an diesem Beispiel deutlich, dass nicht unbedingt das System ‚Familie’ als Unterstützung für ein Zukunfts- fest notwendig ist. Auch wird in den Ausführungen von Klara deutlich, dass es nicht nötig ist, dass nach jedem Zukunftsfest große Dinge von den UnterstützerInnen initiiert werden und sich erst dann Veränderungen einstellen. Bei Klaras Zukunftsfest wird lediglich der kleine Impuls gegeben, dass soziale Kontakte auch über das Internet aufgebaut und gepflegt werden können. Durch diese Erkenntnis ändert sich ihre Lebensqualität entscheidend, ohne dass große Anstrengungen vorgenommen wurden oder viel Geld nötig gewesen ist.

    Leider nimmt die Agentin ihre Aufgabe für Klara nicht wahr, was Klara einerseits bedauert, aber durch ihre neu gewonnene Zuversicht gleichzeitig kompensiert. Das gleiche Phänomen wird auch in der quantitativen Studie (vgl. Hinz & Kruschel 2013, 196ff .) deutlich und ist eine Herausforderung, der es sich in Zukunft zu stellen gilt. Ein möglicher Ansatz ist die Etablierung einer/eines ZukunftsassistentIn (vgl. Hinz & Kruschel 2013, 56ff .)

    Abbildung 2. PATH von Klara

    Plakat mit dem Pfad von Klara

    Foto: Robert Kruschel

    Franziska: „Allein, dass dieses Zukunftsfest stattgefunden hat, hat nochmals neue Perspektiven eröffnet.“

    Der folgende Abschnitt ist die fiktive rückblickende Erzählung einer Hauptperson eines realen Zukunftsfests. Die Grundlage des Texts bildet ein Interview mit dieser Person, das elf Monate nach dem eigentlichen Planungstreff en stattfand.

    Mein Name ist Franziska Friedrich. Ich bin Mitte 30, lebe gemeinsam mit meinem Mann und meinen Kindern in einer Großstadt und arbeite als Angestellte bei einem Träger der Behindertenhilfe. Vor einiger Zeit entschloss ich mich ein Zukunftsfest zu veranstalten, um mit meinen Freunden und meiner Familie gemeinsam über meine Zukunft nachzudenken.

    Das Treff en fand in einer Tagesstätte für schwerstmehrfach behinderte Menschen statt, in der ich zeitweise selbst tätig bin. Ich begrüßte die ca. 20 Gäste persönlich. Nachdem wir gemeinsam das Lied „Trau Dich“ gesungen hatten, übernahm der Moderator. Er stellte sich, die grafische Moderatorin und den Tagesablauf vor. Anschließend sangen wir erneut gemeinsam ein Lied. In den folgenden Stunden redeten wir über mein Leben, die Träume und Albträume für meine Zukunft sowie meine Stärken. Der Schritt, bei dem gesammelt wurde, was fehlen würde, wenn es mich nicht mehr geben würde, war besonders emotional, da vor allem mein Bruder und meine Schwester sehr deutlich ihre Nähe zu mir beschrieben. Zum Mittag stärkten wir uns ordentlich. Nachdem der MAP beendet war, gab es eine kleine musikalische Unterbrechung in Form des Liedes „Mein kleiner grüner Kaktus“. Beim anschließenden PATH reisten wir in meine fiktive Zukunft des Jahrs 2015 und schnell kamen viele Ideen auf, was ich beruflich zu dieser Zeit machen könnte. Ich suchte mir aus den genannten Vorschlägen einige heraus, die besonders spannend klangen. Weiter suchten und fanden wir BündnispartnerInnen, Stärkungsmöglichkeiten und planten konkret und konzentriert das weitere Vorgehen. Abschließend sangen wir ein weiteres Lied und ich bedankte mich mit einem Beutel Lakritze, meiner Lieblingssüßigkeit, bei allen Anwesenden.

    Dieses Zukunftsfest war für mich anstrengend. Ich war danach ziemlich ausgelaugt. Aber es war insgesamt auch gut, weil es viele Gedanken anregte, aufwühlte und auch neue zu Tage brachte – sehr spannend. Es war anstrengend, all das Gesagte psychisch in dem Moment an- und aufzunehmen oder auch nicht anzunehmen bzw. überhaupt darauf zu reagieren. Es ist auch hinterher anstrengend alles zu verarbeiten, was das Gesagte mit den einzelnen Beziehungen und Themen macht, da es nicht sachlich, sondern im Gegenteil sehr persönlich ist. An manchen Stellen fand ich das etwas schwierig, aber es gehört wohl auch einfach zu einem Zukunftsfest, diesen Mut zu haben, es zuzulassen. Es ist auch so, dass Außenstehende Themen mitbekommen, die nicht einfach sind. Deswegen habe ich in den Tagen danach mit Einzelnen über die Themen, über die Inhalte, darüber wie es abgelaufen ist und über Beziehungsgeflechte und einzelne Bemerkungen, die mir aufgefallen sind, gesprochen. Ich habe es mit einigen quasi nachbesprochen. Das tat gut. Die meisten fanden es mutig, dass ich solch ein Zukunftsfest gefeiert habe, weil es sehr persönlich ist. Aber sie fanden es insgesamt sehr gut, auch methodisch. Und ihnen hat gefallen, dass es so vielseitig gewesen ist. Viele haben gesagt, dass es gut war, dass so viele Menschen sowohl jüngeren als auch älteren Alters dabei waren, sowie Menschen, die mir näher stehen, aber ebenso welche, die weiter entfernt sind. Diese Mischung fanden sie sehr gut. Und ganz wichtig war die Pause, weil es teilweise auch anstrengend war, sich auf das Thema zu konzentrieren und auf das, was einem so durch den Kopf geht – sowohl für mich als auch für die UnterstützerInnen. Eine zusätzliche Erschwernis bestand darin, dass es viele zum ersten Mal gemacht haben und nicht so recht wussten, was da auf sie zukommt. Insgesamt habe ich von vielen die Rückmeldung erhalten, dass es eine gute Methode ist, um in die Zukunft zu schauen. Einige haben aber gesagt, dass sie das gerne weniger persönlich machen würden.

    Nun möchte ich ein wenig davon berichten, was nach meinem Zukunftsfest passiert ist. Es war ein Gespräch mit meinem Chef geplant, wo es um meine berufliche Perspektiven gehen sollte. Das hat auch wirklich stattgefunden. Ein Kollege, der sich während des Zukunftsfests dazu bereit erklärt hatte, begleitete mich. Aus diesem Gespräch hat sich entwickelt, dass ich jetzt eine neue Einrichtung aufgebaut und auch die Leitung übernommen habe. Außerdem hat sich noch ergeben, dass ich bei einer Fortbildung zum Thema Zukunftsplanung als Referentin agieren werde. Diese Tätigkeit hat eine andere Teilnehmerin des Zukunftsfests vermittelt. Das ist eigentlich ganz schön. Es gibt natürlich auch ein paar Dinge, die nicht passiert sind. Einige meinten, ich würde zu viel arbeiten und sie würden in der Freizeit etwas mit mir unternehmen, um mich zu entlasten. In diesem Bereich ist nicht so wirklich was passiert. Aber generell bin ich sehr zufrieden mit den Auswirkungen. Allein, dass dieses Zukunftsfest stattgefunden hat, hat nochmals neue Perspektiven eröffnet. Durch die vielen neuen Ideen und Gedanken bin ich selber nicht mehr so eng an bestimmte Vorstellungen gebunden, wie ich es vorher war. Ich bin stattdessen jetzt viel offener gegenüber der Idee, auch andere Dinge beruflich machen zu können. Eigentlich hat sich daraus ein eigener Veränderungswunsch entwickelt, der vorher nicht so präsent war, weil ich an dem Alten ein wenig festgehalten habe. Das ist nun nicht mehr so. Ich kann viel mehr loslassen und auf diese Weise besser meine Wege gehen.

    Ich hatte eine sehr talentierte grafische Moderatorin bei meinem Zukunftsfest. Die von ihr erstellten Plakate habe ich mir in den Tagen danach noch mit meiner Familie angeschaut. Eine Woche lang hatte ich es aufgehängt, aber dann war es auch genug. Ich wusste, worum es geht und das hat gereicht. Außerdem kamen dann schnell schon die nächsten Schritte, die nicht mehr auf dem Plakat standen. Vielleicht kann man es in einem Jahr mal wieder hervorholen, angucken und überlegen, wie es da war, was noch fehlt oder was möglicherweise wieder neu begonnen werden kann.

    Wenn ich jetzt zusammenfassen sollte, wie sich meine Situation in Bezug zu der Zeit vor dem Zukunftsfest verändert hat, kann ich vor allem feststellen, dass sich einige Beziehungen verändert haben, was sehr interessant ist. Einige Beziehungen zu UnterstützerInnen haben sich zum Positiven verändert. Bei einigen, wo ich es nicht erwartet hatte, ist es sogar ein Stück enger geworden, während ich bei anderen gemerkt habe, dass uns nicht mehr so viel verbindet und dass es sich auch nicht mehr viel weiter entwickelt. Es hat einfach etwas im Beziehungsgefüge verändert. Und wichtig sind auch die Veränderungen der beruflichen Situation – besonders von meiner Einstellung her.

    Ich sehe mich und die Welt jetzt etwas anders und bin im Wesentlichen auch selbstbewusster geworden. Es ist auf jeden Fall klarer geworden, wo es in meinem Leben eigentlich hingehen soll.

    Ich könnte mir aufgrund dieser positiven Erfahrungen gut vorstellen, wieder ein Zukunftsfest zu machen, aber ich glaube, dass ich damit eine ganze Zeit warten würde. Da müssten einfach ein paar Jahre vergehen, so dass man auch wieder einen bestimmten Bedarf und auch ein Interesse hat. Im Moment empfinde ich es sinnvoller, mich mit einzelnen UnterstützerInnen zusammenzuschließen und zu verknüpfen und gemeinsam privat wie beruflich etwas zu bewegen. Würde ich jetzt schwer erkranken, wäre ich sofort bereit ein Zukunftsfest zu feiern, um den Menschen um mich herum klar zu machen, dass ich sie jetzt brauche oder um damit etwas in Bewegung zu setzen, was mir helfen könnte. Aber wenn es keine bestimmten Themengibt, die im Umschwung stehen oder es eine sehr schwierige Situation gibt, dann empfinde ich ein Zukunftsfest als eine große Anstrengung – und man muss sich fragen, ob man das möchte und wo das hinführt.

    Ein Zukunftsfest ist eine große Herausforderung, weil viele Menschen nach diesem Treff en etwas Persönliches von einem wissen und einem niemand garantieren kann, dass sie immer nur positive Dinge mit diesem Wissen anstellen. Das ist der Punkt, den ich an dieser ganzen Methode etwas schwierig finde. Dennoch habe ich gemerkt, dass es wirklich auch wichtig ist, um ein Zukunftsfest zu moderieren, einmal diese Selbsterfahrung gemacht zu haben.

    Abbildung 3. PATH von Franziska

    Plakat mit Pfad von Franziska

    Patricia: „Ich habe gute Unterstützer, mit denen ich tagtäglich im Kontakt bin!“

    Patricia Netti ist inzwischen ein prominentes Beispiel für eine Hauptperson bei Zukunftsfesten und immer wieder selbst als Grafische Moderatorin tätig. Sie besuchte immer integrative Einrichtungen. Bereits vor vielen Jahren feierte sie als junges Mädchen vor Ende ihrer Schulzeit ihr erstes Zukunftsfest. Vor diesem Treffen war sie überzeugt davon, Altenpflegerin zu werden. Doch es kam anders: Patricia begann, inspiriert durch die Ideen der UnterstützerInnen, auch beruflich ihrem großen Hobby, der Malerei, nachzugehen. Sie begann eine Qualifizierung zur Kunstassistentin an einer lokalen Kunstschule. 2011 beendete sie diese und es wurde Zeit für ein neues, inzwischen drittes Zukunftsfest. So lud sie, unterstützt von ihren Eltern, neue und erfahrene UnterstützerInnen ein.

    In einer Runde von elf Menschen startet an einem schönen Herbstmorgen um 9.30 Uhr ihr Zukunftsfest mit der Eröffnung durch ein Flötenspiel von Patricia. Anschließend bedankte sie sich bei den Anwesenden für deren Kommen und ihr Vater Stefano sagte einige einleitende Worte, in denen er Bezug zu den vorhergehenden Zukunftsfesten nahm. Nach einer Einstimmung durch die Moderatorin und der darauf folgenden Vorstellungsrunde berichteten Patricia und ihre Familie über die gegenwärtige Situation. In den anschließenden Stunden wurde viel und konstruktiv miteinander nachgedacht, visioniert und besprochen.

    In einer ausgiebigen Mittagspause holte der grafische Moderator die Gitarre hervor und alle sangen ausgelassen miteinander – der Festcharakter des Treffens trat deutlich hervor. Auch nachdem am Ende des Zukunftsfests eine Agentin bestimmt war, sang die Gruppe gemeinsam einen alten Schlager, zu dem auch getanzt wurde; und ließ auf diese Weise den Tag ausklingen. Knapp sieben Monate nach dem Zukunftsfest wurden Patricia und ihr Vater Stefano unabhängig voneinander zu ihren Erfahrungen mit dem Zukunftsfest und dessen Auswirkungen befragt. Der Vater erklärt, dass es „mal Zeit war, dass man ein Zukunftsfest macht, um für Patricia neue Wege zu organisieren.“ Die Hauptperson selber empfand auch dieses dritte Treff en als „wieder sehr sehr erfolgreich.“ Unmittelbar nach dem Fest habe sie aber auch „sehr gemischte Gefühle“ gehabt. So wollte sie einerseits „alles total schnell erledigen, was auf dem Plakat stand“, aber hatte andererseits auch das Bedürfnis, „alles noch reifen und wachsen zu lassen“. Bereits kurze Zeit nach dem Treffen konnte die Familie erste spürbare Auswirkungen bemerken, denn „zehn Tage später waren die ersten in Bewegung, in Aktion. Die UnterstützerInnen haben was gefunden und sich gleich gemeldet“, so Stefano. Schließlich sind einige Dinge in Bewegung gekommen, die während des Zukunftsfests angestoßen wurden. Es ergab sich ein Praktikumsplatz für Patricia an der örtlichen Schule, von dem sie sich sehr wünscht, dass dies ihr Arbeitsplatz wird. Ihre ehemalige Lehrerin fragte die Schulleitung, ob sie dort ein Praktikum machen könne. Im Verlauf des Zukunftsfests wurde, wie bereits erwähnt, viel gesungen und vor allem Patricias Leidenschaft für diese Aktivität hervorgehoben. Daher geht sie seitdem „mit jemandem in einen Chor“, erzählt Patricia. Ihre künstlerische Tätigkeit wurde ausgebaut, indem weitere Wirkungsstätten für sie gesucht wurden. „Bei zwei KünstlerInnen durfte ich mir die Räumlichkeiten ansehen und auch schon mit einem Künstler malen.“ Außerdem wurden weitere Ausstellungen organisiert. Dies sind nur einige der direkten Auswirkungen des Zukunftsfests. Ihr Vater ist der Meinung, dass „ziemlich alles“, was im Zukunftsfest geplant wurde, auch tatsächlich eingetroffen sei, wobei Patricia einige Dinge, wenn auch kleinere, wie z. B. das Erstellen einer „Ordnungspunkteliste“, benennt, die noch nicht passiert sind. Eine wichtige Rolle hat nach ihrer Meinung die Agentin eingenommen: Sie fragt immer wieder „nach meiner beruflichen Laufbahn und unterstützt mich dabei, öfter auszustellen.“ Auch ihr Vater ist sehr zufrieden mit der Agentin, da „sie schon einiges gemacht hat“ und in „regen Kontakt“ mit anderen Menschen steht. Wichtig sind für Patricia die im Zukunftsfest entstandenen Plakate: „Ganz oft habe ich mir die Plakate schon angeschaut und mir Gedanken über das gemacht, was darauf stand.“ Auch ihr Vater überprüft mit ihrer Hilfe regelmäßig, wie es gelaufen ist. Einen Bedarf an weiteren kleineren Unterstützungstreffen sieht Patricia nicht. Sie verfüge über gute Unterstützer, mit denen sie sehr viel im Kontakt steht, erläutert sie.

    Abbildung 4.

    Feuerwerk

    Foto: NobbiP WikimediaCommons CC-BY-SA-3.0

    Insgesamt zieht die Familie ein überaus positives Fazit in Bezug auf die Auswirkungen des Zukunftsfests. Ihr Vater beschreibt sie als „enorm“ und sagt: „Es sind z. B. Sachen entstanden wie das regelmäßige Singen jeden Dienstag usw. Es ist schon einiges dazu gekommen, was vorher nicht war. Also es ist schon einiges passiert.“ Auch hat Patricia seiner Meinung nach „mehr Selbstbewusstsein seit dem Zukunftsfest – sie fühlt, dass sie stärker ist und nimmt neue Kontakte auf.“ Patricia selbst hebt vor allem ihre sehr umfangreich ausgestaltete Freizeitgestaltung hervor. So ist sie „sehr damit beschäftigt zu malen, Bilder auf dem Laptop zu sortieren, Listen zu archivieren, ins Fitnessstudio zu gehen, Flötenstunden zu nehmen und auch im Chor zu singen“. Gerne möchte sie nochmals ein Zukunftsfest machen und ihr Vater fügt hinzu, dass „es auf jeden Fall“ passieren werde, wenn auch „ nicht sofort“.

    Im Unterschied zu Klara verfügt Patricia über die ausgeprägte Ressource einer präsenten und fürsorglichen Familie, die sie jederzeit unterstützt. Dies spiegelt sich auch klar in der Tradition der Zukunftsfeste wider. Dennoch ist ersichtlich, dass trotz des guten inneren familiären Zusammenhalts auch die Aktivierung des sozialen Systems außerhalb der Familie von großer Bedeutung ist. Denn diese Menschen haben bei diesem Zukunftsfest, wie auch in den vorangegangen, wichtige neue Impulse gebracht, neue Horizonte eröffnet und schließlich bei der Verwirklichung unterstützt. Sie sind die vorhandene systemische Ressource, die jedoch erst durch das Zukunftsfest (re-)aktiviert wurde. Was dies für die Familie bedeutet, wird in der Antwort des Vaters auf die Frage deutlich, was dieses Zukunftsfest für ihn und seine Frau bewirkt habe: „Mehr Unterstützung auf jeden Fall. Wir sind dadurch ein bisschen entlastet, weil wir merken, dass andere Leute mitdenken und sich bewegen. Diese anderen Leute haben das Prinzip verstanden, was ein Zukunftsfest bewirken soll.“

    Fazit

    Auch wenn diese drei Beispiele nicht den Querschnitt aller Zukunftsfeste darstellen, so zeigt die Befragung aller drei Hauptpersonen zwei wichtige und verallgemeinerbare Erkenntnisse:

    1. Selbst wenn auf den ersten Blick keine Veränderungen oder Verbesserungen im Leben der Hauptperson stattgefunden haben, so ist das mindeste, was passiert, ein mächtiger Schub des Selbstbewusstseins der Hauptperson – diese Auswirkung ist nicht zu unterschätzen, verändert sie doch den Habitus eines Menschen nachhaltig und ermöglicht so auch Veränderungen auf längere Sicht.

    2. Einige Auswirkungen treten erst später zutage. Wenn in den ersten Monaten nach einem Zukunftsfest nichts oder nicht viel passiert, geschieht häufig später etwas. Zukunftsfeste wirken sich zuallererst auf das Denken aller Anwesenden aus. Sie eröffnen neue Möglichkeiten. Durch das losgelöste Visionieren entsteht ein Gedanken- Spross im Kopf einiger Beteiligter, der zuweilen erst lange Zeit später austreibt und Früchte trägt. So kann es vorkommen, dass erst nach vielen Monaten die entscheidende Idee für den wichtigen nächsten Schritt hin zur gemeinsam erarbeiteten Vision für die Hauptperson entsteht.

    Insofern können diese Beispiele als Mut machende Aufforderung gesehen werden, für sich oder für eine Person im eigenen Umfeld, die eine Stärkung und/oder neue Zukunftsperspektiven benötigt, Verwandte, Freunde und Bekannte einzuladen und gemeinsam stärkenorientiert in die Zukunft zu schauen – positive Effekte scheinen fast ‚vorprogrammiert’.

    Der Text ist eine veränderte Version eines Kapitels aus dem Buch „Bürgerzentrierte Planungsprozesse in Unterstützerkreise – Praxishandbuch Zukunftsfeste“ (Hinz & Kruschel 2013). Vielen Dank an den Verlag selbstbestimmt leben für die Freigabe des Textes.

    Abbildung 5. Andreas Hinz

    Portrait des Autors

    Andreas Hinz ist Professor für Integrationspädagogik an der Martin Luther-Universität Halle –Wittenberg.

    Kontakt und nähere Informationen

    Martin Luther-Universität Halle -Wittenberg

    Franckeplatz 1, 06110 Halle

    Mail: andreas.hinz@paedagogik.uni-halle.de

    Abbildung 6. Robert Kruschel

    Portrait des Autors

    Robert Kruschel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin- Luther-Universität Halle- Wittenberg. Gemeinsam mit Andreas Hinz führte er u.a. die Evaluation eines Qualifizierungskurses für Persönliche Zukunftsplanung durch.

    Kontakt und nähere Informationen

    Martin Luther-Universität Halle -Wittenberg

    Franckeplatz 1, 06110 Halle

    Mail: robert.kruschel@paedagogik.uni-halle.de

    Abbildung 7. Praxishandbuch Zukunftsfeste

    Abbildung des Buchcovers

    Gemeinsam mit vertrauten Menschen große Fragen stellen, spinnen, planen und realisieren, um eine bessere neue Zukunft zu schaffen – genau das bieten Zukunftsfeste. Im Kreis von UnterstützerInnen werden aus Träumen alternative, reale Zukünfte und so auch Krisen bewältigt, Hürden überwunden oder Lebensumstände verändert. Mit dem Praxishandbuch Zukunftsfeste liegt erstmals eine Orientierung für Menschen vor, die sich der spannenden Herausforderung stellen wollen, ein Zukunftsfest selbst zu moderieren. Erfahrene ModeratorInnen bekommen einen Fundus an die Hand, auf den sie immer wieder zurückgreifen können.



    [1] Ein/e Agent/in kann von der Hauptperson bestimmt werden. Sie soll die Hauptperson dabei unterstützen, dass die im Planungsprozess bestimmten Aufgaben umgesetzt werden und den Überblick behalten.

    Literatur

    Boban, Ines (2003a): Person Centred Planning and Circle of Friends – Persönliche Zukunftsplanung und Unterstützerkreis. In: Feuser, Georg (Hrsg.): Integration heute – Perspektiven ihrer Weiterentwicklung in Theorie und Praxis. Frankfurt am Main: Peter Lang, 285-296

    Boban, Ines (2003b): Aktiv zuhören, was Menschen möchten. Unterstützerkreise und Persönliche Zukunftsplanung. Zur Orientierung, H.4, 42-45 (auch im Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/boban-orientierung.html )

    Boban, Ines & Hinz, Andreas (1999): Persönliche Zukunftskonferenzen. Unterstützung für individuelle Lebenswege. Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 22, H.4/5, 13-23

    Falvey, Mary, Forest, Marsha, Pearpoint, Jack & Rosenberg, Richard L. (1994, 2. Aufl . 2000): All my Life‘s a Circle. Using the Tools: Circles, MAPS & PATHS. Toronto: Inclusion Press

    Hinz, Andreas & Kruschel, Robert (2013): Bürgerzentrierte Planungsprozesse in Unterstützerkreisen – Praxishandbuch Zukunftsfeste. Düsseldorf: selbstbestimmtes leben

    Quelle

    Andreas Hinz, Robert Kruschel: Die Zukunft nach dem Zukunftsfest. Erschienen in: impulse Nr. 66, 03/2013, Seite 15-21.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 19.06.2015

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