TALENTE bei der Hamburger Arbeitsassistenz

Ein Projekt zur Förderung von jungen Frauen mit Lernschwierigkeiten im Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung

Autor:in - Andrea Klüssendorf
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 5-10. impulse (44/2007)
Copyright: © Andrea Klüssendorf 2007

TALENTE bei der Hamburger Arbeitsassistenz

Seit vielen Jahren unterstützt die Hamburger Arbeitsassistenz (HAA) als Integrationsfachdienst Menschen mit Lernschwierigkeiten[1] bei der beruflichen Integration in reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Im Rahmen dieser Arbeit zeigt sich deutlich, dass insbesondere junge Erwachsene im Übergang Schule - Beruf einen hohen Unterstützungsbedarf haben im Hinblick auf ihre berufliche Orientierung im Spektrum möglicher Arbeitsfelder im Bereich der Anlerntätigkeiten, die für sie auch wirklich realistische berufliche Perspektiven bieten.

Die HAA bietet diese Unterstützung und ermöglicht den TeilnehmerInnen in ihren berufsorientierenden und -qualifizierenden Maßnahmen über den Weg verschiedener Praktika erste berufliche Erfahrungen zu sammeln und sich in unterschiedlichen Branchen und Arbeitsbereichen zu erproben. Sie ist hier in hohem Maße erfolgreich: Ca. 65% der TeilnehmerInnen wechseln im Anschluss in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis.

Es zeigt sich aber, dass Frauen diese Angebote nicht in gleichem Maße nutzen, ihr Anteil liegt bei 40 %. Auf der anderen Seite weisen sie aber im Vergleich zu den Männern die besseren Übergangsquoten in Arbeit auf. Auffällig ist zudem, dass sich die jungen Frauen häufig weniger zutrauen und ihre Fühler oftmals nur in ihnen bekannten und auch gesellschaftlich zugeschriebenen Arbeitsfeldern ausstrecken, d.h. insbesondere im Bereich Hauswirtschaft und Gastronomie.

Die Benachteiligung von Frauen mit Behinderungen im Erwerbsleben ist in den vergangenen Jahren zunehmend wahrgenommen und diskutiert worden. Deutlich ist, dass Frauen mit Behinderung vor einer besonderen Herausforderung stehen, denn sie müssen gegen eine doppelte Diskriminierung ankämpfen: Behinderung und Geschlecht. Sie sind denn auch in der Regel schlechter qualifiziert als Männer mit Behinderungen, überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen und sind auch insgesamt in den Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation unterrepräsentiert.

Für Frauen mit Lernschwierigkeiten ist die berufliche Integration zusätzlich insofern besonders erschwert, als sie aufgrund geschlechtsspezifischer Zuschreibungen und Vorurteile ihren "Arbeitsplatz" häufig im familiären Umfeld oder häuslichen Betrieb finden oder - dies gilt für die Mehrzahl - im Anschluss an die Schule einer Werkstatt für behinderte Menschen zugewiesen werden[2].

Hintergrund dieser Benachteiligung sind auch die vielfältig wirksamen Mechanismen der vorberuflichen Sozialisation. So zeigt sich, dass der Prozess des Erwachsenwerdens und der Identitätsbildung für junge Frauen mit Lernschwierigkeiten oftmals besonders problematisch verläuft. Häufig sind in Familien mit behinderten Kindern starke beschützende Tendenzen vorhanden. Während Jungen eher zu Selbständigkeit erzogen werden und nach wie vor tradierte gesellschaftliche Bilder wirken, die Erwerbstätigkeit für junge Männer als bedeutsamer erachten als für junge Frauen, erleben junge Frauen mit Lernschwierigkeiten hier vielfach Begrenzungen und rollenspezifische Zuschreibungen, die sie denn auch häufig übernehmen. Sie verbinden Erwachsensein eher mit dem Ideal, Mutter zu werden und eine Familie zu gründen, was ihnen aber

  • und dies macht die besondere Problematik aus

  • wiederum aufgrund ihrer Behinderung von ihrem sozialen Umfeld nicht zugetraut und dementsprechend abgesprochen wird. In dieser für sie entscheidenden Lebensphase erhalten junge Frauen mit Behinderung also vielfältige negative Signale, die sie in ihrem Selbstbild verunsichern und die Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein erschweren.



[1] Die HAA verwendet in ihren Publikationen die Bezeichnung "Menschen mit Lernschwierigkeiten" für den Personenkreis der Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, weil dies der Begriff ist, den die Selbstvertretungsorganisationen bevorzugen (vgl. Projekt "Wir vertreten uns selbst" 1999).

[2] Vgl. Mixed Pickles: Behinderte Arbeit?!, 2000

Ziele

Das Projekt der Hamburger Arbeitsassistenz im Rahmen der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft "Talente" setzt deshalb genau an diesen besonderen Hürden an und will junge Frauen mit Lernschwierigkeiten in ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Selbstvertrauen stärken, sich den besonderen Herausforderungen beim Einstieg in das Erwerbsleben zu stellen.

"Talente"[3] zielt darauf ab, dass sich die Frauen zum einen intensiv mit der eigenen Person, ihren Vorlieben, Stärken und Fähigkeiten, ihrer aktuellen Lebenssituation, aber auch mit ihren Vorstellungen und Wünschen an die Zukunft auseinander setzen. Zum anderen geht es darum, den speziellen Bereich Arbeit und Beruf und die diesbezüglichen Erfahrungen zu reflektieren, neue Zielperspektiven zu entwickeln und dabei nicht zuletzt auch das Berufswahlspektrum zu erweitern. "Talente" will damit unter der Maxime von Empowerment einen Beitrag leisten, die Persönlichkeit der Frauen zu stärken, sie zu ermutigen, ihre Chancen und Möglichkeiten selbstbestimmter zu nutzen und ihre Beschäftigungschancen zu erhöhen.

Die Teilnehmerinnen werden in diesem Zusammenhang auch herausgefordert, sich mit der Rolle als Frau mit Behinderung in der Arbeitswelt auseinander zu setzen. Dabei zielt das Projekt aber auch darauf ab, das betriebliche Umfeld und insbesondere die zuständigen Professionellen bei der HAA mit einzubeziehen. So werden beispielsweise im Rahmen von Fortbildungen Möglichkeiten geschaffen, das eigene Geschlechterrollenverständnis zu hinterfragen. Darüber hinaus besteht hier die Chance, sich mit den spezifischen Rahmenbedingungen von Frauen mit Lernschwierigkeiten im Prozess beruflicher Integration auseinander zu setzen und diese Erkenntnisse in die konkrete Arbeit einfließen lassen.

Foto vom Talente-Projekt



[3] Wenn im Folgenden die Bezeichnung "Talente" oder Talente-Projekt verwendet wird, ist immer das Teilprojekt der Hamburger Arbeitsassistenz innerhalb der Equal Entwicklungspartnerschaft gemeint.

Konzept und Angebote

Mit diesem Ansatz ist "Talente" in erster Linie ein Projekt der Frauenförderung.

Bestimmend für die konkrete Projektarbeit ist dabei ein dualer Ansatz. Die jungen Frauen befinden sich zum einen alle in Maßnahmen der beruflichen Orientierung und Qualifizierung bei der HAA, die sie in Form von Praktika in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes absolvieren. Auf der Basis des Konzeptes von Unterstützter Beschäftigung werden sie dort von ArbeitsassistentInnen der Hamburger Arbeitsassistenz intensiv unterstützt und begleitet. Zum anderen erhalten sie im Talente-Projekt begleitend zu diesen betrieblichen Praktika und eng damit verknüpft Bildungsangebote zu unterschiedlichen Themenfeldern. Jeweils 10 Frauen nutzen diese Gruppenangebote gemeinsam über einen Zeitraum von mehreren Monaten, dann bildet sich eine neue Gruppe. In jeder Gruppe erarbeiten die Teamerinnen gemeinsam mit den Teilnehmerinnen, welche Schwerpunkte gesetzt und welche Aktivitäten geplant und durchgeführt werden.

Gruppentreffen

Angeleitet durch die Teamerinnen gibt es in den regelmäßig stattfindenden Gruppenveranstaltungen zunächst für die jungen Frauen einen Ort und einen Rahmen, um sich über ihre Erfahrungen im beruflichen Alltag auszutauschen. Sie reflektieren in diesen Gruppentreffen in strukturierter Form und mit unterstützender Moderation über ihre bisherigen Erfahrungen in unterschiedlichen Betrieben und Arbeitsbereichen. Dabei wird von den Teamerinnen ein Setting und eine Atmosphäre geschaffen, in dem sich die jungen Frauen offen mitteilen und auseinander setzen und auch eigene Unsicherheiten, Ängste und Vorbehalte thematisieren können. Sie treffen in diesen Gruppentreffen auf andere Teilnehmerinnen, die oftmals ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder vor vergleichbaren Herausforderungen stehen oder gestanden haben wie sie selbst und daher wichtige Gesprächspartnerinnen darstellen.

Ein wesentlicher Ansatz im Projekt ist somit das Konzept des Peer-counseling: die Frauen beraten und unterstützen sich gegenseitig. Hierfür müssen von den Teamerinnen immer erst Strukturen und Voraussetzungen geschaffen werden, die es den Teilnehmerinnen auch ermöglichen, eigene Erfahrungen so zu präsentieren, dass die anderen sie nachvollziehen können, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu reflektieren und auch Tipps und Hinweise so zu vermitteln, dass die anderen Teilnehmerinnen diese annehmen können und als Bereicherung empfinden. Denn erst dann profitieren die Teilnehmerinnen von diesem Austausch und den so sichtbar werdenden unterschiedlichen Erfahrungen.

Darüber hinaus werden für diese Gruppentreffen gezielt erfahrene Arbeitnehmerinnen mit Behinderung eingeladen, die von ihrem Weg der beruflichen Integration und ihren Erfahrungen, besonderen Hürden aber auch ihren Erfolgen berichten. Sie bieten den jungen Frauen eine Orientierung, nehmen eine Vorbildrolle ein und zeigen dabei auf, dass der Weg in Arbeit schwierig und oft auch von Umwegen und Stolpersteinen geprägt ist, aber mit geeigneter Unterstützung, Selbstvertrauen und der Bereitschaft zu lernen und etwas zu wagen auch zum Erfolg führen kann. Sie machen den Frauen so insbesondere Mut, sich diesen besonderen Herausforderungen in diesem Lebensabschnitt zu stellen.

Über den Austausch von Erfahrungen hinaus werden in den Gruppentreffen auch weitere Aktivitäten geplant und vorbereitet. Gemeinsam entstehen Ideen und Pläne, was die jungen Frauen im Rahmen des Projektes erkunden, erforschen und kennen lernen wollen. Auch hier spielt die Moderation der Teamerinnen eine zentrale Rolle.

Foto Gruppentreffen

"Expertinnen nutzen"

So werden im Talente-Projekt über die Frauen, die als Expertinnen in eigener Sache (s.o.) befragt werden, gezielt Expertinnen zu weiteren Themen aufgesucht und interviewt. Dabei ist die Methode "Expertinnen nutzen" als Querschnittsangebot zu betrachten.

So nutzen die Teilnehmerinnen Expertinnen beispielsweise im Hinblick auf das Thema "Männerberufe-Frauenberufe?". Sie reflektieren zunächst, welche Arbeitsbereiche ihnen bereits bekannt sind und welche es darüber hinaus noch gibt, welche als "typische" Frauen- und Männerberufe bezeichnet werden und hinterfragen diese Unterscheidungen und Zuschreibungen auch im Hinblick auf eigene Interessen. Sie besuchen dann Expertinnen, d.h. Frauen in sogenannten Männerberufen an ihren Arbeitsplätzen (z.B. eine Hausmeisterin, eine KFZ-Mechanikerin und eine Tischlerin). Diese führen dann in die jeweiligen Tätigkeiten ein und ermöglichen es den Teilnehmerinnen, sich auch einmal in diesen - in der Regel sehr fremden - Arbeiten zu erproben. Außerdem geben sie Auskunft über ihren Werdegang und ihre Berufswahl und die besonderen Herausforderungen, aber auch über die aus ihrer Sicht positiven Aspekte des jeweiligen Arbeitsbereiches.

Weitere Expertinnen, die von den Teilnehmerinnen genutzt werden, sind beispielsweise Frauen, die den Schritt aus der Wohngruppe in eine eigene Wohnung gemacht haben mit allen Herausforderungen, die dies mit sich bringt. Sie informieren über notwendige Voraussetzungen, Unterstützungsangebote und aus ihrer Sicht Vor- und Nachteile unterschiedlicher Wohnformen und regen so die Auseinandersetzung über dieses Thema an.

Da in einigen Gruppen das Thema "Kinderwunsch" sehr präsent ist, werden auch Frauen mit Lernschwierigkeiten besucht, die mit einem Kind in besonderen unterstützten Wohnformen leben, und dort sowohl die Mütter selber als auch die professionellen UnterstützerInnen interviewt.

Für die Teilnehmerinnen wird so deutlich, dass nicht nur die Fachleute und Professionelle, mit denen sie oft täglich konfrontiert sind, ExpertInnen darstellen. Vielmehr wird vermittelt, dass andere Kriterien einen Menschen zur ExpertIn machen. Je nach Fragestellung können sie selber als Expertin und Beraterin für andere fungieren. ExpertInnen können aber auch die beste Freundin, ein Familienmitglied oder eben auch die oben genannten Personen aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Kenntnisse in bestimmten Bereichen sein.

Den Teilnehmerinnen wird vermittelt, dass es nicht nur für sie als Frauen mit Behinderung, sondern für viele Menschen im Laufe ihres Lebens zutrifft, über wichtige Fragen und Themen nicht Bescheid zu wissen und Hilfe und Unterstützung zu benötigen. In diesen Fällen ist es dann wichtig, sich aktiv um Informationen zu bemühen und geeignete Informationsquellen zu nutzen. Im Talente-Projekt wird mit den Teilnehmerinnen deshalb eine bestimmte Vorgehensweise anhand bestimmter Leitfragen entwickelt und eingeübt, die sich auf viele andere Fragestellungen übertragen lässt:

- Was wissen wir selber schon zu diesem Thema?

- Was wollen wir darüber hinaus herausfinden?

- Wen könnten wir befragen?

- Wer wäre von den möglichen Personen geeignet?

- Was müssen wir tun, um diese Person anzusprechen?

- Wie genau formulieren wir unsere Fragen?

- Wer stellt die Fragen?

- Wie halten wir die Ergebnisse fest?

- Wie organisieren wir den Besuch?

Diese Vorgehensweise ermöglicht den Teilnehmerinnen, im Rahmen der Informationsbeschaffung gezielter und selbstbestimmter zu agieren.

Insbesondere die Fragestellung "Wer wäre von den möglichen Personen geeignet?" verweist darüber hinaus auf das Thema "Angemessene Unterstützung", das in diesem Zusammenhang ebenfalls mit den Teilnehmerinnen angesprochen wird. Sie werden ermutigt, sich über gute und angemessene Unterstützung (und dementsprechend auch gute und geeignete ExpertInnen) auszutauschen und Kriterien hierfür zu entwickeln. Darüber hinaus werden sie auch darin bestärkt, dieses auch in ihrem Alltag einzufordern.

Forschungsprojekte zur Erkundung von Betrieben

Ein vergleichbarer Ansatz wird in den Angeboten zur Erkundung von Betrieben und bestimmten Arbeitsbereichen praktiziert. Um den Horizont der jungen Frauen und ihr Berufswahlspektrum zu erweitern, werden in den Gruppentreffen gezielt Betriebserkundungen geplant und vorbereitet. Ein Schwerpunkt des Projektes liegt darin, den jungen Frauen die Möglichkeit zu bieten, Berufs- und Arbeitsfelder zu erkunden, ohne sich jedoch gleich durch längerfristige Praktika daran zu binden.

Foto Betriebserkundungen

Hier ist das Ziel, dass sie sich geleitet durch ihre Interessen auch Arbeitsfelder erforschen, in die sie bisher keine Einblicke hatten oder die sie sich auch im Hinblick auf eigene berufliche Perspektiven nicht zugetraut hätten.

So finden sie zunächst im Rahmen von Forschungstagen heraus, welche Arbeitsfelder es in verschiedenen Bereichen gibt. So hat z. B. hat eine Gruppe von Frauen ein großes Einkaufszentrum in Hamburg erkundet. Sie haben MitarbeiterInnen in unterschiedlichen Einzelhandelsgeschäften und auch Einrichtungen im Bereich Dienstleistung interviewt. Beim Besuch des Center-Managements haben sie erfahren, welche Arbeitsbereiche "hinter den Kulissen" darüber hinaus existieren, wie beispielsweise die Gebäudereinigung, den Sicherheitsdienst, die Warenannahme und die Haustechnik und welche Anforderungen dort gestellt werden.

In einem umfassenderen Forschungsprojekt erkunden die Teilnehmerinnen dann Betriebe, bestimmte Arbeitsbereiche, die dort relevanten Tätigkeiten und Anforderungen. Diese Forschungsprojekte beinhalten folgende Elemente:

  1. Hypothesen bilden:

Anknüpfend an den bisherigen Erfahrungshintergrund und Wissensstand formulieren. Die Teilnehmerinnen Hypothesen hinsichtlich bestimmter Arbeitsbereiche, deren Aufgaben und Anforderungen. Fragestellung: Welche Aufgaben könnte es in diesem Arbeitsbereich geben und was muss man wohl dafür können oder lernen?

  1. Informationen einholen:

Im Rahmen von Betriebserkundungen und Interviews mit Vorgesetzten und auch mit unterstützten ArbeitnehmerInnen mit Behinderung werden Informationen über die jeweiligen Arbeitsbereiche eingeholt. Dies geschieht anhand von strukturierten Fragebögen, die die Ergebnisse dokumentieren. Darüber hinaus werden Fotos für die Ergebnissicherung erstellt.

  1. Hypothesen überprüfen:

Die zuvor formulierten Hypothesen werden nun anhand der eingeholten Informationen überprüft und neue Ergebnisse formuliert. So erarbeiten sich die Teilnehmerinnen Arbeitsplatzprofile aus unterschiedlichen Branchen und Arbeitsbereichen.

  1. Persönliche Bewertung vornehmen:

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden im Hinblick auf die eigene berufliche Orientierung und Qualifizierung beleuchtet. Es werden Schlüsse aus den neuen Erkenntnissen für die eigene weitere Planung gezogen, indem eigene Stärken, Fähigkeiten und Interessen abgeglichen werden mit den jeweils ermittelten Tätigkeiten und Anforderungen.

Gerade für junge Frauen mit Lernschwierigkeiten sind Betriebserkundungen ein gut geeignetes niedrigschwelliges Angebot, auch einmal in eher männlich dominierte Arbeitsbereiche hineinzuschnuppern, die möglicherweise als faszinierend, aber für die eigene berufliche Planung bisher als nicht relevant wahrgenommen wurden.

Idealerweise können die Teilnehmerinnen so neue Ideen über für sie vorstellbare Arbeitsbereiche entwickeln, die sie dann in einem Praktikum im Rahmen ihrer beruflichen Orientierung mit Unterstützung ihrer ArbeitsassistentInnen ausprobieren und vertiefen können. Darüber hinaus bekommen sie Anregungen, worauf sie bei der Auswahl ihres nächsten Praktikumsplatzes achten und wie sie ihre Interessen und Fähigkeiten dabei berücksichtigen können und sollten.

Workshop "Ein Bild von mir"

Dieser Workshop, der unter der Maxime steht: "Wenn ich wissen will, was ich werden will, muss ich erst mal wissen, wer ich bin!" stellt ein zentrales Element im Talente-Projekt dar. Hier setzen sich die Teilnehmerinnen drei Tage lang intensiv mit den vielfältigen Aspekten auseinandersetzen, die sie als Person ausmachen:

  • "Wie ich lebe und was ich mitbringe": Hier betrachtet jede Teilnehmerin für sich genauer, worauf sie bereits aufbauen kann, was sie schon erreicht hat und worauf sie stolz ist. Dies kann beispielsweise die erste Reise ohne Eltern, ein Schwimmabzeichen, ein Schulabschluss, Erfolge im Rahmen der betrieblichen Praktika, das erste selbst verdiente Geld oder der Auszug in eine Wohngruppe oder die eigene Wohnung sein. Außerdem wird die aktuelle Lebenssituation mit den Themen Wohnen, Freizeit und Freunden bewusst gemacht und festgehalten.

  • "Was in mir steckt": Hier setzen sich die Teilnehmerinnen im Rahmen von Selbst- und Fremdeinschätzung mit ihren eigenen Fähigkeiten und Stärken auseinander und dokumentieren die Ergebnisse. Dies stärkt ihr Selbstbewusstsein und macht Mut, wenn so deutlich wird, welche Stärken und Potentiale bereits vorhanden sind. In einem weiteren Schritt wird darüber hinaus erarbeitet, an welchen Punkten die Frauen sich noch weiter entwickeln wollen und was sie noch lernen möchten.

  • "Wovon ich träume": Jetzt wird den Frauen die Möglichkeit geboten, sich mit ihren Ideen, Wünschen und Träumen für ihre Zukunft zu beschäftigen. Hier werden Wünsche und Träume formuliert, die in weiter Ferne liegen können aber auch Ziele, die demnächst in Angriff genommen werden sollen oder sich schon konkret in der Umsetzung befinden. Den Gedanken freien Lauf zu lassen und einmal unabhängig von den Realitäten und Begrenzungen des Alltags seinen Phantasien und Visionen nach zu gehen, gibt Kraft sich neuen Herausforderungen zu stellen.

  • "Was mich stark macht": Nun wird der Blick darauf gerichtet, wie besondere Herausforderungen und schwierige Zeiten bewältigt werden können, die die Frauen in unterschiedler Form schon erlebt haben. Die Frauen sammeln und dokumentieren Ideen und Tipps, die ihnen weiterhelfen, wenn sie mit besonderen Schwierigkeiten und Tiefpunkten in ihrem Leben konfrontiert sind. Sie erarbeiten, was für sie hilfreich ist und was sie tun können, um nicht handlungsunfähig zu werden und zu resignieren, sondern um ihren Mut und ihre Tatkraft zu aktivieren.

Foto "Ein Bild von mir"

Im Verlauf dieses Workshops entsteht so für jede Frau ein ganz individuelles Bild ihrer selbst. Dieses Bild in Form eines großen Plakates mit ihrem Körperumriss enthält dann alle Aspekte, die zu den verschiedenen Themenfeldern erarbeitet wurden. Die Methode zur Erstellung eines individuellen Umrissbildes wurde bei der Hamburger Arbeitsassistenz bereits im Projekt "bEO - berufliche Erfahrung und Orientierung"[4] entwickelt und veröffentlicht. Diese Methode basiert auf wesentlichen Ideen und Ansätzen aus dem Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung, die noch einmal im Talente-Projekt weiter entwickelt und um weitere Themen, Methoden und Materialien ergänzt wurden.

Diese Form der Dokumentation hat für die Frauen im Talente-Projekt einen hohen Stellenwert. Sie hilft ihnen, diese positiven Aspekte ihrer Person zu reflektieren, nicht aus den Augen zu verlieren und die Ergebnisse auch gegenüber Dritten zu präsentieren. So bietet dies auch einen Ansatzpunkt für die ArbeitsassistentInnen, das Fähigkeitsprofil der Teilnehmerinnen weiterzuentwickeln und die erarbeiteten Aspekte bei der Auswahl von Praktikumsplätzen und der Berufswegeplanung zu berücksichtigen.



[4] Hamburger Arbeitsassistenz: bEO- berufliche Erfahrung und Orientierung. 2007

Persönliche Zukunftsplanungskonferenzen

Aufbauend auf dem Workshop "Ein Bild von mir" und als spezielles Vertiefungsangebot werden im Talente-Projekt einzelnen Teilnehmerinnen Persönliche Zukunftsplanungskonferenzen[5] angeboten. Hierzu wird ein sogenannter "Unterstützerkreis" (Eltern, Freunde, ArbeitsassistentInnen u. a.) eingeladen, im Rahmen eines oder mehrerer Treffen gemeinsam über die Zukunft der jeweiligen Person, die im Mittelpunkt steht, nachzudenken.

Persönliche Zukunftsplanungskonferenzen sollen helfen, Veränderungs- und Entscheidungsprozesse zum Beispiel im Hinblick auf die Themen Arbeit, Wohnen, Freizeit zu unterstützen, Ziele zu formulieren und Strategien für deren Umsetzung zu finden.

Im Talente-Projekt wird diese Methode dann eingesetzt, wenn es notwendig erscheint, das Thema Arbeit und berufliche Perspektiven im Kontext einer umfassenden Lebensplanung zu betrachten und dabei auch andere Perspektiven als die der professionellen UnterstützerInnen mit ein zu beziehen. Ein weiterer Anlass kann sein, dass für eine Teilnehmerin eine große Herausforderung in der Vermittlung durch besondere Vermittlungshemmnisse besteht und im fortgeschrittenen Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung alle Ideen ausgeschöpft erscheinen. In diesem Fall bedarf es zunächst einer strukturierten Bestandsaufnahme und dann neuer Impulse und Anregungen auf der Suche nach möglichen Optionen unter Einbeziehung des persönlichen Umfeldes. Im Talente-Projekt werden diese Konferenzen von versierten und erfahrenen Moderatorinnen geleitet und alle Ergebnisse umfassend dokumentiert. Eine ausführliche Darstellung von zwei Zukunftsplanungskonferenzen gibt Carolin Emrich in dem Artikel "Es kitzelt in meinen Gedanken" in dieser Impulse-Ausgabe.

Foto Persönliche Zukunftsplanungskonferenz



[5] Doose, S.: "I want my dream!", Persönliche Zukunftsplanung, 2000

Kontakt: Hamburger Arbeitsassistenz "Talente" Schulterblatt 36 20357 Hamburg talente@hamburger-arbeitsassistenz.de www.hamburger-arbeitsassistenz.de

Präsentationen

Die Projektphase endet mit einer Abschlussveranstaltung. Hier präsentieren die Teilnehmerinnen ihren Arbeitsassistentinnen und anderen Interessierten die Arbeitsergebnisse. Mit Unterstützung der Teamerinnen erstellen sie Power-Point-Präsentationen und erarbeiten gemeinsam ihre Texte und Kommentare zu den unterschiedlichen Aktivitäten im Projektverlauf. Auf der Veranstaltung werden dann ebenfalls die persönlichen Umrissbilder des Workshops "Ein Bild von mir" sowie Fotomaterial und die Arbeitsergebnisse aus den Forschungsprojekten ausgestellt. Diese Präsentation spielt für die Teilnehmerinnen eine große Rolle, denn sie blicken jetzt mit Stolz zurück auf vielfältige neue Erfahrungen und neue Erkenntnisse, die sie jetzt auch anderen für sie wichtigen Ansprechpersonen und UnterstützerInnen vermitteln möchten.

Die Methodik und die Materialien

Im Projektverlauf kommen eine Vielzahl von Angeboten und Methoden zum Einsatz, die sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Zielgruppe orientieren. Dies sind beispielsweise moderierte Gruppengespräche, Arbeit in Kleingruppen aber auch Partner- und Einzelarbeit. Weiterhin werden Rollenspiele eingesetzt, in denen beispielsweise Alltagssituationen der Frauen aus den Praktika aufgegriffen, bearbeitet und reflektiert werden. Darüber hinaus werden gezielt Übungen aus der Körperarbeit

zur Entspannung und Bewegung angeboten, um ein Lernen mit allen Sinnen zu ermöglichen. Grundsätzlich wird im Projekt großen Wert darauf gelegt, eine wertschätzende, vertrauensvolle und entspannte Atmosphäre zu schaffen, die allen Teilnehmerinnen Möglichkeiten bietet, sich zu öffnen. Dabei werden die Frauen ermutigt, sich einzubringen und sich auszuprobieren, aber keine wird gezwungen, sich an den Aktivitäten zu beteiligen. Die Erfahrungen zeigen, dass sich aber auch anfangs sehr zurückhaltende Frauen im Prozess nach und nach mehr zutrauen, je sicherer sie sich in der Gruppe fühlen und je deutlicher für sie wird, dass ihre Interessen maßgeblichen Einfluss darauf haben, welche Aktivitäten und Vorhaben geplant und umgesetzt werden.

Eine enge Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Austausch zwischen den Projektmitarbeiterinnen, die die begleitenden Bildungsangebote durchführen und denjenigen, die die Teilnehmerinnen jeweils in den betrieblichen Praktika begleiten und unterstützen (den ArbeitsassistentInnen), stellt sicher, dass beide Angebote eng aufeinander abgestimmt werden. So ist gewährleistet, dass zum einen die Erfahrungen aus den Bildungsangeboten in den betrieblichen Alltag der Teilnehmerinnen einfließen. Zum anderen erfahren die Projektmitarbeiterinnen, was am Praktikumsplatz und im beruflichen Alltag der jeweiligen Teilnehmerin gerade aktuell ist und können in den Angeboten darauf reagieren.

Die Erfahrungen zeigen, dass viele der Teilnehmerinnen im Projektverlauf sichtbar selbstbewusster werden, sie profitieren vom Austausch und den neuen Erfahrungen und können die Impulse und Anregungen für ihren individuellen Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung sehr gut nutzen.

Im Projektverlauf wird ebenfalls eine Vielzahl neuer Arbeitsmaterialien erstellt. Diese sind umfassend und ansprechend illustriert, so dass sie auch für Frauen, die nur über eingeschränkte Schriftsprachkenntnisse verfügen, zu bearbeiten sind. Dabei handelt es sich um Arbeitsblätter, die von den Teilnehmerinnen in Einzel- oder Partnerarbeit bearbeitet werden oder auch um vielfältige Karten zu unterschiedlichen Themenbereichen. Die entwickelten Materialien und Methoden sind überwiegend auch für die pädagogische Arbeit mit Männern mit Lernschwierigkeiten nutzbar und hilfreich, müssten aber bei bestimmten Themenfeldern angepasst werden.

Darüber hinaus wird im Talente-Projekt eine DVD erstellt, in der einige der wesentlichen Arbeitsbereiche vorgestellt werden, die realistische berufliche Perspektiven für Menschen mit Lernschwierigkeiten darstellen (TankstellenhelferIn, KüchenhelferIn, LagerhelferIn u.a.). Unterstützte ArbeitnehmerInnen, die in diesen Bereichen mithilfe der Hamburger Arbeitsassistenz ihren Arbeitsplatz gefunden haben, geben Auskunft über die Tätigkeiten und die wesentlichen Anforderungen, die dort an sie gestellt werden.

Nachhaltigkeit

Im Rahmen des Talente-Projektes wird auch daran gearbeitet, die Angebote der Hamburger Arbeitsassistenz auf ihre Zugänglichkeit für Frauen zu überprüfen und im Hinblick auf deren spezielle Bedürfnisse weiter zu entwickeln. Dies hat bereits Einfluss auf die Öffentlichkeitsarbeit und beispielsweise die Informationsmaterialien der Hamburger Arbeitsassistenz gehabt.

Darüber hinaus werden die neu entwickelten Methoden und Materialien in der alltäglichen Arbeit des Fachdienstes Anwendung finden. Insbesondere die Leitideen der Persönlichen Zukunftsplanung und des Peer-counseling sollen weiter etabliert und breiter verankert werden. So werden die Workshops "Ein Bild von mir" zukünftig regelmäßig angeboten und können von TeilnehmerInnen der unterschiedlichen Maßnahmen bei der Hamburger Arbeitsassistenz genutzt werden. Die Systematik und Methode, die in den Forschungsprojekten zur Erkundung von Betrieben entwickelt wurde, wird ebenfalls in Zukunft mehrmals im Jahr in Betriebserkundungen mit TeilnehmerInnen in unterschiedlichen Branchen und Arbeitsbereichen umgesetzt. Zukünftig werden diese Aktivitäten geschlechtübergreifend angeboten, es werden aber auch weiterhin spezifische Angebote für Frauen durchgeführt werden.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass das Talente-Projekt einen Beitrag zur Sensibilisierung für die speziellen Problemlagen von jungen Frauen mit Lernschwierigkeiten geleistet hat. Das Projekt wurde im Rahmen der nationalen und auch der transnationalen Partnerschaft Equal und darüber hinaus auf verschiedenen Veranstaltungen und Tagungen präsentiert. So wird auch gewährleistet, dass die Projekterfahrungen und -ergebnisse in die Bestrebungen und auch die konkreten Angebote anderer Institutionen im Feld der beruflichen Integration Eingang finden können.

Zum Ende der Projektlaufzeit Ende 2007 werden die theoretischen Grundlagen und Leitideen, eine Projektbeschreibung und ebenfalls alle Methoden und Materialien veröffentlicht, die im Talente-Projekt entwickelt und erprobt wurden. Damit werden Professionellen konkrete Arbeitshilfen an die Hand gegeben, um vielfältige Themen zur Unterstützung beruflicher Orientierungs- und Qualifizierungsprozesse von jungen Menschen mit Lernschwierigkeiten praxisorientiert und ansprechend zu gestalten.

Foto Gruppentreffen

Kontakt:

Hamburger Arbeitsassistenz "Talente"

Schulterblatt 36

20357 Hamburg

talente@hamburger-arbeitsassistenz.de

www.hamburger-arbeitsassistenz.de

Quelle:

Andrea Klüssendorf: TALENTE bei der Hamburger Arbeitsassistenz. Ein Projekt zur Förderung von jungen Frauen mit Lernschwierigkeiten im Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung

erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 5-10.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.03.2009

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