InDiPro - Budgetberatung für Menschen mit geistiger Behinderung

in den Modellregionen Groß-Gerau und Marburg-Biedenkopf

Autor:in - Thomas Bauer
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 52-53. impulse (44/2007)
Copyright: © Thomas Bauer 2007

InDiPro - Budgetberatung für Menschen mit geistiger Behinderung

Seit November 2005 arbeitet das Team InDiPro als Budgetberatung für Menschen mit geistiger Behinderung. InDiPro arbeitet dabei eng mit den hessischen Modellregionen des Bundesmodellprojekts "Trägerübergreifendes Persönliches Budget" zusammen. Der Auftrag InDiPros besteht darin, Interessierte über das Persönliche Budget zu informieren und bei der Antragstellung und der Umsetzung des gewährten Persönlichen Budgets behilflich zu sein. InDiPro wird bis Oktober 2008 über ein Projekt der AKTION MENSCH finanziert.

In diesem Beitrag soll auf die bisherigen Erfahrungen InDiPros in Bezug auf die Begleitung von Menschen mit einer geistigen Behinderung im Kontext des Persönlichen Budgets eingegangen werden.

Information

Am Anfang des Modellprojekts standen die Landkreise vor der Aufgabe, auf die neue Leistungsform aufmerksam zu machen und zukünftige BudgetnehmerInnen zu werben. Für den Personenkreis der Menschen mit einer geistigen Behinderung übernimmt InDiPro größtenteils die Informationsverbreitung. Dies geschieht durch direkten Kontakt zu betroffenen Personen, sowie MitarbeiterInnen von Einrichtungen der Behindertenhilfe und Gesetzlichen BetreuerInnen. Des Weiteren liegt der Infobroschüre der Landkreise eine Kontaktkarte bei, die über das Zusatzangebot informiert.

Im Zuge der Veranstaltungen wird deutlich, dass ein deutliches Informationsdefizit bei den angesprochenen Personengruppen in Bezug auf das Persönliche Budget herrscht. Neben Falschinformationen grassieren auch widersprüchliche Gerüchte rund um das Thema, z.B. wurde gegenüber Eltern geäußert, dass das Persönliche Budget, einmal beantragt, ein Leben lang festgelegt sei. Zentrale Beobachtung bei den Informationsveranstaltungen ist zudem, dass die betroffenen Personen und deren Angehörige nur unzureichend über ihre rechtlichen Ansprüche informiert sind. Erst durch die Veranstaltungen wird vielen Anwesenden bewusst, welche Rechte sie haben. Weiter wird deutlich, dass das bestehende Angebot an Hilfeleistungen (z.B. Betreutes Wohnen; Freizeitmöglichkeiten) ebenfalls unzureichend bekannt ist. Die Kostenträger, die sich auch als Ansprechpartner anbieten, werden von den betroffenen Personen nach unserer Erfahrung nicht kontaktiert. Die Träger von Diensten beschränken sich meist auf den eigenen "Leistungskatalog". Daraus folgt, dass die Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts nach SGB IX schon daran scheitert, dass kein Informationsfluss herrscht.

Das oben angeführte Thema "Kennen der rechtlichen Ansprüche" spiegelt sich auch in den individuellen Beratungsgesprächen zum Antrag auf ein Persönliches Budget wider. Hier gilt es vor allem, den Personen die Grundlagen ihrer Ansprüche klar zu machen. Bisher sind in den hessischen Modellregionen fast alle Anträge auf ein Budget gleichzeitig Neuanträge auf Leistungen.

Bedarfsfeststellung im Vorfeld des Assessments

Nachdem die Person einen Antrag auf ein Persönliches Budget gestellt hat, bietet InDiPro ein gemeinsames Treffen an, um über die aktuellen Bedarfe zu besprechen und wie deren Deckung mit dem Budget aussehen soll. Dies geschieht meist in einem offenen Interview, in dem die Person ihre Wünsche und Vorstellungen äußert und erklärt. Meistens agieren Angehörige oder Gesetzliche BetreuerInnen als Unterstützer, die die Ausführungen des/der AntragstellerIn ergänzen. Die meisten Personen mit einer geistigen Behinderung sind spontan nicht in der Lage, ihre Bedarfe explizit zu äußern und bedürfen einer adäquaten Interviewleitung, um diese zu eruieren. Die Erfahrungen zeigen aber, dass die AntragstellerInnen nur das "Nötigste" nennen und beantragen. Im Kontext dieser Beratungsgespräche wird deutlich, wie wichtig eine Instanz ist, die mit Erfahrungen im Themenbereich berät und begleitet.

Das Gespräch wird schließlich protokolliert und nach Rücksprache mit dem/der AntragstellerIn an den jeweiligen Kostenträger gesandt. Das Protokoll des Gesprächs dient als Vorbereitung des Assessmentgesprächs und soll zudem das Treffen "verkürzen".

Wie uns durch unsere Tätigkeit außerhalb der Modellregion deutlich wird, passiert es immer wieder, dass sich der/die AntragstellerIn und der Kostenträger im Assessment nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen - häufig herrscht mangelnde Transparenz in Bezug auf die Kostengestaltung, was unter Umständen dazu führen kann, dass die Betroffenen mit dem zur Verfügung gestellten Geldbetrag ihre Bedarfe nicht adäquat decken können.

Innerhalb der Modellregion Marburg spiegelt sich dies jedoch nicht wider. Auch aus dem Erfahrungsaustausch mit anderen Beratungsinitiativen wird deutlich, wie schnell ein Assessment nur durch das Thema Kosten dominiert wird. Um dem entgegen zu wirken, bedarf es einer geeigneten neutralen Anlaufstelle für die AntragstellerInnen, die gleichzeitig auch Begleiter im Assessment sein kann.

Budgetassistenz (Verwaltung des Budgets) / Case-Management (Organisation der Hilfen)

Bisher zeigt sich, dass die Notwendigkeit von Budgetassistenz, bezogen auf die Verwendung des Budgets, von der Form der beantragten Leistungen abhängig ist. In dem Bereich "Freizeit" beschränkt sich der Kontakt nach Eingang des Budgets auf formale Inhalte, wie die Anstellung der Assistenten. Entsprechend steigt der Aufwand für die Lebensbereiche "Wohnen" und "Arbeit". Hier gilt es den Erfahrungsschatz auszuweiten, um die Tätigkeitsfelder "Case-Management" und "Budgetassistenz" deutlich abzugrenzen.

Für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung treten oft die Eltern bzw. Gesetzlichen BetreuerInnen ein. Dieses Vorgehen entfacht immer wieder die Diskussion um Selbstbestimmung und Abhängigkeit von den Eltern. Bisher konnten wir keine dem Zweck der Selbstbestimmung widerstrebende Anzeichen in der Verwendung des Budgets erkennen.

Aus der bisherigen Arbeit wird deutlich, dass Budgetberatung ein unerlässliches Instrument des Persönlichen Budgets ist. Das viel diskutierte Bild des Menschen mit Behinderung als Kunden bedarf der Unterstützung durch Berater, die nur den Menschen und seine Lebenssituation betrachten. Weiter zeigt sich anhand der Zahlen der Modellregion Marburg-Biedenkopf, dass eine aktive Budgetberatung eine deutlich höhere Inanspruchnahme zur Folge hat. Hier werden 56% der Budgets von Menschen mit einer geistigen Behinderung in Anspruch genommen, während es im bundesweiten Vergleich 25,5% (Stand: 01.2007) sind.

Es bleibt die Grundaussage: Nur durch Budgetberatung kann das Persönliche Budget zu einer ernsten Alternative für Menschen mit Behinderung reifen, ohne dass diese Einschränkungen in der Deckung ihrer Hilfebedarfe erleben.

Kontakt

Deutsch-Israelischer Verein für Rehabilitation Gießen e.V.

Vorsitzende: Maren Müller-Erichsen

Projekt Indipro: Thomas Bauer, Regina Eccher, Andrea Pahlich

Heegstrauchweg 68, 35394 Gießen

Fon / Fax 0641 - 966 25 110

eMail: dipro@deutsch-israelischer-verein.de

Internet: www.projekt-indipro.de

InDiPro ist ein Modellvorhaben des Deutsch-Israelischen-Vereins für Rehabilitation und soziale Eingliederung Gießen e.V. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung finanziert.

Teilnehmen können hundert Menschen im Raum Mittelhessen im Alter von 15 bis 35 Jahren, die in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen leben oder arbeiten bzw. noch die Schule besuchen.

InDiPro will die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gemeinschaft aktiv unterstützen.

InDiPro fragt danach, in welchen Lebensbereichen die Projektteilnehmer und Projektteilnehmerinnen den Wunsch und das Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmung und Selbstständigkeit haben.

Durch persönliche Unterstützung wird in Individuellen Programmen auf Ziele hin gearbeitet, für die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entschieden haben (z. B. selbständig essen, Bus fahren, einkaufen o. ä.).

Vorbild für das Projekt InDiPro ist die interdisziplinäre Diagnose und das Individuelle Programm für Menschen mit geistiger Behinderung in Israel.

Quelle:

Thomas Bauer: InDiPro - Budgetberatung für Menschen mit geistiger Behinderung in den Modellregionen Groß-Gerau und Marburg-Biedenkopf

erschienen in: impulse, Nr. 44/2007, Seite 52-53.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 18.01.2010

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