Das fragile Gebäude der Selbstbestimmung

Ein Plädoyer für weniger Lösungen und mehr Ambivalenzen zur Stärkung des Leitziels der Selbstbestimmung in der Begleitung von Menschen mit Behinderung

Autor:in - Livia Heinl
Textsorte: Bachelorarbeit
Releaseinfo: Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts. Eingereicht bei: Mag. Katharina Angerer. Innsbruck im Juli 2012. Eingereicht von: Livia Heinl. Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Fakultät für Bildungswissenschaften
Copyright: © Livia Heinl 2012

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Worum soll es gehen?

Unter anderem im Zuge der Leitgedanken Normalisierungsprinzip, Empowerment und Selbstbestimmung brachten die vergangenen Jahrzehnte auch für erwachsene Menschen mit sogenannter schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung im institutionellen Umfeld unzählige schillernde Veränderungen. Aus zentralen Großheimen wurden regionale Wohngemeinschaften, aus BetreuerInnen wurden BegleiterInnen, aus medizinischen Modellen wurden soziale und kulturelle Modelle, aus Defizitorientierung wurde Ressourcenorientierung, aus einem Denken vom in Reiz-Reaktions-Schemata zu therapierenden Menschen wurde ein Denken von Entwicklung im Dialog, in der Beziehung etc. - und fast scheint der enthusiastische Jubel begeistert anschließen zu wollen "aus Fremdbestimmung wurde Selbstbestimmung"!

Doch diese Selbstbestimmung, so eine zentrale These der vorliegenden Arbeit, muss als fragiles, stets einsturzgefährdetes Gebäude betrachtet werden. Als ein Gebäude, in welchem letztlich in Bezug auf Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen beinahe jede Form von Fremdbestimmung - auch von potentiell ungemessener - als Möglichkeit vorhanden bleibt. Als Möglichkeit, welche sich nicht realisieren muss, sich im besten Fall nur selten tatsächlich realisiert, welche aber Strukturen und Diskurse vorfindet, in welchen ihre Realisierung oftmals begünstigt wird.

Dass Selbstbestimmung nicht verabsolutiert werden könne, kann im Großen und Ganzen als Grundkonsens im diesbezüglichen Diskurs verstanden werden. Insofern stellt Fremdbestimmung nicht das schlichte Gegenteil von Selbstbestimmung dar. Paradoxerweise muss sie bis zu einem gewissen Grad sogar als immanenter Bestandteil von Selbstbestimmung betrachtet werden. Insofern kann der derzeit zentrale Leitgedanke für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung nicht simplifizierend zu der Schlussfolgerung führen "Wenn es Selbstbestimmung zu verwirklichen gilt, gilt es Fremdbestimmung zu vermeiden".

Was in theoretisch-abstrakter Sprache als Nicht-Verabsolutierbarkeit formuliert werden kann, findet sich im Praxisalltag von Einrichtungen beispielsweise in dem Satz "Selbstbestimmung hat nun mal auch ihre Grenzen, wir alle brauchen Regeln und leben nach Regeln. Sie kann nicht bedeuten, jede/r könne tun, was er / sie will." Doch wo genau kann dann in konkreten Alltagssituationen in Einrichtungen getan werden, was man will und wo nicht? Wo beginnen Grenzen von Selbstbestimmung? Wie kann bestimmt werden, ob nun diese oder jene Regel gebraucht wird? Die größtenteils gegebene Unmöglichkeit, diese Fragen eindeutig und auf jede Alltagssituation anwendbar zu beantworten, führt Begleitung in ein unauflösbares Dilemma. Sie steht unter dem Zeichen von Selbstbestimmung, ohne dabei genau bestimmen zu können, wo Fremdbestimmung endet, wo Selbstbestimmung beginnt, wo eventuell Fremdbestimmung indirekt Selbstbestimmung ermöglicht oder wo Selbstbestimmung eigentlich indirekt Fremdbestimmung bedeutet. Dadurch kann sich, so ein Grundgedanke der vorliegenden Arbeit, ein Raum öffnen, in welchem letztlich wieder beinahe jede Form von potentiell unangemessener und oft subtiler Fremdbestimmung möglich wird. Dieser Raum kann als Blase betrachtet werden, welche zu beliebiger Größe dehnbar erscheint. Die Expansion dieser Blase kann unter anderem begünstigt werden durch die grundlegende Struktur der ´traditionellen´ sogenannten Behindertenhilfe und durch das noch bestehende Wirksam-Werden von eigentlich als überholt geltenden Paradigmen.

In der vorliegenden Arbeit wird versucht, sich diesem Raum, dieser Blase, konsequent praxisnah über Widersprüche und Ambivalenzen zu nähern. Es soll nicht versucht werden, Unbestimmbares zu bestimmen, es soll nicht versucht werden, zu bestimmen, was in einer jeweiligen Alltagssituation nun ungemessene Fremdbestimmung sei und was nicht. Potentiell unangemessene Fremdbestimmung soll nicht als individuelles BegleiterInnen-Fehlverhalten (was auch immer dies sein mag) gedeutet werden, sondern es soll ihr auf struktureller und diskursiver Ebene begegnet werden. Im Zuge dessen soll versucht werden, den schwierigen und größtenteils unbestimmbaren Begriff der "unangemessenen Fremdbestimmung" (zu finden z.B. bei Lindmeier / Lindmeier 2002: o.S.) um mögliche Verständnisse von "defizitbasierter" und "willkürlicher" Fremdbestimmung zu erweitern. Mittels dieser will die vorliegende Arbeit praxisnah zu einer Alternative gelangen, in der es möglich ist, Selbstbestimmung als unantastbares Recht und nicht-hintergehbare Orientierung zu verfestigen und dabei aber paradoxerweise die Ambivalenzen der Unmöglichkeit der eindeutigen Realisierung dieser Selbstbestimmung darin zu integrieren.

So will die Arbeit ein lautes Plädoyer dafür sein, der Frage von Selbst- und Fremdbestimmung in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung aktiv und in all ihren Widersprüchen, Ambivalenzen und Dilemmata praxisnah zu begegnen. Eine kleine Portion Optimismus der Autorin verleitet zu der Hoffnung, damit einen bescheidenen Beitrag zur Abstützung des fragilen Gebäudes der Selbstbestimmung leisten zu können.

1.2. Aufbau

Die Arbeit baut sich wie folgt auf: Nach einer kurzen Orientierung, in welcher der Rahmen, in dem sich der Text bewegt, dargestellt werden soll, wird in der Folge versucht, eine kurze Standortbestimmung in puncto des Leitziels Selbstbestimmung vorzunehmen. Der Selbstbestimmungsbegriff soll daraufhin in seiner Vielschichtigkeit an Bedeutungen genauer betrachtet werden, und auf Basis exemplarischer Definitionen soll gezeigt werden, wie sich die Nicht-Verabsolutierbarkeit von Selbstbestimmung auf zwei unterschiedlichen Ebenen begründet. So kann im Anschluss formuliert werden, wie genau sich das in der Einleitung bereits angedeutete und in dieser Arbeit im Zentrum stehende Dilemma, in dem sich Begleitung von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung aktuell befindet, beschreiben lässt. Darauf aufbauend sollen dann exemplarisch weitere Problemfelder, die sich im Dunstkreis dieser Herausforderung ergeben, vorgestellt und ein wenig genauer beleuchtet werden. Die Darstellung des grundlegenden Dilemmas und weiterführender, exemplarischer Widersprüche, die innerhalb dieses Dilemmas zum Tragen kommen, wird benötigt, um im Anschluss die Begriffe der "defizitbasierten" und der "willkürlichen" Fremdbestimmung vorzuschlagen und zu erläutern. Diese sollen in der Folge integriert werden in eine auf Widersprüchen basierende Sichtweise von Selbstbestimmung, die sich an drei Komponenten orientiert. Abschließend wird versucht, in einer ersten kurzen Annäherung konkrete Vorschläge darzustellen, wie in der Praxis der Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe eine konsequente Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen von Selbstbestimmung strukturell verankert werden kann, um das fragile Gebäude der Selbstbestimmung ein wenig mehr abzustützen.

2. Zur Verortung und Orientierung

Jeder Text, der sich im weitesten Sinne mit Behinderung befasst, bewegt sich in diskursiv umkämpften Feldern. Daher ist es erforderlich, vorab einige, vor allem begriffliche, Klärungen vorzunehmen, um eine Orientierung dahingehend zu bieten, in welchem Rahmen die vorliegende Arbeit zu verorten ist.

Da die Arbeit nicht nur von Widersprüchen handelt, sondern sich selbst auch in eben solchen wiederfindet, erfolgt diese Orientierung - zumindest teilweise - ebenfalls in dieser Form:

2.1. Widersprüchliches

"[...] Denn die Sprache ist ein Schlachtfeld, und Bemühen um sprachliche Präzision und Fantasie nicht elitäre Schöngeistigkeit, sondern der konsequenteste Widerstand gegen die Artillerie der Phrasen, auch dagegen, dass den eigenen Begriffen die Reflexion ausrinnt und nichts als die Hülle guter Absichten zurückbleibt, in die dann ungehindert der hegemoniale Schwachsinn sickert."

(Schuberth 2012: o.S.)

"Menschen mit Behinderung"?

In der vorliegenden Arbeit wird von "Menschen mit Behinderung" und von der "Arbeit mit Menschen mit Behinderung" gesprochen - dies als jene Begriffe, die derzeit im Feld der Praxis, wie auch in der theoretischen Diskussion größtenteils Verwendung finden. Problematisch sind diese Begriffe in zweierlei Hinsicht: Erstens ist die Frage zu stellen, ob der Behinderungsbegriff durch einen anderen ersetzt werden sollte. Hier gibt es von vielen Seiten zahlreiche, nachvollziehbare Für- und Wider-Stimmen (siehe z.B. Firlinger 2003: o.S.; Lebenshilfe 2012a: o.S.), aber mangels einer allgemein-diskursiv-durchgesetzten oder -durchzusetzenden und widerspruchsfreier erscheinenden Alternative wird an dieser Stelle noch auf den Behinderungsbegriff zurückgegriffen. Zweitens stellt sich die Problematik, dass mit einer Arbeit, die sich konkret auf die ´spezielle Situation der Begleitung von Menschen mit Behinderung´ bezieht, das Konstrukt Behinderung und die strikte Bipolarität ´Behinderung - Nicht-Behinderung´ fortgeführt und gestärkt werden. (Grundlegend zur Problematik der Konstruktion von Behinderung unter dem Stichwort "kulturelles Modell von Behinderung": siehe Waldschmidt 2005: o.S.) Hinter der vorliegenden Arbeit steht ein Zugang, nach welchem von Kontinuen ausgegangen wird und jede Bipolarität zurückgewiesen wird. In diesem Sinne steht auch nicht so sehr Behinderung im Vordergrund, sondern eher die Unterscheidung ´in einer Einrichtung lebend - in keiner Einrichtung lebend´.

"Menschen mit schwerer geistiger (und mehrfacher) Behinderung"?

Des Weiteren wird die Bezeichnung "Menschen mit sogenannter schwerer geistiger (und mehrfacher) Behinderung" gebraucht. Hier soll der Zusatz "sogenannte" Verwendung finden, um die Konstruiertheit der vermeintlich ´natürlichen´ und ´eindeutigen´ Zuschreibungen zu verdeutlichen. Dies wird hier angewandt (nicht aber bei "Menschen mit Behinderung", wo es korrekterweise eigentlich auch angebracht wäre), da gerade dieser Aspekt für die vorliegende Arbeit zentral ist: Mit dem Verweis auf ´schwere geistige oder mehrfache Behinderung´ - also quasi die Potenzierung von Behinderung - wird immer wieder die Missachtung des Rechts auf Selbstbestimmung und des Rechts auf Nicht-Aussonderung legitimiert. Diese Hierarchisierung innerhalb des Behinderungsbegriffs wird deutlich zurückgewiesen; dies soll der Zusatz "sogenannte" verdeutlichen. Bestehen bleibt dennoch die Diskrepanz, dass - auch wenn der Zusatz "sogenannte" vorgesetzt wird - von Menschen gesprochen wird, die derzeit noch häufig als geistig schwer behindert oder schwer mehrfach-behindert bezeichnet werden, womit eben auch diese Zuschreibung entgegen der eigentlichen Beabsichtigung doch wieder gestärkt wird - wohingegen mit Georg Feuser argumentiert werden könnte: "Geistigbehinderte gibt es nicht!" (Feuser 1996). (Siehe zur Problematik der Zuschreibung "geistige Behinderung" auch z.B. Elbert 1982; des Weiteren auch z.B. Fischer 2010: 13-44.)

Betreuen, Begleiten, Assistieren etc.?

In dieser Arbeit wird der Begriff des "Begleitens" verwendet (eingeführt vor allem von Hähner et al. 2011, in erster Auflage 1997). Diese Entscheidung beruht vor allem auf der Verlegenheit der Autorin, keinen Begriff oder Begriffe zur Verfügung zu haben, welche ihr für jene Tätigkeiten, die von Menschen ausgeführt werden, die mit Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen arbeiten, angemessen erscheinen. Viele Argumente sprechen gegen den Begriff des Betreuens, viele aber auch gegen den Begriff des Assistierens - leider jedoch viele auch gegen die Bezeichnung "Begleiten". Dies - aus Sicht der Autorin - vor allem, weil mit dem Begriff des Begleitens jene aktiven Handlungen der BegleiterInnen kaum fassbar sind, welche nicht in direkter Weise eine Interaktion mit den begleiteten Menschen bedeuten, aber indirekt sehr wohl konkrete Auswirkungen auf deren Lebensumstände haben. Das Begleiten scheint so als Beschreibung für direkte Interaktionen (wenn diese tatsächlich der Haltung des Begleitens entsprechen) durchaus angebracht, aber BegleiterInnen erzeugen auch indirekt Lebensumstände (vor allem in Einrichtungen, in welchen nicht der Mensch mit Behinderung den Arbeitgeber / die Arbeitgeberin darstellt): damit wie sie sich selbst und sich als Team organisieren, damit wie sie Abläufe organisieren, damit wie sie zum Beispiel Besprechungen gestalten, bei welchen die Menschen, die sie begleiten, nicht anwesend sind, worüber sie dort sprechen und was sie beschließen etc. All dies sind aktive Handlungen (kein "begleiten"), mit welchen oft indirekt Selbstbestimmung verhindernde und Hierarchisierungen erzeugende Lebensumstände strukturell hervorgebracht werden. Daher sollten diese nicht als kleines, unbedeutendes Anhängsel betrachtet werden, welches unter dem Oberbegriff des Begleitens subsummiert werden könnte. Diese Begriffssuche sei hier aber lediglich kurz angerissen, um die letztlich ein wenig aus einer Verlegenheit mangels Alternative gewählte Begriffsverwendung zu klären - sie müsste an anderer Stelle ausführlicher ausgebaut werden.

Institutionelle Einrichtungen vs. individuelle, neue Wohnformen?

Die Arbeit beschäftigt sich mit (hauptsächlich erwachsenen) Menschen mit Behinderung im institutionellen Umfeld. Konkret vor Augen stehen sowohl neuere, regionale, verhältnismäßig kleine Wohngemeinschaften wie auch frühere Großheime, die durch Adaptierungen, Umbauten und Strukturreformen wie auch durch inhaltliche Reflexion und Neukonzipierung dem Übel des Heims die scharfen Zähne ziehen wollen, ebenso wie Werkstätten für Menschen mit Behinderung und sämtliche Einrichtungen die den genannten ähnlich sind - also die ´traditionelle´ sogenannte Behindertenhilfe. Jene Behindertenhilfe, die sich in der Phase der De-Institutionalisierung bewegt und - im besten Fall - versucht, sich in Teilaspekten inhaltlich und im Rahmen der eigenen strukturellen Möglichkeiten im weitesten Sinne am Ziel eines Lebens mit Unterstützung zu orientieren (diesbezügliche Tabelle siehe bei Boban 2003: o.S.). (Diese Einrichtungen sind gemeint, wenn in der vorliegenden Arbeit beispielsweise vom "institutionellen Kontext", schlichtweg von "Einrichtungen", von der, wie bereits erwähnt, "´traditionellen´ sogenannten Behindertenhilfe" etc. gesprochen wird. Ihnen entgegengestellt wird an manchen Punkten der vorliegenden Arbeit ein "Arbeitgebermodell", ein "Assistenzmodell" - dies meint gänzlich individuelle Wohnformen, in welchen Menschen mit Behinderung eventuell unterstützt durch einen weiteren Personenkreis und durch Vermittler-Organisationen selbst den / die ArbeitgeberIn stellen, AssistentInnen selbst einstellen, selbst Dienstzeiten festlegen und flexibel verändern etc.) Mit der Bezugnahme auf die Einrichtungen der ´traditionellen´ sogenannten Behindertenhilfe unter dem Lichte der De-Institutionalisierung soll einerseits auf die konkret derzeit in Österreich vorgefundene Situation für viele Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung reagiert werden, es soll ein Beitrag zu einer Verbesserung der Qualität dieser Einrichtungen in puncto Selbstbestimmung derer, die in jenen Einrichtungen leben und arbeiten, geleistet werden. Gleichzeitig findet sich die Arbeit jedoch im Widerspruch, in den Vorschlägen zur Qualitätsverbesserung wiederum im Vorhandenen zu verbleiben, also in jenem, was innerhalb der angesprochenen Einrichtungen möglich sein könnte. So kann das hier Erarbeitete gegen die eigene Intention zurückschlagen, da damit begründet werden könnte, dass Qualitätsverbesserung auch im bestehenden institutionellen Rahmen möglich sei. Dies könnte wiederum eine Legitimierung vom Nicht-Vorhandensein von gänzlich individuellen Wohnmöglichkeiten auch für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung bedeuten. Eine solche Auslegung ist nicht Intention der vorliegenden Arbeit. Es wird sich im Verlauf an mehreren Punkten zeigen, dass der möglichen Qualitätsverbesserung deutliche Grenzen gesetzt sind, was im folgenden Absatz bekräftigt werden soll.

Institutionelle Einrichtungen vs. Selbstbestimmung?

Die Arbeit befindet sich in dem Dilemma, von Selbstbestimmung als unantastbarem Recht und von dessen Wahrung auch in einem institutionellen Rahmen zu sprechen, damit aber quasi indirekt schon von der Unterstellung auszugehen, dass diese Selbstbestimmung in den angesprochenen Einrichtungen grundsätzlich möglich sei - in Einrichtungen die letztlich als direkte Nachkommen von "totalen Institutionen" (Goffman 1973) zu betrachten sind (Wohngemeinschaften mit oftmals durchschnittlich sechs bis acht BewohnerInnen, wobei sich oft im selben Haus mehrere solcher Wohngemeinschaften befinden, oft das gesamte Gebäude zur Einrichtung gehört, Werkstätten für Menschen mit Behinderung etc.). Aber eben gerade diese Möglichkeit zu Selbstbestimmung in den genannten Institutionen wird von der Autorin massiv in Frage gestellt (siehe dazu z.B. Weingärtner 2009: 21 und 62). Es wird davon ausgegangen, dass den (sehr weit gefassten) Strukturen, in welchen Begleitung stattfindet, in Bezug auf die Realisierung von Selbstbestimmung allerhöchste Bedeutung zukommt. Schönwiese verweist auf die Independent-Living-Bewegung, welche in der üblichen sogenannten Behindertenhilfe eine Dominanz der Helfenden über die von ihnen betreuten Menschen mit Behinderung als strukturelle Schwierigkeit verortet sieht (vgl. Schönwiese 2003: o.S.). Dieser Sichtweise wird hier deutlich zugestimmt. So findet sich die Autorin in dem Zwiespalt wieder, eine wesentliche Grundannahme der eigenen Arbeit eigentlich anzuzweifeln, diese Arbeit aber dennoch schreiben zu wollen. Dies weil sie - Menschen vor Augen habend, welche derzeit in den angesprochenen Einrichtungen leben und arbeiten und realistisch betrachtet wohl auch in den kommenden Jahren / Jahrzehnten dort leben und arbeiten werden - sich nicht damit abfinden will, in den bestehenden, eigentlich abgelehnten, selbstbestimmungsfeindlichen Strukturen nicht doch zu mehr Selbstbestimmung beitragen zu können.

Die Problematik der vermeintlich ´wissenden´ Haltung?

Die vorliegende Arbeit versucht dezidiert nicht eine Haltung einzunehmen, aus welcher heraus formuliert würde, was ´Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen denn nun wollen und was sie sich wünschen, was sie aber leider selbst nicht ausdrücken können´. Es soll konsequent versucht werden, bei jenen Gegenständen zu bleiben, welche in der eigenen Erfahrungswelt liegen. Also bei jenen unlösbaren Dilemmata, in welchen sich BegleiterInnen von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung bewusst oder unbewusst befinden, in welchen sie aber dennoch Tag für Tag handeln (müssen). Bei jenen Dilemmata, innerhalb welcher sie - ausgesprochen oder unausgesprochen - Argumentationen suchen und finden, um die jeweilige Entscheidung für dieses oder jenes Handeln zu begründen und zu legitimieren. Dennoch wäre es vermessen, zu bestreiten, dass die übergeordnete Intention der Arbeit nicht doch auch Züge von einer unsympathisch-selbstherrlichen Vermutung ´irgendwie vielleicht ja doch zu wissen, was Menschen mit Behinderung gerne hätten und sich wünschen würden, aber nicht ausdrücken können´ annehmen kann. Letztlich wäre die Arbeit ja nicht geschrieben worden, wenn nicht ein klein wenig der (vermessene) Glaube dahinter stehen würde, eventuell auch im Sinne von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung zu schreiben.

2.2. Was wird gewollt, was nicht?

Was will die vorliegende Arbeit?

Die vorliegende Arbeit will überblicksmäßig und noch sehr grob holzschnittartig ein Thema ins Zentrum stellen, das - durch 15 Jahre praktische Erfahrung der Autorin in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung in Einrichtungen und größtenteils bestätigt durch Literaturrecherche - nicht in der abstrakt-theoretischen, aber doch in der sehr praxisnahen Auseinandersetzung als ein wenig zu kurz kommend wahrgenommen wird. So versteht sich die Arbeit als Versuch, dem großen Feld der Widersprüche und Dilemmata in Kombination mit Formen von Fremdbestimmung praxisnah einen Raum zu geben - lediglich in Form einer ersten Verortung von möglichen Ansatzpunkten, die einer weiteren Verfolgung wert wären, vielleicht aber auch von Ansatzpunkten, die nach konkreterer Prüfung wieder verworfen werden müssen.

Die Arbeit versteht sich deutlich als für die Praxis geschrieben, dies jedoch aus einer Perspektive die Theorie als die beste Praxis fasst. So soll versucht werden, auch bei einer insgesamt doch theoretischen und teils abstrakten Auseinandersetzung - die in dieser Form auch den Anforderungen einer wissenschaftlichen Arbeit geschuldet ist - durchgängig die direkte Bedeutung für jede Praxis der Arbeit mit Menschen mit Behinderung darzulegen. Der Text richtet sich damit in erster Linie an sogenannte MultiplikatorInnen im Bereich der Arbeit mit Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung (Führungskräfte in Einrichtungen, Menschen in beratenden Funktionen, Lehrende im Bereich von Aus- und Fortbildung etc.) wie auch an interessierte BegleiterInnen.

Was will sie nicht?

Im Folgenden finden sich hin und wieder Beispiele, praktische und im Alltag oft umstrittene Fragen im Rahmen der angesprochenen Dilemmata aus der Begleitung von Menschen mit Behinderung im institutionellen Kontext. Es werden bewusst größtenteils keine Lösungsvorschläge für diese Fragen angeführt - dies ist nicht Ziel der vorliegenden Arbeit. Auch wenn sowohl die Autorin selbst, wie auch der Leser / die Leserin vermutlich zu allen Beispielen Lösungsvorschläge entwickeln könnten, diese vielleicht sogar ´auf den Lippen brennen werden´, als ´ganz klar´ erscheinen werden, soll die Nicht-Beantwortung hier ausgehalten werden. Es geht genau darum, einerseits die oftmalige Unmöglichkeit der eindeutigen, ´richtigen´ Beantwortung ins Zentrum zu rücken und andererseits auch andere, teils alltagstheoretische Leseweisen von Selbstbestimmung, die die Autorin oft nicht teilt, beziehungsweise die auch in der facheinschlägigen Literatur zurückgewiesen werden, bewusst ernst zu nehmen und als die Praxis prägend anzuerkennen. Es wird nicht versucht, an Beispielen zu beschreiben, ´wie Selbstbestimmung und dialogische Begleitung bei Menschen mit Behinderung nun in konkreten Alltagssituationen umgesetzt werden könnte´, weil davon ausgegangen wird, dass dies schon von unzähligen Menschen gemacht wurde, die dies bedeutend besser können - ein schlechter Abklatsch von diesen Texten soll also vermieden werden. Es soll versucht werden, einen anderen Weg zur Frage der Selbstbestimmung zu wählen.

Für Beispiele mit Lösungsvorschlägen, wie sie auch von der Autorin abseits der vorliegenden Arbeit vertreten werden, sei auf die, im Folgenden in anderer Hinsicht kritisch befragte, aber in Bezug auf die Qualität der Lösungsvorschläge im Rahmen des "personzentrierten Ansatzes" größtenteils sehr geschätzte Marlis Pörtner verwiesen (v.a. Pörtner 2004).

3.Standortbestimmung

Vor allem seit den 90er Jahren findet sich eine Fülle von Veröffentlichungen zum Thema Selbstbestimmung auch für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Die Diskussion um diese dominiert seit dieser Zeit die facheinschlägigen Kreise (vgl. Weingärtner 2009: 31). Doch um in die Thematik der darin immanenten Widersprüche und Dilemmata und deren Potential für die Verringerung von potentiell unangemessener Fremdbestimmung einzusteigen, soll nicht nur die Frage gestellt werden, wo die Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung heute steht, sondern auch die Frage, über welche Paradigmen sie sich in diese Richtung entwickelte. Diese Frage soll - sehr kurz und knapp, da sie größtenteils als bekannt vorausgesetzt wird und für das darauf Folgende nur teilweise benötigt wird - beantwortet werden, um in der Folge Selbstbestimmung genauer in den Blick nehmen zu können. Darauf aufbauend kann später verdeutlicht werden, welche zentrale und widersprüchliche Herausforderung sich daraus für die Arbeit von BegleiterInnen von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung im beginnenden 21. Jahrhundert ergibt.

3.1. Entwicklung nach 1945: Verwahrung - Förderung - Selbstbestimmung

Ulrich Hähner (vgl. Hähner et al. 2011: 45) beschreibt die Zeit nach 1945 in Bezug auf Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Europa als eine Entwicklung von der Verwahrung über die Förderung hin zum Leitbild der Selbstbestimmung. Verwahrung datiert Hähner im Zeitraum von 1945 bis in die 70er Jahre, das gängige Menschenbild beschreibt er als ein biologistisch-nihilistisches, nach welchem sogenannte geistige Behinderung und Krankheit gleichgesetzt werden. So gilt als professionelle Orientierung das Primat der Medizin, die methodischen Ausrichtungen liegen im Pflegen, Schützen und Bewahren. Ab den 60er Jahren tritt das Leitbild der Förderung mehr und mehr ins Zentrum - die Förderung des Menschen mit Behinderung als ein ´defektes Wesen´. In diesem Sinne entwickeln sich neben medizinisch-therapeutischen Richtungen die Heilpädagogik und die Geistigbehindertenpädagogik mit ihren methodischen Ausrichtungen der Förderung und der Therapie. Selbstbestimmung kann nach Hähner ab der Mitte der 80er Jahre als zentrales Leitbild betrachtet werden. Aus dem ´defekten Wesen´ wird ein Mensch, der ausgestattet ist mit der Fähigkeit zur Selbstregulation. Die soziale Bezogenheit sowie die Umweltbezogenheit finden wachsende Beachtung. Im Rahmen einer sozialpädagogischen Ausrichtung rücken Empowerment und dialogische Begleitung ins Zentrum.

Seine Einteilung ergänzt Hähner durch eine Verortung der jeweils zugehörigen Institutionen. So führt er für die Zeit der Verwahrung Anstalten und psychiatrische Kliniken an, während unter dem Leitbild der Förderung vor allem Sondereinrichtungen als ´zuständig´ gefasst werden. Das Leitbild der Selbstbestimmung bringt schließlich Integrative Kindergärten und Schulen, ambulante Hilfen (betreute Wohnformen) und offene Hilfen auf den Plan.

3.2. Verwahrung und Förderung: Leitbilder mit Nachwirkungen?

An dieser Darstellung der zugehörigen Institutionen wird besonders deutlich, dass die Einteilung "von der Verwahrung über die Förderung hin zur Selbstbestimmung" nicht als eine Entwicklung klar inhaltlich und zeitlich voneinander abgrenzbarer und - im Falle von Verwahrung und Förderung - abgeschlossener Schritte verstanden werden kann. In dieser Hinsicht verdeutlicht Schönwiese, ebenfalls bezugnehmend auf Hähner, 2009 (und an der Gültigkeit scheint sich seither kaum etwas verändert zu haben): "Der Übergang vom Förderungs- bzw. Rehabilitationsmodell zum leitenden Prinzip der Selbstbestimmung und Chancengleichheit ist noch nicht abgeschlossen." (Schönwiese 2009: o.S.) Empirisch wohl am leichtesten belegbar ist dies durch die beständige Existenz von Sondereinrichtungen aller Art, doch gilt die Feststellung Schönwieses deutlich für alle angesprochenen Aspekte der Leitbilder Förderung und Selbstbestimmung. Es ist also beispielsweise davon auszugehen, dass auch der Übergang von den methodischen Ausrichtungen Fördern und Therapie hin zu Empowerment und dialogischer Begleitung, beziehungsweise der Übergang von einer Defekt-orientierten Sichtweise hin zu einer, die den Menschen als mit der Fähigkeit zur Selbstregulation ausgestattet sieht, nicht als abgeschlossen betrachtet werden können. Auch Walther (in Hähner et al. 2011) verweist auf den immer noch oft als handlungsleitend zu verstehenden Impuls von HelferInnen, bei Menschen mit Behinderung sogenannte Defizite durch Förder- und Trainingsprogramme ausgleichen zu wollen (vgl. ebd.: 74).

In eine ähnliche Kerbe scheint auch Hinz zu schlagen: Er beschreibt idealtypisch zwei grundsätzlich verschiedene Haltungen - die "defektologische" und die "dialogische" (vgl. Hinz 1996: o.S., sowie überarbeitet und zeitlich ein wenig aktueller ebenso zu finden bei Hinz/Boban 2003: o.S.). Nach dem Schema Hähners ist die defektologische Haltung dem Leitbild der Förderung, unter welchem Sondereinrichtungen eine zentrale Stellung einnahmen, zuzuordnen. Die dialogische Begleitung hingegen findet sich unter dem Leitbild der Selbstbestimmung, unter welchem integrative Einrichtungen wesentlich an Bedeutung gewinnen. Hinz betont jedoch, dass seine Unterscheidung zwischen defektologischer und dialogischer Haltung nicht implizit der Unterscheidung zwischen Sonder- und Integrationssystemen entspricht. Er schreibt: "Beide Haltungen sind in beiden institutionellen Situationen vorstellbar und auch anzutreffen." (Hinz 1996: o.S.) So scheint er zu verdeutlichen, dass neue, ´fortschrittliche´ Systeme (also beispielsweise gemeindeintegrierte, verhältnismäßig kleine Einrichtungen) keinen Garanten für eine Abwesenheit von defektologischen Haltungen darstellen.

Das Leitbild der Förderung und dessen Menschenbilder, Methoden etc. erscheinen also keineswegs als abgeschlossen und nicht mehr wirkmächtig. In puncto des historisch früher datierten Leitbilds der Verwahrung schreibt Hähner: "Die Verwahrung, zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen, wurde überwunden" (Hähner et al. 2011: 44), doch im selben Band schränkt er später ein, dass die Arbeit mit Menschen mit Behinderung noch immer stark geprägt sei von tradierten Einstellungen: "Der karitative Gedanke kommt vor emanzipatorischen Bemühungen, ´Pflegen, Schützen, Bewahren´ [...] [welche Hähner an anderer Stelle methodisch dem Leitbild der Verwahrung zuordnet, Anm. LH] vor Verstehen und Akzeptieren." (ebd.: 123) Auch Theunissen betont, dass - bei aller positiven Entwicklung - Momente nihilistisch geprägter Versorgungs-, Kontroll- und Aufbewahrungspraxen immer noch wirksam seien (vgl. Theunissen 2011: 155).

3.3. Selbstbestimmung als Leitziel in Einrichtungen

"Bei aller Unzulänglichkeit kann doch gesagt werden, dass die Idee der Selbstbestimmung in den Einrichtungen angekommen ist." (Weingärtner 2009: 33)

Wenn also auch davon ausgegangen werden muss, dass eigentlich der Vergangenheit angehörende Leitbilder nach wie vor wirksam sind, so kann dennoch festgestellt werden, dass der Begriff der Selbstbestimmung relativ flächendeckend in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Eingang gefunden hat und sich dort - in welcher Form und tatsächlichen Umsetzung auch immer - deutlich niederschlägt.

Wie ein Blick auf die größeren einschlägigen Organisationen in Österreich zeigt, kommen Konzepte und Leitziele ohne den Verweis auf Selbstbestimmung kaum mehr aus.

So formuliert beispielsweise das Diakoniewerk die "Förderung von Kompetenz und Selbstbestimmung" als eines von sechs sogenannten "Leitzielen in der Behindertenhilfe". In der Folge heißt es dort: "Wir begleiten Menschen mit Behinderung darin, Kompetenz und Selbstständigkeit zu entwickeln. Sie sollen ihr Leben in dem ihnen möglichen Maß eigenverantwortlich führen und gestalten können. Besonders für Menschen mit schwerer Behinderung sind Möglichkeiten der Selbstbestimmung zu erkennen und zu verwirklichen." (Diakoniewerk 2012: o.S.)

Die Lebenshilfe Österreich formuliert als Ziel: "Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sollen so leben wie sie möchten. Sie sollen ein Leben mit vielen Möglichkeiten haben. Die Lebenshilfe Österreich vertritt ihr Recht nach einem selbstbestimmten Leben." (Lebenshilfe 2012b: o.S.)

Im "Leitbild für die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung" der Volkshilfe heißt es: "Wir unterstützen unsere KundInnen, ein möglichst selbstbestimmtes, selbständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen, unter anderem auch, indem wir nur dort Hilfe anbieten, wo diese tatsächlich notwendig und gewünscht ist." (Volkshilfe 2012: o.S.)

Widersprüche, aus welchen sich brisante Problemfelder ableiten lassen, finden sich bereits in diesen wenigen Sätzen zu Selbstbestimmung. Besonders ins Auge stechen zum Beispiel die scheinbare Gleichsetzung von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit in den Leitzielen des Diakoniewerks wie auch der Verweis im Leitbild der Volkshilfe, dass Hilfe nur dort angeboten werde, wo diese tatsächlich notwendig und gewünscht sei. Hier könnten sich bereits erste Fragen ergeben: Sind Selbstbestimmung und Selbstständigkeit tatsächlich dasselbe? Ist - vor allem in Hinblick auf Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung - die Frage, wo Hilfe tatsächlich notwendig und gewünscht sei, immer klar und eindeutig zu beantworten? Solche und ähnliche Fragen werden sich im Verlauf der vorliegenden Arbeit immer wieder finden - vorerst soll mit den vorgestellten Zitaten jedoch lediglich verdeutlicht werden, dass der Verweis auf Selbstbestimmung als Leitziel in Konzepten von Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe kaum mehr fehlen darf (auch wenn dabei aber - wie weiter oben dargestellt - immer berücksichtigt werden muss, dass die ´offizielle´ Bezugnahme auf Selbstbestimmung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass auch Praktiken, die im facheinschlägigen Diskurs eigentlich inzwischen als ´nicht mehr zeitgemäß´ zurückgewiesen werden, nach wie vor handlungsleitend wirksam werden).

Wenn Selbstbestimmung also - andere, frühere Leitbilder ablösend - ein zentrales Ziel in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung darstellt, wie wird diese in der facheinschlägigen Literatur definiert und beschrieben, welche Schwierigkeiten tun sich auf und welche wesentliche und unlösbar erscheinende Herausforderung ergibt sich aus diesen Bestimmungen für die Begleitung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen, besonders für die Begleitung von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung?

4.Selbstbestimmung - eine (facheinschlägige) Annäherung

Selbstbestimmung stellt einen der zentralen Begriffe, vielleicht sogar den zentralen Begriff der Moderne dar. Der Anspruch auf das Recht auf ein selbstbestimmt gestaltetes Leben in Freiheit und Autonomie scheint für das moderne Subjekt ein selbstverständlicher zu sein. Insbesondere im Neoliberalismus zeigt sich deutlich die Ambivalenz des Konzepts der Selbstbestimmung. Sie scheint in einer individualistischen Überhöhung den Menschen gänzlich herauslösen zu wollen aus jeder sozialen Eingebundenheit, der Mensch als soziales Wesen scheint ein Wesen der Vergangenheit zu werden. Diese Ambivalenz schlägt sich deutlich in der aktuellen Theoretisierung des Begriffs wieder (vgl. Waldschmidt 1999: 7f und 13).

Aus der Konzeption des Begriffs der Selbstbestimmung, wie er in der Pädagogik für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung diskutiert wird, ist die angesprochene allgemeine Problematisierung und Theoretisierung des Selbstbestimmungs-Begriffs nicht gänzlich herauszulösen. Hierauf kann in der vorliegenden Arbeit nur unzureichend eingegangen werden - lediglich insofern, als dass von einem weiten Cluster von Bedeutungen von Selbstbestimmung (auch abseits von einer reinen Bezugnahme auf die Perspektive Behinderung) ausgegangen wird und davon, dass dieses weite, ´behinderungs-unspezifische´ Cluster dennoch konkret, meist indirekt und schwer fassbar Auswirkungen auf die Begleitung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen hat. So soll nun in der Folge größtenteils das Auslangen mit einer facheinschlägigen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Selbstbestimmung gefunden werden, die im Verlauf die eigentliche Weite und Ambivalenz des Begriffs zwar berücksichtigt, aber nicht ausführlich erläutert.

Harmel verweist auf zahlreiche, in der aktuellen, facheinschlägigen Literatur der Pädagogik für Menschen mit Behinderung vorzufindende Stränge von Zugangsweisen zum Begriff der Selbstbestimmung sowie zu deren Umsetzung - systemtheoretische, konstruktivistische, soziologische, ethische, kulturwissenschaftliche, (leib)phänomenologische und sozialphilosophische Theorien und Positionen bilden hier zentrale Bezugsrahmen. Innerhalb dieser Zugänge macht Harmel unterschiedliche Perspektiven, wie Selbstbestimmung als Konzept interpretiert werde, aus: anthropologische, ethische, pädagogische und politische (vgl. Harmel 2011: 61f). In der vorliegenden Arbeit soll vor allem die pädagogische Interpretation als Bezugspunkt dienen, wobei weitere Perspektiven insoweit Erwähnung finden, als dass sie die pädagogische tangieren, von dieser kaum zu trennen sind.

Die pädagogische Perspektive auf Selbstbestimmung legt vor allem Wert auf die Betonung des Rechts auf Selbstbestimmung auch für Menschen mit Behinderung; Möglichkeiten der Umsetzung werden herausgearbeitet. Zentraler Aspekt ist die Forderung, Menschen mit Behinderung mehr zuzutrauen (vgl. ebd.: 62), sie in ihren Wünschen, Vorstellungen und Entscheidungen ernst zu nehmen und die Beziehungen zwischen ihnen und HelferInnen aller Art aus den traditionellen Machthierarchien zu lösen. Die Befragung der Qualität der Beziehungen rückt so in den Mittelpunkt. Als wesentlich erscheint hier die dialogische Haltung, ein Verständnis von Selbstbestimmung als dialogischer Prozess in Abgrenzung zu einem fremdbestimmten Änderungsinteresse (vgl. Hähner et al. 2011: 105f). Pädagogische Einstellungen, Handlungsweisen und Rahmenbedingungen werden thematisiert, um die Realisierung von Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. In diesem Sinne sollen vertraute Handlungs- und Deutungsmuster von Professionellen, die zu Bevormundung führen können, hinterfragt werden (vgl. Harmel 2011: 62). Die vorliegende Arbeit ist somit deutlich in dieser Perspektive auf Selbstbestimmung, vor allem in jenem letztgenannten Aspekt zu verorten. Dabei schließt diese Perspektive aber nicht aus, sondern verlangt es - wie es scheint - sogar, Selbstbestimmung als weitgefächerten, über engere pädagogische Perspektiven weit hinausreichenden Begriff zu verstehen. Andernfalls scheint es unmöglich, jene angesprochenen Handlungs- und Deutungsmuster von Professionellen zu hinterfragen.

4.1. Selbstbestimmung - ein Begriff ohne Trennschärfe?

Immer wieder wird in der facheinschlägigen Literatur auf das Fehlen der nötigen Trennschärfe des Begriffs der Selbstbestimmung sowie auf die Gefahr, dass der Begriff Opfer der Beliebigkeit werden und inflationär beinahe jedes Praxiskonzept betiteln könne, hingewiesen (vgl. z.B. Hähner et al. 2011: 69; Weingärtner 2009: 16 und 19; Harmel 2011: 68). Beispielhaft für letzteren Kritikpunkt könnten hierfür die vorliegende Arbeit selbst und das weiter oben angesprochene Dilemma, in dem sie sich befindet, angeführt werden: Die Arbeit rangiert im Bereich von Selbstbestimmung in Einrichtungen der ´traditionellen´ sogenannten Behindertenhilfe - obwohl sich die Frage stellt, ob Praxiskonzepte dieser Behindertenhilfe überhaupt mit Selbstbestimmung oder mit dem Streben nach der Ermöglichung dieser betitelt werden können oder ob sich dies nicht grundsätzlich ausschließt. Es stellt sich die Frage, ob so der Selbstbestimmungsbegriff nicht ´verwaschen´ und ´missbraucht´ wird für etwas, das eigentlich nicht mit diesem Begriff in Verbindung zu bringen ist, von diesem Begriff meilenweit entfernt ist. In anderer Hinsicht spiegelt sich das Ringen um den Begriff der Selbstbestimmung - bei ständiger Gefahr, dass er der Beliebigkeit zum Opfer fiele - auch in der facheinschlägigen, meist praxisnahen Literatur: Es finden sich viele Versuche der Abgrenzung des Begriffs, Versuche, zu beschreiben, was er eben nicht bedeute. So wird Selbstbestimmung beispielsweise häufig abgegrenzt von Selbstständigkeit, die unterschiedliche Bedeutung wird betont (siehe z.B. Hähner et al. 2011: 60; Theunissen 2011: 157; Glaser 2009: 88; Weingärtner 2009: 33f; Klauß 2010: 99f). Eine schlüssige Begründung hierfür liefert Niehoff (in Hähner et al. 2011: 60), wenn er schreibt: "Ein körperbehinderter Bürger kann in hohem Maße abhängig von Hilfe sein; wenn er auf diese jedoch in befriedigender Weise Einfluß nehmen kann, erreicht er ein hohes Maß an Selbstbestimmung." In ähnlicher, weiter ausführender Hinsicht kann auch eine Abgrenzung von einem Verständnis von Selbstbestimmung als Sparprogramm verstanden werden. In der sogenannten "Duisburger Erklärung" formulieren hierzu Menschen mit Behinderung: "Wenn Politiker von Selbstbestimmung sprechen, heißt das nicht, daß sie damit Geld sparen können. Denn Selbstbestimmung heißt nicht, daß man ohne Hilfe lebt." (Duisburger Erklärung 1994, zit. nach Hähner et al. 2011: 103) Des Weiteren finden sich beispielsweise Abgrenzungen von Verständnissen von Selbstbestimmung, welche diese mit Entscheidungsfreiheit gleichsetzen (vgl. Waldschmidt 2003 nach Harmel 2011: 97), von Verständnissen von Selbstbestimmung, welche einer Vernachlässigung gleichkommen würden (siehe z.B. Hähner et al. 2005: 15), und von Verständnissen von Selbstbestimmung, die zu Überforderung führen würden (siehe z.B. Glaser 2009: 88).

Besonders die beiden letztgenannten Versuche der Abgrenzung verweisen bereits auf Problematiken, die im Verlauf der vorliegenden Arbeit immer wieder auftauchen werden: Wo beginnt Überforderung? Bis wohin ist der Versuch, Überforderung zu verhindern, gleichzusetzen mit dem Entzug von Selbstverantwortung? Wo beginnt Vernachlässigung? Bis wohin ist der Versuch, Vernachlässigung zu verhindern, gleichzusetzen mit paternalistischer Überbehütung? Die Unmöglichkeit der - in dieser Hinsicht - exakten Abgrenzung, die Unlösbarkeit dieser Fragen, stellt ein zentrales Element der vorliegenden Arbeit dar.

4.2. Selbstbestimmung - ein ambivalentes Cluster von Bedeutungen mit hoher Praxisrelevanz?

Mit Blick auf die fehlende Trennschärfe und die Vielschichtigkeit des Begriffs soll in dieser Arbeit bewusst (vorerst) nicht versucht werden, Selbstbestimmung deutlicher abzugrenzen, sie soll durchgängig als ambivalenter und diffuser Begriff erhalten bleiben. Es soll einerseits die Unmöglichkeit der exakten Abgrenzung in Bezug auf facheinschlägige, praxisbezogene Fragen aufgenommen werden, andererseits soll auf einer abstrakteren Ebene aufgenommen werden, dass - wie Waldschmidt es verdeutlicht - Selbstbestimmung als Konstruktion zu verstehen ist (Waldschmidt 1999). Es sollen keine Vermutungen genährt werden, die nahelegen könnten, es gäbe (in einer allgemeinen oder einer behinderungs-spezifischen Betrachtung) ´den einen und ahistorisch ein für allemal gültigen´ Begriff von Selbstbestimmung, welcher ´nur deutlich genug dargestellt werden müsse´. Dies vor allem deshalb, weil eine solche Sichtweise die Schlussfolgerung nahelegen könnte, man bräuchte BegleiterInnen lediglich ´endlich einmal genau sagen, was Selbstbestimmung nun sei und dann würden sie diese schon korrekt umsetzen´. BegleiterInnen könnten so - wie so oft auch Menschen mit Behinderung - als Gefäße missverstanden werden, in welche ein Leitgedanke eingefüllt werden könnte. So eine Sichtweise kann dazu beitragen, Probleme, welche sich in Bezug auf Selbstbestimmung konkret in der Praxis in Einrichtungen ergeben, stets ausschließlich als individuelles BegleiterInnen-Fehlverhalten zu deuten (ein/e BegleiterIn hat ´nicht verstanden was Selbstbestimmung ist´), anstatt auch strukturelle und vielschichtigere Schwierigkeiten in Bezug auf die Umsetzung des Leitbilds der Selbstbestimmung mit zu bedenken.

Waldschmidt verweist darauf, dass, wenn von Selbstbestimmung gesprochen wird, viele unterschiedliche, selten explizit benannte Bedeutungsinhalte mitschwingen. Diese Inhalte teilt sie ein in die vier Konstruktionen "Selbstbeherrschung", "Selbstinstrumentalisierung", "Selbstthematisierung" und "Selbstgestaltung" (vgl. Waldschmidt 1999: 45). Waldschmidt untersucht diese Konstruktionen unter dem Stichwort "Alltagstheorien" empirisch qualitativ mit Menschen mit Behinderung, doch auch in Bezug auf BegleiterInnen könnten diese Konstruktionen zweifellos als mögliche Bezugspunkte für Sichtweisen von Selbstbestimmung verstanden werden. Das Verständnis von Selbstbestimmung von BegleiterInnen könnte auch als diffuses, großflächiges Cluster verstanden werden, als ein Verständnis, in dem nicht nur facheinschlägige, professionsbezogene Auseinandersetzungen mit Selbstbestimmung ´in Reinform´ zu finden sind. Es ist davon auszugehen, dass sich in diesem Cluster unterschiedlichste Bedeutungsinhalte vermengen:

Facheinschlägige Verständnisse von Selbstbestimmung

Einerseits - naheliegend - jene bereits angesprochenen, facheinschlägigen, in Ausbildungen, Fortbildungen etc. vermittelten, aber trotzdem, wie gezeigt wurde, nicht deutlich abgrenzbaren, verschwommenen, manchmal als beliebig erscheinenden Verständnisse von Selbstbestimmung konkret in Bezug auf Menschen mit Behinderung. Diese Verständnisse erscheinen meist als positiv konnotiert. Sie scheinen die Bezugnahme auf Selbstbestimmung als Leitgedanken in Bezug auf Menschen mit Behinderung als, wie Waldschmidt es bezeichnet, "verspätete Befreiung" (ebd.: 28ff) und "Selbstermächtigung" (ebd.: 43) zu fassen.

Hegemonial-diskursive, insbesondere neoliberale Verständnisse von Selbstbestimmung

Waldschmidt verweist aber auch darauf, dass dieser facheinschlägige Zugang zu Selbstbestimmung in seiner Entwicklung begleitet ist von einem neoliberalen Zugang zu Selbstbestimmung, welcher diese eher als Pflicht versteht - als Verpflichtung zur Eigenverantwortung. Diese beiden Stränge scheinen untrennbar verbunden zu sein (vgl. ebd.). Es kann insofern davon ausgegangen werden, dass sich im Cluster der Bedeutungen von Selbstbestimmung auch hegemonial-diskursive, kulturell vermittelte und je nach verschiedenen gesellschaftlichen Differenzlinien unterschiedliche, aktuell neoliberal gefärbte Betrachtungsweisen von Selbstbestimmung - abseits von einer Spezifizierung auf Menschen mit Behinderung - finden. Siebert und Maskos zeigen beispielsweise, welche Gefahren neoliberale Verständnisse von Selbstbestimmung auch für Menschen mit Behinderung bedeuten können. Sie beziehen sich hier in erster Linie auf den Arbeitsmarkt, also auf einen Bereich außerhalb von ´traditionellen´ Einrichtungen. (siehe Siebert, B. / Maskos, R. 2003: 233 - 239). Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass auch Begleitung von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen von solch negativen Auswirkungen betroffen ist - wenn auch eventuell indirekter. Vor allem der Begriff der Selbstverantwortung, welcher facheinschlägig für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung eine zentrale und unabkömmliche Bezugsgröße darstellt (darauf wird noch zurückgekommen), könnte hier besonders anfällig für neoliberale Einfärbungen sein: für Verständnisse von Selbstverantwortung als individuelle Verpflichtung bei einer Loslösung von jeder sozialen und gegenseitigen Verantwortung.

Verständnisse der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, welche sich als Selbstbestimmung ´tarnen´

Im Cluster von Bedeutungen von Selbstbestimmung, welche auf den Bereich der Begleitung direkte und indirekte Auswirkungen haben können, scheinen sich diese beiden vorgestellten Verständnisse wiederum zu vermengen mit (mindestens) einem weiteren Aspekt: mit - wie weiter oben auch gezeigt wurde - Verständnissen von der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, die aus den früheren Leitgedanken der Verwahrung und der Förderung nachschwingen, aber in der Praxis kaum als solche benannt und erkannt werden, sondern sich unter dem großen, aber eben sehr offenen Leitgedanken der Selbstbestimmung gut zu tarnen wissen, sich oft ´in dessen Worte kleiden´.

Dieses hier sicherlich unvollständig und nur grob skizziert bleibende Cluster soll in der vorliegenden Arbeit als in höchstem Maße praxisrelevant und die Praxis prägend und erzeugend anerkannt werden. Insofern wäre es geradezu paradox, an dieser Stelle nun eine für diese Arbeit geltende Definition von Selbstbestimmung anzuführen. Daher dienen die beiden nun doch folgenden, exemplarischen Definitionen lediglich dem Finden von brisanten Problematiken in Bezug auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, nicht aber einer Klärung, von welcher Selbstbestimmung hier im weiteren Verlauf der Arbeit gesprochen würde.

4.3. Definitionen ...

Eine der wohl prominentesten Definitionen von Selbstbestimmung stellt jene der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, die ihre Anfänge im Amerika der 60er Jahre nahm und später auch in Europa Fuß fassen konnte, dar. Selbstbestimmung bedeutet nach dieser:

"Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf einer Wahlmöglichkeit zwischen akzeptablen Alternativen. Die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer wird so weit wie möglich minimiert. Das schließt das Recht ein, seine eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu können, an dem öffentlichen Leben der Gemeinde teilzuhaben, verschiedene soziale Rollen wahrnehmen und Entscheidungen fällen zu können, ohne dabei in Abhängigkeiten zu geraten." (Selbstbestimmt-Leben-Bewegung zit. nach Glaser 2009: 88)

Glaser ergänzt diese Definition:

"Selbstbestimmung heißt [...], das eigene Leben zu gestalten und in Bezug auf die eigene Lebensqualität frei von allen unnötigen, übermäßigen externen Einflüssen, Einmischungen oder Beeinträchtigungen selbst Entscheidungen treffen zu können." (Glaser 2009: 88)

4.4 .... und deren Einschränkungen

An beiden hier exemplarisch für viele andere stehenden Definitionen wird deutlich, dass von keiner Absolutheit ausgegangen wird. Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung spricht von einer "so weit als möglichen" Minimierung der Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer, Glaser spricht von Entscheidungen, welche frei von "übermäßigen" externen Einflüssen etc. getroffen werden können. Beide scheinen in ihrer Einschränkung nicht auf potentielle körperliche Abhängigkeiten (z.B. nicht in der Lage zu sein, alleine die Körperpflege zu übernehmen etc.), welche - bei bestimmter Betrachtung - eine Einschränkung nötig machen könnten, zu rekurrieren. Es geht um Entscheidungen. Es geht darum, beimFällen dieser Entscheidungen eine Abhängigkeit von anderen "so weit als möglich" zu minimieren, darum, Entscheidungen frei von "übermäßigen" externen Einmischungen zu treffen. Das aktive Handeln ist hier also das Entscheiden; es wird nicht davon gesprochen, bei der körperlichen Tätigkeit, bei der ´Ausführung´, frei von einer Abhängigkeit zu sein. Vereinfacht gesagt: Bei der Entscheidung zum Beispiel an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen soll die Abhängigkeit von anderen "so weit als möglich minimiert" sein. Das bedeutet aber nicht, dass bei der körperlichen Tätigkeit des Dort-Hin-Gelangens die Abhängigkeit von Unterstützung minimiert sein müsste. Es bedeutet nur, dass diese Unterstützung grundsätzlich potentiell vorhanden sein sollte und beim Fällen der Entscheidung, ob hingegangen wird, nicht die Frage entscheidend sein sollte, ob überhaupt Unterstützung vorhanden wäre um hinzukommen. Konkret geht es also darum, dass in beiden Definitionen implizit deutlich wird, dass Selbstbestimmung hier nicht mit Selbständigkeit (in ihrem alltagstheoretischen Verständnis, das sich größtenteils an der Norm orientiert) gleichgesetzt wird. Diese - in der facheinschlägigen Literatur immer wieder betonte - Abgrenzung wurde weiter oben bereits dargestellt (siehe dazu z.B. Hähner et al. 2011: 60; Theunissen 2011: 157; Glaser 2009: 88, Weingärtner 2009: 33f). Die Nicht-Absolut-Setzung von Selbstbestimmung ist also nicht zu erklären mit einer, in Relation betrachtet, potentiell höheren Einschränkung der Selbständigkeit bei Menschen mit Behinderung. Eine solche Einschränkung der Selbständigkeit würde nicht dagegen sprechen, Selbstbestimmung absolut zu setzen. Also muss die fehlende Verabsolutierung von Selbstbestimmung andere Gründe haben.

4.5. "Selbstbestimmung ist nicht absolut zu setzen" - Zwei Begründungsebenen

Der Verweis, dass Selbstbestimmung nicht absolut zu setzen sei, findet sich in der Literatur in unterschiedlicher Formulierung zahlreich (siehe z.B. Hähner et al. 2011: 59 und 105; Hähner et al. 2005: 79; Weingärtner 2009: 20; Harmel 2011: 83ff und 88ff; Speck 1991: 78ff; Klauß 2010: 107f und 130). Die Gründe, die für die Unmöglichkeit der Verabsolutierung gefunden werden können, lassen sich grob auf zwei - miteinander durchaus verwobenen - Ebenen beschreiben:

4.5.1. Soziale Heteronomie - Akteur der Einschränkung: Gesellschaft

Auf der ersten Ebene liegt die Hauptachse der Begründung der Einschränkung vor allem in dem Aspekt, dass der Mensch durch seine soziale Eingebundenheit, ohne welche er nicht leben könne, niemals gänzlich selbstbestimmt sein könne, dass ein Leben in Gesellschaft immer mit Konsens- und Kompromissfindung einhergehe (vgl. Harmel 2011: 83). Auf dieser Ebene sind jene meist auf hohen Abstraktionsebenen stattfindenden und sich nicht auf den Aspekt Behinderung beschränkenden Auseinandersetzungen mit den prominenten Fragen nach dem Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung, Autonomie und Abhängigkeit, Autonomie und Bindung zu verorten, den Fragen, ob diese sich jeweils gegenseitig ausschließen oder nicht. (Siehe hierzu z.B. Harmel 2011 [besonders 83ff und 88ff], Speck 1991 [besonders 78ff].) Speck sieht in dieser Hinsicht den (idealtypischen) erwachsenen Menschen als einen, der ausgestattet sei mit der Fähigkeit zum mündigen Gebrauch von Autonomie in einer reifen Abhängigkeit. Er betont die gegenseitige Aufeinanderbezogenheit von Autonomie und dem Bejahen sozialer Heteronomie (vgl. Speck 1991: 78f). Für die in dieser Arbeit vorgenommene Zweiteilung der Gründe, welche für die Nicht-Verabsolutierung von Selbstbestimmung sprechen können, scheint besonders ein Verweis auf Emile Durkheim, auf welchen auch Speck rekurriert, sehr ertragreich: Durkheim betont zwar die persönliche Autonomie, welche sich gegen Übergriffe und Zwang zur Wehr setzen müsse, er beteuert aber gleichzeitig die Eingebundenheit der persönlichen Autonomie in die Heteronomie des allgemeinen Moralgesetzes. Dieses - verkörpert durch die Gesellschaft - greift, nach Durkheim, über den individuellen Willen hinaus und kann deshalb übergeordnete Autorität beanspruchen (vgl. ebd.: 86). Nach Durkheim ist Gesellschaft mehr als die Summe der einzelnen Mitglieder, sie wird - über ihre Mitglieder - zu einem eigenen Wesen, einem eigenen Akteur (vgl. Durkheim 1984: 111f). Insofern kann in dieser Sichtweise davon ausgegangen werden, dass die Einschränkung von Selbstbestimmung durch den Akteur "Gesellschaft" vorgenommen wird (vermittelt durch Strukturen, durch Institutionen, durch konkrete Personen etc.) - wobei die Einschränkungen sich in einem permanenten Aushandlungsprozess befinden, stets Veränderung unterliegen. Diese Einschränkungen sind jedoch nicht (oder zumindest keinesfalls nur) in dem Sinne zu verstehen, in dem zum Beispiel nach einem sozialen Modell von Behinderung von gesellschaftlich erzeugten Barrieren ausgegangen wird und gesellschaftspolitisch agiert wird, um diese abzubauen. Die Einschränkungen sind in dem grundlegenden (und nicht negativ aufzufassenden) Sinne zu verstehen, dass Gesellschaft um ihrer selbst, ihrer Mitglieder und ihrer Reproduktion Willen immer und für alle Mitglieder gültig diese Einschränkungen braucht. Insofern kann und sollte nach dieser Sichtweise Selbstbestimmung niemals verabsolutiert werden.

4.5.2. Die Frage der Selbstverantwortung - Akteur der Einschränkung: BegleiterIn

Unter dem Aspekt "Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit" schreibt Weingärtner in seiner praxisorientierten Darstellung des Modells der "Basalen Selbstbestimmung" für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung folgendes: "Selbstbestimmung [findet], [...], meist im sozialen Raum statt und wird insofern durch das legitime Selbstbestimmungsrecht und das selbstbestimmte [...] Handeln der anderen relativiert." (Weingärtner 2009: 35) Diese Formulierung soll in der hier vorgenommenen Zweiteilung den als fließend erscheinenden, aber - was noch zu zeigen sein wird - doch zu trennenden Übergang zwischen den beiden dargestellten Ebenen markieren. Die Formulierung könnte durchaus auch in der oben angeführten Darstellung der sozialen Heteronomie angeführt werden. In Anlehnung an Durkheim könnte dann davon ausgegangen werden, dass jene Frage, die sich daraus ergibt, dass das selbstbestimmte Handeln des / der Einen dem selbstbestimmten Handeln des / der Anderen im Wege stehen kann, von der Gesellschaft als Akteur gelöst wird mittels einer allgemeinen Moral, die die notwendigen und stattfindenden Aushandlungsprozesse leitet. Vereinfacht ausgedrückt: Ein Mensch wird (im Idealfall und sämtliche diesbezügliche Dilemmata einmal außen vor lassend) nicht davon ausgehen, dass es in Ordnung wäre, selbstbestimmt jemand anderen zu bestehlen, da er / sie damit die Selbstbestimmung eines / einer anderen einschränken würde. Er / Sie wird zu diesem Schluss nicht nur kommen, weil es ihm / ihr das juristische Gesetz verbietet, sondern auch weil es ihm / ihr das moralische, von der Gesellschaft derzeit gegebene Gesetz verbietet, wodurch - im besten Fall - menschliches Zusammenleben geregelt wird.

In eine ähnliche Kerbe wie Weingärtner schlagend stellt auch Sack (in Hähner et al. 2011: 105) dar, dass Selbstbestimmung nicht gleichzusetzen sei mit "Ich weiß allein [was ich will] und tue stets nur das, was mir gefällt." Eine Gesellschaft mit einem solchen Verständnis von Selbstbestimmung würde nach dem Prinzip "Nur-der-Stärkste-überlebt" (ebd.) funktionieren - so sie denn funktionieren würde. Auch diese Darstellung könnte durchaus im oben formulierten Absatz der sozialen Heteronomie Anwendung finden. Selbiges gilt für Niehoffs und Schablons Formulierung (in Hähner et al. 2005: 79): "Selbstbestimmung bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen dem was eine Person für sich selber möchte (individuelle Kategorie) und dem, was im Kontext einer Gruppe, bzw. der Gesellschaft möglich ist."

Doch in einer praxisorientierten Leseweise in Bezug auf Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen, in Bezug auf erwachsene Menschen, die von anderen Menschen betreut / begleitet werden, welche von einer dafür als zuständig erachteten Institution angestellt sind, wenden sich diese Formulierungen in eine gänzlich andere, oder aber auch eine viel weiter führende Richtung als jene, die im Absatz "soziale Heteronomie" zum Tragen kommt. Sie finden sich wieder im letzten von drei Aspekten, die Walther (in Hähner et al. 2011) anführt als Situationen, in welchen potentiell von BegleiterInnen sogenannte selbstverantwortungs-einschränkende Tätigkeiten gefordert sein können. Diese drei Aspekte sind:

  • Wenn Gefahr vom Menschen mit Behinderung abgewendet werden soll / muss.

  • Wenn der Begleiter / die Begleiterin für sich selbst Grenzen zieht / ziehen muss ("Notwehr").

  • Wenn die Interessen von Anderen vertreten werden müssen, weil das Wahren dieser Interessen ansonsten nicht mehr gesichert wäre (vgl. ebd.: 87).

Selbstverantwortung steht in einem direkten Zusammenhang zu Selbstbestimmung, letztere kann es ohne erstere nicht geben. (Siehe dazu z.B. ebd.: 75ff; Kennedy / Lewin 2004: o.S.; Glaser 2009: 88.) So stellt sich das Konzept der Selbstverantwortung gegen die Vorstellung, dass professionelle HelferInnen für die Lebensentwürfe von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung verantwortlich seien. Die Zuständigkeit für diese Lebensentwürfe wird mit dem Begriff der Selbstverantwortung an den selbst bestimmenden Menschen gebunden, das heißt, die Sichtweise "Ich bin für dich verantwortlich" wird mit dem Begriff der Selbstverantwortung zurückgewiesen (vgl. Hähner et al. 2011: 77). Gleichzeitig werden jedoch auch Grenzen dieser Selbstverantwortung formuliert - eben jene drei oben angeführten. (Zu welchen Dilemmata dies führt, soll im nächsten, beziehungsweise in den folgenden Kapiteln dargestellt werden.) Die Feststellung, dass Selbstbestimmung nicht absolut zu setzen sei, kann also auch mit diesen Grenzen begründet werden. In praxisnahen Formulierungen lautet die Relativierung von Selbstbestimmung dann zum Beispiel: Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass "[...] der Bewohner die besten Lebensmittel zu essen bekommt, der als erster an den Kühlschrank gelangt." (Hähner et al. 2005: 79) Fragen der "unbändige[n] Esslust" (Hähner et al. 2011: 76), der Wunsch sich nur von Schokolade zu ernähren, der Versuch, in der Rush-Hour bei Rot über die Straße zu gehen etc. (vgl. ebd.: 80) - dies sind nur einige wenige praxisrelevante Situationen, die im Zuge der potentiellen Grenzen von Selbstbestimmung als Gründe für deren Nicht-Verabsolutierbarkeit angeführt werden können.

Schon bei diesen wenigen Beispielen wird klar, dass sich hier der Fall gänzlich anders darstellt als er sich im Absatz "soziale Heteronomie" dargestellt hat: Hier sind die einschränkenden Akteure BegleiterInnen in konkreten face-to-face-Interaktionen; es sind BegleiterInnen, die in konkreten Alltags-Situationen, in welchen Menschen außerhalb von Einrichtungen überwiegend selbstbestimmen können, über einen Eingriff in die Selbstbestimmung des Gegenübers entscheiden. Sie tun dies innerhalb einer Einrichtungs-Struktur, welche sie (was noch in seiner Ambivalenz zu zeigen sein wird) in eine strukturell verankerte Machtposition bringt. Sie entscheiden über einen Eingriff, welchen sie oft in einem Team ohne Anwesenheit des Menschen mit Behinderung diskutieren und dabei immer Gefahr laufen, diesen Menschen zum Objekt zu machen; einen Eingriff, welchen sie in der Folge auch selbst (in welcher Form innerhalb eines breiten Spektrums auch immer) ´tätlich ausführen´ werden. Selbstredend kann unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung davon ausgegangen werden, dass diese Eingriffe dialogisch, als Angebote, auf welche Antworten und neue Angebote folgen, gestaltet werden. Doch dennoch bleibt - im Unterschied beispielsweise zu Wohngemeinschaften von Menschen außerhalb von Einrichtungen, in welchen ebenso konkrete Aushandlungsprozesse stattfinden müssen - dahinter stehend eine grundsätzliche Einseitigkeit. Um es mit dem oben vorgestellten "unbändige Esslust"-Beispiel zu formulieren: Das dialogische Aushandeln wird sich in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung im Normalfall nur auf Situationen beziehen, in welchen der Mensch mit Behinderung "unbändig isst" (was immer auch darunter zu verstehen sei). Teams werden ohne und / oder eventuell mit dem Menschen mit Behinderung darüber diskutieren, wie damit umzugehen sei und welche Angebote vorgeschlagen werden könnten. Wofür sich hier entschieden wird und wie dies in einer großen Bandbreite an mehr oder weniger fremdbestimmenden oder dialogischen Möglichkeiten umgesetzt wird, hängt in hohem Maße von den Persönlichkeiten etc. der BegleiterInnen ab (siehe hierzu Kap. 6.2.2.). Hingegen werden es die Strukturen der Einrichtung vermutlich kaum vorsehen oder ermöglichen, dass Menschen mit Behinderung diskutieren und entscheiden, wie mit eventueller unbändiger Esslust von BegleiterInnen umzugehen sei und welche Angebote, die dann mehr oder weniger nachdrücklich umgesetzt werden, hier vorgeschlagen werden könnten.

Resümierend kann festgehalten werden: Die hier vorgenommene Trennung in Bezug auf die beiden zu findenden Begründungen der Nicht-Verabsolutierbarkeit von Selbstbestimmung ist zweifelsohne lediglich eine sehr holzschnittartige, die eine differenziertere Auseinandersetzung verlangen würde. Letztlich sind beide Ebenen, so sie denn überhaupt als solche dargestellt werden können, nicht voneinander zu trennen. Die jeweils eine wird von der jeweils anderen beeinflusst, beziehungsweise von der jeweils anderen vermittelt. Auch sind, wenn man die beiden Ebenen trotz der Mängel ihrer Ausarbeitung so getrennt darstellen möchte, Übergänge als fließend zu betrachten. Doch trotz all dieser Einschränkungen wird hier deutlich für eine klare Trennung plädiert - eine klare Trennung, die paradoxerweise die Untrennbarkeit, den fließenden Übergang und die gegenseitige Bedingtheit berücksichtigt. Denn nur mit einer solchen Trennung kann verhindert werden, dass potentiell unangemessene Fremdbestimmung von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung sich in der Praxis schlichtweg mit dem Verweis legitimiert "Wir alle müssen uns an Regeln halten, wir können alle nicht ständig tun was wir wollen, also können es Menschen mit Behinderung auch nicht." Dieser Verweis lässt letztlich zur Gänze außer Acht, dass der Vergleich von Einschränkungen, die jemand in seiner Lebenswelt außerhalb einer Einrichtung erfährt, mit Einschränkungen, die jemand innerhalb einer Einrichtung durch seine / ihre BegleiterInnen erfährt, nicht - zumindest nicht in so einfacher Form - zulässig ist. Dies kann mit der vorgenommenen Zweiteilung dargestellt und begründet werden.

5.Vorläufige Zusammenfassung, die Erste

Zusammenfassend lassen sich an diesem Punkt der Arbeit nun also folgende Schritte festhalten:

  • Es kann davon ausgegangen werden, dass Selbstbestimmung als Handlungsgrundlage in der Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung aktuell (noch) nicht frei ist von ´Nachwirkungen´ aus den früheren zentralen Leitbildern Verwahrung und Förderung.

  • Als Leitziel hat Selbstbestimmung jedoch eindeutig in Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe Fuß gefasst.

  • Stellt man die Frage, was diese Selbstbestimmung denn nun sei, wird deutlich, dass von keinem einheitlichen, ahistorischen Begriff ausgegangen werden kann; weder auf allgemein gesellschaftstheoretischer Ebene, noch auf der - damit verwobenen - Ebene eines fachspezifischen Begriffs von Selbstbestimmung in Bezug auf Menschen mit Behinderung.

  • Des Weiteren wird deutlich, dass Selbstbestimmung relativ durchgängig nicht als zu verabsolutierend dargestellt wird, dass Einschränkungen von Selbstbestimmung formuliert werden.

  • Begründungen für diese Einschränkungen lassen sich mittels zweier Ebenen festmachen:

  1. Einer - meist abstrakter dargestellten - Ebene, die die grundsätzliche soziale Eingebundenheit des Menschen betont. Das Leben in Gesellschaft schränkt im Sinne des unumgänglichen, zum Menschen gehörenden Zusammenlebens die Selbstbestimmung ein. Daher kann und soll diese nicht verabsolutiert werden.

  2. Und einer zweiten Ebene, welche als eher praxisnah und deutlich auf Menschen mit Behinderung bezogen bezeichnet werden kann. Hier steht die potentielle Grenze von Selbstverantwortung von Menschen mit Behinderung im Vordergrund. Selbstbestimmung müsse dort eingeschränkt sein, wo die Grenze von Selbstverantwortung erreicht sei, daher könne Selbstbestimmung nicht verabsolutiert werden. Hier sind BegleiterInnen in strukturell verankerten Machtpositionen jene konkreten Akteure, welche Einschränkungen vornehmen.

Diese zweite Ebene, die Ebene auf welcher BegleiterInnen Selbstbestimmung einschränken (müssen?), ist jene, die den Zündstoff für die vorliegende Arbeit bietet, daher soll hier nun eingehakt werden. Es soll die Frage gestellt werden, welche - inzwischen wohl bereits absehbare - zentrale Herausforderung sich für Begleitung stellt, wenn sie unter dem Leitziel der Selbstbestimmung stattfindet, diese Selbstbestimmung aber nicht-verabsolutierbar ist und BegleiterInnen diejenigen sind, die Einschränkungen vornehmen (müssen?).

6.Begleitung - Handeln im Unlösbaren?

6.1. Selbstbestimmung und (Selbst)Verantwortung - ein Spannungsverhältnis?

Walther (in Hähner et al. 2011: 69) bringt einen zentralen Ausgangspunkt der Problematik der praktischen Umsetzung des Selbstbestimmungsgedankens auf den Punkt, wenn er schreibt:

"Insbesondere in der Spannung zwischen den Polen `Ich weiß doch selbst, was ich will!` und `Als Betreuer bin ich für dich verantwortlich!` droht die Idee zu zerreißen. Was für die Behindertenbewegungen [...] eine Forderung ist [...], ist für die Helfer eine Herausforderung."

Wie oben bereits dargestellt richtet sich das Konzept der Selbstverantwortung gegen die in diesem Zitat angesprochene Auffassung, als BegleiterIn für Lebensentwürfe von Menschen mit Behinderung verantwortlich zu sein, da in einer solchen Sichtweise Selbstbestimmung quasi der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Dennoch stellt Selbstverantwortung BegleiterInnen vor zahlreiche Fragestellungen. Walther formuliert einige davon sehr treffend:

"Wie stellt sich die Verantwortung dar, wenn Begleiter bei der Ausübung von Selbstverantwortung durch behinderte Menschen Gefahren für sie sehen? Müssen Begleiter nicht eingreifen und behinderte Menschen in der Ausübung ihrer Verantwortung dann doch wieder beschneiden? Wieweit kann Risiko zugelassen oder ausgehalten werden? Kann ein Mensch überhaupt selbst Verantwortung übernehmen, wenn er die Folgen seines Handelns aus der Sicht seiner Begleiter nur schlecht oder gar nicht einschätzen kann?" (ebd.: 79)

Theunissen formuliert es sehr drastisch, wenn er in Bezug auf Risiken, wie das Trinken von Lösungsmitteln, Verschlucken kleiner Gegenstände etc., schreibt: "[...] es [wäre] verantwortungslos, etwa in Laisser-faire-Manier dem Freiheits- oder Selbstbestimmungsstreben geistig schwer- oder mehrfachbehinderter Menschen blindlings zu vertrauen." (Theunissen 2011: 162)

Sich daraus ergebende potentielle Grenzen von Selbstverantwortung wurden im vorherigen Kapitel bereits dargestellt: Notwendigkeit der Abwehr von Gefahr für den Menschen mit Behinderung, Notwendigkeit der ´Notwehr´ durch BegleiterInnen sowie Situationen, in welchen das selbstbestimmte Handeln des einen Menschen einen anderen Menschen einschränkt (vgl. Hähner et al. 2011: 87).

Dass mit der Aufzählung dieser drei Punkte noch lange nicht geklärt ist, wo genau denn nun sogenannte "selbstverantwortungseinschränke Tätigkeiten" (ebd.) gefordert sind, liegt auf der Hand. Jenen Gedanken, der wohl viele BegleiterInnen beim Lesen der Punkte beschleicht, formuliert auch Walther im Anschluss an seine Aufzählung: "Wie schnell diese zum Tragen kommen (müssen), wird nicht pauschal zu beantworten sein." (ebd.: 88)

An anderer Stelle - nach dem Versuch einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Frage der Verantwortung und den sich durch sie ergebenden Grenzen - resümiert Walther in ähnlicher Form:

"Zweifellos sind mit dieser Diskussion möglicher Grenzen von Selbstverantwortung nicht die `Niederungen` vieler Alltagsituation[en] von Begleitern abgedeckt. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung wird viele Dilemmata sachlich nicht eindeutig auflösen können, weil sie unter Verantwortungsgesichtspunkten nicht auflösbar sind. Wären sie auflösbar, gäbe es längst eine verbindliche Ethik." (Hervorhebung im Original) (ebd.: 80f)

6.2. Selbstbestimmung und (Selbst)Verantwortung - ein unauflösbares Dilemma?

Dieser Sichtweise von Walther wird in der vorliegenden Arbeit deutlich zugestimmt. Jedoch wird davon ausgegangen, dass sich gerade in den "`Niederungen` vieler Alltagssituationen" - dort wo Begleitung konkrete Gestalt annimmt und zur Mit-Produzentin der Lebenswelt für Menschen mit Behinderung in Einrichtungen wird - unzählige subtile Formen von potentiell unangemessener Fremdbestimmung realisieren (können). Es wird davon ausgegangen, dass gerade hier die Fragilität des Gebäudes der Selbstbestimmung liegt.

Wo beginnt Gefahr, die für den Menschen mit Behinderung abgewendet werden soll? Beginnt sie bei tatsächlicher erheblicher Gesundheitsgefährdung? Wenn ja, wo beginnt erhebliche Gesundheitsgefährdung? In dem Moment in dem das Leben akut bedroht ist oder schon in dem Moment in dem mehr als 5 Zigaretten täglich geraucht werden oder 5kg vom Normalgewicht abgewichen wird? Wenn man sich darauf einigt, dass bei 5kg noch keine Gefahr vorliegt, wie sieht es dann bei 50kg aus? Wenn 5kg noch kein Problem sind, 50kg aber schon, kann man dann dabei zusehen, wie aus 5kg 50 werden und ist erst dann die "selbstverantwortungseinschränkende Tätigkeit" gerechtfertigt oder ist sie es schon bei 5kg, weil das Zusehen nicht mehr Selbstbestimmung sondern ´jemanden sich selbst überlassen´ und - wie man so schön sagt - ´sehenden Auges ins Unglück laufen lassen´ bedeuten könnte, was letztlich das Gegenteil von Selbstbestimmung sein könnte? Wie damit umgehen, wenn für jenen Menschen eventuell ein schlanker Körper von keinerlei Bedeutung ist? Und wie schwierig wird die Frage erst, wenn die gesundheitliche Gefährdung sowohl die physische wie auch die psychische Gesundheit meint? Was, wenn in dieser Hinsicht die Abwehr der einen Gefährdung, zum Beispiel einer Gefährdung der physischen Gesundheit, letztlich die psychische Gesundheit in Gefahr bringt? Was ist überhaupt als Gefahr zu verstehen? Wenn ein Mensch gewisse Rahmen, Strukturen, gewohnte Abläufe braucht, damit die psychische Gesundheit nicht gefährdet wird, beziehungsweise damit er in diesen überhaupt Selbstbestimmung tatsächlich leben kann ohne sich in Überforderung zu verlieren - wo beginnen solche Strukturen und Abläufe zu unangemessener Fremdbestimmung zu werden? Ab welchem Punkt kann man davon sprechen, dass ein Mensch einen anderen (oder eventuell eine Gruppe von anderen) einschränkt? Wenn er diesen verbal oder körperlich bedroht? Oder schon - wie oben bei Hähner formuliert - wenn er vor dem anderen beim Kühlschrank ist? Oder schon wenn ein Mitglied einer Gruppe keinen Teil der Hausarbeit übernehmen will? Oder gar schon, wenn jemand während eines gemeinsamen Essens telefoniert? Und wo beginnt Gefahr für die BegleiterInnen, welche diese abwehren müssen? Beginnt diese Gefahr erst bei der tatsächlichen Lebens- oder akuten Gesundheitsbedrohung? Wo beginnt akute Gesundheitsbedrohung? Oder beginnt Gefahr womöglich bereits, wenn sich ein/e BegleiterIn psychisch dadurch belastet fühlt, dass ihr ein Mensch mit Behinderung oftmals immer wieder dieselbe Frage stellt?

Spätestens an dieser Stelle wird wohl beim facheinschlägigen Leser / der facheinschlägigen Leserin der Punkt erreicht sein, wo man aufspringen möchte und - in Bezug auf welche der Fragen auch immer - rufen möchte "Selbstverständlich nicht!" oder "Selbstverständlich, ja!", oder in vielen Fällen aber auch "Das kann man so nicht beantworten, das kommt auf die jeweilige Situation an". Einige Fragen erscheinen leichter zu bearbeiten, einige schwieriger, doch sicher bleibt: Kaum eine der Fragen ist mit als absolut geltender Gewissheit eindeutig zu beantworten, beziehungsweise wird es wohl nur wenige Fragen geben, welche jede/r BegleiterIn in gleicher Weise beantworten würde. Ausgenommen seien hier die beiden ´extremen Ränder´: Kaum jemand wird wohl Einspruch dagegen erheben, dass beispielsweise verhindert werden sollte, dass jemand, der vermutlich die Gefahr nicht einschätzen kann, auf die Fahrbahnen der Autobahn läuft (Theunissen nennt Eingriffe in solchen und ähnlichen Situationen "assistierende Interventionen" [Theunissen 2011: 162]). Andererseits wird wohl auch niemand (mehr!) bezweifeln, dass es definitiv unangebracht ist, jemanden, der sich übergibt, weil ihm / ihr vorm Essen ekelt, zu zwingen, weiter zu essen. Hier kann wohl ein Zitat von Hähner gelten: "[...] das regeln die allgemeine Ethik und das Recht." (Hähner et al. 2011: 140) In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch um den mehr als großen Bereich der ´Zwischentöne´.

6.2.1. Eine Relativierung ...

Mit den beispielhaften Fragen soll keinesfalls geleugnet werden, dass diese - so sie denn gestellt werden - wohl in vielen oder den meisten Fällen in der Praxis professionell und keinesfalls so ´plump´, wie sie hier formuliert wurden, gestellt werden. Es soll nicht geleugnet werden, dass meist wohl weiterführende, eine Problemstellung anders beleuchtende Fragen gestellt werden, kreative, vielschichtige, differenzierte und empathische Lösungsvorschläge gesucht, gemeinsam mit dem jeweiligen Menschen mit Behinderung gefunden und dialogisch umgesetzt werden. Es soll nicht der Anschein erweckt werden, als würde davon ausgegangen, dass solche Fragen in der Praxis lediglich entweder mit "ja, hier muss selbstverantwortungseinschränkend eingegriffen werden" oder mit "nein, hier nicht" beantwortet werden - oftmals werden Kompromiss-Wege gegangen. Es ist davon auszugehen, dass potentielle Einschränkungen von Selbstverantwortung nicht mit plumper Rohheit oder gar Gewalt ´vollstreckt´ werden, sondern dass gemeinsam differenzierte, nicht-objektivierende, dialogische Wege gefunden werden.

6.2.2. ... und eine Bekräftigung

Doch bei aller positiver Relativierung der gestellten Fragen, beziehungsweise des vermuteten Umgangs mit diesen Fragen, bleiben doch einige Aspekte unveränderbar bestehen, welche als so zentral erachtet werden können, dass eine Thematisierung der Unlösbarkeit der grundlegenden Dilemmata als mehr als nötig erscheint:

Erstens:

Selbst die differenzierteste Auseinandersetzung und Befragung, ob eine Selbstverantwortungseinschränkung in einer jeweiligen Situation gerechtfertigt sei oder nicht, garantiert in keinem Fall (ausgenommen seien die angesprochenen ´extremen Ränder´) eine ´richtige´ Entscheidung. Sie kann sie schlichtweg nicht garantieren. Der Weg, der zu einer Entscheidung führen soll, tangiert immer (und vermutlich oft unausgesprochenerweise) jene teils unauflösbaren Problemfelder, die im Laufe dieser Arbeit noch genauer erläutert werden sollen. Er kann keinen nach Gesetzen der mathematischen Logik vorgegebenen Lösungsschritten folgen. Hähner schreibt in Bezug auf das "bisherige Berufsbild" (und meint damit "Betreuung", die sich noch nicht zur "Begleitung" gewandelt hat): "Mehr als in jedem anderen Berufsfeld orientiert sich die Lebensqualität der behinderten Menschen an der persönlichen Einstellung des professionellen Helfers." (Hähner et al. 2011: 144; in ähnlicher Weise verweist auf die Problematik auch Seifert 2007: 12f) In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass diese Feststellung nach wie vor von absoluter Gültigkeit ist, auch wenn mancherorts vielleicht das Etikett "BetreuerIn" durch "BegleiterIn" ersetzt wurde. Es wird davon ausgegangen, dass es nicht nur die "persönliche Einstellung" (Persönlichkeit, Erfahrungen, Haltungen etc.) ist, von welcher Entscheidungen, die Menschen mit Behinderung in einer Einrichtung betreffen, zu größten Teilen abhängen. Es kann angenommen werden, dass auch zwei weitere Aspekte hier zentral sind: Einerseits die (mit "persönlicher Einstellung" untrennbar verbundenen) jeweiligen habituellen Ressourcen zur Durchsetzung, zum Plausibel-Machen, zum Überzeugen von eigenen Haltungen in Bezug auf eine Fragestellung in einem Team und andererseits die organisatorischen Strukturen, in welchen diese Entscheidungen stattfinden. Diese tragen in hohem Maße oft indirekt und unbewusst zur Entscheidungsfindung bei (z.B. hierarchische Strukturen der Einrichtung, unterschiedliche Führungsstile, vorliegende Konzepte als Handlungsgrundlagen, unterschiedliche Gewichtungen in der Zusammensetzung von multiprofessionellen Teams etc.). (In ähnlicher Weise wird hierauf auch bei Hähner et al. 2005: 17f verwiesen.)

Zweitens:

Die ausführlichste und tiefste Auseinandersetzung kann - wenn sie nicht grundsätzlich und ausgesprochen von der Unlösbarkeit ausgeht - sogar paradoxerweise dazu beitragen, sich mehr und mehr der Vorstellung hinzugeben und die Illusion zu errichten, in einer jeweiligen Situation eine tatsächliche Lösung für ein letztlich unauflösbares Dilemma gefunden zu haben. Sie kann somit dazu beitragen, dass immer mehr Entscheidungen, die über einen Menschen mit Behinderung gefällt werden, immer leichter gerechtfertigt und legitimiert werden können.

Drittens:

Hähner verweist darauf, dass der Leitgedanke der Selbstbestimmung und die damit einhergehende Selbstverantwortung mit Risiken verbunden sind (zum Beispiel Alkoholmissbrauch, eigene Vorstellungen über Kleidung und Hygiene, die nicht gesellschaftlichen Normen entsprechen etc.). Diese Risiken sind als Teil des Konzepts zu betrachten, doch sie können bei BegleiterInnen Unsicherheiten erzeugen - vor allem dann, wenn kein deutlicher und klarer Auftrag von Seiten der Einrichtung in Bezug auf Begleitung, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung besteht. Hähner verweist hier vor allem auf Stellenbeschreibungen, welche dahingehend überprüft werden sollten, ob sie dazu beitragen, es BegleiterInnen zu ermöglichen, ohne Unsicherheit Risiken zuzulassen (vgl. Hähner et al. 2011: 147f). Es ist davon auszugehen, dass dies noch nicht flächendeckend der Fall ist, dass also oftmals Unsicherheit bei BegleiterInnen (durch mangelnde Absicherung und Unklarheit) maßgeblich dazu beitragen kann, bei auftauchenden Fragen im Bereich der Selbstverantwortung diese in einem Maße einzuschränken, welches eigentlich nicht dem Selbstbestimmungsgedanken entspricht - also in einem zu hohen Maße.

Viertens:

Hinzu kommt, dass deutlich auf den oben genannten Zusatz "so sie [die Fragen] denn gestellt werden" hingewiesen werden muss. Es ist davon auszugehen, dass in den "´Niederungen´ vieler Alltagssituationen" von BegleiterInnen unzählige kleine Entscheidungen in puncto Selbstbestimmung und deren Einschränkung getroffen werden, welche (aus unterschiedlichen Gründen) den Weg in eine differenzierte Auseinandersetzung und In-Frage-Stellung nie gehen, sondern meist spontan und ohne vor- oder nachherige Reflexion erfolgen. Es soll dabei kein Automatismus "spontane Entscheidung = unangemessene Fremdbestimmung" unterstellt werden, sondern nur verdeutlicht werden, dass hier ein großer Bereich der Möglichkeit von potentiell unangemessener Fremdbestimmung zu verorten ist. Dies vermutlich auch, weil viele der unauflösbaren Fragen, der Fragen ob in einer jeweiligen Situation Selbstverantwortungseinschränkung nötig sei oder nicht, nicht als solche, nicht so offensichtlich wie hier im Text weiter oben, gestellt werden. Es ist davon auszugehen, dass unzählige Situationen, in welchen BegleiterInnen Selbstverantwortungseinschränkung ausüben, nicht als solche tituliert werden und nicht in Frage gestellt werden, da die Selbstverantwortungseinschränkung als ´selbstverständlich notwendig´ erachtet wird. Doch auch hier gilt wiederum, dass es wohl zu einem großen Anteil von der Person des Begleiters oder der Begleiterin abhängig ist, wo Selbstverantwortungseinschränkung als ´selbstverständlich notwendig´ erscheint. Dies kann beginnen beim Versuch, jemand ´selbstverständlich´ daran zu hindern barfuß in am Boden liegende Glasscherben zu treten, es kann aber auch beginnen bei der als ´selbstverständlich´ erscheinenden Forderung, etwas Salat essen zu müssen, bevor ein Nachtisch verzehrt werden ´darf´ - beides mit der Begründung, dass sonst die Gesundheit gefährdet würde.

Eine zentrale, beeinflussende Rolle können hier sogenannte "heimliche Betreuungskonzepte" (Lingg / Theunissen 1997 zit. nach Theunissen 2011: 157) spielen. Hierunter sind zu verstehen: "Prozesse und Interaktionen, die nebenbei, unbeabsichtigt, unausgesprochen, unreflektiert und unbewußt ablaufen und die nicht selten einen hemmenden Einfluß auf die Identitätsentwicklung nehmen." (Theunissen 2011: 157) Diese "heimlichen Betreungskonzepte" können Tendenzen von unterschiedlichen Personen in einem Begleitungsteam bündeln und verstärken.

Damit untrennbar verbunden ist auch hier die Frage nach der strukturellen Bedingtheit der Entscheidung über die Frage, welche Einschränkungen, die von BegleiterInnen vorgenommen werden, zum Thema gemacht werden und welche nicht. Wer hat die Macht, eine Einschränkung überhaupt in Frage und zur Diskussion zu stellen oder eben gerade nicht zur Diskussion zu stellen? Geben die Strukturen dem Menschen mit Behinderung grundsätzlich (abseits von hier noch mitwirkenden Faktoren) die Macht, eine erfahrene Einschränkung oder die Art und Weise, wie diese Einschränkung umgesetzt wird - in welcher Form auch immer - in Frage zu stellen? Geben die Strukturen BegleiterInnen die Macht, dies zu tun? Oder geben sie BegleiterInnen die Macht, dies gerade nicht zu tun, die Macht, eine Einschränkung gar nicht erst zum Thema machen zu müssen? Welche Rolle spielen hier Führungsebenen?

Exkurs zum Begriff "Einschränkung":

Wesentlich anzumerken ist an dieser Stelle, dass "Einschränkung" nicht nur zu verstehen ist als "jemanden daran hindern, etwas zu tun". Sie ist auch zu verstehen als "jemanden auffordern, etwas zu tun" (einen Menschen also insofern einzuschränken, als dass ein aktuelles Handeln [auch "gerade nichts tun" kann ein solches Handeln sein] eingeschränkt wird durch die Aufforderung, etwas zu tun). Hier sei im Bereich der "´Niederungen´ der Alltagssituationen" beispielhaft vor allem der Bereich der Haushaltstätigkeiten angeführt. In Bezug auf die drei Bereiche der Grenzen von Selbstverantwortung kann er in gleich zwei Aspekten von größter Bedeutung sein: Die Beteiligung bei Haushaltstätigkeiten kann eingefordert werden mit der Begründung, die ´Gefahr´ (hier in einem sehr weiten Sinne verstanden) vom Menschen mit Behinderung abzuwenden, unselbständig zu werden oder zu bleiben, kein so-weit-als-möglich selbständiges Leben führen zu können und mit der Begründung, dass die Erfahrung, Bereiche des Haushalts, auch wenn sie noch so klein seien, selbst regeln zu können, wesentlich für das Selbstwertgefühl sei und so insgesamt Selbstbestimmung eher stärken als verhindern könne. Andererseits lässt sich die Beteiligung bei Haushaltstätigkeiten auch begründen mit der ansonsten stattfindenden Einschränkung von anderen - nämlich jenen Menschen, die diese Tätigkeiten übernehmen müssen, wenn sie eine Person nicht anteilsmäßig erledigt. Gerade dieser große und nicht zu unterschätzende Bereich des Haushalts kann schnell zu jenen Aspekten gehören, bei welchen Einschränkungen (also auch Aufforderungen, etwas zu tun) durch BegleiterInnen gerichtet an Menschen mit Behinderung als selbstverständlich betrachtet und kaum hinterfragt werden - auch wenn die Palette der Möglichkeiten, was getan werden muss und was eben nicht, wie dies umzusetzen sei und wie nicht, schier unendlich erscheint, unzählige Varianten gänzlich offen lässt - was diesen Bereich als einen hochbrisanten erscheinen lässt.

6.3. Begleitung unter dem Leitziel der Selbstbestimmung - eine unlösbare Aufgabe?

So ergibt sich aus den "´Niederungen´ der Alltagssituationen" jener große Raum, der letztlich einen großen Teil der konkreten Lebenswelt von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen darstellt, in dem die Möglichkeit von potentiell unangemessener Fremdbestimmung stets evident ist. Ein Raum jedoch, in dem die Frage, ob die Fremdbestimmung denn unangemessen sei oder nicht, ein unauflösbares Dilemma darstellt. Ein Raum, in dem Entscheidungen über potentielle Handlungsmöglichkeiten und potentielle Handlungseinschränkungen in einer unendlichen Anzahl konkreter, oft als belanglos erscheinender Alltagssituationen von Faktoren abhängen, die - in der Summe betrachtet - die Entscheidungen als eher willkürlich zustande kommend erscheinen lassen.

Die Brisanz der Problematik liegt - wie bereits angedeutet - auch darin, dass potentiell unangemessene Handlungseinschränkungen selbst wiederum mit den Begriffen des Leitziels der Selbstbestimmung legitimierbar sind. Handlungseinschränkungen sollen, was die Widersprüchlichkeit verstärkt, tatsächlich oft (oder immer?) indirekt einem Mehr an Selbstbestimmung dienen. Ein Rahmen kann nötig sein, um sich in diesem Rahmen so sicher bewegen zu können, dass Selbstbestimmung, das Treffen von Entscheidungen, darin erst möglich wird ohne sich in Überforderung zu verlieren (siehe dazu Kapitel 8.1.: Marlis Pörtner: Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum). Aber der Übergang, wo Einschränkungen noch einem Mehr an Selbstbestimmung dienen können, hin zu jenem Punkt, wo sie unangemessene Fremdbestimmung bedeuten, ist ein fließender. Katzenbach und Uphoff verweisen auf die Gefahr, dass in Interaktionen entgegen der formulierten Absicht der Förderung von Selbstbestimmung wiederum subtile Formen von Entmündigung praktiziert werden können (vgl. Katzenbach / Uphoff 1999: 70). Argumentationen können in dieser Hinsicht sein: "Hier ist im Sinne von Selbstbestimmung Einschränkung nötig, weil das Ausbleiben einer Einschränkung letztlich gleichzusetzen wäre mit ´jemanden sich selbst überlassen´ - das Ausbleiben einer Einschränkung würde somit letztlich selbst wiederum Fremdbestimmung bedeuten." So kann - und dieses "kann" ist hier zentral, da der Satz ja sowohl richtig wie auch falsch sein kann - potentiell unangemessene Fremdbestimmung subtile Wege nehmen, stets flüchtig und ungreifbar bleiben. Selbstbestimmung bleibt so immer doch etwas fragiles, unsicheres, einsturzgefährdetes.

In diesem fragilen Gebäude, in diesem großen Raum der Möglichkeit potentiell unangemessener Fremdbestimmung, in der größtenteils gegebenen Unmöglichkeit des Festmachens des Wortes "unangemessen" und in der scheinbaren Unerklärbarkeit der Frage, was denn nun konkret Selbstbestimmung sei, wenn sie ja doch nicht verabsolutiert werden könne, muss nun aber im Alltag dennoch gehandelt werden - stets unter dem großen Leitziel eben dieser Selbstbestimmung. Die zentrale Herausforderung von Begleitung liegt also in der tagtäglich in unzähligen Alltagssituationen geforderten Lösung eines unlösbaren Dilemmas, sie liegt in der Anforderung, permanent in Situationen der eigentlichen Unlösbarkeit dennoch zu handeln, zu entscheiden. Sie liegt in der Anforderung, im Sinne eines Ziels zu handeln,

  • bei welchem nicht klar und nicht bestimmbar ist, was genau das Ziel (Selbstbestimmung) von seinem - auf den ersten Blick so erscheinenden - zu vermeidenden Gegenteil (Fremdbestimmung) abgrenzt,

  • bei welchem nicht klar ist, ob das vermeintliche Gegenteil überhaupt tatsächlich das Gegenteil ist oder nicht dem Ziel dazu verhilft, überhaupt erreichbar zu werden und

  • bei welchem nicht klar ist, was - wenn Fremdbestimmung (wovon auszugehen ist) doch nicht das Gegenteil von Selbstbestimmung ist - dann das tatsächliche Gegenteil ist.

Es muss im Sinne eines Ziels gearbeitet werden, bei welchem zum jetzigen Zeitpunkt nur klar ist, dass unangemessene Fremdbestimmung das zu vermeidende Gegenteil sein könnte, wobei hierbei aber wiederum davon ausgegangen werden muss, dass das Unangemessene nicht bestimmbar ist. Begleitung wird so zu einem Handeln ohne tragfähige Handlungsgrundlage.

7.Vorläufige Zusammenfassung, die Zweite

Zusammenfassend lässt sich an diesem Punkt der Arbeit also festhalten:

  • Zentral für die vorliegende Arbeit ist jene Form von Nicht-Verabsolutierbarkeit von Selbstbestimmung, die sich aus der Frage der potentiellen Grenzen von Selbstverantwortung ergibt und sich konkret im Alltag von Menschen mit Behinderung als Einschränkung durch BegleiterInnen realisiert.

  • Die Spannung zwischen Selbstbestimmung und der Beteuerung der Nicht-Verabsolutierbarkeit dieser, die sich scheinbar an Grenzpunkten von Selbstverantwortung realisiert, erweist sich als ein (größtenteils) unauflösbares Dilemma. In diesem Dilemma, in der permanenten Frage, wo die Grenze von Selbstverantwortung erreicht sei und wo nicht, findet Begleitung statt.

  • Differenzierte Auseinandersetzungen mit Fragen nach der Notwendigkeit und der Umsetzung von Selbstverantwortungseinschränkung in unterschiedlichen Situationen verändern nicht die grundsätzliche Unlösbarkeit des Dilemmas.

  • Entscheidungen über Selbstverantwortungseinschränkung sind zu größten Teilen von Persönlichkeiten, Haltungen, Erfahrungen und Ressourcen der entscheidenden Personen sowie von Strukturen, die oft indirekt und unbewusst einwirken, abhängig.

  • Um das Risiko, das mit Selbstbestimmung und Selbstverantwortung einhergehen kann, aushalten zu können, brauchen BegleiterInnen einen klaren Auftrag, in welchem dieses Risiko als Teil des Konzepts der Selbstbestimmung thematisiert wird, um nicht durch eigene Unsicherheit der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung Grenzen zu setzen. Diese Klarheit scheint noch nicht flächendeckend gegeben zu sein.

  • Nicht nur jene ´großen´ Situationen, in welchen die Frage nach den Grenzen von Selbstverantwortung offensichtlich und brennend wird, sind zu beachten. Als wesentlich erweisen sich vor allem auch jene alltäglichen, kleinen und kaum zur Sprache kommenden Situationen, in welchen Selbstverantwortungseinschränkung vermeintlich als ´so selbstverständlich notwendig´ erscheint, dass sie von BegleiterInnen nicht in Frage gestellt wird.

  • So entsteht ein Raum, besser: eine zu beliebiger Größe dehnbare Blase der Möglichkeit unangemessener und subtiler Fremdbestimmung. Selbstbestimmung in Einrichtungen erscheint als fragile Konstruktion, als stets einsturzgefährdetes Gebäude. Hierzu tragen auch einerseits das noch bestehende Wirksam-Werden von eigentlich als überholt geltenden Paradigmen (Verwahrung und Förderung) und andererseits das weite, offene Cluster an Bedeutungen des Begriffs der Selbstbestimmung bei.

  • Im Rahmen von Begleitung muss innerhalb des größtenteils unlösbaren Dilemmas konkret gehandelt werden, Begleitung verlangt Handeln im Unlösbaren. Der einfache Schluss "Wenn Selbstbestimmung das Ziel ist, gilt es Fremdbestimmung zu vermeiden" kann keine tragfähige Handlungsgrundlage bilden, weil es scheint, dass Fremdbestimmung nicht Gegenteil, sondern unbestimmbarer Teil von Selbstbestimmung ist. Der Schluss "dann gilt es unangemessene Fremdbestimmung zu vermeiden" kann ebenfalls keine tragfähige Handlungsgrundlage bilden, da größtenteils unbestimmbar bleibt, was als ´unangemessen´ zu werten sei.

An diesem Punkt scheint die Gefahr groß zu sein, achselzuckend zu dem Schluss zu kommen "Wenn alles unbestimmbar ist, ist´s eigentlich auch egal was man als BegleiterIn tut - es gibt ohnehin kein richtig und falsch, der / die eine macht´s halt so, der / die andere so. Der / die eine wertet das schon als unangemessene Fremdbestimmung, der / die andere noch nicht und wirklich wissen kann man´s nie, also was soll´s?" Es kann auch zu dem Schluss gekommen werden, in der Praxis das Thema der Widersprüche und unlösbaren Dilemmata der Begleitung lieber doch dezent und vorsichtig zu umschiffen und stattdessen doch eher von ´Schwierigkeiten und deren Lösungen´ zu sprechen. Dies, da Bedenken vorhanden sein könnten, dass das Aussprechen der Unlösbarkeit letztlich zu Handlungsunfähigkeit führen könnte. Doch bei einem solchen Schluss macht sich bei der Autorin doch eine grundlegende Unzufriedenheit breit. Die übergeordnete Frage, die weiter antreibt, ist, ob unangemessene Fremdbestimmung verringert werden kann ohne dafür festlegen zu müssen oder anhand von Beispielen beschreiben zu müssen, was unangemessene Fremdbestimmung sein könnte. Weiter treibt die Frage an, ob es, wenn gerade in jenen unzähligen kleinen und oft unbedeutend erscheinenden Alltagssituationen, die in Summe einen großen Teil der Lebenswelt von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Einrichtungen ergeben, so viele Fragen in Bezug auf Selbst- und Fremdbestimmung unbestimmbar bleiben, nicht dennoch möglich ist, darin etwas Bestimmbares zu finden. Etwas Bestimmbares abseits von formulierten Handlungsgrundlagen oder Orientierungen für die Interaktion zwischen BegleiterIn und Mensch mit Behinderung, da eben solche Handlungsgrundlagen, was im nächsten Schritt zu zeigen sein wird, doch wieder unzählige Fallstricke bieten.

8. Problemfeld I: Die "Lösung" des Unlösbaren?

Ausformulierte Handlungsgrundlagen und Orientierungen für Begleitung, wie sie in der Literatur und in Einrichtungskonzepten oft zu finden sind, als auch weiterführende niedergeschriebene ´Tipps´ für die Begleitung, beispielhafte Darstellungen von Situationen in der Praxis und diesbezügliche Lösungsvorschläge oder Versuche, niederzuschreiben, welche Anforderungen an BegleiterInnen gestellt werden sollten, können für die Praxis wertvolle Impulse setzen. Sie können - wenn sie denn unter dieser Prämisse verfasst wurden - dem Leitbild der Selbstbestimmung mehr als dienlich sein und im Diskurs deutliche Spuren hinterlassen. In Einrichtungen können sie bewirken, dass es als allgemein anerkannt und nicht mehr in Frage zu stellend gilt, dass gewisse Praktiken aus den früheren Leitbildern Förderung und Verwahrung nicht mehr angemessen und konsequent zu verhindern sind. Aber sie bergen auch - wie oben bereits angedeutet - die Gefahr von Fallstricken in sich. Beziehungsweise können sie, wenn auch klar ist, dass sie ohnehin nie alle "´Niederungen´ der Alltagssituationen" beschreiben könnten (und vermutlich auch nicht sollten), einen so enorm großen und eben unbestimmbaren Raum an in ihnen möglichen Handlungen und Entscheidungen frei lassen, dass sie als Handlungsgrundlagen, Orientierungen etc. letztlich wiederum doch nur noch in Form von Phrasen existieren, in welchen beinahe jede Form von Fremdbestimmung (mit Ausnahme ´extremer Fälle´) möglich und legitimierbar bleibt.

Sack (in Hähner et al. 2011: 201) verdeutlicht beispielsweise in einigen "Anforderungen an die Begleiter im Wohnbereich", dass mit der Beteuerung "Sie sind doch schon so müde, wenn sie von der Werkstatt kommen" (ebd.: 202) und mit der damit einhergehenden ´Überbehütung´ (im Sinne von "Einkäufe sind schon erledigt, Kaffee ist bereits gekocht etc.") die Erhaltung von Unmündigkeit, die Erhaltung einer Position, in welcher der Begleiter / die Begleiterin sich "unabkömmlich" macht, befördert werden kann (vgl. ebd.). Dem kann grundsätzlich zugestimmt werden, der hier angesprochene Kritikpunkt ist sicherlich ein zentraler. Aber zugleich kann - auch wenn dies vermutlich nicht Sacks Intention ist - diese Anforderung an BegleiterInnen alltagstheoretisch in der Praxis die Einführung oder Beibehaltung von rigiden Putzplänen, die ausnahmslos einzuhalten sind und deren Einhaltung ebenso rigide eingefordert wird, legitimieren. Sie kann legitimieren, Menschen mit Behinderung permanent ´zwangszubeschäftigen´ - auch nach einem Arbeitstag. Sie kann legitimieren, zu ignorieren, dass eine Variante von Lebensgestaltung von kinderlosen Erwerbstätigen (vermutlich gar nicht so selten) sein kann, sich während der Woche die Pizza von unterwegs mitzunehmen, um nach dem Arbeitstag nicht mehr kochen oder abwaschen zu müssen, während der Woche die Hausarbeit ruhen zu lassen und sie stattdessen am Wochenende zu erledigen oder - in vielleicht selteneren Fällen, aber doch - vielleicht auch jemanden zu bezahlen, welche/r die Hausarbeit anstatt seiner / ihrer selbst erledigt. Das heißt: Eine Anforderung an BegleiterInnen, die die Erhaltung von Unmündigkeit verhindern soll, kann in der Praxis zu genau diesem gewollten Ergebnis führen. Mit ihr lässt sich aber auch das genaue Gegenteil legitimieren - der Raum an Möglichkeiten bleibt unendlich groß.

Dies war nur ein kleines Beispiel zur potentiellen Widersprüchlichkeit von ausformulierten Anforderungen an BegleiterInnen. Im Folgenden soll nun, um das Geschriebene zu verdeutlichen, ein (weshalb die Darstellung sich nicht einmal in die Nähe des Begriffs "repräsentativ" begeben möchte) exemplarisches Beispiel für Handlungsgrundlagen genauer und näher dargestellt werden. Im Anschluss soll eine der beliebtesten Formulierungen einer Anforderung an BegleiterInnen etwas ausführlicher in den Blick kommen. Beide sollen als Versuch einer ersten, groben Annäherung in Bezug auf mögliche Fallstricke befragt werden.

8.1. Marlis Pörtner: "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum"

In "Ernstnehmen, Zutrauen, Verstehen" legt Marlis Pörtner (Pörtner 2004) - basierend auf den Arbeiten von Carl Rogers und unter den drei Grundkomponenten "Empathie, Wertschätzung und Kongruenz" (ebd.: 29) - ein Konzept der "personzentrierten Haltung im Umgang mit geistig behinderten und pflegebedürftigen Menschen" vor. Sie thematisiert darin nicht explizit das Selbstbestimmungsprinzip, dennoch kann ihr Konzept als Grundlage für dialogische Begleitung unter dem umfassenden Leitbild der - wie auch immer zu definierenden und relativierenden - Selbstbestimmung verstanden werden. Pörtner richtet sich in leicht verständlicher Sprache und mittels vieler Beispiele aus dem Alltag deutlich direkt an BegleiterInnen (bei Pörtner: BetreuerInnen); sie zeigt auf, wie konkret im Alltag personzentriert gearbeitet werden kann. In diesem Sinne formuliert sie für BegleiterInnen acht sogenannte "Handlungsgrundlagen" - beispielsweise "Vertrauen auf Entwicklungsmöglichkeiten", "Klarheit", "Nicht was fehlt ist entscheidend, sondern was da ist" etc. (ebd.: 31). Ein Blick auf die erste dieser Grundlagen lässt in Hinblick auf das oben beschriebene unlösbare Dilemma aufhorchen - als Handlungsgrundlage wird dort genannt: "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum" (ebd.). (Eine in gewisser Weise ähnliche Formulierung findet sich bei Weingärtner mit "dynamische Balance zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung" [Weingärtner 2009: 68ff].) Pörtner beschreibt das immer wieder neu zu findende und herzustellende Gleichgewicht als eine der wesentlichsten Aufgaben von Begleitung (bei Pörtner: Betreuung). Sie betont den hohen Anspruch an diese Aufgabe, auch weil es um eine nicht ein für allemal festlegbare, subtile Balance geht, die nicht für sondern mit dem jeweiligen Menschen mit Behinderung geschaffen werden muss (vgl. Pörtner 2004: 33 und 35). Doch von einem Dilemma, gar von einem unlösbaren, spricht Pörtner nicht. Das Credo lautet: "[...] soviel Rahmen wie nötig und soviel Spielraum wie möglich zur Verfügung stellen." (Hervorhebung im Original) (ebd.: 33) Die Frage, die nun in einem ersten Schritt zu stellen ist, ist folgende: Kann es eine Leseweise geben, in der eben diese Formulierung von Pörtner (die sich in ihrem Buch nicht näher mit der Problematik von Selbst- und Fremdbestimmung befasst, zumindest nicht in direkter, ausgesprochener Form) doch dasselbe oder zumindest Ähnliches beschreiben, wie die in der vorliegenden Arbeit verwendete Formulierung des "Unauflösbaren Dilemmas von Selbstbestimmung (´Spielraum´?), Selbstverantwortung und deren Grenzen (´Rahmen´?)"?

8.1.1.Unauflösbares Dilemma vs. Gleichgewicht - unterschiedliche Formulierung, selbe Herausforderung?

Folgende Betrachtung scheint mit Blick auf Pörtners Text denkbar: Das Bild des Gleichgewichts kann verdeutlichen, dass ab einem gewissen, nie ein für allemal bestimmbaren, sondern immer neu zu findenden Punkt ein Zuviel an Selbstbestimmung in ein ´jemanden sich selbst überlassen, jemanden der uferlosen Unüberblickbarkeit aussetzen´ übergleiten kann. Pörtner spricht von der Gefahr, dass Spielräume, so sie nicht begrenzt seien, so weit und offen sein können, dass sie unüberblickbar würden - dies würde zu Überforderung führen (wovon zum Beispiel Glaser Selbstbestimmung klar abgrenzt, wobei unklar bleibt, ob hier von einem vergleichbaren Begriff von Überforderung gesprochen wird [siehe dazu Glaser 2009: 88f]). Durch diese Überforderung könne schließlich Entscheidungsfreiheit vom Menschen mit Behinderung nicht mehr wahrgenommen werden (vgl. Pörtner 2004: 33). Man kann also, wie weiter oben bereits angedeutet, davon ausgehen, dass dieses ´jemanden sich selbst überlassen´, dieses Nicht-Berücksichtigen von eventueller Unüberblickbarkeit, nicht mehr als Selbstbestimmung, sondern ganz im Gegenteil als ... - ja, als was denn nun? ... - vielleicht als unangemessene Fremdbestimmung zu bezeichnen ist. Man kann davon ausgehen, dass dies eine Gefahr für den Menschen mit Behinderung darstellt, weil selbstbestimmte Entscheidungen nicht ermöglicht, sondern verhindert werden. Dasselbe gilt für die Gegenrichtung: Ein Rahmen, der mit dem Ziel, dieser Unüberblickbarkeit entgegen zu wirken, gesetzt (oder, um ein schöneres Wort zu verwenden: angeboten) wird und somit Selbstbestimmung erst ermöglichen kann, kann schnell ´kippen´ in Richtung eines Rahmens, der so eng ist, dass Selbstbestimmung gänzlich verunmöglicht wird.

Insofern kann vermutet werden, dass die Unauflösbarkeit des Dilemmas von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und deren Grenzen und das Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum auf vergleichbare, beziehungswiese sogar fast identische praktische Handlungsprobleme rekurrieren. Beim unlösbaren Dilemma geht es auch um jene Situationen, in welchen unklar ist, ob die Auswirkungen der Situation dem Menschen mit Behinderung oder seinem Umfeld letztlich über kurz oder lang schaden könnten oder nicht. Es geht um Situationen, in welchen unklar ist, ob das Nicht-Eingreifen durch BegleiterInnen tatsächlich Selbstbestimmung bedeutet oder letztlich Selbstbestimmung eigentlich einschränkt (weil zum Beispiel eben ein Nicht-Eingreifen einem ´jemanden-sich-selbst-überlassen´ gleichkommt oder weil funktionierendes Zusammenleben in einem sozialen Gefüge verunmöglicht wird).

Beim Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum geht es auch um eben jene Alltagssituationen. Es werden nicht die tatsächlichen akuten Gesundheitsgefährdungen, die nach einem Rahmen verlangen würden, explizit angesprochen, sondern tatsächlich nur die alltäglichen, fast banal erscheinenden Momente. Pörtner bringt Beispiele aus der Haushaltsführung (z.B. Pörtner 2004: 34), aus dem Umgang mit Geld (z.B. ebd.: 35) etc., in welchen gewisse Rahmen nötig werden. Insofern kann Pörtners Formulierung von "Rahmen" in der Praxis sogar ´alltagstauglicher´ und verständlicher sein, als jene der oben beschriebenen "Selbstverantwortungseinschränkungen". Es muss nicht so sehr ´um die Ecke gedacht´ werden, um zu wissen, dass es beim Rahmen um eben genau jene kleinen, fast unbedeutend erscheinenden Aspekte aus dem Alltag geht, die Menschen mit Behinderung und ihre BegleiterInnen tagtäglich beschäftigen.

Bei beiden Formulierungen geht es um die Aufgabe, damit umzugehen, dass es einen Moment gibt, an welchem das Gleichgewicht ´kippt´. Ein Moment also, ab welchem etwas, das vordergründig als Selbstbestimmung bezeichnet wird, letztlich eben nicht mehr Selbstbestimmung bedeutet, sondern deren - wie auch immer genanntes - Gegenteil. So kann das Bild des Gleichgewichts, das stets zu kippen droht, die Fragilität von Selbstbestimmung besonders gut verdeutlichen, es lässt sich mit diesem Bild eindrücklich zeigen, auf welch subtilen und schwer fassbaren Ebenen potentiell unangemessene Fremdbestimmung stattfinden kann. Nicht-verabsolutierte Selbstbestimmung könnte in dieser Hinsicht mitunter sogar synonym mit "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum" verwendet werden.

8.1.2. ... oder: Unlösbares Dilemma vs. Gleichgewicht - gleich und doch verschieden?

Wie gezeigt wurde rekurrieren die Formulierungen "unlösbares Dilemma" und "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum" auf ähnliche, vielleicht sogar identische Alltagssituationen. Ein Unterschied lässt sich darin festmachen, dass Pörtner von einer schwierigen, anspruchsvollen Aufgabe spricht (vgl. Pörtner 2004: 35), nicht aber von einem unlösbaren Dilemma. Dies kann unterschiedlichen Abstraktionsebenen geschuldet sein - Pörtner schreibt konsequent in den Worten der Praxis. Man könnte diese unterschiedlichen Ebenen also insofern verbinden, als dass durch das unlösbare Dilemma BegleiterInnen vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Bedenkt man, dass BegleiterInnen tagtäglich handeln und eben nicht ob des unlösbaren Dilemmas in Totenstarre verfallen, ist die Sichtweise, dass BegleiterInnen die schwierige Aufgabe tagtäglich in irgendeiner Form auch lösen, tatsächlich richtig.

8.1.2.1. Problemfeld I: Gefahren der vereinfachten Darstellung einer komplexen Fragestellung?

Dennoch kann es als ein wenig problematisch erscheinen, dass Pörtner dem Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum zwar einen Raum in ihrer Konzeption gibt, diesen Raum - der aus Sichtweise der vorliegenden Arbeit den zentralsten Dreh- und Angelpunkt von Begleitung darstellt - aber nicht als widersprüchlichen benennt. Sie öffnet mit dem Verweis auf das nötige Gleichgewicht als Handlungsgrundlage für BegleiterInnen die große und zentrale Frage von Selbst- und Fremdbestimmung - aber ohne deren Tragweite zu benennen. Im Gegenteil: Sie scheint sie eher zu simplifizieren. Pörtner arbeitet auf schlanken fünf Seiten die Frage vom Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum ab; sie tut dies mittels dreier Beispiele aus dem Alltag, für welche sie personzentrierte Lösungen darstellt. So wird etwa das Beispiel eines Mannes herangezogen, welcher sich verärgert über die Notwendigkeit des Geschirrspülens in einer Wohngemeinschaft zeigt, in welcher es institutionell gegebene Voraussetzung ist, den Haushalt größtenteils selbst zu erledigen. Es wird für BegleiterInnen vorgeschlagen, sich einerseits in dessen emotionale Reaktion einzufühlen, Verstehen und Akzeptieren von Wut und Ärger zu signalisieren, andererseits aber den Rahmen der Institution klar zu vertreten - also das Geschirrspülen einzufordern (vgl. Pörtner 2004: 32). So sehr Pörtners Beispiele vermutlich auch größtenteils auf Zustimmung oder zumindest nicht auf gänzliche Ablehnung stoßen werden und so sehr sie oft tatsächlich überaus empathisch und auch ´praktikabel´ erscheinen, so sehr fehlt in einer solchen, auf Beispielen aufgebauten Darstellung der sogenannten "Handlungsgrundlage: Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum" dennoch ein wesentlicher Baustein: die Widersprüchlichkeit jedes Rahmens, die Unmöglichkeit der Eindeutigkeit. Eine solche Simplifizierung, wie sie im Folgenden genauer argumentiert werden soll, kann - so eine Grundannahme der vorliegenden Arbeit - unzählige Fallstricke in sich bergen.

Die Quintessenz von Pörtners Kapitel zu Rahmen und Spielraum als Handlungsgrundlage für BegleiterInnen lässt sich grob im weiter oben bereits erwähnten Zitat zusammenfassen: "[...] soviel Rahmen wie nötig und soviel Spielraum wie möglich zur Verfügung stellen." (Hervorhebung im Original) (ebd.: 33) Dabei finden sich zwar - wie bereits erwähnt - Verweise auf die Schwierigkeit dieser Anforderung (z.B. ebd.: 35), aber keinerlei Hinweis auf die eigentliche Unmöglichkeit der tatsächlichen Lösung oder der widerspruchsfreien Eindeutigkeit. Zu einem späteren Punkt in "Ernstnehmen, Zutrauen, Verstehen" regt Pörtner zwar dazu an, die Fragen, ob der Rahmen zu eng oder zu weit, der Spielraum zu groß oder zu klein sei, zu stellen (vgl. ebd.: 128) - aber sie versieht ihre Fragen mit keinerlei Hinweis in Bezug auf die Unmöglichkeit von deren eindeutiger Beantwortung. Es scheint sich bei ihr zwar durchwegs um schwierige, aber nicht um grundlegend eigentlich unlösbare Fragen, welchen sich BegleiterInnen lediglich annähern können, zu handeln. So heißt es bei Pörtner: "Sie [die Betreuerin] muß erkennen, wo [...] sie Grenzen setzen oder etwas verlangen muß." (ebd.: 31) Dass sie es erkennen muss, kann gleichzeitig nur bedeuten, dass sie es - nach Pörtner - grundsätzlich potentiell auch erkennen kann. In der vorliegenden Arbeit wird dies - was zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlich verdeutlicht werden soll - als hoch problematisch empfunden. Die vermeintliche Eindeutigkeit, mit der BegleiterInnen - wie es bei Pörtner scheint - letztlich doch die schwierige Frage von Rahmen und Spielraum lösen können, kann Einschränkungen von Menschen mit Behinderung durch deren BegleiterInnen eine unzulässige, allumfassende Legitimation erteilen, kann BegleiterInnen eine ´Generalvollmacht´ für Rahmensetzungen ausstellen, kann BegleiterInnen vermitteln, Rahmensetzungen wären zwar in Bezug auf Enge und Weite zu hinterfragen, wären aber grundsätzlich widerspruchslos ´in Ordnung´. In der vorliegenden Arbeit wird nicht im Gegenteil wiederum simplifizierend davon ausgegangen, dass Rahmen grundsätzlich ´nicht in Ordnung´ und ´durchgängig zu vermeiden´ wären. Aber es wird davon ausgegangen, dass die Widersprüchlichkeit von Rahmensetzungen stets präsent bleiben muss (siehe näher begründend hierzu Kapitel 12 der vorliegenden Arbeit). Es wird auch davon ausgegangen, dass Beteuerungen der Notwendigkeit von Rahmen und Spielräumen, dass Sätze wie der oben genannte ("Sie [die Betreuerin] muß erkennen, wo [...] sie Grenzen setzen oder etwas verlangen muß") etc. nie ohne den Verweis auf die dahinterstehende ambivalente Problematik von Selbstbestimmung, Fremdbestimmung und potentiell unangemessener Fremdbestimmung auskommen sollten, da das Nicht-Erwähnen der Widersprüche und Dilemmata Fallstricke in sich birgt. Hier zum Beispiel jenen, dass Pörtners Konzeption kaum zu einer Verhinderung von - um es ein wenig überspitzt auszudrücken - ´personzentrierter, empathischer, wertschätzender und kongruenter unangemessener Fremdbestimmung´ beiträgt.

8.1.2.2. Problemfeld II: Der Mensch mit Behinderung als Objekt?

Und noch ein - sich eventuell in der alltagstheoretischen Umsetzung realisierender - Fallstrick scheint sich im Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum und dem fehlenden Verweis auf das ihm zugrunde liegende unlösbare Dilemma zu finden: Wie gezeigt wurde, wird das Gleichgewicht bei Pörtner nicht nur als Problembeschreibung einer schwierig zu realisierenden Balance formuliert. Es wird, dadurch dass es als Handlungsgrundlage geführt wird, auch gleichzeitig zur Lösung des Problems - zu einer Lösung, die die BegleiterInnen finden sollen / können / müssen. Würde auf die grundlegende Unlösbarkeit des dahinterstehenden Dilemmas verwiesen, könnte die Handlungsgrundlage nicht die sein, dieses Dilemma dann mittels eines Gleichgewichts doch zu lösen. Die Handlungsgrundlage könnte dann nur in einer Weise formuliert werden, in welcher ein Umgang mit der eigentlichen Unlösbarkeit des Problems im Alltag dennoch nicht zu Handlungsunfähigkeit führt. Doch die Formulierung Pörtners im Sinne einer Handlungsgrundlage, nach der mittels Rahmen-Setzen und Spielraum-´Zulassen´ ein Gleichgewicht erzeugt werden solle, kann den Trugschluss nahelegen, die BegleiterInnen wären hier nicht nur diejenige, die aktiv einen Rahmen setzen oder einen Spielraum ´zulassen´ (was an sich schon problematisch ist), sondern auch diejenigen, die damit aktiv ein Gleichgewicht erzeugen würden. Auch wenn Pörtner - wie erwähnt - betont, es gehe darum, mit dem Menschen mit Behinderung und nicht für ihn ein Gleichgewicht zu finden (vgl. ebd.: 35), bleibt dennoch das dahinter angesprochene Problemfeld bestehen:

Wenn man versuchsweise davon ausgehen möchte, dass jeder Mensch nach einem Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum strebt, weil das soziale Wesen Mensch nur so Selbstbestimmung tatsächlich leben kann, ist offensichtlich, dass diese schwierige Streben und Erzeugen des Gleichgewichts eine Leistung des Individuums in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt ist. Führt man im Falle von Menschen mit Behinderung nicht nur das Anbieten von Rahmen und Spielraum, sondern auch das Ziel des Gleichgewichts als Handlungsgrundlage von BegleiterInnen an, beschreibt man beim Erzeugen des Gleichgewichts in erster Linie sie als die Aktiven. Bei Pörtner klingt dies so: "Diese Gleichgewicht immer wieder neu zu finden und herzustellen, ist eine der wesentlichen Aufgaben in der Betreuungsarbeit [...]." (ebd.: 33) So wird die Leistung, die Herstellung des Gleichgewichts, zwangsläufig eine, welche BegleiterInnen für den Menschen mit Behinderung, im besten Fall noch für ihn mit ihm gemeinsam, ´vollbringen´. Es handelt sich dann um eine Leistung, für welche sich BegleiterInnen bejubeln können, wenn sie denn für geglückt erachtet wird. Insofern kann das Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum eigentlich nicht Handlungsgrundlage von BegleiterInnen sein, da die aktive Seite beim Erzeugen des Gleichgewichts immer beim Menschen mit Behinderung liegt. BegleiterInnen könnte dabei als Handlungsgrundlage "nur" die Aufgabe zukommen, dem Menschen mit Behinderung in seiner aktiven Leistung, das Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum herzustellen, nicht im Weg zu stehen. Dies ist deshalb so unauflösbar schwierig ist, weil in dieser Hinsicht "nichts tun, keine Rahmen setzen" paradoxerweise eben auch bedeuten kann, im Weg zu stehen. In Bezug auf die Haltung macht es einen Unterschied, ob BegleiterInnen davon ausgehen, ihre aktive Aufgabe sei es, Selbstbestimmung, die nur in einem Gleichgewicht aus Rahmen und Spielraum stattfinden kann, zu erzeugen, oder ob sie davon ausgehen, ihre passive Aufgabe sei es, dieser nicht im Weg zu stehen - unter dem Vorzeichen, dass sie wissen, dass dies durch die genannte Paradoxie letztlich für sie unlösbar ist, weil "nicht im Weg stehen" oft auch "Rahmen setzen" fordern kann - dies aber nie mit Gewissheit. (In Ergänzung zu dieser passiven Aufgabe wäre die aktive Aufgabe von BegleiterInnen dann, [institutionelle] Bedingungen zu erzeugen, in welchen die Möglichkeit von Selbstbestimmung und von Gleichgewicht besteht.)

8.1.3. (Relativierendes?) Resümee

Resümierend kann also festgehalten werden: Der fehlende Verweis auf das hinter dem Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum stehende unlösbare Dilemma und die fehlende Auseinandersetzung mit Ambivalenzen von Selbst- und Fremdbestimmung erscheinen in Pörtners Konzeption als problematisch. Die Konzeption birgt so etliche Fallstricke in sich - beispielsweise jenen, dass BegleiterInnen eine vermeintlich-mögliche Eindeutigkeit in Bezug auf Rahmen vermittelt wird und diese so allumfassend ´entproblematisiert´ werden. ´Personzentrierte, empathische, wertschätzende und kongruente unangemessene Fremdbestimmung´ kann sich etablieren. Die Formulierung des zu erzeugenden Gleichgewichts als Handlungsgrundlage von BegleiterInnen kann sich in der Praxis in eine Richtung wenden, in welcher der Mensch mit Behinderung zum passiven Objekt wird, für welches ein Gleichgewicht erzeugt wird. Dies steht letztlich in einem eklatanten Gegensatz zum Leitgedanken der Selbstbestimmung.

Man könnte nun davon ausgehen, dass bei einer Umsetzung der Gesamtheit der Konzeption des "personzentrierten Ansatzes" diese Problemfelder letztlich aufgelöst würden, dass - wenn tatsächlich personzentriert begleitet würde, alle acht pörtnerschen Handlungsgrundlagen (siehe Pörtner 2004: 31) berücksichtigt und empathisch, wertschätzend und kongruent (vgl. ebd.: 29) umgesetzt würden - Formen unangemessener Fremdbestimmung, die sich auch als Objektivierung realisieren können, letztlich kaum mehr vorkommen könnten, dass sich unangemessene Fremdbestimmung und personzentriertes Begleiten letztlich ausschließen würden.

Doch BegleiterInnen-Maschinen, welche herausgelöst aus sämtlichen anderen Zusammenhängen, Diskursen, Erfahrungen, habituellen Prägungen etc. nach Lehrbuch den personzentrierten Ansatz umsetzen, gibt es wohl kaum - und selbst wenn es sie gäbe, wäre die Frage von Selbst- und Fremdbestimmung doch nicht lösbar; das Dilemma, das hinter dem Gleichgewicht von Rahmen und Spielraum steht, bliebe auch weiterhin bestehen.

Nebenbei wird in der vorliegenden Arbeit auch davon ausgegangen, dass es nicht nur auf Menschen mit Behinderung, sondern auch auf BegleiterInnen und Teams negative Auswirkungen haben kann, wenn allzu leicht von der Handlungsgrundlage "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum" gesprochen wird. Letztlich stehen BegleiterInnen permanent vor dem Problem, nicht zu wissen oder im Team kontrovers darüber zu diskutieren, wo denn jetzt Rahmen nötig wären und ob diese nicht dem Leitziel der Selbstbestimmung zuwider laufen. Der schlichte Verweis darauf, man müsse eben, auch wenn es schwierig und anspruchsvoll sei, das Gleichgewicht finden, kann da mitunter schnell zynisch wirken, da eventuell eigentlich gespürt wird, dass vor einer unlösbaren Aufgabe gestanden wird, oder da sowohl innerhalb von Begleitungsteams als auch zwischen Begleitungsteams und Menschen mit Behinderung gänzlich unterschiedliche Wahrnehmungen darüber zu finden sind, wann denn nun ein Gleichgewicht erreicht sei (obwohl ein Gleichgewicht doch eigentlich - naturwissenschaftlich betrachtet - ein eindeutig bestimmbarer Zustand sein sollte).

Abschließend sei jedoch darauf verwiesen, dass in der vorliegenden Arbeit nicht nur davon ausgegangen wird, dass die Formulierung vom Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum die Ergänzung durch eine widersprüchliche Auseinandersetzung mit dem Dilemma von Fremd- und Selbstbestimmung bräuchte. Es wird auch - und dies sei mit Bekräftigung und ausgesprochener Würdigung der Konzeption von Marlis Pörtner erwähnt -, davon ausgegangen, dass eine widersprüchliche Auseinandersetzung mit dem Dilemma von Fremd- und Selbstbestimmung in der Praxis undbedingt den personzentrierten Ansatz oder ähnliche Konzeptionen als Grundlage dialogischen Arbeitens braucht.

Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, sollen keine weiteren Handlungsgrundlagen - weder von Pörtner, noch von anderen AutorInnen, bei welchen sich diese auch finden lassen - genauer dargestellt werden. Das Beispiel des Gleichgewichts zwischen Rahmen und Spielraum sollte lediglich veranschaulichen, dass auch gut durchdachte Handlungsgrundlagen, Orientierungen, Tipps für BegleiterInnen etc., wie sie denn unter dem Leitziel der Selbstbestimmung arbeiten sollten, die großen Widersprüche von Begleitung nicht auflösen können, eine Thematisierung und ein Aushalten dieser Widersprüche nicht ersetzen können.

Wenn also auch keine weiteren lösungsorientierten Handlungsgrundlagen mehr dargestellt werden, soll im Folgenden zumindest - um dem Titel des Kapitels deutlich Rechnung zu tragen - noch die Geheimwaffe schlechthin für die "Lösung des Unlösbaren" erwähnt und ein klein wenig näher betrachtet werden:

8.2. Selbstreflexion - Unabkömmlich und dennoch tückisch?

Spricht man von der hohen Schwierigkeit, gar der Unlösbarkeit der Aufgabe des Begleitens unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung, scheint ein Ausweg der naheliegendste und vermutlich auch nicht von der Hand zu weisende zu sein: Es bedarf einer gewissen Haltung von BegleiterInnen. Einer Haltung, die es BegleiterInnen ermöglicht, stets so zu handeln, dass optimale Bedingungen für Selbstbestimmung erhalten und geboten werden, ohne dass sie über exakte (aber eben nicht formulierbare) Richtlinien verfügen müssten, wie in jeweiligen Situationen zu handeln sei. Diese Haltung sei bearbeitbar und erreichbar mit dem Mittel der Selbstreflexion - nur diese kann tatsächlich empathisches, kongruentes Handeln weitestgehend abseits des (unbewussten) Wirksam-Werdens von Machtmechanismen gewährleisten. Nur wenn BegleiterInnen eigene Vorstellungen, Neigungen, Ängste, Probleme, Reaktionen und Anliegen bewusst wahrnehmen können, können sie diese von denen anderer Menschen trennen (vgl. Pörtner 2004: 115). Nur durch diese Trennung kann, so scheint es, Selbstbestimmung derer, die begleitet werden, möglich sein. Insofern scheint Selbstreflexion unter dem Leitbild der Selbstbestimmung geradezu eine zentrale Position einnehmen zu müssen. Seifert verweist darauf, wenn sie schreibt: "Zur Sicherung der Qualität der Arbeit mit Menschen, die nicht für sich selbst sprechen können, ist eine ständige kritische Selbstreflexion unabdingbar." (Seifert 2007: 15)

Aus der Praxis der Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist der Begriff der Selbstreflexion tatsächlich nicht mehr weg zu denken. Ein Blick in unzählige facheinschlägige Stellenangebote zeigt deutlich, dass Selbstreflexion eine wesentliche Anforderung an BegleiterInnen darstellt. Auch Ausbildungsanbieter verweisen auf deren hohen Stellenwert - Schönwiese zitiert beispielsweise aus den Leitlinien der - damals noch so genannten - Lehranstalt für heilpädagogische Berufe in Tirol:

"Um [...] nicht entmündigende Betreuung, sondern begleitende Unterstützung zu leisten, ist an Personen, die in diesem Bereich professionell arbeiten, die Anforderung von Dialogfähigkeit und Selbstreflexion zu stellen. Dabei geht es um eine Selbstreflexion des eigenen Handelns, über die ein verstehender Zugang zu den betroffenen Personen möglich ist." (Leitlinien 1997 zit. nach Schönwiese 2000: o.S.)

8.2.1. Selbstreflexion allgemein pädagogisch betrachtet - Bedeutung und Problem

Aus Sicht allgemeiner Pädagogik betrachtet gewann in der Moderne die Selbstreflexion enorm an Bedeutung. Die Reflexion versteht sich dabei - in der bis heute gängigen Form - gerichtet auf das pädagogische Gegenüber, das pädagogische Handeln, die pädagogische Beziehung und / oder das pädagogische Selbst. In der Erziehungswissenschaft scheint heute eine deutlich optimistische Funktionszuweisung an die Selbstreflexion ein Stück weit verloren gegangen zu sein, in der Praxis jedoch feiert dieser Optimismus - wie Göhlich es bezeichnet - "fröhliche Urständ" (Göhlich 2011: 138). Sowohl die Professionalisierung von Reflexion wie auch die Professionalisierung von Reflexionsunterstützung nehmen rapide zu (vgl. ebd.: 138f).

Doch Göhlich verweist auch auf Probleme hinsichtlich dieser Entwicklung. Durch die zunehmende Professionalisierung von Reflexion und Reflexionsunterstützung (Supervision, Coaching etc.) spricht er von der Gefahr der durch diese vermittelten Machbarkeitsvisionen: "[...] eine Selbsttäuschung der Praxis über die - wie bei pädagogischem Handeln grundsätzlich - [...] bestehen-bleibende Ungewissheit." (ebd.: 148)

Dieser Verweis auf Selbsttäuschung soll zum Ansatzpunkt genommen werden, um die Selbstreflexions-Anforderung an BegleiterInnen von Menschen mit Behinderung anhand eines Beispiels praxisnah auf mögliche Fallstricke zu befragen:

8.2.2. Ein tückisches Beispiel? - Erik Bosch: "Die Bedeutung der kritischen Selbstreflexion in der Begegnung mit Menschen mit geistiger Behinderung"

Mit diesem Untertitel versieht Erik Bosch sein sogenanntes Arbeitsbuch "Wir wollen nur euer Bestes" (Bosch 2005). Er legt damit ein Plädoyer für die Arbeit an den Grundeinstellungen und an den Haltungen von BegleiterInnen vor - als wesentlichsten Bestandteil dieser Haltungen macht Bosch Selbstreflexion fest (vgl. Bosch 2005: v.a. 13, 17, 144, 180). Die dringende Notwendigkeit für bestimmte Grundeinstellungen und Haltungen sowie für eine besondere Fähigkeit zur Selbstreflexion scheint Bosch in einer hohen Abhängigkeit von Menschen mit Behinderung zu sehen; diese wird immer wieder betont (vgl. ebd.: v.a. 21, 25, 75). In dieser Hinsicht findet sich auch der Verweis "In vielen Dingen sind sie [Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, LH] weniger kompetent." (ebd.: 71) Damit gehe - nach Bosch - eine hohe Verantwortung auf Seiten der BegleiterInnen einher, welche es verlange, über eine "einigermaßen harmonische Persönlichkeitsstruktur [zu] verfügen und sich selbst gut [zu] kennen." (ebd.: 21)

In Bezug auf die für die vorliegende Arbeit zentralen Achsen von Selbst- und Fremdbestimmung finden sich auch bei Bosch die üblichen Verweise darauf, dass es Regeln brauche, dass aber immer die Frage gestellt werden müsse, ob eine bestimmte Regel einer Person oder ihrer Umgebung nützlich sei (vgl. ebd.: 44). In puncto (Selbst?)-Verantwortung scheint Bosch eine deutlich ´vorsichtige´ Linie zu vertreten, er stellt die "Faustregel" "Lieber etwas zu vorsichtig sein als zu viele Risiken eingehen" auf (ebd.: 142) und betont, dass in der Umsetzung des Normalisierungsprinzips immer berücksichtigt werden müsse, ob der / die Betreffende dem auch gewachsen sei (vgl. ebd.: 36). Er verweist darauf, dass Menschen keine Möglichkeiten aufgezwungen werden sollten, welche sie nicht einordnen könnten, da dies zu Überforderung führen könnte (vgl. ebd.: 34). Eine Ursache für eine solche potentielle Überforderung scheint Bosch folgendermaßen festzumachen: "Nicht selten geschieht das, weil wir nicht richtig einschätzen, welche Hilfe jemand tatsächlich von uns verlangt." (ebd.)

Folgt man nun Boschs Grundgedanken, könnte daraus schlussgefolgert werden, dass eine Haltung, die von Selbstreflexion getragen ist, in hohem Maße dazu beitragen kann, eben doch "(annähernd) richtig einzuschätzen, welche Hilfe jemand tatsächlich von uns verlangt". Somit könnte das Formulieren einer ´Anleitung´ (wie Bosch sie zu geben scheint) zu einer von Selbstreflexion getragenen Haltung von BegleiterInnen der Schlüssel zu einer Annäherung an die Lösung des eigentlich als unlösbar beschriebenen Dilemmas sein. Doch vor dem Anstimmen eines Jubelchors soll doch noch ein Blick auf die Beispiele, die Bosch in Hinblick auf das "richtige Einschätzen" anführt, gewagt werden:

In unzähligen Beispielen beschreibt Bosch in seinem Buch immer wieder Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in bestimmten, meist von BegleiterInnen als problematisch erlebten Situationen. Seine Beschreibungen sind hier durchaus kritisch zu betrachten: BegleiterInnen werden in Ausbildung und Praxis üblicherweise dazu angehalten, ´wertfrei zu beschreiben´ - bei Bosch ist diese Beschreibung doch eine sehr fragwürdige. Es finden sich Sätze wie "Bruno kann sein soziales Umfeld bis aufs Äußerste provozieren, wobei er sich nicht immer angemessen zu verhalten weiß" (ebd.: 78) oder aber auch "Er macht eindeutig sexuelle Annäherungsversuche. Marcel hat (noch) nicht gelernt, dass sich das nicht gehört" (ebd.: 175). Doch interessanter noch als diese - nicht alle in dieser Art und Weise verfassten - Beschreibungen von Menschen und als schwierig empfundenen Situationen, in welchen diese Menschen in bestimmter Weise handeln, ist Boschs jeweils folgende Interpretation. Da heißt es nach einer solchen Beschreibung zum Beispiel: "Übersetzen wir dieses Gesamtverhalten, so können wir hören, was Erich uns sagen will: ´[...] Zeige mir bitte, wer du bist, woran ich mit dir bin, zeige mir, dass du gewissermaßen neben mir und nicht über mir stehst. Erziehe mich. Greife ein. [...]´" (ebd.: 37f)

Nach allem was in der vorliegenden Arbeit bisher auf umständlich vielen Seiten als unlösbares Dilemma beschrieben wurde, scheint diese plötzliche Wendung nun noch sehr überraschend: Hier ist nichts zu spüren von jeglicher Unklarheit oder gar Unlösbarkeit in Bezug auf ein potentielles ´Eingreifen´ in das Handeln von Menschen mit Behinderung durch deren BegleiterInnen. Im Gegenteil: Ein bestimmtes, als problematisch empfundenes Handeln liegt vor, der selbstreflexive Begleiter / die selbstreflexive Begleiterin "übersetzt" dieses Handeln und weiß daher nun mit Gewissheit, dass der Mensch mit Behinderung einen Eingriff, ja sogar ein "Erzogen-werden" (!) wünscht. Auch in quasi gegenteiliger Hinsicht finden sich Beispiele für die Gewissheit, Handeln "entschlüsseln" (ebd.: 64) zu können. Das Handeln einer Lisa wird unter anderem innerhalb einer langen Ausformulierung übersetzt mit "Gebt mir Autonomie" - unterstrichen wird diese "Übersetzung" mit der Bekräftigung: "Das ist die Bedeutung von Lisas Verhalten." (ebd.: 67)

Die oben - auf einer eher abstrakten Ebene - angesprochene Selbsttäuschung der Praxis über die eigentlich bestehen-bleibende Ungewissheit, die mit Selbstreflexion einhergehen kann, scheint sich hier nicht nur wiederzufinden, sondern sogar noch zu perpetuieren. Denn hier geht es nicht nur um die Selbsttäuschung über die grundlegende Ungewissheit, was aus einem Menschen - selbst bei bestem ´Bemühen´ in Hinblick auf ein jeweiliges Ziel - werde, sondern auch um die Selbsttäuschung, zu glauben, aufgrund einer Interpretation von Handeln exakt zu wissen was in einer jeweiligen Situation ein Mensch eigentlich will. Eine vermeintliche Gewissheit darüber, bei welchem Handeln eines Menschen mit Behinderung eigentlich ein Eingreifen ins eigene Handeln, ein Hindern am eigenen derzeitigen Handeln durch den / die BegleiterIn gewollt wird. So scheint - durch diese vermeintliche Gewissheit, die sich auf einer bestimmten, von Selbstreflexion getragenen Haltung gründet - die Machtposition des Begleiters / der Begleiterin wiederum gestärkt, er / sie ist ´der / die Wissende´.

(Offen ist auch noch die Frage, was es - Boschs Logik folgend - bedeutet, wenn in einem Team von BegleiterInnen zwei davon beteuern "Das ist die Bedeutung, die korrekte Übersetzung" - dabei aber zu gänzlich verschiedenen Schlüssen kommen. Wer hat nun ´recht´? Jene/r welche/r ´mehr selbstreflektiert hat´? Ein wohl schwierig auszutragender Streit.)

8.2.3. Ein tückisches Beispiel mit Allgemeingültigkeit?

Nun könnte argumentiert werden, dass die hier verfasste Kritik sich auf das angeführte Beispiel, eben den Text von Bosch, bezieht und dass von diesem speziellen Fall, in welchem die Betonung von Selbstreflexion zu einer solch hierarchisierungsstärkenden Wendung beitragen würde, nicht allgemein auf Selbstreflexion geschlossen werden könne. Jedoch scheint - auch bestärkt durch Blicke in die Praxis - der Verdacht nahe zu liegen, dass man mit dem Beispiel Erik Bosch etwas verdeutlichen kann, das durchaus, wenn auch oft nicht so eindeutig, weit verbreitet sein könnte. Die inflationäre Bezugnahme auf Selbstreflexion, bei der oft konturarm und simplifizierend auf diesen Begriff zurückgegriffen wird, bei der jede gepflückte Blume, mit der beteuert wird, sie würde ´das eigene Wachsen und Erblühen´ symbolisieren, als stattgefundene Selbstreflexion in die Waagschale geworfen werden kann, kann in der praktischen Arbeit mit Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung gegen die eigentliche Intention von Selbstreflexion zurückschlagen: Der Verweis auf eben diese stets stattfindende Reflexion, das Triefen vor Selbstreflexion von BegleiterInnen, kann jeglichen Eingriff in das Handeln von Menschen mit Behinderung legitimieren, ohne sich näher mit der dahinter stehenden Problematik eines solchen Eingriffs auseinander setzen zu müssen. Es scheint die Gefahr zu bestehen, das sich die im Laufe der Moderne auf abstrakter Ebene unter den Schlagworten "Vernunft" (bei Menschen ohne Behinderung) und "nicht über Vernunft verfügend" (bei Menschen mit Behinderung) diskutierte, konstruierte und hierarchisierende Differenzlinie (siehe dazu z.B. Waldschmidt 1999: 19ff) in der Praxis realisiert als neuerliche Konstruktion einer Trennlinie zwischen jenen, die ausgestattet seien ´mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion´, und jenen, welche dies nicht seien. Es scheint die Gefahr zu bestehen, dass eine Verunsicherung, die bei BegleiterInnen durch die aktuellen Leitgedanken in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung und durch die damit einhergehende Abgabe von Macht möglicherweise entsteht, dazu führen kann, mit Hilfe des Begriffs der Selbstreflexion die einseitige Macht-Beziehung doch wieder zu stärken. Dies jedoch - was die Sache nicht unbedingt einfacher macht - wesentlich subtiler und schwerer fassbar.

8.2.4. (Relativierendes?) Resümee

Dennoch kann mit dieser Argumentation, die auf die Möglichkeit von Fallstricken hinweisen will, keinesfalls die Bedeutung von Selbstreflexion für die Arbeit innerhalb eines unlösbaren Dilemmas geschmälert werden - ein solcher Schluss hätte wohl fatale Folgen. Es kann also nicht um eine Positionierung ´pro oder contra Selbstreflexion´ gehen, sondern nur um das Aushalten und Thematisieren von ´pro und contra Selbstreflexion´.

Für die Thematik der vorliegende Arbeit äußerst fruchtbar und die Möglichkeit von beschriebenen Fallstricken implizit verringernd erscheint ein Begriff von Reflexion wie ihn Mecheril - in einem anderen Kontext als jenem der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, aber dennoch hier nicht minder gültig erscheinend - beschreibt: "Gegenstand pädagogischer Reflexivität ist primär nicht der individuelle Pädagoge/die Pädagogin, sondern das im pädagogischen Handeln und Deuten maskierte, erziehungswissenschaftliche, kulturelle und alltagsweltliche Wissen [...]." (Mecheril et al. 2010: 191) Und an anderer Stelle:

"[...] Dabei bezieht sich die Reflexion in einer besonderen Weise auf die Grenzen professionellen Handelns, seine Einflusslosigkeit und seine paradoxen und problematischen Neben- und Hauptfolgen." (ebd.: 94)

Wichtig ist in dieser Hinsicht, in diesem für die alltägliche Praxis doch sehr hoch erscheinenden Anspruch an Reflexivität, jedoch der Hinweis von Mecheril, dass "Reflexivität von pädagogisch Handelnden nicht schlichtweg eingefordert werden kann, sondern eines über Ausbildung und erfahrungsbegründete Bildung ermöglichten reflexiven Habitus bedarf", der jedoch nur Sinn macht "in einem reflexiven professionellen Feld", in welchem "institutionelle Strukturen und Kontexte zur Verfügung stehen, in denen Reflexion als gemeinsame pädagogische Praxis möglich ist" (ebd.: 191).

Resümierend lässt sich festhalten: (Selbst-)Reflexion kann nicht aufgrund möglicher und beschriebener Fallstricke als zentrales Element im pädagogischen Handeln verworfen werden. Sie ist nötiges und unabkömmliches Mittel für das Handeln in einer eigentlich unlösbaren Aufgabe. Die grundlegende Unlösbarkeit kann (Selbst-)Reflexion jedoch - entgegen der mit ihr manchmal verbundenen Aura der wundersamen ´Alles-Löserin´ - nicht auflösen. Vor allem in einer simplifizierten Form birgt sie auch Gefahren neuerlicher Hierarchisierungen in sich. Ebenso wenig kann das weiter oben exemplarisch angesprochene Finden eines Gleichgewichts zwischen Rahmen und Spielraum durch die BegleiterInnen die dahinterstehende eigentlich unlösbare Aufgabe lösen.

Da der Verdacht nahe liegt, dass eine weitere Suche nach dem ´heiligen Gral´, welcher die Lösung der unlösbare Aufgabe von Begleitung doch noch offenbaren würde, in einem enttäuschten Aufgeben enden könnte, soll an dieser Stelle der - vermutlich genauso enttäuschende und endlose - Weg eingeschlagen werden, anstatt von potentiellen Lösungen (in welchen sich letztlich doch Problemfelder verbergen) exemplarisch zwei weitere Problemfelder darzustellen. Problemfelder in Bezug auf Selbstbestimmung und der damit verbundenen Aufgabe von Begleitung, in einem eigentlich unlösbaren Dilemma dennoch tagtäglich handeln zu müssen. Vorausgeschickt sei, dass die beiden Problemfelder, die in den nächsten Kapiteln erläutert werden sollen, nur in einer sehr groben Annäherung angeschnitten und erwähnt werden. Es soll nicht so sehr um die großen philosophischen, soziologischen, politischen, pädagogischen etc. Fragen, welche hinter diesen Problemfeldern stehen, gehen. Eine Auseinandersetzung mit diesen würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem überschreiten. Es soll eher darum gehen, zu zeigen, dass diese ´großen Fragen´ konkret auf praktische Arbeit einwirken. Es soll dargestellt werden, dass alltäglich ausgesprochene und unausgesprochene Argumentationen von BegleiterInnen in Bezug auf mögliche und von ihnen ´vollzogene´ und ´zu vollziehende´ Einschränkungen von Menschen mit Behinderung und deren Handeln untrennbar mit diesen ´großen Fragen´ verbunden sind. So soll das Folgende als Versuch verstanden werden, ein in der Praxis durchaus bewusstes, aber eventuell oft ein wenig diffuses, schwierig auf den Punkt zu bringendes Wissen konsequent praxisnah ein klein wenig zu strukturieren und in kurzen Ansätzen auszuformulieren: jenes Wissen, dass diese Sache mit der Selbstbestimmung ziemlich kompliziert umzusetzen sei, weil hier - neben dem eigentlichen Dilemma - noch so viele Komponenten mitspielen würden. Dies soll geschehen anhand zweier, exemplarischer Darstellungen, die jedoch in aller, eventuell oft simplifizierender Kürze und in größter Unvollständigkeit verbleiben. Des Weiteren ist noch darauf zu verweisen, dass die hier voneinander getrennten Problemfelder (sowohl die bereits erläuterten, als auch die folgenden) keinesfalls tatsächlich zu trennen sind, sondern als miteinander verwoben und sich gegenseitig beeinflussend, bedingend und widersprechend gedacht werden müssen.

9. Problemfeld II: Selbstbestimmung als Ziel-Kategorie im Spannungsfeld möglicher AdressatInnen von Veränderungsinteresse

Durch die Weite und Vielschichtigkeit des Begriffs kann Selbstbestimmung je nach Betrachtungsweise, Kontext und Fragestellung sowohl als Ist-, als Prozess- wie auch als Ziel-Kategorie gefasst werden. Dies gilt sowohl für Selbstbestimmung im weitesten Sinne wie auch für Selbstbestimmung in einer engeren Sichtweise in konkretem Bezug auf Menschen mit Behinderung. Eine Darstellung dieser unterschiedlichen Kategorien, ihrer jeweiligen Bedingungen und Verflechtungen, sowie der darin enthaltenen Ambivalenzen kann an dieser Stelle nicht annähernd geleistet werden. Daher soll im Folgenden lediglich ein Aspekt dieses schier endlos großen Bereichs Beachtung finden; auch dieser soll lediglich kurz angeschnitten werden:

9.1. Selbstbestimmung als Ziel bedeutet Veränderung - doch wer oder was soll sich verändern?

Im Feld einer pädagogischen Perspektive auf Selbstbestimmung findet sich bei Harmel folgende Darstellung: "Selbstbestimmung soll angestrebt werden [...]. Aus behindertenpädagogischer Sicht ergibt sich das Ziel, die Pflicht und der Zweck, Menschen mit Behinderung zu befähigen und zu unterstützen, selbstbestimmt leben, sich durchsetzen, sich behaupten und sich selber schützen zu können." (Harmel 2011: 64) Selbstbestimmung kann also als Ziel-Kategorie gefasst werden, als (derzeitiges) Ziel von jeder Pädagogik für Menschen mit Behinderung. In diesem Sinne muss Selbstbestimmung selbstredend auch eine zentrale Ziel-Kategorie von Einrichtungen darstellen. Dies zeigt sich auch in den Parallelen und Ähnlichkeiten des eben zitierten Satzes mit jenen Auszügen aus Leitbildern etc. von Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe, welche in Kapitel 3.3. dargestellt wurden - auch dort wird von Selbstbestimmung als Ziel gesprochen. Doch mit Harmels Darstellung lässt sich besonders gut zeigen, dass ein Verweis darauf, dass Selbstbestimmung (oder das Ermöglichen von Selbstbestimmung) Ziel von Pädagogik mit Menschen mit Behinderung oder konkret Ziel von Einrichtungen sei, nicht ausreicht. Denn sobald ein Ziel definiert wird, ist dies gleichzusetzen mit einem Veränderungswunsch - wenn das Ziel erreicht ist, soll etwas anders sein als es zuvor war. Wenn Selbstbestimmung das Ziel darstellt, bleibt allerdings noch offen, an wen oder was sich das Veränderungsinteresse in erster Linie richtet. Selbstbestimmung als Ziel von Einrichtungen kann bedeuten, Strukturen, Interaktionen etc. so zu verändern, dass ´an sich selbstbestimmten, beziehungsweise zur Selbstbestimmung fähigen´ Menschen nichts mehr im Wege steht, diese Selbstbestimmung als Eigenleistung zu entwickeln und zu leben. In diesem Fall richtet sich das Änderungsinteresse in erster Linie an die Einrichtung, an deren Strukturen, an die BegleiterInnen und deren Interaktions-Angebote. Veränderungen im Erleben und Handeln des Menschen mit Behinderung, welcher in der Einrichtung lebt, arbeitet etc., können dann eher als indirekte Veränderungen gefasst werden. Sie können betrachtet werden als dialogische Antworten auf sich jeweils verändernde Rahmenbedingungen und als mögliche Aufforderungen zu weiteren und anderen Veränderungen von Angeboten, zu Rücknahmen von Veränderungen.

Doch Harmels Formulierung verweist auch auf eine andere Sichtweise, in welcher das Änderungsinteresse in erster Linie auf den Menschen mit Behinderung gerichtet ist: Das Ziel ist es, Menschen mit Behinderung nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu "befähigen". Der Mensch muss befähigt werden; die Veränderung bezieht sich deutlicher und direkt, nicht lediglich indirekt, auf den Menschen.

9.2. Veränderungsinteresse dialogisch und defizitär betrachtet

Die hier vorgeschlagene Trennung der beiden Sichtweisen ist wohl nur auf dem Papier zu vollziehen. Denn die zweitgenannte Sichtweise wird sich, wenn eine dialogische Haltung handlungsleitend ist, in der Praxis kaum von der ersten Sichtweise unterscheiden. Wenn zwar, so wie in der zweiten Formulierung, die Befähigung des Menschen zum selbstbestimmten Leben als Ziel formuliert wird, wird - im Rahmen dialogischer Begleitung - der Weg dorthin, das ´Wie?´, über die Veränderung der Strukturen und der Interaktionen führen - ebenso wie in der ersten Sichtweise. Sobald Interaktionen nicht in Reiz-Reaktions-Schemata, sondern als Dialog gedacht werden, kann dies nur bedeuten, dass der Mensch als grundsätzlich selbstbestimmter, sich selbst im Dialog ´erzeugender´ Mensch gefasst wird. Dieser erwirbt in Auseinandersetzung mit seiner sich verändernden Umwelt durch das Nutzen von spezifischen Angeboten als Eigenleistung eine weiterführende, vielschichtigere Befähigung zur Selbstbestimmung. Das Ziel ist also erreicht, wenn eine Veränderung beim Menschen mit Behinderung eintritt. Jedoch handelt es sich - im Idealfall - um keine Veränderung, bei welcher ein bestimmtes, von BegleiterInnen erwünschtes Verhalten von Menschen mit Behinderung erzeugt würde, sondern um eine Veränderung, welche eventuell mit dem Begriff des Empowerments umschrieben werden kann.

Doch es muss betont werden, dass die vorgeschlagene Trennung der beiden Sichtweisen nur dann beinahe als obsolet erscheint, wenn eine dialogische Haltung handlungsleitend ist. In Kapitel 3.2. wurde bereits auf die beiden zentralen Haltungen, die dialogische und die defektologische, hingewiesen (siehe Hinz 1996; Hinz / Boban: 2003). Es wurde mit dem Verweis auf Hinz dargestellt, dass in der Praxis unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung nach wie vor auch Ansätze, die defektologischen Haltungen entspringen, wirksam werden. Betrachtet man nun neuerlich die beiden vorgeschlagenen Sichtweisen, wird folgendes deutlich: Der ersteren Sichtweise, welche das Veränderungsinteresse bei den Einrichtungen, den Strukturen, den Interaktionsangeboten von Seiten der BegleiterInnen festmacht, scheint eine defektologische Haltung eher fern zu liegen. Nicht der Mensch mit Behinderung hat hier den ´Defekt´, ein Defizit. Vermengt sich die zweite Sichtweise - jene, bei welcher das Veränderungsinteresse eher in Bezug auf den Menschen mit Behinderung formuliert wird - jedoch mit in der Praxis noch vorhandenen defektologischen Sichtweisen, scheinen diese potenziert zu werden. In diesem Fall ist keineswegs davon auszugehen, dass der Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen ohnehin beinahe obsolet ist. Denn dann liegt in einer alltagstheoretischen Wendung der Zugang nahe, den Menschen mit Behinderung als defizitär zu betrachten - ein Defizit an Fähigkeit zur Selbstbestimmung habend, welches durch pädagogische Interventionen, durch Fördern und durch Therapie ausgeglichen werden sollte. In diesem Fall erscheint die zweite Sichtweise als Nährboden, auf dem defektologische Sichtweisen nicht nur weiterbestehen, sondern wachsen, gedeihen und wieder erblühen können - legitimiert durch den Verweis auf das Ziel der Selbstbestimmung.

Besonders anfällig scheint hier ein Verständnis von Selbstbestimmung zu sein, welches diese mit Selbständigkeit gleichsetzt, was - wie bereits dargestellt wurde - in der Literatur meist eher zurückgewiesen wird. Walther (in Hähner et al.: 2011) verweist darauf, wenn er schreibt:

"Die Aufhebung der Defizite und die Erweiterung der Kompetenzen liegt uns besonders am Herzen. Und wenn wir dann noch das Ziel der Selbständigkeit ins Feld führen, erscheint uns unser Vorgehen legitimiert." (ebd.: 74)

9.3. Selbstbestimmung und Veränderung: Eine "Sei autonom"-Paradoxie?

Allgemein betrachtet führt eine Sichtweise von Selbstbestimmung, welche diese als Ziel fasst und dabei das Veränderungsinteresse am Menschen selbst festmacht, deutlich in Richtung der sogenannten "Sei autonom"-Paradoxie, der Grund-Paradoxie aller Pädagogik. Diese beschreibt einen Widerspruch in sich, da eine Autonomie, die einer Aufforderung entspringen würde, bereits keine Autonomie mehr sein könne (siehe z.B. Speck 1991: 105f; Harmel 2011: 94ff; Katzenbach / Uphoff 1999: 69f). In diesem Sinne verweist Speck auch auf die Gefahren der "irrigen Vorstellung" (Speck 1991: 129), einen Menschen von außen formen zu wollen und zu können, "Verhaltensmodifikation" (ebd.) betreiben zu wollen. Es zeigt sich deutlich, dass hier Bereiche angesprochen werden, welche im Feld der allgemeinen Erziehung zu verorten sind. Dies kann bereits als Verweis auf ein weiteres Problem, welches mit defizitärer Haltung Hand-in-Hand gehen kann, verstanden werden - ein Problem, das eine Sichtweise, in der das Veränderungsinteresse auf den Menschen mit Behinderung bezogen wird, mit sich bringen kann: Die Nähe zu allgemeinen Fragen der Erziehung und eine eventuelle Nicht-Thematisierung der Frage, worauf das Änderungsinteresse gerichtet sei, kann in der Praxis der Arbeit mit Menschen mit Behinderung auch zu Infantilisierung führen - zu einer Betrachtungsweise, in welcher der Mensch mit Behinderung als ein ewig ´unfertiges´, immer Kind bleibendes Objekt konstruiert wird. (Siehe zu defizitärer Haltung in Kombination mit Infantilisierung von Menschen mit Behinderung z.B. Hähner et al. 2011: 111, 123; Theunissen 2011: 156; ferner auch Weingärtner 2009: 51f)

9.4. Selbstbestimmung vs. "erlernte Bedürfnislosigkeit"?

Dennoch können Formulierungen, welche in Bezug auf die angestrebte Veränderung den Menschen mit Behinderung deutlicher ins Zentrum rücken, nicht schlichtweg zurückgewiesen werden, sie können durchaus auf Aspekte verweisen, welche für den Selbstbestimmungsgedanken mehr als wesentlich sind. So titelt Glaser beispielweise "Selbstbestimmung will gelernt sein!" (Glaser 2009: 90; in ähnlicher Form z.B. bei Lindmeier / Lindmeier 2002: o.S.). Er verweist damit auf einen Kernaspekt des Empowerment-Gedankens und auf oft langjährige Abhängigkeitserfahrungen von Menschen mit Behinderung vor allem in Einrichtungen. Der Weg, zu einer selbstbestimmten Person zu werden, könne sich dann als äußerst schwierig erweisen (vgl. ebd.). Theunissen spricht im Falle von Menschen mit Behinderung, welche bereits lange in Einrichtungen leben oder gelebt haben, beispielsweise von "erlernte[r] Bedürfnislosigkeit" (Theunissen 2011: 162). Glaser formuliert die sich dadurch ergebende Problematik so: "Den eigenen Bedürfnissen Raum zu geben und Ängste zu überwinden, müssen Menschen die jahrelang in Abhängigkeitsverhältnissen gelebt haben, erst Schritt für Schritt lernen." (Glaser 2009: 90) Hier wird in Bezug auf die Veränderung das dafür benötigte Lernen von Menschen mit Behinderung deutlich ins Zentrum gerückt. Der berücksichtigte Aspekt - jener der "erlernten Bedürfnislosigkeit" - scheint dies nötig zu machen. All zu groß wäre auch - vor allem in Bezug auf Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen - ansonsten die Gefahr, Bedürfnislosigkeit als unveränderbar gegeben und gewollt zu betrachten. Die Erzeugung dieser Bedürfnislosigkeit könnte ignoriert werden; es besteht die Gefahr, dass BegleiterInnen eine Haltung kultivieren, welche sagt: "Wir bieten ohnehin nur die besten Rahmenbedingungen, damit Selbstbestimmung überall möglich wäre, aber er / sie möchte gar nichts."

9.5. Resümee: Selbstbestimmung als dialogischer Prozess

Insofern scheinen Formulierungen, welche die angestrebte Veränderung deutlicher in Bezug auf den Menschen mit Behinderung festmachen, keinesfalls grundlegend abzulehnen zu sein - gerade dies könnte wiederum zu Fallstricken, zu Verschleierungen und zum Fortbestehen von "erlernter Bedürfnislosigkeit" führen. Für die Praxis zentraler erscheint - wie oben bereits erwähnt - die Sensibilität in Bezug auf mögliche defizitäre Sichtweisen zu sein, welche sich mit einer Formulierung des Veränderungsinteresses vermengen. In dialogischen Betrachtungsweisen erscheinen die Unterschiede zwischen einer Formulierung, welche das Veränderungsinteresse in Bezug auf Strukturen von Einrichtungen, Handeln in Interaktionen von Seiten der BegleiterInnen etc. deutlicher betont, und einer Formulierung, welche in Bezug auf die Veränderung eher den Menschen mit Behinderung anspricht, lediglich als Nuancen. In Vermengung mit defizitären Betrachtungsweisen können die Unterschiede jedoch von kleinen Nuancen zu tiefen Gräben mit wesentlichen Auswirkungen werden.

Walther (in Hähner et al. 2011) sieht in Bezug auf die grundlegende Problematik, wie Lernen gedacht werden kann ohne den Menschen in seiner derzeitigen Verfasstheit in Frage zu stellen, zwei potentielle Sichtweisen: jene der Vollständigkeit in der Unvollkommenheit und jene der Anerkennung der grundsätzlichen Unvollkommenheit. Dabei ist für ihn zentral, dass keine der beiden Sichtweisen bedeuten würde, Menschen würden bereits alles wissen oder können und Lernen und Unterstützung wären überflüssig (vgl. ebd.: 73). Das Wesentliche liegt bei Walther ebenfalls im bereits dargestellten: "[...] in der Wendung des Blicks weg vom scheinbar Defizitären hin zu den Kompetenzen des Menschen, von der Betrachtung der Person als Objekt [...] hin zu Respektierung als Subjekt [...]." (Hervorhebung im Original) (ebd.)

Ein ähnlich verbindendes, aber vom Begriff der Selbstbestimmung ausgehendes Resümee zieht Sack (in Hähner et al. 2011 mit Verweis auf Lüpke 1995): Er beschreibt - wie weiter oben in der vorliegenden Arbeit bereits erwähnt wurde - Selbstbestimmung als dialogischen Prozess, bei welchem der Mensch mit Behinderung keinem fremdbestimmten Änderungsinteresse ausgesetzt ist (vgl. Hähner et al. 2011: 106). Diese Formulierung scheint äußerst gelungen zu sein. Mit ihr kann Selbstbestimmung dynamisch gedacht werden, sie bildet keine abgrenzbaren "Selbstbestimmung ist"- oder "Selbstbestimmung soll werden"-Kategorien. Mit der Prozesshaftigkeit bleibt die Veränderungsperspektive erhalten - jedoch in alle Richtungen, auf alle Akteure bezogen, wobei fremdbestimmte Änderungsinteressen dennoch zurückgewiesen werden.

10. Problemfeld III: Die Frage der Machtbeziehung

10.1. Eine Frage von Care-Ethics

Die Thematik der vorliegenden Arbeit, die um die Frage von Selbst- und Fremdbestimmung kreist, lässt sich deutlich einordnen in das große theoretische Feld der Care-Ethics. Deren zentrale Fragestellung formuliert Niehoff folgendermaßen: "Wie sollen sich helfende Beziehungen ohne Bevormundung darstellen, das ist die Frage der Care-Ethics." (Niehoff 2006: 18) Es geht also darum, nötige Alltagsbegleitung von Menschen mit Behinderung leisten zu können, ohne auf überholte, den Schutzgedanken überbetonende Konzepte zurück zu greifen (vgl. ebd.). Die Schwierigkeit liegt hierbei innerhalb jenes Dilemmas, welches die vorliegende Arbeit zum wesentlichen Ausgangspunkt genommen hat: "Konsens ist: Fremdbestimmung ist zu vermeiden und zu minimieren. Wenn aber Selbstbestimmung als das schlichte Gegenteil von Fremdbestimmung [...] gesehen wird, dann kann geschehen, dass ´das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird´." (ebd.: 19) Untrennbar verbunden ist diese schwierige Frage von Selbst- und Fremdbestimmung selbstredend mit der Frage der Macht, mit welcher Fremdbestimmung und potentielle Bevormundung möglich werden. Sie ist untrennbar verbunden mit der Frage, wie die Macht in der Beziehung von Menschen mit Behinderung und BegleiterInnen verteilt ist, ob und unter welchen Bedingungen von einer Machtbeziehung oder von keiner Machtbeziehung gesprochen werden kann.

10.2. Begleitung als egalitäres Verhältnis ...

Für Hähner stellt die Beziehung zwischen Mensch mit Behinderung und BegleiterIn den zentralen Aspekt dar, wenn es unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung um die Etablierung einer dialogischen Haltung des Begleitens geht. Er spricht hier von einer Einheit zwischen beiden und plädiert für eine Sichtweise, die diese Einheit als gleichwertige Partnerschaft versteht (vgl. Hähner et al. 2005: 20f). In ähnlicher Weise argumentiert auch Niehoff. War in früheren Zeiten die Beziehung als klare Machtbeziehung zu verstehen, bei welcher die Macht deutlich bei sogenannten ExpertInnen, TherapeutInnen etc. lag, verhält sich dies heute anders. Doch nach Niehoff kann es sich nicht um eine einfache Umkehrung der Machtverhältnisse zugunsten von Menschen mit Behinderung handeln. Eine solche Sichtweise würde auf der Vorstellung beruhen, Selbstbestimmung sei das schlichte Gegenteil von Fremdbestimmung, also bräuchte quasi lediglich alle Macht von einer Seite auf die andere Seite wechseln. Da aber, wie auch in der vorliegenden Arbeit bereits gezeigt wurde, Selbstbestimmung eben nicht das schlichte Gegenteil von Fremdbestimmung darstellt, sondern Selbstbestimmung immer in soziale Eingebundenheit und gegenseitige Abhängigkeit eingebettet ist, muss auch eine Konzeption, welche die neue Beziehung von Mensch mit Behinderung und BegleiterIn beschreiben möchte, dies berücksichtigen. So kommt auch Niehoff zur Darstellung einer egalitären Beziehung, einer Ausgewogenheit - wobei der Mensch mit Behinderung jedoch mehr Gewicht in die Waagschale bringt, da es um dessen Leben geht. Niehoff verweist darauf, dass diese Konzeption die Grundlage einer dialogischen Beziehung bedeuten muss (vgl. Niehoff 2006: 20f).

10.3. ... auch in ´traditionellen´ Einrichtungen?

Beim eben dargestellten tut sich allerdings ein Problem auf: Bei Niehoff liegt die Möglichkeit der Abkehr von traditionellen Machtverhältnissen, bei welchen Menschen mit Behinderung keine oder kaum Macht zukommt, in Assistenz- oder Arbeitgebermodellen (vgl. ebd.). Im Falle von jenen Einrichtungen, welche im Blickpunkt der vorliegenden Arbeit stehen, muss in Frage gestellt werden, ob grundsätzlich eine Umkehrung oder eine Egalisierung der Machtverhältnisse überhaupt möglich ist oder ob die Strukturen dies - und somit auch dialogische Beziehungen - weitestgehend verunmöglichen. Noch einmal sei hier auf Schönwiese verwiesen, der mit Bezug auf die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung von einer Dominanz der Helfenden über die von ihnen betreuten Menschen mit Behinderung als strukturelle Schwierigkeit in der üblichen sogenannten Behindertenhilfe spricht (vgl. Schönwiese 2003: o.S.).

Allerdings verbirgt sich hinter dem Verbleiben in der Diktion eines einseitigen Machtverhältnisses zu Gunsten der BegleiterInnen in Einrichtungen auch eine Gefahr. Hähner verweist darauf, dass in jenem traditionellen Denken der Mensch mit Behinderung in der Rolle des / der Abhängigen verbleibt, dass der benötigte Schutz so überbetont und Empowerment verhindert werde (vgl. Hähner et al. 2005: 19f). In diesem Sinne kann ein Verbleiben bei der Betrachtung der Beziehung zwischen Mensch mit Behinderung in einer Einrichtung und BegleiterIn als einseitige Machtbeziehung den Charakter einer self-fulfilling-prophecy annehmen. Durch diese kann, entgegen der eigentlich angestrebten Intention der Kritik des Machtverhältnisses und einer intensiveren Betrachtung von dessen Folgen, eine Überbetonung von Hilfebedürftigkeit eintreten. Gerade die für Selbstbestimmung so zentrale Selbstverantwortung kann in dieser Konzeption stark gefährdet sein, weil die Verantwortung für den als ohnmächtig dargestellten Menschen mit Behinderung stets erneut auf den Begleiter / die Begleiterin zurückfällt. Sack (in Hähner et al. 2011) verweist in diesem Sinne auf Sichtweisen, welche mit dem Verbleib in der Diktion einer ungleichen Beziehung einhergehen können: "Da ist davon die Rede, daß wir Bedürfnisse berücksichtigen, Freiräume zugestehen, Partizipation ermöglichen. Die Aktivität liegt also wie gehabt ganz auf unserer Seite: wir verteilen etwas Teilhabe, bestimmen über ein bißchen mehr Selbstbestimmung, bemächtigen wohldosiert die Unmächtigen." (Hervorhebung im Original) (ebd.: 111) Und weiter: "[...] es handelt sich um eine Beziehung, in der die eine Seite - hoffentlich dankbar - jene Wohltaten empfängt, welche die andere Seite zu vergeben hat. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Wahrung von Distanz und der Erhalt unserer Autorität[...]." (ebd.)

Des Weiteren kann die Formulierung der Beziehungen in ´traditionellen´ Einrichtungen als ´grundsätzlich stets einseitig-machtvolle´ ignorieren, dass es auch in diesen Einrichtungen die Möglichkeit gibt, dass Menschen mit Behinderung und deren BegleiterInnen ihre Beziehungen dialogisch und egalitär gestalten. Auch wenn strukturelle Bedingungen diese Möglichkeit erschweren, kann dennoch nicht von einem Determinismus ausgegangen werden, nach welchem Beziehungen grundsätzlich nicht egalitär sein könnten, nicht - im besten Fall - sogar oft tatsächlich sind. Ein solcher vermeintlicher Determinismus würde die Gefahren der self-fulfilling-prophecy einzementieren. Doch es zeichnet sich hiermit bereits dennoch ein gravierender Unterschied zwischen Arbeitgebermodellen und ´traditionell´ organisierten Einrichtungen ab, der es nahelegen kann, nicht schlichtweg bei allen Beziehungen gleichermaßen von einer Egalisierung (im Sinne einer selbstverständlichen Ist-Beschreibung) auszugehen:

10.4. Strukturelle Verankerung von Egalität vs. strukturelle Verankerung von ungleicher Macht?

Man könnte es so ausdrücken: Arbeitgeber- und Assistenzmodelle organisieren sich in einer Art und Weise, welche die Macht der BegleiterInnen strukturell deutlich zurückdrängt, das Machtverhältnis umkehrt oder egalisiert. Das bedeutet nicht, dass es zu keinerlei Machtmissbrauch von Seiten der BegleiterInnen kommen kann, diese Möglichkeit kann wohl in keinem Modell gänzlich ausgeschlossen werden (vgl. Seifert 2007: 18). ´Klassische´ Modelle von Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe hingegen bleiben, auch wenn reformorientiert mehr und mehr Strukturen geschaffen werden, die der ungleichen Machtverteilung deutlich die Zähne ziehen sollen, so organisiert, dass strukturell die Macht größtenteils bei den BegleiterInnen, beziehungsweise gesamtgesehen bei der Einrichtung als Arbeitgeberin bleibt. Das wiederum bedeutet, wie bereits gesagt, in keinster Weise, dass in diesen Strukturen und Einrichtungen nicht auch egalitäre Beziehungen möglich wären und nicht auch zu finden sind - im besten Fall sind sie sogar sehr oft zu finden. Dennoch erscheint es als zentral, im Falle von Einrichtungen mit einer ´traditionellen´ Organisation als Ist-Beschreibung nicht die Diktion der egalitären Beziehung zu verwenden, sondern als Ist-Beschreibung von einer weiterhin bestehenden einseitigen Machtbeziehung auszugehen. Die egalitäre Beziehung kann hier also nur als Möglichkeit, die im besten Fall stets zum Tragen kommt, betrachtet werden. Es können also Beziehungen durchaus als egalitär beschrieben werden, jedoch nur als ´egalitär innerhalb einer strukturell angelegten einseitigen Machtbeziehung´, nicht als ´grundsätzlich egalitär´. Wo heute in Einrichtungen - idealtypisch - von einer egalitären Beziehung gesprochen werden kann, kann morgen bereits wieder (oder sogar gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen) die einseitige Machtbeziehung deutlich zuschlagen. Selbst wenn egalitäre Beziehungen vorherrschen, muss jede Situation, jede Interaktion letztlich dahingehend befragt werden, inwiefern die strukturell angelegte Machtbeziehung nicht doch wieder zum Tragen kommt.

Würde vereinfachend grundsätzlich vorbehaltlos von egalitären Beziehungen ausgegangen, würden ´traditionell´ organisierte Einrichtungen diese Diktion von Arbeitgebermodellen schlichtweg übernehmen und würden Interaktionen, in denen einseitig Macht von Seiten des Begleiters / der Begleiterin / der Einrichtung ausgenützt wird, als individuelle, bedauerliche Verfehlungen abgetan, scheint die Gefahr zu groß, der Realität des weiterhin deutlich bestehenden Machtungleichgewichts zu wenig Bedeutung zu schenken. Der Blick in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung zeigt, dass jene darin lebenden und arbeitenden Menschen kaum, beziehungsweise gar nicht die Möglichkeit haben, ohne Unterstützung von Menschen, die in einem Arbeitsverhältnis zur Einrichtung stehen und von dieser bezahlt werden, mit anderen Menschen in näheren Kontakt zu treten, beziehungsweise außenstehende Dritte gar auf eventuelle Missstände hinzuweisen. Dies (nicht nur!) bedingt, beziehungsweise verschärft durch die Schwierigkeit, dass bei Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung oftmals die Kommunikation nicht in solchen Formen möglich ist, wie sie allgemein als ´Norm´ verstanden werden. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass Kommunikation grundsätzlich auf Interpretationen basiert, sind diese Interpretationen bei Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in überdurchschnittlich hohem Maße zentral.

Vor allem im Falle von Menschen, welche in Einrichtungen leben und kaum über Kontakte zu Angehörigen außerhalb dieser Einrichtung verfügen, muss die Schwierigkeit, sich kaum an außenstehende Dritte wenden zu können, besonders bedacht werden. Sich in den letzten Jahren mehr und mehr bildende Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung, welche zum Teil auch gesetzlich vorgeschrieben sind (siehe z.B. Oberösterreichisches Chancengleichheitsgesetz; RIS-BKA 2012a: o.S.), können hier nur teilweise Abhilfe schaffen, da es vor allem bei Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung wiederum die Einrichtungen selbst sind, welche die Entwicklungen und die Arbeit dieser organisieren und koordinieren. Auch die gesetzlich geregelte Sachwalterschaft kann hier kaum Abhilfe schaffen - nicht umsonst kommt sie aufgrund ihrer paternalistischen Konstruktion mehr und mehr in Kritik - immer lauter wird ihre Abschaffung gefordert (siehe dazu z.B. Der Standard 2012: o.S.). Des Weiteren kann auch die gesetzliche Verankerung des Schutzes vor Freiheitsbeschränkung (siehe Heimaufenthaltsgesetz; RIS-BKA 2012b: o.S.) nur eine ganz und gar unzureichende Abschwächung des Machtverhältnisses bieten. Die Einhaltung des Gesetzes wird zwar in Österreich durch das sogenannte Vertretungsnetz überprüft (siehe Vertretungsnetz 2012: o.S.) - also von einer Stelle, die außerhalb der jeweiligen Einrichtung für Menschen mit Behinderung liegt und somit jenen angesprochenen außenstehenden ´Dritten´ darstellen könnte. Doch der gesetzlich geregelte und überprüfte Rahmen ist lediglich ein eingeschränkter, der bei weitem nicht alle Bereiche umfasst, in welchen ungleiche Machtverhältnisse zum Tragen kommen können: Der Begriff der Freiheitsbeschränkung umfasst lediglich einen engen Kreis konkreter, ´greifbarer´ und klar definierbarer Einschränkungen - jene, durch welche jemand an der Ortsveränderung gehindert wird. Die Bereiche jedoch, welche in der vorliegenden Arbeit vor Augen stehen und in welchen Machtverhältnisse potentiell unangemessene Fremdbestimmung ermöglichen können, werden nicht erfasst - sie können schlichtweg nicht erfasst werden, weil sie - worauf die Arbeit ja letztlich beruht - größtenteils unbestimmbar sind.

Wenn die angesprochenen Versuche, dem Machtverhältnis die Zähne zu ziehen, also diese Aufgabe nur ungenügend erfüllen können, ist deutlich von einem weiterbestehenden Machtgefälle innerhalb von Einrichtungen auszugehen. Werden diese Aspekte nicht bedacht und wird von einer grundsätzlich egalitären Beziehung ausgegangen, kann sich subtiler Machtmissbrauch innerhalb des unlösbaren Dilemmas von Selbst- und Fremdbestimmung leicht tarnen und legitimieren mit dem Verweis auf eine angeblich egalitäre Beziehung, in welcher beide Beteiligten Rechte und Pflichten hätten. Der Blick auf die Frage des eigentlich bestehenden Machtgefälles könnte so verschleiert werden. (Zur Thematik des Machtgefälles und der Gefahr des Machtmissbrauchs siehe z.B. Weingärtner 2009: 66ff, insbesondere 68.)

10.5.Resümee: Die Möglichkeit der egalitären Beziehung innerhalb eines strukturell verankerten Machtverhältnisses

Insofern kann in Einrichtungen, bei welchen nicht die Menschen mit Behinderung den Arbeitgeber / die Arbeitgeberin stellen, lediglich von der - hoffentlich oft zum Tragen kommenden - Möglichkeit egalitärer Beziehungen, in welchen das grundsätzliche strukturelle Machtgefälle nicht oder kaum zum Tragen kommt, gesprochen werden. Es kann nicht von einem grundsätzlich egalitärem Verhältnis gesprochen - auch dann nicht, wenn sich die Einrichtung in ihren Leitzielen an Begleitung und dialogischer Haltung orientiert. Auch wenn diese Sichtweise keineswegs frei von Ambivalenzen ist, bleibt so zumindest doch der Verweis auf das Machtgefälle erhalten - ohne einem Determinismus zu verfallen, der zu einer self-fulfilling-prophecy führen kann, durch welche Abhängigkeiten verstärkt und neu konstruiert werden können. Eingriffe in das Handeln von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung, welche potentiell unangemessene Fremdbestimmung bedeuten können (aber nicht müssen), scheinen nur so angemessen diskutierbar zu sein, da der Aspekt des Machtgefälles nicht aus den Augen verloren wird. Es bleibt diskutierbar, dass mögliche Eingriffe in das Handeln von Menschen mit Behinderung nicht nur passieren können, weil sie im Sinne des Menschen mit Behinderung als nötig und letztlich bei aller Unlösbarkeit doch für den Menschen mit Behinderung als mehr positiv als negativ erscheinen, sondern dass sie auch passieren können, weil es für BegleiterInnen schlichtweg ´leicht´ ist, im eigenen Sinne einzugreifen. Es bleibt diskutierbar, dass Eingriffe auch passieren können, weil sie lediglich von Nutzen für BegleiterInnen sind, es aber ein Leichtes darstellt, Begründungen zu finden, die die Eingriffe als ´im Sinne des Menschen mit Behinderung seiend´ legitimieren. In der vorgeschlagenen Sichtweise in Bezug auf ´traditionelle´ Einrichtungen bleibt deutlich, dass die Frage von Selbst- und Fremdbestimmung, die Verringerung von potentiell unangemessener Fremdbestimmung, nicht nur eine Frage der Haltungsänderung auf Seiten der BegleiterInnen, sondern auch eine Frage der - damit verzahnten - strukturellen Veränderung ist. Diese scheint kaum anders gelingen zu können als durch die deutliche und vollständige Abkehr von ´traditionellen´ Einrichtungen in Richtung gänzlich individueller Wohnformen, in welchen Formen gefunden werden, mittels derer auch Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung den Arbeitgeber / die Arbeitgeberin stellen können. Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass so sämtliche Widersprüche gelöst werden könnten - viele Widersprüche, die in der vorliegenden Arbeit diskutiert werden, erscheinen für alle Formen von Begleitung unlösbar. Dennoch könnten - davon ist auszugehen - zumindest einige der Widersprüche, die in der vorliegenden Arbeit mit besonderem Blick auf ´traditionelle´ Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung diskutiert werden, zumindest verringert werden.

11. Vorläufige Zusammenfassung, die Dritte

Die Darstellung der vorgestellten Problemfelder kann nur als bruchstückhaft und gänzlich unvollständig bezeichnet werden. Viele weitere Problemfelder sowie deren Verflechtungen wurden nicht erläutert, beziehungsweise wurden die beschriebenen nur in Sinne einer ersten knappen und verkürzten Verortung dargestellt. Lohnenswert wäre beispielweise eine tiefere Auseinandersetzung mit der weiter oben angesprochenen Frage nach neoliberalen Verständnissen von Selbstbestimmung als Pflicht in ihrer Verquickung mit einer Sichtweise von Selbstbestimmung als Befreiung (siehe dazu v.a. Waldschmidt 1999), sowie mit deren, oft versteckten, durch BeleiterInnen vermutlich unbewusst vermittelten Auswirkungen auch für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung. Auch die nur kurz angesprochene Frage der Sicherheit könnte eine tiefere Auseinandersetzung wert sein. Es könnte der Blick darauf gerichtet werden, wie sehr von BegleiterInnen einschränkende Schritte gesetzt werden, die vordergründig mit dem Argument der Sicherheit, der Vermittlung eines Gefühls von Sicherheit für Menschen mit Behinderung legitimiert werden. Es wäre die Frage zu stellen, inwiefern es hier auch Unsicherheiten der BegleiterInnen sein können, welche handlungsleitend sind, aber als solche kaum angesprochen werden - Unsicherheiten, die durch die Veränderungen und Schwierigkeiten in Bezug auf die Etablierung des Leitgedankens der Selbstbestimmung und deren Umsetzung entstehen. In dieser Hinsicht könnte auch die Rolle der Medizin genauer betrachtet werden - in jener Hinsicht, als dass jeder Verweis darauf, dass etwas ´medizinisch oder ärztlich bestätigt´ als ´schlecht für die Gesundheit´ eingestuft werde, eine sofortige ´Generalvollmacht´ dafür ausstellen kann, Menschen mit Behinderung einzuschränken. So könnte eine intensive (und vermutlich oft über das Ziel hinausschießende) Suche einsetzen, medizinisch-beglaubigte Begründungen für eventuelle Einschränkungen zu finden, um als BegleiterIn selbst wiederum Sicherheit im eigenen einschränkenden Handeln zu gewinnen, um die eigentliche Unlösbarkeit mit scheinbar ´eindeutigen, klaren Fakten´ doch zu lösen.

Diese Aufzählung weiterer potentieller Problemfelder, in welchen sich zahlreiche Ambivalenzen verorten lassen, könnte wohl endlos fortgeführt werden. Bei aller Unvollständigkeit kann aber doch festgehalten werden, dass die exemplarische Darstellung einiger Problemfelder nicht dazu beitragen konnte, einer Lösung näher zu kommen für jene, im ersten Teil der Arbeit beschriebene, Unlösbarkeit der Frage von Selbst- und potentiell unangemessener Fremdbestimmung, in der im Rahmen von Begleitung dennoch tagtäglich gehandelt werden muss. Das Gegenteil scheint der Fall, die Problemstellung scheint noch komplexer geworden zu sein. Es wurde gezeigt, dass Hilfestellungen, welche das eigentlich unlösbare und dennoch nötige Handeln erleichtern sollen und qualitätsvollere Begleitung gewährleisten sollen, Fallstricke bieten können. Exemplarisch wurden hier die Handlungsgrundlage "Gleichgewicht zwischen Rahmen und Spielraum", sowie die Betonung der Notwendigkeit von Selbstreflexion dargestellt. Beide erscheinen bei näherer Betrachtung nicht nur als hilfreich (was sie durchaus sind, dies soll hier keinesfalls abgesprochen werden), sondern auch als ambivalent. Des Weiteren wurde exemplarisch gezeigt, wie die weiter oben beschriebene Unklarheit und Unbestimmtheit des Begriffs der Selbstbestimmung konkrete Auswirkungen auf das Handeln im Rahmen von Begleitung haben kann: Am Beispiel eines Aspekts im Rahmen der Frage, ob Selbstbestimmung als Ist-, als Prozess- oder als Ziel-Kategorie gefasst wird, wurde gezeigt, welche Ambivalenzen sich hier in unterschiedlichen Sichtweisen auftun. Es wurde dargestellt, welch hohe Brisanz hier der Vermeidung von defizitären Haltungen und der Entwicklung von dialogischen Haltungen zukommt. Mit diesem durchaus simplen Beispiel lässt sich erahnen, welch unermessliche Menge an Ambivalenzen sich erst auftun könnte, beachte man die gesamte (und vermutlich kaum erfassbare und sich stets wandelnde) Menge der Deutungen und Sichtweisen, die sich im Begriff der Selbstbestimmung bündeln. Deutungen und Sichtweisen, die alltagstheoretisch im Handeln innerhalb von Begleitung, versteckt in Argumentationen beispielsweise für oder gegen Eingriffe in das Handeln von Menschen mit Behinderung, in Argumentationen für bestimmte Formen von Eingriffen etc. von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Abschließend wurde die Frage aufgeworfen, ob in der Beziehung zwischen Mensch mit Behinderung und BegleiterIn, in welcher das unlösbare Handeln im Rahmen von Begleitung stattfindet, eher die Sichtweise des einseitigen Machtverhältnisses oder die Sichtweise der egalitären Beziehung betont wird. Es wurde gezeigt, dass Eindeutigkeiten in der Beantwortung dieser Frage wiederum Ambivalenzen aufweisen, die Fallstricke bieten: Einerseits den Fallstrick, dass Betonungen von einseitigen Machtverhältnissen Abhängigkeiten bestärken und neu konstruieren können, andererseits den Fallstrick, dass Betonungen von Egalität bestehende und strukturell verankerte Machtverhältnisse verschleiern können, subtilen Machtmissbrauch innerhalb der Unlösbarkeit des Dilemmas von Selbst- und Fremdbestimmung verdecken und legitimieren können.

Weiter oben wurde gezeigt, dass - abgesehen von den ´extremen Rändern´ - die Frage, was denn in den "´Niederungen´ der Alltagssituationen" von Begleitung nun tatsächlich Selbstbestimmung und was tatsächlich Fremdbestimmung sei, kaum gesichert zu beantworten ist. Es wurde gezeigt, dass - auch wenn eventuell gewisse Zugänge näher liegen als andere - letztlich stets offen und unklar bleibt, ob unter dem Titel der Selbstbestimmung eigentlich Fremdbestimmung betrieben wird oder ob unter dem Titel der Vermeidung von Fremdbestimmung eigentlich Selbstbestimmung verhindert wird. Vor allem in alltagstheoretischen Verständnissen, welche hoch praxisrelevant sind, erscheinen schier endlose Antwortmöglichkeiten auf den Fragen von Selbst- und Fremdbestimmung möglich, auch Antwortmöglichkeiten welche in der Literatur eventuell eher zurückgewiesen werden. Diese Endlosigkeit kann den Verdacht nahe legen, dass letztlich auch unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung in der Praxis wiederum jede Form von Fremdbestimmung möglich sei. Doch auch der Begriff der "unangemessenen Fremdbestimmung" scheint hier kaum etwas lösen zu können, da es unmöglich erscheint, eine allgemeine Definition dieser finden zu können, welche jede kleinste Alltagssituation erfassen würde. Die Verkomplizierung der Sachlage durch die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen weiteren Problemfelder scheint den Verdacht nahe zu legen, dass - wiederum abgesehen von den ´extremen Rändern´ - die einzige gänzlich-eindeutige und verlässliche Konstante die Ambivalenz, die Widersprüchlichkeit sein könnte. Wie nun damit umgehen? Kann es einen Weg geben, diese Ambivalenz auch für die alltägliche Praxis nutzbar zu machen? Einen Weg, die Widersprüche für die Verringerung von unbestimmbarer, aber doch vermuteter unangemessener Fremdbestimmung nutzbar zu machen? Sie für die weitere Etablierung dialogischer Haltungen und die Verringerung defizitärer Haltungen nutzbar zu machen? Sie für die Abstützung des fragilen Gebäudes der Selbstbestimmung nutzbar zu machen?

12. Widersprüche als Potential

12.1. Der Versuch einer Definition von Selbstbestimmung ...

In Kapitel 4.2. wurde bereits erwähnt, dass für die vorliegende Arbeit keine Definition von Selbstbestimmung als grundlegend betrachtet werden soll, daher wurde darauf verzichtet, eine solche Definition darzustellen. Es wurde versucht, für die bescheidene Dauer dieses Textes und ohne diese Sichtweise grundsätzlich verallgemeinern zu wollen, von einem Begriff von Selbstbestimmung auszugehen, der nur beschreibar ist durch das was er nicht ist. Selbstbestimmung erscheint als nicht verabsolutierbar, sie erscheint nicht als das bloße Gegenteil von Fremdbestimmung, sie erscheint dadurch als unbestimmbar, sie erscheint nicht als klarer Begriff, sondern als vielschichtig, als ambivalent und widersprüchlich und auf gesellschaftlicher Ebene als diskursiv umkämpft. Um an dieser Stelle des Textes jedoch weiterarbeiten zu können, braucht es nun dennoch den Versuch einer Definition von Selbstbestimmung. Dies aber auch weiterhin nicht zum Zwecke einer klaren Bestimmung. Sie soll lediglich erstellt werden, um in der Folge zu betrachten, warum eine solche Definition alleinstehend unzulässig, unzureichend und kaum brauchbar ist und um sie aber dennoch dahingehend zu befragen, ob sie in Kombination mit weiteren Komponenten als Basis für Handeln im Zuge von Begleitung nicht doch grundlegend, gültig und hilfreich sein kann. Sie soll beispielhaft für unzählige möglicher, unterschiedlichster Formulierungen von Selbstbestimmung stehen, welche ebenso denkbar oder ebenso undenkbar wären:

Selbstbestimmung könnte bedeuten: Ein Mensch mit Behinderung in einer Einrichtung verfügt über das unumstößliche Recht, frei davon zu sein, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen, welche in einem betreuenden / begleitenden Verhältnis zum Menschen mit Behinderung steht, direkt oder indirekt korrigierend so ein Handeln des Menschen einschränkt, über welches Menschen, die nicht in einer Einrichtung leben und / oder arbeiten, in der Regel frei und selbstbestimmt (sofern dies im Rahmen der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse möglich ist) entscheiden oder welches diese in formal-gleichgestellten Beziehungen als formal-gleichwertige PartnerInnen mit Anderen aushandeln. Das ´Handeln des Menschen mit Behinderung´ umfasst auch jede Artikulation, die festlegt, in welcher Weise in welcher Situation direkte und indirekte Unterstützung durch die BegleiterInnen gewünscht wird. Das heißt: Selbstbestimmung bedeutet auch, dass in jenes Handeln des Menschen mit Behinderung, mit welchem ein bestimmter Wunsch nach / eine Aufforderung zur direkten oder indirekten Unterstützung artikuliert wird, durch die BegleiterInnen nicht direkt oder indirekt verneinend / ablehnend eingegriffen wird, sondern dass dieser Aufforderung nachgekommen wird, sofern die jeweilige Aufforderung nach Unterstützung nicht rechtlichen oder ethischen Grundsätzen, sowie persönlichen, begründeten Grenzen von BegleiterInnen widerspricht.

12.2. ... und dessen Scheitern?

12.2.1. Unzureichend?

Bei genauerer (oder schon bei erster) Betrachtung erscheint diese Definition also sowohl als unzureichend wie auch als kaum brauchbar. Als unzureichend erscheint sie, weil sie - wenn überhaupt - nur einen kleinen und simplifizierenden Aspekt von Selbstbestimmung beschreibt. Sie vermittelt den Anschein, Selbstbestimmung ließe sich auf konkrete, scheinbar von allen Menschen stets bewusst selbstbestimmt oder nicht-selbstbestimmt gestaltete und bewusst so erlebte Alltagssituationen reduzieren. Die Definition reduziert auf einen Aspekt von Selbstbestimmung, der sich lediglich auf Menschen mit Behinderung in Einrichtungen bezieht und auch hier wird nur ein Teilaspekt angesprochen, der für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist. Als zu erreichende Bezugsgröße gilt ein Aspekt jener Form von Selbstbestimmung, über die Menschen außerhalb von Einrichtungen mehr oder weniger (durch all die alltäglichen Einschränkungen eines nicht-absolut gesetzten Begriffs von Selbstbestimmung) verfügen. Dies könnte eventuell als realitätsorientiert gewertet werden, doch somit bleibt die Definition hinter einem Begriff von Selbstbestimmung zurück, der über das gesellschaftlich derzeit Gegebene hinausreicht. Sie bleibt zurück hinter einem Begriff von Selbstbestimmung, der nicht nur einen Teil der Einschränkungen von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen im Vergleich zu Menschen mit und ohne Behinderung außerhalb von Einrichtungen erfasst, sondern der auch über ein gewisses ´revolutionäres Potential´ verfügen würde, welches ein derzeit hegemoniales Verständnis von Selbstbestimmung in Frage stellen könnte, andere Verständnisse von Selbstbestimmung stärken könnte.

Über dieses Unzureichend-sein könnte jedoch eventuell im Rahmen der vorliegenden Arbeit hinweggesehen werden, da hier ohnehin von Beginn an lediglich von einem sehr eingeschränkten Aspekt von Selbstbestimmung, der auf bestimmte Teile der Begleitung von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen fokussiert, ausgegangen wurde. Insofern reiht sich die Definition auch ein in ein facheinschlägiges Verständnis von Selbstbestimmung, welches - nach Weingärtner - auf "ein Angleichen an das gesellschaftlich übliche Maß an Selbstbestimmung" (Weingärtner 2009: 36) abzielt. Es wird "[...] in Anbetracht des ´Weniger´ [...] eine Angleichung an das ´Übliche´ an Selbstbestimmung propagiert." (ebd.) In Bezug auf diese Fokussierung scheint die Definition einige zentrale Aspekte anzusprechen - die angestrebte Angleichung wird ausformuliert. Es wird des Weiteren nicht von einem verabsolutierten Begriff von Selbstbestimmung ausgegangen. Darauf verweist einerseits der eingrenzende Bezug auf jene Bereiche, in welchen Menschen außerhalb von Einrichtungen selbstbestimmen können - es wird nicht davon ausgegangen, grundsätzlich in allen Lebenslagen, -bereichen und -situationen selbstbestimmen zu können, zu sollen oder zu müssen. Andererseits verweist auf die Nicht-Verabsolutierbarkeit von Selbstbestimmung in Hinblick auf die soziale Eingebundenheit auch die Bezugnahme auf jene Bereiche, in welchen Entscheidungen von formal gleichgestellten PartnerInnen ausverhandelt werden. In Bezug auf den Verweis auf die formale Gleichstellung erscheint das weiter oben Dargestellte als zentral: Es wurde vorgeschlagen, im Falle von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen, welche eher ´traditionell´ organisiert sind, nicht grundsätzlich von egalitären Beziehungen, sondern von Machtbeziehungen auszugehen. Dies erweist sich nun als zentral. Würde grundsätzlich von egalitären Beziehungen ausgegangen, könnte dies dazu dienen, die Frage nach der Erfüllung dieser Definition von Selbstbestimmung schlichtweg als "erreicht" abzuhaken. Jeder Eingriff in das Handeln von Menschen mit Behinderung könnte dann nämlich - egal wie die Praxis tatsächlich aussieht - als ´für das Zusammenleben nötig´ und daher als ´in einer egalitären Beziehung ausverhandelt´ beschrieben werden. Stattfindender Machtmissbrauch könnte verschleiert und legitimiert werden. Wird jedoch grundsätzlich von einer Machtbeziehung ausgegangen, in welcher die egalitäre Beziehung lediglich eine nie gänzlich abgesicherte Möglichkeit darstellt, ist es nicht annähernd so leicht, die brennende Frage, inwiefern und in welchen Aspekten diese definierte Selbstbestimmung nun tatsächlich erreicht sei oder nicht, zu umgehen.

Des Weiteren versucht die Definition mit der oftmaligen Formulierung "direkt und indirekt" (in Bezug auf Einschränkungen, auf Aufforderungen zu Unterstützung etc.) zu verdeutlichen, dass für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen nicht nur tatsächliche face-to-face-Interaktionen, womöglich sogar nur verbal mehr oder weniger eindeutig ausgesprochene Artikulationen zentral seien. Der Verweis auf das Indirekte soll betonen, dass verhindernde oder ermöglichende Bedingungen für Selbstbestimmung eben auch indirekt von BegleiterInnen strukturell hergestellt werden, auch außerhalb von face-to-face-Interaktionen. Er soll des Weiteren betonen, dass auch Aufforderungen nach Unterstützung nicht nur in direkter, sondern in vielschichtiger, oft indirekter Weise erfolgen können.

Wichtig erscheint im Kontext der vorliegenden Arbeit auch die Bestimmung, dass es in der Definition um das Nicht-Vorhandensein von "korrigierenden Einschränkungen" geht. Es wird nicht von dem Nicht-Vorhandensein von "jeglichen Eingriffen" ausgegangen, da dies den Rahmen, um welchen es hier gehen soll, sprengen würde. Denn dann würde zum Beispiel schon die bloße Anwesenheit einer Begleiterin / eines Begleiters einen solchen Eingriff bedeuten. Welche Fragen dadurch aufgeworfen würden, wäre in jedem Fall eine spannende Auseinandersetzung wert, doch sie würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit zu weit ausdehnen.

12.2.2. Kaum brauchbar?

Befragt man die Definition nun auf ihre Bedeutung für das Handeln in konkreten Alltagssituationen, will man sie als handlungsleitend begreifen, um anhand ihrer Selbstbestimmung umzusetzen, wird sich wohl schnell Frustration einstellen. Kein Bestandteil der bisher lang und ausführlich beschrieben Unlösbarkeit des grundlegenden Dilemmas von Begleitung unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung kann damit auch nur ansatzweise einer Lösung näherkommen. Die Unlösbarkeit ist an dieser Stelle mit dieser Definition exakt dieselbe wie sie zu Beginn der Arbeit beschrieben wurde. Die Definition kann letztlich in jeder Zeile ´alles und nichts´ bedeuten, die Schwierigkeiten der "´Niederungen´ vieler Alltagssituationen" werden mit dieser Definition kein bisschen gelöst. Im Gegenteil: Mit der Definition wird ein Begriff von Selbstbestimmung vorgestellt, bei welchem die meisten BegleiterInnen von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung vermutlich schnell achselzuckend und resignierend konstatieren, dass dies zwar ein nettes Ziel sei, aber ohnehin in dieser geforderten Form nie erreichbar wäre. In Anbetracht des hier dargestellten Dilemmas und der Widersprüchlichkeiten, mit welchen dieses einhergeht, kann dieser Resignation auch tatsächlich zugestimmt werden - insofern als dass ein völlig widerspruchsfreies, eindeutiges Erreichen des in der Definition Geforderten niemals erreichbar sei.

Doch trotzdem soll an dieser Stelle noch ein wenig hartnäckig bei der ´alles und nichts´-sagenden Definition verblieben werden. Es soll die Frage gestellt werden, ob sie nicht doch eine Funktion erfüllen kann - zwar nicht alleinstehend, aber in Ergänzung und Kombination mit Verständnissen von Fremdbestimmung, welche deren Unbestimmbarkeit quasi umgehen, um stattdessen ihre Widersprüchlichkeiten zu nützen. So soll im nun Folgenden versucht werden, noch etwas grob holzschnittartig ebensolche Formen von Fremdbestimmung zu finden - Formen von Fremdbestimmung, die diese greifbarer machen, ohne etwas eigentlich Unbestimmbares zu bestimmen.

12.3. Defizitbasierte und willkürliche Fremdbestimmung

Die vorgestellte Definition von Selbstbestimmung kann in der Praxis wohl vielerlei Reaktionen bei BegleiterInnen von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung hervorrufen - zwischen einem radikalen Abtun als ´illusionär´ bis hin zu einem vorsichtigeren Zweifeln ob der Möglichkeit der Umsetzbarkeit könnte wohl jede Schattierung der Skepsis gefunden werden. Ob sich jemand finden ließe, welche/r der Definition einspruchsfrei zustimmen und an eine eindeutige Möglichkeit der Umsetzung glauben würde, kann bezweifelt werden. In allen möglichen Nuancen der Haltung gegenüber einer solchen Definition wird kaum jemand anzweifeln, dass sie nicht als eindeutig und widerspruchsfrei erreichbar zu verstehen ist. Unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung sollte allerdings bei aller Skepsis auch kaum ein/e BegleiterIn zu finden sein, welche/r das in der Definition bestimmte Ziel nicht doch zumindest in seinen Grundzügen für ein erstrebenswertes erachtet. Ein Ziel, welches im weitesten Sinne doch orientieren sollte - soweit dieses Ziel in konkreten Alltagssituationen eben Orientierung bieten kann.

Kommt es in den "´Niederungen´ der Alltagssituationen" nun jedoch zu Fragestellungen, in welchen die vorgeschlagene Definition nur mehr sehr bedingt als Orientierungshilfe dienen kann, zu Situationen, in welchen unklar ist, inwiefern Einschränkungen gerechtfertigt sind und eventuell einem Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeitsräume eröffnen als sie ansonsten vorhanden wären, kann es in Begleitungsteams und anderen Praxisinstitutionen unterschiedliche Zugänge geben, wie das Verhältnis des Selbstbestimmungsgedanken zu einer solchen Problemstellung, die die Frage von Fremdbestimmung aufwirft, beschrieben und verhandelt wird. Kurz gesagt: Fremdbestimmendes Handeln kann auf unterschiedliche Arten in Bezug zum Selbstbestimmungsgedanken gesetzt werden. Im Folgenden soll daher versucht werden, vorerst einen solchen potentiellen Zugang, welcher hier zu den Begriffen der "defizitbasierten" und der "willkürlichen" Fremdbestimmung hinführen soll, darzustellen, um im Anschluss eine auf Widersprüchen basierende Alternative zu diesem Zugang zu beschreiben.

12.3.1. Defizitbasierte Fremdbestimmung

Kommt es, wie dies vermutlich alltäglich der Fall ist, zu einer Situation, in welcher in Frage steht, ob die Selbstverantwortung des Menschen mit Behinderung eingeschränkt werden müsste / sollte, ob - in Pörtners Worten - ein "Rahmen" nötig sei, kann es für Begleitungsteams und für sie umgebende Praxisinstitutionen folgenden Weg geben, diese Frage in Bezug zum Leitgedanken der Selbstbestimmung zu setzen: Wenn auch möglicherweise ansonsten die Orientierung an Ressourcen und Kompetenzen im Vordergrund steht, so kann hier der Blick doch schnell auf ein vermeintliches Defizit fallen. Im Kern könnte eine Argumentation, die auf die vorgeschlagene Definition von Selbstbestimmung rekurriert, dann folgendermaßen lauten: "Selbstbestimmung ist natürlich grundsätzlich zu befürworten, aber aufgrund eines Defizits des Menschen mit Behinderung in seiner ´Einsichts- und Urteilsfähigkeit´ ist sie in dieser Form nicht umsetzbar. Selbstbestimmung muss über das in der Definition bereits relativierte Maß hinaus weiter eingeschränkt werden, weil der Mensch mit Behinderung dafür erforderliche Dinge nicht kann."

Die ´Defizite´, auf die sich in dieser Argumentation bezogen wird, beziehen sich also nicht auf Einschränkungen der motorischen Fähigkeiten oder andere, ähnliche Einschränkungen körperlicher Funktionsweisen, sondern auf eine Einschränkung der sogenannten Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Als gänzlich offener Begriff, auf den potenziell und prinzipiell in jeder fraglichen Alltagssituation verwiesen werden kann, kann der Stempel dieses ´Defizits´ legitimieren, die vorgeschlagene (ohnehin schon nicht verabsolutierende) Definition von Selbstbestimmung als Bezugspunkt grundsätzlich zu verlassen. In einer praxisorientierten Sprache kann das Ziel dann heißen "Selbstbestimmung dort wo sie möglich ist". Das Ziel, an dem man sich orientiert, ist dann nicht mehr die in der Definition vorgeschlagene Sicht auf Selbstbestimmung als eigentlich unumstößliches Recht, sondern dieser verwässerte Begriff von Selbstbestimmung - wobei die Phrase "dort wo sie möglich ist" völlig offen bleibt. Was als möglich erachtet wird und was nicht, liegt dabei zu vielen Teilen bei Begleitungsteams und anderen Praxisinstitutionen. Die Phrase "dort wo sie möglich ist" bildet dann also jene zu beliebiger Größe dehnbare Blase, von welcher hier bereits öfters gesprochen wurde - jene Blase, in der als Möglichkeit beinahe alle Formen von Fremdbestimmung doch wieder Platz haben können und sich kaum mehr legitimieren müssen. Sie sind dauerhaft und allumfassend legitimiert durch ein ´Defizit´, das im Menschen mit Behinderung selbst zu finden ist.

Weiterführend kann (dies sei betont, denn es ist nicht von einem Determinismus auszugehen) Selbstbestimmung als Folge einer solchen Sichtweise zu einer ´netten Idee´ verkommen, die dort ´gewährt´ wird, wo sie den Begleitungsalltag nicht allzu sehr stört, dort, wo sie sämtliche, weitschichtige Vorstellungen der BegleiterInnen und der umgebenden Institutionen, was in diesem Alltag Platz habe und was nicht, nicht allzu sehr stört. Jene ´gewährten´ Bereiche von Selbstbestimmung können ausreichen, um den Einrichtungs-Konzepten, die - wie gezeigt wurde - Selbstbestimmung als zentrales Ziel erachten, Genüge zu tragen, die Ausrichtung an diesem Ziel zu bestätigen. Die Frage, warum Selbstbestimmung in diesem und jenem Bereich nicht gelebt werden kann, kann schlichtweg mit der Begründung "weil sie hier nicht möglich ist" beantwortet werden - und die Begründung dafür, dass sie nicht möglich ist, liegt im Menschen mit Behinderung, in dessen ´Defizit´ selbst. Sie braucht somit auch nicht in anderen Umständen gesucht werden. Selbst wenn also weiterführend gefragt wird, warum konkret Selbstbestimmung in diesem und jenem Fall nicht möglich sei, umfasst der Raum, in dem nach Erklärungen gesucht werden kann, lediglich den Menschen mit Behinderung und dessen ´Defizit´. Dieses kann als ´unveränderbar´ konstruiert werden - womit auch die unterschiedlichsten Einschränkungen der Selbstbestimmung als jeweils unveränderbar-notwendig erscheinen.

Die - wie hier vertreten wird - größte Gefahr der beschriebenen Sichtweise kann in einer vermeintlichen Eindeutigkeit liegen. Wenn es als eindeutig erscheint, dass Selbstbestimmung, so wie sie in der Definition vorgeschlagen wurde, aufgrund eines ´Defizits´ des Menschen mit Behinderung in dessen Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht umsetzbar sei, kann in der Folge auch jeder Eingriff, jede Einschränkung, jede Fremdbestimmung des Menschen mit Behinderung als ´eindeutig nötig und wichtig´ erscheinen. So kann es zu Haltungen kommen, in welchen zwar oberflächlich betrachtet partnerschaftlicher Dialog und Ressourcenorientierung als vorherrschend erscheinen, in welchen aber im Falle jeglicher Situation, welche dazu veranlasst, aufgrund von potentieller Grenzen der Selbstverantwortung Selbstbestimmung eventuell in Frage zu stellen, eine klare bipolare Trennung zum Vorschein kommt: der Mensch mit Behinderung als defizitär und nicht-wissend, der / die BegleiterIn als eindeutig wissend. Der / die BegleiterIn kommt so in einer Position, in welcher er / sie zwar vielleicht bestimmte Formen von Einschränkungen des Menschen mit Behinderung, bestimmte konkrete Vorgehensweisen und Entscheidungen in Frage stellt, aber eine Einschränkung an sich als gänzlich unproblematisch, eben als ´eindeutig in Ordnung´, bewerten kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Im Begleitungsalltag kommt es regelmäßig zu Situationen, in welchen die vorgeschlagene Definition von Selbstbestimmung kaum mehr als Handlungsgrundlage dienen kann. Dies sind Situationen, in welchen in Frage steht, inwiefern eine fehlende Einschränkung / ´Rahmensetzung´ durch BegleiterInnen eigentlich ein Sicht-selbst-überlassen, eigentlich indirekt Fremdbestimmung bedeuten kann.

  • Es kann unterschiedliche Betrachtungs- und Argumentationsweisen geben, wie eine solche Einschränkung in Bezug gesetzt wird zum Leitgedanken der Selbstbestimmung.

  • Eine dieser Betrachtungs- und Argumentationsweisen kann sein, sich (in unterschiedlichsten praxisnahen Formulierungen) auf ein ´Defizit´ der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung zu beziehen.

  • Durch dieses ´Defizit´ könne die in der Definition vorgeschlagene Sichtweise von Selbstbestimmung nicht erreicht werden.

  • An Stelle dieser Sichtweise von Selbstbestimmung kann dann eine Sichtweise treten, welche auf den Grundgedanken "so weit als möglich" reduziert.

  • "Selbstbestimmung so weit als möglich" kann so zum Orientierung gebenden Ziel werden.

  • "So weit als möglich" ist jedoch kaum bestimmbar, das Nicht-Mögliche bleibt im Großen und Ganzen zu beliebiger Größe aufblasbar.

  • Das "Mögliche" bezieht sich in dieser Sichtweise immer nur auf den Menschen mit Behinderung. In ihm, und zwar ausschließlich in ihm, in seinem ´Defizit´, liege unveränderbar die Ursache für potentiell nur geringe "Möglichkeiten".

  • Dadurch besteht die Gefahr einer vermeintlichen Eindeutigkeit: Aufgrund des Defizits sei es eindeutig gerechtfertigt, als Zielvorstellung nur noch von einer "Selbstbestimmung so weit als möglich" auszugehen. Fremdbestimmung kann so ebenfalls als ´eindeutig in Ordnung´ und unhinterfragbar gedeutet werden.

  • Sobald eine Situation auftritt, in welcher Selbstbestimmung in Frage steht, kann daher eine bipolare Trennung entstehen, beziehungsweise verfestigt werden: Der Mensch mit Behinderung als zwar in mancherlei Hinsicht mit Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet, aber in Bezug auf seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit defizitär und nicht-wissend, der / die BegleiterIn als wissend und mit eindeutiger Souveränität ausgestattet.

Daher wird in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen,

  • Fremdbestimmung, die sich mit einem ´Defizit´ des Menschen mit Behinderung begründet,

  • Fremdbestimmung, die sich gepaart mit der Zielvorstellung "Selbstbestimmung so weit als möglich" präsentiert und das potentiell nur als gering beschriebene "Mögliche" lediglich im Menschen mit Behinderung und dessen ´Defizit´ begründet sieht,

  • Fremdbestimmung, die - weil Selbstbestimmung durch dieses ´Defizit´ eben nur in beschränktem Ausmaß möglich sei - als "eindeutig in Ordnung" beschrieben wird,

als "defizitbasierte Fremdbestimmung" zu bezeichnen.

12.3.2.Willkürliche Fremdbestimmung

Des Weiteren (das sei an dieser Stelle jedoch nur kurz und grob angerissen) wird davon ausgegangen, dass diese defizitbasierte Fremdbestimmung mit deren vermeintlicher Eindeutigkeit einen Nährboden dafür darstellen kann, konkrete, kleinste, alltägliche Situationen von Fremdbestimmung in Einrichtungen nicht zur Sprache zu bringen, weil sie für ein Begleitungsteam oder für einzelne BegleiterInnen als so selbstverständlich - eben eindeutig - notwendig und so selbstverständlich legitimierbar erscheinen, dass darüber kaum mehr gesprochen wird. (In einem früheren Abschnitt der Arbeit wurde bereits darauf verwiesen.) Daher wird vorgeschlagen, als selbstverständlich erscheinende Situationen, in welchen regelmäßig und systematisch fremdbestimmt wird, wobei dies jedoch nicht thematisiert und in seiner vermeintlichen Eindeutigkeit und Selbstverständlichkeit problematisiert wird, als "willkürliche Fremdbestimmung" zu bezeichnen.

Um kurz zu resümieren: In den "´Niederungen´ der Alltagssituationen" bleibt größtenteils unbestimmbar, was unangemessene Fremdbestimmung ist. Dadurch ergibt sich das Dilemma von Begleitung unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung. Diese bleibt - so die hier vertretene These - ein ´fragiles Gebäude´, in dem unendliche Möglichkeitsräume für unangemessene, aber durch die Unbestimmbarkeit dieses Begriffs nicht verhinderbare Fremdbestimmung enthalten sind. Defizitbasierte und willkürliche Fremdbestimmung stellen daher einen kleinen, noch äußerst groben, fragmentarischen und vorsichtigen Versuch dar, trotz der Unbestimmbarkeit von unangemessener Fremdbestimmung spezifische Formen von Fremdbestimmung zu beschreiben, die in Einrichtungen verhindert werden sollten. Wenn also - wovon in der vorliegenden Arbeit ausgegangen wurde - Fremdbestimmung nicht das bloße Gegenteil von Selbstbestimmung ist und offen bleiben muss, was dieses Gegenteil nun tatsächlich ist, dann sind defizitbasierte und willkürliche Fremdbestimmung in Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe ganz sicher Fragmente dieses Gegenteils.

Doch eine zentrale Frage bleibt dabei noch offen: Wenn es defizitbasierte Fremdbestimmung zu verhindern gilt, was kann dann die Alternative sein?

12.4. Eine auf Widersprüchen basierende Alternative?

Auf den ersten Blick sollte die Alternative zu defizitbasierter Fremdbestimmung selbstredend mit dem Begriff der ressourcenorientierten Fremdbestimmung zu finden sein. Dieser Weg wird hier jedoch nicht gegangen, da in Frage steht, wie eine solche beschrieben werden könnte ohne sich sogleich ebenfalls in unzähligen Dilemmata, Ambivalenzen und Fallstricken wiederzufinden. Wenn ein Kennzeichen defizitbasierter Fremdbestimmung ist, dass sie Fremdbestimmung als ´eindeutig in Ordnung´ fasst solange "Selbstbestimmung so weit als möglich" realisiert sei, könnte es nahe liegen, als Gegenposition Fremdbestimmung als ´eindeutig nicht in Ordnung´ zu fassen. Diese Position wäre an dieser Stelle aber geradezu lächerlich, bedenkt man alles in der vorliegenden Arbeit zuvor Beschriebene. Wenn in Bezug auf defizitbasierte Fremdbestimmung kritisiert wurde, dass diese von einer "Selbstbestimmung so weit als möglich" ausgeht, sollte die Alternative dann von der zuvor vorgeschlagenen Definition von Selbstbestimmung ohne jeden Abstrich ausgehen? Auch das wurde jedoch bereits verneint, es wurde dargestellt, warum die Definition für sich allein betrachtet eher unbrauchbar erscheint.

Die bescheidene Alternative, die an dieser Stelle in dem Wissen, dass sie keineswegs sämtliche Fragestellungen lösen kann, angeboten werden soll, ist die Sichtweise, potentielle Fremdbestimmung konsequent durchwegs als unauflösbaren Widerspruch zu denken. Dies - darin liegt ein Kernanliegen der vorliegenden Arbeit - nicht nur in der theoretischen und auf höheren Abstraktionsebenen stattfindenden Selbstbestimmungs- oder Freiheits-Literatur, sondern auch in der praxisnahen Lektüre und vor allem in der konkreten, alltäglichen Praxis der Begleitung.

Worin würde dabei nun der Unterschied zu defizitbasierter Fremdbestimmung liegen? Auf Widersprüchen basierende Fremdbestimmung versteht sich nicht als Reaktion auf ein ´Defizit´ des Menschen mit Behinderung. Das heißt, in dieser Sichtweise findet potentielle Fremdbestimmung nicht statt, weil der Mensch mit Behinderung ein Defizit hat, welches dazu berechtigt, Selbstbestimmung einzuschränken. Sie findet statt, weil die Begleitungssituation eine durchwegs ambivalente ist, in welcher für BegleiterInnen zu größten Teilen unklar ist, wie diese Situation gestaltet werden kann, ohne Selbstbestimmung im Wege zu stehen. Wie bereits dargestellt liegt die Schwierigkeit darin, dass ein Handeln von BegleiterInnen, in welchem sie in keinster Weise einschränken, möglicherweise in bestimmten Situationen mehr dazu beiträgt, Selbstbestimmung im Wege zu stehen, als eine Einschränkung. Einschränkungen sind also nicht grundsätzlich zu verhindern und zu vermeiden, sie können nicht grundsätzlich als negativ betrachtet werden - aber ihre Angemessenheit kann nie gesichert sein. Daher kann die potentielle, aber immer fraglich bleibende Notwendigkeit von jeweils einzelnen, konkreten Einschränkungen nicht dazu berechtigen, grundsätzlich quasi in einem ´Rundumschlag´ die Orientierung an Selbstbestimmung als unumstößlichem Recht zu verlassen und von vorne herein nur noch von einer "Selbstbestimmung so weit als möglich" auszugehen. Vor allem (aber nicht nur) dann nicht, wenn die Begründung für die vermeintlich geringe Möglichkeit nur im ´Defizit´ des Menschen mit Behinderung gesucht wird - wie dies bei defizitbasierter Fremdbestimmung der Fall ist. Eine Sichtweise, die anstelle des ´Defizits´ die allumfassende, unauflösbare Widersprüchlichkeit ins Zentrum rückt, kann keine Legitimation dafür bieten, sich grundsätzlich und durchgängig von der Orientierung an der vorgeschlagenen Definition von Selbstbestimmung abzuwenden und nur noch von einem "so weit als möglich" ausgehen. Die grundlegende und nicht-hintergehbare Orientierung an Selbstbestimmung kann vorhanden bleiben. Dies bedeutet nicht, dass davon ausgegangen würde, alle Elemente der vorgeschlagenen Definition könnten tatsächlich umgesetzt werden. Aber es bedeutet, dass jede begleiterische Handlung, die von der Definition (oder einer besseren, umfassenderen) abweicht, grundsätzlich in Frage zu stellen und in ihrer Widersprüchlichkeit zu problematisieren ist. Es kann in dieser Sichtweise keine ´Generalvollmacht´ für BegleiterInnen geben, aufgrund eines als allumfassend konstruierten ´Defizits´ Einschränkungen vorzunehmen, sondern jede Einschränkung bedarf einer neuerlichen Legitimation - und kann dabei aber nie zu einer Eindeutigkeit kommen. Jede Einschränkung, jede Form von Fremdbestimmung, bleibt durchgängig widersprüchlich - auch wenn Begleitungsteams und andere Praxisinstitutionen zu dem Eindruck kommen, sie sei in gewisser Weise ´nötig´. Letztlich können auch nur in dieser Sichtweise Einschränkungen tatsächlich in dialogischer Weise umgesetzt werden, denn nur was sich nie als eindeutig, sondern immer als potentiell unpassend empfindet, kann als Angebot verstanden werden, auf welches ein Mensch mit Behinderung antwortet, was wiederum potentiell eine diese Antwort ernst nehmende Veränderung des Angebots nach sich ziehen muss.

Betont sei, dass die durchgängige Orientierung an der Widersprüchlichkeit und der Uneindeutigkeit keinesfalls mit Handlungsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Ein zentrales Element des in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Dilemmas ist, dass BegleiterInnen tagtäglich handeln müssen - daher wäre es fatal, wenn eine Orientierung an der Widersprüchlichkeit zu Handlungsunfähigkeit und zu gänzlicher Verunsicherung der BegleiterInnen führen würde. Dass Einschränkungen, ´Rahmen´, grundsätzlich als widersprüchlich beschrieben werden bedeutet nicht, dass keine klaren Entscheidungen getroffen werden können. Diese können dennoch getroffen werden: Klare, Sicherheit bietende Entscheidungen über einen widersprüchlichen und auch über die Entscheidungen hinweg ´eindeutig widersprüchlich bleibenden´ Inhalt.

Mit etwas kühnem Optimismus kann angenommen werden, dass eine strukturelle Verankerung der konsequenten Orientierung an der Widersprüchlichkeit von Selbst- und Fremdbestimmung in den Einrichtungen der Praxis unter anderem einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dafür leisten kann, die Entwicklung grundlegender BegleiterInnen-Haltungen, in welchen subtile Formen von Machtmissbrauch zurückgedrängt werden, nicht auf der individuellen, sondern auf der strukturellen Ebene zu unterstützen. Dieser Optimismus schöpft sich aus der potentiellen Aufweichung jener zuvor beschriebenen Bipolarität, in welcher bei defizitbasierter Fremdbestimmung der / die wissende BegleiterIn und der unwissende Mensch mit Behinderung produziert werden. Bei einer strukturellen Verankerung der Orientierung an Widersprüchen in Einrichtungen kommen BegleiterInnen durch Strukturveränderungen in eine Position, in welcher sie in Bezug auf Fragen von Selbst- und Fremdbestimmung niemals eindeutig ´wissen´. Fragestellungen drehen sich nicht mehr darum, zu verhandeln, wie sehr der Mensch mit Behinderung in seiner Einsichts- und Urteilsfähigkeit defizitär sei, um damit Fremdbestimmung und das Erreichen einer vermeintlich eindeutigen Entscheidung in Bezug auf eine Einschränkung grundsätzlich zu legitimieren. Fragestellungen können sich im Gegenzug darum drehen, wie BegleiterInnen handeln können, ohne der Selbstbestimmung des Menschen mit Behinderung im Wege zu stehen. Dadurch, dass BegleiterInnen in der Widersprüchlichkeit in Bezug auf diese Frage nie zu einem eindeutigen Ergebnis kommen können, wird die Macht des vermeintlich eindeutigen Wissens zurückgedrängt. Ebenso kann das grundlegende Recht auf Selbstbestimmung zumindest in jener (ohnehin schon eingeschränkten) Sichtweise, die die genannte Definition vorschlägt, nicht als Bezugspunkt verlassen werden, wie dies bei defizitbasierter Fremdbestimmung der Fall ist. Fremdbestimmung legitimiert sich nicht mehr durch ein ´Defizit´ des Menschen mit Behinderung, welches BegleiterInnen eine ´Generalvollmacht´ ausstellt, grundlegend als Orientierung lediglich von einer "Selbstbestimmung so weit als möglich" auszugehen. Fremdbestimmung muss sich in jedem Einzelfall dadurch legitimieren, dass ihre Widersprüchlichkeit in Bezug auf die Abweichung von der vorgeschlagene Definition von Selbstbestimmung problematisiert wird und sie niemals als ´eindeutig in Ordnung´ gefasst wird.

12.5.Resümee: Selbstbestimmung als Leitziel in Einrichtungen - Ein Ziel mit drei Komponenten

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die vorgeschlagene Definition von Selbstbestimmung ist für sich genommen unzureichend und unbrauchbar, unter anderem da sie wohl kaum eindeutig und widerspruchsfrei umsetzbar ist. Die schwierige Frage von Selbst- und Fremdbestimmung lässt sich durch sie nicht beantworten, das dahinterstehende Dilemma nicht auflösen. Daher gilt es - was ein zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit darstellt -, einerseits der Realität in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung, die von der Definition zumeist abweicht, Rechnung zu tragen und andererseits aber die vorgeschlagene oder eine umfassendere Definition als Bezugspunkt und unantastbares Recht dennoch zu verteidigen und nicht zu verlieren. Dieser Spagat scheint zum jetzigen Zeitpunkt nur (ansatzweise) möglich zu sein, wenn man:

  1. die Definition von Selbstbestimmung (oder eine ähnliche, umfassendere) einbettet in ein durchgängig auf Widersprüchen basierendes und konsequent auf die Praxis bezogenes Verständnis von Fremdbestimmung in deren ambivalenter Relation zu Selbstbestimmung,

und wenn man

  1. der Definition Verständnisse von defizitbasierter und willkürlicher Fremdbestimmung gegenüberstellt, um zwar nicht auf den größtenteils offenbleibenden Begriff der unangemessenen Fremdbestimmung zurückgreifen zu müssen, dabei aber dennoch Ansatzpunkte für zu vermeidende Formen von Fremdbestimmung festlegen zu können.

So kann - wie es scheint - die vorgeschlagene Definition von Selbstbestimmung als grundlegendes Recht erhalten bleiben, ohne die reale Situation von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen außer Acht zu lassen. Die grundlegende Ausrichtung am Leitgedanken der Selbstbestimmung kann so die schwierige, im Alltag stets relevante Frage des Dilemmas von Selbst- und Fremdbestimmung in sich integrieren, ohne den Begriff der Selbstbestimmung zu verwässern und in einer gänzlichen Offenheit als Worthülse zu verlieren. Fremdbestimmung wird nicht simplifizierend als bloßes Gegenteil von Selbstbestimmung dargestellt, aber dennoch wird nicht gänzlich auf einen Gegenbegriff verzichtet. Fragmente eines Gegenbegriffs finden sich in den zu vermeidenden Formen von Fremdbestimmung, in defizitbasierter und willkürlicher Fremdbestimmung. Konkret und kurz und bündig kann dies in Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe bedeuten, den Leitgedanken der Selbstbestimmung als Praxisgrundlage stets mittels dreier Komponenten zu spezifizieren:

  1. Das grundlegende Recht auf Selbstbestimmung gilt trotz der Ambivalenzen, die es mit sich bringt, als unhintergehbare Bezugsgröße und allumfassende Orientierung.

  2. Diese Orientierung verpflichtet einerseits dazu, Abweichungen von dieser Definition zu thematisieren, gegebenenfalls zu beenden oder in deren unauflösbarer Widersprüchlichkeit zu problematisieren.

  3. Diese Orientierung verpflichtet andererseits dazu, sich aktiv gegen Formen defizitbasierter und willkürlicher Fremdbestimmung einzusetzen.

Der Autorin ist jedoch durchaus bewusst, dass an die vorgeschlagene Konzeption berechtigte kritische Fragen gestellt werden können. Es kann beispielsweise die Frage gestellt werden, ob sich defizitbasierte Fremdbestimmung und ein auf Widersprüchen basierender Zugang zu Fremdbestimmung in der tatsächlichen Umsetzung nicht lediglich in kleinsten Nuancen unterscheiden. Weiterst kann berechtigterweise die Frage gestellt werden, ob sich beide letztlich nicht doch häufig wieder in denselben Fallstricken gefangen finden und ob daher eine solche Konzeption, die in sich selbst - dies sei in aller Deutlichkeit betont - auch wiederum eine Vielzahl von Widersprüchen aufweist, überhaupt Wirkung zeigen kann. Auch wenn solche und ähnliche Fragen, die in dieser Arbeit trotz ihrer Berechtigung nicht mehr weiterführend und entkräftend behandelt werden, keinesfalls gänzlich von der Hand zu weisen sind, wird von der Autorin doch davon ausgegangen, dass es gerade die kleinen Nuancen von Unterschieden sind, welche für die Praxis höchstes Potential bieten. Daher sollen nun in aller Kürze abschließend mögliche Varianten der konkreten Umsetzung des Dargestellten umrissen werden.

13.Die Frage der konkreten Umsetzung

13.1. Möglichkeiten der Umsetzung in Einrichtungen ...

Bereits zu Beginn der Arbeit wurde betont, dass Formen von potentiell unangemessener Fremdbestimmung nicht als individuelles BegleiterInnen-Fehlverhalten gefasst werden. Insofern soll auch versucht werden, die Frage der konkreten Umsetzung der vorangegangenen Ausführungen auf der strukturell-organisatorischen Ebene von Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe zu behandeln. Das heißt, es soll vor allem darum gehen, wie Praxis-Institutionen aller Art konkret das Ihrige dazu beitragen können, die Ambivalenzen, in welchen Begleitung unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung stattfindet, zu thematisieren und BegleiterInnen in Bezug auf diese Problematik zu sensibilisieren. In dieser Hinsicht wären (mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit) folgende Vorschläge denkbar:

  • Aufnehmen der Ambivalenz in Leitbilder, Leitziele, Konzepte oder ähnliche Grundlagen der Organisation, sowie laufende aktive Thematisierung von Widersprüchen von Begleitung. Es scheint zu verkürzt, sich in Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe ausschließlich auf die Umsetzung von Selbstbestimmung, auf Unterstützung bei Selbstbestimmung etc. zu beziehen, ohne jene drei Komponenten zu beachten, welche im vorherigen Kapitel dargestellt wurden. Groß scheint ansonsten die Gefahr, dass diese Bezugnahme zu einer leeren Worthülse verkommt, die ihre Bedeutung für die konkrete Arbeit der BegleiterInnen und für die konkrete Lebenswelt von Menschen mit Behinderung verliert. Groß scheint auch die Gefahr, dass sich die Auseinandersetzung mit Selbstbestimmung darauf reduziert, bei kritischem Nachfragen, inwiefern Selbstbestimmung überhaupt möglich sei, auf den Zusatz "soweit sie eben möglich ist" zu verweisen. Insofern sollte die Ambivalenz von Begleitung und von Selbst- und Fremdbestimmung sowie eine aktive Thematisierung dieser ein grundlegendes Element der fachlichen Diskussion in Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe darstellen.

  • MultiplikatorInnen in Einrichtungen (Führungskräfte, BeraterInnen, Lehrende im Bereich von beruflicher Aus- und Fortbildung etc.) in Bezug auf Widersprüche von Begleitung und Selbst- und Fremdbestimmung theoretisch fundiert sensibilisieren.

  • Aufnahme der Thematik in Stellenbeschreibungen von BegleiterInnen - aktive Auseinandersetzung mit der Widersprüchlichkeit der eigenen Position innerhalb des Dilemmas von Selbst- und Fremdbestimmung als Teil dieser Beschreibungen.

  • Aufnahme der aktiven Bearbeitung von Ambivalenzen in Bezug auf Selbst- und Fremdbestimmung in Instrumente eines Qualitätsmanagements - aktiver Umgang mit diesen Widersprüchen als Qualitätsmerkmal.

  • Aktive Thematisierung von willkürlicher Fremdbestimmung, um Formen von Fremdbestimmung und deren vermeintliche Selbstverständlichkeit zur Sprache zu bringen (ohne diese als individuelle ´Verfehlung´ von BegleiterInnen zu fassen).

  • Und vieles mehr

13.2. ... und deren Potentiale

In den vorherigen Teilkapiteln wurde bereits dargestellt, dass und warum davon ausgegangen wird, dass von einer deutlich stärkeren und praxisnahen Gewichtung der Thematik der Ambivalenzen die Qualität der Begleitung insofern profitieren kann, als dass defizitäre Haltungen weiter zurückgedrängt werden, dialogische Haltungen begünstigt werden, die Möglichkeit einer Annäherung an eine Egalisierung der Beziehung Mensch mit Behinderung - BegleiterIn auch in einer strukturellen Machtbeziehung verbessert wird etc. Doch es wird - im Sinne einer ´win-win-win-win-Situation´ - davon ausgegangen, dass auch BegleiterInnen, Begleitungsteams und Organisationen profitieren könnten.

BegleiterInnen finden sich - wie es bereits mehrmals formuliert wurde - tagtäglich in der Situation wieder, in einer eigentlich unlösbaren Aufgabe handeln zu müssen. Doch die eigentliche Unlösbarkeit unzähliger Alltagsfragen wird in den für sie als Orientierung dienenden Leitbildern, Zielformulierungen etc. nicht oder kaum abgebildet. BegleiterInnen handeln nicht in seltenen Ausnahmen, sondern tagtäglich unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung in unterschiedlichen Formen als Fremdbestimmende, doch dieses Fremdbestimmen wird in der sie umgebenden Literatur, in den sie umgebenden Konzepten, in den Leitbildern der Einrichtungen etc. nicht oder kaum zur Sprache gebracht. (Zur deutlichen Vernachlässigung der Thematik der Fremdbestimmung in der facheinschlägigen Literatur siehe Harmel 2011: 69.) Auch wenn dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht empirisch belegt werden kann, kann davon ausgegangen werden, dass oftmals nicht dieses geforderte, aber eigentlich unmögliche Handeln als problematisch empfunden wird, sondern die fehlende umfassende Abbildung und Anerkennung eines zentralen Aspektes dieses widersprüchlichen Handelns: Jenem Aspekt der Fremdbestimmung. Dadurch kann eine stützende, Halt bietende, theoretische Basis fehlen, beziehungsweise können schlichtweg die Worte fehlen, um in theoretischer und sachlicher Reflexion über Fremdbestimmung in deren Relation zu Selbstbestimmung zu sprechen. Führen kann dies unter anderem zu bereits angesprochenen simplifizierenden Verkürzungen (beispielsweise "Selbstbestimmung schön und gut, aber die hat nun mal auch ihre Grenzen!"), zu grundlegender Resignation und Frustration (beispielsweise "Ich kann das Wort Selbstbestimmung nicht mehr hören!") oder zu Verunsicherung (beispielsweise "Die sagen nur, wir müssen Selbstbestimmung ermöglichen, aber wir wissen doch gar nicht, wie das gehen kann! Im Alltag geht das doch gar nicht!") Hier liegt in einer Mehr-Thematisierung von Widersprüchen und Ambivalenzen (die sich durch die grundlegende Orientierung an einem unumstößlichen Recht auf Selbstbestimmung aber nicht in der Beliebigkeit verlieren kann) ein Potential. Und zwar das Potential, gerade nicht zu Verunsicherung zu führen - wie man, weil die Widersprüchlichkeit mit permanenter Uneindeutigkeit einhergeht, auf den ersten Blick meinen könnte -, sondern umgekehrt zu mehr Sicherheit und weniger Frustration beizutragen.

Begleitungsteams könnten durch eine Mehr-Thematisierung von grundlegenden Widersprüchlichkeiten und durch eine Betonung der durchgängigen Uneindeutigkeit eine Aufweichung potentieller Teamkonflikte erfahren. Dies in Anbetracht solcher Teamkonflikte, welche sich ergeben aus unterschiedlichen Zugängen und ´grabenkämpferischen Verhärtungen´ in Bezug auf konkrete Situationen, in welchen die Frage von Selbst- und Fremdbestimmung, von ´Rahmen´ oder ´Spielraum´, zur Diskussion steht. Mit einer grundlegenden Orientierung an Widersprüchen ist es für die Beteiligten schlichtweg unmöglich, für sich eine eindeutige Richtigkeit des eigenen Zugangs zu beanspruchen, und Konflikte, die sich in diesem Raum bewegen, können auf die Ebene einer eigentlich facheinschlägigen, theoretisch-sachlichen Fragestellung gehoben werden.

Organisationen können nur davon profitieren, wenn Leitbilder, Organisationsziele, Konzepte und dergleichen tatsächlich auf die tagtägliche Arbeit jener Menschen rekurrieren, die von der Organisation angestellt sind. Nur so können Leitziele und ähnliches tatsächlich eine Orientierung für die Arbeit innerhalb der Organisation bieten, und nur so kann die Organisation nach innen und außen offensiv und selbstbewusst auftreten.

Im besten Fall tragen diese Potentiale, die nun für BegleiterInnen, Begleitungsteams und Organisationen kurz und grob umrissen wurden, wiederum indirekt dazu bei, eine potentielle, durch eine Orientierung an Widersprüchen erzeugte Verbesserung der Begleitungsqualität in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung noch zu steigern. Dies jedoch - und das sei an dieser Stelle noch einmal deutlich betont - stets unter der relativierenden Sichtweise, dass der Versuch einer Verbesserung der Begleitungsqualität in ´traditionellen´ Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe eigentlich in Frage zu stellen ist, da ihre Grundstruktur als selbstbestimmungsfeindlich betrachtet werden kann und dem Ausbau von individuellen und tatsächlich inklusiven Wohn- und Arbeitsangeboten der Vorzug gegeben werden muss.

14.Abschließendes Resümee

14.1. Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit ist ausgegangen von der Problematik, dass in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung aktuell Selbstbestimmung als Leitziel gilt, wobei diese jedoch nicht verabsolutiert werden kann. Dadurch ergibt sich - so wurde eine zentrale Ausgangsannahme formuliert - in Bezug auf Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung in Einrichtungen eine zu beliebiger Größe dehnbare Blase, in welcher wiederum beinahe jede Form von Fremdbestimmung Platz haben kann. Selbstbestimmung bleibt so fragil und stets einsturzgefährdet. Aufbauend auf dieser Grundannahme wurde praxisnah in Bezug auf Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe versucht, Selbst- und Fremdbestimmung in deren grundlegendem Dilemma zu beschreiben: in jenem Dilemma, in welchem unklar bleiben muss, in welcher Weise Fremdbestimmung das zu vermeidende Gegenteil von Selbstbestimmung sei und in welcher Weise sie paradoxerweise gleichzeitig doch auch unabkömmlicher Teil von Selbstbestimmung sei. In der Folge wurde versucht, exemplarisch weiterführende Ambivalenzen und Fallstricke im weiten Feld von Selbst- und Fremdbestimmung in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung darzustellen. Dies führte resümierend zu dem Vorschlag, den Widersprüchen und Dilemmata, in welchen sich Begleitung unter dem Leitgedanken der Selbstbestimmung befindet, in der alltäglichen Praxis deutlich mehr Raum zu geben. Es wurde eine Konzeption vorgestellt, welche es ermöglichen soll, einerseits paradoxerweise gerade durch die Einbeziehung von Widersprüchen von Selbst- und Fremdbestimmung eine Ausrichtung am unumstößlichen Recht auf Selbstbestimmung zu stärken und andererseits mittels der Begriffe der defizitbasierten und der willkürlichen Fremdbestimmung diese fassbarer zu machen, ohne auf den zwar wichtigen, aber unbestimmbaren Begriff der unangemessenen Fremdbestimmung zurückgreifen zu müssen.

14.2. Relativierung und Bekräftigung

Es wird keinesfalls davon ausgegangen, dass mit der hier vorgeschlagenen Sichtweise, die in einer praxisnahen Mehr-Thematisierung von Widersprüchen ein gewisses positives Potential verortet, sämtliche Probleme von potentiell unangemessener Fremdbestimmung und von subtilen, schwer fassbaren Formen von Machtmissbrauch gelöst werden können. Es wird im Gegenteil davon ausgegangen, dass auch die hier vorgeschlagene Konzeption sich selbstredend ebenso in Widersprüchen wiederfindet und sich auch in ihr unzählige Fallstricke befinden, die wiederum zu Formen von potentiell unangemessener Fremdbestimmung führen können. Es wird mit einer Portion Optimismus lediglich angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit für diese sinken kann und sich vielbeschworene Haltungen in Richtung Dialog verändern können. Zu betonen ist in dieser Hinsicht auch, dass die vorgeschlagene Betrachtungsweise in der Praxis nie für sich alleine stehen kann, sondern nur in Kombination - vor allem mit Konzeptionen dialogischer Begleitung - ihre bescheidene Wirkung entfalten kann.

Doch trotz aller Relativierungen will die vorliegende Arbeit ein brennendes Plädoyer dafür sein, sich der Frage von Fremdbestimmung in Einrichtungen für Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung aktiv und praxisorientiert zuzuwenden. Dabei erscheint es als zentral, nicht in simplifizierenden Dualismen (Selbstbestimmung: gut, Fremdbestimmung: böse) zu verbleiben, sondern Ambivalenzen und Dilemmata aktiv und praxisbezogen aufzugreifen. Es erscheint als zentral, nicht in individuellen Schuldzuschreibungen in Richtung von BegleiterInnen zu verbleiben, sondern die aktive Auseinandersetzung mit der Frage von potentiell unangemessener, aber dabei größtenteils unbestimmbarer Fremdbestimmung strukturell in Einrichtungen zu verankern.

Die Frage, wie unterschiedlichste fremdbestimmende Handlungsweisen in Einrichtungen denn mit dem Leitgedanken der Selbstbestimmung zu vereinen seien, ist eine, welche im Arbeitsalltag oft in unterschiedlichen Formulierungen von BegleiterInnen an KollegInnen, an Führungskräfte, an Lehrende, an VertreterInnen beratender Stellen in Einrichtungen etc. gestellt wird. Die Arbeit will ein Plädoyer dafür sein, es zu vermeiden, diese Frage lediglich mit der lapidaren Feststellung, dass Selbstbestimmung nun mal auch ihre Grenzen habe und dort umgesetzt werden solle, wo sie möglich ist, zu beantworten. Diese Simplifizierung kann, so die Vermutung, dazu führen, dass für BegleiterInnen von Menschen mit sogenannter schwerer geistiger Behinderung der Begriff der Selbstbestimmung als Bezugsgröße jede Brisanz verliert, ausgehöhlt wird und als zwar oftmals gern genützte, aber letztlich leere, bedeutungslose Worthülse übrig bleibt. Eine Abkehr von solchen Simplifizierungen kann - so die Überzeugung der Autorin - nur in der Hinwendung zum Widersprüchlichen gefunden werden. Diese Hinwendung zum Widersprüchlichen muss nicht gleichbedeutend sein mit einer Verkomplizierung - dies könnte der konsequenten Praxisbezogenheit im Wege stehen. So können - nach Erfahrung der Autorin - Ambivalenzen, welche hier wohl eher komplex dargestellt wurden, um den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Arbeit gerecht zu werden, durchaus auch einfach und praxisnah thematisiert werden. Diese Thematisierung bei konkreten Fragen aus dem Alltag kann zu einer deutlichen Haltungsänderung in Richtung Dialog führen - ohne dabei die abstrakten Worte der vorliegenden Arbeit verwenden zu müssen. Letztlich wissen BegleiterInnen ausgesprochen oder unausgesprochen in den meisten Fällen selbst, dass ihr berufliches Handeln widersprüchlich ist - aber es fehlen die Begriffe, theoretischen Anregungen, facheinschlägig-praxisnahen Diskurse und Thematisierungen in Aus- und Fortbildungen und in den anstellenden Organisationen, um sich produktiv statt destruktiv mit dieser Widersprüchlichkeit auseinanderzusetzen. Doch gerade darin, so das Credo der vorliegenden Arbeit, kann ein Potential dafür liegen, das fragile, löchrige und stets einsturzgefährdete Gebäude der Selbstbestimmung abzustützen. Ob eine Hinwendung zu den Widersprüchen nun ein tragender Balken oder doch nur ein kleiner Seitenpfeiler des fragilen Gebäudes der Selbstbestimmung sein kann - dies sei vorläufig dahingestellt.

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bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 29.05.2013

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