Eine Chance für viele: Arbeitsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 48, 4/2008, Seite 8-13. impulse (48/2008)
Copyright: © Friederike Steier-Mecklenburg, Susanne Grundei 2008

Eine Chance für viele: Arbeitsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen

Die Bedeutung von Arbeit für jeden Menschen - ob psychisch beeinträchtigt oder nicht - ist heute unbestritten.

Arbeit gibt neben der Sicherung des Lebensunterhaltes auch Sicherheit durch eine geregelte Tagesstruktur und ermöglicht soziale Kontakte. Die soziale Identität des einzelnen wird in unserer Gesellschaft wesentlich durch die Arbeit und den Arbeitsplatz bestimmt. Auch ist ein Arbeitsplatz elementar wichtig für die Teilhabemöglichkeiten in unserer Gesellschaft.

Unbestritten ist auch, welche katastrophalen Folgen Arbeitslosigkeit auf die seelische Gesundheit haben kann. Niemand wird dies besser unterstreichen können als die Angehörigen und Betroffenen selbst.

Das BTZ als Einrichtung der beruflichen Rehabilitation arbeitet mit dem Auftrag:

  1. Psychisch behinderte Menschen wieder soweit zu qualifizieren, dass sie auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt die Chance haben, einen Arbeitsplatz zu finden und

  2. diese Menschen dann auch auf einen adäquaten Arbeitsplatz zu vermitteln.

  3. Im Einzelfall soll das BTZ auch bei einer neuen beruflichen Orientierung unterstützen, d.h. auf eine weitere Ausbildung/Umschulung vorbereiten.

  4. Stellt es sich heraus, dass eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsplatz aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung oder Erkrankung doch nicht möglich ist, dann erarbeitet das BTZ zusammen mit den betroffenen Personen eine Alternative. Dies kann z.B. eine Erwerbsminderungsrente mit entsprechendem Zuverdienst und/oder einer Tätigkeit auf dem sogenannten beschützten Arbeitsmarkt d. h. einer Werkstatt für behinderte Menschen sein.

Die Ziele des BTZ sind entsprechend formuliert:

  1. Abklärung

  2. Qualifizierung

  3. Vermittlung

  4. ggf. neue berufliche Orientierung

Das Angebot des BTZ

Das BTZ bietet psychisch beeinträchtigten Menschen ein berufliches Training von 3-12 Monaten Dauer an, im Einzelfall auch länger.

Das berufliche Training ist modular in drei Arbeitsbereiche untergliedert (Modul A-C).

Im Modul A wird zunächst eine sorgfältig Arbeitsdiagnostik erstellt, d. h eine Abklärung vorgenommen, welche der eben genannten Ziele in Frage kommen könnten. Ein Fähigkeitsprofil der RehabilitandInnen wird erstellt und der erforderliche Trainingsbedarf mit ihnen abgestimmt.

Im folgenden Modul B werden die Fähigkeiten geschult und mit Hilfe von Praktika eine realistische Überprüfung der Belastungsfähigkeit vorgenommen. In diesem Punkt hat das BTZ gute Erfahrungen mit den PartnerInnen aus der Wirtschaft gemacht. Überwiegend zeigen sich die Betriebe bereit, PraktikantInnen zu nehmen.

Im Modul C kann das Praktikum zu einem Einstieg in ein Arbeitsverhältnis dienen. Dieses bietet sowohl für die RehabilitandInnen wie auch den Betrieben große Vorteile. Die RehabilitandInnen überprüfen praktisch, ob sie den Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen sind. Es erfolgt ein Training-on-the job. Die oft kritische Zeit der Einarbeitung wird eng vom BTZ begleitet. Vertraute Bezugspersonen stehen als AnsprechpartnerInnen zur Verfügung. Sie können bei Schwierigkeiten in Form von Gesprächen hilfreich zur Seite stehen und Bewältigungsstrategien erarbeiten bzw. bei deren Umsetzung ermutigen. Auch die Betriebe können ihre zukünftigen ArbeitnehmerInnen in einem quasi geschützten Raum unverbindlich erproben. Die Einarbeitung gibt es sozusagen gratis. Zusätzlich erhalten die Betriebe, wenn gewünscht, Beratung und Unterstützung bei der Anbahnung von möglichen Finanzierungshilfen.

Grundsätze der Arbeit des BTZ

Familienarbeit als Prinzip

Die Beeinträchtigung im Arbeitsleben ergeben sich für psychisch behinderte Menschen häufig darin, dass eine soziale Rolle, hier die Rolle der ArbeitnehmerIn/ des Arbeitnehmers nicht angemessen ausgeübt werden kann (laut dem englischen Sozialpsychiater Douglas Bennett (1993). Das eigenverantwortliche Handeln als ArbeitnehmerIn macht Angst - Entscheidungen sind riskant, die Folgen nicht immer sofort übersehbar. Selbstständiges Handeln setzt Eigenständigkeit und ein gewisses Maß an Autonomie voraus. Hier ist auch das soziale Netzwerk, insbesondere die Familien und die Angehörigen gefragt. Denn die persönliche Verselbstständigung ist nicht erreichbar ohne eine Auflösung der oftmals sehr starken Familienbeziehungen. Die damit verbundenen Loyalitätskonflikte, Schuldgefühle und Verselbstständigungsängste sind oft ein größeres Hindernis auf dem Weg in die Arbeitswelt als die mangelnden beruflichen Fertigkeiten. Daher ist eine Auseinandersetzung mit den Angehörigen und eine Einbeziehung der Angehörigen ein wichtiger Meilenstein und Familienarbeit im BTZ Köln ein wichtiges Prinzip.

Einbezug und Erweiterung sozialer Kompetenzen

Auch kann sich die Beziehungsgestaltung, wie im Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen erforderlich, aufgrund der Rollenunsicherheit als schwierig erweisen. Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen haben quer durch alle Diagnosen eines gemeinsam: sie sind häufig sehr verunsichert und leiden an einem Mangel an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Psychisch beeinträchtigte Menschen haben aufgrund ihrer Erkrankung etwa einer Psychose eine massive Verunsicherung erlebt, Realität hat sich im Zustand der akuten Erkrankung verschoben, das Selbstbild ist abwertend und abgewertet, das eigene Selbstwertgefühl gering. Viele kennen die Mühsal mit schwierigen MitarbeiterInnen/ KollegeInnen, deren Selbsteinschätzung mit der Fremdeinschätzung/Beurteilung durch die Vorgesetzten nicht übereinstimmen. Mit diesen "schwierigen" MitarbeiterInnen/KollegInnen tauchen Konflikte auf, weil sie empfindlich sind, viele Dinge auf sich beziehen oder- einfach so- zurückgezogen sind, so dass kaum jemand Kontakt zu ihnen findet. All dies ist auch Arbeitsalltag! Arbeitsalltag mit psychisch kranken Menschen. Oftmals sind diese Probleme und Schwierigkeiten im sozialen Bereich die viel schwerwiegenderen als andere. Das BTZ arbeitet daher mit einem erweiterten Arbeitsbegriff und veranschaulicht diesen durch ein Kreisbild, das die für eine Arbeit notwendigen Fähigkeiten auflistet.

Das Kreisbild der Arbeit

Angelehnt an Cumming&Cumming (1979) wird unterschieden zwischen einem instrumentellen und einem sozioemotionalen Fähigkeitsbereich. Für psychisch beeinträchtigte Menschen ergeben sich vor allem Schwierigkeiten bei den sozioemotionalen Fähigkeiten, weniger im instrumentellen Bereich. Das folgende Beispiel eines Rehabilitanden des BTZ Köln soll dies veranschaulichen:

Das Beispiel von Herr Müller

Herr Müller kam im Jahr 2006 zu uns mit dem Ziel, sich mit Hilfe eines dreimonatigen Trainings im BTZ soweit zu stabilisieren, dass er zukünftig den Anforderungen seiner noch bestehenden Stelle als Programmierer gewachsen war. Seine jetzige Stelle hatte er seit 1994 inne nach einem Studium der Physik und einer entsprechenden Fortbildung im IT- Bereich. Das Arbeitsverhältnis war jedoch bedroht, da die Arbeitsorganisation und Konzentration nach Einschätzung des Vorgesetzten stark eingeschränkt war. Herr Müller befand sich bereits seit einiger Zeit in Betreuung des Integrationsfachdienstes (IFD). Der Integrationsfachdienst hat im Bereich Begleitung den u.a. den Auftrag, psychisch kranke Arbeitnehmer mit einem bestehenden Arbeitsvertrag zu unterstützen und zu beraten. Herr Müller war 1992 erstmals an einer Psychose erkrankt. In den folgenden Jahren erkrankte er noch drei Mal und war zuletzt im Sommer 2005 in stationärer psychiatrischer Behandlung. Die Kollegin des IFD/Berufsbegleitung gab schließlich den Anstoß zu dem beruflichen Training im BTZ.

Im Rahmen des beruflichen Trainings (s.o.) wurden mit Herrn Müller

  1. sein bisheriges Arbeitsverhalten analysiert,

  2. mögliche Stress auslösende Faktoren ermittelt und

  3. günstige Strategien zum Umgang mit Arbeit entwickelt.

Zu 1.: Es wurde herausgearbeitet, dass Herr Müller bei auftretenden Problemen in der Arbeit dazu neigt, diese zu verstecken. Er stürzte sich bei Übernahme von Arbeitsaufträgen sofort in die Arbeit, ohne sich Zeit für eine gute Vorbereitung zu nehmen. Dies führte tendenziell zu einer Verschlechterung der Arbeitsqualität. Probleme versuchte er dadurch zu lösen, dass er seine Pausen verkürzte und Überstunden machte, also mehr Zeit investierte.

Zu 2.: Es ließen sich insgesamt drei unterschiedliche Standardsituationen für die Entstehung von Stress herausfiltern:

  • Ein Kunde/ eine Kundin gibt eine Spezifikation, die nicht mit dem Standard-Programmiermethoden erledigt werden kann und man weiß noch nicht genau, wie man dies umsetzen soll.

  • Es gibt keine sachlichen Schwierigkeiten bei der Erfüllung einer Aufgabe, aber die vorgegebene Zeit für ein Projekt oder eine Aufgabe kann nicht eingehalten werden.

  • Es gibt schwere sachliche Schwierigkeiten, die dazu führen, dass die Abarbeitung eines Projektes oder einer Aufgabe stagniert. Überschreitet dies mehr als zwei Tage, entwickelt Herr Müller starke Stressgefühle.

Aus den drei vorgenannten auslösenden Faktoren resultiert dann ein vierter Faktor. Es kommt die Angst um den Arbeitsplatz hinzu, falls mehrfach die Umsetzung einer Aufgabe nicht den qualitativen oder terminlichen Vorstellungen entspricht.

Diese Stressfaktoren führen dazu, dass Herr Müller zunehmend verunsichert und daraus folgend unkonzentriert arbeitet.

Zu 3.: Mit Herrn Müller wurden konkrete Umgehensweisen mit den oben genannten Stresssituationen erarbeitet: Es wurden Grundsätze von Zeit- und Selbstmanagement erarbeitet, sowie ein Stressbewältigungsplan erstellt.

  • Ausführliche Vor- und Nachbereitung des Arbeitstages, um den aktuellen Stand innerhalb des Auftrages einzuschätzen und nächste Schritte einzuschätzen.

  • Ausführliche Konzeption und Spezifikation von Aufträgen in Rücksprache mit Vorgesetzten, KollegInnen und AuftraggeberInnen - nach Rücksprache mit den Vorgestzten sind ca. 50% der für die gesamte Bearbeitung vorgesehene Zeit für eine solche Planung statthaft. Innerhalb einer solchen Planung müssen unbedingt Pufferzeiten für unvorhergesehene Ereignisse bzw. verlängerte Bearbeitungsdauer bei noch wenig geläufigen Arbeitsschritten eingeplant werden.

  • Zeitliche Verzögerungen frühzeitig mitteilen und ggf. um Unterstützung bitten, um für Entlastung zu sorgen.

  • Im Regelfall auf die Einhaltung von Arbeits- und Pausenzeiten achten, da diese für die Regeneration notwendig sind.

  • Möglichkeiten einbauen und nutzen, dem eigenen Ärger Luft zu machen, indem gemeinsame Pausenzeiten mit KollegInnen auch als "Meckerzeiten" genutzt werden.

Wichtig bei der Umsetzung der beschriebenen Erkenntnisse war die aktive Unterstützung durch den Arbeitgeber. Während des Trainings wurden zusammen mit Herrn Müller zwei Gespräche im Betrieb geführt. Die Erkenntnisse wurden vorgestellt und es wurde mit dem Betrieb erörtert, inwieweit sie in den betrieblichen Arbeitsalltag integriert werden können. Ein weiteres Gespräch erfolgte ca. 3 Monate nach Beendigung der Maßnahme.

Durch die Erarbeitung der ausführlichen Erkenntnisse und Empfehlungen wurde deutlich, dass es Herrn Müller sehr schwer fällt, Unsicherheiten und Arbeitsprobleme mit Dritten zu besprechen. Er konnte für sich die Erkenntnis gewinnen, dass er sich trotz und gerade wegen seiner Unsicherheiten Unterstützung holen muss. Seine bisherige Strategie war auf Vermeidung ausgerichtet, was in extremen Situationen zu erneuter Erkrankung führte. In den gemeinsamen Gesprächen mit dem Arbeitgeber erprobte Herr Müller die erarbeitete Strategie, sich durch Mitteilung von schwierigen Situationen Unterstützung zu holen. Damit erreichte er Transparenz am Arbeitsplatz. Ein weiterer wichtiger Punkt bei Stressbewältigung und Problemlösung war die Unterscheidung von kurzfristiger und langfristiger Wirkung. Herr Müller konnte für sich heraus arbeiten, dass er mit Hilfe der neuen Strategien langfristig belastbarer ist und damit hilft, seinen Arbeitsplatz zu sichern.

Das Auswertungsgespräch drei Monate nach dem Training mit dem Arbeitgeber im Betrieb ergab, dass Herr Müller die neuen Strategien gut im Arbeitsalltag anwenden konnte. Dies hatte zur Folge, dass sich die Arbeitsorganisation und auch die Konzentration verbesserten und Herr Müller angstfreier an neue Aufgaben herangehen konnte. Der Arbeitsplatz was nicht mehr gefährdet. Der Arbeitgeber profitierte von der Maßnahme dadurch, dass er einen geschätzten und kompetenten Mitarbeiter behalten konnte. Zudem übernahm er für den Arbeitsalltag die Form der Arbeitsvor- und -nachbesprechungen und führte dies als Ritual ein. Der Arbeitgeber berichtete, dass dieses Ritual zusätzlich das Arbeitsklima verbessert habe und auch die nichtbeeinträchtigten MitarbeiterInnen davon profitieren konnten.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sinnvoll und notwendig eine Kooperation zwischen den beteiligten PartnerInnen wie ArbeitgeberInnen, Agentur für Arbeit, Rehabilitationseinrichtungen und berufsbegleitenden Diensten ist, wenn es darum geht, einen gefährdeten Arbeitsplatz zu erhalten. Natürlich ist auch schon bei der Vermittlung einer Stelle im Rahmen des beruflichen Treainings die Zusammenarbeit äußerst sinnvoll, etwa über die Praktika. Um das Zusammenspiel zwischen UnternehmerInnn und schwerbehinderten MitarbeiterInnen zu unterstützen, hat die Bundesagentur für Arbeit flächendeckend Integrationsfachdienste eingerichtet. Deren gezielt für die Vermittlung qualifiziertes Personal berät und begleitet den Integrationsprozess am neuen Arbeitsplatz. Dieser Service sollte von den ArbeitgeberInnen stärker genutzt werden (siehe auch Beitrag ...). Bezogen auf die Gruppe der psychisch behinderten Menschen jedoch stellt sich als Hindernis heraus, dass diese überwiegend keinen Schwerbehindertenausweis besitzen und so aus dieser Zielgruppe herausfallen können.

Erfolgsfaktoren:

Als weitere wichtige Strategien, um die Integrationschancen von psychisch beeinträchtigten Menschen auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt haben sich in der Arbeit des BTZ folgende Maßnahmen und Vorhaben bewährt:

  • Genaue Anforderungsprofile und Bewerberprofile zu erstellen. Dies ermöglicht eine gezieltere Bewerbung und ggf. bessere Umsetzung innerhalb des Betriebes durch die genaue Passung.

  • Eine sorgfältige Einarbeitung - hierzu können von öffentlichen Stellen, (Integrationsamt, Arbeitsamt) in Form von Finanzierungshilfen Hilfen etwa in Form des Job Coaching bereitgestellt werden. Vor allem in der Anfangsphase einer Beschäftigung ist es für einen psychisch beeinträchtigten Menschen nicht einfach, eine Leistung konstant zu erbringen. Deshalb bedarf die Einarbeitungsphase einer sorgfältigen Planung. Vielleicht lässt sich die tägliche Arbeitszeit zunächst reduzieren und dann allmählich steigern (stufenweise Steigerung nach §74 SGB V), vielleicht lassen sich flexible Pausenzeiten vereinbaren, die nach individuellem Bedarf eingelegt werden können.

  • Soziale Unterstützung am Arbeitsplatz, etwa in Form

  1. emotionaler Unterstützung, d.h. Handlungen, die den Betreffenden signalisieren, dass sie mit den Personen in ihrem Arbeitsumfeld offen über fachlichen und persönlichen Probleme sprechen können, ohne an Wertschätzung zu verlieren.

  2. instrumenteller Unterstützung. Diese beziehen sich auf konkrete Hilfen am Arbeitsplatz zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben, sei es durch erneutes Erklären, durch Mithilfe bei der Erledigung oder das Abnehmen von Aufgaben bei offensichtlicher Überforderung.

  3. informative Unterstützungen, d. h. alle praktisch relevanten Informationen, Ratschläge, Tipps, die eine Orientierung im betrieblichen Alltag erleichtern.

  4. von Feedback-Unterstützung. Dies meint alle Informationen und Handlungen, die für die Selbsteinschätzung, Selbstbewertung und die persönliche Orientierung relevant sind (Bestätigung oder Kritik).

Die soziale Unterstützung im Betrieb kann durch Vorgesetzte, ArbeitskollegInnen, durch die Schwerbehinderten-Vertretung oder den betrieblichen Sozialdienst, aber auch durch Paten übernommen werden. Außerhalb des Betriebes fällt dem sozialen Netzwerk, insbesondere Angehörigen aber auch externen Stellen wie dem Integrationsfachdienst/Berufsbegleitung große Bedeutung zu Dabei ist es wichtig, diese möglichst frühzeitig einzuschalten bzw. einzubinden.

  • Unterstützend kann es sein, im Betrieb einen festen Ansprechpartner zu benennen, auf den die psychisch beeinträchtigte Person zugehen kann. So kann z. B. ein Patenmodell hilfreich sein. Paten in den Betrieben sind MitarbeiterInnen des Unternehmens, die möglichst in unmittelbarer Nähe des psychisch beeinträchtigten Arbeitnehmers tätig ist und als AnsprechpartnerInnen sowohl für diesen als auch für KollegInnen und Vorgesetzten zur Verfügung stehen. Sie nehmen eine Art Moderationsrolle ein, deren Funktion darin besteht, zwischen den unterschiedlichen Belangen der Beteiligten zu vermitteln und für eine offene Kommunikation zu sorgen.

  • Während der Pate ehrenamtlich tätig ist, kann über die Arbeitsassistenz eine formale Ebene eingeschaltet werden. Die Arbeitsassistenz (finanziert über das Integrationsamt nach SGB IX) bietet eine zeitlich- und tätigkeitsbezogene regelmäßig wiederkehrende Unterstützung am Arbeitsplatz in enger Abstimmung mit dem Arbeitgeber. Die Beauftragung erfolgt durch den schwerbehinderten Menschen selbst.

  • Möglicherweise kann es auch sinnvoll sein, "Selbsthilfegruppen" in den Betrieben zu installieren - vielleicht auch im Sinne einer frühzeitigen Gesundheitsprävention. Trainings für alle z. B. zu den Themen Stressmanagement, Konfliktmanagement

  • Nutzung des Rehasystems zum Beispiel auch hinsichtlich finanzieller Förderungsmöglichkeiten. Über das Integrationsamt können ArbeitgeberInnen Zuschüsse erhalten für Investitionskosten bei Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze und bei außergewöhnlichen Belastungen, etwa durch besondere Betreuung.

Abschließende Bemerkungen

Psychiatrieerfahrene sind nicht nur psychisch behindert, sondern sie sind auch begabt und psychisch erfahren. Für bestimmte Arbeitsplätze sind sie auch aufgrund ihres Handicaps besonders qualifiziert.

Eine Absolventin eines BTZ-Trainings erhielt deshalb eine Stelle in der Verwaltung einer großen Organisation, weil sie sich nicht auf die eine oder andere der in zwei Lager geteilten Belegschaft schlug. Sie hat Gruppenprozesse einschätzen gelernt und konnte sich deshalb entsprechend verhalten.

Psychisch beeinträchtigte Menschen haben häufig eine große Sensibilität für zwischenmenschliches Geschehen und im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte auf dem Weg durch die damit verbundenen Institutionen auch entsprechende soziale Kompetenz entwickeln können. Allerdings reicht dies häufig nicht, um im Arbeitsleben bestehen zu können. Voraussetzung dafür ist, dass psychisch beeinträchtigte Menschen die gemachten Erfahrungen verarbeiten und reflektieren können. Sie müssen lernen, für sich in Arbeitssituationen günstige und ungünstige Rahmenbedingungen zu erkennen, zu beeinflussen und wirksam werden zu lassen. Dazu gehört u.a. auch, dass sie lernen, was sie krankheitsvorbeugend schützt, etwa Achtgeben auf die eigene Gesundheit, das Setzen von klaren Grenzen, regelmäßige Pausen, das Wahrnehmen von Überforderungen. All dies sind Fähigkeit, die psychisch kranke Menschen - notgedrungen - lernen müssen und damit manchem "normalen" Arbeitnehmer einiges voraus haben.

Einer der BTZ - Teilnehmer hat nach dem Durchlaufen eines sogenannten psychoedukativen Kurses zur Ausarbeitung von Frühwarnzeichen und Krisenprophylaxe ein beeindruckendes Diagramm in seinem PC erstellt, welche Situationen er zu beachten hat und was er dann frühzeitig tun könne. Er wäre sicher in der Lage, einen Kurs "psychische Gesundheit am Arbeitsplatz" durchzuführen.

Es gibt nicht den Königsweg, sondern es müssen immer wieder individuelle Wege gefunden werden!

Nicht psychisch behinderte Menschen wollen einen Arbeitsplatz - sondern z. B. der Bürokaufmann, der eine psychische Krise erlebte oder psychisch beeinträchtigt ist, will einen Arbeitsplatz und möchte seine Leistungsbereitschaft zeigen. Nach unseren Erfahrungen ist eine Perspektive am Arbeitsmarkt für psychisch behinderte Menschen häufig dann möglich, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Motivation - auch wenn die Arbeitsgeschwindigkeit und Belastbarkeit zum Teil erheblich eingeschränkt ist, werden Menschen mit seelischen Behinderungen als ArbeitnehmerInnen geschätzt und akzeptiert, wenn erkennbar ist, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben zuverlässig und engagiert erledigen, auch wenn dies z. T. erheblich langsamer geht und durch KollegInnen unterstützt werden muss.

  • Realistische Selbsteinschätzung und ein offener wirklichkeitsbezogener Umgang.

  • Unterstützung durch den berufsbegleitenden Dienst, sowohl für die/den ArbeitnehmerIn wie auch für die/den ArbeitgeberIn.

  • Erarbeitung eines kollektiven Frühwarnsystems - d.h. die Einbeziehung aller Beteiligten ist wichtig. Hintergründe für Krisen werden analysiert und mit allen kommuniziert. Transparenz ist für die vertrauensvolle Zusammenarbeit wichtig.

  • Das Lernen von anderen Betroffenen als Bereitschaft und wichtige Dimension der Unterstützung.

Literatur

Cumming, John; Cumming, Elaine: Ich und Milieu. Theorie und Praxis der Milieuheorie. Göttingen: Verlag für medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht; 1979.

Regierung von Mittelfranken - Integrationsamt (Hrsg.) (2003). Menschen mit seelischer Behinderung im Arbeitsleben. Nürnberg.

Bennett Douglas: Standards der psychischen Rehabilitation aus internationaler Sicht. Unveröffentlichtes Fachreferat anlässlich der Eröffnung des BTZ Köln am 28.10.1993.

Kontakt

Frau Steier- Mecklenburg und

Frau Grundei

Weitere Angaben siehe http://bidok.uibk.ac.at/library/imp-48-08-grundei-arbeit.html (Anmerkung der bidok-Redaktion

Quelle:

Friederike Steier-Mecklenburg, Susanne Grundei: Eine Chance für viele: Arbeitsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen

erschienen in: impulse Nr. 48, 4/2008, Seite 8-13.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 05.05.2011

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