Aphasie als unsichtbarer Begleiter im Studium und Berufsleben

Autor:in - Leonie Höpfner
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Der Text ist am 01.03.2017 unter der folgenden Webseite erschienen:https://www.rehacare.de/cgi-bin/md_rehacare/lib/pub/tt.cgi/Aphasie_als_unsichtbarer_Begleiter_im_Studium_und_Berufsleben.html?oid=45396&lang=1&ticket=g_u_e_s_t
Copyright: © Leonie Höpfner

Aphasie als unsichtbarer Begleiter im Studium und Berufsleben

Kommunikation und Sprache waren schon immer wichtige Bestandteile ihrer beruflichen Zukunftsplanung. Ein kreativer Umgang mit Worten ist ihr Berufswunsch. Dann stellt die Diagnose Aphasie Leonie Höpfners Leben auf den Kopf. Doch sie lässt sich nicht von ihren Plänen abbringen: Nach einem Praktikum arbeitet sie nun parallel zu ihrem Masterstudium in der Redaktion von REHACARE.de. Ein Einblick in das Leben unserer Redakteurin.

Leonie Höpfner sitzt am Schreibtisch und arbeitet an ihrem
Laptop.

Sowohl im Masterstudium als auch bei meinen Berufsplänen dreht sich alles um Sprache und Kommunikation. Meine Aphasie hält mich aber nicht davon ab, meine Träume zu verwirklichen; © privat

Studieren ist nicht immer einfach und für mich eine große Herausforderung. Vorlesungen sind mein persönlicher Horror: Die Gedanken des Dozenten zu verstehen, meine zu formulieren und mal kurz nebenher alles Wichtige mitzuschreiben – das funktioniert mehr schlecht als recht. Mein Gehirn arbeitet nicht mehr so schnell und nach ein paar Stunden kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich brauche mehr Zeit als andere Menschen, doch viele um mich herum verstehen das nicht. Ich bin kein D-Zug! Ich brauche Ruhe und Zeit, dann kann ich auch gute Arbeit leisten. Vor Kurzem hatte ich eine mündliche Prüfung – mein persönlicher Super-Gau. Mein Gehirn war Matsch und ich dachte, ich könnte keinen sinnvollen Satz bilden – aber irgendwie ging es dann doch. Ziemlich gut sogar.

Ich bin Aphasikerin. Ich habe also eine erworbene Sprachstörung, bedingt durch einen Sturz. Und ich lebe außerdem noch mit einer Autoimmunkrankheit.

Ich habe Medien- und Kommunikationswissenschaft (Bachelor) studiert. Kommunikation ist dabei das Wichtigste. Doch vor drei Jahren konnte ich weder sprechen noch schreiben. Schon als kleines Kind wollte ich immer Schauspielerin werden, dann Journalistin und mit 20 dann in die PR-Branche. Alles Berufe, die immer mit Kommunikation und Texten zu tun haben. Heute kommt es mir fast etwas ironisch vor.

Es gibt Situationen, in denen ich mich frage, warum ich auf die Idee bekommen bin, nun auch noch einen Masterabschluss zu machen. Warum habe ich mich nicht einfach für einen Job beworben? Aber dann hätte ich mich von meinem Traumberuf verabschieden müssen – und das wollte und will ich nicht. Ich bin mir auch sicher, dass es nicht so einfach ist, einen Job zu bekommen, da ich die Tatsachen auf den Tisch lege und ehrlich bin. Das heißt, ich muss immer Barrieren überwinden – im Studium, im Job oder allgemein im Leben.

Leonie Höpfner lächelt in die Kamera.

© privat

Bei mir hat es sehr lange gedauert bis ich akzeptieren konnte, dass ich nicht mehr das kann, was ich früher alles konnte. Ich dachte anfangs, mit der Zeit würde alles wiederkommen – so ist es aber leider nicht. Doch ich wollte es nicht wahrhaben, es war mir unangenehm. Erst jetzt kann ich offen damit umgehen. Denn es ist ein Teil von mir.

Wenn ich neue Menschen kennenlerne und sage, dass ich eine erworbene Sprachstörung habe, sagen sie häufig: "Ach Quatsch, das ist doch ein Witz! Du kannst doch sprechen. Das hört man ja gar nicht!". Ich muss dann immer erklären, dass Sprache nicht nur das Sprechen an sich ist, sondern viel mehr. Ja, ich habe nicht so viele Probleme mit dem Sprechen. Aber bei schriftlichen Prüfungen und Hausarbeiten für die Uni beantrage ich beispielsweise einen Nachteilsausgleich. Ich bekomme dann mehr Zeit. Zeit, die ich brauche, um meine Gedanken zu ordnen und meine Fehler zu sehen – was mir immer noch sehr schwer fällt. Einen englischen wissenschaftlichen Text zu verstehen, dauert ewig und wenn ich aufgeregt bin, fehlen mir die Worte – ein Klassiker bei Aphasikern.

Aphasie und Lupus – unsichtbare Teile von mir

Irgendwie hatte ich leider kein Glück oder "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" – wie der Filmtitel es so treffend beschreibt. Ich habe Lupus, eine Autoimmunkrankheit, und die Aphasie auf einen Schlag bekommen. Der Lupus wird mich genauso weiter begleiten wie die Aphasie. Aber es sind Einschränkungen, die niemand sieht – unsichtbare Behinderungen.

Und diese beeinflussen – und behindern manchmal – mich und mein Leben. Ich lebe so wie jeder andere, muss aber vorsichtiger sein. Ich nehme jeden Tag Medikamente und gehe zweimal die Woche zur Logopädie. Und Stress macht mich ernsthaft krank. Natürlich beschäftigt es mich nicht rund um die Uhr, dass ich bei vielen Dingen einen Nachteil habe. Aber wenn es wieder mal hochkommt, belastet es mich auch.

Leonie Höpfner sitzt im Zug und sie hält ihre Geldtasche und ihren
Schwerbehindertenausweis in der Hand.

Wenn ich Zug fahre, passiert es mir oft, dass die Schaffner mir nicht glauben – selbst wenn sie meinen Schwerbehindertenausweis sehen. Einer Schaffnerin zeigte ich ihn, aber sie schaute mich abschätzig und immer noch skeptisch an. Denn meine Behinderung sieht man nun mal nicht...; © privat

Ich war schon immer ehrgeizig und habe hohe Ansprüche an mich. Es ist leider nicht so einfach, diese herunterzuschrauben, aber mein Ehrgeiz hat mich auch angetrieben. Ich wollte beispielsweise schon lange einen Blog über Aphasie schreiben, aber ich habe mich lange Zeit einfach nicht getraut. Mein Blog ist quasi eine Selbsttherapie, um wieder zu schreiben. Irgendwann hatte ich dem Mumm und habe meine Texte auf dem Blog veröffentlicht, trotz Fehlern. Da war ich ziemlich stolz auf mich. Parallel dazu bekam ich die Möglichkeit, ein Praktikum in einer Online-Redaktion zu machen. Für mich war dies die Chance zu schauen, wie viel ich schon kann und wo ich noch Mankos habe. Dass ich nach dem Praktikum dann noch weiterhin parallel zum Studium dort weiterarbeiten konnte, hat mich zusätzlich in meinen Fähigkeiten bestätigt. Und ich weiß, dass ich meine Ansprüche anpassen und mich so akzeptieren muss, wie ich bin – nicht perfekt, aber wer will das schon sein.

Meine Familie und Freunde nehmen mich jedenfalls so, wie ich bin, und haben mich immer unterstützt. Sie haben viel dazu beigetragen, dass ich bis heute so weit gekommen bin. Sie bestärken mich, wenn es mit der Sprache wieder nicht so funktioniert, wie ich es möchte, und bauen mich dann auf. Sie machen mir Mut, weiter zu machen und bremsen mich, wenn ich zu viel geben will.

Dass sich mein Einsatz aber auch auszahlt, zeigte sich nach der anfangs bereits erwähnten mündlichen Prüfung: Als ich die Note von meiner Dozentin erfahren habe, sagte sie mir noch Folgendes: "Frau Höpfner, mir ist es wichtig, dass Sie wissen, dass Sie die Note durch Ihr Wissen bekommen haben und nicht wegen Ihrer Behinderung." Noten sind im Studium zwar nicht unwichtig, aber solch eine Anerkennung meiner Leistungen bedeutet mir noch viel mehr.

Mehr von und über Leonie Höpfner unter: www.verlustdersprache.wordpress.com

Portrait von Leonie Höpfner in schwarz weiß.

Leonie Höpfner, REHACARE.de, © privat

Quelle

Leonie Höpfner: Aphasie als unsichtbarer Begleiter im Studium und Berufsleben, REHACARE Magazin 01.03.2017, https://www.rehacare.de/cgi-bin/md_rehacare/lib/pub/tt.cgi/Aphasie_als_unsichtbarer_Begleiter_im_Studium_und_Berufsleben.html?oid=45396&lang=1&ticket=g_u_e_s_t

bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 15.01.2018

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