Das Kompass-Konzept

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 45, 1/2008, Seite 27-29. Schwerpunkt: Jahrestagung 2007 der BAG UB impulse (45/2008)
Copyright: © Hartmut Sturm, Frauke Schipull-Gehring 2008

Das Kompass-Konzept

Kompass ist ein aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie der Behörde für Wirtschaft und Arbeit Hamburg gefördertes Modellprojekt zur Verbesserung der beruflichen Eingliederungschancen von Jugendlichen aus drei Hamburger Förderschulen gewesen. Projektträger war das Berufsbildungswerk (bbw) Hamburg in Kooperation mit der Staatlichen Berufsschule Eidelstedt (G12). Die schulischen Kooperationspartner waren die Förderschulen Bindfeldweg, Grotefendweg und Böttcherkamp Hamburger Westen. Im Folgenden wird das Kompass-Konzept in seinen Grundlinien skizziert. Dabei werden die wesentlichen pädagogischen und konzeptionellen Ideen und Begriffe benannt, um einen Überblick zu geben.

Rahmenbedingungen

Inhaltsverzeichnis

Laufzeit

Das Projekt startete in der ersten Phase an den drei allgemein bildenden Schulen am 15.08.2004 in Klasse 8 und schloss dort mit dem Schuljahresende im Sommer 2006 mit dem Verlassen der SchülerInnen Ende Klasse 9 ab. Dort wurden in je zwei Klassen pro Schule mit 12 SchülerInnen insgesamt 72 SchülerInnen nach dem Kompass-Konzept gefördert.

Ab August 2006 konnte das Projekt an der G12 als Berufsvorbereitungsschule durch Verlängerung der Förderperiode mit der Unterstützung des ESF fortgesetzt werden in eigens dafür eingerichteten Berufsvorbereitungsjahren (BVJ-Kompass). An der G12 wurden 65 SchülerInnen im Rahmen dieses Förderabschnittes weiter gefördert. Sieben SchülerInnen waren zwischenzeitlich durch Umzug oder andere nicht durch das Projekt zu verantwortende Gründe aus der Projektförderung heraus gefallen. Die ESF-Förderung endete am 31.12.2007.

Personal

Die Personalausstattung an den Schulen entsprach der regulären Lehrerversorgung. Aus ESF-Mitteln konnten finanziert werden: je Klasse eine ½ Stelle Bildungsbegleiterin, eine ½ Stelle Projektleitung sowie eine ½ Stelle für Qualifizierung des Projektteams und Transfer in andere schulische Modellversuche in Hamburg. Für die Schulen bedeutete dies, dass in diesem Modellversuch durch die Förderung durch den ESF tatsächlich ein Plus an Personal in den Klassen entstand.

SchülerInnen

Die Klassen wurden nicht eigens für das Projekt zusammengesetzt, sondern es konnte auf bestehende Klassen in den Förderschulen zurückgegriffen werden. Es handelte sich insgesamt um sehr leistungsheterogene Klassen mit deutlich größerem Anteil an Jungen und hohem MigrantInnenanteil (39%) mit einem deutlichen Anteil türkischer sowie einem relativ starken Anteil afghanischer Jugendlicher unter insgesamt 13 Nationalitäten. Durch diese multinationale Zusammensetzung kam der Aufgabe, Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine betriebliche Orientierung zu vermitteln, besondere Bedeutung zu.

Es ging oftmals in den Praktika darum, dass die Jugendlichen sich mit den Werten und Normen unserer Kultur in der Arbeitswelt auseinandersetzen mussten und nur über die konkrete Erfahrung ein Verständnis entwickeln konnten, wie Betriebe in unserem Land funktionieren.

Ziele

Die im Antragskonzept genannten Ziele

  • Chancen der übrigen Jugendlichen im Übergang Schule-Beruf erheblich zu verbessern

  • Unterrichtskonzepte für die Oberstufe der Förderschule zu entwickeln

  • Bildungsbegleitung als strukturelles Merkmal zu erproben

wurden durch Behörde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ergänzt und konkretisiert mit der Vorgabe

  • 20% der Jugendlichen in Ausbildung oder Arbeit zu bringen.

Dieses Ziel erschien zu Beginn des Projektes als sehr hochgesteckt, da die Übergangsquoten von FörderschülerInnen in Ausbildung oder den ersten Arbeitsmarkt normalerweise sehr gering sind. Leider liegen dazu für Hamburg keine gesicherten Daten vor, aber die Quoten in den beteiligten Schulen sind nach deren Auskunft in den vergangenen Jahren sicher (z.T. weit) unter 5% gewesen.

Dualisierung und Verzahnung der Lernorte

Kernstück des Kompass-Konzeptes war die Erweiterung des Handlungsfeldes Schule um den Lernort Betrieb. Hier ging es nicht um betriebliche Praktika, sondern um die systematische Erschließung eines neuen Lernortes. Die SchülerInnen sind innerhalb der insgesamt dreieinhalbjährigen Projektzeit in jedem Schulhalbjahr jeweils 12 Wochen an zwei Tagen in einem Betrieb als Praxis-Lernort, wobei die erste Woche im Betrieb eine Kompaktwoche zum Einstieg mit fünf betrieblichen Tagen war.

Die Grafik unten zeigt beispielhaft die Organisation für das Schuljahr 2006-2007.

Diese Struktur wurde in der Berufsschule beibehalten und um einen dritten betrieblichen Erkundungstag ergänzt. Die Jugendlichen mussten von Beginn an ihr Praktikum alle halbe Jahr wechseln, um verschiedene Branchen im Laufe der Zeit zu durchlaufen. Es sollten so unterschiedliche berufliche und betriebliche Erfahrungen ermöglicht werden In Gesprächen mit Jugendlichen kristallisierte sich allmählich heraus, dass viele mittlerweile festere Vorstellungen entwickelt hatten, aber trotzdem weiterhin auf der Suche waren.

Nach einem BVJ-Kompass-Jahr hatten die TeilnehmerInnen insgesamt sechs Praktikumsphasen mit je 12 Wochen betrieblicher Phase in jedem Halbjahr durchlaufen und darüber sechs verschiedene Branchen, Berufsbilder oder -felder kennen gelernt. Trotzdem war festzustellen, dass für einige Jugendliche die Phase der beruflichen Orientierung damit noch nicht abgeschlossen war, und sie auch noch darüber hinaus weitere Unterstützung benötigten.

Die Struktur der verzahnten schulischen und betrieblichen Begleitung basiert im Kern auf den erfolgreichen Modellen in den Hamburger Schulversuchen "Lernen in Schule und Betrieb" an Allgemein bildenden Schulen und wurde hier übertragen auf die Rahmenbedingungen der Förderschulen, ergänzt um das Konzept der Bildungsbegleitung und einer gecoachten schulübergreifende Teamstruktur.

Konzeptionell verankert in der Schule ist der so genannte Kompass-Tag, an dem die betrieblichen Erfahrungen vor- und nachbereitet werden, die besondere Lernaufgabe bearbeitet wird sowie Module "Lernen für die Arbeitwelt" zum Unterrichtsgegenstand werden.

Die Lernaufgabe ist das konzeptionelle Bindeglied zwischen betrieblichem und schulischem Lernen. Sie erwächst aus der betrieblichen Arbeit und ergibt eine eigene Zeugnisnote. Lernen für die Arbeitswelt entspricht dem Schulfach Arbeitslehre. Jedoch werden andere Inhalte wichtig und auch andere Leistungen erbracht:

  • Betriebliche Anforderungen an das allg. Wissen werden in der Schule aufgegriffen und bearbeitet.

  • Betriebliche Erfahrungen werden in der Schule reflektiert

  • Betriebsrelevante Schlüsselkompetenzen werden in der Schule vermittelt und erarbeitet.

  • Lernen für die Arbeitswelt ist ein Schulfach und ergibt eine Zeugnisnote.

Der übrige Unterricht wurde überwiegend binnendifferenziert und individualisiert aufgebaut und enthält spezielle Förderangebote. Die Organisationsform in den unterschiedlichen Phasen des Projektes machen folgende Grafiken deutlich:

Grundsätzlich werden die SchülerInnen innerhalb dieses komplexen Systems verstärkt gefordert, die Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu übernehmen und ihren eigenen Entwicklungsprozess im Übergang Schule-Beruf zu steuern. Der LernKompass dient deshalb der Orientierung im Kompass-Projekt.

Unterstützung und Begleitung

Innovativ am Kompass-Projekt war die Einführung von BildungsbegleiterInnen als neues Berufsbild im Kontext Übergang Schule-Beruf. BildungsbegleiterInnen konnten als zusätzliches Personal durch die ESF-Mittel eingestellt werden. Diese drei Kolleginnen kamen aus der nachschulischen Qualifizierung zur Berufsvorbereitung oder betrieblichen Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und bringen ihr Know-How in den schulischen Kontext ein. Sie bilden ein Team mit den LehrerInnen vor Ort und unterstützen diese dabei, sich ebenfalls in das Aufgabenfeld Bildungsbegleitung einzuarbeiten. Dadurch unterstützen sie die Schulen bei der Umstrukturierung des Unterrichts. Gemeinsam mit den LehrerInnen unterstützen sie die Jugendlichen bei der Akquisition von Praktikumsbetrieben und während des Lernprozesses in den Betrieben. Für die Betriebe sind die BildungsbegleiterInen und die LehrerInnen feste Ansprechpartner. Es finden regelmäßige Betriebsbesuche statt, die auch das Angebot enthalten, die Betriebe vor Ort in der Betreuung der Jugendlichen zu unterstützen oder zu entlasten. In diesem Prozess kommt es durch den Austausch in den wöchentlichen Klassenteamsitzungen auch zu sukzessiven Veränderungen in der LehreInnenrolle.

Arbeitsweise

Das Pädagogische Vorgehen im Kompass-Projekt lässt sich auf fünf Kernpunkte focussieren:

  • Individuell

Jeder Jugendliche wird entsprechend seiner individuellen persönlichen Situation und individuellen Lernvoraussetzungen unterstützt. Er erhält eineN AnsprechpartnerIn für den gesamten Prozess der beruflichen Integration (MentorInnensystem).

  • Selbstbestimmt

Jeder Jugendliche erhält einen Lern-Kompass, der die Lehrpläne durch Lern-Bausteine schülergerecht erfasst und dokumentiert. Mit diesem Instrument werden die Eigenverantwortung und die Fähigkeit zur Selbststeuerung durch den Jugendlichen gefördert.

  • Betriebsnah

Die Jugendlichen erlangen schon in der Allgemeinbildenden Schule die erforderlichen Betriebserfahrungen, um den Übergang in Ausbildung oder Arbeit gelingen zu lassen.

  • Regional

Das Konzept wird vorrangig in Wohnortnähe der Jugendlichen realisiert.

  • Dauerhaft

Das Projekt soll die Jugendlichen mit kontinuierlichen Ansprechpartnern auf ihrem Weg bis zur Integration in den Arbeitsmarkt begleiten. Damit werden die Bemühungen des Jugendamtes und des Arbeitsamtes ergänzt und unterstützt.

Teamstrukturen & prozessbegleitendes Coaching

Schon in der Konzeptionsphase des Kompass-Projektes wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den bisherigen Projekten die Notwendigkeit deutlich, die Neuorientierung in der Arbeit an den Förderschulen strukturell zu sichern. Zu diesem Zweck wurden von Beginn an verbindliche Teamstrukturen auf schulischer Ebene und schulübergreifend etabliert. Damit wurde einerseits die Steuerung des Projektes durch die Projektleitung gesichert, andererseits konnte sehr dicht an den realen Fragen und Bedürfnissen entlang ein prozessbegleitendes Coaching realisiert werden:

Gesamtteam (schulübergreifend) wöchentlich 4 Std.:

  • Reflektion der Arbeit

  • Planung der nächsten Schritte

  • Fortbildung

Schulteam wöchentlich 2 Std.:

  • Reflektion & Planung des Unterrichts

  • Fallbesprechungen

  • Organisation

  • Austausch eigener Erfahrungen

Eltern

Inhaltsverzeichnis

Die Eltern wurden von Beginn regelmäßig auf Elternabenden und an Sprechtagen informiert und einbezogen. Dabei waren zwei sehr gegensätzliche Haltungen zu beobachten: Während ein Teil der Eltern das Konzept begrüßte und nach Kräften unterstützte, waren andere skeptisch bis ablehnend. Ein besonders Problem scheint in manchen Familien für Jugendlichen zu entstehen, wenn sie die einzigen Familienmitglieder sind, die in betriebliche Zusammenhänge eingebunden sind. Es stellte sich öfter heraus, dass Berichte über die betriebliche Erfahrungen Themen waren, die zu Hause nicht sehr gewünscht waren, weil die Jugendlichen diejenigen waren, die im Betrieb verankert waren, und die Eltern einen Arbeitszusammenhang in dem Maße, wie die Jugendlichen ihn dann nach ein, zwei Jahren erfahren hatten, gar nicht kannten. Fragen, wie "was läuft eigentlich bei dir auf der Arbeit?", sind eher ungewöhnliche Fragen an die Jugendlichen zu Hause. Dies ist daher ein wichtiges Thema, das man beleuchten und in der pädagogischen Arbeit berücksichtigen muss: Wenn diese Art der Reflektion im häuslichen Umfeld nicht stattfindet, muss sie ein Teil der Reflexionsarbeit in der Schule werden.

Geleistete Entwicklungsarbeit

  • LehrerInnen erfahren sich in der betrieblichen Begleitung als BildungsbegleiterInnen und erschließen den Lernort Betrieb.

  • Konzeptionelle Verknüpfung von betrieblichem und schulischem Lernen

  • Einführung der Lernaufgabe in den Förderschulen

  • Entwicklung von Unterrichtmodulen für das Fach Lernen für die Arbeitswelt

  • Entwicklung weiterer Unterrichtmodule "Lernen für die Arbeitswelt" für die Berufsvorbereitung

  • Entwicklung von Konzepten zur Stärkung fachlicher und betrieblicher Kompetenzen

  • Entwicklung des LernKompasses für die speziellen Anforderungen der Förderschulen.

  • Weiterentwicklung des LernKompasses für die speziellen Anforderungen in der Berufsvorbereitung (BVJ / Quas)

Warnung

Dieser Absatz wurde vom Konverter eingefügt, weil LogicTran hier eine falsche Struktur erzeugt. Eine 'section' kann nicht aus einem 'title'(Überschrift) alleine bestehen. Hätten die möglicherweise nachfolgenden Elemente eine Ebene tiefer liegen sollen? Bitte bereinigen Sie die Dokumentstruktur und führen sie die Konvertierung nochmals durch!

Literatur:

Sturm, H. / Schulze, H. u.a. (2008): Übergangssysteme im Wandel - Perspektiven für die Ausbildungsvorbereitung. Hamburg: Berufsbildungswerk Hamburg / Staatliche Berufsschule Eidelstedt

Kontakt:

Hartmut Sturm

Abteilungskoordinator

Staatliche Berufsschule Eidelstedt (G 12)

Fon: 040 / 5723125

Fax: 040 / 5723370

Hartmut.Sturm@bbs.hamburg.de

www.g12.hamburg.de

Frauke Schipull-Gehring

Gesamtschule Eidelstedt

Fon: 040 / 571950-0

Fax: 040 / 571950-0

Frauke.Schipull-Gehring@bbs.hamburg.de

www.gesamtschule-eidelstedt.de

Frauke Schipull-Gehring

Quelle:

Hartmut Sturm, Frauke Schipull-Gehring: Das Kompass-Konzept

Erschienen in: impulse Nr. 45, 1/2008, Seite 27-29. Schwerpunkt: Jahrestagung 2007 der BAG UB

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 21.07.2010

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation