Mediation in Konfliktfällen am Arbeitsplatz

Praktische Erfahrungen mit der Umsetzung eines Angebotes aus dem österreichischen EQUAL Projekt "Pro-Fit Niederösterreich"

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 44/2007, Seite 24-25. impulse (44/2007)
Copyright: © Marlene Mayrhofer, Doris Rath 2007

Mediation in Konfliktfällen am Arbeitsplatz

Mediation für Konfliktfälle am Arbeitsplatz, in die Menschen mit Behinderung involviert sind, war eines der Teilprojekte der EQUAL Entwicklungspartnerschaft Pro-Fit Niederösterreich, das von Juli 2005 bis 2007 im Bundesland Niederösterreich umgesetzt wurde.

Im Zuge dieses Moduls wurde das Angebot einer Mediation, die im Falle von gefährdeten Dienstverhältnissen von Menschen mit Behinderung bzw. konkret bei Einleitung eines Kündigungsverfahrens als AnsprechpartnerInnen für Unternehmen, Betroffene und Integrationsfachdienste fungiert, in Niederösterreich aufgebaut und implementiert. Das Angebot unterscheidet sich von der Mediation im Kontext des neuen Behindertengleichstellungsgesetzes darin, dass es früher ansetzt als diese[1]. Das Ziel war, Konfliktsituationen bearbeitbar zu machen und so Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu erhalten. Das Mediationsteam des Projektes stand ArbeitnehmerInnen, Interessensvertretungen sowie ArbeitgeberInnen zur Verfügung, sobald eine der Konfliktparteien Hilfe bei einem Konflikt am Arbeitsplatz suchte. Voraussetzung, um das Angebot in Anspruch nehmen zu können war die Involvierung einer Person mit Behinderung und in weiterer Folge die Bereitschaft aller Konfliktparteien, am Mediationsprozess teilzunehmen.

Die Bewertung der Erfolge dieses Angebotes passierte auf zwei Ebenen. Einerseits wurde die quantitative Zielerreichung bewertet, gleichzeitig wurde andererseits qualitativ anhand von Fallanalysen versucht herauszuarbeiten, was dieses neue Mediationsfeld besonders kennzeichnet und worauf hier im Speziellen zukünftig zu achten sein wird. Entlang dieser begleitenden Bewertung lassen sich im Sinne der Nachhaltigkeit der Projekte die folgenden zwei Kernerkenntnisse aus unseren Lernprozessen festhalten und weitergeben:

1) Die Akzeptanz für ein neues Angebot wie Mediation entwickelt sich sehr langsam

Die Ergebnisse aus dem Projekt spiegeln zunächst mehr als deutlich einige Hemmnisse bei der Umsetzung bzw. die erst allmählich einsetzende Akzeptanz für ein solches Angebot wider. Das Angebot dieses Moduls wurde von den Zielgruppen nur in geringem Ausmaß in Anspruch genommen. Von den geplanten 80 Mediationen wurden lediglich drei durchgeführt sowie weitere 5 Informationsgespräche, die allerdings zu keinen Mediationen führten. Aus Diskussionen mit ExpertInnen der Integrations sowie der Interessensvertretungen wurde der Eindruck gewonnen, dass Mediation als Methode noch kaum bekannt ist - dementsprechend gibt es auch noch einige Vorbehalte. Damit sich Mediation als Konfliktlösungsverfahren soweit durchsetzt, dass sie im Anlassfall in einem relevanten Ausmaß eingesetzt wird, gilt es, die Hemmnisse abzubauen, die in Bezug auf den Einsatz neuer Methoden bestehen. Dazu muss der Mediation als Methode das Abstrakte genommen werden. Erst wenn persönliche Erfahrungen oder Erfahrungswerte in der engeren sozialen Umwelt vorliegen, wird Vertrauen zu dieser Methode aufgebaut. Ansonsten überwiegt vielfach die Skepsis, fremde Personen in einen Konflikt im Unternehmen, am Arbeitsplatz oder im Team einzubinden. Dabei spielt auch die Konfliktkultur in den Unternehmen eine große Rolle. Es bestätigte sich aus den Erfahrungen des Projektteams, dass ein Konfliktbewusstsein, das einen konstruktiven Umgang mit Konflikten und daraus resultierende positive Erfahrungen ermöglichen würde, in der Unternehmenslandschaft immer noch eher die Ausnahme als die Regel ist. In vielen Unternehmen ist der Begriff "Konflikt" negativ besetzt, sodass ein Eingestehen eines solchen fast unmöglich ist. Und das Zurückgreifen auf Mediation käme in der Sichtweise der Konfliktbeteiligten einem solchen "Eingestehen" gleich. Gekoppelt mit der Skepsis, betriebsfremden Personen wie den MediatorInnen einen derart tiefen Einblick in das Unternehmen zu erlauben, wie es die Bearbeitung eines Konfliktes verlangen würde, wirkt sich diese Einstellung als großes Hemmnis aus.

2) Mediation muss "weiter gedacht" werden, wenn sie Menschen mit Behinderung als Konfliktparteien begegnet

Die von der wissenschaftlichen Begleitung und dem Mediationsteam vorgenommenen Fallanalysen zeigen auf, was Mediation in diesem Kontext von anderen Mediationsfeldern unterscheidet und worauf besonderes Augenmerk gelegt werden sollte.

Gleich vorweg: "Die Gruppe" der Menschen mit Behinderung gibt es auch im Mediationskontext nicht. Die Erfahrungen aus den zwei Jahren Projektlaufzeit bestätigen, dass die Heterogenität und die unterschiedlichen Ressourcen und Bedürfnisse unterschiedlicher Behinderungsformen es nicht erlauben, generelle Aussagen zu treffen. Man kann nicht sagen, Mediation mit Menschen mit Behinderung funktioniert genau "so" oder "so". Wesentliche Unterschiede ergeben sich zunächst aus der Art der Behinderung, denn daraus leiten sich die konkreten Bedürfnisse bzw. der Unterstützungsbedarf einer betroffenen Person im Mediationsprozess ab. Darüber hinaus zeigt sich aus der Analyse, dass es sich bei den Fällen, die das Pro-Fit Team bearbeitet hat, kaum je um eine klassische Mediationskonstellation mit zwei Personen als sich gegenüberstehende Konfliktparteien gehandelt hat - sehr häufig ging es um Konflikte in Teams, wo unterschiedliche Personen beteiligt waren.

Den Mediationsprozess unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung prägende Merkmale aber auch Unterschiede bzw. Handlungsoptionen lassen sich demnach also primär aus der Art des Konfliktes ableiten. Es macht nämlich einen bedeutenden Unterschied, ob es sich um einen Konflikt im Team allgemein oder um einen Konflikt direkt im Zusammenhang mit der Behinderung handelt. Bei ersteren ist es oft so, dass sich der/die Behinderte als Teil des Teams, in dem es einen unbearbeiteten Konflikt gibt, oft als diejenige Person wieder findet, an der sich der Konflikt schlussendlich entzündet. Die MediatorInnen von Pro-Fit reflektierten dies als "Sündenbock-Konstellationen", in denen einer Person mit Behinderung über ihr eigenes Verhalten hinaus die Verantwortung für sonstige Probleme zugeschrieben wird. Aus ihrer Mediationserfahrung zeigt sich, dass solche Sündenbock-Konstellationen häufig in Systemen (also z.B. in Teams) auftreten, unabhängig ob in diesem Team auch behinderte MitarbeiterInnen sind oder nicht. Allerdings unterscheiden sich die "ausgewählten Sündenböcke" häufig durch äußerlich erkennbare Merkmale vom Rest der Gruppe. Daher ist es so, dass der/die KollegIn mit anderer Muttersprache oder Religionsbekenntnis oder eben der behinderte Kollege/ die behinderte Kollegin jene Person ist, der diese Verantwortung für Probleme zugeschrieben wird. Steht der Konflikt direkt in Zusammenhang mit der Behinderung, können Probleme oft durch eine Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse, die eine spezifische Einschränkung mit sich bringt, in der Organisation der Zusammenarbeit gelöst werden.

Im Spannungsfeld zwischen Mediation und Empowerment stellt z.B. auch die Zusammenarbeit mit Personen mit einer Lernbehinderung oder mit einer psychischen Erkrankung eine besondere Herausforderung dar. Mediation darf keine Partei ergreifen - Etwaige Impulse, eine/n behinderte/n Beteilige/n zu "beschützen" (z.B. ihn/sie in der Artikulation zu unterstützen), müssen ebenso kritisch reflektiert werden, wie die Frage der Selbstbestimmung und Freiwilligkeit. Die Aufgabe ist es, Konflikte sichtbar und dadurch bearbeitbar zu machen, überparteiliches Agieren der MediatorInnen ist dafür die unabdingbare methodische Grundlage. Das eigene Verhalten und die methodischen Spielräume müssen daher besonders intensiv Gegenstand laufender Reflexion sein. Die Erfahrung aus diesem Projekt unterstreicht damit ein weiteres Mal, wie wichtig Supervision in diesem Zusammenhang ist. Ein Ergebnis der Begleitforschung zeigt deutlich auf, dass gerade in diesem innovativen Kontext Supervision von großer Bedeutung ist, denn Vieles ist noch nicht festgelegt und "sicheres" Wissen wird erst durch Erfahrungen geschaffen.

"Die Grenzen liegen in der Selbstbestimmung"

Aus eben diesen zeigt sich auch, wo die Grenzen der Einsatzmöglichkeiten von Mediation unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung liegen. Etwa dort, wo es nicht möglich ist, dass diese für sich selbst sprechen, denn dann werden grundlegende Prinzipien der Methode in Frage gestellt. In solchen Fällen ist es nötig, dass der Prozess mit viel methodischer Kenntnis und Fingerspitzengefühl von den MediatorInnen gesteuert wird. Ähnliche Erfahrungen wurden im Verlauf des Projektes auch im Hinblick auf die abzuschließende Mediationsvereinbarung gemacht. In manchen Fällen ist es gerade ein Symptom einer Behinderung, dass es für die Betroffenen schwierig ist, sich an gemeinsam getroffene Vereinbarungen zu halten. Wo das nicht möglich ist, ist ein wichtiger Pfeiler von Mediation nicht vorhanden, und es muss eine Lösung im Spannungsfeld zwischen Bedarfen im Prozess und der Mediation als sozialer Interventionsmöglichkeit mit ihren ethischen und methodischen Ansprüchen gefunden werden.

"Weiter-Denken ist nötig"

Daher lässt sich als wichtigster Punkt aus den Pro-Fit Erfahrungen zusammenfassend schlichtweg das "Weiter-Denken" im wahrsten Sinne des Wortes festhalten. Denn spezielle Ressourcen und Bedürfnisse, die MediationsteilnehmerInnen mit einer Behinderung in den Prozess einbringen können, machen es nötig Spielräume der Methode die durchaus vorhanden sind - dort, wo es nötig ist, zu nutzen, so die einhellige Meinung des Pro-Fit Mediationsteams und der ForscherInnen nach Analyse der durchgeführten Mediationsfälle. So können etwa zusätzliche Personen zur Unterstützung in den Mediationsprozess eingebunden werden, wenn sich dies als nötig herausstellt. Für die MediatorInnen sind dabei Interventionen derart möglich, dass sie diese Vorschläge einbringen können. Entschieden wird dann natürlich - ganz im Sinne der Selbstbestimmung und Freiwilligkeit in der Mediation - durch die betroffene Person selbst. Hinzugezogen können neben Angehörigen und SachwalterInnen auch BetriebsrätInnen und Behindertenvertrauenspersonen werden. Instrumente anderer Methoden oder Disziplinen können adaptiert werden oder einzelne Elemente daraus in dem konkreten Mediationsfall übernommen werden.

Quelle:

Marlene Mayrhofer, Doris Rath: Mediation in Konfliktfällen am Arbeitsplatz. Praktische Erfahrungen mit der Umsetzung eines Angebotes aus dem österreichischen EQUAL Projekt "Pro-Fit Niederösterreich"

erschienen in: impulse Nr. 44/2007, Seite 24-25.

bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 06.05.2009



[1] In Österreich gilt seit 1. Januar 2006 das neue Behindertengleichstellungsgesetz. Darin wird das Konfliktlösungsverfahren der Mediation zur außergerichtlichen Streitbeilegung erwähnt: Dem gerichtlichen Verfahren ist dabei jeweils ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren beim Bundessozialamt vorgeschaltet. Im Rahmen dieser Schlichtung kann unentgeltlich Mediation durch externe MediatorInnen in Anspruch genommen werden. Das Ziel der Mediation im Rahmen des Projektes Pro-Fit Niederösterreich war es, wesentlich früher anzusetzen - bevor konkrete Anlassfälle

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