Landesprojekt zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit autistischen Störungen

beim Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Materialien zur Information

Themenbereiche: Schule
Textsorte: Bericht
Copyright: © Anette Hausotter, Bernd Maaß, 2000

Schulische Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit autistischen Störungen in Schleswig - Holstein

Die Charta für Menschen mit Autismus von 1992 beschreibt die Rechte dieser Menschen.

Es herrscht allgemeine Übereinstimmung darüber, dass Menschen mit Autismus und anderen Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen ein Recht auf Bildung und Ausbildung haben.

Die Forschung der letzten Jahre hat eine Vielzahl von Therapieansätzen aufgezeigt, die dazu beitragen, die Lebensqualität autistischer Menschen und ihrer Familien erheblich zu verbessern. Neben therapeutischer Betreuung muss einer gezielten Lernförderung besondere Bedeutung beigemessen werden. Lernen und Ausbildung sind Voraussetzungen für viele andere Lebensbereiche wie z.B. Freizeitbeschäftigung, Vermittlung von Arbeitsplätzen, Haushaltsführung, Autonomie und letztlich auch die Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben.

Die Ausprägung und die Intensität des autistischen Verhaltens sind bei Kindern und Jugendlichen unterschiedlich. Es werden dafür vielfältige, insbesondere neurologische Ursachen angenommen. Insgesamt gilt, dass autistisches Verhalten in seinem jeweiligen Erscheinungsbild nicht unveränderbar, sondern durch Erziehung, Unterricht, Förderung und Therapie langfristig beeinflussbar ist.

Für Kinder und Jugendliche mit autistischem Verhalten gibt es keine eigene Schulart bzw. kein schulrechtlich verankertes Bildungsangebot. Sie werden in der Regel in Heimschulen, Psychiatrien oder Sonderschulen betreut. In einigen Bundesländern haben sich Einrichtungen oder Klassen mit Modellcharakter entwickelt.

In Schleswig - Holstein hat sich seit 1985 die gemeinsame Beschulung behinderter und nichtbehinderter Schülerinnen und Schüler zunehmend etabliert.

Seit Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes im August 1990 ist der gemeinsame Unterricht

behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher rechtlich verankert (§ 5. 2 SchuG ). Dieser Paragraph wurde als "Generalklausel" formuliert, d.h. er gilt für alle Schularten und schließt keine "Behinderungsart" aus. Dies trifft auch auf Kinder und Jugendliche mit autistischen Verhaltensweisen zu.

Seit dem 1. 2. 1993 ist die Ordnung für Sonderpädagogik - OSP - in Kraft getreten (Landesverordnung über Unterricht und Erziehung von Schülerinnen und Schülern sowie Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Grundschulen, weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Sonderschulen). Der Begriff der Sonderschulbedürftigkeit entfällt, da dieser an den Beschulungsort der Sonderschule gebunden ist. Die OSP spricht von sonderpädagogischem Förderbedarf, der in verschiedenen Formen des pädagogischen Angebots eingelöst werden kann. Im laufenden Schuljahr werden über 25% aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in integrativen Maßnahmen der Regelschule unterrichtet.

Im Rahmen dieser Entwicklung werden auch zunehmend Schülerinnen und Schüler mit autisti-schem Syndrom integrativ beschult.

Zur Zeit werden 36 Kinder und Jugendliche betreut. (Vorschulisch: 6, Grundschule: 14, Hauptschule: 7, Realschule: 2, Integrierte Gesamtschule: 1, Gymnasium 2, Berufliche Bildung: 4 Schülerinnen und Schüler.

Es gibt in unserem Bundesland keinen speziellen Ausbildungsgang für die Förderung autistischer Schülerinnen und Schüler. Lehrkräfte aller Schularten haben somit eine schwere Aufgabe zu bewältigen. Da es weder die spezielle Therapie gibt, greift auch nicht die spezielle Unterrichtskonzeption. Autistisch behinderte Schülerinnen und Schüler haben einen individuellen Förderbedarf. Gemeinsam zeigen sie die Schwierigkeit, sich in den schulischen Alltag mit all seinen Strukturen und Regeln einzufügen.

Der Beratungs- und Unterstützungsbedarf an den Schulen ist groß. Bislang wurde die B I S (Beratungsstelle für Integration in der Schule) von Schulen und Lehrkräften in Anspruch genommen. Die Beratungsstelle wurde 1990 mit Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur (MBWFK) eingerichtet. Seit Mai 1997 ist die BIS dem Landesseminar für Sonderpädagogik (IPTS - Landesinstitut Schleswig-Holstein für Theorie und Praxis der Schule) zugeordnet.

Seit Schuljahresbeginn 95/96 hat das MBWFK das Landesprojekt "Autismus" eingerichtet. Der Schwerpunkt des Landesprojekts liegt in der Unterstützung der allgemeinbildenden Schulen des Landes Schleswig-Holsteins. Einen zentralen Aspekt bildet die Zusammenarbeit mit schulischen und außerschulischen Einrichtungen und involvierten Personen.

  • Schulisch: Lehrkräfte und Eltern, unterstützendes Personal, Schulleitung, untere und obere Schulaufsicht , Landesinstitut für Sonderpädagogik u.a.

  • Außerschulisch: Sozialhilfeträger, vorschulische Einrichtungen, Frühförderung, Wohlfahrtsverbände, therapeutische/ medizinische Einrichtungen, Elternverbände, Universität, Fachhochschule, Werkstätten für Behinderte, Berufsbildungswerke u.a.

Die Arbeitsschwerpunkte sind u.a.:

  • Schulische Unterstützung durch förderdiagnostische Beratung

(Fallbezogene schulische Beratung, Analyse und Bewertung des schulischen Förderbedarfs, In-Service-Training von Klassenteams, Beiträge zur Gestaltung von schulischen Übergängen...)

  • Schullaufbahnberatung

- Sonderpädagogische Stellungnahmen

- Beratung und Entscheidungshilfe für Schule, Eltern, Schulaufsicht, Ämter, Schulträger Wohlfahrtsverbände,

- Unterstützung und Beratung beim Übergang von Schule in die berufliche Bildung

  • Netzwerkarbeit

- Erfassen von Schülerinnen und Schülern mit autistischem Syndrom in allgemeinbildenden Schulen

- Austausch und Kooperation mit allen im Bereich Autismus beteiligten Institutionen und Personen

  • Durchführung von Informationsveranstaltungen

(z.B. Schulinterne Lehrerfortbildungen, Konferenzen, Gesprächskreise ...)

Mittlerweile hat sich das Landesprojekt zu einem tragfähigen schulischen Unterstützungssystem für autistisch behinderte Kinder und Jugendliche in der Regelschule entwickelt. Neben der Zusammenarbeit mit schulischen Einrichtungen, hat sich die interdisziplinäre Kooperation mit außerschulischen Institutionen (Ämter, Wohlfahrtsverbänden, therapeutischen/ medizinischen Einrichtungen ) ausgeweitet und in diesem Bezug bewährt.

Durch die schulbezogenen Aktivitäten des Landesprojekts "Autismus" und die diagnostisch - therapeutischen Angebote des R V Schleswig - Holstein, des Hamburger Autismusinstituts sowie anderer therapeutischer Einrichtungen hat sich zunehmend ein flächendeckendes Unterstützungsangebot für diese Schülergruppe entwickelt.

Ansprechpartner: Anette Hausotter (Koordination)

Charta für autistische Menschen

Die Deklarationen der Vereinten Nationen zu den Rechten geistig behinderter Menschen (1971) und den Rechten behinderter Menschen (1975) und andere in diesem Zusammenhang bedeutsame Deklarationen zu den Menschenrechten sollten berücksichtigt werden, und in Bezug auf autistische Menschen sollte insbesondere folgendes eingeschlossen sein:

  1. Das Recht autistischer Menschen auf ein unabhängiges Leben und auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

  2. Das Recht autistischer Menschen auf den Zugang zu einer unvoreingenommenen, genauen klinischen Diagnose und Beurteilung.

  3. Das Recht autistischer Menschen auf das Angebot und den Zugang zu einer angemessenen pädagogischen Betreuung.

  4. Das Recht autistischer Menschen (und ihrer Vertreter) auf Einbeziehung in alle Entscheidungen, die ihre Zukunft betreffen; die Wünsche des einzelnen müssen soweit wie möglich erkannt und respektiert werden.

  5. Das Recht autistischer Menschen auf ein ausreichendes Angebot angemessener Wohnmöglichkeiten.

  6. Das Recht autistischer Menschen auf die Ausstattung, die Hilfe und die unterstützenden Dienste, die sie benötigen, um ein vollkommen erfülltes Leben in Würde und Unabhängigkeit führen zu können.

  7. Das Recht autistischer Menschen auf ein Einkommen oder eine Entlohnung, die ausreicht, eine angemessene Verpflegung, Kleidung und Unterbringung und andere notwendige Dinge des Lebens zu finanzieren.

  8. Das Recht autistischer Menschen auf möglichst weitgehende Mitwirkung bei der Entwicklung und Organisation der Dienste, die zu ihrem Wohlbefinden beitragen sollen.

  9. Das Recht autistischer Menschen auf angemessene Beratung und Sorge für ihre körperliche, geistige und seelische Gesundheit; dies schließt das Angebot einer angemessenen Behandlung und eine verantwortungsbewusste medikamentöse Versorgung zum Besten des unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen ein

  10. Das Recht autistischer Menschen auf eine sinnvolle Beschäftigung und eine Berufsausbildung ohne Benachteiligung oder Vorurteil; Ausbildung und Berufstätigkeit sollten sich an den Fähigkeiten und Neigungen des einzelnen orientieren.

  11. Das Recht autistischer Menschen auf Zugang zu allen Transportmöglichkeiten und auf Bewegungsfreiheit.

  12. Das Recht autistischer Menschen auf Teilnahme und Freude an kulturellen Angeboten, Unterhaltung, Erholung und Sport.

  13. Das Recht autistischer Menschen auf einen gleichberechtigten Zugang zu und eine gleichberechtigte Nutzung von allen Angeboten, Dienstleistungen und anderen Aktivitäten, die der Gemeinschaft zur Verfügung stehen.

  14. Das Recht autistischer Menschen auf Beziehungen - auch sexueller Art -, in denen sie weder ausgebeutet werden noch ihnen Gewalt angetan wird; zu diesem Recht gehört auch das Recht auf Eheschließung.

  15. Das Recht autistischer Menschen (oder ihrer Vertreter) auf juristische Vertretung und Unterstützung und auf einen umfassenden gesetzlichen Schutz.

  16. Das Recht autistischer Menschen, auf ein Leben in Freiheit ohne Furcht und ohne Bedrohung durch eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik oder eine andere geschlossene Anstalt.

  17. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne körperliche Mißhandlungen und Vernachlässigung.

  18. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne mißbräuchlichen Einsatz von Medikamenten.

  19. Das Recht autistischer Menschen (und ihrer Vertreter) auf Zugriff zu allen medizinischen, psychologischen - psychiatrischen oder pädagogischen Berichten, die persönliche Daten über sie enthalten."[1]



[1] Europäischer Autismus-Kongress, Den Haag 1992

Autistische Kinder und Jugendliche - ein kurzer Einblick in die Problematik (Bernd Maaß)

Autismus ist durch eine tiefgreifende Entwicklungsstörung gekennzeichnet. Im Zentrum des autistischen Syndroms steht eine schwere Beziehungs- und Kommunikationsstörung, zu der zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten hinzukommen, die den Umgang mit diesen Kindern für die Eltern aber auch für die Lehrkräfte in der schulischen Situation belastend und problematisch gestalten können.

Kennzeichnend für die autistische Störung ist

  • die qualitative Beeinträchtigungen der zwischenmenschlichen Beziehungen,

  • die Beeinträchtigung der Kommunikation und Phantasie (ca. 50% lernen niemals sprechen),

  • ein eingeschränktes Repertoire von Aktivitäten und Interessen (z.B. zwanghaftes Bestehen auf Gleicherhaltung der Umwelt, Reaktionen von Panik, Angst oder Aggressionen bei Veränderungen, vielfältige stereotype Verhaltensweisen, die sich durch wiederholende Bewegungen, Haltungen oder Äußerungen kennzeichnen).

In der Regel manifestieren sich autistische Verhaltensweisen vor Vollendung des 3. Lebensjahres.

Obwohl das autistische Syndrom nicht zwangsläufig eine geistige Beeinträchtigung nach sich zieht, weisen 70 - 80% der Betroffenen intellektuelle Minderbegabungen unterschiedlichen Ausmaßes auf.

Vom Erscheinungsbild her wurden autistische Störungen bislang nach zwei Arten unterschieden:

Der frühkindliche Autismus (Kanner-Syndrom)

In seiner Ausprägung entspricht er den oben beschriebenen Kriterien.

Die autistische Persönlichkeitsstörung (Asperger-Syndrom)

Sie ist u.a. gekennzeichnet durch eine normale Sprachentwicklung bei Störungen der kommunikativen Funktion, eine durchschnittliche Intelligenz, eher statische Wesenszüge, eine auffallende Diskrepanz zwischen intellektuellen und emotionalen Bereichen der Persönlichkeit. Die Betroffenen nehmen scheinbar kaum Notiz von ihrer Umwelt und haben z.T. hochspezialisierte Sonderinteressen (Auswendiglernen eines Fahrplans, fotografisches Zeichnen o.ä.); häufig gekoppelt mit emotionaler Distanz und motorischer Ungeschicklichkeit.

Das Auftreten der spezifischen Verhaltensweisen ist nicht an eine bestimmte Altersstufe gebunden. Vielfach werden diese erst nach dem 3. Lebensjahr mit dem Kindergartenbesuch oder Schuleintritt deutlich, wenn das neue Umfeld die Anerkennung sozialer Regeln verlangt.

Sich selbst beschreiben Menschen mit autistischem Syndrom häufig als "Gefangene des eigenen Ichs"; ein Status, den sie häufig nicht beeinflussen können; ihre kognitiven Fähigkeiten "kollidieren" mit ihrem Verhalten.

Nach dem heutigen Forschungsstand erfolgt die Diagnose Autismus auf der Basis von Verhaltensbeobachtungen. Möglicherweise zugrundeliegende Ursachen, die sich aus den Anamnesen sowie biologischen, medizinischen und psychologischen Untersuchungen ergaben, haben bisher noch zu keinem eindeutigen Erklärungsmodell geführt. Allgemein akzeptiert scheint derzeit die Annahme zu sein, dass immer eine zentrale Störung der Wahrnehmungs- bzw. der Informationsverarbeitung vorliegt. Umwelteinflüsse haben für den Verlauf einer individuellen Persönlichkeitsentwicklung eine grundlegende Bedeutung wie z.B. die Familie und das Umfeld des Kindes, das Bereitstellen von angemessenen Rahmenbedingungen und ein kontinuierlicher Erfahrungs- und Informationsaustausch aller am Förderprozess Beteiligten.

Grundsätzlich ist autistisches Verhalten nur schwer diagnostizierbar. Der besondere Förderbedarf wird daher im Rahmen einer interdisziplinären Diagnostik vermittelt. Die Diagnose beruht auf freier und gebundener Verhaltensbeobachtung, auf fachärztlicher Anamnese und Exploration, bei denen alle am Erziehungsprozess Beteiligten einbezogen werden.

Woran Sie Autismus erkennen können:

meidet Blickkontakt

spielt nicht mit anderen

zeigt keine Angst vor Gefahr

wirkt wie taub

Gleichbleibende

Beschäftigung mit Gegenständen

hat Schwierigkeiten bei

Veränderung (z.B. Nahrung)

Merkmalsliste zur Erkennung autistischer Kinder

A Wahrnehmung

1. Ungewöhnliche Reaktionen auf Laute/Geräusche (z. B. Nichtreagieren auf sehr laute Töne, Sprache; Faszination durch Raschel-, Rauschtöne etc.; unerklärliche Angstreaktionen, überschießende Reaktionen auf bestimmte Laute).

2.Für das jeweilige Kind typische Bevorzugung spezifischer Geräusche (z.B. Wasser-rauschen; Haushaltsmaschinen; Motorgeräusche; Scheppern; Klopftöne; Musik).

3. Für das jeweilige Kind typische Bevorzugung spezifischer optischer Reize (z. B. Nichtreagieren auf Gesten, auffällige Reize; Faszination durch Glitzern, Flimmern, Reflexe, gleichmäßige Objektbewegungen, Drehbewegungen runder Gegenstände, Blättern in Büchern, Puzzle, verschiedene Muster).

4. Für das jeweilige Kind typische Bevorzugung spezifischer taktiler Reize (z.B. Kratzen, Schaben auf bestimmten Oberflächen).

5. Vermeiden des Blickkontakts (Augenschließen, Vorbeisehen bei Ausrichtung des Gesichts auf Personen, Gegenstände; kein Fixieren; schweifender Blick; Tendenz, nur kurze Blicke auf Personen/Dinge zu wenden).

6. Paradoxe Reaktionen auf Sinnesreize (z. B. Augen bedecken bei Geräuschen, Ohren zuhalten bei Lichtreizen).

7. Intensives Beobachten stereotyper Bewegungen der eigenen Hände, Finger oder bevorzugter Gegenstände (z. B. Kabel, Bänder, Fäden, Lappen).

8. Bevorzugung des Geruchssinns (z. B. Schnüffeln an Personen/Dingen), des Geschmackssinns (z.B. Ab-, Anlecken von Gegenständen) gegenüber Gesichts-/ Gehörsinn.

9. Eindruck der Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz-, Kälte-, Hitze- und unangenehmen Geschmacksreizen.

10. Ungewöhnliche oder sprunghaft wechselnde Reaktionen auf Berührungen (z. B. Ablehnen sanfter Berührungen, Umarmungen, Küsse; Bevorzugung heftiger, manchmal schmerzhafter Reize).

11. Neigung, sich selbst Schmerzen zuzufügen (z. B. Kopf gegen harte Gegenstände schlagen, in Augen/Ohren bohren, Wunden aufkratzen).

B Sprache

12. Kein Sprechen, statt dessen Ziehen, Reißen des Kommunikationspartners bei Willensäußerung (auch: fehlendes Sprachverständnis).

13. Ein-Wort-Äußerungen statt Satz-, Textäußerungen.

14. Vorwiegender Gebrauch von Haupt-, Tätigkeitswörtern (Schwierigkeiten bei Benutzung von Für-, Verhältnis-, Bindewörtern): konkretistischer Sprachgebrauch.

15. Wörtliche Wiederholung von Fragen oder Äußerungen des Kommunikationspartners.

16. Sprachliche Äußerungen häufig nicht der Situation angemessen. Ständiges Wiederholen bestimmter Redewendungen, Verbote, Sätze, Liedtexte (bei höherem Niveau).

17. Wenig oder kein kommunikatives Sprechen (bei höherem Sprachniveau).

18. Bizarre Äußerungen, floskelhafte Sprache, Wortspiele, Wortverdrehungen, skurrile Neuschöpfungen, Schimpfen (bei höherem Sprachniveau).

19. Fehlende oder das Sprechen nicht unterstützende Gestik, Mimik (bei höherem Sprachniveau).

20. Auffälliges Sprechen (hohes, leises, sehr gleichartiges, schnelles verwaschenes singendes Sprechen).

21. Insgesamt größeres Sprachverständnis als aktive Sprachkompetenz.

22. Bedeutungs-/Informationsentnahme aus der Situation, in der gesprochenen wird (weniger aus der Sprache selbst).

23. Bedeutungsentnahme (Sinn) beim Verständnis von Sprachäußerungen vorwiegend über Haupt-/Tätigkeitsworte (Schwierigkeiten im Verständnis von Für-, Verhältnis-, Frage-, Bindewörtern): konkretistisches Sprachverständnis.

24. Schwierigkeiten, Informationen/Bedeutung aus Gesten, Mimik, Betonung zu nehmen.

C Motorische Kontrolle und autonome Funktionen

25. Stereotype, häufig ungewöhnliche Kopf-, Körper-, Arm-, Hand-, Finger-, Beinbewegungen - noch intensiver bei Erregung (Schaukeln, Hüpfen, Wedeln, Verdrehen von Gliedern, Zehengang etc.). Tendenz, maschinenhaft zu erscheinen.

26. Zwanghaftes Festhalten an bestimmten gleichartigen Handlungen (Rituale); starkes Erregung, wenn diese unterbrochen werden.

27. Sehr hohes Erregungsniveau (exzessive Motorik, Stereotypien) oder sehr geringes Erregungsniveau (geringe Motorik, Apathie).

28. Unregelmäßige Schlafmuster (zu spätes Einschlafen, zu frühes Aufwachen, nächtelanges Wachsein).

29. Auffälliges Ess-/Trinkverhalten (absolute Bevorzugung bzw. Ablehnung bestimmter Speisen/Getränke; nicht kauen; schlingen, spucken).

30. Scheinbar fehlende Furcht vor wirklicher Gefahr bei gleichzeitiger großer Angst in ungefährlichen Situationen.

D Sozial-/Spielverhalten

31. Indifferentes Verhalten bei Anwesenheit von Personen (als wenn sie nicht da wären).

32. Ablehnung von Körperkontakt oder Bevorzugung bestimmter Berührungen (wollen alleingelassen werden).

33. Kein Verständnis für die Gefühle anderer (paradoxe Reaktionen auf Gefühlsäußerungen).

34. Fehlende oder eingeschränkte Möglichkeiten, eigene Gefühle auszudrücken ("maskenhaft", starr, bizarr).

35. Unfähigkeit, mit Personen oder Gegenständen "normal" zu spielen und an Rollenspielen teilzunehmen.

36. Schwierigkeiten oder Unfähigkeit, Handlungen von Personen zu imitieren.

37. Stereotyper Umgang mit Gegenständen, Spielmaterial; Tendenz, unwichtigen Details die Aufmerksamkeit zuzuwenden, ohne die Bedeutung oder Funktion zu erkennen.

38. Mangel an Motivation, etwas Neues zu erkunden oder zu tun. Statt dessen Verharren in stereotypen Abläufen oder Untätigkeit.

E Spezielle Fertigkeiten (kontrastierend zu den Verhaltensdefiziten auf anderen Gebieten)

39. Fertigkeiten, die nicht mit sprachlichen Fähigkeiten zusammenhängen (z. B. musikalische Fähigkeiten, Rechnen, Auseinandernehmen und Verbinden von mechanischen Teilen, elektrischen Gegenständen, zusammensetzbarem Spielzeug).

40. Eine ungewöhnliche Gedächtnisform, die eine verlängerte Speicherung von Einzelheiten in der exakten Form, in der sie zuerst aufgenommen wurden, zu erlauben scheint (z.B. Sätze oder Teile von Unterhaltungen, Gedichte, Tabellen, Musikpassagen, den Weg zu einem bestimmten Ort, das Arrangement von Gegenständen, die einzelnen Stufen, die bei einer Routinehandlung befolgt werden müssen, ein kompliziertes visuelles Muster).

(aus: Informationsbroschüre des Vereins "Hilfe für das autistische Kind e.V.", RV Schleswig - Holstein)

Schwerpunkte für die schulische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit autistischen Störungen

Bei Schülerinnen und Schülern mit autistischem Verhalten ist in der Regel ein besonderer pädagogischer Förderbedarf vorhanden. Sie verfügen über eigene Entwicklungs- und Lernvoraussetzungen, so dass sie im Unterricht ohne besondere pädagogische Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können. Lernziele und Lerninhalte, Methoden und Lernstrukturen sollten deshalb dem besonderen Förderbedarf entsprechend angepasst oder eigens bestimmt werden. Es ist zu beachten, dass diese Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise auf Zuwendung und Vertrauen bei der Förderung angewiesen sind und behutsam mit neuen Lernsituationen konfrontiert werden sollten. Das setzt voraus, dass sich Lehrkräfte mit dem Phänomen Autismus auseinandersetzen, um es für sich und andere einfühlbar und verstehbar zu machen. Für die Mitschülerinnen und Mitschüler sollten sie Wege aufzeigen, um positives Verhalten im Sinne von Toleranz und Akzeptanz aufbauen und festigen zu können. Eine Bezugsperson, die das Kind bzw. den Jugendlichen mit autistischen Störungen in seinen individuellen Ausdrucksformen annehmen und verstehen kann, ist wünschenswert.

Schulische Förderangebote sollten folgende Aspekte berücksichtigen:

Förderung der sensorischen Wahrnehmung und ihrer Verarbeitung

Förderung der Körperwahrnehmung und der Wahrnehmung des Körperschemas sowie der Vorstellung vom eigenen Körper im Raum

Förderung der Grob- und Feinmotorik

Aufbau und Gestaltung des sprachlichen Handelns, gegebenenfalls manueller Kommunikation

Aufbau von Verständnis für Mimik und Gestik und deren Gebrauch

Entwicklung von sozial-emotionaler Beziehungsfähigkeit, vor allem durch Aufbau von sozialem Handeln sowie Abbau von unangemessenem Kontaktverhalten

Entwicklung der Imitationsfähigkeit und das Beachten gemeinschaftsbezogener Regeln

Förderung der Anpassung in sozialen Situationen und der Selbstständigkeit

Förderung von Interessen und Neigungen, von spontaner Freude und Erfolgserleben

Entwicklung von Handlungsfähigkeit durch Abbau von Ruhelosigkeit und gesteigertem Bewegungsdrang sowie durch Aufbau von Konzentration und Ausdauer

Abbau von Angstreaktionen und Angstzuständen sowie Entwicklung von Fähigkeiten beim Erkennen realer Gefahren

Abbau von Stereotypien und starrem Festhalten an nichtfunktionalen Gewohnheiten sowie an Ritualen und Beschäftigungen, Verminderung von selbstverletzendem Verhalten.

Voraussetzungen für die Unterstützung und Beratung durch das Landesprojekt zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit autistischen Störungen

Unterstützung kann von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Therapeutinnen undTherapeuten sowie sonstigen am Entwicklungsprozess beteiligten Personen in Anspruch genommen werden, wenn bei einem Schüler oder einer Schülerin

  1. ein autistisches Syndrom diagnostiziert oder

  2. der Verdacht auf ein autistisches Syndrom geäußert worden ist (z.B. in einem sonderpädagogischen Gutachten).

zu 1.:

Die Diagnose sollte von einer auf dem Gebiet "Autismus" fachlich kompetenten und anerkannten Institution erstellt werden.

In Schleswig-Holstein gehören dazu

  • die Kinder- und Jugendpsychiatrie Schlewig-Hesterberg

  • die Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik Kiel

  • die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Lübeck

  • - die Ambulanz- und Beratungsstelle des Vereins "Hilfe für das autistische Kind e.V." in Kiel

  • das Kinderzentrum Pelzerhaken.

Im angrenzenden Bundesland Hamburg sind u.a. das "Hamburger Autismus-Institut" und das "Werner-Otto-Institut" zu nennen.

zu 2.:

Beim Vorliegen eines begründeten Verdachts bietet das Landesprojekt Unterstützung und Beratung an (z.B. Unterrichtsbeobachtungen und -beratungen, Aufzeigen von Verfahrenswegen).

Eine anerkannte Diagnose bietet die Grundlage für Leistungen

  • nach dem Schwerbehindertengesetz (§ 48 SchwbG), z.B.

- Schwerbehindertenausweis

- Nachteilsausgleich

  • nach dem Pflegeversicherungsgesetz, z.B.

- Pflegegeld

  • nach dem Bundessozialhilfegesetz (§§ 39,40 BSHG) oder dem Kinder- und - Jugendhilfegesetz (§ 35a KJHG / SGB VIII).

Zur Unterstützung und Gewährleistung des Schulbesuchs einer allgemeinbildenden Schule ist zu prüfen, inwieweit eine Schulbegleitung nach BSHG oder KJHG von den Eltern zu beantragen ist.

Für weitergehende Informationen steht das Team des Landesprojektes gerne zur Verfügung (z.B. Verfahrenswege zur schulischen Eingliederung, themenbezogene Informationen u.ä.).

Literatur "Autismus"

Eine Auswahl vertiefender Informationen zu diesem Themenbereich

Arbeitsgemeinschaft Behinderte in den Medien e.V.Autisten I - Menschen mit Zukunft,

Autisten II - Menschen mit Zukunft. VHS-Videos.

Bundesverband "Hilfe für das autistische Kind" e.V., Bebelallee 141, 22297 Hamburg:

Informationspakete "Frühförderung und Schule"; "Gestützte Kommunikation (FC)"; "Therapieansätze"; "Wohneinrichtungen".

Das Asperger - Syndrom.

"Hilfe für das autistische Kind" e.V. RV Mittelfranken, Frankenring 11, 91325 Adelsdorf: "Die Muschelkinder". Ein Projekt zur Beschulung autistischer Kinder. VHS-Video.

Frith, U.: Psychologische Aspekte einer Entwicklungsstörung. Heidelberg 1993.

Feuser, G.: Autistische Kinder und Jugendliche - Gesamtsituation, Persönlichkeitsentwicklung, Erziehung und schulische Förderung, Therapie. Solms-Oberbiel 1993.

Grendin,T.: "Ich bin die Anthropologin auf dem Mars". Mein Leben als Autistin. München 1997.

Janetzke, H.R.P.: Stichwort: Autismus. München 1993.

Joergensen, O.S.: Autismus oder Asperger. Weinheim und Basel 1998.

Kehrer, H.E.: Autismus. Heidelberg 1989.

Rheinland-Pfalz, Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, Mittlere Bleiche 61, 55116 Mainz: Handreichungen zu den Empfehlungen zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit autistischem Verhalten. Mainz 1998.

Williams, D.: Ich könnte verschwinden, wenn du mich berührst. Hamburg 1992.

Literaturhinweise zu speziellen Fragestellungen geben wir gerne auf Anfrage.

Kontakt

Beratungsstelle für Integration in der Schule Schreberweg 5, 24119 Kronshagen,Tel: 0431-5403-196 Fax: 0431-5403-200 ;Email: iptsbis@ipts.de

Landesseminar für Sonderpädagogik

Quelle:

Annette Hausotter, Bernd Maaß: Landesprojekt zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit autistischen Störungen, beim Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Materialien zur Information.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 20.02.2006

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation