"Startchancen"

Die Fortbildungsreihe der BAG UB für Lehrkräfte

Autor:in - Ulrike Woltersdorf
Themenbereiche: Schule, Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 36, Dezember 2005, Seite 34 - 36. impulse (36/2005)
Copyright: © Ulrike Woltersdorf 2005

Startchancen

In einem zweijährigen Projekt entwickelt die BAG UB die Konzeption sowie Durchführung eines Fortbildungsangebots für Lehrkräfte zum Themenkomplex Berufsorientierung und -vorbereitung. Die Zielgruppe sind Lehrerinnen und Lehrer an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in Schleswig-Holstein. Die Fortbildungsreihe "Startchancen für Lehrkräfte" zum Thema Berufsorientierung / -vorbereitung vermittelt Methoden und Kenntnisse, gibt Materialien für den Schulalltag an die Hand, fördert die Netzwerkbildung und regt die Konzeptentwicklung an. Der folgende Beitrag stellt das entwickelte Fortbildungsangebot, die Umsetzung und die Resonanzen der Teilnehmenden vor.

Schule als Teil eines Netzwerkes

Die Vorbereitung der SchülerInnen auf das Leben nach der Schule und insbesondere auf das Berufsleben hat als Auftrag an die Schulen in den letzten Jahren bildungspolitisch an Bedeutung gewonnen. Hier sind einerseits Anforderungen und Resonanzen aus der Wirtschaft zum Leistungsvermögen von SchulabgängerInnen zu vernehmen, andererseits werden Schulen zunehmend als der maßgeblich vorbereitende Teil eines Netzwerks angesehen, der auf den Übergang in das Berufsleben vorbereiten muss. Bei dieser Diskussion werden die Problemlagen von SchülerInnen mit Behinderung in der Regel nicht bedacht. Dies erfordert, dass sich die Akteure in der beruflichen Orientierung von Schülern/innen mit Behinderung, Lehrkräfte, Schulleitungen, Eltern, Fachdienste und nachgehende Einrichtungen, in den Diskussionsprozess einklinken und für den Personenkreis der Schüler/innen mit Behinderung ein aktuelles Modell von Berufsorientierung entwickeln.

Für einen gelungenen Übergangsprozess ist eine erfolgreiche Arbeit an den Schnittstellen maßgeblich. Um einen günstigen Prozessablauf zu ermöglichen, darf Schule nicht als isolierte Instanz im Prozess betrachtet werden. Die Situation des Umfelds im Übergang von der Schule in das Berufsleben ist zu berücksichtigen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Mit in Kraft treten des SGB IX, der rechtlichen Verankerung der Integrationsfachdienste und der Spezifizierung ihrer Zielgruppen, wurden behinderte SchulabgängerInnen ausdrücklich als Zielgruppe benannt. Damit sollte die frühzeitige Beratung und Begleitung sichergestellt werden, um dem Eintreten langer Maßnahmekarrieren und Langzeitarbeitslosigkeit bei jungen Menschen entgegen zu treten. Ferner wurden das Eingangsverfahren und der Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen mit dem SGB IX neu bewertet, so dass der Werkstatt / dem Fachausschuss die Aufgabe gegeben wurde, genau zu prüfen, ob die Werkstatt der richtige Ort zur Teilhabe am Arbeitsleben für den einzelnen (jungen) Menschen mit Behinderung ist.

(Forschungs-) Projekte aus den 90er Jahren zum Modell Integrationsfachdienst, die auch SchülerInnen / BerufsanfängerInnen zur Zielgruppe hatten (häufig durch die Hauptfürsorgestellen initiiert), haben gezeigt, dass ein früher Start der beruflichen Integration - zwei Jahre vor Schulentlassung - den Erfolg der Integration, auch bei Menschen mit einer geistigen Behinderung, maßgeblich unterstützt. Auch wenn die Integrationsfachdienste heute faktisch den Auftrag haben, behinderte SchulabgängerInnen zu begleiten, fehlt es fast flächendeckend an der konkreten Beauftragung der Fachdienste mit der Integration von SchulabgängerInnen.

Außerdem hat das neue Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit zu den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen dazu geführt, dass die Struktur der Förderlehrgänge aufgehoben wurde. Diese waren langjährig ein Instrument zur Berufsvorbereitung, auch von jungen Menschen mit erheblichen Lernschwierigkeiten.

Berufliche Orientierung in den Schulen

Grundsätzlich ist eine schulische Berufsorientierung der Schulabgänger notwendig. Zielführend ist eine frühzeitig einsetzende, beständige berufliche Orientierung durch die Schule und damit die Vorbereitung auf das Leben nach der Schule. Die Schule hat die Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen langfristig im Blick und Zeit, die sie auf den beruflichen Orientierungsprozess verwenden kann. In Schleswig-Holstein besteht seit 2002 eine neue Sonderpädagogische Verordnung, die die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf das Arbeitsleben in der Werkstufe vorsieht.

In den Schulen gibt es allerdings in der Regel kein standardisiertes, zielgerichtetes Vorgehen im Hinblick auf die berufliche Orientierung von Schülern mit Behinderung. Dazu lässt sich folgendes feststellen:

  • Die Vorbereitung auf das Arbeitsleben ist kein Schwerpunkt in der Aus- und Fortbildung von Lehrern.

  • Sehr vereinzelt gibt es dennoch sinnvolle und erfolgreiche Arbeitsansätze, um an der Thematik Übergang / berufliche Orientierung zu arbeiten.

  • Diese Arbeitsansätze sind allerdings, bis auf Ausnahmefälle, nicht konzeptionell verankert.

  • Die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex "Berufliche Orientierung" hängt vom persönlichen Engagement der Lehrerinnen und Lehrer ab. Damit ist für den einzelnen Schüler das Thema nicht sichergestellt.

  • Wenn Lehrkräfte Know-how erworben und nützliche Kontakte in der Region geschlossen haben, bleiben diese Bezüge und das Wissen häufig nicht verfügbar, weil die Kollegen nach der Entlassung einer Abschlussklasse wieder die Arbeit mit Schülern in unteren Klassen aufnehmen, in denen die berufliche Orientierung noch kein Thema ist - das Wissen versiegt.

  • Es gibt derzeit kein Wissens- und Netzwerkmanagement, das die Kenntnisse und erschlossene Kontakte für eine Schule / ein Kollegium sichert.

Individuelle Karriereplanung

Die frühzeitige Auseinandersetzung mit der Thematik "Was kommt nach der Schule?, Wo will und kann ich arbeiten?" ist für Jugendliche mit Behinderung außerordentlich wichtig, wobei mit einer längerfristigeren Orientierungsphase als bei Schülern ohne Behinderung zu rechnen ist. Eine Berufs- und Lebensplanung gibt Sicherheit; Orientierung ist notwendig, damit nicht nach Verlassen der Schule zu einer pauschalen Lösung (Sondereinrichtung / WfbM) gegriffen wird. Hierzu ist im Entscheidungsprozess ein Assessment notwendig, das die Analyse und das Ausprobieren von Stärken und Schwächen ermöglicht sowie eine Diagnostik im Sinne eines Herausfindens von Möglichkeiten vorsieht. Auf diesem Hintergrund kann dann eine individuelle Karriereplanung einsetzen.

Um diese durchzuführen und den Orientierungsprozess begleiten zu können, brauchen die LehrerInnen neben Methoden und Materialien zur beruflichen Orientierung, Kenntnis über die regionalen Möglichkeiten und Ansprechpartner: Betriebe, Unterstützungsangebote, Beratungsangebote, Fachdienste, Bildungsangebote und Fördermöglichkeiten. Außerdem sollten diese LehrerInnen den Gedanken von Netzwerkarbeit entwickeln, um eine aktive Orientierung der SchülerInnen zu ermöglichen und eine Weiterentwicklung und -begleitung des Prozesses durch BeraterInnen außerhalb der Schule sicher zu stellen.

Das Konzept

Zur Erhöhung der Chancen und Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben von SchulabgängerInnen in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes haben wir ein Konzept zur Fortbildung von LehrerInnen erarbeitet und erprobt. Die Fortbildung soll die Lehrkräfte darin stärken, den Übergangsprozess von SchülerInnen in das Berufsleben zu begleiten und kreativ zu unterstützen. Das Konzept greift existierende best-practice Beispiele auf. Unter Einbeziehung von Praktikern aus der Region, LehrerInnen, Fachkräften aus der beruflichen Integration, sowie überregional tätigen Fachleuten aus der Aus- und Fortbildung für Lehrkräfte, haben wir ein bedarfsgerechtes, praxisbezogenes Curriculum erarbeitet. Dieses wird in Schleswig-Holstein als Fortbildung über das dortige Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen (IQSH) angeboten und auf die Praxiserfordernisse angepasst.

Fünf Bausteine

Die Fortbildungsreihe besteht aus fünf Bausteinen, die verschiedene Elemente im Übergangsprozess aufgreift. Dabei wird auf Werkstufenkonzepte, diagnostische Herangehensweisen, methodische und didaktische Umsetzungsstrategien sowie auf die Arbeit im Netzwerk im Übergangsprozess von der Schule in das Berufsleben eingegangen. Es findet auch eine Auseinandersetzung mit veränderten Rollenanforderungen statt. Darüber hinaus werden, von der Fortbildungsreihe losgelöst, einführende Veranstaltungen zu einzelnen Themen im Orientierungs- und Integrationsprozess angeboten. Im Rahmen der Fortbildungsreihe gehen wir auf folgende Schwerpunkte ein:

  • Die konzeptionelle Gestaltung der Werkstufe / des Orientierungsprozesses;

  • Die Erschließung der individuellen Fähigkeiten und deren Dokumentation im Orientierungsprozess sowie deren Vermittlung an nachgehende Instanzen;

  • Das zugrunde liegende Menschenbild in der Förderplanung und die Paradigmen in der Integrationsarbeit;

  • Die Methode der Persönlichen Zukunftsplanung, als personenzentrierter Ansatz, der das persönliche Netzwerk der SchülerInnen und dessen Ressourcen einbezieht. Die Reflexion der Umsetzungsmöglichkeiten der Methode im schulischen Alltag;

  • Konkrete Methoden der beruflichen Orientierung, deren didaktische Umsetzung im Unterricht sowie die Erstellung von Arbeitshilfen und -materialen für den Orientierungsprozess;

  • Die Gestaltung und Pflege von Betriebskontakten, die neben dem direkten Integrationsgedanken das Kennenlernen der Arbeitswelt, die Hospitation und das Betriebspraktikum forcieren;

  • Die Rolle der Lehrkräfte im Übergangsprozess - vom Lehrer zum Berater und Coach;

  • Förderrechtliche Zuständigkeiten und Grundzüge;

  • Die Bildung von Netzwerken im Übergangsprozess.

In fünf eineinhalbtätigen Seminaren oder Workshops werden fünf Bausteine angeboten, die die oben aufgezeigten Inhalte aufgreifen. Diese finden außerhalb der Unterrichtszeiten jeweils am Freitagnachmittag und Samstag statt:

Baustein 1: Individuelle Fähigkeiten und Möglichkeiten entdecken und nutzen

Baustein 2: Persönliche Zukunftsplanung - Schatzkisten im schulischen Alltag

Baustein 3: Werkzeugkasten - Methoden und Materialien in der beruflichen Orientierung

Baustein 4: Betriebskontakte knüpfen und gestalten -Akquisition, Zusammenarbeit und Kontaktpflege mit Praktikumsbetrieben

Baustein 5: Moderation des Übergangsprozesses - Berufswegeplanung

Weitere Veranstaltungsthemen

Darüber hinaus werden zu den folgenden vier Themen Infoveranstaltungen und Workshops angeboten:

  1. Einführung in die Persönliche Zukunftsplanung

  2. Einführung ins Förderrecht

  3. Was ist Arbeitsassistenz?

  4. Kommunikation, Konfliktbewältigung, Kooperation

Die Veranstaltungen 1 -3 haben eher einen einführenden, informierenden Charakter. Das Seminar 4 "Kommunikation, Konfliktbewältigung, Kooperation" gibt einen umfassenden Einblick in die Thematik Schlüsselqualifikationen und der Bearbeitung dieser Thematik mit Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Umsetzung

In Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner "Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein" IQSH wurde das Fortbildungsprogramm "Startchancen" veröffentlicht und im allgemeinen Fortbildungskatalog des IQSH sowie einem eigenen Flyer publiziert und online veröffentlicht (www.lehrerfortbildung.lernnetz.de).

Im Rahmen des Projekts werden drei Seminarreihen an verschieden Standorten mit den fünf oben dargestellten Bausteinen durchgeführt. Die Veranstaltungen haben zum Teil Seminar- zum Teil Workshopcharakter und orientieren das jeweilige Schwerpunktthema am Erfahrungshintergrund der teilnehmenden Lehrkräfte. Im Rahmen des Fortbildungsangebots sind neben den einzelnen Veranstaltungen drei Lerngruppen entstanden, die über die Auseinandersetzung mit den präsentierten Themen und Übungen auch die kollegiale Beratung pflegen. Diese kollegialen Kontakte werden auch über die Seminarveranstaltungen hinaus in Form von Austausch und gegenseitigen Hospitationen gepflegt.

Anmerkungen und Ergebnisse

Die Seminarbeurteilungen der TeilnehmerInnen fallen sehr positiv aus. Lehrkräfte, die im Arbeitsfeld Werkstufe / Berufsorientierung neu sind, fassen zusammen, dass die Fortbildung Startchancen die Bedeutung des Themenkreises deutlich macht und Motivation und Hoffnung für die Arbeit in diesem Feld gibt. Es wurde seitens der TeilnehmerInnen resümiert: " Die Fortbildungsreihe greift Probleme auf, die unter den Nägeln brennen" und "die Durchführung der Veranstaltungen mit ReferentInnen aus den verschiedenen relevanten Praxisfeldern macht die Inhalte plastisch und greifbar für das eigene Handeln". Die TeilnehmerInnen schätzen besonders Arbeitsmaterialien, die sie während der Seminare kennen lernen, als wertvolle Praxishilfen und den Kontakt zu kompetenten Ansprechpartnern sowie Kontaktadressen, die sie im Fortbildungsrahmen erschließen.

Schwierig gestaltet sich die Entwicklung von Visionen und innovativen Vorgehensweisen in der berufsorientierenden integrativen Arbeit der Lehrkräfte dennoch, da der Arbeitsmarkt eher mit Schließungen aufwartet, Integrationsfachdienste keineswegs für die Zielgruppe der SchülerInnen beauftragt werden und die Agentur für Arbeit fast ausnahmslos den Weg von der Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in die WfbM weist. So kann das regionale Netzwerk nur schwer entstehen.

Dennoch wollen die TeilnehmerInnen der ersten beiden Seminarreihen weiterhin zusammenarbeiten und sehen die Fortbildung "Startchancen" als Auftakt einer landesweiten Netzwerkbildung zwischen den MitarbeiterInnen der Werkstufen an. Das erste Treffen dieses Netzwerks wird im Rahmen des Projekts organisiert und moderiert werden.

Mit dem entwickelten und praxiserprobten Fortbildungsbausteinen ist ein bedarfsorientiertes Fortbildungskonzept für Lehrkräfte in der Phase der beruflichen Orientierung an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung entstanden. Die Fortbildungsbausteine können nach Ablauf des Projekts auch in anderen Bundesländern für die Fortbildung von Lehrerkräften eingesetzt werden. Des Weiteren ist beabsichtigt, dass mit Elementen aus dem Fortbildungsprogramm auch Impulse für die Ausbildung von LehrerInnen gesetzt werden. Damit können letztlich die Integrationschancen von Menschen mit Behinderung erhöht werden.

Kontakt:

Ulrike Woltersdorf

BAG UB

Projekt "Startchancen" für Lehrkräfte

Schulterblatt 36, 20357 Hamburg

Fon. 040/432 53 123

Fax: 040/432 53 125

eMail. ulrike.woltersdorf@bag-ub.de

Internet: www.bag-ub.de

Projektdaten

Das Projekt mit der entwickelten Fortbildungsreihe "Startchancen" hat eine zweijährige Laufzeit und wird Ende Februar 2006 beendet. Eine Projektförderung findet seitens der Aktion Mensch e. V. statt.

Die im Rahmen des Projekts geplanten Veranstaltungen können von Lehrern in Schleswig-Holstein noch über www.lehrerfortbildung.lernnetz.de gebucht werden. Anfragen zum Fortbildungsangebot, die über den Projektzeitraum und Schleswig-Holstein hinausgehen, richten Sie bitte an Ulrike Woltersdorf.

Quelle:

Ulrike Woltersdorf: "Startchancen" Die Fortbildungsreihe der BAG UB für Lehrkräfte

erschienen in: impulse Nr. 36, Dezember 2005, Seite 34 - 36.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 19.11.2007

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