"Die Realität verlangt noch viele Anstrengungen"

Ein Bericht über die Europäische Konferenz zur Integration behinderter Menschen

Autor:in - Ute Mank
Themenbereiche: Recht, Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 47. impulse (44/2007)
Copyright: © Ute Mank

"Die Realität verlangt noch viele Anstrengungen"

"Bildung, Beschäftigung, Barrierefreiheit - Menschen mit Behinderungen stark machen". Unter diesem Titel stand die Europäische Konferenz zur Integration behinderter Menschen, die am 11. und 12. Juni in Berlin stattfand. Veranstaltet wurde sie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands.

Eröffnet wurde die Konferenz vom (ehemaligen) Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, der in seiner Rede für ein "Europa für alle ohne Diskriminierung" warb. Bildung und Beschäftigung seien entscheidende "Schlüssel" für gesellschaftliche Teilhabe. Die gesellschaftliche Aufteilung in Menschen mit und ohne Behinderung sei kontraproduktiv, niemand sei perfekt, sondern alle Menschen hätten früher oder später Einschränkungen. Mit Zahlen verdeutlichte Müntefering, dass beim Engagement für Menschen mit Behinderungen nicht von einer "Minderheitenpolitik" die Rede sein könne:

  • 650 Millionen Menschen mit Behinderungen gibt es weltweit,

  • 50 Millionen in Europa,

  • 6 Millionen davon in Deutschland.

Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention (siehe auch Infokasten auf Seite 43) sei die Integration behinderter Menschen eine Frage der Rechte geworden und kein Zeichen guten Willens der Gesellschaft, sagte Nikolaus van der Pas, Generaldirektor der Europäischen Kommission (Belgien) in seinem Grußwort. Damit sei die Arbeit aber noch nicht zu Ende. "Die Realität verlangt noch viele Anstrengungen", so van der Pas. Als "Meilenstein" und "Höhepunkt der Kampagne, die wir geführt haben", bezeichnete Yannis Vardakastanis die Konvention. Der Präsident des European Disability Forum (Griechenland) gehörte ebenfalls zu den Eröffnungsrednern. Die Konvention werde nach seiner Überzeugung großen Schwung und Anreiz geben, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Daher sei sie eine "große Errungenschaft". Sie biete das Grundrecht zur Nichtdiskriminierung in allen Lebensbereichen.

Nach den Grußworten stellte Professor Gerard Quinn von der Universität Galway in Irland die UN-Konvention inhaltlich vor. Es werde schwierig, die Konvention umzusetzen, merkte er kritisch an, aber sie sei eine Verpflichtung zur Veränderung. Entsprechend dem Konferenz-Motto "Bildung, Beschäftigung und Barrierefreiheit" gab es anschließend je einen Einführungsvortrag zu den drei Themen.

Kenneth Eklindh von der UNESCO (Frankreich) hielt einen Vortrag mit dem Titel "Integration behinderter Menschen in das allgemeine Bildungssystem". Er warb dabei für integrative Bildung an normalen Schulen. Zur "Integration behinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt", sprach Nicolaus van der Pas. 16 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung seien Menschen mit Behinderungen. Nur die Hälfte habe einen Job. Bei nicht behinderten Menschen seien es dagegen 68 Prozent. Die Belange von Menschen mit Behinderungen nicht isoliert behandeln und das Mainstreaming zum Grundprinzip der Integration zu machen sei seiner Ansicht nach das, was die EU tun könne und müsse.

"Chancengleichheit in der Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung der Barrierefreiheit" lautete der Vortragstitel von Kalle Könkkölä von Disabled Peoples International (Finnland). Es sei keine Fürsorge sondern ein Menschenrecht, dass man es Menschen mit Behinderungen ermögliche, überall hinzugelangen. An Orten mit Barrieren wolle man Menschen mit Behinderungen nicht haben, sagte er in seiner Rede immer wieder, und machte damit das Gefühl deutlich, das behinderten Menschen mit wenig durchdachten Regelungen vermittelt wird. Als ein Beispiel erzählte Könkkölä, dass finnische Cafés erst ab zwölf Sitzplätzen barrierefrei sein müssten. Damit seien Menschen mit Körperbehinderungen aus kleinen Cafés ausgeschlossen.

Am Nachmittag konnten sich die zirka 300 Teilnehmer in Panels zu den drei Themen Integrative Bildung, Mehr Beschäftigung und Barrierefreiheit aufteilen. In jedem Panel saßen drei Fachleute auf dem Podium, mit denen die Zuhörer diskutieren konnten. Die wichtigsten Diskussionsthesen wurden am nächsten Morgen im Plenum vorgetragen und anschließend in einer Podiumsdiskussion von Fachleuten aus den Bereichen Rehabilitation, Wirtschaft, Gewerkschaft, Gleichstellung und dem Vorsitzenden des Deutschen Behindertenrates diskutiert. Auch wenn schon einige Erfolge zu verzeichnen seien und die UN-Konvention einen wichtigen Meilenstein zur Integration von Menschen mit Behinderung darstelle, wurde auch hier die Einschätzung geteilt, dass noch viele Anstrengungen nötig seien, um die Rechte der behinderten Menschen Realität werden zu lassen.

Wie gut, dass während der Konferenz außerdem ein Arbeitstreffen der für Behindertenpolitik zuständigen europäischen MinisterInnen stattfand.

Quelle:

Ute Mank: "Die Realität verlangt noch viele Anstrengungen" Ein Bericht über die Europäische Konferenz zur Integration behinderter Menschen

erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 47.

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Stand: 12.07.2010

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