Inklusion in Unternehmen: Boehringer Ingelheim und UnternehmensForum

Autor:in - Olaf Guttzeit
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Olaf Guttzeit: Inklusion in Unternehmen: Boeringer Ingelheim und UnternehmensForum. In: Theresia Degener/Elke Diehl (Hrsg.): Handbuch der Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015. S. 118-123.
Copyright: © Olaf Guttzeit 2015

Inklusion in Unternehmen: Boehringer Ingelheim und UnternehmensForum

Angeregt durch die Politik hat Boehringer Ingelheim seit 2012 einen unternehmensspezifischen Aktionsplan, der soziale Verantwortung und kluges unternehmerisches Handeln in neu geschaffenen Strukturen mit kleinen Schritten nachhaltig zusammenführt und damit den nötigen gesellschaftlichen Kulturwandel unterstützt. Inklusion bedeutet: Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin gehört dazu und erfährt so, wie er und sie ist, Wertschätzung. Durch die Unterstützung von anderen kann jede_r sein bzw. ihr Bestes geben. Das ist das Verständnis von inklusiver Arbeitswelt bei Boehringer Ingelheim. Boehringer Ingelheim ist ein unabhängiges, forschendes und produzierendes pharmazeutisches Unternehmen mit weltweit rund 46 000 Mitarbeiter_innen in 140 verbundenen Unternehmen. Das Familienunternehmen mit Stammsitz in Ingelheim am Rhein zählt weltweit zu den zwanzig größten forschenden Pharmaunternehmen.

Die Motivation zur Entwicklung eines unternehmenseigenen Aktionsplans

Soziale Verantwortung hat bei Boehringer Ingelheim eine lange Tradition: Seit mehr als 125 Jahren ist das Familienunternehmen ethischen Prinzipien verpflichtet, welche die Basis für das soziale und gesellschaftliche Engagement bilden und fest in der Unternehmensphilosophie verankert sind. Zum Beispiel gründete Albert Boehringer bereits 1902 eine „Fabrik-Krankenkasse“ für seine Mitarbeiter_innen. Ein moderner Ausdruck dieser Tradition ist auch die unternehmensinterne Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen bedeutet für Boehringer Ingelheim, die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt und das gemeinsame Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung zu ermöglichen und zu fördern. Mit dem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet sich das Unternehmen dazu, inklusive Strukturen zu schaffen und äußere Rahmenbedingungen zu verbessern.

Gleichzeitig geht es aber auch darum, Barrieren im Denken zu überwinden und ein neues „Grundverständnis“ zu erreichen. Noch sehen viele Menschen ohne Behinderung vor allem das, was Menschen mit Behinderung nicht können. Es geht darum, diesen Defizitansatz in eine ressourcenorientierte Grundhaltung umzuwandeln. Hier soll der Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK Wegweiser sein.

Die ersten Schritte

Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat unter der Federführung des damaligen Landesbehindertenbeauftragten Ottmar Miles-Paul im Jahr 2010 als erstes Bundesland einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK verabschiedet. Um die praktische Umsetzung in Rheinland-Pfalz zu fördern, trat die Landesregierung an Boehringer Ingelheim heran. In fruchtbaren Gesprächen konnten die Unternehmensverantwortlichen von der Idee überzeugt werden, einen eigenen Aktionsplan zu initiieren. Mit diesem Management-Commitment wurde ein Projektauftrag ins Leben gerufen, extern unterstützt vom Institut Mensch, Ethik, Wissenschaft (IMEW) unter der Leitung von Dr. Katrin Grüber.

Ein erster Schritt beleuchtete die Relevanz eines solchen Aktionsplans für das Unternehmen. Schnell war klar, dass es hier nicht nur um das Thema der sozialen Verantwortung geht, sondern dass hinter der Frage der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auch ein betrieblicher Bedarf steht: Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter_innen bei längerer Lebensarbeitszeit im Laufe ihres Beschäftigungsverhältnisses eine Krankheit, eine Behinderung oder eine Schwerbehinderung erwerben. Schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist daher sicherzustellen, dass das Potenzial dieser erfahrenen Expert_innen nicht verloren geht.

Entwicklung und Struktur des Aktionsplans

Gemeinsam mit den Standortbetriebsräten, den Schwerbehindertenvertrauenspersonen und den Arbeitgeberbeauftragten wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen. Dabei war es zunächst wichtig, ein gemeinsames Verständnis des Begriffs „Inklusion“ zu erarbeiten und ihn in den betrieblichen Kontext zu stellen. Was bedeutet „Inklusion“ ganz konkret bei Boehringer Ingelheim, und wo steht das Unternehmen damit? Nach einer Bestandsaufnahme über die Aktivitäten zum Abbau von Barrieren konnten Ziele für insgesamt sieben Handlungsfelder formuliert werden. In einem nächsten Schritt erarbeitete die Projektgruppe gemeinsame Vorschläge für Maßnahmen, die geeignet scheinen, diese Ziele zu erreichen.

Kernstück: Das Verfahren zur Umsetzung

Aus den Erfahrungen bei der internen Umsetzung anderer kulturbeeinflussender Projektthemen wie etwa Demografie, Beruf und Familie oder Diversity and Inclusion entstand die Idee, die einzelnen Handlungsfelder als Schwerpunktthemen über mehrere Jahre zu bearbeiten. Das neu geschaffene Inklusionsteam, bestehend aus den Vertreter_innen der Betriebsräte, Schwerbehindertenvertrauenspersonen und Arbeitgeberbeauftragten, fungiert dabei als Steuerungsteam. Es bespricht Vorschläge mit den umsetzenden Fachbereichen und legt Maßnahmen fest. Dabei kommen SMART-Kriterien[1] zur Anwendung: Die Maßnahmen müssen eindeutig definiert und messbar, akzeptiert und realistisch sein und mit einem konkreten Zeitplan versehen werden. Die Geschäftsführung trägt die Verantwortung für die Umsetzung.

Nach der Bestandsaufnahme und Planung folgt eine Umsetzungsphase, die durch eine Evaluation im Folgejahr abgeschlossen wird. Diese Vorgehensweise soll die Nachhaltigkeit der Umsetzung sichern.

Umsetzungsphase und erste Erfahrungen

Das Schwerpunktthema im Jahr 2013 war „Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit“ – ein guter Auftakt, um die Inhalte der UN-BRK und ihre Bedeutung für die Arbeit vor Ort zu kommunizieren und die Mitarbeiter_innen und Führungskräfte zu sensibilisieren. Mit Werkszeitungsartikeln und Berichten im Intranet wurden gelungene Beispiele von Inklusion hervorgehoben. Besondere Aufmerksamkeit findet die jährlich stattfindende Ausstellung „Behinderte Menschen malen“ auf dem Firmengelände, die vom Landesamt für Jugend und Soziales in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt wird. Hier wird in beeindruckender Weise deutlich, wie Kunst von behinderten Künstler_innen den Blick auf deren Potenzial lenkt.

Zudem konnte mit den verantwortlichen Gremien vereinbart werden, dass die Belange von Menschen mit Behinderungen zum Beispiel bei Baumaßnahmen von Anfang an berücksichtigt werden. In Führungskräftetrainings ist das Thema ein fester Bestandteil. Und dennoch: Immer wieder wurden Diskussionen geführt; in Zeiten von Effizienz-und Effektivitätssteigerungsvorgaben bleibt zu vermuten, dass das Vorurteil „schwerbehindert = leistungsgemindert“ hierbei eine unausgesprochene Barriere darstellt.

Das Resümee des ersten Jahres mit dem Aktionsplan[2] ist aber insgesamt als durchweg positiv zu bewerten. Ein Beispiel dafür ist die sukzessive Einführung von Untertiteln bei Unternehmensvideos zum Barrierenabbau für Gehörlose. Daneben wurde das Unternehmen im Jahr 2013 mit dem Sonderpreis für beispielhafte Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen durch das Land Rheinland-Pfalz ausgezeichnet.

Inklusion ist kein Automatismus

Trotz aller positiven Entwicklungen zeigt die Erfahrung, dass Inklusion Zeit braucht. Ein engagiertes Inklusionsteam und die Unterstützung des Managements sind Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplans. Trotzdem gibt es immer wieder Hürden, deren Überwindung Zeit und Energie kosten. Dass der selbstverständliche Umgang mit Behinderungen gesellschaftlich noch nicht flächendeckend akzeptiert ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Anzahl der Bewerber_innen, die angeben, dass sie eine Behinderung haben, im Vergleich zur Gesamtzahl aller Bewerbungen verschwindend gering ist (im Jahr 2013 circa 190 gegenüber rund 35 000). Im Bereich der beruflichen Erstausbildung ist das Verhältnis mit 0,2 Prozent noch gravierender. Hier ist Aufklärungsarbeit notwendig, damit Unternehmen in der Rekrutierung die Möglichkeit einer Personalauswahl bekommen.

Bei der Einstellung und/oder Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderungen benötigt das Unternehmen häufig auch Unterstützung von externen Expert_innen. Hier ist festzustellen, dass die Vernetzung der Partner im gegliederten System sehr stark von Einzelpersonen abhängig ist. Wünschenswert wäre hier eine Struktur, die eine Ansprechperson für den Arbeitgeber bietet, die sich um die verschiedenen Unterstützungsleistungen der Rentenversicherung, der Agentur für Arbeit, der Integrationsämter oder anderer Beteiligter verantwortlich kümmert.

Aber auch innerhalb des Unternehmens sind Strukturen notwendig, die Hilfestellung bieten können, wenn Arbeitsplatzanpassungen oder behinderungsbedingte Stellenprofilanpassungen notwendig sind.



[1] Die SMART-Kriterien lauten: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert.

[2] Zum Aktionsplan von Boehringer Ingelheim siehe online unter: http://www.boehringer-ingelheim.de/unternehmensprofil/verantwortung.html (Aufruf am 14.04.2014).

Gemeinsam geht es besser

Inhaltsverzeichnis

In diesem Zusammenhang engagiert sich Boehringer Ingelheim seit Jahren unter anderem auch im UnternehmensForum[3], einer unabhängigen Arbeitgeberinitiative zur Integration von Menschen mit Behinderung. In diesem Netzwerk wird Inklusion regelmäßig thematisiert. Der Austausch über betriebliche Erfahrungen ist zentrales Anliegen der hier vertretenen Arbeitgeberbeauftragten. Engagierte Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation von guten Beispielen aus der Praxis haben letztlich auch dazu geführt, dass andere Unternehmen sich mit der Frage eines Aktionsplans beschäftigen. Inzwischen haben die BAHN AG, die SAP AG und der Energieversorgungskonzern RWE ebenfalls einen hausinternen Aktionsplan verabschiedet. Weitere Unternehmen wie der Frankfurter Flughafenbetreiber FRAPORT arbeiten ebenfalls an einem Konzept zur Implementierung.

Über das UnternehmensForum

Das UnternehmensForum wurde 2002 als branchenübergreifender Zusammenschluss großer und mittelständischer Unternehmen mit dem Ziel gegründet, die Wirtschaft für das Potenzial von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren. Es setzt sich seitdem engagiert für die Ausbildung, Beschäftigung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Handicap ein. Die Initiative dient dabei als bundesweite Plattform, um Erfahrungen auszutauschen, gute Beispiele zu erarbeiten und konkrete Anregungen zu entwickeln. Als öffentlichkeitswirksamer Zusammenschluss möchte das UnternehmensForum zu einem Perspektivwechsel in Bezug auf Menschen mit Behinderung anregen: Statt einer defizitorientierten Betrachtung stehen die Stärken im Fokus und werden als Bereicherung einer vielfältigen Unternehmenskultur wertgeschätzt.

Einen besonderen inhaltlichen Fokus setzt das UnternehmensForum bei seiner Arbeit auf die Ausbildung schwerbehinderter Schulabgänger_innen, das Betriebliche Eingliederungsmanagement[4] und die Integration von Menschen mit Behinderungen in Unternehmen. Der demografische Wandel sowie die Beschäftigung und Beschäftigungssicherung einer älter werdenden Belegschaft sind weitere zentrale Themen des UnternehmensForums. Weil gute Erfahrungen und erprobte Lösungen auch anderen Unternehmen dienen können, stellt das UnternehmensForum interessierten Vertreter_innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik Best-Practice-Beispiele und hilfreiche Informationen zur Verfügung.



[3] Zum UnternehmensForum e. V. siehe online unter: http://www.unternehmensforum.org/ (Aufruf am 14.04.2014).

[4] Die Arbeitgeberseite ist laut § 84 Abs. 2 SGB IX zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet, wenn ein_e Beschäftigte_r im Laufe eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war.

Zusammenfassung

Der Beitrag schildert am Beispiel des Unternehmens Boehringer Ingelheim, wie Inklusion von Mitarbeiter_innen mit Behinderung in Unternehmen erfolgreich gelingen kann. Nachgezeichnet wird dabei der Weg von der Entwicklung eines Aktionsplans über das Verfahren zur Umsetzung bis hin zu ersten Erfahrungen. Zur Sprache kommen neben den Grundvoraussetzungen im Unternehmen selbst auch notwendige äußere Rahmenbedingungen und deren Verbesserungsmöglichkeiten. Inwiefern ebenfalls andere Unternehmen von den guten Erfahrungen und erprobten Lösungen profitieren können, wird anhand der Arbeit des unabhängigen, branchenübergreifenden Zusammenschlusses UnternehmensForum dargelegt.

Quelle

Olaf Guttzeit: Inklusion in Unternehmen: Boeringer Ingelheim und UnternehmensForum. In: Theresia Degener/Elke Diehl (Hrsg.): Handbuch der Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015. S. 118-123.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 15.11.2018

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