Elternarbeit im Spannungsfeld

Themenbereiche: Vorschulischer Bereich
Schlagwörter: Kindergarten, Eltern, Familie
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Erschienen in: Mit Kindern auf dem Weg II, Referate zu NÖ Kindergartensymposien, NÖ Schriften 103/Dokumentation, Neulengbach, Oktober 1997, ISBN 3-85006-095-0
Copyright: © Dieter Höltershinken 1997

Einleitung

Ich möchte mich für die Einladung bedanken und hoffe, daß Sie jetzt auch noch zuhören können und Ihre Ohren auch noch funktionieren! Die Einladung nach St. Pölten habe ich sehr gerne angenommen, auch das Thema sehr gerne bearbeitet. Die Bedenken kamen mir dann vorgestern, als ich das Referat fertig hatte. Zweifel, was traue ich da eigentlich Erzieherinnen zu in dieser Situation, die ich nicht kenne. Aber die Eingangsreden haben mich dann ein bißchen beruhigt, denn hier ist ja offensichtlich alles im Kindergarten Nr. 1. Meine Sorgen gehen nämlich in folgende Richtung: Ich las in einer Hochglanzbroschüre eines Wohlfahrtsverbandes der Bundesrepublik folgendes: Die Zusammenarbeit mit Eltern in Kindergärten sollte nicht mehr der Elternarbeit alten Stils gleichen. Sie hat nichts mehr mit Elternbelehrung oder alter Bildung zu tun. Sie besteht aus vielen kleinen Schritten, mit welchem im Alltag der Kinder Lernenswertes aufgespürt und miteinander genutzt wird. Elternabende und besondere Elternfeste sind heute nicht mehr die einzig mögliche Form. Besuche mit Kindern oder auch ohne sie in den elterlichen Wohnungen, Einbeziehen einzelner Eltern in den pädagogischen Alltag, Arbeitsplatzbesuche, gemeinsame Ausflüge, Exkursionen, viele neue Gruppenbildungen, Mutter-Kind-Spielgruppen und vieles andere mehr gehören zum Repertoire. Das klingt alles sehr schön, nur dann müssen auch die Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen wie kleine Gruppen, hinreichende Räume, vor allem hinreichende Verfügungszeiten zur Vorbereitung und Anrechnungszeiten, einschließlich Fortbildung und Supervision zur Verfügung stehen, sonst kann man das alles nicht fordern. Ich möchte deshalb, bevor ich beginne, betonen, eine zeitgemäße moderne Elternarbeit ist dann nur modern möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Im konflikthaften Spannungsfeld von Anforderungen, Ansprüchen, Erwartungen mancher Eltern und andererseits in pädagogisch notwendigen Ansprüchen der Kindergärtnerinnen, darf die Kindergärtnerin sowohl von der Politik als auch vom Träger nicht alleingelassen und damit überfordert werden.

Familienrealität und die Situation der Kinder heute

Seit Friedrich Fröbel versteht sich der Kindergarten als eine familienergänzende Einrichtung. Fröbel begründete seinen Kindergarten in seiner Schrift wie er sagte, vom Wesen des Kindes her, also anthropologisch und von den Verhältnissen des Kindes her. Das Kind in seinen Verhältnissen, das war für Fröbel das wohl behütete Kind in der für ihn intakten Familie des gehobenen Bürgertums.

Zitat: "Vater, Mutter und Kind bilden ein in sich dreieiniges Lebensganzes die Familie". Fröbel ging dabei von einem Leitbild der Familie aus. Die Familie wurde verstanden als ein Mikrokosmos der Gesellschaft, und diese war für ihn eins mit der jeweiligen Familienordnung. Es war für ihn eine patriarchalische Gewaltenteilung, die er religiös metaphysisch begründete. Fröbel schon beachtete nicht die damals bereits sichtbar werdenden Veränderungen in unserer Gesellschaft. Er ging nicht von der Familienrealität aus, sondern weitgehend von einem Leitbild, das er hatte. Elternarbeit vom Kindergarten aus hat bis heute sowohl die Bedürfnisse der Kinder und ihre Entwicklung, d.h. die Entwicklungsdimension zu berücksichtigen, als auch die jeweilige Familienrealität. Die Familie aber sowohl als Leitbild, als auch als Realität hat sich seit Fröbel gewandelt und ist ganz offensichtlich in einem weiteren Wandlungsprozeß. Diesen Wandlungsprozeß möchte ich zunächst in 8 Punkten kurz skizzieren:

1. Seit der französischen Revolution zeigt sich eine Säkularisierung des Gesellschaftslebens und damit eine Pluralität von Normen, eine Normenvielfalt. Das beinhaltet im Hinblick auf unser Thema, Erziehungsziele werden immer weniger religiös oder philosophisch begründet, sie werden häufig heute pragmatisch, ja häufig nur mehr von der Politik gesetzt, häufig auch nicht mehr psychologisch begründet. Es gibt zugleich eine Vielfalt von Normen in der Pädagogik und diese Vielfalt verunsichert sehr viele Eltern. Es zeigt sich ganz offensichtlich eine hohe Erziehungsunsicherheit bei manchen Eltern. Der Säkularisierungsprozeß betrifft aber auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander, d.h. auch die Normen und Verhaltensweisen von Mann und Frau haben sich sehr geändert und damit auch das Verständnis von Ehe und Familie. Damit entwickelte sich gleichzeitig ein anderes Verhältnis zu den Kindern. Kinder sind für viele Menschen heute kein Geschenk Gottes mehr, denn sie sind in der Regel geplant, sie sind gewollt und sie erhalten damit einen anderen Stellenwert von Anfang an im Leben vieler Erwachsener und Eltern. Kinder sind gewollt, dementsprechend findet bei den Eltern eine bewußte Auseinandersetzung sehr früh, bei vielen mit der Geburt, der Planung der Entwicklung der Kinder statt. Sie informieren sich, um die besten Bedingungen für die Entwicklung ihres Kindes zu schaffen. Sie fragen nach Rat und dabei kommt ihnen eine Flut von Ratgeberliteratur, von Illustrierten, Zeitungen und Artikeln entgegen, die wiederum dann zugleich ein Spiegel einer zunehmend verwissenschaftlichten Erziehung sind. Man erhofft sich Rat vom Wissenschaftler. Man muß aber fragen, ob er das überhaupt kann. Für die Kinder wird zugleich ein hoher Aufwand getrieben, man will eine optimale Förderung. Zugleich ist die Zuwendung in vielen Fällen viel intensiver bis hin zu einer möglichen emotionalen Umklammerung, aus der sich manche Kinder nur schwer lösen können.

2. Die vielfunktionale Form der Großfamilie, in der möglichst alle Bereiche vereinigt waren, die das Leben bestimmten, hat sich weitgehend aufgelöst. Die Arbeits-, die Versicherungs-, die Erziehungs-, Erholungs- und die Freizeitausgaben sind gleichsam aus der Familie ausgewandert. Auch werden immer mehr, vor allen Dingen Erziehungsaufgaben abgegeben. 1850 gingen etwa 2 % der Kinder in einen Kindergarten, heute sind es bei Ihnen 95 - 97 %. Es hat also so etwas wie eine Pädagogisierung des Alltags der Kinder stattgefunden. Mit Trennung von Arbeits- und Familienwelt ist der Erfahrungsbereich der Familienmitglieder, heute nicht nur der des Mannes, sondern auch zunehmend und vielfach der der Frau, einerseits zwar immer umfassender geworden, andererseits werden die Aufgaben der Familien zu Hause auf einen immer schmäler werdenden Bereich eingeschränkt. Auf die Gestaltung vor allem der individuellen und auch der emotionalen Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder. Vor allem der Mutter kommt dann eben in unserer Gesellschaft die Aufgabe zu, eine Balance, einen Ausgleich der individuellen Bedürfnisse und Emotionen, in einem immer komplexer werdenden Alltag herzustellen und diesen Alltag immer neu zu organisieren, ja gleichsam zu managen. Kindergartenzeiten, Schulzeiten, Essenszeiten, Zeiten an denen der Mann zur Arbeit geht, an denen sie selber geht, an denen die Kinder wieder kommen. Am Nachmittag müssen die Kinder vielleicht noch wo anders hingehen, das alles verlangt einen Ausgleich, denn jeder, der wieder kommt, will auch seine Erfahrung loswerden, will sprechen, will angehört werden. Zugleich wird die Familie, wenn das emotionale Beziehungsgefüge, auch der Partner so sehr in den Mittelpunkt rückt und sich die Normen im Verhältnis der Geschlechter zueinander ändern, immer gefährdeter, immer zerbrechlicher. Dies belegen die hohen Scheidungsraten.

3. Mit den aufgezeichneten Tendenzen ist eine zunehmende Individualisierung verbunden. Mit den hochspezialisierten Arbeits- und Funktionssystemen unserer Gesellschaft korrespondieren immer individuellere Lebensverläufe, die zugleich von den sich wandelnden Systemen der Arbeitswelt abhängig sind. Diese hohe Mobilität, - ich war in zwei Stunden aus dem Ruhrgebiet hier, mußte dann allerdings drei Stunden gebrauchen, um vom Flughafen hier herzukommen, - zeigt sich auch beim Wohnungswechsel. In der Stadt, aus der ich komme, Dortmund, zieht alle vierzehn Minuten eine Familie um. Wohnungswechsel im Lebensverlauf, vielfach auch heute Berufswechsel, lebenslanges Lernen, immer neues Umstellen auf andere Situationen. Dieser Individualisierungsschub zeigte sich vor allen Dingen bei den Frauen und auch bei der Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mobilität, Wohnungswechsel, Berufswechsel, vorübergehende Arbeitslosigkeit, Umschulung, vielleicht dauerhafte Arbeitslosigkeit, gefordertes lebenslanges Lernen, das alles stellt immer neue Anforderungen an die Familie, enthält Chancen zugleich aber auch Gefahren, verlangt Umstellungen von der Familie und auch den Kindern. Dies spiegelt sich dann auch in den Erwartungen wider, die die Eltern nicht nur an die Kinder, sondern auch an die Tageseinrichtungen, an die Beratungen, an die Unterstützung und Betreuung ihrer Kinder stellen. Dies alles beinhaltet dann auch Bewährung des einzelnen, Behauptung in einer scharfen Konkurrenz. Eine individuelle Förderung und damit frühe Leistung werden von immer mehr Eltern, von ihren Kindern verlangt, manchmal schon im Kindergarten, und viele Kinder werden damit überfordert. Immer mehr Eltern wünschen und erwarten, daß ihre Kinder die Hochschulreife erlangen. In Nordrhein-Westfalen sind das fast 70 %. Das muß zur Überforderung vieler Kinder führen.

Die Individualisierung innerhalb der Erwachsenenwelt hat auch in den Beziehungen für den Umgang mit den Kindern Konsequenzen. Das Kind stellt zwar auf der einen Seite für manche ein Hindernis im Individualisierungsprozeß, häufig bei jungen Menschen, dar. Andererseits wird es zur letzten verbliebenen, unaustauschbaren Primärbeziehung. Partner kommen und gehen. Das Kind gewinnt mit dem Brüchig-Werden der Beziehungen zwischen den Geschlechtern Monopolcharakter auf gelebte Zweisammkeit. Die Säkularisierungstendenzen, die Pluralität der Meinungen, die Individualisierung der Lebensverläufe, das spiegelte sich dann noch einmal in einer Pluralität von Familienformen. Es gibt nicht mehr die Familie. Hertz zählt im Handbuch der Familienforschung folgende Formen auf: Kleinfamilie, Großfamilie, Mehrgenerationenfamilie, vollständige Familie, unvollständige Familie, Einelternfamilie, Stieffamilie, Pflegefamilie, rekonstruierte Familie nach Wiederheirat. Kinder kommen in eine Familie durch Geburt, vor oder nach der Eheschließung bei einigen bewußt auch unehelich, nach Trennung der Eltern, nach Scheidung, nach Verwitwung durch Wiederverheiratung oder auf Zeit in eine Pflegefamilie. Der allergrößte Teil der Kinder in unserer Gesellschaft wird in eine Ehe hineingeboren. Kinder sind ja, das wissen Sie, häufig der Grund zur Eheschließung. Für manche junge Menschen hingegen sind Kinder heute kein Grund mehr verheiratet zu sein. Ehe und Familie gehören für manche Menschen nicht mehr unbedingt zusammen. Ich werde jetzt nicht auf die verschiedenen Familienformen und die damit für die Kinder verbundenen Problemsituationen eingehen. Hier soll zunächst die Feststellung genügen, daß es unterschiedliche Familienformen gibt, die den Alltag der Kinder bestimmen und die in der Elternarbeit zu berücksichtigen sind. Um hier auch nicht mißverstanden zu werden, es handelt sich insgesamt gesehen, und das zeigen gerade neueste Umfragen, nicht um einen Bedeutungsverlust der Familie, sondern um einen starken Bedeutungswandel.

5. Es gibt erhebliche demographische Veränderungen. Dazu nur ganz wenige Fakten: Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen hat sich in den vergangenen hundert Jahren nahezu verdoppelt. Im Ruhrgebiet lebte eine Frau vor 100 Jahren im Schnitt 36 Jahre. Sie lebt heute 78 Jahre und der Mann 72 Jahre. Allein diese Daten verweisen auf Strukturveränderungen der Familie. Gewandelt haben sich die Familie, die Zeiträume vor der Ehe, der Partnerschaft, die Dauer der Berufsausbildung, die Zeit, in der die Kinder aufgezogen und erzogen werden, und die sogenannte nachelterliche Phase. Vor einigen Jahren überlegte ich mit meiner Frau, was wir uns vornehmen: "Wir haben die vier Kinder aus dem Haus, wir haben jetzt noch 25 Jahre, was machen wir?" So ein Denken wäre vor vielen Jahren noch ganz unmöglich gewesen. Das zeigt einfach ganz große Veränderungen in den Lebenszyklen der Menschen. Es gibt im übrigen in unserer Gesellschaft darüber hinaus immer mehr Einzelhaushalte und immer mehr Kinder wachsen mit keinem oder nur einem Geschwister auf, wobei Ihre Eltern älter als früher sind und der Abstand zwischen den Geschwistern größer wird. Wenn das Kind keine oder nur eingeschränkte Geschwistererfahrungen hat, fehlen bedeutsame Erfahrungen wie Aushandeln von Positionen in der Gruppe, Kompromißsuche, Abgrenzen von anderen, wichtigen Punkten für die Identifikationsentwicklung. Die Kinder können häufig keine eigene Kinderwelt mehr außerhalb der Erwachsenenwelt schaffen. Manchmal ist alles geregelt, kein freier Raum mehr da. Häufig haben Sie keine Chance, eine eigene Welt zu gestalten.

6. Veränderungen haben sich weiter insbesondere dadurch ergeben, daß die Frauen gegenüber dem Beruf und der Hausarbeit und vor allem auch hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft, andere Einstellungen und zunehmend auch andere Verhaltensweisen entwickelt haben. In allen modernen Staaten besteht seit Jahren das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dies wiederum hat erhebliche Konsequenzen für die Tageseinrichtung für Kinder. Es wurde vorhin schon die Frage der Flexibilisierung der Öffnungszeiten angedeutet. Ich bin hier der Meinung, nicht die Öffnungszeiten der Kindergärten oder der Krippen müssen flexibilisiert werden, sondern die der Betriebe, in die die Mütter gehen. Seit Jahren befinden sich die modernen Industriestaaten in einem Umbruch hinsichtlich der Arbeitswelt. Ich erlebe das im Ruhrgebiet. Als ich hinzog gab es noch vierzehn Zechen, heute keine mehr. Das letzte Stahlwerk wird geschlossen. Als ich vor fünfzehn Jahren an den Universitätsort kam und den Lehrstuhl bekam, war vor meinem Fenster eine riesengroße, grüne Fläche. Dort steht heute das erste Technologiezentrum in Deutschland, mit 5.000 neuen Arbeitsplätzen innerhalb von 6 Jahren. Eine völlig andere Industrielandschaft, die dann aber von den Eltern und von den Menschen andere Arbeitsweisen, andere Qualifikationen verlangt. Die Arbeitswelt aber, und was dort Väter und Mütter lernen, was von ihnen verlangt wird, das hat nachweislich immer einen sehr großen Einfluß auf die Erziehung gehabt, d.h. z.B. Eltern stellen andere Anforderungen an ihre Kinder, Eltern stellen früher und erhöhte Anforderungen und damit häufig auch an die Tageseinrichtungen, und dies stößt sich dann häufig mit pädagogischen Prinzipien.

7. Ich fasse noch einige weitere Veränderungen zusammen, die Einfluß auf den Alltag der Familien und die Situation der Kinder und damit dann immer auch auf den Kindergarten haben. Kinder erfahren Zeit heute anders. Der Alltag der meisten Familien verlangt eine hochkomplizierte Zeitorganisation. Für viele Mütter eine der wichtigsten Aufgaben, dies am Tag hinzukriegen. Kinder aber entwickeln erst ein Zeitverständnis. Verhaltensbiologen haben gesagt, erst mit sieben Jahren haben Kinder ein Zeitverständnis wie wir. Ich stoße bei manchen Frauenverbänden an, die morgens um sechs Uhr öffnen. Wenn Kleinkinder unter drei Jahren um fünf Uhr aufstehen müssen dann wieder einschlafen, dann aufgeweckt werden, d.h. permanent aus Ihrem Zeitrhythmus gerissen werden, muß das Katastrophen geben, muß das zu Verhaltensstörungen führen.

Die heftige Diskussion, vielleicht bei Ihnen noch nicht so heftig wie bei uns, um die Flexibilisierung der Öffnungszeiten der Einrichtungen und damit auch die Frage, wie die Bedürfnisse der Erwachsenen in einer verantwortbaren Balance mit den elementaren Grundbedürfnissen von Kindern gebracht werden können, ist dafür ein Beispiel. Ein weiterer Punkt:

Im Umfeld der Familien haben sich die sogenannten sozialen Beziehungen, die Beziehungen und Kontakte in der Nachbarschaft und manchmal auch in der Verwandtschaft geändert - im übrigen nach neueren Untersuchungen keineswegs immer nur negativ. Häufig sind mehr Beziehungen da, als wir meinen. Es gibt auch zahlreiche Initiativen von Eltern, Kinder zusammen zu bringen und Kontakte zu knüpfen. In der näheren Umgebung der Wohnung gibt es für viele Kinder heute keine für sie geeigneten Spielpunkte und Treffpunkte mehr und der Kindergarten wird auf diesem Hintergrund zu einem Ort, der Kindheit und Spiel ermöglichen muß. Er hat damit eine kompensatorische Funktion. Das Leben der Familien und Kinder ist darüber hinaus in einem zunehmenden Maße durch Medien aller Art, nicht nur durch das Fernsehen, sondern auch durch ein großes Medienverbundsystem geprägt, das auch wiederum in den Kindergarten reicht. Ich nenne immer das Beispiel von Heidi. Als der Heidi-Film kam, wurden gleichzeitig 125 Produkte auf den Markt geworfen. Bei den Dinosauriern sind es augenblicklich fünf Millionen verschiedene Produkte, die auf den Markt geworfen werden. Es ist nicht nur der Film, sondern ein Medienverbundsystem ( Figürchen, Spiele und so weiter), die dann selbstverständlich auch in die Einrichtung kommen, die einen Einfluß auf den Tagesablauf haben und bestimmte Inhalte und Gespräche in den Familien beeinflussen. Wir wissen heute sehr genau (ich leite zur Vorbereitung des internationalen Jahres der Familie für die Bundesrepublik die Arbeitsgruppe Kind, Familie und Medien), wie sich, je nachdem wie das Medium Fernsehen benutzt wird, die Kommunikationsstrukturen in den Familien ändern und zwar ganz erheblich ändern. Festhalten müssen wir: Kommt ein Kind in den Kindergarten, dann hat es bereits eine eigene Medienbiographie. Ebenso im übrigen auch die Kindergärtnerinnen.

Nach einer repräsentativen Untersuchung, die wir vom Institut gemacht haben, sehen vor allen Dingen die jungen Erzieherinnen keineswegs weniger fern, als andere. Sie kommen dann immer nur in einen Konflikt rein. Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil sie's tun und weil sie von ihren Kindern anderes verlangen müssen und sind in einer ganz merkwürdigen, ambivalenten Situation. Aber das wäre ein Extrathema. Bei allen Veränderungen, die ich aufgezeigt habe, muß man festhalten: Familie sorgt auch heute einerseits für das materielle Wohl der Familienmitglieder, und ist andererseits, was wichtiger ist, der Intimbereich gegenüber dem Bereich der Öffentlichkeit. Sie ist weiterhin der primäre Bereich der Erziehung und Sozialisation der Kinder. Eine zentrale Aufgabe ist dabei die Gestaltung der Beziehungen zueinander, sowohl nach innen als auch nach außen. Immer wieder muß ein Ausgleich, eine Balance gefunden werden zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder und den Anforderungen aller. Dazu ist vor allem so etwas wie eine emotionale Beziehungsarbeit wichtig geworden. Sie wird ganz vorherrschend von der Mutter geleistet. Sie sorgt in der Regel immer wieder für das emotionale Gleichgewicht in der Familie, eine Aufgabe, die häufig übersehen wird. Dabei spielen im übrigen dann auch in unserer Gesellschaft Konsumfragen eine große Rolle: "Was die haben, müssen auch unsere Kinder haben". Die Aufgabe ist es dann, auch für eine Bereitstellung von Konsumchancen für das Kind zu sorgen. Im Beziehungsgeflecht der Familie ist schließlich, und das ist wichtiger, die Rolle des Kindes eine andere geworden. Kinder sind nicht nur geplant und gewollt. An sie werden andere Anforderungen gestellt, Kinder sind heute selbständiger geworden als früher, sind anders. Die Frage der Rechte der Kinder und der Bedürfnisse von Kindern rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang hat sich in vielen Familien das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern geändert. Das Erziehungsverhalten ist partnerschaftlicher geworden. Häufig haben sich einseitige Machtverhältnisse zwischen Eltern und Kindern verschoben.

Manche Eltern nehmen ihre Autorität zurück, sind dabei aber gleichzeitig wie nie zuvor für ihre Kinder verantwortlich. Erziehungsaufgaben müssen dabei ständig neu organisiert bzw. begründet werden. Zum Teil werden sie dann mit den Kindern ausgehandelt. Das Aushandeln mit dem Kind, die gegenseitige Berücksichtigung der Wünsche in der Familie, sind in vielen Familien ein wesentliches Merkmal des Umganges zwischen den Kindern und den Erwachsenen geworden. Da wird alles besprochen und ausführlich beredet und das eigene erzieherische Vorgehen gegenüber den Kindern begründet. Man könnte sagen, vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln.

Statt der herkömmlichen Autoritätsmuster gibt es in vielen Bereichen eine Erziehungsliberalität, aber der Eindruck, es handelt sich hier ausschließlich um das Einräumen neuer Freiheiten, Mitbestimmungsrechte, Handlungsspielräume für das Kind trügt, in manchen Fällen. Zahlreiche Momente des elterlichen Verhaltens lassen die Situation des Kindes höchst widersprüchlich und ambivalent erscheinen und zwar aus folgenden Gründen: Die Eltern haben einerseits das Leitbild oder das erzieherische Zielkonzept von der Selbständigkeit und Eigenständigkeit des Kindes und ihrer selbst. Das hängt auch mit dem Individualisierungsschub zusammen. Gleichzeitig ist aber das Kind häufig emotional besetzt, ist Gegenstand einer Form der eigenen Selbstverwirklichung. Der jüdische Philosoph Martin Buber würde sagen, es wird zum Es für meine eigenen Belange. Es kann auch durchaus sein, daß manche Eltern aufgrund einer normativen Verunsicherung, die ich schon angesprochen hatte, unsicher in Erziehungsfragen sind und diese jetzt mit den Kindern aushandeln wollen. Sie sind oft nicht mehr in der Lage in Fragen von erzieherischen Normen Stellungen zu beziehen. Und dieses Aushandeln mit den Kindern hat ein Kollege als lediglich fehlenden Mut zur echten Autorität bezeichnet. Beim Aushandeln haben Erwachsene nämlich immer einen Erfahrungs- und Wissensvorsprung, der ihnen dann dazu verhilft, dem Kind Entscheidungen mit Hilfe von ihren vernünftigen Argumenten plausibel zu machen. Sie haben eine Autorität, gegen die man sich nicht wehren kann, weil sie ja so vernünftig ist. Nicht gegen autoritäre Eltern muß sich das Kind dann wehren, zur Wehr setzen, sondern gegen die Vernunft. Spontane Neigungen, affektive Interessen und die Spontanität des Kindes werden damit häufig nicht dem Prinzip des Gehorsams, sondern viel mehr der Vernunft untergeordnet. Das Kind aber braucht die Spontanität, und kann gerade mit unserer Vernunft, weil es ganz anders denkt und noch nicht unsere Logik hat, gar nichts anfangen. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich bin nicht gegen eine Erziehung der Selbständigkeit, ich befürchte manchmal nur, daß hier an Stelle offener Autorität eine subtile angewandt wird, gegen die sich die kleinen Kinder und auch die etwas größeren überhaupt nicht mehr wehren können.

Fragen und Erwartungen der Eltern

Zu Fragen, was Eltern vom Kindergarten erwarten, liegen einige Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen vor. Auch wenn diese nicht unbedingt repräsentativ sind, möchte ich die wichtigsten Ergebnisse zusammenfassen, die gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln und wichtige Hinweise für die Elternarbeit geben. Die Untersuchungen bezogen sich zum größten Teil auf den klassischen Kindergarten, aber auch auf Tageseinrichtungen. All das bezieht sich auf gemischte Gruppen, in denen auch jüngere Kinder waren. Deutlich wird zunächst, daß für die Eltern die Tageseinrichtung vor allem ein Ort sein sollte, an dem ihr Kind Kontakt mit anderen Kindern erhält und zugleich ein Ort, von dem sie unbedingt erwarten, daß speziell ihr Kind ganz individuell gefördert wird.

Sie wollen also so etwas wie soziale Erziehung und zugleich ganz spezielle individuelle Förderung und es dürfte für sie häufig eine sehr schwierige Aufgabe sein, dies miteinander zu verbinden. Sie wollen vor allen Dingen keine Bewahranstalt. Nach einer Untersuchung von Textor vom bayrischen Staatsministerium in einem Modellversuch initiiert, erhofften 55 % der befragten Eltern zugleich einen Ort zu finden, um mit anderen Eltern Kontakt zu bekommen. Also einen Kommunikationsort auch für Eltern. Der Kindergarten als Kommunikationsort. Rund 45 % erhofften dort Antwort auf Erziehungsfragen zu bekommen. Der Anteil ist deshalb so hoch, weil sie offensichtlich unsicher sind in Erziehungsfragen. Interessant und aufschlußreich ist bei den Ergebnissen, bei der Untersuchung von Textor weiter, daß etwa 90 % der Eltern sich wünschen, regelmäßig Wissenswertes für Familien zu erfahren, z.B. über Hilfsangebote, Betreuungsmöglichkeiten, Freizeitmöglichkeiten, Austausch von Kleidern und Kinderbekleidung und dgl. Immerhin über ein Drittel war bereit, dies selbst zu organisieren.

Damit hat der Kindergarten eine informationsvermittelnde Funktion zwischen den Familien, wenn man das ernst nimmt. Gleichzeitig zeigte sich, daß offensichtlich bei den hier befragten Eltern eine sehr hohe Bereitschaft zur Nachbarschaftshilfe und ein sehr hohes Hilfspotential zur Verfügung steht, vor allem auch für Alleinerziehende vorhanden ist. Denn nahezu 80 % der Eltern waren bereit, auch einmal ein anderes Kind zu betreuen, zwei Drittel würden dies unentgeltlich, 41 % stundenweise tun. Wichtiger als die einzelnen Prozentzahlen, mit denen ich Sie auch nicht langweilen will, ist die Tatsache, daß hier offensichtlich ein Hilfspotential in der Nachbarschaft vorhanden ist, das über den Kindergarten dann erschlossen werden kann. Textor spricht noch von weiteren Ressourcen, also Möglichkeiten, die für eine offene Kindergartenarbeit erschlossen werden könnten. Nach seinen Befragungen würden die meisten Eltern die Aktivitäten außerhalb des Kindergartens wie Wanderungen, Besichtigungen, Schwimmkurse usw. begleiten. Eine große Anzahl der Eltern wäre bereit, Kindergartenkinder an ihren Arbeitsplatz einzuladen, so daß diese einen Eindruck vom Berufsleben bekommen. Viele Eltern würden ihre besonderen Fähigkeiten (Hobbys, Schreinern, Töpfern oder dergleichen) im Kindergarten vorführen. Ebenso wären viele bereit, einen Kurs auch für Kinder durchzuführen. Großes Interesse fand auch die Mitwirkung bei der Gestaltung des Eingangsbereiches. Aus eigenen Erfahrungen kann ich sagen, es gibt sehr wohl auch Aufgaben, z.B. Umgestaltung der auch so furchtbar langweiligen Spielplätze an Kindergärten. Dies ist ein Bereich, wo man Väter sehr gut aktivieren könnte, wo sie sehr gut mitarbeiten würden. Eltern zeigen somit, ich komme auf Textor zurück, ein hohes Interesse für Mitarbeit. Die Konsequenz wäre, dieses Interesse zu unterstützen. Er stellt abschließend in seiner Untersuchung fest:

Als Fazit der Elternbefragung läßt sich festhalten, daß Eltern noch ungenutzte Ressourcen für den Kindergarten sind. Ihre Einbeziehung in das Leben mit Kindern könnte den Kindergarten also auch bereichern, Kindern neue Bildungsmöglichkeiten eröffnen und ihnen einen umfassenderen Einblick in die Erwachsenenwelt ermöglichen. Dies verlangt aber eine Öffnung des Kindergartens. Nun wurden, das muß ich sagen, die Untersuchungen von Textor in einem Modellversuch gemacht, und ich bin mir nicht ganz sicher, in wieweit sie immer übertragbar sind. Nach einer Befragung von Erzieherinnen und Eltern, jedoch mit einem sehr hohen Anteil Alleinerziehender und auch in altersgemischten Gruppen, sind wir in Dortmund und Münster zu etwas anderen Ergebnissen gekommen. Interessant war für uns, daß viele Eltern Rat suchten im Bereich Konflikt Eltern - Kind und Konflikt Kind - Kind. Es folgten dann Fragen nach Erziehung, Spielzeug, Spielen mit anderen Kindern, Kind und Medien, sexuellen Problemen.

Wir haben auch die Eltern anhand einer vorgegebenen Tabelle gefragt, nach den wichtigsten Formen der Elternarbeit, zunächst nach den wichtigsten Inhalten. Da heißt es:

- Hilfe bei aktuellen Problemlagen in der Familie. Damit würde an die Kindergärtnerin etwas ganz anderes herangetragen, als es bislang klassisch der Fall war.

- Informationen für die Entwicklung, Informationen über die pädagogische Arbeit, in der Einrichtung und deren Zielsetzung.

- Hilfe bei ganz speziellen Erziehungsfragen.

- Fragt man im weiteren nach welchen Formen der Elternarbeit, dann wünschen sie sich vor allen Dingen Möglichkeiten zu täglichen Tür- und Angel-Gesprächen aber auch zu Einzelgesprächen über individuelle Probleme mit Kindern. Gewünscht sind auch Elternstammtische und Elternnachmittage, Bastel- und Spielnachmittage und viel weniger - mit sehr hohem Abstand dann erst genannt - Elternabende, die gleichsam Bildungs- und Vortragscharakter haben. Also sie wollen andere Kommunikationsformen. Die Eltern nehmen dabei gerne die Beratung und Hilfe der Erzieherinnen in Anspruch. Der Wunsch zu einer kontinuierlichen Mitarbeit war nach dieser Befragung weit nicht so groß, wie bei der von Textor. Vielleicht weil es eine andere Auswahl war. Ein besonderer Bedarf an Beratung und Information besteht offensichtlich in allen Richtungen, mit einem hohen Anteil Alleinerziehender.

In einer von mir durchgeführten Befragung nicht nur schriftlich, sondern vor allen Dingen mit Tiefeninterviews, mit Kindergärtnerinnen zeigt sich ein hoher Beratungs- und Informationsbedarf, der inhaltlich, organisatorisch und methodisch mit den klassischen Mitteln der Elternarbeit nicht mehr aufgefangen werden kann. Hier kommt man an eine Grenze, das werde ich gleich aufzeigen. Der Beratungsbedarf dieser Eltern bezieht sich keineswegs nur auf Fragen, die die Kinder betreffen, sondern zum Teil vordringlich auf konkrete Hilfe bei Altersproblemen, bei ganz persönlichen Problemen, auf alltägliche Schwierigkeiten, die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammenhängen. Auf die besondere Überbelastung der Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft, auf die Sorgen um den Arbeitsplatz, aber dann ein ganz wichtiger Punkt, auf die Aufarbeitung ganz persönlicher Enttäuschungen, z.B. nach Scheidung, Aufarbeitung von Verletzungserlebnissen, z.B. nach einer Trennung oder auch die mit dem Aufbau einer neuen Partnerschaft verbundenen Probleme auch mit dem Kind, auf Schuld und Unzulänglichkeitsgefühle gegenüber dem Kind, wenn es z.B. wegen der Berufstätigkeit zur ganztägigen Betreuung, vor allen Dingen auch von Kindern unter drei Jahren kommt.

Gerade die hier aufgezählten Problemkreise spiegeln für mich die gewandelte Situation mancher Familie; ich weiß, daß das unterschiedlich ist. Ich weiß, in der Bundesrepublik im Schnitt sind das 12 - 14 %, in Berlin gibt es Stadtteile mit 75 % Alleinerziehender, in Dortmund mit 60 %. Also das ist regional verschieden, sehr unterschiedlich, aber ich wollte diese Gruppe ausdrücklich nennen. Sie als Kindergärtnerin sind von Ihrer Ausbildung und vom Beruf her Pädagoginnen, Erzieherinnen, aber nicht Erziehungsberater, nicht Psychologen, nicht Therapeuten. Manche von Ihnen geraten heute aufgrund der hohen Anforderungen, die an Sie gestellt werden, in einen Problem- und Handlungsdruck, dem Sie nicht gewachsen sein können. Die Grenze zwischen Pädagogik und Therapie muß bei allem, was ich sehr wohl weiß nach einem sehr langen Psychologiestudium, deutlich bleiben. Ihre Aufgabe kann bei schwierigen Fällen nur eine an andere Institutionen, an therapeutische Erziehungsberatungsstellen vermittelnde sein. Die Grenze muß beachtet werden. Um die Grenzen Ihrer Arbeit im Alltag zu reflektieren, um nicht in unnötige und dann von Ihnen nicht zu lösende Konfliktsiutationen zu geraten, bedürfen Sie selbst ständig der Beratung und der Supervision. Abzuraten ist in diesem Zusammenhang, das sage ich ausdrücklich, auch wenn ich da manchmal Ärger bekomme, von kurzfristigen therapeutischen Zusatzausbildungen, die dann manchmal für wenig, manchmal für sehr viel Geld auch in Kindergartenzeitschriften angeboten werden. Die Grenze muß und soll erhalten bleiben. Das Feld der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kindergärtnerinnen ist häufig auch ein Konfliktfeld.

Deutlich werden ließen die Interviews aber auch ein Problem, das ich bislang noch nicht angesprochen habe. Das Feld der Zusammenarbeit ist offensichtlich in einigen Fällen und bei ganz bestimmten Inhalten auch ein Spannungsfeld zwischen den pädagogischen Erwartungen und Ansprüchen der Eltern und den pädagogischen Maßstäben, die Kindergärtnerinnen ansetzen und auch ansetzen müssen. Da fordern Eltern längere und flexiblere Öffnungszeiten, um das Kind jederzeit bringen und abholen zu können. Da verlangen die Eltern eine vorschulische gezielte Förderung zur Vorbereitung auf die Schule. Verlangen genaue Wochen- und Monatspläne mit genauen Lern- und Erziehungszielen und wollen das womöglich auch noch überprüfen. Da ist für manche Eltern der andere Kindergarten ja viel besser, denn da geht noch alles nach ordentlichen Regeln zu, und mittags bringen die Kinder immer so hübsche Bastelarbeiten mit nach Hause - die Bastelarbeit als Leistungsnachweis. Die Kindergärtnerinnen haben aber ganz andere Vorstellungen. Sie verlangen Kernzeiten für die Arbeit, sehen wohl die Grenzen der Flexibilität, wehren sich aber, direkt auf die Schule vorzubereiten. In den Interviews werfen die Kindergärtnerinnen manchen Eltern völlige Interesselosigkeit vor: " Sie geben ja nur Ihre Kinder bei uns ab", und einige sagten: "manche Eltern können ja nicht mehr richtig und regelmäßig für ihre Kinder kochen, das sollten sie erst mal wieder lernen". Kurzum, das mag bei Ihnen alles anders sein. Die Interviews deckten ein erhebliches Konfliktfeld auf, das im übrigen dann besonders gravierend war, wenn im Team des Kindergartens selbst auch Konflikte waren und hier keine Abstimmung im Erziehungskonzept möglich war. Dann wurde es dramatisch. Weil Datenkonfliktfeld war und genau die Eltern dort hinein gingen. Wie reagieren nun Kindergärtnerinnen auf Anforderungen und Ansprüche, die sie aufgrund ihres pädagogischen Anspruches oder auch der Situation im Kindergarten nicht erfüllen können? Sind sie vielleicht überlasten durch eine zu große Gruppenstärke, zu viele Problemkinder oder liegt es auch an Ihrer unzureichenden Ausbildung, manche Anforderungen und Ansprüche nicht erfüllen können?

Ich zitiere eine Erzieherin aus dem Handbuch der Elementarerziehung: "Sie sind teils verletzt, teils ängstlich, teils hilflos gegenüber Eltern, gerade manchmal jüngere haben auch persönliche Versagensängste obwohl ja die Probleme überhaupt nicht im persönlichen Bereich liegen, sondern struktureller Art sind. Die Reaktion von Erzieherinnen auf solche Situationen kann sehr unterschiedlich sein. Da machen manche weiter wie bisher und halten sich die ewigen 'Meckereltern' auf Distanz. Da verstecken sich andere hinter einem wissenschafts-pädagogischen Vokabular und halten damit die Eltern in der Rolle von Unwissenden, die dann auch kein Recht haben hier was zu fordern. Oder Sie verteidigen sich, indem Sie die Eltern mit Belehrungen zurechtweisen. Oder sie gehen den Wünschen der Eltern nach, geben ihnen nach, möglicherweise auch in eine Richtung, die sie gar nicht für gut heißen, die aber Ruhe und Harmonie und Anerkennung garantiert und verspricht. Oder sie suchen nach Verbündeten bei einer anderen Elterngruppe und spalten damit ihre eigene Elternschaft." Das ganze war Zitat einer Kindergartenleiterin. Ich weiß, daß bei Ihnen immer alles anders ist. Die Konflikte und Spannungen und die Reaktionen der Kindergärtnerin sind ja verständlich. Von seiner Tradition her ist der Kindergarten darauf ausgerichtet, seine pädagogische Konzeption und Praxis von den elementaren Grundbedürfnissen der Kinder und den Entwicklungstatsachen des Kindes her zu gestalten. Im Kindergarten erfährt das Kind eben neben der Betreuung und Pflege - es ist vorhin zurecht gesagt worden, Betreuung, Erziehung und Bildung müssen eine Einheit bilden - gezielte individuelle Förderung und soziales Lernen. Sein Autonomiestreben und der Aufbau neuer Beziehungen wird gewährleistet. Betreuung, Erziehung und Bildung des Kindes sind die Grundpfeiler der Arbeit. Verunsichert wird dieses, so der Kollege Neumann, herkömmliche Gebäude der Frühpädagogik durch den Wandel der Familie und der Lebensverhältnisse der Kinder, der die Tageseinrichtungen immer mehr zu einem Begegnungsort von Kindern, Eltern und Erzieherin werden läßt, und wo die Eltern immer mehr Ansprüche stellen. Aber bei allen Änderungen bleibt die Grundaufgabe und muß sie die gleiche bleiben: Grundbedürfnisse der Kinder beachten.

Die Grundbedürfnisse des Kindes und die Entwicklungstatsachen, sind keine Rand- oder Zusatzbedingungen pädagogischen Handelns, sondern konstitutiv. Bei aller Notwendigkeit einer Balance zwischen den Bedürfnissen der Erwachsenen und denjenigen der Kinder z.B. Familie und Beruf, muß den kindlichen Bedürfnissen genüge getan werden, soll nicht Schaden auf Dauer entstehen. Grundbedürfnisse sind elementar, irreparabel insofern sie ein Minimum nicht aber ein Maximum kindlicher Lebensumstände betreffen. Es wäre ein besonderes Thema, was sind Grundbedürfnisse und wieso muß ich sie heute berücksichtigen. Ich will sie nur kurz nennen, die wichtigsten:

1. Physiologische Grundbedürfnisse wie die nach Nahrung zur rechten Zeit, nach Wärme, nach Schutz, Bewegung, Erholung und Ruhe. Ich bin manchmal entsetzt, wie unruhig es ist in unseren Tageseinrichtungen. Dann wundert es mich nicht, wenn die Kinder nach Hause kommen und sagen, sie sind total k.o. Ich kenne eine Ausnahme: Immer wenn ich im Montessori-Kinderdorf bin, ist es merkwürdig leise und ruhig.

2. Das Grundbedürfnis nach Geborgenheit, gefühlsbetonter zwischenmenschlicher Beziehung. Auch die muß hergestellt werden, und darum müssen wir kleine Gruppen haben.

3. Das Grundbedürfnis nach sozialer Anerkennung, jemand sein wollen.

4. Das Grundbedürfnis nach handelnder gestaltender Auseinandersetzung mit der Umwelt und zwar mit allen Sinnen, mit allen, wie so wohl Rudolf Steiner als auch Maria Montessori immer wieder betont haben. Handelnder Auseinandersetzung und bitte keine Dressurakte, wo Kinder nur still gehalten werden mit bestimmten Tätigkeiten den ganzen Tag. Ich hab da manchmal meine Sorge. Ich hab Pfiffe geerntet und kann das jetzt leicht auch wieder kriegen. Ich hab gesagt, wir haben nur noch Kindergärten von der Stange, die sind alle gleich, alle von der Industrie genormt und mir fehlen viel zu viel Räume zur handelnden und freien Auseinandersetzung, wo Kinder dem wirklich nachgehen können, aber wahrscheinlich ist auch das hier anders. Kinder brauchen gerade in den engen Wohnungen, gerade da sie aufgrund unseres Verkehrs in den Straßen nicht viel Bewegung haben, hier Handlungs- und Spielräume, sie müssen sich bewegen können. In Nordrhein- Westfalen hat ein Kind zur Zeit 2,2 m² und jetzt sollen da fünf Kinder reinkommen, dann hat es 1,8 m². Ich habe ein Stück Papier vom Landtag genommen und den Abgeordneten gesagt, sie sollen sich mal da drauf stellen. Was das hieße, 1,8 m² für ein quicklebendiges Kind, das nun von morgen 8.30 Uhr bis 16.00 Uhr im Kindergarten ist, das kann nicht wahr sein.

5. Ein letztes Grundbedürfnis, das ja so oft übersehen wird, ist das Grundbedürfnis nach Sinngebung. Jede Institution hat auch die Aufgabe, dem Kind in handelnder, kommunikativer Auseinandersetzung mit der Umwelt Sinn zu erschließen und Sinn zu tradieren. Erziehung ist auch Sinnerschließung und Sinntradierung, und da müssen wir uns überlegen, was wir für sinnvoll halten und was wir aussuchen, auch an den Medien, an den Inhalten in unseren Einrichtungen, auch in Auseinandersetzung im Alltag. Es ist erforderlich, sehr rasch zu prüfen, welche Bedürfnisse Kinder aufgrund Ihrer Herkunft, ihrer gegenwärtigen Familiensituation haben. Da brauchen die einen mehr Zuwendung, die anderen brauchen vielleicht etwas ganz anderes. Die neuen Herausforderungen, die heute an den Kindergarten gestellt werden, hängen ja vielfach auch damit zusammen, daß mehr und mehr Kinder ihre Bedürfnisse nicht mehr oder nur teilweise und äußerst begrenzt in der Familie und in ihrem Umfeld berücksichtigen können und auch ausleben können. Noch einmal, die Berücksichtigung der Bedürfnisse und damit verbunden die jeweilige Entwicklung, muß zu den pädagogischen Ansprüchen gehören. Es ist dann auch Aufgabe der Pädagogen, den Eltern deutlich zu sagen, wo die Grenzen sind.

4. Neue Anforderungen, neue Formen der Elternarbeit: Durch die Wandlungen in der Gesellschaft, die Umbrüche und die Veränderungen in den Lebensformen, die Veränderungen in der Umwelt der Kinder, die die Kinder mehr und mehr in Räumen verinselt, sind die Kindergärten neu herausgefordert. Sie sind heute vielfach nicht nur familienergänzende, sonder familienunterstützende und familienentlastende Einrichtungen. Für immer mehr Kinder werden sie zu einem zweiten Erziehungsraum, der manchem Kind erst Kindheit ermöglicht. Zugleich werden die Einrichtungen immer mehr zu einem Begegnungsort von Kindern, Eltern und Erzieherinnen, und damit gewinnt die Elternarbeit an Bedeutung.

Damit sind eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die hier nicht behandelt werden können. Ich will einige nur ganz kurz nennen:

So z.B. die Frage nach den Bildungsinhalten, die wir unseren Kindern anbieten, der Raumausstattung, der Raumgestaltung, der Freiräume, was ich vorhin schon andeutete. Auch die Erwachsenen, unsere Eltern, sind mündiger geworden, sind informierter. Ich glaube, daß es in Zukunft auch darum gehen wird, den Eltern mehr Rechte zu geben; zumindestens ist bei uns darüber eine ganz scharfe Diskussion entbrannt. Nun mag es dort anders sein, wie dort, wo die Eltern den Kindergarten bezahlen müssen und sagen, wir müssen Steuern bezahlen und zusätzlich wollen wir Rechte haben (Auskunftsrechte, Informationsrechte, echte Mitbestimmungsrechte). Man kann Eltern nicht nur benutzen gleichsam zur Wanderung oder zum Kuchenbacken für Feste und dergleichen. Wenn man will, daß es wirklich zur Zusammenarbeit kommt, wird wirklich die Frage auch juristisch auftauchen, was wir ihnen für Rechte einräumen. Den vor Ort unterschiedlichen Problemsituationen muß eine kontinuierliche und offene Form flexibler Elternarbeit korrespondieren, darauf möchte ich jetzt eingehen:

Inhalt und Form der klassischen Elternarbeit reichen häufig nicht mehr aus. Gewiß, das möchte ich eingangs betonen, sind die täglichen Tür- und Angelgespräche, die Angebote an Einzelgesprächen, Informations- und Elternabende und ich meine auch Elternbildung persönlich, Elternbrief und Hausbesuche und die gelegentlichen Feste und Ausflüge weiterhin sinnvoll und erforderlich. Sie bedürfen jedoch individuell der Ergänzung. Eine Öffnung der Arbeit der Einrichtungen, die diese auch als einen Treffpunkt für Eltern, für Eltern und Kinder versteht, kann dabei ganz unterschiedlich organisiert sein. In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von Formen der Elternarbeit neben der klassischen praktiziert und auch propagiert und erprobt worden. Sie zielen insgesamt, und diese Zielsetzungen halte ich zunächst für viel wichtiger, auf:

  1. wechselseitige Öffnung von Kindergarten und Familie.

  2. Ausbau von Einrichtungen als Kommunikationszentrum.

  3. die Förderung von Selbsthilfekontakten unter den Eltern.

Weiter auf die Förderung von Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der Eltern in der Einrichtung. Sie zielen auf eine Öffnung des Kindergartens und damit eine Erweiterung seiner Arbeit über die Mitwirkung von Eltern. Sie wollen dem gestiegenen Beratungsbedarf unter anderem in Erziehungsfragen entgegenkommen und das Erziehungsverhalten verbessern. Sie wollen die Eltern-Kind-Aktivitäten, z.B. durch die Einübung der Selbstkompetenz der Eltern fördern. Formen dafür sind unter anderem: Müttergruppen, Treffen von Müttern und Erzieherinnen, um Vorurteile und Erwartungsdruck abzubauen, Möglichkeiten zur Aussprache, Kommunikation anzubieten, um die Eltern gegebenenfalls aus ihrer Isolation heraufzuführen, Erziehungsfragen zu besprechen. Weiters: Vätertreffpunkte mit ähnlichen Zielsetzungen, auch um die Vaterrolle aufzuarbeiten, um die Mütter zu entlasten. Ich selbst bin der Meinung, daß diese Trennung nicht sein sollte, höchstens vorübergehend. Ich bin augenblicklich sehr viel in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung unterwegs zum Aufbau von Elterntreffpunkten und auch Einrichtungen und ich weiß, daß es beides zu integrieren gilt. Weitere Formen der Elternarbeit sind: Familientreffs, Familienfreizeiten am Wochenende, wobei dann die Eltern selbst zunehmend die Organisation übernehmen. Tätigkeitsorientierte Elternnachmittage, auch hier werden die Eltern aktiv in die Planung miteinbezogen. Zitat Textor: "Diese Nachmittage werden oft besser besucht als Elternabende, da eine parallele Kinderbetreuung angeboten werden kann. Sie können von den Eltern besser in den Tagesablauf eingeplant werden, da sie sowieso zur Abholzeit zum Kindergarten müssen."

In einem soeben erschienenen Artikel, "Zeitgemäße Form der Elternarbeit" werden folgende Formen genannt:

- Schnuppertage vor der Aufnahme zum Kennenlernen

- tätigkeitsorientierte Elternabende mit gemeinsamen Tätigkeiten (spielen, malen, basteln)

- Vorführung von Videofilmen und Dias über die eigene Arbeit der Einrichtung, Spielnachmittage, Ausstellungen und Ausleihmöglichkeiten (z.B. für gutes Spielzeug oder gute Bücher)

- Feste und Feiern, gemeinsame Freizeitveranstaltungen mit den Elterngruppen, Zielgruppenorientierte Angebote

- Bildung besonderer Interessensgruppen

- Vermittlung von Hilfsangeboten.

Die Stichwörter müssen hier genügen, sollen auch nur als Anregung dienen und ich bin sicher, daß manches von Ihnen auch gemacht wird.

Diese Vermittlung von Hilfsangeboten kann auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Hilfen, die Eltern untereinander leisten können (z.B. stundenweise Kinderbetreuung, Kleiderbörse, Hinweise auf Freizeitmöglichkeiten und dgl.), aber auch Hilfe auf einer anderen Ebene, wenn es um verhaltensauffällige Kinder geht. Die Vermittlung an psychosoziale Dienste, an den Psychiater, setzt natürlich voraus, daß die Erzieherin sehr wohl die verschiedenen Kontakte hat. Ihre Aufgabe wird es sein, auch solche Kontakte zu knüpfen. Gerade bei der Elternarbeit sind diese Kontakte so wichtig. Welche Formen jeweils gewählt werden und sinnvoll sind, hängt mit der jeweiligen Situation zusammen. Nun sind neue bzw. modifizierte Formen der klassischen Elternarbeit an bestimmte Vorbedingungen geknüpft. Ich habe vorhin schon welche genannt (Rahmenbedingungen wahrscheinlich auch für Eltern, im Hinblick auf Mitbestimmung, Beratungsrechte, Mitwirkungsrechte). Es werden aber auch bei ihnen bestimmte Fähigkeiten gefordert, in vielen Fällen wird das ein Umlernen sein, ein Lernen auch mit Eltern. Elternarbeit ist ein wechselseitiger Lernprozeß. Er gelingt nicht, wenn man glaubt, hier steht ein Profi mit seinem Profiwissen, und dort sind Eltern mit Ihrem Alltagswissen. Das Alltagswissen der Eltern ist genauso wichtig und sinnvoll wie das professionelle Wissen. Und Ihnen muß es gelingen, in diesem Prozeß beides miteinander in Verbindung zu bringen. Das fällt häufig schwer, vor allen Dingen dann (ich weiß nicht wie Ihre Ausbildung ist, bei uns ist es so), wenn über Erwachsenenbildungsformen und Methoden in Ihrer Ausbildung keine Seminare und Angebote laufen.

Erfordernisse im Spannungsfeld von elterlichen und pädagogischen Ansprüchen

Erforderlich sind aus meiner Sicht im Spannungsfeld von elterlichen Erwartungen und Ansprüchen und den pädagogischen Ansprüchen des Kindergartens einige eng miteinander verbundene Schritte, die ich zum Schluß aufzeigen möchte.

1. Vor Ort eine Analyse der Elternerwartungen, gegebenenfalls Ihrer Anforderungen und auch Ihrer Kritik, d.h. praktisch ernsthaftes Offenlegen der Erwartungen für sich selbst. Was wollen meine Eltern, was sagen sie mir direkt oder indirekt und auch ein Gespräch darüber im Team. Ernstzunehmende Erwartungen, Ansprüche, Kritik, sie würdigen und akzeptieren, was noch nicht heißen muß, daß die Eltern recht haben. Erforderlich ist so etwas wie ein Akzeptieren lernen. Sich und das Team fragen, woher kommen eigentlich die Erwartungen, woher kommen die Fragen der Eltern? Wenn sie dann z.B. völlig verunsichert sind in Erziehungsfragen oder eine bestimmte Sexualerziehung fordern, mit der Sie nicht übereinstimmen. Kommen die Probleme aus ihrer Biographie, aus ihrem Elternhaus, aus deren Kindergartenzeit wie war das damals. Wann waren diese Eltern selbst im Kindergarten? Was war damals modern und erforderlich? Was für Erfahrungen machen die Eltern vielleicht derzeit? Das alles bedeutet Offensein für die andere Seite, sie wirklich verstehen können. Ich zitiere nochmals den jüdischen Philosophen Martin Buber, der gesagt hat, ein Pädagoge muß immer einen Umfassungsakt leisten können. Im pädagogischen Alltag heißt das, von der anderen Seite her denken und fühlen sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern. Das muß nicht immer wechselseitig sein, aber Sie müssen sensibel sein und von der anderen Seite her mitdenken und fühlen können, was sie sagen und was sie tun und dgl. Im Einzelgespräch beim Elterntreff, beim Elternabend müssen die Eltern wirklich spüren, die Kindergärtnerin hört uns zu, nimmt uns ernst, sie geht auf unsere Probleme wirklich ein und nimmt sich Zeit für uns.

2. Erforderlich ist ebenso dann die Offenlegung des eigenen Anspruches, vor mir selber und dem Team, des Anspruches an die eigene Arbeit (fallweise situationsgebunden). Ich weiß, daß das oft schwer ist. Da sagt mir eine Erzieherin: " Herr Höltershinken, hören Sie doch auf mit Ihren pädagogischen Zielen. Kommen Sie doch einen Tag in den Kindergarten. Dann sind Sie am Nachmittag froh, wenn Sie durchs Chaos durchgekommen sind und der Tag zu Ende ist. Kommen Sie mir doch bitte nicht mehr mit pädagogischen Zielen." - Trotzdem helfen solche Überlegungen auch, meine Arbeit zu strukturieren. Warum stelle ich eigentlich, ich persönlich, diese oder jene Forderungen an das Kind, an meine Kinder? Warum wähle ich dieses oder kein anders Thema? Ist das eigentlich noch zeitgemäß? Warum suche ich diese Spielsachen aus? Warum drücke ich mich vom Elternabend und schiebe ihn vor mir her und habe Angst davor? Das haben viele, das weiß ich, das verstehe ich. Sind Sie dann auch noch jung und die Eltern sind älter, heißt es: "Haben Sie erst mal Kinder, dann können Sie etwas sagen". Ich hab das als junger Lehrer auch erfahren, bei Elternabenden und ich hör das immer wieder auch von jüngeren Erziehern, daß Sie dort Schwierigkeiten haben. Kenne ich die Eltern zu wenig, habe ich Klischeevorstellungen, kommen meine Schwierigkeiten aus meiner Biographie, aus meiner Kindheit? Das Offenlegen der Fragen und Probleme und der eigenen häufig unreflektierten Alltagsroutine ist ein wichtiger Schritt, dies auch im Team zu tun. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung sind ein weiterer Schritt, sich Mut zu machen, zu helfen. Das hilft manchen die Angstbarrieren abzubauen oder zu überspringen, und es befreit einen selbst und zugleich auch manche Eltern, wenn man auch als Profi dann zugeben kann: "Ja, das weiß ich nicht". Da hatte ich mit der Frage auch Probleme, z.B.: beim Fernsehen. Ich gucke auch gern, finde manches schön, weiß aber zugleich, daß manches für die Kinder nicht oder nur bedingt sinnvoll ist. Dies zuzugeben, öffnet häufig den Weg fürs Gespräch. Manchmal auch Offenlegen der eigenen Probleme gegenüber den Eltern, als Schritt zur Verständigung, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um mit ihnen nach Lösungen zu suchen.

3. Einbeziehung in die Planung und das Geschehen, z.B. Thema: "Fördert das Spiel die Schulfähigkeit unserer Kinder?". Da könnte man so vorgehen, daß sowohl die Eltern als auch die Kindergärtnerin aus ihrer eigenen Kindheit berichten, wo und wie sie gespielt haben, dies vielleicht aufmalen, eine Collage machen. Der Elternabend oder Nachmittag als Erkundung, wie es bei uns selbst war und darauf aufbauen bzw. davon ausgehen, deutlich werden lassen, wie wichtig das Spiel für uns selbst damals war. Für grundlegende Fähigkeiten des sozialen Verhaltens, für die Kreativität, für die Spontanität, für viele praktische Fähigkeiten, die ja viel wichtiger und grundlegender sind als frühes Rechnen, Zählen oder was auch immer. Wichtig ist es dann, den Elternabend oder Elternnachmittag, im Team wirklich zu reflektieren. Wie habe ich mich verstanden gefühlt? Wie angenehm oder wie unangenehm war mir das Verhalten von Frau Müller oder von Frau Mayer, für mich? Wo hatte ich mich vielleicht nicht hinreichend informiert? Waren unsere Maßnahmen richtig? Damit bin ich zum Schluß gekommen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie in den Fortbildungstagen hier noch vielfache Anregungen für eine zeitgemäße Elternarbeit erhalten und Sie von der politischen Seite auch die notwendigen Rahmenbedingungen erhalten. Auf der Einladung zum Kindergartensymposium fand sich ein Zitat von Bruno Bettelheim, da habe ich gestutzt, das lautet: "Es gibt keine perfekten Kinder und es gibt keine perfekten Eltern". Ich möchte das umschreiben. Es gibt keine perfekten Kinder, es gibt keine perfekten Eltern, es gibt aber auch keine perfekten Kindergärtnerinnen und auch keine perfekten Professoren.

Quelle:

Dieter Höltershinken: Elternarbeit im Spannungsfeld.

Erschienen in: Mit Kindern auf dem Weg II. Referate zu NÖ Kindergartensymposien, NÖ Schriften 103/Dokumentation, Neulengbach, Oktober 1997, ISBN 3-85006-095-0

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 05.12.2005

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