Vom Raumgestalter zum Metzgereigehilfen

Lukas Gerner (Name geändert) im Portrait

Autor:in - Redaktion impulse
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 51, 04/2009, S. 32-33 impulse (51/2009)
Copyright: © impulse 2009

Vom Raumgestalter zum Metzgereigehilfen

Zehn Jahre besuchte Lukas Gerner die Sonderschule im 40 km vom Heimatort entfernten Landstuhl, um dann beim CJD im 50 km entgegengesetzt entfernten Berufsbildungswerk Neustadt / Weinstr. einen Förderlehrgang im Bereich Farb- und Raumgestaltung zu belegen - mit zertifiziertem Abschluss. Seine Lernbehinderung, sein (gut eingestelltes) Anfallsleiden und eine recht auffällige Verhaltensproblematik ließen die anschließenden Vermittlungsversuche allesamt scheitern. Ein knappes Jahr nach seinem Abschluss wurde der Aufnahme in den Berufsbildungsbereich der Pirminiuswerkstätten seitens der Leistungsträger zugestimmt. Er absolvierte seine Ausbildung dort schwerpunktmäßig in der Schreinerei, war aber hin und wieder auf eigenen Wunsch in der Küche eingesetzt.

Im Sommer 2007 kam es zur Kontaktaufnahme mit dem Integrationsmanagement: Lukas meldete sich, zwar auf eigenen Wunsch, aber mit Unterstützung seines "Gruppenleiters" (der für ihn zuständigen Fachkraft) zur Teilnahme am Integrationskurs. In den Vorbereitungsgesprächen äußerte er den dringenden Wunsch, aus der Werkstatt heraus zu wollen. Es folgten Erprobungspraktika in ausgelagerten Gruppen, die zufriedenstellend verliefen. In diesen Gruppen war jedoch eine recht engmaschige Begleitung gesichert, deshalb wurde als nächste Steigerung ein anschließendes Einzel-Praktikum angeboten. Bei dem Betrieb handelte es sich um eine Firma, die sich mit der Konstruktion von Aufbauten für Wohnmobile beschäftigte. Zu erledigen waren dort für Lukas einfache Schreinertätigkeiten, oft in Helferfunktion.

Ein Schritt zurück...

Nach gutem Start dort nahmen Motivation und Leistungsbereitschaft rapide ab. Lukas schien bereits in der Werkstatt erlernte Tätigkeiten vergessen zu haben, tat sich zunehmend schwerer mit der Bewältigung der einfachsten Aufgaben. Auffallend für uns war, dass Betriebsleitung und Kollegen sich über die jeweils aktuellen und individuellen Entwicklungen nur schlecht informiert, oft überrascht zeigten. Überhaupt waren Ansprechpartner im Betrieb oft nur schwer zu finden, unser Jobcoach eher wohlgelitten als willkommen. Die Einarbeitung wollten bevorzugt die Mitarbeiter vor Ort bewerkstelligen. Lukas wiederum schien trotzdem allzu oft sich selbst überlassen. Klappte es mit der Einarbeitung in eine bestimmte Tätigkeit nicht auf Anhieb, so sollten profane Dinge wie Reinigungs- und Aufräumarbeiten erledigt werden. Nach der relativ kurzen Zeit von vier Wochen entschlossen wir uns gemeinsam, das Praktikum zu beenden. Auch hier war es wieder wichtig, Lukas den Abbruch nicht als Versagen zu vermitteln.

Der Weg führte also zunächst wieder zurück in die Werkstatt. Wir blieben in engem Austausch mit der zuständigen Fachkraft, um eventuelle Äußerungen oder sonstige Beobachtungen zeitnah bearbeiten zu können. Auch mit seiner Mutter blieben wir in Kontakt; von dort kam nach kurzer Zeit die Rückmeldung, Lukas würde immer verschlossener und schiene zunehmend frustriert. Er weise auch bisher nicht gekannte aggressive Tendenzen auf - es müsse also dringend "etwas passieren".

Budget für Arbeit in Rheinland-Pfalz: Lukas Gerner* rührt Lauge an.

In unseren regelmäßigen Teamgesprächen erinnerten wir uns dann an Lukass zeitweilige Tätigkeiten in der Küche der Werkstatt. Daraufhin befragt, erklärte er uns, er habe schon immer gerne kochen lernen wollen. Es mache ihm Spaß mit Speisen umzugehen, er liebe die angenehmen Düfte in der Küche. Parallel erreichte uns die Anfrage einer Metzgerei mit angeschlossenem Catering-Service nach einem Gehilfen im Bereich der Vorbereitung von Wild-Produkten für den Verkauf. Wir sahen uns also den Betrieb an. Der Metzgermeister und Chef des Betriebes, ein sehr sympathischer, handfester Mensch mit klaren Vorstellungen und pragmatischem Wesen bot uns einen flexiblen, ausbaufähigen Arbeitsplatz in einer familiären Atmosphäre an. Stücke von Wild sollten zunächst portioniert, in Folie verschweißt, abgewogen und entsprechend gekennzeichnet werden. Hinzu könnten - je nach Neigung und Fähigkeit - noch Helfertätigkeiten aller Art kommen.

Nach Rücksprache mit Lukas zeigte sich dieser zwar aufgrund seiner bisher gemachten Erfahrungen skeptisch - er sei sich nicht mehr sicher, ob er überhaupt außerhalb der Werkstatt arbeiten könne. Wir konnten ihn (nicht zuletzt auch mit deutlicher Unterstützung "seines" Gruppenleiters) dazu bewegen, ein Schnupperpraktikum dort zu absolvieren.

... und zwei nach vorn!

Nach ganz kurzer Zeit, schon während der ersten Tage, zeigte sich, dass die Chemie hier stimmte. Unser Jobcoach war wegen der gemachten Erfahrungen zu Beginn deutlich zeitintensiver zugange als beim vorangegangenen Praktikum. Lukas wurde einerseits behutsam und wohldosiert eingearbeitet, zeigte jedoch auf Anhieb auch deutlich größeres Interesse und höhere Motivation. Das vorhandene Team vor Ort scherte sich in keiner Weise um eventuelle Defizite und Schwierigkeiten, nahm den jungen Mann schlicht so wie er eben mal war und ist. Schrittweise wurden die einzelnen Tätigkeiten ausgebaut, eine mögliche Überforderung vermieden. Absprachen zwischen Betrieb, Praktikant und Jobcoach erfolgten engmaschig und zeitnah. Nach seiner Einschätzung gefragt, warum nun die Dinge hier offenkundig besser liefen als im vorherigen Betrieb antwortete Lukas schlicht: "Hier gefällt's mir einfach besser!"

Nach sechs Wochen Praktikantenstatus kam es zum Vertragsabschluss über einen ausgelagerten Arbeitsplatz. Heute hat Lukas den Übergang in ein sozialversicherungspflichtiges Verhältnis auf Grundlage des "Budget für Arbeit" vollzogen. Er erledigt seine Aufgaben - trotz seiner Einschränkungen - so selbständig wie möglich und hat sich einen eigenen kleinen Zuständigkeitsbereich erarbeitet. Es zeigt sich, wie wichtig der "Wohlfühlfaktor" - auch im Betrieb -, ein behutsam aufgebautes Vertrauensverhältnis auf beiden Seiten, offene Worte und klare Absprachen sind. Lukas erhielt den Raum, seine individuellen Ressourcen kennen zu lernen und weiter zu entwickeln.

Quelle:

Redaktion impulse: Vom Raumgestalter zum Metzgereigehilfen. Lukas Gerner im Portrait.

erschienen in: impulse Nr. 51, 04/2009, S. 32-33

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Stand: 30.01.2012

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