Integrationsassistenz

Ein erfolgreiches Modell in Brandenburg

Themenbereiche: Arbeitswelt
Schlagwörter: Projekt, Arbeitsassistenz
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 40, April 2006, Seite 27 - 31 impulse (40/2006)
Copyright: © Christine Giga, Frank Hühner 2006

Integrationsassistenz

Das "Netzwerk für Integrationsassistenz in Brandenburg" (NIAB) ist ein Projekt, das ambulante Unterstützung für Menschen mit Behinderung und besonderem Unterstützungsbedarf in der Region Ostbrandenburg anbietet, vorbereitet und umsetzt. NIAB wurde von "Aktion Mensch" als Modellprojekt im Zeitraum Sommer 2004 bis Sommer 2006 gefördert. Der Projektträger, die Gesellschaft für Integration, Sozialforschung und Betriebspädagogik gGmbH (ISB gGmbH), ist im Arbeitsagenturbereich Frankfurt (Oder) als Träger eines Integrationsfachdienstes (IFD) Vermittlung und mit weiteren Projekten zur Integration von Menschen mit Behinderung tätig und bemüht sich derzeit um die Verstetigung der Angebots von NIAB.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben verdeutlicht, dass Menschen mit Behinderung und besonderem Unterstützungsbedarf eine intensive Unterstützung und Begleitung bei der Integration in den Arbeitsmarkt benötigen, die mit den herkömmlichen Angeboten der Arbeitsvermittlung nur unzureichend realisiert werden kann. Erkenntnisse, die während der Bundesmodellphase der IFD gesammelt wurden, zeigen, dass Menschen mit Lernbehinderung bzw. geistiger Behinderung in den 1. Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, wenn sie, z.B. durch Job Coaching, individuell am Arbeitsplatz unterstützt werden.[1] Zwar lagen im Arbeitsagenturbezirk Frankfurt (Oder) vielfältige Erfahrungen bei der Vermittlung von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf vor, zur Realisierung individueller Begleitung und Job Coaching fehlten allerdings entsprechend qualifizierte MitarbeiterInnen, um diese Angebote in der Praxis umzusetzen. Des Weiteren bestanden bei den Kostenträgern in der Region wenig bzw. keine Erfahrung mit dieser Form von Unterstützungsangeboten. Vor diesem Hintergrund entwickelte die ISB gGmbH das hier vorgestellte Modellprojekt, mit dem im Kern zwei Ziele verfolgt wurden: Es sollten IntegrationsassistentInnen qualifiziert werden, um über einen Pool an qualifizierten MitarbeiterInnen zu verfügen, die Klienten bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Dabei orientierte sich der Träger am Ansatz der "Unterstützten Beschäftigung". Die Erfahrungen der Hamburger Arbeitsassistenz und aus dem Job Coach Modell, wie es im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Integrationsamt) umgesetzt wird, bildeten dabei eine zusätzliche Vergleichsfolie für die Projektumsetzung in Ostbrandenburg. Sowohl die Hamburger Arbeitsassistenz, als auch das Integrationsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe waren insbesondere bei der Qualifizierung der IntegrationsassistentInnen einbezogen und wichtige Partner während der Projektumsetzung.

Zum Ende des zweijährigen Modellprojekts kann in einem ersten Resümee festgehalten werden, dass der Projektansatz erfolgreich in der Region umgesetzt werden konnte. Ein inzwischen stabiles Team von 10 IntegrationsassistentInnen, mit unterschiedlichsten Berufserfahrungen (u.a. Diplom - Sozialpädagoginnen, Ingenieur für EDV, Kfz-Technik; Gartenbau, Finanzökonomin, Ergotherapeut, Köchin und Bürokauffrau) wurde in die Lage versetzt Menschen mit Behinderung bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Durch Weiterbildungen in verschiedenen Themenbereichen wie z.B. "Das System der beruflichen Rehabilitation", "Behinderungsarten und ihre Auswirkungen", "Arbeitsdiagnostik", "Kommunikation", "Gesprächsführung", "Arbeitgeberberatung", "Konfliktbearbeitung", "Lernen und Lernzugänge", "Job Coaching" sowie "Dokumentation" wurden sie umfassend qualifiziert und für den Einsatz in der Praxis vorbereitet. Das Besondere bei der Qualifizierung der IntegrationsassistentInnen war, die enge Verbindung von Theorie und Praxis, d.h. das erworbenes Wissen in der Praxis umgesetzt und Praxiserfahrungen reflektiert wurden. Orientieren konnten sich die IntegrationsassistentInnen hierbei an den Erfahrungen der KollegInnen der Hamburger Arbeitsassistenz und denen der Arbeitstrainer in Westfalen-Lippe. Zum einen hospitierten IntegrationsassistentInnen dort, zum anderen unterstützten die KollegInnen die Qualifizierung der IntegrationsassistentInnen. Durch regelmäßige Teamsitzungen bestand die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs der IntegrationsassistentInnen (Gruppenreflexion), so dass diese die Möglichkeit erhielten ihre Einsatzerfahrungen, die immer individuell gesammelt werden, mit KollegInnen zu reflektieren und von den Erfahrungen der anderen zu profitieren. Im Weiteren wurden in Einzelfall-Supervisionen konkrete Probleme der Praxis bearbeitet und Lösungswege entwickelt.



[1] Nach Abschluss der Modellphase standen den IFD die hierzu notwendigen Ressourcen kaum noch zur Verfügung.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Integrationsassistenz"?

Integrationsassistenz ist ein Oberbegriff für unterschiedliche Unterstützungsleistungen und -formen, die Menschen mit Behinderung bei der Integration am Arbeitsplatz bzw. der Integration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die zentralen Arbeitsweisen werden im folgenden kurz dargestellt:

Bedarfsdiagnostik

Durch eine Bedarfsdiagnostik am konkreten Arbeitsplatz werden die Fähigkeiten des Klienten (Arbeitnehmers) ermittelt und die Anforderungen des Arbeitsplatzes herausgearbeitet. Individuelle Unterstützung wird dann in den Bereichen angeboten, in denen die individuellen Fähigkeiten den gesetzten Anforderungen nicht ausreichend entsprechen.

Job Coaching

Auf Basis der gezielten Bedarfsdiagnostik werden Schwerpunkte der Unterstützung festgelegt, die die Klienten befähigen sollen, die Anforderungen des Arbeitsplatzes zu erfüllen. Lernen und das Einlassen auf Veränderungen stellen dabei zentrale Elemente des Job Coaching dar. Nur wenn seitens des Klienten die Bereitschaft besteht sich mit den neuen Anforderungen zu beschäftigen, kann eine dauerhafte Integration gelingen. Aber auch auf Seiten des Job Coachs muss eine ausgeprägte Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ständig neuen Situationen vorhanden sein, da sich nur wenige Unterstützungsfälle vergleichen lassen. So bedarf jeder Klient und jeder Arbeitsplatz eines individuelle Vorgehensweise.

Durch den Job Coach sind verschiedenste Faktoren zu berücksichtigen und zu beachten. Sowohl die Defizite, als auch die besonderen Stärken des Klienten müssen sachkundig und auf den jeweiligen Arbeitsplatz bezogen ermittelt werden, um über den Einsatz erforderlicher Trainingsmaßnahmen zu entscheiden. Hierbei sind durch den Job Coach verschiedenste Bereiche abzudecken. So muss der Job Coach Arbeitsgänge so strukturieren, dass der Klient die Erfüllung seiner Aufgaben (möglichst kurzfristig) selbständig erledigen kann. Einige Tätigkeiten können trainiert werden, andere Arbeitsschritte müssen eingeübt und/oder durch Hilfsmittel (z.B. Reinigungsplan mit Fotos, Kontrollkarte, Notfallplan) bearbeitbar gemacht werden. Hierbei setzt der Job Coach verschiedene Lernmethoden und -verfahren ein, was entsprechende Kenntnisse bei den Job Coachs voraussetzt. Sofern notwendig, kann auch ein Fahrwegetraining (Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs zwischen Wohn- und Betriebsort) zu den Aufgaben eines Job Coachs gehören.

Neben der originären Unterstützung im Zusammenhang mit den Arbeitsabläufen, die sich aus dem Arbeitsplatz ergeben, unterstützten Job Coachs auch die soziale Integration in den Betriebsalltag. So werden z.B. Angebote zum Training des Sozialverhaltens innerhalb eines Betriebs unterbreitet, die dazu dienen die Zusammenarbeit mit den Kollegen zu erleichtern. Dies schließt die Beratung und Sensibilisierung der KollegInnen am Arbeitsplatz ein, die darauf zielt sogenannte "Paten" für den Klienten zu gewinnen, die als Unterstützer und Ansprechpartner vor Ort sind, da der Job Coach immer nur für einen befristeten Zeitraum für den Klienten zur Verfügung steht.

Arbeitsassistenz

Menschen mit Behinderung haben nach SGB IX (§ 102 Abs.4 ) Anspruch auf Arbeitsassistenz, wenn sie ohne diese eine Arbeit nicht ausführen können. Die Kerntätigkeiten muss der Betroffene eigenständig ausführen können. Zur Arbeitsassistenz gehören z.B. Handreichungen am Arbeitsplatz, Vorlesen für blinde Menschen, Gebärdendolmetschen für Gehörlose und ähnlich gelagerte Leistungen, die ArbeitnehmerInnen mit Behinderung bei der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben unterstützen.

Sozialtraining

Menschen mit Behinderung und besonderem Unterstützungsbedarf fällt es teilweise schwer sich in Teams zu integrieren und sozial angemessen zu verhalten. Das Sozialtraining soll Klienten das Erlangen entsprechender Fähigkeiten ermöglichen. Die Klienten erlernen mit anderen, bisher fremden Menschen in Kontakt zu treten, Gespräche zu führen und sich mit den Ansprüchen, Interessen und Neigungen der anderen zu beschäftigen. Fähigkeiten zur Kooperation mit Kollegen und im Team spielen hierbei eine zentrale Rolle. Weiterhin gehört die Befähigung zum Umgang mit Konfliktsituationen zum Sozialtraining. Dabei erlernen die Klienten Kritik anzunehmen, zu verstehen und konstruktiv zu verarbeiten. Das Training wird in kleinen Gruppen durchgeführt, in denen verschiedene Methoden (Gesprächskreis, Leitfragen, Rollenspiele, KuKuK u.a.) zur Anwendung kommen. Im Zentrum steht dabei der konkrete Erfahrungshintergrund aus dem Arbeitsalltag der Klienten, die die Ergebnisse des Sozialtrainings so zeitnah in ihrer Arbeitssituation umsetzen können.

Berufswegeplanung

Häufig ist bei Klienten festzustellen, dass sie insbesondere im beruflichen Bereich kaum Vorstellungen der eigenen Zukunft haben. Durch eine Berufswegeplanung entwickeln die Klienten gemeinsam mit dem/der Integrationsassisten/tin und weiteren Unterstützern (z.B. gerichtlich bestellter Betreuer, Arbeitgeber, Kollegen, Familienmitgliedern) Ziele und Wege zur Zielerreichung. Dabei spielt der Klient die entscheidende Rolle, der dabei unterstützt wird, seine Wünsche, Träume und Ziele selbst zu formulieren.

In Anlehnung an die "Methode der Persönlichen Zukunftsplanung" wird der Klient befähigt, gemeinsam mit den Unterstützern realistische Ziele zu formulieren, die mit seinen Potenzialen und den realen Gegebenheiten in Einklang stehen. Gerade auch bei der beruflichen Zukunftsplanung ist es wichtig, gemeinsam mit dem Klienten, Ziele zu bestimmen, die in einem überschaubaren Rahmen zu realisieren sind. Durch die IntegrationsassistentInnen wird die berufliche Zielbestimmung und -erreichung konstruktiv moderiert.

Nutzung des Projektangebots

Der ursprüngliche Projektansatz, der darauf zielte, dass IntegrationsassistentInnen bei vorliegendem Bedarf von Klienten durch den IFD eingeschaltet werden, musste im Projektverlauf modifiziert werden. Einerseits ist durch die geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen (seit Januar 2005) die Zahl der durch den IFD betreuten Klienten stark zurückgegangen, andererseits werden die Klienten nicht mehr durch die Arbeitsagentur zugewiesen, sondern wenden sich, teilweise mit einem Vermittlungsgutschein, eigenständig beim IFD. Durch die neuen Rahmenbedingungen, die auch zur Entstehung kommunaler Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen führten, sind nun Leistungsträger aktiv, die nur über geringe Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem IFD und dem Leistungsangebot Integrationsassistenz verfügen.

Aufgrund dieser veränderten Rahmenbedingungen war es notwendig, das über das Projekt NIAB entwickelte Angebot direkter an Klienten und Multiplikatoren (u.a. Behindertenverbände, Kostenträger) heranzutragen, um so für das Angebot Integrationsassistenz zu sensibilisieren. Dadurch entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Kostenträgern, die das Angebot der Integrationsassistenz zunehmend nutzen. Durch die vielfältigen Kontakte zu Arbeitgebern konnte überdies erreicht werden, das NIAB mehrfach direkt von Arbeitgebern beauftragt und die Leistung von ihnen finanziert wurde.

Abb.1: Einschaltung durch....(Insgesamt erfolgten 71 Einschaltungen; N = 71) Beratungsstelle - Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung Berufshelfer BG - Berufshelfer der Berufsgenossenschaften Integrationsberater LOS - Integrationsberatung des Landkreises Oder Spree (Optierende Kommune) Projekt B4 - Betriebsintegrierte Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

Fakten und Zahlen

Die in Abbildung 1 dargestellte Aufteilung der Kostenträger, durch die NI¬AB eingeschaltet wurde, verdeutlicht die Breite der unterschiedlichen Kostenträger mit denen im Projektverlauf im Interesse der Klienten zusammengearbeitet wurde. Neben der Einschaltung durch den IFD und das Projekt B4[2], die den Großteil der Einschaltungen ausmachten, wird deutlich, dass neben Anfragen durch Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften auch die Integrationsberatung des Amtes für Grundsicherung und Beschäftigung des Landkreises Oder-Spree (optierende Kommune) intensiv auf das Angebot von NIAB zurückgegriffen hat. Es ist hier allerdings darauf hinzuweisen, dass nicht jede Anfrage bzw. Einschaltung auch zu einer tatsächlichen Unterstützung von Klienten führte. Hintergrund waren meist nicht zu klärende Finanzierungsfragen.

Abb. 2: Fälle nach Kostenträgern. (N = 71) AA = Arbeitsagentur. AfguB - Amt für Grundsicherung und Beschäftigung (optierende Kommune.) ARGE Ffo - Arbeitsgemeinschaft der Kommune und der Arbeitsagentur Frankfurt (Oder) DRV - Deutsche Rentenversicherung. IA = Integrationsamt. NMBG - Norddeutsche Metallberufsgenossenschaft. TBBG - Tiefbau Berufsgenossenschaft. VBG - Verwaltungsberufsgenossenschaft

Die 71 Einschaltungen von NIAB teilen sich wie folgt auf:

In 11 Fällen erfolgte trotz intensiver Bemühungen keine Finanzierung durch den Kostenträger, d.h. eine Unterstützung durch NIAB konnte nicht erfolgern. Die Gründe für die Nichtfinanzierung sind sehr unterschiedlich und betreffen mehrere Kostenträger.

Weitere 11 Fälle befanden sich zum Ende des Modellprojektes (Ende Juli 2006) in der Bewilligungsphase, d.h. der zuständige Kostenträger musste noch über die Finanzierung der Unterstützungsleistungen entscheiden.

Im Juli 2006 wurden noch 21 Klienten durch IntegrationsassitentInnen unterstützt.

Abb.3: Betreuungszeit in Monaten

In 28 Fällen wurde die Bearbeitung abgeschlossen, siehe hierzu die Ergebnisse unten. Davon waren 4 Fälle nicht finanziert, d.h. der Träger von NIAB übernahm die Unterstützungskosten. In Abbildung 2 sind die durch die Kostenträger finanzierten Fälle dargestellt und Abbildung 3 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Betreuungszeiten. Dabei fällt auf, dass sich die Betreuungszeiten mehrheitlich im Bereich bis vier Monate bewegen, wobei Betreuungszeiten von 1-2 Monaten mit insgesamt 12 Fällen die deutlich größte Gruppe darstellen. Dies spiegelt den Wunsch der Kostenträger wieder, in möglichst kurzer Zeit erfolgreiche Integration zu realisieren. Dass diese zeitlichen Vorgaben in vielen Einzelfällen nicht sinnvoll sind und keine Garantie für einen langfristigen Erfolg der Unterstützungsleistung sicherstellen, sei hier nur am Rande erwähnt.

Ausgewählte Ergebnisse der Modellphase

  • 8 Fälle Eignung für Arbeitsplatz festgestellt => Vermittlung steht an

  • 8 Fälle Arbeitsplatz-Sicherung erreicht

  • 6 Fälle Arbeitsvertrag abgeschlossen

  • 2 Fälle erfolgreiche soz. Integration nach Unfall

  • 2 Fälle durch Arbeitnehmer abgebrochen

  • 2 Fälle Ausbildung aufgenommen

  • 1 Fall fehlende Eignung für den Arbeitsplatz

  • 1 Fall Therapie aufgenommen

  • 1 Fall Ausbildung erfolgreich abgeschlossen



[2] Projekt Betriebsintegrierter Berufsbildungsbereich der ISB gGmbH (Gesellschaft für Integration, Sozialforschung und Betriebspädagogik gGmbH) in Kooperation mit Werkstätten für behinderte Menschen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Herr B. ist ein aufgeschlossener junger Mann, der die Förderschule besuchte und bei seinem Vater lebt. Er hat eine Lernbehinderung und ist Autist. Durch die intensive Förderung durch seinen Vater und durch ein Sprachtraining bei einer Logopädin kann er mit anderen Menschen sicher in Kontakt treten und kommunizieren. Er verfügt über besondere handwerkliche Fähigkeiten. In einer eigenen Werkstatt baut er eigenständig Modellautos, Autotüren, Werkzeuge und stellt kleinere Gebrauchsgegenstände her. Seine ausgeprägte Phantasie und Vorstellungskraft ermöglichen ihm die Realisierung seiner planerischen Ideen und seine Fähigkeit Zeichnungen zu lesen, versetzt ihn in die Lage abstrakte Vorlagen in die Praxis umzusetzen.

Herr B. hat bei einem Bildungsträger die Ausbildung als Holzwerker absolviert. In der praktischen Tätigkeit konnte er sehr gute Ergebnisse erreichen. Zum Bestehen der theoretischen Prüfung arbeitete er intensiv und bekam Stützunterricht und Nachhilfe.

Durch den IFD wurde er in eine Tischlerei vermittelt. Eine hier erforderliche besonders intensive Unterstützung bei der Einarbeitung konnte vom IFD aufgrund fehlender Ressourcen nicht in dem notwendigen Umfang geleistet werden. Herr B. bestand die Probezeit in dieser Firma nicht, da er seiner Behinderung langsam arbeitete und ein hohes Maß an Anleitung benötigte, die durch Kollegen nicht zu leisten war.

Manuel B. auf dem Weg zur Arbeit

Darüber hinaus fiel es ihm schwer sich in die betrieblichen Kommunikationsstrukturen einzufinden, was sich negativ auf die Integration innerhalb des Betriebes auswirkte.

Begleitete Erprobung am Arbeitsplatz

Um die Fähigkeiten von Herrn B. zu testen, organisierte NIAB mehrere Praktika u.a. bei einem Bootsbauer und in einer Metallbaufirma. Während der Praktika wurde er durch eine Integrationsassistentin begleitet. Sie trainierte mit ihm Arbeitstätigkeiten, Arbeitsstruktur und unterstützte ihn bei Gesprächen mit Kollegen. In der Auswertung des Praktikums in der Metallbaufirma wurde Herrn B. eine längerfristige Erprobung angeboten. NIAB organisierte eine Probebeschäftigung, bei der er erneut durch die Integrationsassistentin begleitet wurde.

Die Integrationsassistentin unterstützte ihn täglich am Arbeitsplatz. So lernte Herr B. verschiedene Arbeitsplätze kennen: er arbeitete am Biegebock, im Lager und an Fertigungsmaschinen. Eine besondere Herausforderung für die Integrationsassistentin bestand darin geeignete Tätigkeitsfelder für Herrn B. zu identifizieren und ihn zur Lösung von praktischen Aufgaben zu befähigen. Dabei arbeitete sie eng mit den Mitarbeitern der Firma zusammen, die sehr hilfsbereit waren und Herrn B. ins Team integrierten.

Einmal in der Woche nahm Herr B. an einem Gruppentraining teil, das von NIAB angeboten wurde. Dort konnte er Erfahrungen in der Arbeit und im Umgang mit Kollegen besprechen und mit anderen jungen Berufsanfängern Lösungen für Problemsituationen am Arbeitsplatz diskutieren. Im Rahmen der "Persönlichen Zukunftsplanung" arbeitete Herr B. heraus, dass er, um sich seinen größten Wunsch, einmal nach Amerika zu reisen, erfüllen zu können: 1. Geld verdienen muss und 2. Englisch können sollte. Er informiert sich eigenständig über Amerika und besucht seit kurzem einen Anfängerkurs Englisch an der Volkshochschule, den er sich selber organisierte.

Ergebnis der begleiteten Erprobung

Herr B. hat bewiesen, dass er nach intensiver Einarbeitung in der Lage ist verschiedene Arbeitsaufgaben eigenständig erfüllen und sich in ein Team integrieren kann. Seit 1. November arbeitet Herr B. in der Firma "Formdraht Doletzky" als Helfer. Er bekam einen befristeten Arbeitsvertrag für 7 Monate, mit der Option der Verlängerung, wenn er sich gut einarbeitet und NIAB die erforderliche Unterstützung am Arbeitsplatz leistet. Die erforderliche Unterstützung wird durch die Integrationsassistentin geleistet.

NIAB leistete die besondere Unterstützung zur Vorbereitung der Praktika, das Job Coaching am Arbeitsplatz und das Sozialtraining in der Gruppe (Herr B. wurde in den ersten Tagen ganztägig, später 2-3 h täglich am Arbeitsplatz trainiert). Diese Leistungen sind im Rahmen der Arbeit des IFD nicht möglich, weil die besonders intensive Unterstützung eines Klienten nicht finanziert wird. Das Job Coaching während der Probebeschäftigung wurde durch das Integrationsamt finanziert. Für die Probebeschäftigung konnte eine Kostenübernahme der Lohnkosten durch die Arbeitsagentur erreicht werden.

Für die befristete Einstellung finanziert die optierende Kommune einen Lohnkostenzuschuß. Das Integrationsamt finanziert das Job Coaching.

Im Gespräch mit einem Kollegen und der Integrationsassistentin

Weiterführung des Angebotes von NIAB über die Modellphase hinaus:

Die Erfahrungen in der Modellphase von NIAB waren überaus positiv, so dass aus Sicht des Trägers Verhandlungen mit potenziellen Kostenträgern aussichtsreich erschienen.

Die Kostenträger schätzten die Erfahrungen des Projektes sehr positiv ein und signalisieren weiteren Bedarf für Leistungen wie Job Coaching und Arbeitsassistenz.

Mit der optierenden Kommune wurde intensive Verhandlungen geführt und es konnte eine Vereinbarung für den Zeitraum von 2 Jahren abgeschlossen werden, in deren Rahmen 15 Unterstützungsfälle pro Halbjahr durch NIAB begleitet werden. Zur Zeit laufen noch weitere Gespräche, um die notwendige Koordination des Leistungsangebots von NIAB zu finanzieren. Weitere Kostenträger haben signalisiert Einzelfallaufträge an NIAB zu übergeben, was die Leistungsfähigkeit des Projektansatzes zusätzlich unter Beweis stellt.

Zur Umsetzung des Modellprojekts aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung

Das Projekt NIAB wurde im Rahmen einer formativen Evaluation durch die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina begleitet. Der Fokus dieser Begleitung lag auf einer Betrachtung der allgemeinen Projektentwicklung und der Beobachtung der aus dem ursprünglichen Ansatz abgeleiteten Zielerreichung. Bei der Evaluation wurden hierbei die schriftliche zur Verfügung stehenden Informationen ebenso berücksichtigt, wie die Ergebnisse, die in Form teilnehmender Beobachtung gewonnen wurden. Letztere beschränkte sich auf den Bereich der Netzwerkarbeit und die Arbeit des Projektteams. Eine Evaluation der einzelnen Unterstützungsfälle war im gegebenen Rahmen nicht möglich und beschränkt sich daher auf Sekundärmaterialien, sofern die Einbeziehung dieser Informationen zur Erfüllung des Evaluationsauftrages notwendig und sinnvoll erschien. Vor diesem Hintergrund sollen hier einige zentrale Aspekte der Projektrealisierung stark verkürzt dargestellt werden.

Neben der direkten Unterstützung von Menschen mit Behinderung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt, war das Projekt angetreten Personen zu qualifizieren, die als IntegrationsassistentInnen die Unterstützung umsetzen sollen. Durch ein modulares Bildungsangebot konnten verschiedene Aspekte der Unterstützungsarbeit vermittelt und trainiert werden. Hierbei hat sich die Parallelität von Qualifizierung und frühzeitiger praktischer Erprobung bewährt. Im Projektverlauf mussten mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkennen, dass die Aufgabe der Integrationsassistenz für sie persönlich nicht umsetzbar war, so dass sie aus dem Projekt ausschieden. Gleichzeitig wurden wiederholt neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewonnen, die als "Quereinsteiger" durch die Projektleitung und das Team integriert werden mussten. Hierbei hat sich der modulare Qualifizierungsansatz zusätzlich bewährt, da die damit vorhandene Flexibilität erst den Quereinstieg ermöglichte.

Ein weiteres Projektziel bestand im Aufbau von Netzwerken, die unter Beteiligung verschiedener Akteure, die Integration von Menschen mit Behinderung in den 1. Arbeitsmarkt begleiten und unterstützen sollten. Eine besondere Bedeutung kam hier im Projektverlauf dem Beirat zu, der in regelmäßigen Abständen die Projektentwicklung verfolgte und Hinweise für die weitere Arbeit gab. In Ansätzen konnten Strukturen der Zusammenarbeit von Arbeitgebern aus der Region entwickelt werden. Neben der Zusammenarbeit in formalen Netzwerkstrukturen wurde der direkte Kontakt zu Kostenträgern, Arbeitgebern und weiteren Partnern im Projektzeitraum ausgebaut. Diese Vernetzungsstrukturen bildeten die Basis einer breiten Sensibilisierung für die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus dem Angebot Integrationsassistenz ergeben.

Im Projektverlauf ist es gelungen, das Angebot der Integrationsassistenz in der Region bekannt zu machen und erfolgreich umzusetzen. Gleichzeitig bieten die vorliegenden Erfahrungen beim Einsatz von Integrationsassistenz und der Qualifizierung von IntegrationsassistentInnen eine gute Ausgangsbasis diesen Ansatz der Unterstützung von Menschen mit Behinderung in anderen Regionen Brandenburgs - und darüber hinaus - zu etablieren und erfolgreich umzusetzen. Das Modellprojekt hat gezeigt, dass mit entsprechender Flexibilität der Beteiligten, auf sich verändernde Rahmenbedingungen konstruktiv reagiert werden kann und es möglich ist, neue Leistungsangebote zu etablieren.

Kontakt:

Christine Giga

NIAB - Netzwerk Integrationsassistenz in Brandenburg

Eisenbahnstr. 9 15517 Fürstenwalde

Tel. 03361-711097 Fax 03361-711091

eMail: niab@isb-berlin.de

Internet. www.isb-berlin.de/niab

Frank Hühner

KOWA - Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina

Postfach 1786, 15207 Frankfurt (Oder)

Tel 0335-55345902 Fax 0335-55345903

eMal: kowa-forschung@uni-ffo.de

Internet: www.kowa-ffo.de

Quelle:

Christine Giga, Frank Hühner: Integrationsassistenz. Ein erfolgreiches Modell in Brandenburg

erschienen in: impulse Nr. 40, April 2006, Seite 27 - 31

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 30.04.2008

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