Lebenssituationen von transgeschlechtlichen Menschen mit Behinderung

Biographie von Frau zu Mann und die Problematiken der Trans* Menschen mit Behinderungen

Themenbereiche: Geschlechterdifferenz
Schlagwörter: Identität, Sexualität, Körper
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Erschienen in: Inklusive Leidenschaft. Lesben, Schwule, transgeschlechtliche Menschen mit Behinderung. Dokumentation der Fachtagung am 21. und 22. September 2010 im Konferenzzentrum der Heinrich-Böll-Stiftung. http://www.berlin.de/lb/ads/index.html
Copyright: © Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung 2010

Erklärung zu "Trans*" (mit hochgestelltem Sternchen)

Transsexualität /Transgender /Trans*, transgeschlechtlich - Oberbegriffe für Personen, deren Geschlechtsidentität sich von ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet. In Transgender steckt der englische Begriff "gender" (das soziale Geschlecht). Transsexuelle haben das Gefühl, dass ihr biologisches Geschlecht nicht zu ihrer Identität passt und streben danach, sich auch rechtlich und medizinisch ihrem empfundenen Geschlecht anzunähern. Manche trans- und intergeschlechtlichen Menschen wollen oder können sich nicht eindeutig als Mann oder Frau zuordnen. Die Schreibweise Trans* (mit einem hochgestellten Sternchen) wird als Sammelbegriff verwendet für transsexuelle, transidente, transgender und andere Personen, die sich zwischen den polaren Geschlechtern "männlich" und "weiblich" verorten.

(Eintrag aus dem Glossar S. 161, eingefügt durch bidok)

Lebenssituationen von transgeschlechtlichen Menschen mit Behinderung

Dennis Friedel Heiermann

1965 wurde ich als Mädchen in Heggen (Kreis Olpe) geboren, meine Behinderung (Asthma bronchiale) stellte sich im Jahr 1967 ein. Mein damaliger Name lautete Astrid Lydia Heiermann.

Schon 1972 merkte ich, dass ich immer lieber ein Junge sein wollte. Trotzdem musste ich stets Mädchenkleidung tragen. Beim Friseurgang gab es immer wieder Ärger, weil ich meine Frisur kurz tragen wollte. Ich habe viele verletzende und diskriminierende Erfahrungen, auch in meiner eigenen Familie, gemacht. Mit dem Eintritt ins Schulleben konnte ich mich durchsetzen und durfte maskuline Kleidung tragen. Dazu muss gesagt werden, dass ich aufgrund meiner Behinderung erst 1973 die Schule besuchen konnte.

Nach Beendigung der Schule 1983 begann ich meine Lehre als Verkäufer und später als Handelsfachpacker. In diesem Männerberuf fühlte ich mich in meiner Männerrolle bestätigt. Zu dieser Zeit wurde mir immer wieder deutlich, dass ich mich nicht wie eine Frau kleidete und fühlte. Ich wurde für eine Lesbe gehalten, die sich aber nicht für Frauen, sondern für Männer interessierte. Nach wie vor gefiel es mir in Männergarderobe herum zu laufen. Ich fühlte mich wie ein Mann. Die Männerbeziehungen, die ich hatte, waren meist bisexueller Natur. Ich merkte, mit mir war etwas nicht in Ordnung. Ich entsprach nicht der Norm. Was sollte ich tun? Ich suchte mehrere Psychologen auf. Ich wollte wissen, warum ich so bin, wie ich bin. Ich strebte sogar eine Hypnosebehandlung an, fand aber nicht heraus, was mit mir los war. Von Transsexualität hatte ich bis dato nie etwas gehört.

1999 hatte ich immer wieder kehrende, schmerzhafte Menstruationsblutungen, auch noch nach mehreren Operationen. Ich ließ mir unter dem Vorwand, dass ich die heftigen Blutungen psychisch nicht mehr aushalten kann, die Gebärmutter entfernen. Dies war für mich eine Erleichterung.

Im Jahre 2007 lernte ich endlich eine Frau kennen, die transsexuell war. Im Gespräch mit ihr, in dem ich ihr auch über mein Leben berichtete, stellten wir beide sehr schnell fest, dass auch bei mir eine Transsexualität vorliegen könnte. Ich begann im Internet zu recherchieren, dann kam der Durchbruch. Ich konnte mich mit all dem, was über das Thema Transsexualismus geschrieben stand, identifizieren. Daraufhin begann ich den Weg der Geschlechtsangleichung. Im September 2007 begab ich mich in psychologische Behandlung, im Juni 2008 begann ich die Hormontherapie. Im selben Jahr beantragte ich meine Namens- und Personenstandsänderung. Am 09.10.2009 erhielt ich dann meinen jetzigen Namen, Dennis Friedel.Kurz darauf beantragte ich die geschlechtsangleichende Operation bei der AOK. Der MDK Münster zog die Genehmigung zur Geschlechtsangleichung meiner Ansicht nach extra in die Länge. Es wurde ein zusätzliches Gutachten angefordert, obwohl ich zuvor vor dem Gesetz schon als Mann galt. Erst im August 2009 erhielt ich dann die Genehmigung zur Finanzierung meiner Geschlechtsangleichung.

Diskriminierungen bezüglich meiner Behinderung habe ich zusätzlich erfahren, indem ich stetig genau begründen und bestätigen musste, weshalb für mich trotz einer Behinderung eine geschlechtsangleichende Maßnahme infrage kommt. Bei einem HNO-Arzt wurde außerdem behauptet, dass meine Versicherungskarte noch auf Frau Heiermann ausgestellt sei, und das nur, weil ich mich über die ärztliche Vorgehensweise während der Behandlung bei der Ärztekammer beschwert hatte. Andere Ärzte und auch die AOK bestätigten mir, dass dies auf der Karte nicht zu sehen ist.

Meines Erachtens ist das derzeit geltende Transsexuellengesetz nicht umfassend genug, um die individuellen Problemfelder aller Trans* Menschen zu berücksichtigen. Das Gleichstellungsgesetz, das Grundgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sind zu undeutlich formuliert, oft werden auch hier die Trans* Menschen nicht wirklich berücksichtigt. Deshalb ist hier eine Erneuerung dringend erforderlich. Ich plädiere für eine Reform des Transsexuellengesetzes und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Menschenwürde und Menschenrechte müssen zwingend berücksichtigt und eingehalten werden.

Beschlossene Rechtsprechungen wie etwa vom Europäischen Gerichtshof und dem Bundesgerichtshof werden nicht immer beachtet. Das Menschenrecht und die Menschenwürde schließen auch mit ein, dass zum Beispiel die Diagnosen "Geschlechtsidentitätsstörung" und "Transsexualität" nach der Internationalen Klassifizierung der Krankheiten (International Classification of Diseases) bei der Medizinischen Versorgung entfallen sollten. Denn Trans* Menschen sind nicht - wie oft behauptet oder angenommen wird - psychisch krank. Sie sind vielmehr Menschen, die im falschen Körper geboren wurden. Oftmals werden transgeschlechtliche Menschen von der Gesellschaft und durch die Hürden der zur Behandlung und Geschlechtsangleichung erforderlichen Kriterien diskriminiert und entwürdigt, sodass hieraus erst eine psychische und physische oder psychosomatische Störung erfolgt. Daraus resultierend folgen wiederum viele kostenintensive Behandlungen.

Transgeschlechtliche Menschen, gleich ob mit oder ohne Behinderung, wollen das nicht, sie wollen sich in dem Geschlecht, in dem sie leben wollen, mit allen Rechten und Pflichten in die Gesellschaft integrieren. Ganz nach dem Motto: "Sei Du das Neue, das Du in der Welt zu sehen wünscht." (Mahatma Ghandi).

Dennis Friedel Heiermann

Handicap-Netzwerk und Trans*beauftragter bei

queerhandicap e.V.

Telefon (02331) 923 66 66

redaktion@handicap-netzwerk.de / www.queerhandicap.de

www.handicap-netzwerk.de

Quelle:

Dennis Friedel Heiermann: Lebenssituationen von Transgeschlechtlichen Menschen mit Behinderung. Biographie von Frau zu Mann und die Problematiken der Trans* Menschen mit Behinderungen.

Erschienen in: Inklusive Leidenschaft. Lesben, Schwule, transgeschlechtliche Menschen mit Behinderung.

Original: http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb_ads/gglw/veroeffentlichungen/doku25_bf_inklusive_leidenschaft.pdf?download.html

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 08.05.2012

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