Autofachwerker

Neuer Ausbildungsberuf erhöht Wahlmöglichkeiten im Kfz-Bereich

Autor:innen - Tanja Lamp, Sven Tiemann
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 32-33. impulse (44/2007)
Copyright: © Tanja Lamp, Sven Tiemann 2007

Autofachwerker

Seit August 2005 gibt es durch die Initiative des EQUAL-Projektes im Institut für Erwachsenenbildung (IEB) einen neuen theoriegeminderten Ausbildungsberuf ‚KraftfahrzeugbearbeiterIn', der im Bezirk der Handwerkskammer Ostfriesland durch den Berufsbildungsausschuss 2005 vorerst als Modellversuch verabschiedet wurde. Dadurch erhöhen sich die Wahlmöglichkeiten für Jugendliche mit Behinderung im KFZ- Bereich. Ein Modell auch für andere Regionen?

Das Institut für Erwachsenenbildung (IEB), ein privater Bildungsträger, führt in Aurich seit zehn Jahren überaus erfolgreich berufliche Integrationsmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen durch. In der Zeit von 2002 - 2005 war das Institut für Erwachsenenbildung verantwortlich für die Durchführung eines Qualifizierungsprojektes für behinderte Jugendliche im Übergangsprozess Schule-Beruf. Die Entwicklungspartnerschaft (EP) "Keine Behinderungen trotz Behinderung" war im Rahmen der ersten Phase Gemeinschaftsinitiative EQUAL EU-gefördert und fand seine erweiterte Fortführung im Projekt "Talente - Entwicklung von Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten" von 07/2005 - 12/2007.

Ein Aspekt bzw. angestrebtes Ziel in dieser zweiten EQUAL-EP ist es, die betrieblich begleitete Ausbildung von behinderten Jugendlichen zu fördern, zu ermöglichen und durchzuführen. Zur gesellschaftlichen Integration von behinderten Jugendlichen ist eine dauerhafte berufliche Integration von besonderer Bedeutung. Junge Menschen mit Behinderungen können nur bei möglichst guter beruflicher Qualifikation den Wettbewerb im Arbeitsleben bestehen.

Die Berufsausbildung entspricht jedoch vielfach nicht den realen Arbeitsplatzanforderungen. Sie findet oft in getrennten Einrichtungen statt und ist zudem nicht auf komplexe Tätigkeiten ausgerichtet. Personen mit Behinderungen erhalten dadurch weniger oder unzureichende arbeitsmarkttaugliche Qualifikationen.

Seit August 2005 gibt es durch die Initiative des EQUAL-Projektes im IEB auch einen theoriegeminderten Ausbildungsberuf ‚KraftfahrzeugbearbeiterIn', der im Bezirk der Handwerkskammer Ostfriesland durch den Berufsbildungsausschuss 2005 vorerst als Modellversuch verabschiedet wurde. Ab dem aktuellen Ausbildungsjahrgang wird die Berufsbezeichnung "KraftfahrzeugbearbeiterIn" in "AutofachwerkerIn", eine in anderen Regionen bereits eingeführte Bezeichnung, geändert. Wir verwenden daher im Folgenden nur noch die Bezeichnung AutofachwerkerIn.

Theoriegeminderte Ausbildungsberufe, mitunter auch als "Helferberufe" oder "Benachteiligtenberufe" bezeichnet, sind dabei im Anspruchsniveau der Ausbildung reduziert bzw. anders ausgerichtet, um so die Ausbildungschancen für praktisch begabte Jugendliche zu erhöhen. Sie bieten zumeist für die betroffenen Jugendlichen die einzige Chance, zu einem Ausbildungsabschluss zu gelangen. Kritiker äußern die Besorgnis, dass hierdurch einem breiten Absenken der Ausbildungsqualität Vorschub geleistet wird. Diese Befürchtung ist unbegründet, da theoriegeminderte Ausbildungsberufe nur von Menschen mit Behinderung ergriffen werden können.

Rechtliche Grundlagen

Die Ausbildung in theoriegeminderter Form stützt sich auf den § 64 BBiG (Berufsbildungsgesetz) und § 42k HwO (Handwerksordnung). Demnach können Auszubildende mit Behinderungen in anerkannten Ausbildungsberufen auch abweichend von der Ausbildungsordnung oder in anderen als den anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden. Nach den besonderen Regelungen für die Ausbildung Jugendlicher mit Behinderungen gibt es derzeit etwa 204 Ausbildungsberufe. Je nach Kammerbezirk differiert hier jedoch die Zahl der tatsächlich anerkannten Ausbildungsberufe sehr stark. Im Raum Ostfriesland werden derzeit folgende Berufe für Jugendliche mit Förderbedarf angeboten:

  • Bau- und MetallmalerIn

  • Beikoch/Beiköchin

  • FachwerkerIn im Gartenbau

  • HelferIn im Gastgewerbe

  • HelferIn in der Hauswirtschaft

  • HolzbearbeiterIn

  • MetallbearbeiterIn

  • RecyclingwerkerIn

  • WerkzeugmaschinenspanerIn (Drehen und Fräsen)

  • AutofachwerkerIn

Eines der Ziele des Auricher EQUAL-Projektes ist es, weitere Ausbildungsberufe in den Kammerbezirken zu implementieren und hierdurch zusätzliche Wahlmöglichkeiten zu schaffen. In diesem komplexen Abstimmungsprozess übernehmen die ProjektmitarbeiterInnen die Funktion der Moderation:

Kooperation mit verschiedenen Akteuren

Akteur Betriebe

Um die Ausbildung ‚AutofachwerkerIn' auf den Weg zu bringen, wurden mehrer Kfz-Betriebe in der Region Ostfriesland angesprochen und über das Berufsbild des Autofachwerkers informiert. Viele Handwerksbetriebe zeigten großes Interesse an theoriegeminderten Ausbildungen und konnten sich eine Unterstützung des Projektes vorstellen. In einigen Betrieben befanden sich derzeit Langzeitpraktikanten, die von dem Betriebsinhaber als Auszubildende für die theoriegeminderte Ausbildung vorgeschlagen wurden.

Akteur Bildungsträger

Die regionale Vernetzung des EQUAL- Projektes mit anderen Bildungsträgern trug maßgebend zum Akquirieren von möglichen Auszubildenden im Kfz-Bereich bei. Jugendliche aus den regionalen Förderlehrgängen, die im Kfz- Bereich tätig werden wollten, wurden durch örtliche Bildungsträger dem Projekt zugeführt und konnten so in den Ausbildungsgang münden. Innerhalb der Ausbildung konnte die Kreisvolkshochschule Aurich für den Stützunterricht gewonnen werden.

Akteur Berufsbildende Schulen

Die Berufsbildenden Schulen sind der zweite wichtige Partner in der dualen Ausbildung ‚AutofachwerkerIn'. Um eine eigene Berufsschulklasse einzurichten, mussten im ersten Ausbildungsdurchlauf mindestens neun Schüler in die theoriegeminderte Ausbildung münden. Anhand des Rahmenlehrplanes aus Hildesheim gestalteten die Berufsbildenden Schulen in Aurich die Unterrichtsinhalte.

Akteur Handwerkskammer

Die Handwerkskammer für Ostfriesland, mit Sitz in Aurich, ist seit 2002 strategischer Partner der EQUAL-Gemeinschaftsinitiative (GI) "Keine Behinderung trotz Behinderung" sowie dem Nachfolgeprojekt "Talente". Eine außerordentlich gute und konstruktive Zusammenarbeit konnte durch die vorangegangene Mitarbeit unseres regionalen Netzwerkes "Übergang Schule und Beruf für Menschen mit Behinderungen" weiterentwickelt werden. Um die Ausbildung ‚AutofachwerkerIn' zu installieren, wurde ein Antrag beim Berufsbildungsausschuss der Handwerkskammer in Aurich gestellt. MitarbeiterInnen des EQUAL- Projektes und der Agentur für Arbeit begleiteten den Prozess der Handwerkskammer, um nähere Informationen zur regionalen Arbeitsmarktsituation und zum Ablauf der Ausbildung zu geben.

Akteur Agentur für Arbeit

Die Arbeitsagentur Emden, ebenfalls ein strategischer Partner der GI, ermittelte den regionalen Bedarf des Arbeitsmarktes. Die Recherche und Einschätzung der Arbeitsagentur ergab, dass das Berufsbild ‚AutofachwerkerIn' als eine weitere Möglichkeit der Integration für Menschen mit Behinderungen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt große Chancen eingeräumt wurde. Im weiteren Verlauf konnte die Arbeitsagentur den inhaltlichen Prozess mit allen Akteuren maßgeblich mitgestalten und unterstützen. Um den Betrieben einen Einstieg in den neuen Ausbildungsgang zu erleichtern, wurde ein Lohnkostenzuschuss seitens der Arbeitsagentur gezahlt.

Begleitete Ausbildung in Projektform

Der Ausbildungsgang ‚AutofachwerkerIn' wird seit dem 01.08.2005 als ein geschlossenes Projekt durchgeführt, um erste Erfahrungen zu sammeln und den Verlauf zu dokumentieren. Die beteiligten Akteure (gemeinsam mit der Gewerkschaft) bilden einen Steuerungskreis, der vom Institut für Erwachsenenbildung koordiniert wird. Der Kreis trifft sich zweimal jährlich, um alle Eckpunkte, Vorgehensweisen und einzelnen Abläufe abzustimmen.

Seit 2005 übernimmt das EQUAL-Projekt die Koordination sowie die sozialpädagogische Begleitung der Ausbildung. Die sozialpädagogische Fachkraft arbeitet engmaschig mit einem wöchentlichen Betriebsbesuch. Ebenfalls umfasst die sozialpädagogische Begleitung die gemeinsame Erarbeitung eines themen-bezogenen Berichtsheftes. Der Stützunterricht bietet neben der sozialpädagogischen Begleitung und der Schule eine dritte Gelegenheit, die theoretischen Inhalte zu erarbeiten.

Für das neue Ausbildungsjahr 2007 wurde eine behindertenspezifische Ausbildung nach § 102 SGB III in kooperativer Form ausgeschrieben. Damit ist eine intensive Förderung und Unterstützung für die Auszubildenden auch zukünftig gewährleistet. Im Anschluss an die Ausbildung wird eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt von der Arbeitsagentur als positiv eingeschätzt. Eine Verdrängung des Berufsbildes des Kfz- Mechatronikers wird nicht erwartet, da die AutofachwerkerInnen andere Tätigkeiten ausüben.

Die Ausbildungsvergütung für AutofachwerkerInnen orientiert sich an dem Tarif der Kfz-MechatronikerInnen bzw. im Rahmen einer behindertenspezifischen Ausbildung nach § 102 SGB III nach den gesetzlichen Bestimmungen. Innerhalb der Steuerungsgruppe ergeben sich durch solche Regelungen auch polarisierte Standpunkte, die weiterhin diskutiert werden.

Praxis-Beispiel: J.K., 20 Jahre alt

Nach dem Schulabschluss der Schule für Lernhilfe konnte J.K. mehrere Praktika über das EQUAL Projekt absolvieren. Nach einem 3 monatigen Praktikum im jetzigen Ausbildungsbetrieb, konnte die Ausbildung zum Kfz- Bearbeiter in der Kfz-Werkstatt Reinhard Kruse in Upgant-Schott beginnen.

Auszubildender: "Mein Berufswunsch war schon immer irgend etwas mit Autos zu machen. Ich bin deshalb froh, meine Ausbildung in einem Kfz-Betrieb machen zu können. Ich würde mir wünschen, noch etwas mehr als bisher an Reparaturen von Autos beteiligt zu werden, aber auch die Arbeit an Wohnmobilen macht mir Spaß."

Betriebsleiter:"Die Spezialisierung unseres Betriebs auf Verkauf, Service und Reparatur von Wohnwagen und Wohnmobilen hat sich für die Entwicklung unseres Betriebes positiv ausgewirkt. Unser Einzugsgebiet beträgt z. Z. fast 500 km. Als Ausbildungsbetrieb ist es uns wichtig, trotz der hohen Arbeitsbelastung den Jugendlichen aus der Region eine Ausbildung zu bieten, die eine Grundlage für ihre weitere berufliche Perspektive sein kann."

Foto von Jörg K.

Kontakt:

Institut für Erwachsenenbildung

EQUAL- Talente

Fritz- Reuter- Straße 21

26603 Aurich

Tanja Lamp, Fon: 04941 69829-66

Sven Tiemann, Fon: 04941 69829-12

Quelle

Tanja Lamp, Sven Tiemann: Autofachwerker. Neuer Ausbildungsberuf erhöht Wahlmöglichkeiten im Kfz-Bereich

erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 32-33.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 29.04.2009

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