Die Bedeutung der Bioethik für Frauen mit Behinderung

Autor:in - Theresia Haidlmayr
Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Das vorliegende Referat wurde entnommen aus dem Bericht: Bioethik kontra Menschenrechte - Die Bedeutung der Bioethik-Konvention unter besonderer Beachtung von Menschen mit Behinderungen, Enquete, am Dienstag, 18. März 1997 im Parlament, Budgetsaal; Veranstalter: Grüner Parlamentsklub
Copyright: © Theresia Haidlmayr, 1997

Die Bedeutung der Bioethik für Frauen mit Behinderung

Seit dem prominentesten Vertreter bioethischen Gedankengutes, Peter Singer, in Österreich via Fernsehen und Einladungen zu Veranstaltungen die Bühne geboten wurde, seine These, daß die Unverletzlichkeit des Lebens durch eine rationale Ethik abgelöst werden muß, zu vertreten, seither ist die Diskussion eröffnet und Menschen mit Beeinträchtigung stehen immer mehr unter Druck, Ihr "Dasein" rechtfertigen zu müssen.

Die Geschichte hatte uns eingeholt, es werden dafür nur neue Begriffe eingesetzt. Im bioethischen Weltbild erwirbt der einzelne seine Grundrechte auf Würde und Schutz erst durch seine Eigenschaften und Leistungen. Andere entscheiden, ob seine Eigenschaften und Leistungen ausreichen, um menschenrechtliche Schutzgarantien, also Grundrechte zu erhalten.

Frauen mit Beeinträchtigung wird ihr Recht auf Selbstbestimmung in vielen Bereichen ihres Lebens untersagt. Der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Frau wurde mit dem Kampf für Abtreibung mit den Slogans "Mein Bauch gehört mir" und "Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine" geführt. Leider wurde übersehen, daß dieses Selbstbestimmungsrecht nur nicht für alle Frauen gültig ist.

Für behinderte Frauen war nicht die Abtreibung ein gefordertes Recht auf Selbstbestimmung. Behinderte Frauen wollten Ihr Selbstbestimmungsrecht, Kinder gebären zu dürfen, und nicht, daß die Fremdbestimmung weiter aufrecht erhalten bleibt, die Abtreibung und Zwangssterilisation heißt. Der Selbstbestimmungsbegriff in der Frauenbewegung wurde zu etwas Absolutem, Unantastbarem, auch die Frage ob wir behinderte Kinder wollen oder nicht, ist die alleinige Entscheidung der Frauen.

Daß heute bei einer Schwangerschaft die Fruchtwasseruntersuchung für Frauen über 35 Jahren eingefordert wird, und inzwischen viel jüngere Schwangere im Rahmen der sgn. "Angstindikation" diese durchführen lassen, zeigt, daß behindertes Leben verhindert werden soll und wenn eine schwangere Frau sich für ihr behindertes Kind entscheidet, dann gibt es in vielen Fällen Probleme mit den Ärzten und Ämtern, bzw. ständig die Frage, "haben sie das vorher schon gewußt" und warum haben sie sich dafür entschieden. Mütter behinderter Kinder müssen sich für das Lebensrecht ihres behinderten Kindes rechtfertigen. Schwangerschaftsabbruch bei den Frauen, deren Kind wahrscheinlich behindert sein wird, ist auch noch nach dem 3. Schwangerschaftsmonat nicht nur straffrei, sondern wird sogar empfohlen.

Der Abbruch einer Schwangerschaft wird noch immer als Egoismus der Frau gewertet, solange das Kind voraussichtlich gesund zur Welt kommen wird. Bestehen Gründe zur Annahme, daß es behindert sein wird, dann wird es als verantwortungslos gewertet, ein solches Kind auszutragen. Die These Peter Singer ist somit stückweit bereits legaler Bestandteil unserer Rechtsordnung.

Das Angebot der pränatalen Diagnostik hat inzwischen einen enormen Bedarf geweckt. Nicht nur Frauen, die als "mit einem genetischen Risiko behaftet" eingestuft werden, lassen sich untersuchen, um der verantwortlichen Elternschaft auch Rechnung zu tragen. Als verantwortliche Eltern werden damit nur mehr jene eingereiht, die anscheinend jedes Risiko ausschließen, Eltern eines behinderten Kindes zu werden. Verantwortung heißt somit ausschließlich nur mehr "die Sicherstellung der Qualität eines Kindes."

Für Eltern wird es immer schwieriger, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden und hier spätestens wird deutlich, wie wenig selbstbestimmt die Entscheidungen sind. Selbstbestimmung würde voraussetzen, daß die Konsequenz der Entscheidung für ein behindertes Kind die gleiche Konsequenz hätte wie die für ein nichtbehindertes. Aber es ist nicht so.

Entscheiden sich Frauen bewußt für ein behindertes Kind, haben sie sich vor der Gesellschaft dafür zu rechtfertigen. Die Schuld für die Behinderung des Kindes wird Ihnen uneingeschränkt zugewiesen. Gott sei Dank, gibt es trotz all der modernen Diagnostik noch lange keinen Garantieschein, ein nichtbehindertes Kind zu haben.

Frauen sind einem starken Druck zur Erfüllung der Rolle als Mutter und Hausfrau ausgesetzt. Wenn eine nichtbehinderte Frau bewußt keine Kinder haben will und dies auch artikuliert, wird sie noch immer als Egoistin hingestellt. Nichtbehinderte Frauen haben gegenüber der Gesellschaft ein Gebärgebot zu erfüllen.

Ist die Frau behindert, kommt es genau zum Gegenteil. Ihr wird bei der erst besten Möglichkeit nahegelegt, keine Kinder zu bekommen, da es ja verantwortungslos ist, als behinderte Frau auch noch Kinder zu bekommen, wo sie ja nicht einmal in der Lage ist, die Rolle einer Haus- und Ehefrau zu erfüllen. Behinderte Frauen haben grundsätzlich noch immer ein Gebärverbot, im günstigsten Fall eine Gebärduldung. Das zeigt sich meist schon beim ersten Besuch im Gynäkologenzimmer. Während einer nichtbehinderten Frau gratuliert wird, weil sie schwanger ist, stößt dies bei einer behinderten Frau noch immer auf Entsetzen. Statt "Gratuliere, Sie werden Mutter", heißt es "Um Gottes Willen, Sie sind ja schwanger".

Dieses Verhalten zieht sich dann im Verwandten- und Bekanntenkreis durch, und gerade in dieser Situation haben dann behinderte Frauen jede Menge gut gemeinter Ratschläge über sich ergehen zu lassen, da alle ja nur das Beste für Mutter und Kind wollen, deshalb sehen sie es als ihre Aufgabe, die werdende behinderte Mutter doch noch dazu zu überreden, sich und dem Kind das Ganze doch nicht anzutun, denn leicht wird es nach Aussagen der guten Bekannten, sicher nicht für Mutter und Kind, auch wenn es hoffentlich doch nicht behindert sein wird.

Anders ist auch die Situation, wenn ein behinderter Mann Vater wird, der wird dann doch als "richtiger" Mann gewertet, behinderten Frauen wird kaum das Gefühl vermittelt, daß sie Frauen sind. Das Bild der Gesellschaft, behinderte Kinder würden lieber nichtbehinderte Mütter oder Eltern haben, stimmt nicht, denn welches behinderte Kind wurde jemals gefragt, ob es sich vielleicht auch behinderte Eltern gewünscht hätte um besser verstanden zu werden? Es herrscht immer noch die Meinung, daß das Lebensglück eines nichtbehinderten Kindes wesentlich davon abhängt, ob die Mutter oder die Eltern behindert sind, sowie Singer seine These aufstellt, daß das Lebensglück einer Mutter oder der Eltern dadurch geschmälert wird, wenn sie ein behindertes Kind haben.

Während für behinderten Frauen, die nicht in der Abhängigkeit von stationären oder teilstationären Einrichtungen sind, im günstigsten Fall eine Gebärduldung besteht, wird behinderten Frauen, die noch immer in Alten-, Behinderten- und Pflegeheimen oder teilstationären Einrichtungen leben müssen, auch die Möglichkeit der Gebärduldung unterbunden. Gerade in diesen Einrichtungen werden Frauen und Männer noch immer unfruchtbar gemacht. Meist wird den Eltern nahegelegt, ihre Einwilligung noch vor der Volljährigkeit ihres behinderten Kindes zu geben, damit am Gericht nichts aufliegt. Ist die Zeit schon knapp bis zur Volljährigkeit, wird auch versucht, die Mündigkeit der behinderten Menschen zu verlängern, damit die Eltern noch die Unterschrift zur Zwangssterilisation geben können. Dieser Vorwurf wird natürlich von den Einrichtungen heftig bestritten, obwohl so gut wie alle Insassen dieser Einrichtungen zeugungs- bzw. gebährunfähig gemacht wurden.

Im bioethischen Bereich ist Selbstbestimmung nur eine Worthülse. Selbstbestimmung ist nur dort möglich, wenn die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllt werden. Wer dazu nicht bereit ist, muß mit Ausgrenzungen und Sanktionen leben. Durchgesetzt wird diese Form der Selbstbestimmung über die Körper behinderter Frauen. Im bioethischen Weltbild sind Behinderung, Krankheit, Altersgebrechen und jede Abweichung von der Norm ein vermeidbares Übel und alle Menschen haben ihren Beitrag dazu zu leisten, eine leidensfreien Zukunft zu schaffen. Behinderung wird zum Luxus erklärt und wer sich diesen leisten will, muß auch selbst dafür aufkommen.

Von behinderten Frauen wird erwartet, daß sie auf ihre Menschenrechte verzichten und sich statt dessen zum Wohle der Allgemeinheit zu Menschenversuchen nutzen lassen. Behinderte Frauen sollen nicht gebären, sondern sich sterilisieren lassen. Ausnahmen gibt es nur für jene behinderten Frauen, die sicherstellen, daß sie keine behinderten Nachkommen gebären.

Um diesen Gefahren nicht hilflos ausgeliefert zu sein, müssen sich behinderte Frauen wehren. Behinderte Frauen haben Erfahrungen, Selbstschätzung, Selbstbewußtsein und Lebensfreude den Überlegungen der Bioethiker entgegenzusetzen. Behinderte Frauen werden ihre Menschenrechte einfordern und nicht aufgeben und weiterhin ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nehmen.

Wir behinderten Frauen werden uns nicht unsere Lust am Leben nehmen lassen und haben nicht den geringsten Wunsch, zur Gruppe der sgn. "Normmenschen" zu gehören, wir werden unsere Individiualität niemals aufgeben, auch das ist ein Teil des selbstbestimmten unvergleichbaren und unverwechselbaren "Ichs" jeder behinderten Frau.

Autorin

Abg.z.NR THERESIA HAIDLMAYR

Behinderten- und Gesundheitssprecherin des Grünen Parlamentsklubs

Quelle:

Theresia Haidlmayr: Die Bedeutung der Bioethik für Frauen mit Behinderung

Entnommen aus dem Bericht: Bioethik kontra Menschenrechte. Die Bedeutung der Bioethik-Konvention unter besonderer Beachtung von Menschen mit Behinderungen, Enquete, am Dienstag, 18. März 1997 im Parlament.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 25.02.2005

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