SPIEL RAUM MUSIK auf Schloß Goldegg

Autor:in - Stefan Heidweiler
Themenbereiche: Kultur
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Erschienen in: Universität für Musik und Darstellende Kunst „Mozarteum“ (Hg.): Orff-Schulwerk-Informationen 62/1999, S. 41ff. Verfügbar unter:http://www.orff-schulwerk-forum-salzburg.org/deutsch/orff_schulwerk_informationen/pdf/Heft_Nr_62.pdf
Copyright: © Stefan Heidweiler 1999

Vorwort

"Spiel Raum Musik auf Schloss Goldegg" beschreibt die Idee und Realisation eines innovativen und integrativen Musikprojektes im Salzburger Land.

Es wurde 1996-1999 von Stefan Heidweiler und bis zum Jahr 2002 von Brigitte Flucher und Thomas Stephanides unter Beteiligung regionaler Einrichtungen (Lebenshilfe Salzburger Land, Vinzenz-Heim Schloss Schernberg, LAUBE St.Johann) jährlich einmal durchgeführt. Nach einer längeren Pause wurde die Idee im Mai 2014 von Maria Schwaighofer, Shirley Salmon und Coloman Callos - erstmalig auch als Lehrveranstaltung der Universität Mozarteum Salzburg/Orff-Institut - neu aufgegriffen.

SPIEL RAUM MUSIK auf Schloß Goldegg

Musikalisches Arbeiten mit geistig behinderten Menschen kann im Land Salzburg auf eine lange und reiche Tradition zurückblicken. Seit Wilhelm Kellers ersten lehrpraktischen Versuchen in den 60er Jahren und der Gründung des »Instituts für Musikalische Sozial- und Heilpädagogik« am Orff-Institut arbeiteten viele Absolventen des Orff-Institutes - in der Regel im Angestelltenverhältnis als Musiktherapeuten - mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bei der Lebenshilfe Salzburg. Die Aufgabengebiete sind viel fältig und reichen von der heilpädagogisch-therapeutischen Einzel- und Gruppenarbeit über Mitarbeiterfortbildungen bis hin zu fächerübergreifenden Projekten wie der Gestaltung von Festen oder der Erarbeitung eines Musiktheaters.

Als ich im Jahre 1995 meine Arbeit bei der Lebenshilfe Salzburg aufnahm, interessierten mich vor allem zwei Bereiche:

  • Musiktherapie mit geistig behinderten Erwachsenen (die sich in jüngster Zeit zunehmend mehr an psychotherapeutischen Konzepten orientiert) und

  • künstlerische Projekte (die ihrem Wesen nach eher dem pädagogischen Bereich zuzuordnen sind).

Angeregt durch den Besuch von provozierend frei spielenden (Jazz-)Musikern, die sich für meine Arbeit interessierten, entstand eines Tages die Idee, den Königsweg der Musiktherapie - die freie Improvisation - als Kernelement der musikalischen Begegnung in einer Werkwoche auch künstlerisch zu thematisieren. Durch eine glückliche Fügung stieß ich im Kultur- und Seminarzentrum Schloß Goldegg im Pongau auf positive Resonanz, so daß im April 1996 die Idee eines integrativen Musikprojektes hier realisiert werden konnte.

Beim Musizieren

Die Zielgruppe der Teilnehmer waren Menschen mit Behinderungen, die sich im Rahmen der Musiktherapie als »musikalische Persönlichkeiten« zeigten ; einige spielen seit vielen Jahren ihr Instrument, andere gehen sehr sensibel mit Klängen um, sind »ganz Ohr« oder besitzen eine lustbetonte musikalische Expressivität, die auch sehr virtuos sein kann. Die zwangsläufige »Auswahl« der Teilnehmer richtete sich einerseits an der sozialen Kompetenz des einzelnen, an diesem Projekt überhaupt teilnehmen zu können, und war andererseits der Versuch, ganz verschiedene Facetten von Musikalität zu zeigen. Fast alle besaßen musikalische Vorerfahrungen und waren sowohl mit elementaren Instrumenten sowie mit der Musikimprovisation als Ausdrucks- und Kommunikationsmedium mehr oder weniger vertraut.

Neben der 15köpfigen Gruppe der Lebenshilfe-Musikanten, die zu vorab vereinbarten Zeiten in Kleingruppen ins Schloß geladen waren, befand sich dort während der ganzen Woche eine Gruppe von sechs Berufsmusikern, z. T. auch ehemalige Studenten des Orff-Instituts. Es erschien ratsam, Spezialisten verschiedener Instrumente für die schöpferische Arbeit einzuladen. Da im Vorfeld der Projektplanung auch eine öffentlich zugängliche Abschlußveranstaltung (Konzert-performance) vorgesehen war, erschien es mir hier wichtig (und dieser Gedanke erwies sich als richtig), vorwiegend solche Künstler für die Mitarbeit zu gewinnen, die sowohl pädagogische Praxis als auch viel faltige Bühnen- bzw. Konzerterfahrung besaßen. Vorerfahrungen im Kontakt mit behinderten Menschen waren dagegen nicht erforderlich.

Die arbeitsreiche Woche im stimmungsvollen Ambiente des mittelalterlichen Schlosses war geprägt vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch aller Teilnehmer. Die Verfügbarkeit von mehreren Räumen ermöglichte ein flexibles Arbeiten in unterschiedlichsten Ensembles und gab darüber hinaus auch Gelegenheit zur Vertiefung technischer Fertigkeiten einzelner Teilnehmer an ihrem gewählten Hauptinstrument. Bezeichnend ist die Aussage einer Musikerin, sie sei verblüfft gewesen zu beobachten, daß sich im gemeinsamen Spiel Behinderungen auflösen können: »Manchmal hatte ich das Gefühl, diese Leute haben uns etwas voraus, und wir sind eigentlich die Behinderten, die es immer wieder lernen müssen, daß Musik zum Leben gehört; nicht als Zugabe, sondern als Teil des Lebens selbst.«

Beim Singen

Und so entstanden in der musikalischen Begegnung während der Werkwoche aus kleinen musikalischen Fragmenten und Ideen Vorlieben für spezielle Instrumente und Musikstile oder der Faszination an überakustischen Räumen - z. B. dem Stiegenhaus – zahlreiche Stücke, die im öffentlich zugänglichen Schlußkonzert an mehreren Orten im Schloß zu sehen und zu hören waren. Die Gestaltungsergebnisse in unterschiedlichsten Besetzungen reichten von Klangexperimenten auf selbstgebauten Instrumenten über türkische Folklore und klassische Musik bis hin zu selbsterfundenen Balladen, bodenständigen Ländlern und jazzigem Kammer-Punk.

Das bunt gemischte Publikum - darunter auch Wilhelm Keller - begrüßte den fast zweistündigen Einblick in die musikalische Werkstatt herzlich und enthusiastisch.

Seither fand dank der engagierten Unterstützung seitens des Kulturvereins Schloß Goldegg und der Lebenshilfe Schwarzach SPIEL RAUM MUSIK in den folgenden Jahren seine Fortsetzung. Auch wenn es gelegentlich Wiederholungen gab - und das nicht allein bei finanziellen und organisatorischen Hürden -, zeigte sich im Laufe der Jahre eine Entwicklung, die hoffnungsvoll in die Zukunft blicken läßt: Das soziale Netzwerk hat sich erweitert, das Interesse seitens experimentell arbeitender Musiker an der Projektidee ist nach wie vor sehr groß, und neue Einrichtungen nehmen das Angebot einer musikalischen Werkwoche dankbar an.

So wie die Spinne ihr Netz kontinuierlich verändert, möge das Finden und Erfinden weiterhin im Mittelpunkt von SPIEL RAUM MUSIK stehen. Nicht die Reproduktion der Vergangenheit, sondern das Schöpferische selbst, das eigene Hervorbringen, in der eigenen Sprache, in Klängen, Tönen (und auf eigenen Instrumenten) ist in dieser Arbeit sinnvoll und zielführend, um das ahnungsvoll Erfaßte in kunstvolle Gestalt und geformten Ausdruck zu überführen.

Eine Videodokumentation dieses Workshops wird in Kürze fertiggestellt und ist über Coloman Kalla s, A-5221 Lochen, Tannberg 16, Tel. 062 10/8 485, erhältlich.

Mag. art. Stefan Heidweiler

beendete ein Magister-Studium am Orff-Institut 1994. Er war mehrere Jahre als Musiktherapeut bei der Lebenshilfe in Salzburg tätig und leitete zahlreiche integrative Projekte. Lebt z. Z. als Musiktherapeut DBVMT in Süddeutschland.

Summary

Play Room Music

Since 1996the Cultural Committee of Schloss Goldegg in cooperation with "Lebenshilfe" Salzburg has presented annually a one week music workshop for handicapped people and professional musicians called: Play Room Music ... (also a play on words: meaning latitude or elbow-room for music).

The main features of the project are creative musical encounters within an integrated group. Music is played on traditional, elementary and self made instruments. Stales reachbfrom "sound" pieces worked out together; to classical and folk music, to "Chamber Punk" (Kammer-Punk).

A concert open to the public at the end of the week permits a look into the workshop. Play Room Music is not music therapy but is to be understood as an extension of it and as a pedagogical initiative in the area of further cultural education for people with and without handicaps.

Stefan Heidweiler

received his Magister Artium in Music and Dance Pedagogy at the Orff - Institute in 1994. He has been active for many years as a music therapist in organization for the handicapped in Austria and a therapist in the German "Berufsverband "for music therapy.

Quelle

Stefan Heidweiler: SPIEL RAUM MUSIK auf Schloß Goldegg. Erschienen in: Universität für Musik und Darstellende Kunst „Mozarteum“ (Hg.): Orff-Schulwerk-Informationen 62/1999, S. 41ff. Verfügbar unter: http://www.orff-schulwerk-forum-salzburg.org/deutsch/orff_schulwerk_informationen/pdf/Heft_Nr_62.pdf

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 13.01.2015

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