Der Erfolg einer Elterninitiative

Integrative Berufsausbildung und die Berufsausbildungsassistenz in Österreich

Autor:in - Brigitte Tuschl
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 56, 01/2011, Seite 28-30 impulse (56/2011)
Copyright: © Brigitte Tuschl 2011

Der Erfolg einer Elterninitiative

Mit der Implementierung des Berufsausbildungsgesetzes im Jahr 2003 konnten die Elterninitiativen einen Sieg erringen. Dank dieser Gesetzesänderung war nun erstmals die (Lehr)-Ausbildung für Jugendliche mit Behinderung rechtlich verankert. So regelt der Paragraph § 8b im bundesweiten Berufsausbildungsgesetz bei Vertragsabschluss zwei mögliche Ausbildungsvarianten. Vorerst 2003 noch für fünf Jahre befristet und um die Ausbildung im Land- und Forstwirtschaftsbereich 2006 erweitert, kann nach einer erfolgreichen Begleitevaluierung 2008 die Integrative Berufsausbildung (IBA) unbefristet im Berufsausbildungsgesetz aufgenommen werden. Die folgende Beschreibung beinhaltet auch Ergebnisse der letzten Novellierung vom Juli 2010.

Das Lehrausbildungssystem in Österreich

Zum besseren Verständnis der Rahmenbedingungen noch eine Erklärung zu der in Österreich üblichen Lehrausbildung im Allgemeinen. Es gibt für rund 270 Lehrberufe eine duale Ausbildung. Bei diesem System werden handwerkliche, technische und Lehrausbildungen im Handel zu 80% in Betrieben und 20% der theoretischen Bildungsinhalte in der Berufsschule vermittelt. Auch im landwirtschaftlichen Bereich ist die Ausbildung zum/r Facharbeiter/in in dieser dualen Form möglich.

Die allgemeine Regelung der Berufsausbildung ist in einem Bundesgesetz festgelegt und gilt für alle Lehrberufe der freien Wirtschaft. Die konkrete Berufsschulregelung erfolgt allerdings in Landesgesetzen und ist daher je Bundesland unterschiedlich geregelt. Dieser Umstand ergab eine besondere Herausforderung in der praktischen Umsetzung der bundesweiten Integrativen Berufsausbildung, da es für eine der integrativen Ausbildungsvarianten der Lehrausbildung einen verpflichtenden Berufsschulbesuch gibt, bei der anderen Variante die Auszubildenden zwar ein Recht auf den Berufsschulbesuch haben, allerdings nicht immer davon Gebrauch machen. In den jeweiligen Schulgesetzen mussten daher rechtliche Anpassungen vorgenommen werden, um eine einheitliche Umsetzung der Integrativen Berufsausbildung zu ermöglichen. Aktuell kann schon von einer gewissen Umsetzungsroutine ausgegangen werden. Die ersten Lehrverträge wurden 2004 protokolliert, 2008/09 konnten die ersten integrativen Auszubildenden zur Lehrabschlussprüfung antreten. Aktuell gibt es in Österreich 4683 Jugendliche, die die integrative Berufsausbildung in Anspruch nehmen.

Integrative Berufsausbildung im Detail

Folgende Personen können im Rahmen der Integrativen Berufsausbildung ausgebildet werden:

  • Menschen mit Behinderung gemäß dem Behinderteneinstellungsgesetz

  • Personen mit sonderpädagogischem Förderbedarf am Ende der Pflichtschule

  • Personen ohne oder mit negativem Hauptschulabschluss

  • Personen mit Vermittlungshindernissen

Vorausgehend müssen die Jugendlichen eine Abklärung ihrer beruflichen Zukunft durch "Clearing", einer Maßnahme der beruflichen Integration am Übergang Schule-Beruf absolvieren. Das Ergebnis dieser Abklärung bildet unter anderem eine Grundlage für die Form und Art der Berufsausbildung.

Die IBA erfolgt entweder

  • als vollständige Lehrausbildung (VL) in verlängerter Lehrzeit (§8b 1) um 1 Jahr bzw. in Ausnahmefällen um 2 Jahre - mit VL Lehrvertrag

  • oder durch Vermittlung von arbeitsmarktrelevanten Teilqualifikationen (TQ) in der Dauer von 1 bis 3 Jahren (§8b 2) - als TQ Ausbildungsvertrag.

Es besteht durch das Berufsausbildungsgesetz die verpflichtende Begleitung durch die BerufsausbildungsassistentInnen (BAS) für die gesamte Ausbildungszeit. Die BerufsausbildungsassistentInnen begleiten und unterstützen die Jugendlichen und die Ausbildungsbetriebe in sozialpädagogischen und psychologischen Fragen, um den Ausbildungserfolg zu gewährleisten. Die Begleitung durch die BerufsausbildungsassistentInnen ist kostenlos für die Jugendlichen und andere Systempartner/innen. Die Begleitung wird durch öffentliche Gelder an Träger, die Aufgaben der beruflichen Integration anbieten, finanziert.

Schematische Darstellung der Partner und Aufgaben in der integrativen Berufsbildung

Aufgaben der Berufsausbildungsassistenz

Die Berufsausbildungsassistenz hat vor Beginn der integrativen Berufsausbildung gemeinsam mit den dafür in Frage kommenden Personen bzw. den Erziehungsberechtigten und den Lehrbetrieben und unter Einbeziehung der Schulbehörde die Ziele, Inhalte und Dauer der Integrativen Berufsausbildung festzulegen.

Zu diesem Zeitpunkt wird entschieden in welcher Form, ob in verlängerter Lehrzeit oder als Teilqualifizierung, die Ausbildung begonnen wird. Zur Entscheidungsfindung mit welcher Ausbildungsform begonnen wird, kann das Ergebnis im Entwicklungsplan vom vorangegangenen Clearing herangezogen werden. Da sich möglicherweise erst nach einer gewissen Zeit zeigt, ob diese Entscheidung auch in der realen Umsetzung passt, kann während der gesamten Ausbildungszeit ein Wechsel zwischen den Formen der Ausbildungen, wenn das Einvernehmen aller Beteiligten besteht, vorgenommen werden. Bei der Vertragsgestaltung sind auch pädagogische Begleitmaßnahmen bzw. die Form der Einbindung in den Berufsschulunterricht zu planen und unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der, die integrative Berufsausbildung anstrebenden Person, festzulegen. Die Berufsausbildungsassistenz hat bei einem Wechsel der Ausbildungsform das Einvernehmen mit den Beteiligten (AuszubildendeR, AusbilderIn, Berufsschule und Eltern) herzustellen und wenn nötig diesbezüglich besondere Beratungen durchzuführen.

Unternehmen, die Jugendliche in Integrativer Berufsausbildung ausbilden, können eine Förderung der öffentlichen Hand (Arbeitsmarktservice, Bundessozialamt) in Anspruch nehmen. Die Berufsausbildungsassistenz bietet auch Unterstützung bei Abwicklung der Förderansuchen für die Betriebe an. Während der gesamten Ausbildungszeit werden regelmäßige Kontakte zu den Auszubildenden, den Betrieben und der Berufsschule aufrecht erhalten. Die Berufsausbildungsassistenz hat im Zuge ihrer Unterstützungstätigkeit sozialpädagogische, psychologische und didaktische Probleme von Personen, die sie im Rahmen der integrativen Berufsausbildung begleiten, mit Vertretern von Lehrbetrieben und Berufsschulen zu erörtern, um zur Lösung dieser Probleme beizutragen.

Der Auftrag an die Berufsausbildungsassistenz beinhaltet auch die Organisation von Unterstützung durch "Job Coachings", ein weiteres Angebot der beruflichen Integration im Betrieb und Lernunterstützung/Nachhilfe während und zwischen den Berufsschulbesuchen.

Die Begleitung der Jugendlichen bis zum Ausbildungsabschluss kann bis zu fünf Jahren dauern. Bei einem verlängerten Lehrvertrag erfolgt am Ende der Lehrzeit eine Lehrabschlussprüfung vor einer Kommission der Wirtschaftskammer gemeinsam mit regulären Auszubildenden. Die Inhalte der Prüfung umfassen den gesamten Ausbildungsstoff des jeweiligen Lehrberufes.

Bei einer Teilqualifizierung wird für diesen Abschluss gemeinsam mit einem von der Wirtschaftskammer gestellten FachexpertIn unter Einbeziehung des/der BerufsausbildungsassistentIn und dem/der AusbildnerIn die Prüfung vorbereitet. Über die bestandenen Inhalte dieser Prüfung wird dann von der Wirtschaftskammer ein Zertifikat ausgestellt worin auch genau diese Prüfungsinhalte angeführt werden.

Allgemeines zur BAS

Es zeigte sich in der Begleitevaluierung der Integrativen Berufsausbildung durch KMU FORSCHUNG AUSTRIA im Auftrag des Wirtschaftsministeriums 2008, dass die Begleitungen durch die Berufsausbildungsassistenz (BAS) und Lernunterstützung die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind.

Aktuell gibt es für die Begleitung durch die Berufsausbildungsassistenz in der freien Wirtschaft einen Betreuungsschlüssel von rund 1:20. Langsam beginnen sich die Zahlen der Abgänger mit denen der Neuaufnahmen zu decken und das System beginnt sich nach Jahren einer permanenten Bedarfssteigerung zu stabilisieren.

IBA und BAS in Zahlen

Die Lehrlingsstatistik 2009 für Österreich zeigt, dass immerhin 4.683 Auszubildende das Angebot nutzen und dass die Integrative Berufsausbildung eine maßgeschneiderte Berufsausbildung für benachteiligte Jugendliche ermöglicht.

In Niederösterreich werden aktuell 394 integrative Auszubildende in der verlängerten Form und 79 in einer Teilqualifizierung ausgebildet. 2009 konnten für 16 Jugendliche Teilqualifizierungsabschlussprüfungen abgehalten werden. Nachdem die Lehrabschlussprüfungen für alle gemeinsam stattfinden, gibt es über die Abschlüsse der integrativen Auszubildenden keine gesonderten Zahlen.

Fallbeispiele

Markus Gruber*, geb. 1991

Er besuchte zehn Jahre die Schule, neun Schuljahre davon an einer allgemeinen Sonderschule. Am Ende seiner Schullaufbahn kam es zu dem Kontakt mit Clearing. Gemeinsam wurde der Umsetzung seiner beruflichen Zukunft gearbeitet. Während eines Schnupperpraktikums hatte er Kontakt zu einem landwirtschaftlichen Betrieb. Der Betriebsinhaber wurde durch die BAS über die Möglichkeiten einer integrativen Lehrausbildung informiert. Nachdem der Jugendliche sich gut in den Betrieb einfügte, kam es 2007 zu einem Lehrvertragsabschluss. Obwohl das Ergebnis von Clearing wegen deutlicher intellektueller Schwächen eine Teilqualifizierung empfahl, wurde zu Beginn mit einer verlängerten Lehrausbildung begonnen. Es zeigte sich aber schnell, dass die Form der Teilqualifizierung besser passte. Nach der Vertragsumstellung wurden für die Ausbildung drei Jahre festgelegt. Im Jänner 2011 wird Markus seine Abschlussprüfung über Teile der allgemeinen Landwirtschaft, der Viehhaltung und dem Weinbau ablegen. Geplant ist, ihn dann weiter in seinem Ausbildungsbetrieb anzustellen.

Michaela Schmidt*, geb. 1990

Im Alter von 11 Jahren wurde bei Michaela chronische Polyathritis festgestellt. Schon während der Schulzeit musste sie phasenweise auf einen Rollstuhl zurückgreifen wenn ihre Bewegungseinschränkung oder die Schmerzen bei einer Bewegung zu groß waren. Nachdem sie leicht lernte, besuchte sie zu Beginn eine weiterführende höhere Schule. Da es ihr schwer fiel nach einem Wohnortwechsel Anschluss und FreundInnen zu finden, wollte sie nicht weiter eine Schule besuchen sondern eine Lehrausbildung beginnen. Das Ergebnis im Clearing ergab, dass sie intellektuell eine reguläre Lehrausbildung machen kann. Dabei ist keine Begleitung durch die BAS vorgesehen. Schnell zeigte sich aber dass Michaela außerstande war einen vollen Arbeitstag in einem Büro bzw. als Apothekerhelferin durchzuhalten. Eine Lehrausbildung mit reduzierten Arbeitsstunden war ursprünglich auch in der integrativen Berufsausbildung nicht vorgesehen.

Erst nach längeren Verhandlungen und Austauschgespräche im Anschluss an die Evaluierungsergebnisse mit VertreterInnen von Dachverbänden, Ministerien Interessensvertretungen und BAS Vertretungen konnte erwirkt werden, dass mit einer ärztlichen Bestätigung für Menschen mit Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz auch eine Arbeitszeitreduktion während der Lehrausbildung möglich ist. Diese Novellierung der IBA ermöglichte es Michaela eine Lehrausbildung als Bürokauffrau mit einer 30 Stunden Verpflichtung zu beginnen. Aktuell befindet sie sich im zweiten Lehrjahr, allerdings muss sie sich momentan in einem längeren Krankenstand von einem operativen Eingriff erholen. Nähere Informationen über die integrative Berufsausbildung und der Berufsausbildungsassistenz finden sich auf www.bas.or.at

*Namen von der Redaktion geändert

Maga. (FH) Brigitte Tuschl ist bei der Caritas Wien Projektleiterin von Clearing Weinviertel

Kontakt und nähere Informationen Brigitte Tuschl Clearing Weinviertel Hauptplatz 12, A 2020 Hollabrunn Tel: +43 (0) 2952 - 20052 Mail: clearing-weinviertel@caritas-wien.at

LITERATUR:

Tuschl, Brigitte: "Clearing" in Österreich - Arbeit an der Schnittstelle Schule-Beruf; in: impulse 52 (01.2010) Seite 29

Heckl Eva, Dörflinger Céline, Dorr Andrea, Klimmer Susanne: Evaluierung der integrativen Berufsausbildung (IBA), http://www.kmuforschung.ac.at/de/ Projekte/EVAL%20IBA/Endbericht_IBA.pdf

Quelle:

Brigitte Tuschl: Der Erfolg einer Elterninitiative

Erschienen in: impulse Nr. 56, 01/2011, Seite 28-30

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 04.02.2013

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