Dran bleiben

Benachteiligungen von jungen Frauen im beruflichen System finden immer noch zu wenig Beachtung

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 60, 01/2012, Seite 30-38. impulse (60/2012)
Copyright: © Manuela Heger; Désirée Laubenstein 2012

Berufliche Teilhabe

Die Partizipation am Arbeitsleben ist für alle Menschen "von elementarer Bedeutung und eine wichtige Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2009, 63).

Bezüglich der nachschulischen Lebensperspektive benachteiligter/ behinderter Jugendlicher kann eine Kumulation von Schwierigkeiten in den unterschiedlichen Lebensbereichen konstatiert werden (vgl. Fasching 2004; Kühnke/Müller 2009). Dies betrifft zunächst benachteiligte/behinderte junge Männer und Frauen gleichermaßen. Neuere Studien (vgl. Orthmann 2001; Theis-Scholz 2001) weisen darauf hin, dass auch benachteiligte/behinderte junge Frauen eine berufliche Tätigkeit in ihrem Lebensentwurf antizipieren. Gleichzeitig sind sie dennoch "häufiger arbeitslos und schlechter qualifiziert als nichtbehinderte Frauen und (nicht)behinderte Männer" (Niehaus 2000, 16).

Die Art der Berufswahl hat Auswirkungen auf Beschäftigungsmöglichkeiten, Verdienst, berufliche Aufstiegschancen, Ansehen und gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten (vgl. Hamburger Arbeitsassistenz 2007, 32).

Hierbei stellt sich die Einschränkung der Teilhabe im Bereich ‚Arbeit und Beruf' für Frauen z.T. besonders deutlich dar (vgl. Orthmann 2000, 2001; König 2006; Fasching 2008; Laubenstein/ Heger 2010). Dies konnte auch in der unter der Mitarbeit der beiden Autorinnen durchgeführten Evaluation der bayernweiten Konzeption von "Übergang-Förderschule-Beruf" (vgl. Heger/Laubenstein 2009; Fischer/Heger 2011) bestätigt werden. Dem widersprechend gibt es jedoch auch Ansätze bzw. Konzepte, in denen sich der prozentuale Anteil von Männern und Frauen weder bei den Teilnahmezahlen noch bei der Anzahl erreichter Vermittlungen signifikant unterscheidet (z.B. Hamburger Arbeitsassistenz, Baden-Württembergisches Modell BVE/KobV), wobei sich durchgängig deutliche Unterschiede erkennen lassen, in welchen Arbeitsbereichen Frauen und Männer tätig werden. Auffällig ist, dass sich in kaum einem der Projekte differenzierte Analysen zu einer Genderthematik finden. Der Prozess der sozialen Benachteiligung verweist auf spezifische Problemlagen und auf die Notwendigkeit einer Gendersensibilität. Eine genaue Analyse ist Voraussetzung, um gezielt und wirksam Fördermaßnahmen unter Berücksichtigung des Gender-Mainstreaming einleiten zu können, denn oftmals dominiert die Frage nach der Benachteiligung durch Behinderung über weite Strecken die Frage nach der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.

Gender-Studie

Im Folgenden soll eine von den Autorinnen durchgeführte Studie vorgestellt werden, die sich mit dem Thema ´Gender´ bzw. speziell der Situation von Frauen mit Benachteiligungen/Behinderungen im Übergang ´Schule-Beruf´ sowie im beruflichen Bereich beschäftigt. Konkret lautete die forschungsleitende Fragestellung, ob von verschiedenen AkteurInnen im Bereich der beruflichen Rehabilitation Unterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich der Teilnahme(-bereitschaft) an Integrationsprojekten/Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation sowie bezogen auf erfolgreiche Vermittlungsbemühungen wahrgenommen werden, welche Gründe sich dafür angeben lassen und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.

Zur Bearbeitung dieser Fragestellung(en) wurden ExpertInneninterviews[1] in Form von Gruppeninterviews geführt. Gläser/Laudel (2009, 12) bezeichnen ExpertInnen "als die Personen, deren Wissen über die zu untersuchende Situation erfasst werden soll." Der Status eines Experten/einer Expertin ist somit immer relational und kontextabhängig. ExpertInnen werden immer für den jeweiligen Forschungsbereich definiert. Sie üben eine bestimmte Funktion in einem bestimmten Setting aus, wodurch sie ein Sonderwissen gewinnen. Dieses ist Gegenstand des Interviews. Als ExpertInnen im Bereich der beruflichen Rehabilitation wurden für die Studie in der beruflichen Integrationsarbeit erfahrene bzw. tätige Fachpersonen ausgewählt:

  • zwei Integrationsberaterinnen der Hamburger Arbeitsassistenz als Fachdienst zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen (vgl. hamburger-arbeitsassistenz.de)

  • vier IntegrationsberaterInnen von bayerischen Integrationsfachdiensten (IFD)

  • zwei Vertreterinnen von Weibernetz e.V., ein Verein, der sich als politische Interessensvertretung behinderter Frauen, unter anderem im Bereich der beruflichen Rehabilitation, versteht (vgl. weibernetz.de).

Die interviewten ExpertInnen zeichneten sich dadurch aus, dass

  • sie selbst Teil des zu befragenden Forschungsfeldes sind,

  • sie über ein Spezialwissen im Feld der beruflichen Rehabilitation benachteiligter/behinderter Menschen (und besonders auch Frauen) verfügen,

  • sie durch ihre Professionalität Praxis- und Handlungswissen in diesem spezifischen Feld besitzen,

  • dieses Wissen jedoch auch individuelle (durchaus biographisch und professionell geprägte) Orientierungen aufweist,

  • diese Orientierungen sich in der täglichen Praxis, d.h. auch im Umgang mit dem Klientel zeigen.

Ein Leitfaden diente in diesem Kontext dazu, das Interview auf bestimmte Themen zu fokussieren. Er umfasste Fragen

  • zur Rekrutierung der TeilnehmerInnen in verschiedenen Maßnahmen,

  • zu spezifischen Angeboten für Menschen mit Benachteiligungen/ Behinderungen,

  • zur Teilnahme(-bereitschaft) von Frauen und Männern an Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation,

  • zu den Erwartungen der TeilnehmerInnen,zu spezifischen Angeboten für Frauen,

  • zu Vermittlungsergebnissen (Anteil der Frauen/Männer mit Benachteiligungen/ Behinderungen, die es schaff en, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen) sowie zu den für eine Vermittlung förderlichen sowie hinderlichen Einflussfaktoren,

  • zu Kooperationen bzw. Netzwerken mit weiteren Akteuren

  • sowie zum ´Doing Gender´ als soziale Konstruktion von Geschlecht

  1. zum einen bezüglich der TeilnehmerInnen (z. B. Geschlechtsstereotypien, Berufswahlentscheidungen),

  2. zum anderen bezüglich der MitarbeiterInnen in den einzelnen Fachdiensten (z. B. Sensibilisierung, Fortbildungsangebot zum Thema ´Gender´).

Die Auswertung wurde auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2000; 2002) durchgeführt. Mit Hilfe dieses Verfahrens werden Texte in mehreren Schritten systematisch analysiert, indem das Material in Einheiten zerlegt und diese nacheinander unter Berücksichtigung vorher erstellter Kategoriensysteme (z.B. in Anlehnung an den Leitfaden) bearbeitet werden.

Auto 2011



[1] Die Methodik von Experteninterviews wird anbei nur kurz angerissen. Ausführliche Literatur vgl. Bogner/Menz 2002a, 2002b; Meuser/Nagel 2002a, 2002b; Gläser/Laudel 2009; Kruse 2010.

Ergebnisdarstellung

Oberkategorien, die in der Auswertung erarbeitet wurden, sind:

  • Berufsorientierung

  • Gesellschaftliches Bild/´Doing Gender´

  • Zugang zu Maßnahmen

  • Sensibilisierung für Geschlechterfrage

  • Netzwerkarbeit/Peer-Counselling

  • Vermittlung

Nachfolgend sollen die zentralen Ergebnisse der Studie zusammenfassend dargestellt werden:

Berufsorientierung

Der Übergang von der Schule in das Arbeitsleben ist für viele Jugendliche ein bedeutsames Thema. Die Jugendlichen müssen dabei zahlreiche Entscheidungen treffen. SchülerInnen im Förderschwerpunkt Lernen (vgl. Fasching 2004; Friedrich 2009; Kuhnke/Müller 2009) oder auch im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung treffen häufig erst sehr spät eine berufliche Entscheidung. Auch fehlen oftmals konkrete berufliche Vorstellungen. Im Berufsberatungsprozess zeigen sich diese SchülerInnen verstärkt hilflos. Die Jugendlichen sind

nur wenig über ihre beruflichen Möglichkeiten informiert, so dass sie das Netz der beruflichen Rehabilitation nicht nutzen können.

  • Die SchülerInnen nutzen nur wenige Informationsquellen, die Informationsaufnahme erfolgt eher zufällig.

  • Die Zielberufe liegen auf einer eher engen Berufsskala (was im Zusammenhang mit einem traditionellen Rollenverständnis steht):

  1. Berufswünsche bei Jungen umfassen vorrangig handwerkliche und technische Berufe sowie Arbeiten im Garten- und Landschaftsbau und in der Verwaltung.

  2. Berufswünsche bei Mädchen weisen eher auf hauswirtschaftliche oder soziale Arbeitsfelder und Tätigkeiten im Büro hin (vgl. u.a. Wegner 2000, 12; Fischer/Heger 2011, 256ff ; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011, 58).

  3. Schwierigkeiten zeigen sich auch bei der Realisierung der Berufswünsche:

  4. So zeigen sich die Jugendlichen im Bewerbungsverhalten unsicher, unentschlossen, weisen wenig Eigeninitiative auf, was oftmals zu einer verspäteten Bewerbung führt (vgl. Fasching 2004, 4)

  5. Junge Menschen, die bereits an mehreren Angeboten der beruflichen Rehabilitation ohne Erfolg teilgenommen haben ("Wir haben schon so viele Maßnahmen durchlaufen, es bringt doch eh nichts" (Interview 2.2), haben aufgrund von Resignation noch weniger Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden.

  6. Auch bei Personen mit Benachteiligungen/Behinderungen, denen es letztendlich gelingt, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen, lassen sich deutliche Geschlechterunterschiede erkennen, in denen sich die genannten Tendenzen hinsichtlich der Berufswünsche manifestieren (vgl. ´Vermittlung´; Fasching 2004, 13; Doose 2007, 314).

  • Schülerinnen aus Förderschulen werden besonders oft in institutionell vorgeprägte Wege gedrängt. Bei Frauen bzw. Mädchen mit Behinderung wird von vornherein ein besonderes Schutzbedürfnis angenommen und damit erscheinen dann Schonräume wie Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), berufsvorbereitende Maßnahmen oder Institutionen der beruflichen Rehabilitation wie Berufsbildungswerke (BBW) als geeignete Orte der (beginnenden) beruflichen Teilhabe (vgl. ´Gesellschaftliches Bild´).

  • Hierbei zeigt sich jedoch, dass der Frauenanteil in ‚vorgelagerten' Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation lediglich bei 20-25% liegt (vgl. Vieweg 2011).

  • Auch lässt sich vermuten, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen weniger Unterstützung im häuslichen Umfeld bezüglich einer beruflichen Vorbereitung und Ausbildung bekommen (vgl. Orthmann 2000; Fischer/Heger 2011, 222) sowie junge Männer stärker zu Selbständigkeit (was auch Mobilität einschließt) erzogen werden (vgl. ebd. 258).

Um "eine erfolgreiche Gestaltung des Übergangs auf das Leben nach der Schule und den ersten Arbeitsmarkt" (Fischer/Heger 2011, 78) zu unterstützen, gilt es, diesen Übergang frühzeitig in den Blick zu nehmen - dabei hat eine (fehlende) systematische schulische Vorbereitung (vgl. ebd. 332) einen nicht unerheblichen Einf uss im Prozess der Berufswahlorientierung.

Auch die Kooperation und Vernetzung mit außerschulischen, im beruflichen Bereich tätigen ExpertInnen (vgl. ebd. 333) bereits während der Schulzeit stellt einen wesentlichen Wirkfaktor für einen (gelingenden) Übergang aus der Schule in den Arbeitsmarkt dar. Unterschiedliche Projekte und Maßnahmen (vgl. z.B. "Übergang Förderschule-Beruf" in Bayern, Hamburger Arbeitsassistenz), in denen der Aufbau von Vernetzungsstrukturen mit außerschulischen PartnerInnen das Ziel war, belegen, dass durch ein solches Vorgehen Arbeitsplätze auch für behinderte/ benachteiligte SchulabgängerInnen auf dem ersten Arbeitsmarkt ge-(bzw. er-)funden werden können.

Lehrkräfte haben die Aufgabe, berufliche Vorstellungen der SchülerInnen zu eruieren, aufzugreifen, Praktika zu organisieren und für das einzelne Individuum realistisch erscheinende Optionen zu erarbeiten. Dies darf jedoch nicht vorrangig "entlang gesellschaftlicher Normen und ziemlich festgeschriebener Rollenmuster" (Hamburger Arbeitsassistenz 2007, 38) erfolgen, sondern muss auch für das jeweilige Geschlecht als (auf den ersten Blick) ´untypisch´ erscheinende Arbeitsbereiche aufgreifen, um die Kenntnis beruflicher Alternativen und so die ansonsten eingeschränkte Auswahl an Berufen zu erweitern. Mehrere verschiedene Praktika als Einsicht(en) in betriebliche Realsituationen dienen dazu, berufliche Vorstellungen zu überprüfen und gleichzeitig zu vermeiden, lediglich selektive Eindrücke aus einem Praktikum auf einen gesamten Arbeitsbereich zu generalisieren.

Wechseln die Jugendlichen von der Schule in Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, sollten sie bereits Vorerfahrungen im Hinblick auf berufliche Orientierung mitbringen, da es zu diesem Zeitpunkt meist bereits "um Vermittlungsdruck" (Interview 1.1) geht, was bedeutet, dass nicht ausreichend Zeit vorhanden ist, um umfassend alternative Möglichkeiten auszuprobieren.

Die gerade oben genannten Aspekte beziehen sich auf junge Frauen und Männer mit Benachteiligungen/Behinderungen gleichermaßen. Häufig wird "argumentiert, dass es für behinderte Menschen ohnehin schwierig genug sei, einen Arbeitsplatz zu finden und deshalb nicht zusätzlich auf die Qualität der Arbeitsplätze bzw. die geschlechtsspezifische Zuordnung der Berufe geachtet werden könne. Die geschlechterspezifische Teilung des Arbeitsmarktes wird so für Menschen mit Behinderung verstärkt" (König 2006, 31). Gilt jedoch ´Frau-Sein´ als zusätzliche Begründung für schlechtere Bedingungen am Arbeitsmarkt?

Gesellschaftliches Bild/´Doing Gender´

Will man sich mit dieser Frage beschäftigen, müssen mehrere Faktoren in den Blick genommen werden:

  • so zum einen, inwieweit z.B. Frauen von sich aus eine geringere Erwartungshaltung aufweisen, sich sozusagen mit ´weniger´ zufrieden geben

  • oder auch, inwieweit eher ´von außen´ bestimmte, gesellschaftliche ´Bilder´, soziale Einstellungen und Vorurteile letztendlich getroffene Entscheidungen und erreichte berufliche Teilhabe bestimmen.

In allen Interviews konnten der Einfluss beider Aspekte nachgewiesen werden. Vertreterinnen der Hamburger Arbeitsassistenz konstatierten hierbei: "Junge Frauen sitzen wesentlich bescheidener hier, glaub ich, und sagen: Ach, was ihr mir gebt, das nehm ich so. Das ist jetzt etwas überspitzt gesagt. Auch die Eltern sind, glaub ich, oft so zufrieden, wenn überhaupt irgendwas gefunden wird" (Interview 1.2). Frauen sind insgesamt eher bereit, "Zugeständnisse zu machen" (Interview 1.1), so z.B. Tätigkeiten in nicht den eigenen Wünschen entsprechenden Arbeitsbereichen bzw. schlechtere Arbeitskonditionen zu akzeptieren.

Verstärkt wird dies durch vorgeprägte Rollenschemata, denen die Frauen (häufig für sie selbst und ihr Umfeld) unbewusst entsprechen: "Das worum es im Endeffekt geht, das ist ganz klassisch (...), ich habe kein einziges Mädchen, das außerhalb der Hauswirtschaft oder der klassischen Frauenberufe irgendwo angesiedelt ist oder da auch hin möchte" (Interview 3.3).

Trotz der Tatsache, dass eine der interviewten Integrationsberaterinnen bewusst darauf achtet, umfangreich über Berufe zu informieren und Praktika anzubieten, resümiert sie aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung: "Wenn jetzt ein Mädchen zu mir sagen würde, sie will zu den Schreinern, dann könnte ich ihr das bieten. Ohne weiteres! [Doch] Passiert nicht" (Interview 3.2). Es zeigt sich, wie schwer es ist, die traditionellen Muster nicht nur gesellschaftlich, sondern auch individuell aufzubrechen. Auch in einem Projekt des Jenaer Zentrums für selbstbestimmt Leben behinderter Menschen e.V. 2005 wurde dieser Eindruck bestärkt: Hier waren es nicht die Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes, die sich eine ‚unkonventionelle Tätigkeit' der SchülerInnen nicht vorstellen konnten, sondern die SchülerInnen selbst, die sich in der Wahl ihres Praktikums oder auch möglichen Ausbildungsplatzes selbst begrenzten. Somit kann von einem ´Wunsch´ der jungen Frauen, in geschlechtsspezifischen Arbeitsbereichen tätig zu sein (auch wenn andere Praktikumsbereiche angeboten werden) gesprochen werden.

Auch in den Interviews finden sich auf Seiten Professioneller traditionell geprägte Denkmuster. So äußert ein Integrationsberater: "Ein Mädchen hatte ich, das wollte jetzt auf den Bau. Das geht aber nicht! Keine Frau arbeitet auf dem Bau, da kann ich niemanden hinschicken" (Interview 3.3).

Somit wird deutlich, dass die Berufswahl von und für junge Frauen eher nicht von rationalen Kriterien wie Eignung, Neigung und Fähigkeiten bestimmt wird, sondern von der Vorstellung davon, was für junge Frauen als ‚passend' antizipiert wird.

D.h., dass sich nicht nur Frauen nicht für männlich orientierte Arbeitsfelder selbst als unpassend erleben, sondern die Tätigkeiten in männlich dominierten Bereichen Frauen von ihrem sozialen Umfeld auch nicht zugetraut oder zugemutet werden. Eine Expertin formuliert zusammenfassend zutreffend:

"Ja. Also, ich glaube, es ist beides, weil die Teilnehmer mit solchen Wünschen klar nicht kommen und weil es auch nicht in den Köpfen der Kollegen ist" (Interview 1.1). Somit muss dem Folgenden zugestimmt werden: "Traditionelle Rollenschemata bestimmen also ganz offensichtlich immer noch stark den Denk- und Planungshorizont, so dass ganz generell auch heute noch von einer geschlechts- bzw. zuschreibungsbezogenen Berufswahl gesprochen werden muss - mit den entsprechenden Folgen hinsichtlich der Wahlfreiheit, der Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie der sozialen Absicherung für Frauen" (Hamburger Arbeitsassistenz 2007, 33).

Der Ansatz ´Doing Gender´ kommt hier zum Tragen. Er dient als Erklärungsmodell für die Konstitution der Geschlechter. Ausgedrückt wird damit, dass das Geschlecht durch alltägliche Handlungen und Interaktionen hergestellt wird, sich täglich aufs Neue reproduziert und damit verfestigt. Es zeigen sich mögliche Geschlechterstereotypien, die sich dem Aufbrechen widersetzen: "Also, ich denke mal, dass Mädchen nicht so stark empowered werden, sag ich mal. Dass man nicht sagt: ´Mensch, jetzt trau dich. Und reiß dich mal zusammen und spring über deinen Schatten.´ Natürlich sind die auch wesentlich sozial angepasster, fallen dadurch nicht so auf und werden jetzt nicht irgendwelchen Maßnahmen zugewiesen, wo man denkt: ´Jetzt müsste man mal was tun.´ Viele Eltern haben, glaub ich, für ihre Töchter auch nicht so viel Ehrgeiz, wie für ihre Söhne, ne." (Interview 2.1)

Friederike Blume 1992 Muster 1992 Möwe 2011

Friederike Blume 1992 Muster 1992 Möwe 2011

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Es lässt sich eine Verfestigung ´traditioneller´ Bilder feststellen: "Also, man muss schon sagen, dass die Problematik nicht anfängt in dem Alter, ne? (...) es fängt im Prinzip vor der Geburt an und umschließt alle am Prozess beteiligten Personen, d.h. sowohl die jungen Frauen selbst, als auch ihr soziales Umfeld." (Interview 1.2): "Also bei uns ist keine einzige junge Frau nicht im hauswirtschaftlichen Bereich, auch im Praktikum. Alle im Altenheim, in der Küche, im ... [Wäscherei] Das sind die klassischen, und Gärtnerei vielleicht noch. Das kommt noch bei den jungen Frauen (...) Hotel. Hotel hab ich noch welche" (Interview 3.3). Und selbst wenn die berufsorientierenden und qualifizierenden Dienste Alternativen anbieten, scheinen diese zunächst bei den jungen Frauen auf Irritation und Ablehnung zu stoßen: "Und sind auch mit den Mädchen so in männerspezifische Bereiche gegangen oder haben darüber gesprochen, aber ich weiß, dass die dann alle gesagt haben: ´Mhhhh.´ (Interview 2.2) "Also ich biete es immer an, aber sie gehen da überhaupt nicht drauf ein. (...) Passiert nicht" (Interview 3.2). Der Prozess des ‚Doing Gender' produziert und reproduziert sich so in allen Phasen der beruflichen Orientierung und Qualifikation. Problematisch an diesem Prozess ist, dass er nicht auf der bewussten, rational-reflektierten Ebene erfolgt, sondern als unbewusster Prozess Interaktionsprozesse strukturiert: "Ich kann dann schon den Mädchen auch einen Praktikumsplatz in einem typischen männlichen Beruf anbieten. Aber, bin ich so? Das weiß ich jetzt gar nicht. Ich forciere schon, ich mein das Mädchen kam jetzt, wo ich von erzählt habe, so auf mich zu und meinte: ´Brückenbau/Straßenbau!´ Und ich sag: ´Nee!´"(Interview 3.3). Es gilt daher, die unbewussten Prozesse des ‚Doing Gender' zu thematisieren, ins Bewusstsein zu bringen, sich nicht von diesen vereinnahmen zu lassen. Hierbei helfen Projekte oder Modelle, die sich ganz spezifisch bereits mit der Thematik Frauen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt haben (vgl. ´talente´ der Hamburger Arbeitsassistenz), da hierbei die Perspektive ganz klar auf die Genderthematik gelegt wird. Es zeigt sich, dass diese Projekte dann das Bewusstsein für ‚Doing Gender' erhöhen, gleichzeitig bedarf es jedoch einer Institutionalisierung genderspezifischer Strukturen, um dieses Bewusstsein weiterhin hoch zu halten. Die soziale Konstruktion des ‚Doing Gender' beginnt bei jedem Einzelnen: "Ok, ich denke es ist auch ein Thema bei uns. Das fällt mir jetzt so auf. Vielleicht gerade bei mir" (Interview 3.3).

Es ist erforderlich, den jungen Menschen ein Entwicklungspotential zuzugestehen und dieses zu fördern: "Und das eine ist den Leuten auch entsprechende Fähigkeiten, also die Möglichkeit zur Entwicklung solcher Fähigkeiten zuzutrauen. Ich glaube schon, dass auch traditionell erst mal gesagt wird: Naja, das können die ja gar nicht so. Das muss man denen abnehmen. (...) Naja, aber sie muss es doch lernen, die junge Frau und kann es doch auch lernen, also lass uns da auch was machen." (Interview 1.2). Durch die Ermöglichung eines Sich-Ausprobierens in verschiedenen Bereichen und durch die Bereitstellung von Unterstützung und Ermutigung kann das Ziel verfolgt werden, den einzelnen Jugendlichen in seinem Werdegang positiv zu beeinflussen: "Unsere Zielrichtung bezogen auf ... äh Teilnehmer ist ja tatsächlich eben nicht, alle ... in die Autowerkstatt oder auf die Tankstelle, oder was weiß ich wo, in die Tischlerei ... zu orientieren, ... sondern ihnen einfach Möglichkeiten zu eröffnen, auch mal in was anderes reinzuschnuppern. (...) Also ihnen quasi die begründete Entscheidungsgrundlage zu liefern. (...) Aber was, womit ich mich überhaupt nicht befasst habe, von vorneherein auszublenden, halten wir nicht für ... legitim. (...) Also sie ein Stück zu ermutigen ... dann haben wir ja sehr gesetzt auf Empowerment und ... Möglichkeiten sich überhaupt mit der eigenen Biografie ... auseinander zu setzen ... anderes Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich grundsätzlich überhaupt was zuzutrauen" (Interview 1.1). Oftmals verharren auch professionelle UnterstützerInnen in tradierten Haltungen, eigene Vorurteile (z.B. bezüglich für Frauen ´geeignete´ Arbeitsbereiche) werden oft nicht hinterfragt: "man kann ganz viel machen mit Methoden und Materialien, aber wenn man an diese Haltungsgeschichten nicht rankommt ... also auch in Fortbildungen mit Kollegen, dann kann man das auch glaub ich lassen" (Interview 1.1). Es gilt, sich eigener, häufig unbewusster Denk- und Verhaltensweisen bewusst zu werden, um dann Veränderungen anzustreben und auch Neues auszuprobieren: "Sagen wir mal so, die ganz traditionellen männlichen Bereiche, wie eine Autowerkstatt zum Beispiel, glaub ich schon, dass die nicht wirklich aufgeschlossen sind, würde ich schon sagen. Unabhängig ... davon, ob die Frau das will oder nicht. Trotzdem wäre es an uns zu probieren, so und mal anzuklopfen und mal zu fragen. (...) Ich war am Anfang durchaus überrascht von so manchem Arbeitgeber, der insgesamt aufgeschlossen war gegenüber der Idee von Integration" (Interview 1.2). Jeder einzelne muss sich dieser Thematik annehmen, doch muss der Anstoß dafür immer wieder gegeben werden: "Also die Erkenntnis für uns war dann einfach, dass wir gesagt haben, an einem ganz anderen Punkt ansetzen, ne. Das sind so über Generationen verfestigte Ansichten (...) Und insofern, wenn man das wirklich mal anfasst, da müsste man, müsste man wirklich mal spinnen und sich wirklich überlegen, auch die Eltern schon oder die Lehrerinnen

für dieses Thema sensibilisieren" (Interview 2.1).

Pilzhammer 1992 Vogelmensch 2010 Wattenmeer 2008

Pilzhammer 1992 Vogelmensch 2010 Wattenmeer 2008

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Zugang zu Maßnahmen

Häufig wird für den Personenkreis vor allem von Menschen mit einer geistigen Behinderung, wenn möglich, der sichere, ´beschützende Raum´ einer WfbM ´gewählt´. Die Ängste, die mit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbunden sind, sind nicht unerheblich, sowohl ganz praktische Dinge betreff end, wie den Arbeitsweg zu bewältigen, aber auch die Frage der Absicherung und eines möglichen Scheiterns. Junge Frauen betriff t dies ungleich mehr: "Absicherung Werkstatt. Und unsere These, haben wir natürlich auch nie überprüft, ist so ein bisschen, das, was für Eltern natürlich ... deutlich weniger risikobehaftet ist, als diesen anderen Weg zu gehen. Dass sie dann grad bei jungen Frauen dann nochmal eher dazu tendieren zu sagen: da fühlen wir uns sicherer aufgehoben, da ist ein Netz und doppelter Boden" (Interview 1.1).

Ist dies nicht der unbedingt favorisierte Weg, zeigt sich, dass Betroffene selbst sehr stark an Informationsbeschaffung interessiert sein müssen, denn präsent scheinen die Wege der beruflichen Qualifikation nicht zu sein: "Aber wir erleben ja ganz stark, das eine ist die Zuweisungspraxis der Agentur, das andere ist ja auch wie sich Eltern, Netzwerke, Lehrer auch wirklich in diesen Beratungsgesprächen einschalten, überhaupt agieren und drauf aufmerksam machen, es gibt Möglichkeiten ... jenseits der Werkstatt" (Interview 1.1).

Die von der Agentur für Arbeit angebotenen beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche (BBW etc.) werden vorwiegend geschlechterrollen-konform angeboten und die Jugendlichen dementsprechend geschlechterstereotyp ausgebildet. Es zeigt sich, dass nicht immer klar erkennbar ist, nach welchen Kriterien die Agentur für Arbeit ihrem Klientel die jeweiligen Maßnahmen anbietet, das Konzept des ´Doing Gender´ wird auch hier vermutet: "Und ich glaube, dass das auch so ganz tief im Unterbewusstsein von den Sachbearbeitern/ Fallmanagern in den Arbeitsagenturen und sowas ist, dass sie denken: ´Ja ein Mann, der muss mal seine Familie ernähren.´ Jetzt gerade bei ´Unterstützer Beschäftigung´ (...)" (Interview 2.1). "Das wäre mal eine Frage, die man stellen könnte. Ob es da Überlegungen gibt von der Agentur für Arbeit, warum sie das und nach welchen Kriterien sie das auswählen; warum das eben so ist" (Interview 2.2). Die Anbieter selbst sind von der Zuweisungspraxis der jeweiligen Agentur bzw. Arge abhängig: "Das Problem bei der ´UB´ ist erst mal, dass die Plätze kontingentiert sind, ne. Dass man selber nicht auf Leute zugehen kann und sagen: ´Das wäre was für Sie!´" (Interview 2.1).

Den einzelnen unterstützenden Institutionen fällt die ungleiche Verteilung der Geschlechter bei der Zuweisung von Maßnahmen u.U. nicht auf. Auch die Agentur für Arbeit selbst zeigt hierbei keine Sensibilisierung hinsichtlich ihrer Zuweisungspraxis, obwohl Gender-Mainstreaming als politische Handlungsmaxime alle Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation begleiten soll und muss. Die Sensibilität für geschlechtsspezifische Benachteiligung bleibt damit im Verantwortungsbereich der MaßnahmenanbieterInnen: "(...) in ´UB´ ist es ja ganz extrem, dass die Agentur auch hier nicht entsprechend sensibilisiert ist. Also auf Rückfragen (...) hieß es dann: ´Ja, uhhh, ist das wirklich so? Ist noch gar nicht so klar gewesen´" (Interview 1.1).

Hieran zeigt sich, wie wichtig die Erhebung statistischer Daten zur Geschlechterverteilung im Kontext beruflicher Bildung ist, um Fakten, die sich für den Einzelnen nicht zu erkennen geben, objektiv absichern zu können und auf mögliche Benachteiligungen aufmerksam machen zu können. Verwunderlich ist es in diesem Kontext schon, dass die Agenturen und Argen selbst keine Statistiken zur Verfügung stellen können, da sie von der politischen Zielrichtung des Gender-Mainstreamings her dazu verpflichtet sind.

Sensibilisierung für Geschlechterfrage

Die interviewten ExpertInnen sind sich der Notwendigkeit spezifischer Angebote für Frauen oder auch Männer bewusst, dennoch werden diese kaum angeboten - auch aufgrund der oft niedrigen Anzahl an weiblichen Teilnehmerinnen. Entscheidend scheint hierbei demzufolge zu sein, nicht allein bei der Reflexion der Notwendigkeit von genderspezifischen ´Bausteinen´ stehen zu bleiben, sondern diese konzeptionell zu verankern und durchzuführen: damit "durch die Brille (...) immer wieder geguckt" (Interview 1.1) wird.

Eine weitere Notwendigkeit zeigt sich in der Institutionalisierung genderspezifischer Haltungen im praktischen Alltag. So arbeitet die Hamburger Arbeitsassistenz bei der Begleitung von Maßnahmen in einem Paten-System. War es dabei früher möglich, dass eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer noch von zwei männlichen Kollegen begleitet wurde, ist es heute selbstverständlich, dass sich das Paten-System gemischtgeschlechtlich arrangiert. Eine andere Form würde nicht nur bemerkt, sondern ist gar nicht mehr vorstellbar.

Netzwerkarbeit/Peer-Counselling

Alle ExpertInnen bemühen sich um einen intensiven Kontakt zu Institutionen und Netzwerken, die im Kontext der beruflichen Orientierung und Qualifizierung unterstützend wirken. Eine solche Zusammenarbeit muss forciert werden mit folgenden Personen bzw. Institutionen: Schule/ Lehrkräfte, Eltern, Berufsschulen, Unternehmen, weitere Institutionen der Beratung. Doch auch in der Arbeit mit den einzelnen TeilnehmerInnen hat sich ein Unterstützungskonzept als erfolgreich erwiesen, das sogenannte Peer-Counselling, das Beratung, Hilfe und Unterstützung für Betroffene von Betroffenen beinhaltet. Menschen mit Benachteiligungen/ Behinderungen haben es im Feld der beruflichen Rehabilitation im Rahmen von Beratung und Unterstützung oft mit nicht behinderten Professionellen zu tun, die sich zwar durch eine hohe fachliche Kompetenz, nicht jedoch durch Betroffenheit oder Identifikation bzw. Perspektivübernahme auszeichnen. Das Peer- Counselling kann hier eine Möglichkeit bieten, Frauen mit Beeinträchtigungen in ihrem beruflichen Werdegang im Sinne des Empowerment zu unterstützen und ihnen durch die Vorbildfunktion der betroffenen ExpertInnen Mut zu machen, ihren eigenen Weg zu suchen und zu gehen. Entscheidend ist hierbei, dass der Kontakt zwischen BeraterIn und Betroffener nicht nur sporadisch genutzt, sondern intensiviert wird. Die Hamburger Arbeitsassistenz bietet dafür das Projekt ´Ein Tag für Dich´ an. ExpertInnen kümmern sich an diesem Tag intensiv um junge TeilnehmerInnen, die ganz neu in der Maßnahme (z.B. betriebliche Berufsbildung) sind: "also die Kollegin hat sehr gezielt geguckt, wer passt zu wem ... nicht nur Branche, was interessiert jetzt diesen Youngster da, sondern passt das vom Typ her, so ne? Wer ist auch in der Lage von den Experten auch so ein bisschen ... ja ein bisschen Mut zu machen, zu bestärken, aber auch die eigenen Hürden und Stolpersteine gut zu beschreiben? (...) Also jeder Experte hat im Grunde so ein bisschen, so ein persönliches Profil, also wo trau ich mich zu agieren und aufzutreten? Was erzähl ich auch über mich und was auch nicht? (...) Und das sind so Begegnungen, wo wir das Gefühl haben, das hat so ein bisschen Wirkung ... Die zeigen erst mal, wow das geht überhaupt" (Interview 1.1). Gerade dieses ‚Passungsverhältnis' zwischen ExpertIn und BerufseinsteigerIn ist es jedoch, was die Effektivität eines Peer-Counselling ausmacht - nur allein die Betroffenenperspektive reicht hierbei nicht aus. Ziel des Peer-Counselling ist es, Frauen mit Benachteiligungen/Behinderungen in gegenseitiger Bestärkung zu befähigen, eigene Bedürfnisse zu erkennen, Handlungskompetenzen zu entwickeln und Selbstbewusstsein zu erlangen.

Erst über das Bewusstsein über eigene Fähigkeiten und Grenzen entsteht ein umfassendes Bild über Berufswahl und Berufswunsch. Erst diese Auseinandersetzung kann zu einer Verbesserung der Beschäftigungschancen junger Frauen führen.

Vermittlung

Obwohl die interviewten ExpertInnen insgesamt in der Vermittlung von Menschen mit Unterstützungsbedarf erfolgreich arbeiten, äußern sie sich unterschiedlich, inwieweit sich die Vermittlung von Frauen schwieriger gestalte als von Männern. Es finden sich drei Positionen:

  • Aufgrund der Tatsache, dass oft bereits insgesamt weniger Teilnehmerinnen als Teilnehmer in einer Maßnahme sind (vgl. ´Zugang zu Maßnahmen´), erscheint eine geringere Vermittlungszahl von weiblichen Personen nicht verwunderlich bzw. auffällig: "Bei Männern (...) aber sind mehrere vermittelt worden. Aber das ist ja klar, ich mein, es war bisher eine Frau in der Maßnahme und sieben Männer" (Interview 2.1).

  • Eine andere Expertin meint: "Also, ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, (...) wenn ich so rückblickend schaue (...), hab ich für mich bewusst jetzt keinen Unterschied wahrgenommen, auch in den Zahlen zwischen Männern und Frauen, aber ich hab das nicht systematisch ausgewertet oder sowas. Hab da nie so einen Unterschied erlebt" (Interview 3.1).

  • Dem konträr äußern sich die zwei Vertreterinnen der Hamburger Arbeitsassistenz, die bereits über langjährige Erfahrungen im Bereich der Vermittlung von Menschen mit Unterstützungsbedarf verfügen: "So, das heißt, wir sind eigentlich in der Vermittlung von Frauen besser, weil so im Dienstleistungsbereich Küche, Hauswirtschaft hier (...) ein hoher Bedarf offensichtlich ist und wir die gut platzieren können" (Interview 1.1).

Positive Vermittlungszahlen weisen somit dennoch klar auf geschlechtsspezifische Zuordnung zu Arbeitsbereichen hin (vgl. auch u.a. Fischer/ Heger 2011; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011): "Man muss auch sagen, dass das Arbeitsplatzangebot in dem Bereich einfach auch ganz gut ist. Also wie viele Küchen gibt es, die mit einem Kuss Leute von uns nehmen, ne? Das ist einfach eine Chance" (Interview 1.2). "Das ist eine Branche mit hoher Fluktuation, also wo unsere Leute, wo wir immer wieder Chancen haben, weil da findet (...) viel Wechsel statt; was für unsere Leute nicht per se gut ist, was aber immer heißt, der ist Bewegung, der Markt" (Interview 1.1). Doch nicht alle Frauen bringen die in diesen Arbeitsbereichen nötige Flexibilität mit: "dann gab es schon mal Möglichkeiten der Vermittlung in einer Wäscherei, natürlich auch wieder frauenspezifisch und dann hieß es: ´Ja, aber die Arbeitszeiten sind ähm, sind vollkommen variabel, je nachdem wie die Auftragslage ist, muss eben mal ähm bis zum späten Abend durchgearbeitet werden; dafür ist der nächste Tag frei. Und das ist natürlich klar, dass das überhaupt keine Arbeitszeit ist, die man mit Kind ähm machen kann" (Interview 2.1).

Schlussfolgerungen

In Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage stoßen wir nach wie vor auf Probleme, Diskrepanzen, unbewusste Haltungen, unterschiedliche Vorstellungen und die Frage, wie wir damit, auch im Kontext des Managements von Übergang ´Schule-Beruf´ umgehen. Aus all den genannten Ergebnissen und ´Barrieren´ bzw. erschwerenden Faktoren, die die berufliche Teilhabe von Frauen mit Behinderungen/Benachteiligungen beeinflussen, gilt es, konkrete, praxisrelevante Schlussfolgerungen zu ziehen[2]. Ansatzpunkte, so hat sich im Gespräch mit den ExpertInnen gezeigt, gibt es viele:

  • Sensibilisierung für die Situation der Frauen: Es zeigt sich besonders für Frauen mit Benachteiligungen/ Behinderungen dass nach wie vor Geschlechterstereotypien in Ausbildung und Beruf im Arbeitsmarktsystem vorhanden sind und die Lebensgestaltung und Realisierungschancen dieser Frauen prägt. Gerade Frauen mit Unterstützungsbedarf benötigen Hilfen in ihrer Berufsorientierung, Berufswahl und in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit. Ohne eine Bewusstseinsbildung für die Genderthematik jedoch werden sich die abgebildeten tradierten Rollenvorstellungen kaum verändern können. Somit muss immer wieder verdeutlicht werden, dass es keine geschlechtsneutrale Perspektive gibt. Eine Sensibilisierung für genderspezifische Aspekte muss bei allen Beteiligten forciert werden. Es müssen in den Institutionen interne Strukturen ausgebildet werden, um das Thema Gender-Mainstreaming auf der Tagesordnung zu halten. Die Frage nach Geschlechtergleichstellung muss zu einer Standardreflexionsfrage avancieren - sowohl bezogen auf die Schule[3] als auch im Rahmen von Berufsinformation.

  • Es erscheint Frauen mit Benachteiligungen/Behinderungen zwar zum Teil nicht erschwert(er als Männern), eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen - doch wenn, dann handelt es sich hierbei primär um ‚frauentypische' Bereiche wie Küche, Hauswirtschaft[4] etc. (vgl. Hamburger Arbeitsassistenz 2007; Doose 2007; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011). Daher muss eine Erweiterung des Berufswahlspektrums bei jungen Frauen (vgl. Bredow 2004, 498; Transition from School to Work 2005, 26) in den Blick genommen werden, so durch schulische Berufsorientierungsmaßnahmen (z.B. Betriebs- und Arbeitsplatzerkundungen, Praktika, Schülerfirmen, Anlage von Portfolios sowie Zukunfts- bzw. Berufswegekonferenzen; vgl. Fischer/Pfriem 2011) sowie durch eine vielfältige Berufsberatung und Unterstützung bzw. Ermutigung junge Mädchen auch geschlechter´untypische´ Berufswünsche zu formulieren und zu erkunden.

  • Ausbau von Angeboten der Fort- und Weiterbildung: Die unterschiedlichen Prozessbeteiligten müssen "biografische und strukturelle Unterschiede in den Lebens- und Arbeitssituationen von Mädchen/Frauen und Junge /Männern" (Transition from School to Work 2005, 27) kennen sowie genug Wissen bzgl. Möglichkeiten und Wegen unterschiedlicher Lebensgestaltung haben. Dieses muss in unterschiedlichen (Gender-) Workshops für (pädagogische, Verwaltungs-) MitarbeiterInnen der verschiedenen beteiligten Institutionen vermittelt werden.

  • Ausbau gezielter ´Gender´-Bausteine bzw. Angebote, z.B. Projekttage, in denen geschlechtertypische Fragestellungen behandelt werden können.

  • Statistische Datenerhebung und Auswertung/Sensibilisierung bzgl. der Zuweisungspraxis von Maßnahmen: Es müssen zuverlässige statistische Daten bereits bei der Agentur für Arbeit erhoben und ausgewertet werden, um Aussagen im Kontext der genderspezifischen Zuweisung treffen zu können. Eine Analyse dieser Daten muss insofern erfolgen, als dass auf ein Ungleichgewicht bezüglich der Zuweisung von Männern vs. Frauen zu Angeboten der beruflichen Rehabilitation regulierend reagiert wird. Als hilfreich stellt sich auch heraus, wenn Maßnahmen wissenschaftlich begleitet werden, um genau auf diese Faktoren hinweisen zu können und diese zurückzuspiegeln. Gleichzeitig zeigt sich, dass die anbietenden Institutionen selbst oft nur den Status Quo konstatieren können, haben sie doch selbst keinen Einfluss auf Zuweisungspraxen innerhalb unterschiedlicher Maßnahmen.

  • Aufbau von Netzwerken: Lehrkräfte sowie Akteure der beruflichen Rehabilitation brauchen Wissen über unterschiedliche Maßnahmen und Projekte bezüglich verschiedenster relevanter Themen, um Anteile u.U. in eigene Entwicklungen transferieren zu können bzw. externe Angebote zu nutzen.

  • Damit verbunden ist der Ausbau von Beratung, eine Erhöhung der Transparenz von Informationen im Sinne einer Veränderung der Außendarstellung bei Professionellen (Broschüren, Internetauftritt, Infoveranstaltungen in Schulen oder anderen Trägern der beruflichen Rehabilitation etc.) sowie eine Verbesserung und Erleichterung von Zugangsmöglichkeiten zu den einzelnen Angeboten.

  • Nutzung von Peer-Counselling, da sich dieses Konzept als wertvolles Element im Rahmen der Beratung und Unterstützung von TeilnehmerInnen beruflicher Rehamaßnahmen erwiesen hat (vgl. Hamburger Arbeitsassistenz 2007), Es trägt dazu bei, das Selbstbewusstsein der jungen Menschen zu stärken ("Ich bin wer, ich kann was. Ich trau mich auch nach Hilfe zu fragen. (...) Ich trau mich was auszuprobieren, wenn was schief geht, ist ok" (Interview 1.1)) und gleichzeitig die intrinsische Motivation zu erhöhen, diesen Weg zu gehen ("sich selber dahinter(zu)klemm(en)" (Interview 2.2)).

‚Dran bleiben' am Thema, das ist das vordergründigste Ziel!

Dipl. Päd. Manuela Heger arbeitete bis April 2011 an der Uni Würzburg am Lehrstuhl Sonderpädagogik IV, Pädagogik bei Geistiger Behinderung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung von "Übergang Förderschule- Beruf in Bayern"

Kontakt und nähere Informationen

impulse@bag-ub.de

Dr. Désirée Laubenstein ist seit 2010 Jun.-Prof. an der Universität Koblenz- Landau, Campus Landau im Arbeitsbereich II: Pädagogik bei herkunftsbedingten Benachteiligungen, Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen.

Kontakt und nähere Informationen

Désirée Laubenstein

Universität Landau, Institut für Sonderpädagogik,

Xylanderstr. 1, 76829 Landau

Mail: laubenstein@uni-landau.de



[2] Ansätze hierzu vgl. u.a. Spiess 2004; Fasching 2008, 44ff; Transition from School to Work 2005.

[3] Hier muss auch auf etwaige geschlechtsspezifische Sozialisation bereits in den unteren Klassen aufmerksam gemacht werden.

[4] Erschwert wird die berufliche Situation lernbehinderter junger Frauen auch dadurch, dass die für sie zugänglichen typischen Ausbildungsberufe bzw. Arbeitsplätze vornehmlich im einfachen Dienstleistungssektor angesiedelt sind. Die erlernten Qualifikationen sind hier weniger variabel einsetzbar als beispielsweise diejenigen der jungen Männer, das Tätigkeitsspektrum der Frauen ist noch dazu eingeschränkter (vgl. Doose 2007, 314), geforderte Flexibilität in vielen Arbeitsbereichen erschwert eine Arbeitsaufnahme (wenn die Frauen Kinder haben). Dazu kommt, dass lernbehinderte Frauen auch nach erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, was eine selbstständige Lebensführung ebenfalls erschwert.

LITERATUR

Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2002a): Expertenwissen und Forschungspraxis: die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten. Zur Einführung in ein unübersichtliches Problemfeld. In: Bogner, Alexander/Litt, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: Leske und Budrich, 7-29.

Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2002b): Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion. In: Bogner, Alexander; Litt, Beate; Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: Leske und Budrich, 33-69.

Bredow, Antje (2004): Gender in der Berufsbildung. In: Glaser,Edith/Klika, Dorle/ Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 491-502.

Bundesgesetzblatt (2008): Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten

Quelle:

Manuela Heger und Désirée Laubenstein: Dran bleiben. Benachteiligungen von jungen Frauen im beruflichen System finden immer noch zu wenig Beachtung

erschienen in: impulse Nr.60, 01/2012, Seite 30-38.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 14.10.2013

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