Supervision für junge behinderte BerufseinsteigerInnen
erschienen in: impulse Nr. 55, 4/2010, Seite 16-19. impulse (55/2010)
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Der Übergang von der Schule in den Beruf erfordert für junge behinderte Menschen eine intensive Begleitung sowohl was den Arbeitsalltag als auch die individuelle Unterstützung betrifft. Die Anforderungen der Betriebe an gelernte und ungelernte Kräfte in Hinblick auf die so genannten Softskills sind gestiegen, hinzu kommt, dass die SchulabgängerInnen häufig noch nicht ausreichend die allgemeinen Kulturtechniken mitbringen. Und selbst wenn nach langer Vorbereitung der ersehnte Arbeitsvertrag unterschrieben ist, erfordert der Einstieg in das Berufsleben viel Reife, Ausdauer, Durchhalte- und Reflektionsvermögen.
Um diese Schlüsselqualifikationen zu fördern und zu stärken hat der Integrationsfachdienst Bonn/Rhein Sieg in Zusammenarbeit mit der Diplom- Heilpädagogin und Lerntherapeutin Adriana Felder eine berufsbegleitende Gruppenmaßnahme initiiert, die nun bereits im dritten Jahr mit Erfolg und hoher Motivation der TeilnehmerInnen durchgeführt wird.
Das Projekt "berufsbegleitende Gruppenmaßnahme" hat sich zum Ziel gesetzt, junge behinderte BerufseinsteigerInnen in Form eines Gruppenangebotes bei dem Einstieg ins Arbeitsleben zu begleiten. Es wird bereits im dritten Jahr vom Integrationsfachdienst Bonn/Rhein-Sieg in Kooperation mit der Diplom-Heilpädagogin und Lerntherapeutin Adriana Felder durchgeführt und im Rahmen des Sonderprogramms "Aktion5" der beiden nordrheinwestfälischen Integrationsämter finanziert. Das ursprüngliche Ziel des Angebotes war, junge behinderte BerufseinsteigerInnen in Form eines Gruppenangebotes in einer betrieblichen Berufsvorbereitungsmaßnahme zu begleiten, um damit die Chance auf eine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis zu verbessern. Im dritten Durchlauf der Maßnahme wird das Angebot nun auch für BerufsanfängerInnen mit festen Arbeitsvertrag angeboten, um den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern und den Arbeitsplatz zu sichern.
Im Agenturbezirk Bonn/ Rhein-Sieg wird seit mehreren Jahren im Einzelfall für die genannte Zielgruppe die betriebliche Berufsvorbereitungsmaßnahme durchgeführt. Es handelt sich um eine individuelle Fördermaßnahme der örtlichen Arbeitsagentur, die in Absprache mit dem IFD für (schwer)behinderte AbgängerInnen der Förderschule für geistige, körperliche und motorische Entwicklung oder aus integrativer Beschulung angeboten werden kann. Eine gemeinsame Vereinbarung zwischen Agentur für Arbeit, Integrationsfachdienst und anleitendem Betrieb sichert die Voraussetzung für den Bestand und die Durchführung der Maßnahme, die sich zum Ziel gesetzt hat, junge behinderte BerufseinsteigerInnen in Form eines Gruppenangebotes bei dem Einstieg ins Arbeitsleben zu begleiten.
Für die jungen BerufseinsteigerInnen im Rahmen dieser Maßnahme gilt es, soviel "Normalität" des Arbeitsalltags wie möglich zu erreichen. Die fachpraktische Unterweisung entspricht einer Anlerntätigkeit und die Begleitung wird durch den IFD gesichert. Die betriebliche Einzelmaßnahme hat sich als ein Instrument zum Einstieg in das Berufsleben bewährt.
Die Anforderungen am Arbeitsplatz steigen stetig und der behinderte junge Mensch muss zunehmend in der Lage sein, sein Handeln und Verhalten zu reflektieren, sich im Arbeitsalltag zu behaupten und vor allem die von den ArbeitgeberInnen geschätzten Schlüsselqualifikationen trainieren.
Es ist festzustellen, dass zu Beginn und während der betrieblichen Vorbereitung sich folgende Hemmnisse der TeilnehmerInnen zeigten:
-
Anpassungsschwierigkeiten wegen Verlust des gewohnten sozialen Umfeldes
-
Schwierigkeiten mit dem Verlust der "SchülerInnengruppe" als Rückhalt gebende Peergroup
-
Schwierigkeiten, sich neue soziale Strukturen aufzubauen
-
Fehlende oder realitätsferne Einschätzung der eigenen Fähigkeiten
-
übersteigerte Erwartung an den Lernort Betrieb
-
Defizite bei sprachlichen und sozialen Kompetenzen
Diese gravierenden Einschränkungen in der Kommunikation und der sozialen Handlungskompetenz erweisen sich durchgängig als besonderes Problem für die anschließende Vermittlung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis. Weil sich die genannten Defi zite im üblichen Rahmen der betrieblichen Unterweisung und pädagogischen Begleitung durch den IFD nicht in ausreichender Art und Weise bearbeiten und verbessern lassen, wurde das zusätzliche Gruppenangebot als begleitendes Element für den Einstieg in das Berufsleben etabliert und vom LVR Integrationsamt finanziert.
Die jungen Erwachsenen sollen in Form eines Gruppenangebotes wichtige Kompetenzen für das Erwerbsleben und ihre private Lebensführung erwerben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Erlernen von Schlüsselqualifikationen, die begleitend zum Arbeitsalltag im gegenseitigen Austausch gruppendynamisch eingeübt werden. Die Gruppenmaßnahme soll den jungen ArbeitnehmerInnen eine angemessene Möglichkeit zur Reflektion ihrer Arbeitstätigkeit bieten. Im Fokus der gruppendynamischen Arbeit steht grundsätzlich die Festigung der Gesamtpersönlichkeit der Teilnehmer. Nach der Durchführung der ersten Gruppe stellte sich außerdem heraus, dass die Einbindung der Betriebe eine höhere Gewichtung haben sollte. Sowohl Vorgesetzte als auch die direkten KollegInnenen hatten großen Informationsbedarf zu den Auswirkungen der Behinderung am Arbeitsplatz, zum Umgang mit Krisen und Konfliktsituationen und der Einschätzung über Einsatzmöglichkeiten der jungen BerufsanfängerInnen. Der Betrieb wurde daraufhin in Form von Inforunden in Zusammenarbeit mit dem Integrationsfachdienst stärker in den Prozess eingebunden.
Ziel der Gruppenmaßnahme ist es, junge Erwachsene realitäts- und praxisnah auf die Anforderungen im Betrieb vorzubereiten, d. h. die Lernsituation sind an konkreten Aufgabenstellungen und am praktischen Handeln orientiert, entsprechen aber dabei der besonderen Förderungsbedürftigkeit. Ein wichtiges Anliegen ist es, dass den jungen Erwachsenen möglichst viel Selbstständigkeit abverlangt wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass nur Wissen, das sich die teilnehmerInnen sebst erarbeiten, auch nachhaltig verankert wird.
Zielgruppe der Gruppenmaßnahme sind BerufseinsteigerInnen, die dem Personenkreis angehören, der potenziell eher als Beschäftigte in der Werkstatt für behinderte Menschen gesehen wird. Die TeilnehmerInnen haben eine anerkannte Schwerbehinderung und weisen aufgrund ihrer Beeinträchtigung Leistungs- und Verhaltensbeeinträchtigungen auf. Die Maßnahme ist für BerufseinsteigerInnen im Alter von circa 18 bis 25 Jahren mit intellektueller und/oder körperlicher Behinderung ausgerichtet, die im Übergang von der Schule ins Berufsleben und am Anfang ihres Berufslebens stehen.
Die Arbeitsplätze sind in unterschiedlichen Branchen angesiedelt. Überwiegend im Hauswirtschaftlichen Bereich, in der Reinigung, im Service oder im Handwerk. Die mit unterschiedlichen Stundenumfängen bestehenden Arbeitsverhältnisse sind teilweise befristet, einige auch bereits unbefristet angelegt. Die Berufsvorbereitende Maßnahme ist für 11-18 Monate bewilligt. Alle TeilnehmerInnen haben bereits umfassende Unterstützung durch den Integrationsfachdienst Bonn/Rhein-Sieg erfahren. Ein laufender Einstieg in die Gruppe ist bis zu 12 TeilnehmerInnen möglich.
Die ersten beiden Durchläufe des Projektes wurden über einen Zeitraum von einem Jahr im Rhythmus von 14 Tagen für jeweils 2,5 Stunden durchgeführt. Im dritten Durchlauf, der für die BerufsanfängerInnen ausgerichtet ist, findet das Gruppentraining einmal im Monat für 3 Stunden statt.
Themenkomplexe/Förderschwerpunkte:
-
Umgang mit veränderter Lebenssituation (Schule, BVB, Arbeitsstelle)
-
neues Rollenverständnis als ArbeitnehmerIn
-
Auseinandersetzung mit eigenen Stärken und Schwächen, Grenzen erkennen und akzeptieren
-
Umgang mit Behinderung am Arbeitsplatz
-
Entwicklung von Refl ektionsfähigkeit
-
Lebensführung nach der Arbeit, Ausgewogenheit von Arbeit und Freizeit
Die Stunden wurden in Form von Modulen entsprechend der Förderschwerpunkte durchgeführt. Somit wird ermöglicht, die Themen in den Gruppenstunden auf die Bedürfnisse der Einzelnen in der Gruppe abzustimmen, da die Wiederholung, Intensivierung oder auch Anpassung an aktuelle Vorkommnisse im Betrieb möglich ist. Themen, die immer wieder in den Gruppen- maßnahmen eine große Rolle spielen, sind: Persönlichkeitsentwicklung (Selbstwahrnehmung, Stärken, Gefühle, Erwartungen, Zukunftsplanung), Kommunikation, Konflikt- und Kritikfähigkeit, Teamarbeit, Lebensführung und Freizeitgestaltung.


Aus der Supervisionsarbeit für BerufseinsteigerInnen
Insgesamt geht es bei den Gruppentreffen nicht darum, alle Themen inhaltlich bis ins Detail zu erlernen, sondern den TeilnehmerInnen ein Grundwissen zu vermitteln, durch das ihnen die Angst vor unbekannten Situationen im Betrieb genommen wird. Durch eine "angstfreie" und selbstständige sowie handlungsorientierte Beschäftigung - theoretisch, praktisch und spielerisch - und durch das Trainieren dieser Situationen, können die Einzelnen in bestimmten Bereichen ein Mehr an Sicherheit erlangen. Methoden, die in den Gruppenstunden unter anderem zum Tragen kommen, sind z.B. Rollenspiele, Bewegungslernen und Körperarbeit, kreatives Gestalten, gruppendynamische Übungen, strukturierte Gespräche, Gruppenarbeit, Lernstationen oder Lernplakate. Übungen, die alle Sinne ansprechen und ein Wechsel von Entspannungs- und Konzentrationsphasen bieten den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen.
So wurde zum Beispiel das Thema Lebenslauf mit einer Gruppe zunächst theoretisch aufgearbeitet, Lebensläufe aktualisiert und neu erstellt. Zur Vertiefung und auch zur Verdeutlichung der einzelnen "Stationen" im Lebenslauf haben sich die TeilnehmerInnen noch einmal "spielerisch" mit dem Thema befasst, indem sie "Standbilder" zu den einzelnen Ereignissen in ihrem Leben dargestellt haben, d.h. sie haben z.B. die Geburt, die Einschulung, den Schulabschluss und den ersten Arbeitstag als unbewegliche Pantomime dargestellt. Von diesem "Schauspiel" wurden Bilder gemacht und somit ein "Bilderlebenslauf" erstellt.
Um die theoretische Auseinandersetzung mit Bankgeschäften zu verdeutlichen, haben die TeilnehmerInnen imaginär eingekauft und per Überweisung die dafür erstellte Rechnungen bezahlt. D.h. sie haben einen Überweisungsträger ausgefüllt und mussten den entsprechenden Betrag von ihrem "Guthaben" in Form von Spielgeld abziehen. So haben die TeilnehmerInnen auch direkt die Dimension von Lebensunterhaltungskosten kennen gelernt und praktisch erfahren, wie viel sie von ihrem "Arbeitslohn" für Notwendigkeiten wie z.B. Miete ausgeben müssen.
Jede/r Einzelne der Gruppe kann sich mit seinen Stärken, Schwächen und besonderen Eigenschaften mit Hilfe eines Fragerasters auseinandersetzen. Dazu können die TeilnehmerInnen ihre Eigenschaften aufschreiben oder malen, je nach vorhandenen Fähigkeiten. Das daraus gemeinsam erstellte Gruppenplakat das während der gesamten Laufzeit der Gruppenmaßnahme die TeilnehmerInnen begleitet, hat das Ziel sich im einzelnen und im Team zu spiegeln.
Insgesamt wird das Gruppenangebot nicht nur von den TeilnehmerInnen selbst sondern auch von Eltern und ArbeitgeberInnen als ein sehr geschätztes und erfolgreiches Instrument im Rahmen des Berufseinstiegs gesehen. 2008/2009 haben 18 TeilnehmerInnen die Gruppenmaßnahme durchlaufen. Hiervon sind 13 in ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis übernommen worden. 12 Arbeitsverhältnisse bestehen zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin. 3 TeilnehmerInnen sind in die WfbM eingegliedert worden und 2 TeilnehmerInnen konnten ihr bereits bestehendes Arbeitsverhältnis stabilisieren. Diese hohe Vermittlungsquote hat gezeigt, dass die TeilnehmerInnen, die eher als Beschäftigte in der Werkstatt für behinderte Menschen gesehen werden, mit einer entsprechenden Unterstützung durchaus Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben.
Ein ausschlaggebender Aspekt für einen erfolgreichen Verlauf ist die Gruppenkonstellation an sich. Die TeilnehmerInnen haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich das erste Mal weitestgehend "alleine" am Arbeitsplatz einfinden müssen. Alle TeilnehmerInnen befinden sich damit im Berufsanfängerstatus und haben vergleichbare Schwierigkeiten zu bewältigen. Der Integrationsfachdienst, die KollegInnenen und Vorgesetzten sind oftmals die einzigen AnsprechpartnerInnen für die jungen BerufsanfängerInnen und der berufliche Austausch unter Gleichgesinnten bleibt aus.
Durch die reflektierenden Gruppengespräche und die praxisorientierten Übungen profitieren die TeilnehmerInnen vom Synergieeffekt im Sinne eines gegenseitigen Förderns. Die kontinuierliche Teilnahme an der Gruppenteilnahme bestätigt den großen Bedarf an Austausch und Reflektion. Die Durchführung der Gruppenmaßnahme hat bestätigt, dass die Vermittlungsquote nach den betrieblichen Einzelmaßnahmen steigt, und ArbeitgeberInnen und Eltern die Form von "Supervision" als Entlastung für den Einstieg ins Berufsleben erleben.
Adriana Felder ist Diplom Heilpädagogin und Lerntherapeutin (IFLW)
Caren Rohlf-Grimm ist Diplom Sozialpädagogin und war bis Juni 2010 Mitarbeiterin im Integrationsfachdienst Bonn/Rhein Sieg.
Seit 15.06.2010 ist sie Regionalmanagerin für das Projekt STAR- Schule trifft Arbeitswelt- beim LVR Integrationsamt

Kontakt und nähere Informationen
Caren Rohlf-Grimm
LVR Integrationsamt
Hermann-Pünder-Straße 1, 50679 Köln
Tel.: 0221 / 809-6132
Mail: caren.rohlf-grimm@lvr.de
Quelle:
Adriana Felder, Caren Rohlf-Grimm: Ein Zuwachs an Sicherheit. Supervision für junge behinderte BerufseinsteigerInnen.
Erschienen in: impulse Nr. 55, 4/2010, Seite 16-19.
bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Stand: 22.11.2012