Gehörlose junge Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft.

Möglichkeiten und Grenzen ihrer Partizipation.

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Eine empirische Studie im Auftrag des Bundessozialamtes; Durchgeführt am Institut für Translationswissenschaft, AG Gebärdensprache Karl-Franzens-Universität Graz
Copyright: © Sylvia Grünbichler, Barbara Andree 2009

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Für gehörlose Frauen sind die Faktoren Geschlecht und Gehörlosigkeit zwei zentrale Ursachen sozialer Ungleichbehandlung. Sie bestimmen im Wesentlichen ihre sozialen und ökonomischen Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit Geschlecht und Behinderung hat insbesondere von Seiten der Disability Studies ihren Ausgang genommen, trotzdem ist zu beobachten, dass Frauen, die gehörlos oder schwerhörig sind, mit ihren spezifischen Bedürfnissen, Voraussetzungen und Benachteiligungen in diesem Diskurs nicht sichtbar sind, meist werden sie unter die Kategorie Behinderung subsumiert und damit unsichtbar gemacht. Auch in den Gender Studies sind sie kaum präsent und sogar die Deaf Studies, jene Disziplin, die sich mit Sprache, Gemeinschaft und Kultur Gehörloser beschäftigt, hat die Kategorie Geschlecht bislang höchst rudimentär behandelt. "Whatever the many and complicated reasons might be, gender studies has typically skirted deafness, even as Deaf Studies has largely skirted gender", stellen Brueggemann und Burch in ihrem Buch "Women and Deafness. DoubleVisions" (2006, 7) fest und sprechen damit eine wichtige Frage an, nämlich die nach den Gründen des Ausschlusses von Personen, die sowohl weiblich als auch gehörlos sind. Nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, auch in der Praxis der Arbeitsmarktintegration gehörloser und hörbeeinträchtiger Menschen wird dem Faktor Geschlecht keine besondere Beachtung geschenkt. Geschlecht spielt jedoch eine relevante Rolle, angefangen von der Berufswahl bis hin zum Einkommen und der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Mit dieser Untersuchung liegt nun erstmals eine empirische Studie für Österreich vor, die sowohl Geschlecht als auch Gehörlosigkeit als Ursachen sozialer Ungleichheit fokussiert. Der vorliegende Forschungsbericht verfolgt zwei wesentliche Ziele, er macht die spezifischen Bedürfnisse, Probleme und Lebensentwürfe von jungen Frauen, die gehörlos, schwerhörig oder hörbeinträchtig sind, sichtbar, und er zeigt Möglichkeiten und Strategien auf, um die Integration in den Arbeitsmarkt für diese Zielgruppe nachhaltig zu verbessern. Die Möglichkeiten, die junge Menschen mit Hörbeeinträchtigung in Österreich haben, hängen in hohem Maße davon ab, welche Angebote sie vorfinden. In diesem Sinne sollen die vorliegenden Forschungsergebnisse dazu beitragen, die dafür notwendigen Veränderungen voranzutreiben.

Der vorliegende Forschungsbericht umfasst elf Kapitel. In Kapitel zwei und drei werden die forschungsleitenden Fragestellungen sowie die Forschungsmethoden dargestellt. Kapitel vier beschreibt die Situation gehörloser Frauen in der heutigen Arbeitswelt auf Basis der wenigen vorhandenen Studien sowie hinsichtlich des Wandels der Arbeitsgesellschaft und der damit verbundenen Konsequenzen für die Betroffenen. In Kapitel fünf werden relevante quantitative Daten zu Erwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit, Lehrstellenandrang u.Ä. präsentiert und das Fehlen von präzisen Daten zur Zielgruppe aufgezeigt. Kapitel sechs und sieben stellen den Hauptteil der Studie dar. Sie präsentieren die empirischen Forschungsergebnisse, die auf Basis von qualitativen Interviews mit Personen aus der Praxis der Arbeitsmarktintegration sowie mit gehörlosen und schwerhörigen jungen Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren gewonnen wurden. Im letzten Kapitel (Kapitel acht) werden mögliche Maßnahmen und Strategien vorgeschlagen, um die Integration gehörloser junger Frauen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft langfristig zu verbessern. Kapitel neun beinhaltet das Literaturverzeichnis, Kapitel zehn das Verzeichnis aller verwendeten Abkürzungen und Kapitel elf enthält Informationen zu den Verfasserinnen bzw. Forscherinnen. Die transkribierten Interviews liegen lediglich in der Druckversion dieses Forschungsberichtes vor, falls Interesse besteht ist es möglich, diese einzusehen.

2. Forschungsleitende Fragestellungen

Für die empirische Erhebung der Situation gehörloser junger Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft wurde der Fokus auf jene Fragestellungen gelegt, die sich mit Berufswahl und Ausbildungsmöglichkeiten, Erwerbstätigkeit und Arbeitsplatz, gesellschaftlicher Arbeitsteilung, gesellschaftlicher Teilhabe und Integration sowie mit Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten der von uns anvisierten Zielgruppe befassen. Der genderspezifische Fokus ist all diesen Fragestellungen inhärent, d.h. die Kategorie Geschlecht stellt ein zentrales Kriterium bei der Analyse und Interpretation der Ergebnisse dar. Die im Folgenden aufgelisteten Forschungsfragen waren sowohl für die Interviews mit den ExpertInnen aus der Praxis als auch für die Interviews mit den gehörlosen jungen Frauen zentraler Fokus.

Forschungsfragen:

  1. Berufswahl und Ausbildungsmöglichkeiten: Was machen gehörlose Frauen nach ihrem Schulabschluss? Welche Möglichkeiten der Berufsorientierung werden angeboten? Welche Berufsmöglichkeiten stehen ihnen offen? Wo zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede? Welchen Einfluss hat der Faktor Gehörlosigkeit?

  2. Erwerbstätigkeit und Arbeitsplatz: Wie sind gehörlose junge Frauen am Arbeitsmarkt präsent? Welche Berufe bzw. Tätigkeiten üben sie aus? Welche Möglichkeiten und Formen der Unterstützung gibt es? Welche Weiterbildungsmöglichkeiten stehen ihnen offen? Welche Bereitschaft von Seiten der ArbeitgeberInnen gibt es, gehörlose Frauen einzustellen? Wo zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede? Welchen Einfluss hat der Faktor Gehörlosigkeit?

  3. Gesellschaftliche Arbeitsteilung: Wie stellt sich die "Vereinbarkeit" von Familie und Beruf für gehörlose Frauen dar? Welche Rollenzuschreibungen zeigen sich? Welche Ziele und Vorstellungen haben gehörlose Frauen bezüglich Familie und Beruf? Welche Lebensentwürfe gibt es? Worin zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede? Welchen Einfluss hat der Faktor Gehörlosigkeit?

  4. Gesellschaftliche Teilhabe und Integration: Welche Formen sozialer Kontakte und kultureller Orientierungen liegen vor? In welchen Vereinen und/oder Organisationen sind gehörlose junge Frauen präsent und/oder aktiv? Welche Formen der gesellschaftlichen Teilhabe stehen ihnen offen? Wo zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede? Welchen Einfluss hat der Faktor Gehörlosigkeit?

  5. Kommunikation und Information: Welche Kommunikationsprobleme und - barrieren zeigen sich in der Ausbildung, am Arbeitsplatz, im Alltag etc.? Welche Bedeutung hat der Einsatz von GebärdensprachdolmetscherInnen? Wie stellt sich der Zugang zu Informationen, Bildung und Wissen dar? Wo zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede? Welchen Einfluss hat der Faktor Gehörlosigkeit?

3. Forschungsmethoden

Neben dem Studium relevanter Literatur, der Analyse von quantitativen Daten und Strategiepapieren, stellt die empirische Erhebung der Ist-Situation den zentralen Teil des gesamten Forschungsprojekts dar. Dafür wurden qualitative Interviews mit Personen aus der Praxis der Arbeitsmarktintegration gehörloser sowie mit gehörlosen Frauen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren geführt.

3.1 Qualitative Interviews mit ExpertInnen

In Österreich gibt es seit Mitte der 1990er Jahre eine Reihe von Einrichtungen, die Unterstützung, Begleitung und Betreuung für gehörlose Jugendliche und Erwachsene, zur Integration in den Arbeitsmarkt, anbieten. Für die Erhebung der Situation gehörloser junger Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft wurden daher Interviews mit jenen Personen geführt, die in solchen Einrichtungen tätig sind. Sie werden hier als sogenannte "ExpertInnen" betrachtet, da sie über einen privilegierten Zugang zu Informationen über eine bestimmte Personengruppe verfügen und somit eine wichtige Informationsquelle darstellen (vgl. Meuser & Nagel 1991). Die Auswahl der ExpertInnen für die Interviews erfolgte nach folgenden Kriterien:

  • Tätigkeit in einer Einrichtung für hörbehinderte Personen zur Integration in den Arbeitsmarkt oder einer Maßnahme zur Qualifizierung für den Arbeitsmarkt.

  • Betreuung von gehörlosen Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren.

  • ExpertInnen aus verschiedenen österreichischen Bundesländern.

3.1.1 Der Interviewleitfaden

Für die Befragung der ExpertInnen wurde methodisch mit halbstrukturierten Interviews gearbeitet. Halbstrukturierte Interviews werden dann eingesetzt, wenn individuelle Perspektiven von Interesse sind oder wenn sich ein Phänomenbereich je nach Perspektive der Personen unterschiedlich darstellt (vgl. Kruse & Schmitt 1999). Diese individuellen Perspektiven waren in unserem Fall die spezifischen Erfahrungen der Experten und Expertinnen, die in unterschiedlichen Bereichen der Unterstützung und Integration gehörloser Menschen in den Arbeitsmarkt sowie im Bildungs- und Ausbildungsbereich tätig sind. Für die Durchführung der Interviews wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der die thematischen Bereiche in Form von prototypischen Fragestellungen abdeckte, wobei die Fragestellungen, je nach Verlauf des Interviews und je nach Einrichtung bzw. Tätigkeitsfeld, ergänzt oder leicht verändert wurden. Leitfaden (a) wurde für zwölf ExpertInneninterviews verwendet und je nach Arbeitsbereich der befragten Person leicht modifiziert. Leitfaden (a1) wurde für die Befragung einer im Grundschulbereich tätigen Person verwendet.

Leitfaden für die Interviews mit ExpertInnen (a)

Themen

Fragestellungen

Angaben zur Einrichtung und zur Person

  • Welche Angebote bietet ihre Einrichtung an?

  • Seit wann gibt es ihre Einrichtung?

  • Seit wann arbeiten sie dort? In welchem Bereich sind sie tätig?

Angebote, Zielgruppen, Kommunikation

  • Für welche Zielgruppen sind die Angebote zugänglich?

  • Gibt es spezielle Angebote für gehörlose Frauen? Wie zahlreich nehmen gehörlose Frauen ihre Angebote in Anspruch?

  • Wie erfahren die Klientinnen von der Einrichtung bzw. von den Angeboten? Welche Klientinnen kommen zu ihnen? Welche Klientinnen erreichen sie nicht?

  • Zeigen sich sprachliche Probleme in ihrer Tätigkeit mit den Klientinnen? Welche Kommunikationsformen werden verwendet?

Berufswahl

  • Übergang von der Schule in den Beruf oder in die Ausbildung: Zeigen sich besondere Probleme in Bezug auf die Zielgruppe? Welche Unterschiede zeigen sich zwischen Burschen und Mädchen?

  • Welche Rolle spielen die Eltern bei Berufswahl und Ausbildung?

Arbeitsmarktintegration

  • Welche Erfahrungen machen sie mit der Integration gehörloser Frauen, speziell junger Frauen in den Arbeitsmarkt? Welche Unterschiede zeigen sich zwischen den Geschlechtern?

  • In welche Beschäftigungsfelder werden Frauen vermittelt bzw. wo sind (junge) Frauen tätig? Gibt es Unterschiede zu männlichen Klienten?

  • Gibt es besondere Vorbehalte von Seiten der Arbeitgeber in Bezug auf die Zielgruppe?

  • Welche Erfahrungen haben sie mit Wiedereinsteigerinnen (nach der Karenz)?

  • Zum Thema Vereinbarkeit Beruf und Familie: Welche Erfahrungen machen sie?

  • Wie nachhaltig sind ihre Maßnahmen? (z.B. Verbleib an einer Lehrstelle bzw. am Arbeitsplatz)

Einschränkende Faktoren

  • Wie einschränkend schätzen sie den Faktor Gehörlosigkeit (bzw. Behinderung) für die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt ein? Wodurch zeigt sich das?

  • Wie einschränkend schätzen sie den Faktor Geschlecht für die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt ein? Wodurch zeigt sich das?

  • Welche Hindernisse gibt es ihrer Meinung nach für die nachhaltige Integration gehörloser (junger) Frauen in den Arbeitsmarkt?

  • Wodurch können aus ihrer Erfahrung heraus die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt verbessert werden?

Leitfaden für die Interviews mit ExpertInnen (a1)

Themenkomplexe

Fragestellungen

Angaben zur Einrichtung und zur Person

  • An welcher Schule (welchen Schulen) sind sie tätig, welche Klassen unterrichten sie?

  • Wie zahlreich sind gehörlose Schüler und Schülerinnen bei ihnen in der/den Klasse(n)? Aus welchen SchülerInnen setzen sich ihre Klassen zusammen?

Berufsorientierung

  • In welcher Form werden gehörlose Schülerinnen und Schüler (bzw. Schwerhörige, CI-TrägerInnen) in der Schule hinsichtlich ihrer Berufswahl bzw. Wahl einer weiterführenden Schule unterstützt?

  • Ab wann ist in der Schule Beruf und Berufswahl ein Thema?

  • In welcher Form wird Berufsorientierung angeboten? Wie ist das im Lehrplan verankert? Wie sieht das praktisch aus?

  • Welche Berufsvorstellungen zeigen sich bei den SchülerInnen? Zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede?

  • Was machen die Schülerinnen und Schüler nach der Pflichtschule?

Übergang Schule - Beruf

  • Welche Kompetenzen (in Zusammenhang mit dem Beruf) haben die gehörlosen Schülerinnen und Schüler ihrer Meinung nach, wenn sie die Pflichtschule beendet haben?

  • Welche Probleme (in Hinblick auf Beruf oder Ausbildung) haben gehörlose Schülerinnen und Schüler ihrer Meinung nach, wenn sie die Pflichtschule beendet haben?

  • Wie schätzen sie die Chancen gehörloser Jugendlicher am Arbeitsmarkt ein? Sehen sie Unterschiede zwischen jungen Mädchen und Burschen?

Kommunikation

  • Zeigen sich sprachliche Probleme bzw. Barrieren in der Vermittlung der Inhalte bzw. in der Kommunikation mit ihren SchülerInnen?

  • Welche Kommunikationsformen werden verwendet?

Einschränkende Faktoren

  • Wie einschränkend schätzen sie den Faktor Gehörlosigkeit (bzw. Behinderung) für die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt ein?

  • Wie einschränkend schätzen sie den Faktor Geschlecht für die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt ein?

  • Wodurch können ihrer Meinung nach die Chancen gehörloser (junger) Frauen am Arbeitsmarkt verbessert werden?

3.1.2 Interviewdurchführung und Transkription

Für die Akquirierung möglicher InterviewpartnerInnen wurden per E-Mail Anfragen an die entsprechenden Einrichtungen bzw. Personen gerichtet. Insgesamt stellten sich 13 ExpertInnen, davon zwölf Frauen und ein Mann, für Interviews zur Verfügung. Sie stammen aus folgenden Bundesländern: Wien/Niederösterreich, Steiermark, Salzburg, Oberösterreich und Tirol.

Von den 13 Personen waren zehn Personen in Einrichtungen der Arbeitsassistenz, Jobcoaching, Clearing und Integrationsassistenz tätig und drei Personen im Bildungs- und Qualifizierungsbereich. Die Interviews wurden zwischen Februar und Juni 2008 durchgeführt. Bis auf eine Ausnahme wurden alle InterviewpartnerInnen in ihren Einrichtungen befragt, ein Interview wurde als Telefoninterview geführt. Zweimal wurden "Doppelinterviews" geführt, d.h. je zwei KollegInnen haben den Wunsch geäußert, gemeinsam befragt zu werden. Zu Beginn der Interviews wurden Forschungsvorhaben und Ziel der Studie erläutert. Jedes Interview wurde für die Analyse als Tondokument aufgezeichnet. Den InterviewpartnerInnen wurden für die Auswertung und Analyse Anonymität zugesichert. Ein Interview dauerte durchschnittlich 50 Minuten, die Gesamtdauer ergibt 640:47 Minuten oder 10,66 Stunden.

Nr. Interview

Dauer (Minuten)

IE 11

75: 31 (Telefoninterview)

IE 10

46: 12

IE 9

56: 07 (Doppelinterview)

IE 8

44: 33

IE 7

80: 53 (Doppelinterview)

IE 6

48: 09

IE 5

56: 30

IE 4

69: 05

IE 3

55: 16

IE 2

44: 57

IE 1

64: 50

Jedes Transkript enthält die Nummer des Interviews, das Aufnahmedatum sowie die Dauer des gesamten Interviews. Die Reihung der Interviews erfolgte nach fortlaufender Nummer, sie entspricht dem Datum der Durchführung.

Bei der Transkription kam folgende Vorgehensweise zur Verwendung:

  • Die Transkription wurde in Standardorthografie durchgeführt, um das Lesen zu erleichtern.

  • Umgangssprachliche und stark dialektale Äußerungen wurden mehrheitlich in der österreichischen Standardsprache wiedergegeben (z.B.: net - nicht, das mehrerne - das meiste/das häufigste, i - ich, na - nein).

  • Satzabbrüche, Einschübe, unvollständige Sätze wurden in den meisten Fällen der österreichischen Standardsprache angepasst, um das Lesen zu erleichtern.

  • Interjektionen, Ausrufe, Pausenfüller, wie "ähm" oder "äh" wurden nicht transkribiert.

  • Die InterviewpartnerInnen verwendeten bei ihren Ausführungen mehrheitlich keine "gegenderten" Formen, sondern häufig die männlichen Formen wie etwa "Damenkleidermacher", "Clearer", "Arbeitsassistenten", "Arbeitgeber", "Teilnehmer", "Klient", wenn sie über Männer und Frauen sprechen, aber auch z.T. wenn sie dezidiert von/über Frauen sprechen. Diese Bezeichnungen wurden in der tatsächlich geäußerten Form beibehalten.

  • Ebenfalls nicht geändert wurden unterschiedliche Bezeichnungen für junge Frauen wie z.B. "junge Dame", "Fräulein" oder "Mädels".

  • Um die Anonymität zu gewährleisten, wurden Eigennamen, Ortsnamen und Namen von Institutionen in den Interviews durch neutrale Bezeichnungen ersetzt.

3.2 Qualitative Interviews mit gehörlosen Frauen

Um die Situation der Betroffenen selbst zu erheben, wurden gehörlose und schwerhörige Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren befragt Auch hier wurde methodisch mit halbstrukturierten Interviews gearbeitet. Das Bezugssystem der untersuchten Personen sollte im Sinne einer natürlichen, theoretisch nicht vorgeformten Beschreibung abgebildet werden (Kruse & Schmitt 1999, 163). Die Auswahl der Interviewpartnerinnen wurde nach bestimmten Kriterien vorgenommen. Sie sollten gehörlos, weiblich und zwischen 15 und 25 Jahre alt sein. Ziel war es eine Bandbreite an "Fällen" für Interviews zu gewinnen, also Interviewpartnerinnen, die arbeitslos sind, in Beschäftigung, in Karenz, in Ausbildung, etc. Ein weiteres Kriterium war die Herkunft aus den unterschiedlichen österreichischen Bundesländern.

Um Interviewpartnerinnen zu gewinnen, wurden unterschiedliche Medien und Einrichtungen kontaktiert sowie bereits vorhandene Kontakte und Vernetzungen genutzt.

  • Ausschreibung (als Text und in ÖGS) auf der Homepage des Österreichischen Gehörlosenbundes sowie auf den Seiten des Tiroler Landesverbandes, des Steirischen Landesverbandes und von KommBi, dem Bildungs- und Kommunikationszentrum Innsbruck.

  • Kontakte mit Gehörlosenvereinen, ArbeitsassistentInnen, JobcoacherInnen, Beratungszentren u.Ä. mit der Bitte, die Information an mögliche Interessentinnen weiterzuleiten und uns Interviewpartnerinnen zu nennen.

  • Nutzung aller persönlichen Kontakte zu gehörlosen und hörenden Personen, die an relevanten Schnittstellen tätig sind.

  • Im März 2009 wurden auf den online Seiten der APA, der Kleinen Zeitung sowie auf die Standard ein nochmaliger Aufruf veröffentlicht.

Insgesamt ergaben sich bis Juni 2009 Kontakte zu 22 gehörlosen und schwerhörigen Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren aus unterschiedlichen Bundesländern. Davon haben sich schlussendlich 14 Personen aus den Bundesländern Steiermark, Wien, Kärnten, Oberösterreich und Tirol für ein Interview zur Verfügung gestellt. Die anderen Frauen hatten trotz anfänglichem Interesse oder mehrmaligem Bemühen um einen Interviewtermin abgesagt oder sich nicht mehr rückgemeldet.

3.2.1 Der Interviewleitfaden

Für die Durchführung der Interviews wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der die

forschungsleitenden Themenbereiche in Form von prototypischen Fragestellungen

abdeckte.

Themen

Fragestellungen

Berufswahl

Welche Berufsausbildung hast du abgeschlossen?

  • Warum hast du dich für diesen Beruf entschieden?

  • Wie war deine Ausbildungssituation?

  • Machst du sonst noch eine Aus- oder Weiterbildung? Wenn ja, wie ist die Situation?

Berufswahl

  • Gab es andere Berufe, die dich interessiert hätten? Warum hast du diese nicht gewählt?

  • Welche Berufe haben dich überhaupt nicht interessiert?

  • Gab/gibt es Personen, die für dich ein berufliches Vorbild waren/sind?

  • Wann hast du begonnen, dich mit deiner Berufswahl auseinanderzusetzen?

  • Wer hat dich unterstützt? Woher hattest du deine Informationen?

  • Gibt es Personen, die für dein Leben wichtige Vorbilder sind, an denen du dich orientierst? Warum sind sie wichtig?

Schulbildung

  • Wie war deine Schulbildung? Warst du in einer Regelschule (Integrationsklasse) oder in einer Gehörlosenschule?

Berufstätigkeit, Arbeitsplatz

Derzeitige (letzte) Berufstätigkeit

  • Bitte beschreibe uns deine Aufgaben und Tätigkeiten.

  • Wie viele Stunden arbeitest du?

  • Kannst du von deinem Einkommen leben? Bekommst du noch andere Unterstützungen?

  • Ist dein Arbeitsplatz befristet oder unbefristet?

Arbeitsplatz

  • Wie bist du zu deinem jetzigen Arbeitsplatz gekommen?

  • Ist das deine erste Berufstätigkeit? Hast du vorher schon etwas anderes gemacht?

  • Gibt es Schwierigkeiten oder Probleme, die du am Arbeitsplatz hast/hattest? Wenn es Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gibt, mit wem redest du darüber, bei wem holst du dir Unterstützung?

  • Wie sieht es mit Aufstiegsmöglichkeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten aus?

Kommunikation

  • Wie funktionieren die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit KollegInnen und Vorgesetzten?

  • In welchen Situationen /bestellst du DolmetscherInnen am Arbeitsplatz?

Berufliche Zukunft

  • Welche Veränderungen würdest du dir an deinem Arbeitsplatz wünschen?

  • Wie siehst du deine berufliche Zukunft für die nächsten Jahre?

Freizeit, soziale Kontakte

  • Wie gestaltest du deine Freizeit?

  • In welcher Form pflegst du in deiner Freizeit Kontakte zu Hörenden oder zu Gehörlosen?

  • In welchen Vereinen oder Organisationen bist du aktiv? In welcher Form?

  • Welche Bedeutung hat für dich die Gehörlosengemeinschaft?

Familie und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Familie und Arbeitsteilung

  • Ist deine Familie hörend oder gehörlos?

  • Bist du verheiratet, in Lebensgemeinschaft? Ist deine/e PartnerIn gehörlos/hörend/schwerhörig? Wie kommuniziert ihr?

  • Wie sieht deine Wohnsituation aus?

  • Wenn gemeinsamer Haushalt mit PartnerIn: Wie sieht die Arbeitsteilung aus? Wer macht was?

  • Hast du Kinder? Wenn ja wie viele, wie alt? Wie wird die Kinderbetreuung organisiert? Welche Pflichten übernimmt der/die PartnerIn?

  • Hast du andere Betreuungspflichten?

  • Möchtest du in Zukunft Kinder? Wenn ja, wie stellst du dir vor, das mit deinem Beruf in Einklang zu bringen?

  • In welcher Form soll sich dein/e PartnerIn beteiligen?

Erfahrungen von Diskriminierung und Benachteiligung

Geschlecht

  • Gab/gibt es Situationen in denen du dich als Frau benachteiligt oder diskriminiert gefühlt hast? Was war das für eine Situation, was ist vorgefallen?

  • Wo bzw. bei wem hast du dir Unterstützung geholt?

  • Kennst du Beratungsstellen und Einrichtungen, die Unterstützung für Frauen anbieten? Hast du solche schon in Anspruch genommen? Wenn nein, warum nicht?

Gehörlosigkeit

  • Gab/gibt es Situationen in denen du dich als Gehörlose benachteiligt oder diskriminiert gefühlt hast? Was war das für eine Situation, was ist vorgefallen?

  • Wo bzw. bei wem hast du dir Unterstützung geholt?

  • Kennst du Beratungsstellen und Einrichtungen, die Unterstützung für Gehörlose anbieten? Hast du solche schon in Anspruch genommen? Wenn nein, warum nicht?

Information, Kommunikation

  • Wie kommunizierst du in Alltagssituationen?

  • Welche Zeitungen liest du? Welche Informationen interessieren dich besonders? Liest du auch Gehörlosenzeitungen?

  • Siehst du regelmäßig fern? Wenn ja, welche Sendungen?

  • Wofür verwendest du Computer und Internet? Besuchst du regelmäßig Seiten der Community?

  • Welche technischen Hilfsmittel verwendest du?

DolmetscherInnen

  • Wann und wofür bestellst du GebärdensprachdolmetscherInnen? Gibt es Situationen, in denen du häufiger DolmetscherInnen brauchen würdest?

  • Wo findest/bestellst du die DolmetscherInnen? Wer bezahlt die DolmetscherInnen?

  • Was müssen die DolmetscherInnen für dich machen?

Ausblick

  • Welche Veränderungen wünschst du dir für die Zukunft?

3.2.2 Fragebogen

Für die Erhebung der demografischen Daten der Interviewpartnerinnen war ein Fragebogen auszufüllen um Daten wie Alter, Beschäftigungsstatus, Wohnsituation, Wohnort, besuchter Schultyp u. Ä. zu erheben (Fragebogen siehe Anlage 1).

3.2.3 Interviewdurchführung und Transkription

Die Interviews wurden im Zeitraum von Februar bis Juli 2009 durchgeführt. Von den 14 Interviews wurden sechs in Gebärdensprache, ein Interview in Gebärdensprache und Lautsprache und sieben Interviews in Lautsprache geführt. Die für die Interviews benötigten DolmetscherInnen wurden vor Ort bestellt. Sechs Interviews wurden in Graz durchgeführt, die Interviewpartnerinnen waren einverstanden zu uns zu kommen bzw. haben dies selbst angeregt. Die anderen Interviews wurden in den Bundeshauptstädten Linz und Wien[1] sowie in Graz-Umgebung durchgeführt. Ein Interview mit einer gehörlosen Frau aus Innsbruck wurde mittels Videotelefonie über das Internet geführt. Ein Interview wurde als "Doppelinterview" geführt, d.h. zwei Frauen haben den Wunsch geäußert, gemeinsam befragt zu werden. Jedes Interview dauerte durchschnittlich 42 Minuten. Die Gesamtdauer beträgt 550:25 Minuten, das entspricht 9,17 Stunden.

Dauer der einzelnen Interviews:

Nr. Interview

Dauer (Minuten)

IP 13

40: 04 (Doppelinterview)

IP 12

36: 01

IP 11

60:12

IP 10

60:50

IP 9

34:26

IP 8

40:28

IP 7

49:54

IP 6

33:20

IP 5

39:08

IP 4

39:12

IP 3

58:28

IP 2

45:18

IP 1

53:36

Jedes Interview wurde mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet und anschließend in Standardorthografie transkribiert. Bei Interviews, die in Gebärdensprache durchgeführt wurden, liegt die Dolmetschung als Tondokument vor. Bei der Transkription kam folgende Vorgehensweise zur Verwendung:

  • Die Transkription wurde in Standardorthografie durchgeführt, um das Lesen zu erleichtern.

  • Umgangssprachliche und dialektale Ausdrücke wurden mehrheitlich in der österreichischen Standardsprache wiedergegeben.

  • Satzabbrüche, Einschübe, unvollständige Sätze wurden der Standardsprache angepasst, um das Lesen zu erleichtern.

  • Interjektionen, Ausrufe und Pausenfüller wurden nicht transkribiert.

  • Um die Anonymität zu gewährleisten, wurden Eigennamen, Ortsnamen und Namen von Institutionen soweit möglich in den Interviews durch neutrale Bezeichnungen ersetzt.

Bei manchen Interviews, die von den schwerhörigen Interviewpartnerinnen in Lautsprache gegeben wurden, waren Äußerungen manchmal schwer verständlich bis unverständlich. Das lag zum einen an der undeutlichen Aussprache, zum anderen an einer schlechten Deutschkompetenz. Bei der Transkription wurde dies entweder vermerkt oder es wurde versucht den korrekten Inhalt zu erschließen.

3.3 Auswertung der Interviews

Alle 27 Interviews wurden nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Mayring 2003, 82f). Anhand des transkribierten Interviewmaterials wurden bestimmte Themen, Inhalte und Aspekte extrahiert und zusammengefasst. Die Strukturierungsdimensionen wurden aus den zentralen Fragestellungen der Untersuchung abgeleitet. Ziel war es, allgemeine Strukturen, Repräsentatives, Verallgemeinerbares abzuleiten, aber auch Aussagen bzw. Themen aufzugreifen, die als zusätzlicher Fokus auf die Problematik relevant erscheinen. Beim Definieren der Kategorien wurde festgelegt, welche Textteile unter eine Kategorie fallen, sowie Ankerbeispiele herausgefiltert. Ankerbeispiele sind konkrete Textstellen, die unter eine Kategorie fallen und als Beispiele für diese Kategorie gelten. Diese Ankerbeispiele finden sich als Zitate in der Darstellung der Ergebnisse wieder. Die Textstellen in den Kapiteln sechs und sieben werden mit der Nummer des jeweiligen Interviews und der Seitenanzahl zitiert. IE steht für die InterviewpartnerInnen aus der Praxis (ExpertInnen) und IP steht für die gehörlosen Interviewpartnerinnen. Die transkribierten Interviews können bei den Studienautorinnen bei Bedarf eingesehen werden.



[1] Dabei hat sich in manchen Fällen das Fehlen eines geeigneten Raumes für die Interviewdurchführung gezeigt. Vier Interviews wurden in einem Seminarraum einer Schulungseinrichtung durchgeführt, ein Interview in einem Kaffeehaus, was suboptimal vor allem für den/die DolmetscherIn und die spätere Transkription wegen des Hintergrundlärms war. Für ein Interview wurden wir in die Privatwohnung der Interviewpartnerin eingeladen.

4. Gehörlose Frauen in der heutigen Arbeitswelt

In diesem Kapitel werden zentrale Ausgangsüberlegungen dargestellt, die für die Möglichkeiten gehörloser Frauen in der heutigen Arbeitswelt bestimmend sind. Gehörlose Frauen haben in der Regel einen geringen sozioökonomischen Status. Dies belegen nicht nur die rudimentär vorhandenen Studien zur Situation gehörloser Frauen (vgl. etwa Breiter 2005, Brueggemann & Burch 2006) sondern auch Arbeiten, die sich mit der sozioökonomischen Situation gering qualifizierter Personen befassen (vgl. etwa Solga 2005). Untersuchungen zur Beschäftigungssituation behinderter ArbeitnehmerInnen zeigen, dass Betriebe kaum Interesse zeigen, Menschen mit Behinderung einzustellen, da nach wie vor Vorurteile über deren geringe Leistungsfähigkeit bestehen. Diese Zuschreibung trifft besonders Frauen (vgl. etwa Bergmann & Gindl 2004). Wie Breiter (2005, 120ff) in ihrer Studie über gehörlose Frauen in Wien aufzeigt, sind die meisten gehörlosen Frauen unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt, am häufigsten im Büro- und Reinigungsbereich. Die Wunschberufe gehörloser Frauen liegen jedoch häufig im sozialen, pädagogischen oder im kreativ-künstlerischen Bereich und sind ihnen vielfach nicht zugänglich. Ein weiteres Problem ist der geringe Verdienst. Viele gehörlose Frauen können von ihrem Berufseinkommen nicht leben. Hinzu kommen weitere Faktoren, die für gehörlose Frauen erschwerend sind, wie etwa Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg nach der Karenz aufgrund fehlender Unterstützungsangebote oder Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Teilnahme an regulären Angeboten ist aufgrund der hohen Dolmetschkosten oft unmöglich (vgl. Deutscher Gehörlosen-Bund 1996). Sprache stellt für gehörlose Frauen insgesamt ein wesentliches Ausschlusskriterium dar. Für gehörlose Frauen ist es bedeutsam, dass sie in allen Lebensbereichen, auch in der Ausbildung, am Arbeitsplatz, in der Vermittlung und Beratung auf die Gebärdensprache angewiesen sind. Dies wird in unserer Gesellschaft nach wie vor kaum sichergestellt.

4.1 Bildung und Beschäftigung

Die These von der Wissensgesellschaft postuliert den Zusammenhang zwischen Bildung und Beschäftigung. Wie Solga (2005) ausführt, bestimmen heute Bildungsabschlüsse und Qualifikationen den Zugang zu gesellschaftlichen Positionen. Das Bildungssystem wird so zur Verteilungsinstanz für die soziale und berufliche Stellung. In diesem Zusammenhang ist heute von "gering qualifizierten Personen" die Rede, damit sind jene gemeint, deren Erwerbschancen aufgrund fehlender Bildungsressourcen massiv gesunken sind. Zu den gering qualifizierten Personen gehören insbesondere auch gehörlose Menschen, denen es aufgrund der strukturellen Benachteiligungen im österreichischen Bildungssystem meist nicht möglich ist, eine adäquate Bildung und Ausbildung zu erwerben und die damit in Zusammenhang stehenden gesellschaftlichen und beruflichen Positionen zu erreichen. Diese Exklusion ist nicht nur bildungspolitisch relevant, sondern auch beschäftigungspolitisch und sozialpolitisch. Wenn also gehörlose junge Frauen von der Schule in das Berufsleben übertreten, ist bereits eine Reihe von prekären Voraussetzungen vorhanden, die die Integration deutlich erschweren. Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Wer eine qualifizierte Grundbildung vorweisen kann und einen hohen Bildungsabschluss hat, hat vergleichsweise bessere Chancen auf eine Beschäftigung als Personen, die dies nicht haben. Am häufigsten sind Personen von Arbeitslosigkeit betroffen, die lediglich einen Pflichtschulabschluss haben bzw. keinen Schulabschluss vorweisen können. Auch Personen mit einem Lehrabschluss als höchsten Bildungsabschluss sind relativ häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Wir können heute davon ausgehen, dass der Konkurrenzkampf um sichere Arbeitsplätze steigt und damit jene mehr denn je an den Rand gedrängt werden, die hinsichtlich ihrer Bildungs- und Beschäftigungschancen benachteiligt sind. Sie geraten, sofern sie überhaupt Arbeit haben, leichter in das Segment diskontinuierlicher und prekärer Beschäftigung und sind insgesamt häufiger von Armut bedroht (vgl. Solga 2005, 29f).

4.2 Jugendliche Erwerbspersonen

Wie Oehme, Beran und Krisch (2007, 19ff) ausführen, werden durch den Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft die institutionellen Übergangswege, auf denen Heranwachsende bislang in die Arbeitsgesellschaft geleitet wurden, brüchig. Insbesondere die duale Lehrlingsausbildung ist den neuen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen nur noch teilweise gewachsen. Die erforderlichen Lernprozesse sowie der Übergang in die Arbeit können längst nicht mehr für alle Jugendlichen ermöglicht werden. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch wie die von Erwachsenen, im Jahresdurchschnitt 2007 lag sie bei 11,2 Prozent (Arbeitskräfteerhebung 2007, 63). Es fehlen Lehrstellen bzw. Arbeitsplätze, häufig kommt es zu Kündigungen wegen Betriebsschließungen, insbesondere bei weiblichen Jugendlichen steigt die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse. Hinzu kommt, dass die Löhne bei Eintritt ins Berufsleben sehr niedrig sind und daher keine Möglichkeit besteht, Höherqualifizierungen individuell zu bezahlen (vgl. Biffl 2007). Neben dem Fehlen von Lehrstellen bzw. dem Fehlen von Arbeitsplätzen zeigt sich, dass die Bildungsmöglichkeiten einer wachsenden Anzahl von Jugendlichen beschnitten werden sowie die Qualität der beruflichen Qualifikation unter ökonomischen Sachzwängen leidet. Zudem fehlen alternative Bildungs- und Beschäftigungsformen zur Lehrausbildung (Oehme, Beran & Krisch 2007). Das ist die Situation vor der sich auch gehörlose junge Frauen gestellt sehen, wenn sie in das Arbeitsleben einsteigen wollen. Für sie ist es, ausgestattet mit dem "Defizit" der Gehörlosigkeit bzw. Hörbeeinträchtigung und den damit einhergehenden Problemen umso schwerer, entsprechende Wege in das Berufsleben zu finden. Quantitative Daten darüber, welche Integrationsmaßnahmen Jugendliche mit Behinderung häufig in Anspruch nehmen, finden wir im Jahresbericht des Bundessozialamtes (vgl. Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006, 12). Von den über 13.000 jugendlichen TeilnehmerInnen an Integrationsmaßnahmen im Jahr 2006 haben 40 Prozent das Clearing in Anspruch genommen, 25 Prozent unterstützende Maßnahmen zur Arbeitsplatzerlangung und Arbeitsplatzsicherung im Rahmen der Arbeitsassistenz, 15 Prozent die Berufsausbildungsassistenz und 19 Prozent eine Qualifizierung bzw. Nachreifung. Hier ist deutlich ersichtlich, dass das Clearing die häufigste Maßnahme für Jugendliche darstellt und die Qualifizierung einen geringen Stellenwert einnimmt. Da die Daten nicht gegendert dargestellt werden, können keine Aussagen über das Geschlechterverhältnis gemacht werden.

4.3 Geschlecht und Erwerbsarbeit

Geschlecht spielt am Arbeitsmarkt eine relevante Rolle, angefangen von der Berufswahl über die Karriereplanung bis hin zum Einkommen und zur Erwerbsbeteiligung. Was die Berufswahl von weiblichen Jugendlichen betrifft, so wählen 70 Prozent aller Mädchen, die eine Lehre absolvieren wollen, aus nur zehn Lehrberufen aus, am häufigsten sind das Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin. Burschen wählen aus einem breiteren Spektrum von Lehrberufen, auf den ersten Plätzen finden sich Kfz-Mechaniker, Elektroinstallateur, Verkäufer und Maschinenbautechniker. Die geschlechtsspezifische Segmentierung der Berufe zeigt sich auch im höher qualifizierten Bereich, so sind etwa die Berufsbereiche Erziehung, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Ausbildungen im Dienstleistungsbereich weitgehend frauendominiert. Die Einkommensunterschiede zwischen unselbständig beschäftigten Frauen und Männern sind nach wie vor enorm und liegen in Österreich bei 20 Prozent. Die Ungleichheiten beginnen sehr früh. Weibliche Lehrlinge erhalten auf Basis der gewählten Berufe und deren Entgelt häufig weniger Lehrlingsentschädigung als ihre männlichen Kollegen. Von den Einkommensdifferenzen besonders betroffen sind Arbeiterinnen und Angestellte (vgl. Bican-Zehetbauer & Oswald 2002, Hamann & Linsinger 2008, Becker-Schmidt & Knapp 1995). Wie Hamann und Linsinger (2008, 21) aufzeigen, gelten etwa Fahrer und Heizer als qualifizierte Facharbeiter, obwohl sie keine Ausbildung brauchen und fallen in eine hohe Lohngruppe. Näherinnen hingegen gelten, auch wenn sie eine Fachausbildung haben, nicht als Facharbeiterinnen und werden daher niedriger eingestuft. Ein weiteres Beispiel ist der Männerbereich Metall, wo die Bezahlung höher ist als etwa im frauendominierten Bereich Textil. Einzig bei den BeamtInnen ist der Gendergap gering (Eurostat Jahrbuch 2004, zit. in Weinzinger, Bernroitner, Wagner & Stauffer 2006, 17ff).

Im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit von Frauen, ist die "Vereinbarkeit" von Erwerbsarbeit und Familienarbeit ein Problem, das nach wie vor insbesondere Frauen betrifft. Das gilt auch für gehörlose Frauen. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben nach einer Karenz ist schwierig. Die Partner beteiligen sich kaum an der Kinderbetreuung bzw. Reproduktionsarbeit. Der Männeranteil an den BezieherInnen von Kinderbetreuungsgeld liegt nur bei ca. zwei Prozent (Statistik Austria 2006[2]). Hinzu kommt, dass es in Österreich nach wie vor einen Mangel an entsprechenden Kinderbetreuungseinrichtungen gibt. Frauen mit betreuungspflichtigen Kindern gehen häufig einer Teilzeitbeschäftigung nach, da eine solche die "Vereinbarkeit" von beruflichen und reproduktionsbedingten Verpflichtungen besser ermöglicht. Teilzeitbeschäftigung stellt eine typische weibliche Form der Flexibilisierung dar, die häufig gewählt wird, um familiäre und betriebliche Verpflichtungen vereinbaren zu können. Männer hingegen sind häufiger von jenen Formen der Arbeitszeitflexibilisierung betroffen, die eine kurzfristige Reaktion auf betriebliche Bedürfnisse darstellen, und die die volle zeitliche Verfügbarkeit ihrer Arbeitskraft voraussetzen (Wroblewski 2000). In Österreich betrug die Teilzeitquote von Frauen im Jahr 2008 41,2 Prozent, die von Männern 7,2 Prozent. Eine bedeutende Konsequenz, die sich aus einer Teilzeitbeschäftigung ergibt, ist der sogenannte "Versorgungspflichtenmalus", also das niedrige Einkommen wegen familiärer Verpflichtungen bzw. wegen der "Ausübung von Tätigkeiten, die das Kapital nicht oder kaum vermehren" (Hieden-Sommer 2005, 18). Daneben sind die geringere soziale Absicherung und mangelnde berufliche Aufstiegschancen für teilzeitbeschäftigte bzw. betreuungspflichtige Frauen problematisch. Insbesondere alleinerziehende Frauen sind von massiven ökonomischen Einbußen betroffen, sie haben ein deutlich höheres Armutsrisiko. Dass sich ein geringer Verdienst und Existenzsicherungsprobleme auch bei gehörlosen Frauen zeigen, ist also nicht weiter verwunderlich. Wie Breiter (2005) aufzeigt, können viele gehörlose Frauen von ihrem Erwerbseinkommen nicht leben, sie benötigen zum Teil zusätzliche finanzielle Unterstützung durch PartnerInnen, Familie oder Sozialleistungen, können sich kein Kapital ansparen und kaum etwas leisten.

4.4 Gehörlosigkeit

Die Kategorie Gehörlosigkeit ist nicht eindeutig zu fassen, da sie unterschiedliche Zugänge anbietet. Wir können Gehörlosigkeit etwa nach audiologischen Kriterien definieren, nach Selbstdefinition der Betroffenen, nach Sprachgebrauch oder nach dem Grad der Gruppenidentifikation bzw. der kulturellen Orientierung (vgl. dazu etwa Bat-Chava 1994, Hintermaier 2007, Krausneker & Schalber 2007). Je nach Definition beziehen wir die einen mit ein, schließen die anderen aus. So ist etwa die audiologische Klassifikation kein Kriterium für die Sprachwahl, sie ist jedoch für die Betreuung und Beratung Gehörloser in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die zentrale Kategorie. Als audiologisch gehörlos werden Menschen definiert, bei denen eine extreme Schädigung des Gehörs vorliegt und die infolge dessen selbst bei bestmöglicher Schallverstärkung durch technische Hilfsmittel keine oder nur begrenzte Höreindrücke haben. Das heißt, sie können die Lautsprache über das Gehör nicht aufnehmen und diese somit auf natürlichem Weg nicht erwerben. Dieser Definition zufolge setzt Gehörlosigkeit etwa ab einem Hörverlust von 80 Prozent ein (Ahrbeck 1992). Definieren wir Gehörlosigkeit nach der Sprachverwendung, bezeichnen wir damit Menschen, die Lautsprache nicht barrierefrei aufnehmen und erwerben können und sich der Gebärdensprache als Kommunikationsmittel bedienen müssen (Krausneker & Schalber 2007, 17). Ein kulturorientiertes Modell von Gehörlosigkeit definiert diese nicht über ein audiologisches Defizit, also als individuelle Normabweichung und die damit verbundene ideologische und ökonomische Machtausübung, sondern als soziologische und kulturelle Zuschreibung. Somit kann das Kulturmodell als Gegenkonzept zum Defizitmodell bzw. als "Instrument gegen die Diskriminierung" betrachtet werden. Galt das Kulturmodell noch als eher einheitliches, essentialistisches Gebilde, sprechen wir heute eher von einem Prozess, der verschiedene Lesarten des Gehörlosseins in sich vereint. Ziel ist es, gehörlose Menschen nicht als homogene Gruppe zu begreifen, sondern im Sinne von Diversität und Vielfalt (Ladd 2003, Maier 2006). Gebärdensprache, der Ausschluss derselben und die Benachteiligungen und Kommunikationsbarrieren, die sich dadurch ergeben, stellen also in Hinblick auf unsere Zielgruppe ein zentrales Thema dar. Für alle Maßnahmen zur Integration sowohl beruflich als auch sozial bedeutet dies, dass es notwendig ist, die individuell unterschiedlichen Voraussetzungen, Kompetenzen und Lebensweisen von gehörlosen und hörbeeinträchtigen Frauen zu berücksichtigen.

4.5 Gehörlose Frauen als "Behinderte"

Hinsichtlich ihrer Integration in den Arbeitsmarkt werden gehörlose Frauen (wie auch gehörlose Männer) als "behindert" betrachtet und unterliegen damit auch den entsprechenden Gesetzen. In Österreich regeln sowohl das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) als auch verschiedene Landesgesetze die Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt. Ziel ist die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung und die längerfristige Sicherstellung derselben durch eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen. Das sind etwa das Quotensystem[3], finanzielle Förderungen für DienstgeberInnen sowie für die betroffenen ArbeitnehmerInnen (Schulungs- und Ausbildungskosten, Gebärdensprachdolmetschkosten, Arbeitsplatzadaptierungen u. Ä.). Zudem gelten oftmals besondere Kündigungsbestimmungen. Um diese Leistungen in Anspruch nehmen zu können, ist häufig die Zugehörigkeit zum Personenkreis der "begünstigten Behinderten" Voraussetzung[4]. Die "begünstigen Behinderten" in Österreich sind hauptsächlich Männer, der Frauenanteil liegt nur bei 40 Prozent (vgl. Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006, 16), gehörlose Frauen sind also bei der Inanspruchnahme von Maßnahmen benachteiligt. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es in Österreich weitere Maßnahmen für die Integration gehörloser und schwerhöriger Menschen in den Arbeitsmarkt. Es sind dies Einrichtungen wie die Arbeitsassistenz, die Integrationsassistenz, das Jobcoaching oder diverse Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte. Für gehörlose Jugendliche ist es zudem auch möglich, eine integrative Berufsausbildung zu absolvieren (Gruber 2008). Bei all diesen Maßnahmen stehen in erster Linie die Erlangung und Erhaltung eines Arbeitsplatzes im Vordergrund. Es herrscht also ein sehr enger Begriff von Arbeitsmarktintegration vor. Wie ExpertInnen betonen ist aber gerade für Problemgruppen die Arbeitsmarktintegration ein umfassender Prozess, der die Gestaltung der gesamten Übergangsphase, also auch das Bildungs- und Ausbildungssystem sowie künftige Formen der Arbeit umfassen sollte (Oehme, Beran & Krisch 2007, Walther & Pohl 2005). Dieser Ansatz wird in Österreich bis dato noch nicht verfolgt, im Vordergrund stehen hauptsächlich quantitative "Erfolge" als Vermittlungszahlen.



[2] Im Jahr 2006 gab es 57.927 Frauen und 720 Männer, die Kindergeld im ersten Jahr bezogen, das ist ein Männeranteil von 1,2%. Im zweiten Jahr waren es 69.819 Frauen, die Kindergeld bezogen und 1.531 Männer, das ist ein Männeranteil von 2% (Statistik Austria 2006).

[3] Als eine wesentliche Bestimmung des BEinstG gilt die Beschäftigungspflicht von begünstigten Behinderten; d.h. alle DienstgeberInnen, die mehr als 25 DienstnehmerInnen beschäftigen, sind verpflichtet auf mindestens eine/n DienstnehmerIn eine/n begünstigte/n Behinderte/n einzustellen. Ausnahmeregelungen gibt es etwa für internationale Organisationen oder Gebietskörperschaften (vgl. Behinderteneinstellungsgesetz 2009).

[4] Die Feststellung, ob jemand zum Kreis der begünstigten Behinderten gehört, obliegt dem Bundessozialamt. Beurteilt wird der Grad der Behinderung anhand eines medizinisch orientierten Kriterienkatalogs.

5. Datenlage

Quantitative Daten über die Zielgruppe gehörlos, weiblich, in der Altersgruppe von 15 bis 25 Jahren sind für Österreich nicht vorhanden. Dies ist das Ergebnis einer Analyse relevanter Statistiken zu Erwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit, Anzahl der begünstigen Behinderten, Erfüllung der Beschäftigungspflicht sowie Lehrstellen suchenden Jugendlichen. Die zur Verfügung stehenden Statistiken der Statistik Austria, des Arbeitsmarktservices (AMS) und des Bundessozialamtes (BASB) geben lediglich Auskunft über Personen mit "Behinderung". Im vorliegenden Kapitel werden die Daten zur Erwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit, Anzahl der begünstigen Behinderten, Erfüllung der Beschäftigungspflicht sowie Lehrstellen suchenden Jugendlichen in Hinblick auf "Behinderung" und/oder Geschlecht (sofern möglich) dargestellt und analysiert

5.1 Erwerbsbeteiligung

Gehörlose Frauen sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Beschäftigungsquote gehörloser Frauen liegt bei 33 Prozent, die der gehörlosen Männer bei 60 Prozent (vgl. Mikrozensus 2002[5]). Es zeigt sich deutlich, dass Frauen mit Hörbeeinträchtigung weniger oft erwerbstätig sind als Männer mit Hörbeeinträchtigung. Auch in der Gesamtbevölkerung zeigt sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied bei der Beschäftigungsquote, es sind 81 Prozent der Männer erwerbstätig und 65 Prozent der Frauen (vgl. Mikrozensus 2002, zit. In Bergmann & Gindl 2004, 5).

Abb. 1: Erwerbsbeteiligungsquote nach Geschlecht und Behinderung (eigene Berechnung, Datenquelle: Mikrozensus 2002)

5.2 Arbeitslose mit Behinderung

Daten über "vorgemerkte Arbeitslose mit Behinderung" sind in den Arbeitsmarktdaten des AMS ersichtlich. Hier zeigt sich das Problem, dass es keine Daten über unsere Zielgruppe gibt. Die Arbeitsmarktdaten können lediglich ganz allgemein hinsichtlich Behinderung und Geschlecht analysiert werden. Wie die Daten zeigen, waren im Zeitraum von 2000 bis 2007 beinahe doppelt so viele Männer mit Behinderung als Frauen mit Behinderung arbeitslos gemeldet. Bei den Frauen sind es zwischen 10.000 und 11.000 Personen, bei den Männern zwischen 18.500 und ca. 20.000 (siehe Abbildung 2). Das heißt allerdings nicht, dass behinderte Frauen häufiger beschäftigt sind, sondern, dass diese häufiger nicht arbeitslos gemeldet sind bzw. keine Arbeit suchen. Für die Nichterwerbstätigkeit von Frauen sind verschiedene Gründe ausschlaggebend, am häufigsten die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Erwachsenen, weiters Absolvierung von Ausbildungen, Ruhestand oder Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit (vgl. Arbeitskräfteerhebung 2007, 69).

Abb. 2: vorgemerkte Arbeitslose mit Behinderung nach Geschlecht (eigene Grafik, Datenquelle: AMS Arbeitsmarktdaten)

5.3 Begünstigte Behinderte nach Geschlecht

Einen Überblick über die Anzahl "begünstigter Behinderter" geben die jährlichen Geschäftsberichte des Bundessozialamtes. Bedauerlicherweise werden in den unterschiedlichen Datentabellen weder Geschlecht, noch Alter, noch Art der Behinderung ausgewiesen. Für eine genderspezifische Analyse wären diese Angaben jedoch dringend notwendig. Die einzigen Angaben, bei denen sowohl der Frauen- als auch der Männeranteil ausgewiesen ist, ist die Anzahl der "begünstigten Behinderten", dass sind Menschen, denen per Bescheid ein Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent attestiert wurde und die somit in den Genuss unterschiedlicher Fördermaßnahmen kommen können. Insgesamt ist zu sagen, dass die absolute Anzahl der begünstigt behinderten Männer und Frauen gestiegen ist, und zwar von 38.439 im Jahr 1987 auf 93.642 Personen zum Jahresbeginn 2007 (vgl. Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006, 16). Auf Basis der Zahlen lässt sich die Aussage treffen, dass "begünstigte Behinderte" mehrheitlich Männer sind, wobei sich der Frauenanteil seit 1987 erhöht hat (siehe Abbildung 3). Waren es 1987 lediglich 24 Prozent Frauen, lag der Frauenanteil 1997 bei 36 Prozent und 2007 bei 39,5 Prozent.

Abb. 3: Begünstigte Behinderte nach Geschlecht (eigene Berechnung, Datenquelle: Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006)

5.4 Begünstigte Behinderte nach Erwerbstätigkeit

Die Integration gehörloser junger Frauen in den Arbeitsmarkt ist nicht ohne die Bereitschaft der ArbeitgeberInnen, diese zu beschäftigen, möglich. Insgesamt ist der Anteil der "begünstigten Behinderten", die erwerbstätig sind, vom Jahr 1992 bis 2006 gesunken, und zwar von 72 Prozent im Jahr 1992 auf 66 Prozent im Jahr 2006 (Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006, 16). In der momentanen Wirtschaftskrise ist diese Entwicklung verschärft wahrzunehmen (vgl. etwa Lechner, 2009). Auch in jenen Unternehmen, die einstellungspflichtig sind[6] nimmt der Anteil der erwerbstätigen "begünstigten Behinderten" ab. Er ist von 82 Prozent im Jahr 1992 auf 78 Prozent im Jahr 2006 gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil der begünstigten Erwerbstätigen, die in nicht einstellungspflichtigen Unternehmen beschäftigt sind, in diesen Jahren von 11 Prozent auf 16 Prozent gestiegen. 1992 waren von insgesamt 38.404 erwerbstätigen begünstigten Behinderten 82 Prozent in Unternehmen mit Einstellungspflicht beschäftigt, 11 Prozent in Unternehmen ohne Einstellungspflicht und 7 Prozent waren selbständig erwerbstätig. Im Jahr 1997 waren von insgesamt 47.241 erwerbstätigen begünstigten Behinderten 79,5 Prozent in Firmen mit Einstellungspflicht beschäftigt, 15 Prozent in Unternehmen ohne Einstellungspflicht, und 5,5 Prozent waren selbständig erwerbstätig. Von insgesamt 61.754 beschäftigten begünstigten Behinderten waren im Jahr 2006 78 Prozent in einstellungspflichtigen Unternehmen beschäftigt, 16 Prozent waren in Firmen ohne Einstellungspflicht beschäftigt, 6 Prozent der begünstigten Behinderten waren selbständig erwerbstätig. Informativere Aussagen, wie etwa Art der Unternehmen, Art der Beschäftigung oder Ausmaß der Beschäftigung lassen sich auf Basis der rudimentären Datenlage nicht treffen.

Abb. 4: Erfüllung der Beschäftigungspflicht 1992, 1997, 2006 DG= DienstgeberInnen, MA= MitarbeiterInnen (eigene Berechnung, Datenquelle: Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006)

5.5 Lehrstellenmarkt

Ausgehend von der Annahme, dass der Lehrstellenmarkt immer prekärer wird und immer weniger Jugendliche die Möglichkeit haben, eine Lehre zu absolvieren, wurden die zur Verfügung stehenden Statistiken der letzten Jahre einer genaueren Analyse unterzogen. Allerdings liegen in diesen Statistiken keine Daten über gehörlose Jugendliche vor. Die Arbeitsmarktdaten für Österreich zeigen deutlich, dass es seit dem Jahr 2000 mehr Lehrstellensuchende als offene Lehrstellen gibt. Zudem ist die Anzahl der Lehrstellen suchenden Jugendlichen im Laufe der Jahre stetig gestiegen. Die Lehrstellenandrangsziffer lag im Jahr 2007 bei 1,6, auf eine Lehrstelle drängen also 1,6 Jugendliche. Die Daten veranschaulichen recht präzise, dass es entweder zu wenige Lehrstellen gibt oder zu viele Jugendliche, die eine Lehre absolvieren möchten. Waren es in den Jahren 2000 und 2001 1.128 bzw. 1.257 Lehrstellen, die fehlten, so nahm diese Differenz in den folgenden Jahren zu. Im Jahr 2005 betrug die Differenz zwischen den Lehrstellensuchenden und den gemeldeten offenen Stellen 3.256. In den Jahren 2006 und 2007 lag die Anzahl der fehlenden Lehrstellen bei über 2000 (vgl. Abbildung 5).

Abb. 5: Lehrstellenandrang (eigene Grafik, Datenquelle: AMS Arbeitsmarktdaten)

Betrachten wir die Lehrstellensuchenden nach Geschlecht, zeigt sich, dass seit dem Jahr 2002 die Zahl der Lehrstellen suchenden jungen Männern höher ist als die der jungen Frauen (2002: + 65 Männer, 2003: + 180 Männer, 2004: + 247 Männer, 2005: + 355 Männer, 2006: + 322 Männer, 2007: +217 Männer).

Abb. 6: Lehrstellensuchende nach Geschlecht (eigene Grafik, Datenquelle: AMS Arbeitsmarktdaten)

5.6 Konklusion

Präzise quantitative Daten über die Zielgruppe gehörlos, weiblich, im Alter zwischen 15 und 25 Jahren sind nicht vorhanden. Einschlägige Statistiken weisen keine Differenzierung nach Behinderungsart, Geschlecht und Alter aus. Die Erwerbsbeteiligung nach Behinderung und Geschlecht zeigt, dass Frauen mit Beeinträchtigung die niedrigste Beschäftigungsquote aufweisen. Sie liegt bei 33 Prozent. Frauen mit Beeinträchtigung sind weniger oft arbeitslos gemeldet als Männer mit Beeinträchtigung. Das bedeutet nicht, dass sie häufiger beschäftigt sind, sondern dass sie meist aufgrund von Betreuungspflichten oder anderen familiären Gründen keine Arbeit suchen. "Begünstigte Behinderte", die in den Genuss unterschiedlicher Fördermaßnahmen kommen können, sind mehrheitlich Männer, der Frauenanteil liegt nur bei 39,5 Prozent. Unternehmen sind nicht immer bereit, Personen mit Beeinträchtigung einzustellen, die Anstellungsbereitschaft nimmt ab. Der Lehrstellenmarkt ist nicht mehr für alle Jugendlichen zugänglich. Es gibt mehr Lehrstellensuchende als Lehrstellen. Die hohe Konkurrenz um Lehrstellen macht es für gehörlose Jugendliche aufgrund ihrer schlechten Ausgangsposition schwierig, wenn nicht gar aussichtslos, eine entsprechende Lehrstelle zu finden. Insgesamt zeigt sich, dass der Übergang in den Arbeitsprozess durch eine duale Ausbildung heute nicht mehr für alle Jugendlichen, die das anstreben, gleichermaßen möglich ist. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen am Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig sind.



[5] Die Rohdaten über "Erwerbspersonen mit Hörproblemen" wurden uns dankenswerter Weise von der Statistik Austria zur Verfügung gestellt.

[6] Als eine wesentliche Bestimmung des BEinstG gilt die Beschäftigungspflicht von begünstigten Behinderten; d.h. alle DienstgeberInnen, die mehr als 25 DienstnehmerInnen beschäftigen, sind verpflichtet auf mindestens eine/n DienstnehmerIn eine/n begünstigte/n Behinderte/n einzustellen. Ausnahmeregelungen gibt es etwa für internationale Organisationen oder Gebietskörperschaften (vgl. Behinderteneinstellungsgesetz 2009).

6. Empirische Ergebnisse: ExpertInnen aus der Praxis

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Interviews mit den Personen aus Einrichtungen zur Betreuung und Unterstützung Gehörloser zur Integration in den Arbeitsmarkt dargestellt. Zu Beginn werden die Einrichtungen und die ExpertInnen beschrieben, dann folgt die Darstellung der zentralen Ergebnisse der Interviews.

6.1 Beschreibung der Einrichtungen und InterviewpartnerInnen

Es wurden 13 Personen, davon zwölf Frauen und ein Mann, die in Einrichtung zur Betreuung und Unterstützung erwachsener und jugendlicher Personen mit Hörbeeinträchtigung arbeiten, befragt. Ziel war es, anhand des erstellten Interviewleitfadens (siehe Kapitel 3.1.1) die Erfahrungen und Einschätzungen der InterviewpartnerInnen, die in den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Steiermark, Salzburg, Oberösterreich und Tirol tätig sind, zu erheben.

BUNDESLAND

ANZAHL

Wien/Niederösterreich

3 Personen

Steiermark

5 Personen

Salzburg

2 Personen

Oberösterreich

2 Personen

Tirol

1 Person

Gesamt

13 Personen

Alle InterviewpartnerInnen sind hörend, haben Kenntnisse der Gebärdensprache sowie Kenntnisse im Umgang mit Gehörlosen bzw. der Gehörlosenkultur und waren bereits längere Zeit in Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration (Arbeitsassistenz, Integrationsassistenz, Jobcoaching u.Ä.) oder Ausbildungseinrichtungen für Gehörlose tätig. Der Großteil der InterviewpartnerInnen hat eine einschlägige akademische Ausbildung oder fachliche Qualifikation, häufig im pädagogischen Bereich. Was die Geschlechterverteilung der in diesem Berufsfeld vertretenen Personen betrifft, haben wir es beinahe zu 100 Prozent mit Frauen zu tun. Von den 13 von uns befragten Personen war es lediglich ein Mann, der in diesem Tätigkeitsfeld beschäftigt ist. Dieses Verhältnis kann sicherlich als signifikant angenommen werden.

Die Einrichtungen selbst leisten eine wichtige Aufgabe bei der Integration gehörloser Menschen in den Arbeitsmarkt, sowohl durch Betreuung und Beratung bei Arbeitssuche, Arbeitsplatzerhaltung, Lehrlingsausbildung aber auch durch Qualifizierung und Ausbildung. Die Angebote richten sich nicht nur an gehörlose und hörbeeinträchtigte Personen, sondern zum Teil auch an Firmen und ArbeitgeberInnen. Die Angebote jener Einrichtungen, die speziell für Jugendliche tätig sind, bieten Berufsorientierung und Beratung bei der Berufswahl an und suchen gemeinsam mit den Betroffenen und unter Einbindung der Eltern entsprechende Ausbildungsplätze oder Praktikumsstellen. Je nach Bundesland wird auch Betreuung in den Berufsschulen sowie Unterstützung beim Lernen angeboten.

6.2 Akquirierung der KlientInnen

Die Zuweisung bzw. Akquirierung der KlientInnen erfolgt häufig über das AMS, über Kontakte in Schulen, durch Bewerbung der Angebote in Gehörlosenvereinen, Landesverbänden und Beratungsstellen oder durch "Mundpropaganda". Wie die ExpertInnen anmerken, werden die Angebote von den gehörlosen Jugendlichen und/oder Erwachsenen grundsätzlich freiwillig in Anspruch genommen. Als Zugangsvoraussetzungen gilt die Hörbeeinträchtigung, die Anerkennung als "begünstigter Behinderter" (mindestens 50 Prozent Behinderung), die Anerkennung nach dem jeweiligen Landesbehindertengesetz oder die Einstufung als "begünstigbar" (mindestens 30 Prozent Behinderung). Hinsichtlich des Betreuungsschlüssels pro Geschlecht können auf Basis der Aussagen der InterviewpartnerInnen keine konkreten Angaben gemacht werden. Es scheint, dass das Geschlechterverhältnis der KlientInnen je nach Einrichtung und Angebot variiert. Einige ExpertInnen geben an, mehr junge Frauen zu betreuen, einige betreuen mehr Männer, manchmal wird das Verhältnis als ausgewogen angegeben. Betrachten wir jedoch die quantitativen Daten zur Förderung von Frauen in Maßnahmen zur beruflichen Integration, zeigt sich deutlich, dass Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Im Jahr 2006 wurden ca. 49.000 Maßnahmen zur beruflichen Integration für Menschen mit Behinderung gefördert, lediglich 39,74 Prozent davon betrafen Frauen. Die Angaben beziehen sich unter anderem auf Qualifizierungen, Arbeitsassistenz, Integrationsfachdienste, Lohnförderungen an Betriebe sowie Transitarbeitsplätze (vgl. Bundessozialamt Geschäftsbericht 2006, 11).

6.3 Hörbeeinträchtigung als zentrale Betreuungskategorie

Die Probleme und Schwierigkeiten, die gehörlose junge Frauen am Arbeitsplatz und bei der Jobsuche haben, werden in erster Linie auf die Hörbeeinträchtigung bezogen. Bis auf eine Ausnahme wird dem Geschlecht von den Personen aus der Praxis wenig "Bedeutung" beigemessen. Wie sehr die Hörbehinderung als zentrale Kategorie gesetzt wird bzw. im Arbeitszusammenhang als bestimmend erfahren wird, verdeutlichen etwa folgende Aussagen der InterviewpartnerInnen:

Eigentlich steht an sich die Hörbehinderung im Vordergrund und nicht, ob es sich um eine weibliche Person oder um eine männliche handelt. Es ist eher so, dass man das auf die Behinderung an sich auslegen muss, sei es jetzt am Arbeitsplatz, wenn schon ein Dienstverhältnis vorhanden ist oder wenn jemand ein Dienstverhältnis sucht. Es ist eher so, dass man schaut, dass es bezüglich der Hörbehinderung funktioniert (IE3, 1).

Von den Chancen, die der Arbeitsmarkt einem hörbehinderten jungen Herren gibt oder einer hörbehinderten jungen Dame, grundsätzlich steht da wirklich die Behinderung im Vordergrund und das, was aufgrund der Behinderung möglich ist oder nicht mehr möglich ist, weil es irgendwo versäumt worden ist oder weil es einfach nicht geht. Das steht sicher im Vordergrund. Also ich würde wirklich nicht sagen, dass man auch bei Hörbehinderten sagen kann, auch hier sind die Männer so bevorzugt und die Damen so im Nachteil (IE1, 3).

Die Gehörlosigkeit ist primär das Problem. Es war bei einem Arbeitgeber noch nie Thema, dass das eine Frau ist, sondern es steht immer die Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit im Vordergrund, wie gehe ich damit um und wie integriere ich da in meine Firma und nicht, wie binde ich eine Frau in meine Firma ein (IE2, 7).

Lediglich eine Interviewpartnerin äußert sich deutlich zu beiden strukturellen Benachteiligungen, indem sie anmerkt:

Ich würde sagen, Geschlecht spielt im Zusammenhang mit dem Lohn eine Rolle, Gehörlosigkeit können wir da ausschließen. Hier bei uns steigt man ganz anders ein, die Frauen werden als Helfer von Hilfsarbeitern eingestellt und die Männer eine Stufe höher. Aber die Barriere zum Arbeitsmarkt, das ist die Gehörlosigkeit (IE11, 7f).

Die Hörbehinderung scheint ein Merkmal zu sein, welches alle anderen strukturellen Ungleichheiten "überdeckt". Wie bereits eingangs erwähnt, wurden gehörlose Frauen bislang "geschlechtslos" wahrgenommen. Wie wir allerdings noch nachweisen werden, ist auch die Variable Geschlecht für gehörlose Frauen ein Faktor für Benachteiligung am Arbeitsmarkt. Das zeigt sich etwa in den Tätigkeitsfeldern, in der Berufswahl u. Ä.

6.4 Bildungsdefizite als Vermittlungshindernis

Für gehörlose junge Frauen (wie auch Männer) ist ein chancengleicher Zugang zur Bildung in Österreich nicht möglich. Dies hat nicht nur Konsequenzen für ihre Integration in den Arbeitsmarkt, sondern auch für die gesellschaftliche Partizipation insgesamt. Bildung spielt nicht nur für die Erwerbschancen eine Rolle, sie ist Grundvoraussetzung, um an der Gesellschaft teilzuhaben, sie mit gestalten zu können sowie eigene Interessen zu artikulieren und zu vertreten. Die Unmöglichkeit, eine entsprechende Bildung zu erwerben, schwächt nicht nur die Individuen selbst, sondern auch die Gemeinschaft, in der sie leben. Das gilt insbesondere für die Gehörlosengemeinschaft, Netzwerk und Anker vieler gehörloser Menschen in Österreich. Wie auch die InteviewpartnerInnen betonen, zeigen sich bei gehörlosen SchulabgängerInnen häufig niedrige Schulabschlüsse, fehlende Grundqualifikationen und mangelnde soziale Kompetenzen. Häufig wird thematisiert, dass trotz abgeschlossener Schulbildung die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten bei vielen gehörlosen Jugendlichen nicht oder nur unzureichend vorhanden sind. Erwähnt werden etwa fehlende Sprachkompetenzen, mangelnde lebenspraktische Fähigkeiten, Defizite in der Allgemeinbildung, fehlendes Selbstbewusstsein, wenig Wissen über die Arbeitswelt und die soziale Ordnung, keine realistische Selbsteinschätzung hinsichtlich der eigenen Kompetenzen sowie das Unvermögen, die eigenen Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren. Diese Bildungsdefizite wirken sich massiv auf die Ausbildungs- und Berufschancen der Betroffenen aus:

Ich finde, das Ausbildungssystem hier ist unter jedem Niveau, in anderen Ländern ist das ganz anders, die jungen Leute haben dort ein ganz anderes Ausbildungsniveau. Die Schule hier, da kommen die Leute heraus und können kaum lesen und schreiben, ganz ehrlich. Und das als Voraussetzung einen Job zu finden, das muss man wirklich auch realistisch anschauen, also da haben sie wirklich kaum Chancen irgendwie konkurrieren zu können [...]. Ausbildung ohne bilinguale Erziehung, das geht einfach nicht. Das sieht man daran, wo die Gehörlosen bei uns stehen und wo sie zum Beispiel in Schweden stehen. Dort sind sie Professoren und Rechtsanwälte und Ärzte und hier sind sie Putzfrauen und Hausmeister! Das hat mit der Intelligenz oder den Fähigkeiten gar nichts zu tun, das hat mit der Ausbildung und mit den Ausbildungsmöglichkeiten zu tun [...]. Ich denke, das Ausbildungsniveau ist das größte Problem von Gehörlosen (IE11, 6 und 8).

Angesetzt werden muss ganz unten, also wirklich vom Kleinkindalter an sollte mehr getan werden, nicht nur für die Frauen, für alle hörbehinderten Menschen. Und auf die Schulbildung kann man dann aufbauen, bestimmte Fachausbildungen machen oder wie auch immer. Aber solange der Grundstock nicht gegeben ist, wird es schlechte Aussichten nach sich ziehen. Ich kann mit niemandem, der keine Ausbildung hat und nur die Pflichtschule abgeschlossen hat - und die nur mit Ach und Krach - ich kann da nirgends ansetzen (IE3, 8).

Neben den Grundbildungsdefiziten sind es oftmals auch soziale und selbstreflexive Kompetenzen, die laut Aussagen der InterviewpartnerInnen bei ihren gehörlosen KlientInnen kaum entwickelt sind. Dazu gehören etwa eine unrealistische Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten, die Unfähigkeit, die eigene Behinderung zu reflektieren und mit ihr umzugehen, sowie die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren. Dies verweist auf eine wichtige Aufgabe, wenn es um Integration Gehörloser geht: nicht nur Grundqualifikationen müssen nachträglich erworben werden können, sondern es muss auch vermehrt auf Persönlichkeitsbildung, also die Festigung und Ausbildung des Selbstbewusstseins, eines stabilen Selbst, fokussiert werden. Das gilt besonders für Frauen:

Dass größte Problem entsteht dadurch, dass sehr viele Jugendliche, die eine Höreinschränkung haben, wenig Wissen über soziales Verhalten haben, wie man einem Erwachsenen gegenübertritt oder vielleicht Vorgesetzten. Hierarchien zu durchschauen zum Beispiel, wem gegenüber ist er verantwortlich, wem gegenüber nicht und wem ist er vielleicht sogar überstellt. Solche Dinge zu durchblicken und dann auch Weisungen entgegen zu nehmen, kritikfähig zu sein [...]. Worauf wir jetzt einen ganz großen Schwerpunkt legen, ist der Umgang mit der eigenen Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit, dass man seine Einstellung dazu finden muss, dass man da eine Benachteiligung hat, aber das auch gegenüber seinen Mitmenschen oder Kollegen oder wem auch immer, vertreten können muss. Das ist quasi die Zielvorstellung, dass jemand das weiß, welche Bedürfnisse er hat und dass er die auch artikulieren kann oder zumindest ausdrücken kann (IE5, 7).

Wenn es nicht selbstbewusste Frauen sind, die sagen, ich organisiere mir jemanden, der am Abend aufpasst, ich will den Kurs machen, dann ist das ganz schwierig. Dann werfe ich das Handtuch und sage, ich höre auf, geht nicht. Man muss dann auch nach außen hin noch einmal robuster und selbstbewusster auftreten, um das irgendwie ausgleichen zu können und sich davon nicht unterkriegen zu lassen (IE4, 12).

Die meisten unserer Kunden und Kundinnen überschätzen sicher ihre eigenen Fähigkeiten und Talente und dadurch entsteht für sie oft ein schlechtes Bild von der Einrichtung, weil wir ihnen nicht solche Jobs, die sie sich vorstellen, präsentieren. Das ist oft aufgrund der Ausbildung leider nicht möglich und das sehen manche, die überhaupt keine Ausbildung haben, nicht ein. Und diejenigen, die eine Ausbildung haben und in ihrem Berufsfeld nichts finden, die verstehen es auch nicht (IE3, 3).

Die fehlenden Kompetenzen der gehörlosen KlientInnen beeinflussen natürlich auch die Arbeit der ExpertInnen. Besonders problematisch ist es, wenn gehörlose KlientInnen die entsprechende Unterstützung in Anspruch nehmen möchten und die grundlegenden Voraussetzungen, nämlich die Möglichkeiten der Kommunikation mittels Lautsprache, Schriftsprache oder Gebärdensprache trotz abgeschlossener Schulbildung nicht vorhanden sind und nach abgeschlossener Schulbildung eine Alphabetisierung notwendig ist:

In letzter Zeit kommt es vermehrt vor, dass wir Jugendliche haben, die ohne Sprache zu uns kommen, ohne Schriftsprache, ohne Gebärdensprache, ohne Lautsprache. Da muss man wirklich bei einem Nullpunkt ansetzen und versuchen, einmal eine Alphabetisierung zu machen, einen Gebärdensprachkurs zu bekommen. Und die Erfahrung ist dann schon die, dass, wenn sie Gebärdensprache lernen, dann lernen sie sehr schnell. Das ist oft sehr verblüffend. Wir haben zum Beispiel vor drei Jahren einen Burschen gehabt, der hat weder Deutsch gekonnt, noch Gebärdensprache, noch Schriftsprache, irgendwie gar nichts. Er hat dann einen Kurs begonnen und jetzt, nach zwei Jahren, kann man ohne Probleme mit ihm kommunizieren. Er hat das aufgesaugt wie ein Schwamm und jetzt kann man so richtig mit ihm arbeiten. Aber wenn jemand keine Kommunikationsmöglichkeit hat, ist es natürlich schwierig, Vorstellungsgespräche zu begleiten oder überhaupt die Grundinformationen zu bekommen (IE9, 10).

Grundsätzlich betrifft die Bildungsproblematik sowohl gehörlose Frauen als auch Männer. Die einzigen quantitativen Daten, die für Österreich vorliegen, zeigen keinen signifikanten Unterschied zwischen den Bildungsabschlüssen hinsichtlich des Geschlechts, der Großteil der Gehörlosen hat als höchsten Bildungsabschluss einen Lehrabschluss vorzuweisen, es gibt kaum Gehörlose mit höheren Bildungsabschlüssen in Österreich. Dies ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein signifikanter Unterschied (vgl. Grünbichler 2002). Die Annahme, dass gehörlose junge Frauen häufiger einen höheren Bildungsabschluss erwerben als gehörlose junge Männer, drängt sich aufgrund der Aussagen von InterviewpartnerInnen auf, die betonen, dass junge Mädchen öfter eine weiterführende Schule besuchen als Burschen. Ein weiteres Indiz dafür, dass gehörlose Frauen tendenziell mehr Bildungsbestrebungen haben, zeigen Daten zur Weiterbildungsbeteiligung. So haben im Jahr 2007 mehr als doppelt so viele gehörlose Frauen als Männer an Schulungen oder Kursen des Qualifikationszentrums für Gehörlose in Wien teilgenommen (equalizent, Jahresbericht 2007, 3).

Grundbildung beinhaltet mehr als nur die Beherrschung der Kulturtechniken, heute sind viele und komplexe Fertigkeiten notwendig, um in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz zu bestehen. Solange diese Basis für gehörlose junge Frauen nicht gegeben ist, solange werden sie in der Gesellschaft und im Erwerbsleben mit erheblichen Nachteilen zu kämpfen haben. Eine erfolgreiche berufliche Integration kann nur gelingen, wenn der Bildung eine entsprechende Bedeutung in allen Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation beigemessen wird und Chancengleichheit beim Zugang zur Bildung und höherer Bildung für gehörlose Menschen gegeben ist. Denn, um mit Solga (2005, 21) zu sprechen, beginnen "die Problemgeschichten gering qualifizierter Personen in der Regel bereits in der Kindheit und Schulzeit und nicht erst auf dem Arbeitsmarkt".

6.5 Berufswahl

6.5.1 Berufsvorstellungen und Berufswünsche

Mit Beendigung der Pflichtschule stellt sich für die meisten gehörlosen jungen Frauen die Frage nach der Berufswahl und dem weiteren Ausbildungsweg. Zwar ist Berufsorientierung nicht nur im Lehrplan für die Regelschulen verankert, sondern auch im Sonderschullehrplan, trotzdem wird dieser nicht ausreichend Gewicht beigemessen. Da es laut Lehrplan keine konkreten Vorgaben gibt, was gemacht werden muss, sondern lediglich das Stundenausmaß[7] feststeht, sind im Sonderschulbereich keine einheitlichen Standards vorhanden, es werden lediglich vage und allgemeine Ziele formuliert: "Durch eine rechtzeitige und systematische Berufswahlvorbereitung werden die Jugendlichen befähigt, ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten einzuschätzen und Kompetenzen, Qualifikationen, Neigungen und Interessen zu erkennen. Berufsorientierung und Berufsvorbereitung im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung beinhalten eine Auseinandersetzung mit den Anforderungen in Ausbildung und Beruf auf der Grundlage realistischer Perspektiven. Bei der Vorbereitung auf die berufliche Integration ist eine enge Zusammenarbeit mit Einrichtungen zur Berufseingliederung, Ausbildungsbetrieben und den zuständigen Sonderpädagogischen Zentren bzw. einschlägigen Beratungsstellen notwendig" (Lehrplan der Sonderschule für gehörlose Kinder 2008, 16). Im Vergleich dazu wird die Bildungsaufgabe des Faches Berufsorientierung in Hauptschulen nicht nur als Erwerb von Sachkompetenzen angesehen, sondern umfasst auch die Stärkung und den Ausbau sozialer Fähigkeiten sowie die Bedeutung einer erweiterten Berufsperspektive, insbesondere für junge Mädchen: "Der Unterricht in Berufsorientierung strebt die Entscheidungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler an und soll zwei Hauptkomponenten integrieren: Ichstärke und Wissen um die bzw. Auseinandersetzung mit der Berufswelt. Berufsorientierung bietet auch Gelegenheit, traditionelle Einstellungen und Vorurteile im Hinblick auf Berufs- und Bildungswege zu überprüfen und zielt darauf ab, den Raum möglicher Berufs- und Bildungsentscheidungen, insbesondere für Schülerinnen, zu erweitern" (Berufsorientierung in Hauptschulen 2000, 1).

Befragt nach den Berufsvorstellungen und Berufswünschen gehörloser junger Frauen bzw. gehörloser Jugendlicher, wird von den InterviewpartnerInnen häufig betont, dass die Jugendlichen zu Beginn der Auseinandersetzung mit der Berufsfindung insgesamt zu wenig informiert sind, kaum Kenntnisse über die Berufswelt, ihre Anforderungen und Regeln haben und auch wenig realistische Vorstellungen hinsichtlich ihrer Berufs- oder Ausbildungsmöglichkeiten. Viele Jugendliche haben sehr stark internalisiert, dass sie hinsichtlich ihrer Hörbeeinträchtigung in der Berufswahl eingeschränkt sind. So werden Wünsche von vornherein blockiert oder Berufsmöglichkeiten gar nicht erst in Betracht gezogen, wie nachfolgende Textstellen verdeutlichen:

Sie kommen mit relativ wenig Wünschen und Vorstellungen am Anfang, auch mit dem Glauben, dass ganz vieles nicht möglich ist. Das Bewusstsein ist schon stark, dass ich vieles gar nicht machen kann, weil ich gehörlos bin, ich kann nicht telefonieren, ich kann das und das nicht etc. (IE10, 4f).

Es kommt kaum vor, dass jemand schon mit einer konkreten Vorstellung kommt, in der Richtung, wo es dann auch wirklich zu einer Ausbildung in dem Bereich kommt. Meistens ist das noch weit davor, im Sinne von: "Was möchtest du werden? Weiß ich nicht". Das passiert uns eigentlich am häufigsten (IE5, 6f).

Ich glaube, dass ganz viele Jugendliche keine Vorstellung haben, wo sie hingehen könnten. Sie brauchen konkrete Angebote, um sich was vorstellen zu können (IE4, 11).

Ich glaube, dass es sehr oft der Fall ist, dass sie nicht wissen, was sie machen sollen. Dann machen sie ein Übergangsjahr, noch ein zusätzliches Schuljahr. Ich habe das Gefühl, dass sie oft noch ein Jahr brauchen oder machen wollen, weil sie noch nicht den Wunsch verspüren oder es noch nicht so klar ist, was für eine Lehrstelle es sein sollte (IE9, 6).

Ein weiteres Problem zeigt sich im Fehlen von gehörlosen Vorbildern und Rollenmodellen. Gerade junge Frauen mit Hörbeeinträchtigung, so sagen einige InterviewpartnerInnen, finden keine entsprechenden Rollenmodelle, an denen sie sich orientieren können:

Es gibt wenige Vorbilder in der Community: Wo kann die Reise hingehen? Was machen die anderen? Jeder orientiert sich an Vorbildern. Und wenn ich keine Vorstellung habe, keine Gehörlosen fragen kann, was der jetzt eigentlich tut, dann ist es schwierig [...]. Je kleiner die Gemeinschaft ist und je weniger Vorbilder und Rollen es gibt, die ich grundsätzlich zur Verfügung habe, umso schwieriger ist es und umso weniger Ausreißer gibt es auch, mit denen ich mich vielleicht identifizieren kann, oder Ausreißerinnen in dem Fall, die als Ansporn da sein können (IE4, 11 und 12).

Es hängt sehr viel damit zusammen, wie die Jugendlichen von daheim gefördert sind, was man ihnen an Information geboten hat über die große Welt. Es gibt viele, die wissen eigentlich, ich möchte das werden, wie meine Mama, Verkäuferin beim Merkur (IE5, 5).

Die meisten gehörlosen Mädchen und Burschen müssen bereits nach der Pflichtschule eine Berufs- bzw. Ausbildungswahl treffen, da die wenigsten eine weiterführende Schule besuchen (können). Wenn weiterführende Schulen besucht werden, so die Aussagen einiger InterviewpartnerInnen, dann eher von Mädchen als von Burschen. Begründet wird das damit, dass zum einen die Auswahl an Lehrberufen für Mädchen geringer ist, zum anderen aber auch mit der Aussage, dass Burschen "lieber arbeiten gehen" würden, als eine weiterführende Schule zu besuchen:

Es gibt für Burschen einfach mehr Auswahl an Lehrberufen als für Mädchen. Es ist generell so, dass für Gehörlose die Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind und eben bei den Lehrstellen dann noch einmal, und deswegen gehen sie dann, bevor sie nichts tun, in eine Fachschule (IE9, 3).

Was meines Erachtens noch ist, Mädels gehen lieber in weiterführende Schulen. Da hat es in der letzten Zeit kaum Burschen gegeben, in den letzten Jahren. "Will arbeiten" und so weiter, die Mädels sind eher dazu bereit sich das anzutun, sage ich einmal aus Sicht von dem, wie man es halt erlebt (IE5, 4).

Signifikant, aber nicht überraschend ist, dass junge Frauen - aber auch Burschen - sehr klassische geschlechtsspezifische Berufswünsche haben und zum Großteil auch umsetzen möchten. Das zeigt, wie stark der Einfluss der Variable Geschlecht im Berufswahlprozess auch bei gehörlosen Jugendlichen ist. Wie auch bei hörenden Jugendlichen sind etwa bei gehörlosen jungen Frauen die Berufe Friseurin oder Bürokauffrau sehr gefragt, ebenso wie pädagogische und soziale Berufe. Bei den männlichen gehörlosen Jugendlichen überwiegen Berufswünsche im technischen oder handwerklichen Bereich, das entspricht den Berufsvorstellungen von männlichen Jugendlichen in der Gesamtgesellschaft:

Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass Mädchen sehr oft diese Wünsche von mädchentypischen Berufen haben, aber irgendwie Burschen auch. Es sind diese Rollenbilder noch sehr stark manifestiert. Friseurin, Büro, Automechaniker, also die Berufe, wo sowieso schon von vornherein bekannt ist, dass die sehr überlaufen sind (IE5, 6).

Es sind schon eher traditionelle Berufsvorstellungen, Druckvorstufe, das ist irgendwie neutral, aber sonst sind schon so traditionelle Sachen wie Büro oder Kosmetik gefragt (IE7, 3).

Es werden oft diese klassischen Frauenberufe gewünscht, wie Bürotätigkeit in irgendeiner Form oder auch die Wellness und Gesundheit, Massage, Nägeldesign. Sozialberufe sind auch stark gewünscht oder Kindergarten. [...] Bei den Burschen interessiert sich kein einziger für den Bürobereich. Es sind sehr viele interessiert an technischen Berufen, angefangen bei Tischler über Maler und Fliesenleger, Bäcker kommt auch oft vor, eher die handwerklichen Berufe. Da ist es eher durchmischter. Kfz-Mechaniker ist das, was im Vordergrund steht, was eigentlich alle Burschen machen möchten (IE9, 3 und 4).

Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass das Berufsspektrum aus dem gehörlose Mädchen wählen, sehr eng ist. Gehörlose Burschen haben eine größere Bandbreite an Berufswünschen. Das entspricht auch den Berufswahlmechanismen in der Gesamtgesellschaft. Mädchen wählen insgesamt aus einem engeren Berufsspektrum aus als Burschen. Der Großteil der Mädchen, die eine Lehre absolvieren möchten, wählt aus nur zehn Lehrberufen aus, am häufigsten sind das Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin. Auch in der Wahl non weiterführenden Schulen zeigt sich eine geschlechtsspezifische Segregation. Fachschulen für Mode, wirtschaftsberufliche Schulen und sozialberufliche Schulen werden zum Großteil von Mädchen besucht, in technischen und gewerblichen Fachschulen hingegen liegt der Anteil weiblicher Jugendlicher bei lediglich 23 Prozent (vgl. Bican-Zehetbauer & Oswald 2002, 8ff).

6.5.2 Öffnung alternativer Berufsfelder

Obwohl die Aussagen der meisten ExpertInnen auf geschlechtsspezifische Tendenzen in den Berufsvorstellungen und Wünschen verweisen, finden sich auch unter den gehörlosen Jugendlichen welche, die sich durchaus für atypischen Berufsfelder interessieren, so etwa gehörlose junge Mädchen, die in technische oder handwerkliche Berufe einsteigen wollen oder gehörlose junge Männer, die sich für den Beruf Friseur oder den Sozialbereich interessieren. Das zeigt, dass sich gehörlose Jugendliche genauso wie hörende Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen auch jenseits der traditionellen Berufsfelder orientieren:

Es sind übrigens zwei Mädchen, die sich für Malerei und Fliesenlegerin interessieren, auf jeden Fall soll es bei den beiden ein handwerklicher Beruf sein. [...] Bei dieser Gruppe ist es nicht so, dass nur die klassischen traditionellen Berufswünsche da sind. Sie sind schon auch offen, man muss sie da nicht hin stoßen, sie kommen von ganz allein (IE10, 3 und 4).

Zwei Mal letztes Jahr haben zwei junge gehörlose Männer gesagt, sie wollen im Sozialbereich arbeiten. Das war neu für mich (IE11, 5).

Selten jedoch haben gehörlose Mädchen die Möglichkeit, ein breites Spektrum an Berufen kennenzulernen. Lediglich in zwei Maßnahmen liegt ein Fokus darauf, Mädchen für technische und handwerkliche Berufsbereiche zu interessieren. Es werden Schnuppertage angeboten, um jungen Frauen die Möglichkeit zu geben, unterschiedliche Berufsfelder kennenzulernen. Oftmals führt das dazu, dass sich - trotz anfänglicher Skepsis - junge Frauen durchaus für nichttraditionelle Berufe interessieren und eine Ausbildung in Betracht ziehen:

Wir schauen, dass wir da auch Mädchen hineinkriegen. Es werden auch Schnuppertage angeboten, wo man zum Beispiel das erste Mal mit einem technischen Bereich konfrontiert wird. Am Anfang ist manchmal Skepsis da, aber es geht darum, einfach einmal zu probieren, zu schauen, vielleicht habe ich doch Fertigkeiten. [...] Es sind jetzt zwei, die als Metallerinnen anfangen, ein drittes Mädchen hat in den Holzbereich hineingeschnuppert, das gefällt ihr nicht so. Sie möchte Kfz-Mechanikerin machen, da müssen wir schauen, ob wir Betriebe finden, die ihr ein Praktikum ermöglichen. Und ein Mädchen, das sich ursprünglich für Friseurin interessiert hätte, wo es aber ganz schwierig war, etwas zu bekommen. Wir haben jetzt noch einen Platz für Elektrotechnik und sie sagt, dass sie für drei Wochen ein Praktikum machen will und sich das anschauen möchte (IE4, 5).

Das Kennenlernen von atypischen Berufsbereichen kann natürlich auch dazu führen, dass diese nicht in Betracht gezogen werden. Da der Frauenanteil in klassischen Männerberufen oftmals bei Null liegt, ist es für gehörlose Mädchen sicherlich nicht einfach, hier Fuß zu fassen, wie etwa ein/e InterviewpartnerIn beschreibt:

Ich hatte schon ein Mädchen, das Kfz-Mechanikerin werden wollte, heute lernt sie im Büro. Sie hat in typischen Männerdomänen geschnuppert und dann hat sie ihre Meinung geändert (IE7, 3).

Eine andere Interviewpassage verdeutlicht, dass gehörlose junge Frauen auch mangels anderer Möglichkeiten eine Ausbildung in atypischen Berufsbereichen absolvieren, jedoch nach der Lehre Probleme haben, eine entsprechende Anstellung zu finden:

Es werden oft Kompromisse gemacht, vor allem auch von Seiten der Mädchen. Letztes Jahr war es so, dass zwei Mädchen da waren, die sich für alles interessiert hätten, vor allem für diese typischen Frauenberufe und es hat nirgends geklappt. Dann haben sie die Elektronikausbildung angeschaut und dann war der Kompromiss, wenn beide dort aufgenommen werden, gehen sie dorthin. Und die Firma freut sich natürlich, wegen des Frauenanteils und Gender. Sie sind natürlich sofort aufgenommen worden und jetzt sind sie dort in der Lehre. Es stellt sich halt die Frage, was dann nach der Lehre sein wird. Es ist einerseits schwer, im Bereich Elektronik Arbeitsplätze zu finden, weil das etwas sehr Spezifisches ist, das in anderen Firmen kaum gebraucht wird, und dann noch dazu ein Mädchen mit Männerberuf in einer Branche, die es so ja nicht gibt (IE9, 4).

6.5.3 Die Rolle des sozialen Umfeldes

Die Rolle der Eltern bzw. der Familie wird von unseren InterviewpartnerInnen im Allgemeinen als "sehr stark, mächtig und richtungweisend" beschrieben. Schon bei der Entscheidung über die Wahl der Schule spielen die Eltern eine ausschlaggebende Rolle. Es ist für ein hörbehindertes Kind entscheidend, wie die Eltern zur Gehörlosigkeit stehen, ob sie das Kind in Integrationsklassen oder in eine Gehörlosenschule geben, ob sie Wert auf eine orale oder gebärdensprachliche Erziehung legen. Für Eltern ist es nicht immer leicht oder eindeutig, ihr Kind als hörbehindert einstufen zu lassen, "oft wird es nicht gemacht und das Kind läuft dann so mit". Insbesondere bei Maßnahmen wie Beratungen, Berufsbildung oder Berufsorientierung sind die Zustimmung und das Einverständnis der Eltern notwendig. Die Zusammenarbeit mit Eltern, die sich zu wenig oder gar nicht einbringen oder der Berufswahl ihrer Kinder eher desinteressiert gegenüberstehen, wird demgemäß auch als am schwierigsten beschrieben. Das soziale Umfeld, allen voran die Familie bzw. Eltern(teile) spielen bei der Integration in den Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle. Wenn Eltern positive Vorbilder sind, ihre Kinder sozial und finanziell unterstützen, sie hinsichtlich ihrer Chancen und Fähigkeiten realistisch einschätzen und fördern, dann trägt das auch zu einer erfolgreichen Integration ins Berufsleben bei. Eltern können durch ihre Einstellung, ihre Meinungen und ihr Vorbild sehr viel bewirken:

Es hängt sehr davon ab, wie die private Situation ist, also sind Eltern dahinter. Eltern können schon sehr oft die Kinder dazu bewegen, eine Lehre zu machen oder irgendetwas weiter zu machen, zum Beispiel eine andere Ausbildung. Das ist, finde ich, im Großen und Ganzen der Hauptanker, der private Background (IE3, 6).

Ich glaube, dass einfach viel mit dem Umfeld, der Familie zu tun hat, wie Chancen verwirklichbar sind. Einfach aus der Erfahrung heraus, also wenn sich jemand einmal für einen Weg entscheidet und es dann viele Teile oder Personen gibt, die an diesem Strang mitziehen, klappt es eigentlich meistens, fast immer eigentlich. Es ist oft schwierig zu sehen, wenn es Jugendliche gibt, die Spitzenvoraussetzungen haben, hochintelligent sind und gut kommunizieren und daheim allerdings keine Vorbilder haben (IE5, 10f).

Ein nicht zu vernachlässigender Einflussfaktor ist die soziale Herkunft der Eltern. Die Vorstellungen und Lebensweisen von Eltern mit geringen bildungsmäßigen Ressourcen werden manchmal als erschwerend bei der Betreuung und Unterstützung der weiblichen Jugendlichen betrachtet:

Vor allem was die Mädchen betrifft, ist dann vieles nicht möglich, was sich die Mädchen wünschen und wo auch wir sagen, da hättest du eine Chance, und die Eltern sagen aus verschiedenen Gründen nein (IE9, 7).

Da sind schon oft sehr strenge Vorschriften. Das Arbeiten am Wochenende, wenn es draußen dunkel ist, vor allem bei den Mädchen, ein Arbeitsplatz, wo es viele Männer gibt. Es ist nicht eingeschränkt auf Branchen, sondern eher auf Arbeitszeiten. Also da schaut man schon, dass man Arbeitszeiten findet, die von 8 bis 18 Uhr, eventuell 19 Uhr sind und am Wochenende halt frei (IE9, 7).

Im ländlichen Bereich, wo zum Beispiel die Eltern einen Hof haben, da gibt es das noch, dass sie sagen, dann behalten wir ihn halt daheim und melden ihn daheim als landwirtschaftlichen Arbeiter an, also, wo sie nicht verstehen, dass die da eine Weiche stellen für den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, der sich möglicherweise ungünstig dann auch entwickeln kann. Der Weg ist nicht immer empfehlenswert. Da fehlt das Verständnis (IE7, 4).

Oft erwähnen die ExpertInnen, dass die Fähigkeiten der Jugendlichen von ihren Eltern oft unrealistisch eingeschätzt werden, sie werden sowohl überschätzt als auch unterschätzt. Das geht einerseits soweit, dass Eltern ihr Kind am liebsten in Gymnasien und auf Universitäten sehen oder, im anderen Extrem, dass Eltern glauben, die berufliche Zukunft ihres gehörlosen Kindes liege in einer Beschäftigungstherapie, weil sie seine/ihre Fähigkeiten so niedrig einschätzen, aber auch weil sie selbst unsicher sind und wenig Wissen in Bezug auf Möglichkeiten und Förderungen haben. Oft fehlt das Verständnis, dass ein behindertes Kind etwas lernen soll und kann. Die Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen der Eltern und den Wünschen der Jugendlichen können oftmals nur mittels Kompromissen gelöst werden, mit der Konsequenz, dass die Jugendlichen etwa eine Lehre oder eine Berufsausbildung in einem Beruf machen, in dem sie dann nach dem Abschluss der Lehre nicht arbeiten wollen oder keine Beschäftigungsmöglichkeit finden.

6.6 Probleme der Ausbildung

6.6.1 Ausschluss aus Berufsfeldern

Der Ausschluss aus vielen Berufsbereichen aufgrund der Gehörlosigkeit bzw. der Hörbeeinträchtigung ist ein weiterer einschränkender Faktor, der besonders junge Frauen betrifft. So ist für pädagogische Ausbildungen wie etwa Kindergärtnerin oder Lehrerin die "gesundheitliche Eignung" oder die "musikalischen Bildbarkeit" Aufnahmevoraussetzung. Zwar sind gehörlose Interessentinnen nicht dezidiert von solchen Ausbildungen ausgeschlossen, der Ausschluss bzw. die nicht vollständige Anerkennung der Ausbildung wird häufig durch die erforderlichen Aufnahmebedingungen (Eignungsprüfung, Aufnahmegespräch) sowie die Ausbildungsinhalte (Instrumentalunterricht, rhythmischmusikalische Erziehung, Sprecherziehung etc.) argumentiert (vgl. Bildungsinformation für Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik 2008):

Manche Ausbildungen sind fast nicht machbar aufgrund der Auflagen bei der Aufnahmeprüfung, zum Beispiel Kindergartenpädagogik oder in Richtung Soziales. Da ist meistens was mit Gesang dabei oder ein Instrument spielen und von dem her ist es sehr schwierig, dass da jemand hineinkommt. Es wurde jetzt im konkreten Fall ein Mädchen ausgebildet zur Kindergärtnerin, ab er eingeschränkt, das heißt, sie darf nicht alleine in einer Gruppe arbeiten. Sie bekommt auch keinen Job, das ist das Nächste. Sie wurde in einer Institution der Stadt ausgebildet, aber die Stadt stellt sie nicht an. Es ist also eine schwierige Situation. Wie es weiter geht, wissen wir noch nicht, aber wir sind dran und versuchen Chancen für sie zu finden (IE9, 3).

Wie diese Aussage belegt, ist zwar manchmal eine Ausbildung in den gewünschten Bereichen möglich, sie wird allerdings nicht als vollwertig anerkannt, was wiederum zu Problemen bei der späteren Arbeitssuche führt.

Auch Ausbildungen im Gesundheitsbereich, die häufig von jungen Frauen mit Hörbeeinträchtigung angestrebt werden, sind für sie nicht zugänglich. Diese Ausbildungseinrichtungen diskriminieren zwar nicht offen, setzen aber eine "gesundheitliche Eignung" voraus bzw. es wird in einem der Bewerbung beizulegendem Gesundheitsblatt unter der Rubrik "frühere oder bestehende Erkrankungen oder Beschwerden" unter anderem eine etwaige Hörbeeinträchtigung erhoben (vgl. FH-Studium Hebammen 2008/09, Gesundheits- und Krankenpflegegesetz 2006). Auch die Aussagen einzelner InterviewpartnerInnen belegen diese Problematik:

Im Gesundheitsbereich ist es ja nicht möglich, weil da, gerade im Krankenpflegebereich, Hörbehinderte ausgeschlossen sind, weil sie die Lebensfunktionen nicht überprüfen können. Wir haben einmal eine Jugendliche gehabt, die total gerne Hebamme geworden wäre und da haben wir keine Chance gehabt, und auch nicht als Säuglingskrankenschwester, das war einfach nicht möglich (IE7, 5f).

Die Tatsache nicht oder nur eingeschränkt hören zu können, wird auch für andere Berufsfelder als Ausschlussgrund argumentiert. ExpertInnen nennen hier insbesondere den Lehrberuf Kfz-MechanikerIn. ArbeitgeberInnen argumentieren, dass gehörlose Jugendliche Maschinen, Alarmanlagen oder Motoren akustisch nicht wahrnehmen können oder "Arbeit auf Zuruf" nicht möglich ist:

Es ist im Moment fast nicht möglich, in den Kfz-Bereich hineinzukommen. Aus akustischen Gründen, weil man die Geräusche nicht wahrnehmen kann oder wenn jemand mit dem Auto in die Werkstatt kommt und sagt, mein Motor hört sich komisch an. Gewisse Abläufe sind nur akustisch wahrzunehmen. Da muss man schauen, wie sich das weiterentwickelt, es wollen einfach viele Jugendliche in den Bereich, und da sind wir gerade am Arbeiten, dass da wer aufmacht, dass man da eine Ausbildungsstelle öffnet (IE9, 4).

6.6.2 Unzeitgemäße Ausbildungsangebote

Die Interviews mit den ExpertInnen machen deutlich, dass vorhandene Ausbildungsangebote, die es für gehörlose Frauen in den unterschiedlichen Bundesländern gibt, sehr eingeschränkte und zum Teil nicht mehr zeitgemäße Berufsbilder anbieten. In einem Bundesland etwa gibt es zwei Lehrwerkstätten, die speziell für Hörbehinderte und Jugendliche mit anderen Behinderungen zugänglich sind. Hier werden die Jugendlichen nach wie vor im Bereich Textilverarbeitung/Damenkleidermacherin sowie als Koch/Köchin ausgebildet. In einem anderen Bundesland gibt es spezifische Ausbildungen für die Lehrberufe Koch/Köchin, TischlerIn und GärtnerIn. Diese Ausbildungen werden hauptsächlich dann absolviert, wenn die Jugendlichen keine andere Möglichkeit vorfinden. Oft werden solche Ausbildungen entgegen den eigentliche Wünschen und Aspirationen der Jugendlichen absolviert, die zudem meist mit geringen Berufsaussichten für die Zukunft verbunden sind:

Wir haben das Problem, dass Jugendliche, wo die soziale Unterstützung, das soziale Netz nicht so gut funktioniert, also wo die Eltern nicht in der Lage sind, dass sie die Jugendlichen unterstützen, dass sie sich also mehr auf eine Institution verlassen. Da sind wir sehr eingeschränkt, was die Ausbildungsmöglichkeiten betrifft. Das sind Koch, Tischler und Gärtner. Schneiderein gibt es überhaupt nicht mehr, da sind auch die Integrationschancen später nicht so günstig, weil wir zurzeit hier einen Betrieb haben, der allerdings auch qualitativ sehr hochwertige Arbeit verlangt und dementsprechend hohe Anforderungen stellt, und da sind die Integrationschancen schlecht. Also wie gesagt, institutionell drei Berufe, das ist einfach extrem wenig, weil die Mädchen da andere Vorstellungen haben und Wünsche haben, und natürlich auch vom Status her mehr wollen als was momentan das Angebot ist (IE7, 2).

Es gibt hier zwei Lehrwerkstätten. Es hat einmal drei gegeben, die Schuhmacherwerkstätte hat man jetzt geschlossen, weil das einfach keinen Sinn mehr gehabt hat. Es gibt immer noch die Damenkleidermacher, die schon mehr Textilwerkstätte ist, aber eben ein typischer Frauenberuf eigentlich. Die Kochausbildung gibt es auch noch, die haben auch ein bisschen mehr Mädels wie Burschen. [...] Die Köche, würde ich sagen, gehen dann schon in den Beruf, den empfinde ich auch als zeitgemäß, Köche werden immer gesucht. Mit den Damenkleidermachern, mit der Textilverarbeitungswerkstätte, es gibt da natürlich schon Arbeitsmöglichkeiten. Nur irgendwann ist vielleicht wem zu fad, wenn er den ganzen Tag nur Bettwäsche gerade runter nähen muss, und bei dem Verdienst halt und weil es in der Region keine entsprechende Arbeitsmöglichkeit gibt, und dann kriegen sie vielleicht Nachwuchs und kommen dann drauf, sie verdienen woanders mehr und wechseln dann in einen anderen Beruf und kommen drauf, dass die Ausbildung vielleicht nicht so ganz sinnvoll war (IE5, 2 und 3).

In diesen Aussagen wird deutlich, dass sich trotz der Veränderungen in der Arbeitswelt, die natürlich auch Gehörlose betreffen, das institutionalisierte gehörlosenspezifische Ausbildungswesen nicht verändert bzw. angepasst hast. Konkret heißt dies, dass nach wie vor viele gehörlose junge Frauen zu Textilarbeiterinnen, Modedesignerinnen und Damenkleidermacherinnen ausgebildet werden. Ein Beruf, dessen Ausübung in Österreich kaum mehr möglich ist, und wenn, dann lediglich in hochqualifizierten Segmenten. Für den Arbeitsmarkt bedeutet das, dass die jungen Frauen nach ihrer Erstausbildung oftmals eine weitere Ausbildung machen müssten, um einen entsprechenden Job zu finden oder dass sie als Hilfsarbeiterinnen am Arbeitsmarkt tätig sind.

Institutionalisierte Ausbildungsmöglichkeiten für Gehörlose sind nicht per se negativ. Sie können auch eine Möglichkeit sein, sich in vertrauter Umgebung dem Arbeitsprozess anzunähern, wie folgende Interviewpassage verdeutlicht:

Uns ist aufgefallen, dass die Jugendlichen, die von der Schule kommen, gern da hinein strömen. Es ist das erste Anknüpfen an einen Arbeitsprozess, und wenn wer das Zeug hat, möchten wir unbedingt schauen, dass der am ersten Arbeitsmarkt einen Beruf erlernt. Und wir erleben sehr oft, dass die Mädchen dann teilweise sehr gerne da hineinströmen, weil sie sich da sicher fühlen (IE5, 2).

Nicht nur im Textilbereich, sondern auch im Gesundheitsbereich, werden Ausbildungsmöglichkeiten angeboten, die mit keinerlei Beschäftigungsaussichten verbunden sind:

Nur ein Beispiel, die Heimhelferausbildung. Die sind gar nicht so gefragt von den Firmen. Das ist jetzt nur ein spezifisches Beispiel, aber es gibt mehrere, wo gerade die Gehörlosen ausgebildet werden in eine Richtung, die nicht gebraucht wird am Arbeitsmarkt. [...] Das Problem ist, um beim Beispiel Heimhelferausbildung zu bleiben, das ist ja toll, das ist wirklich staatlich anerkannt und so. Nur das brauchen heute die Heime nicht mehr. Die wollen nur mehr Pflegehelfer, diplomierte Krankenschwestern und diplomierte Altenbetreuer, also wieder eine Stufe höher. Die niedrigen werden nicht gebraucht. Die Klientinnen kommen gar nicht so weit, diesen Beruf auszuprobieren, weil sie gar nicht erst genommen werden. Egal ob hörend oder nicht hörend.. Das ist jetzt nur ein Beispiel, wo ich sage, da hat der oder die Gehörlose eine tolle Ausbildung gemacht und glaubt vor allem für sich selbst, ja jetzt habe ich eine tolle Ausbildung gemacht und auch viel dafür gearbeitet, weil es ist ja auch nicht so leicht für sie. Aber sie bekommen erst keinen Job, weil sie einfach nicht gebraucht werden (IE3, 2 und 3).

Insgesamt zeigt sich häufig das Problem, dass die gehörlosen und schwerhörigen Jugendlichen zwar geeignet wären, eine qualifizierte Ausbildung in der freien Wirtschaft zu absolvieren, aber die Rahmendingungen keine andere Möglichkeit zulassen als solche unzeitgemäßen Ausbildungswege zu absolvieren:

Wenn man in die freie Wirtschaft geht, braucht man einfach mehr Unterstützung Was auch noch ein Problem ist, ist einfach eine Wohnmöglichkeit für junge Mädchen, also da ist die Zahl der Jugendlichen einfach zu klein, dass man eine Institution macht, also man muss da sehr individuell arbeiten und da stößt man sehr schnell an Grenzen. Manchmal wäre es sogar möglich, dass man eine Jugendliche in der freien Wirtschaft integriert bei einem Betrieb, aber man findet die Wohnmöglichkeit nicht. Wenn die jetzt nicht von hier ist oder vom Elternhaus anfahren kann, weil das zu weit weg ist, dann haben die Jugendlichen praktisch keine Chance und müssen dann immer noch die Alternativen wählen. Das sind Koch, Tischler und Gärtner (IE7, 2).

Dass gehörlose junge Frauen in institutionalisierte Ausbildungen "gedrängt" werden, obwohl damit wenige Zukunftsaussichten verbunden sind, ist problematisch. Gerade weil junge gehörlose Menschen solche Ausbildungswege absolvieren, entweder, weil sie sich in "ihrer Welt" sicherer fühlen oder ihnen keine andere Möglichkeit offensteht, ist es dringend notwendig bedarfsorientiert auszubilden und neue Berufsbilder zu entwickeln, die die Veränderungen der heutigen Gesellschaft berücksichtigen und die ihnen einen Einstieg ins Berufsleben ermöglichen.

6.6.3 Lehrstellenmangel und Konkurrenz am ersten Arbeitsmarkt

Wenn gehörlose junge Frauen eine Lehrstelle am freien Arbeitsmarkt anstreben, sind sie mit vielerlei Schwierigkeiten konfrontiert. Der Zugang zu Lehrstellen ist für gehörlose Jugendliche beschränkt, insbesondere für junge Frauen in den klassischen Berufsfeldern. Das heißt, je überlaufener die Berufsfelder, die sie anstreben, desto geringer sind die Chancen, in diesen Bereichen eine Lehre absolvieren zu können bzw. eine Ausbildung zu machen. Aufgrund des Lehrstellenmangels herrscht eine hohe Konkurrenz, die Berufswünsche können oftmals nicht umgesetzt werden:

Es war so ein Drittel ungefähr, von denen, die zu offenen Informationsgesprächen gekommen sind, wo immer wieder die Berufswünsche Bürokauffrau, Verwaltungsassistentin gekommen sind. Die Konkurrenz ist ein Wahnsinn, sobald sie ihre Lehre fertig haben, weil einfach auch Uni-Absolventen in diesen Markt reinkommen. Da muss man schon sehr gut sein, auch mit einer integrativen Lehre, vom Typ her gut passen, dass man sich dann auch behaupten kann (IE4, 6).

Ich habe jetzt nur eine Jugendliche, wo es ein bisschen schwierig ist, da ist der Berufswunsch entweder Verkäuferin oder Friseurin und das sind eben Bereiche, wo einfach die Besten genommen werden. Da wird es ganz schwierig, weil da einfach weniger Chancen sind, wenn es um das geht (IE7, 8).

In der heutigen Arbeitswelt ist es für alle Lehrstellensuchenden schwierig, da die Anforderungen von Seiten der ArbeitgeberInnen gestiegen sind. Je höher die Anforderungen und Voraussetzungen an eine Stelle, desto schwieriger wird es für Personen, die kein entsprechendes Bildungsniveau erwerben konnten, zu konkurrieren. Die Unmöglichkeit für Gehörlose auf Grund ihrer mangelhaften Basisbildung, die ja praktisch eine Konsequenz der Gehörlosigkeit ist, mit durchschnittlich gebildeten hörenden Jugendlichen um die wenigen freien Lehrstellen zu konkurrieren, ist offensichtlich. Der Großteil der InterviewpartnerInnen verweist auf diese Problematik:

Es sind die bekannten Probleme, sie können von ihrer Grundbildung her auf keinen Fall mit jemandem konkurrieren, der keine Hörbehinderung hat, sofern er durchschnittlich lernbegabt ist. Es gibt immer wieder Jugendliche, die mir auffallen, weil sie grundsätzlich Potential hätten, aber die Möglichkeiten einfach so begrenzt sind. Es gibt wirklich Leute, wo man sagt, gut da klappt das, dass wirklich einmal der Zugang ist zu einer höheren Schule oder zu einem besser qualifizierten Beruf aber das sind in der Gruppe, die zu uns kommt, ganz wenige (IE1, 2).

In vielen Firmen, die Lehrlinge aufnehmen, ist das Niveau der Aufnahmetests sehr hoch, auch gute Leistungsnachweise (Zeugnisse) werden als Zugangsvoraussetzung immer wichtiger. Gehörlose werden unter diesen Bedingungen, so ein/e InterviewpartnerIn, "automatisch aussortiert":

Der erste Arbeitsmarkt macht im Moment ziemlich zu. Durch die ganzen Aufnahmetests, die dort verlangt werden, werden manchmal die Gehörlosen automatisch aussortiert. Weil bei den Aufnahmetests ist immer ein großer Sprachteil dabei, teilweise so etwas wie Diktate oder Wortspiele, mit denen ein Gehörloser so gut wie nichts anfangen kann, weil es das in der Gebärdensprache nicht gibt. Der mathematische Teil ist meistens auch sehr anspruchsvoll. Im logischen Denken und bei den räumlichen Vorstellungen schneiden sie oft ganz gut ab, aber was das Mathematische betrifft oder Textbeispiele, die sind sehr schwierig. Das wird aber teilweise schon verlangt bei den großen Firmen, ob es jetzt Bäcker ist oder Konditor, also bei den größeren Firmen gibt es schon überall diese Aufnahmetests (IE9, 5).

Die Anforderungen werden immer höher werden. Es ist so, wenn ich Büro habe, dann muss die Dame für den Chef was organisieren können, sie muss mindestens einen perfekten E-Mail-Verkehr haben können, aber das reicht heutzutage auch nicht mehr und schon einmal am perfekten Schriftverkehr scheitert es auch bei guten Damen, Damen oder auch Herren mit einer leichten Schwerhörigkeit. Es reicht, dass der Wortschatz oder auch die Grammatik einfach nicht passen. Und das wird einfach verlangt (IE1, 7).

Diese Optimierung bei der Personaleinstellung, da ist das so, dass sie den Besten nehmen müssen, und da fallen unsere Jugendlichen beim Aufnahmetest immer durch. Da gibt es keine Unterstützungsmöglichkeit, da ist die Situation wirklich sehr schlecht, da sind sie meiner Meinung nach auch diskriminiert (IE7, 5).

Diese Interviewpassagen machen auch deutlich, dass es nicht nur die sogenannte Verdrängungsthese (gering qualifizierte Personen werden von höher qualifizierten Personen von ihren abgestammten Arbeitsplätzen bzw. vom Arbeitsmarkt überhaupt verdrängt) ist, die hier für die Berufschancen von gehörlose Jugendliche wirksam wird, sondern vielmehr auch eine Verhaltensveränderung von Seiten der "Gatekeeper" am Arbeitsmarkt stattgefunden hat. Durch den Anspruch der ArbeitgeberInnen, die bildungsmäßig Besten aufzunehmen, werden gering qualifizierte Personen als "nicht beschäftigungsfähig" diskreditiert (vgl. Solga 2005, 20f). Wenn gehörlose junge Menschen am Arbeitsmarkt bestehen möchten, müssen sie, wie die InterviewpartnerInnen beschreiben, "besser" sein, "motivierter" sein als die hörenden Jugendlichen, "mehr ausgleichen" und "mehr leisten":

Unsere Jugendlichen sind gefordert, einen Teil ihrer Persönlichkeit kompensieren zu müssen, mit mehr Fleiß oder mehr Engagement oder mehr Höflichkeit, weil sie ja auch von anderen Personen im Vergleich zu normal Hörenden oder gut Hörenden gesehen werden. Es gibt natürlich gewisse Berufsbereiche, die für Gehörlose eher schwer umzusetzen sind, trotzdem bleibt noch ein großes Segment über. Je motivierter ein Jugendlicher da ist, desto mehr schafft er dann auch (IE5, 11).

Da muss man schon sehr gut sein, auch mit einer integrativen Lehre, vom Typ her gut passen, dass man sich dann auch behaupten kann. Wenn eine gehörlose Frau motiviert ist, in einem Bereich Fuß zu fassen, also wenn ich mit meiner Motivation dahinter stehe, dann werde ich viel leichter meinen Weg schaffen, auch wenn dann vielleicht noch andere Konkurrenten da sind (IE4, 6).

Was auf Basis der Aussagen der ExpertInnen ebenfalls deutlich wird, ist, dass manche gehörlose Jugendliche trotz Ausbildung bzw. Lehrabschlussprüfung mangelnde Kenntnisse vorweisen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass gehörlose junge Frauen (und auch Burschen) nach erfolgreichem Lehrabschluss kaum in der Firma behalten werden, häufig nur bis Ende der Behaltefrist. Das heißt, eine erfolgreich abgeschlossene Lehre ist keine Garantie für einen Job:

Es ist sicher so, dass wirklich alles versucht wird, damit ein Abschluss möglich ist. Darum haben wir oft einmal Leute, die dann auf Jobsuche gehen und nachher sehr spät oder sehr schwer oder in einem unterqualifizierten Job was finden, weil sie zwar glauben, sie haben die Lehrabschlussprüfung in der Tasche aber sie nicht wissen, dass sie diese mit Ach und Krach geschafft haben (IE1, 9).

Ich denke, dass es oft in diesen Schulen ein bisschen verschönert wird. Ich habe um Beispiel einen Tischler, er hat die Schule gemacht, ist fertig geworden, und dann, als ich versucht habe, ihn in vielen verschiedenen Betrieben unterzubringen, haben sie alle gesagt, er ist wie ein Lehrling, das ist sicher nicht abgeschlossen, er kann nur die Hälfte (IE11, 3f).

Man weiß dann schon im letzten Lehrjahr, dass sie nach der Behaltefrist nicht weiter beschäftigt werden. [...] Es gibt Firmen, die sich spezialisiert haben darauf, dass sie Jugendliche ausbilden und manche werden behalten und manche nicht. Sicher schaut man sich auch an, wie er sich während der Lehrzeit verhalten hat. Hat er gute Leistungen gebracht, dass man ihn behalten will oder möchte man aufmachen für neue Lehrlinge. Ich glaube, dass das bei den Hörenden derselbe Fall ist, dass sie zwar ausgebildet werden, aber dann nicht behalten werden (IE9, 8 und 9).

6.7. Arbeitsplatz und Beschäftigung

6.7.1 Gehörlose Frauen als Hilfsarbeiterinnen

Je höher die Qualifizierung, desto besser die Berufschancen, das ist der Tenor, der sich im Grunde durch alle Interviews zieht. Wer eine unqualifizierte oder gar keine Ausbildung hat, oder im erlernten Erstberuf nicht mehr arbeiten möchte oder kann, ist nur in unqualifizierte Beschäftigungsfelder zu vermitteln. Das betrifft insbesondere erwachsene gehörlose Frauen, in vielen Fällen sind es auch Wiedereinsteigerinnen, die als Hilfsarbeiterinnen am Arbeitsmarkt tätig sind und meist sehr niedrige Löhne erhalten. Reinigung, Gastronomie (Küchendienst) und Wäscherei sind laut Aussagen der ExpertInnen häufige Branchen in denen gehörlose Frauen beschäftigt sind:

Vermehrt werden sie in die Bereiche Küche und Reinigung vermittelt. Für Männer kommt auch Tischlerei oder Schlosserei in Frage, wo einfach angepackt wird, wo wirklich harte körperliche Arbeit zu verrichten ist. Oder auch irgendeine Fließbandarbeit, das ist dann eher für Männer. Das ist für Frauen oft nicht so geeignet, rein jetzt vom Körperlichen her. Und was noch hinzukommt bei Frauen sind Jobs als Floristin oder in der Apotheke, da haben wir schon einige gehabt. Aber bei Frauen, wirklich, die meisten, die zu uns kommen, die Schwächeren sind im Bereich Küche und Reinigung, Stubenmädchen und so (IE3, 3).

Da wird in erste Linie geschaut im Hilfsarbeiterbereich, das ist dann sehr eingeschränkt, weil auf Grund der Hörbehinderung fällt ja einmal die relativ große Sparte Handel komplett weg und dann sind wir bei Produktion, angelernte Hilfskräfte, so im Bereich Buchbinderei, Tischlerei, Metallarbeiter oder auch in die Richtung Reinigung, Gastronomie, Küche, Wäscherei (IE2, 3).

Ein sehr großer Teil sagt, ich will einfach irgendwo putzen, weil sie entweder nur 20 Stunden arbeiten können, weil sie entweder schon verheiratet sind und Kinder haben und Betreuungspflichten. Es gibt einen kleineren Teil, der dann irgendwie Produktion oder Regalbetreuung macht. Es hängt ein bisschen mit dem zusammen, wie sie auch sozialisiert sind und was da Freunde oder so sagen und von daher kommen dann auch manchmal unrealistische Vorstellungen, die nicht erfüllbar sind, dann muss man halt schauen, dass man einen Kompromiss findet (IE7, 9).

Ein damit zusammenhängendes Problem, das sich für erwerbstätige Frauen zeigt, ist der geringe Verdienst. Wie bereits erwähnt, sind Frauen insgesamt von hohen Einkommensdifferenzen im Vergleich zu Männern betroffen, insbesondere auch in unqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen. Hilfsarbeiterinnenjobs sind für Frauen häufig schlecht bezahlt, meist sind die Bruttolöhne der Frauen geringer als die der Männer. Das wird auch in der folgenden Interviewpassage deutlich:

Die am schlechtesten bezahlten Arbeiten sind die in Wäschereien, und da ist es eindeutig, sie kriegen einen Bruttolohn von 5,20 € oder so etwas. Männer werden kaum für so einen Lohn arbeiten, sie steigen mit 6,50 oder 7 € ein, also da ist eindeutig beim Einstieg als Hilfsarbeiter ein Unterschied. Einer jungen Frau, die Malerin, Lackiererin gelernt hat, ist ein Job angeboten worden, wo ihr ein Hilfsarbeiterlohn angeboten worden ist. Ich habe gesagt, das entspricht nicht dem Kollektivvertrag und dann haben sie gesagt, sie können sie nicht anstellen. Normalerweise, wenn man den Abschluss zeigt, dann passen die Betriebe schon auf, da müssen sie kollektiv bezahlen. Wo wir Probleme haben, ist eher im grauen Bereich, wo zum Beispiel eine Lehre abgeschlossen ist, aber sie in einem anderen Bereich arbeitet (IE 11, 9).

Damit gehörlose Frauen nicht als Hilfsarbeiterinnen am Arbeitsmarkt landen, ist es relevant, dass sie eine qualifizierte und am Bedarf des Arbeitsmarktes ausgerichtete Erstausbildung erhalten, die im Idealfall auch mit den Wünschen und Fähigkeiten der jungen Frauen vereinbar ist. Schließlich soll verhindert werden, dass gehörlose Frauen in ihrem erlernten Beruf nicht mehr arbeiten können oder wollen, entweder, weil die Berufswahl nur ein Kompromiss war oder, weil es keine Beschäftigungsmöglichkeiten in diesem Berufsfeld gibt. Auch Wiedereinstieg bzw. karenzbedingte Unterbrechungen der Erwerbsarbeit sind Fallen, die sich negativ auf die Berufschancen gehörloser Frauen auswirken, hier bedarf es besonderer Förderung und Unterstützung.

6.7.2 Zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit

Der Wandel der Geschlechterrollen macht sich auch bei gehörlosen jungen Frauen bemerkbar. Wie aus den Aussagen einiger InterviewpartnerInnen hervorgeht, möchten sich gehörlose junge Frauen beruflich verwirklichen. Sie sind motiviert und interessiert. Was allerdings fehlt, ist die entsprechende Förderung und Unterstützung:

Die jungen Frauen haben Interesse an ihren Karrieren, an ihren Berufen. Also ich würde nicht sagen, dass sie traditioneller sind als Hörende. Es gibt aber schon einen Mangel an Information und deshalb steigen sie vielleicht härter aus den Rollen, weil sie irgendwie die Unterstützung nicht finden (IE11, 7).

Ich habe noch keine Teilnehmerin gehabt, die gesagt hat, ich sitze jetzt nur Zeit ab, weil mein Plan ist es sowieso, ein Kind zu bekommen und dann zu Hause zu bleiben, also das kenne ich so überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Wichtig ist primär eine Ausbildung zu machen, Arbeit zu finden und dann später in diese Familienplanungsphase zu gehen (IE10, 5).

Es stellt sich die Frage, wie gehörlose Frauen ihre Interessen mit bestmöglicher Unterstützung umsetzen können. Von den meisten InterviewpartnerInnen werden gehörlose junge Frauen oftmals als wenig selbstbewusst beschrieben, jedoch beginnen sie vermehrt, sichtbar zu werden und ihre Interessen durchzusetzen. Faktoren, die als wichtige Grundvoraussetzung für diese Entwicklung betrachtet werden, sind die vermehrte Akzeptanz der Gebärdensprache und die Tatsache, dass es Einrichtungen der Unterstützung Beratung und Ausbildung gibt, die wichtige Orte für Information, Vernetzung und Austausch, gerade für Frauen darstellen:

Als die Gebärdensprache anerkannt worden ist, da ist ein bisschen mehr politische Bewegung hier gewesen und die Gehörlosen sind ein bisschen stärker geworden als Gruppe, sie fordern ihre Rechte. Da ist einfach viel Aktivität in Gang gekommen und es kommt mir vor, dass die Frauen ganz besonders munter geworden sind und auf der Suche. Oft als Wiedereinsteigerinnen, wenn die Kinder ein bisschen älter sind. Wenn die Kinder gehörlos sind und die Eltern auch, dann ist es ein bisschen leichter. Wenn die Kinder hörend sind, dann sind oft diese Schwierigkeiten, zum Beispiel, dass hörende Kinder sich sehr oft schämen für ihre gehörlosen Eltern und solche Sachen. Aber ich würde sagen, dass die gehörlosen Frauen als Wiedereinsteigerinnen zuerst die Füße richtig auf den Boden stellen müssen, sie müssen Information holen, sie müssen einander treffen, zusammenkommen und das passiert oft bei diesen Ausbildungsangeboten. Da ist eigentlich wenig Ahnung da, ein Informationsmangel auf allen Ebenen. Aber da ist jetzt eine Bereitschaft da, sobald sie zusammenkommen und miteinander reden, dann haben sie ein bisschen mehr Mut (IE11, 4).

Eine Frage zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie war im Leitfaden enthalten. Insbesondere ExpertInnen, die mit gehörlosen erwachsenen Frauen arbeiten bzw. ExpertInnen aus Qualifizierungseinrichten haben zu dieser Thematik relevante Aussagen gemacht und Problemfelder angesprochen. Die meisten Aussagen der ExpertInnen zu dieser Frage beziehen sich auf die Probleme der Kinderbetreuung, die im Zusammenhang mit der Arbeitsplatzsuche eine relevante Rolle spielt. Wenn gehörlose Frauen mit Kindern wieder ins Berufsleben einsteigen möchten, stellt sich in den allermeisten Fällen die Frage, wie die Kinderbetreuung geregelt und organisiert werden kann. Es mangelt in Österreich an struktureller Unterstützung und die Partner stehen meist nicht zur Verfügung. So wird etwa in einem Interview von einer Klientin berichtet, deren Wiedereinstieg ins Berufsleben nur deshalb möglich ist, weil es im Verwandtschaftsverband eine weibliche Person gibt, die die Kinderbetreuung übernimmt. Thematisiert wird auch das Problem, dass gerade gehörlose Frauen am Land bzw. in Kleinstädten oft nicht die Möglichkeit haben, eine öffentliche Betreuungseinrichtung zu finden. Hinzu kommt, dass die Organisation der Betreuungsmöglichkeiten für gehörlose Frauen nicht immer selbständig lösbar ist, oft brauchen sie eine entsprechende Unterstützung:

Es gibt problematische Fälle, wo wir dann auch mit der Sozialbetreuung zusammen schauen, dass das Kind untergebracht werden kann, wenn die Mutter schon früher weg muss, weil sie nur zu einer bestimmten Schicht beginnen kann. Oder wo man sich auch mit dem Vater zusammen setzt und sagt, überlegen sie einmal, wenn sie zum Beispiel gegenläufige Schichten hätten, dann könnte immer wechselseitig aufs Kind aufgepasst werden. Was irgendwie bei den schwächeren Betroffenen auffällt ist, dass sie diese Dinge selbst nicht lösen können. Sie können das selbst nicht organisieren. Bei den schwächeren Leuten ist das oft ein Thema (IE1, 10f).

Gehörlose Frauen, die Kinderbetreuungspflichten haben, suchen häufig eine Teilzeitstelle. Die zeitlich eingeschränkte Verfügbarkeit der Frauen ist jedoch keine günstige Voraussetzung bei der Jobsuche. Nicht immer besteht von Seiten der ArbeitgeberInnen die Bereitschaft, gehörlose Frauen teilzeitbeschäftigt anzustellen. Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäftigung besteht lediglich in Betrieben mit mehr als 20 ArbeitnehmerInnen sofern das Arbeitsverhältnis ununterbrochen drei Jahre gedauert hat und ist mit dem/der ArbeitgeberIn zu vereinbaren (vgl. AK-Portal 2008). Auch die Haltung bzw. Einstellung der Partner bezüglich einer gleichberechtigten Arbeitsteilung spielt für die Wiedereinstiegschancen eine Rolle. Oftmals sind die Partner nicht bereit, ihren Teil an der Reproduktionsarbeit zu übernehmen, wie die folgende Interviewpassage verdeutlicht:

Dass er oft schon ein sehr großes Mitspracherecht hat, wo und wie sie jetzt arbeiten gehen soll oder darf oder nicht darf. Wobei das bekommen wir nicht sofort mit, manchmal kommt das aber irgendwie einmal raus, nach einer längeren Betreuungsphase. Wo man sich dann denkt, wieso will die den Job nicht, eigentlich würde das gut passen für sie. Erst nachher dann kommt, na ja das ist nicht gegangen, weil der Mann will nicht, dass ich am Abend später heimkomme, weil dann müsste er das mit den Kindern machen und solche Sachen (IE2, 7).

Die Frage der Kinderbetreuung stellt sich aber nicht nur in Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz, sondern auch mit einer möglichen Ausbildung oder Qualifizierung, wie zwei InterviewpartnerInnen deutlich machen. Bei der Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen sind Frauen mit Kindern benachteiligt, so müssen beispielsweise für berufsbegleitende Maßnahmen, die häufig am Abend stattfinden, Kinderbetreuungsmöglichkeiten organisiert und/oder bezahlt werden. Strukturelle Unterstützungen fehlen, so bezahlt etwa das AMS keine Kinderbetreuungsbeihilfe, wenn die Betreuung von Familienangehörigen übernommen wird[8]. Vollzeitausbildungen für Frauen mit Betreuungspflichten sind, sofern sie überhaupt besucht werden, mit einem hohen Zeit- und Lernaufwand verbunden:

Wir haben im aktuellen Lehrgang zwei Frauen mit Kindern bzw. Familie. Das ist natürlich eine Doppelbelastung und ich muss sagen, Hut ab, also sie organisiert das ganz toll. Wir versuchen da auch, wenn es Probleme gibt mit der Schule oder mit Praktikumszeiten, dass wir das berücksichtigen, oder wenn die Kinder krank sind, dass wir das auch berücksichtigen. Die zweite ist zusätzlich allein erziehend, für die ist es noch einmal schwieriger. Bis jetzt läuft es ganz gut, wir schauen auch, dass wir da die Frauen unterstützen und ihnen die Ausbildung ermöglichen. Natürlich haben die eine größere Belastung als jene, die alleinstehend sind oder keine Familie zusätzlich zu versorgen haben, das ist klar (IE6, 5).

Wie diese Beispiele zeigen, ist es wichtig, entsprechende Rahmenbedingungen anzubieten, die gehörlosen Frauen mit Kindern bzw. Betreuungspflichten den Zugang erleichtern oder ermöglichen. Ein weiterer Aspekt, der sich in Zusammenhang mir Karenz und Kinderbetreuung zeigt ist, dass gehörlose Frauen oft ein erhebliches Informationsdefizit haben, wenn es um Regelungen und Gesetze zu Karenz, Kinderbetreuungsgeld, Mutterschutz oder einzuhaltende Fristen geht. Je länger Frauen in Karenz sind, desto schwieriger wird die Rückkehr ins Arbeitsleben. Ob gehörlose Frauen mit Kindern länger zu Hause bleiben als andere, lässt sich auf Basis der qualitativen Daten nicht beantworten. Wie die InterviewpartnerInnen erwähnen, sind es häufig Frauen ab 30 oder 40 Jahren, die versuchen, wieder in das Erwerbsleben einzusteigen. Sehr viele mit "abgebrochenen Ausbildungen, mit langjährigen Hausfrauentätigkeiten und Kinderbetreuungspflichten, die jetzt arbeiten möchten". Für diese Zielgruppe, nämlich die Wiedereinsteigerinnen, gibt es keine spezifischen Angebote, obwohl gerade sie auf die Problematik zugeschnittene Maßnahmen der Betreuung und Unterstützung benötigen würden. Insgesamt muss gehörlosen Frauen in und nach der Karenz mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, das bezieht sich sowohl auf Information als auch auf konkrete Unterstützung. Wenn es um die Frage geht, wie gehörlose junge Frauen heute bestmöglich unterstützt werden können, ist diese Problematik auf jeden Fall zu berücksichtigen.

6.7.3 Die Rolle der ArbeitgeberInnen

ArbeitgeberInnen spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Beschäftigung von gehörlosen Frauen (und Männern) geht. Analysieren wir die Aussagen der InterviewpartnerInnen, scheint der Faktor Geschlecht hauptsächlich dann eine Rolle zu spielen, wenn es um die Teilzeitbeschäftigung wegen Kinderbetreuung geht. Hier sind, wie im vorangehenden Kapitel ausgeführt, ArbeitgeberInnen nicht immer bereit gehörlose Frauen einzustellen. Im Großen und Ganzen werden Befürchtungen, Ängste und Vorbehalte der ArbeitgeberInnen hauptsächlich auf den Faktor Gehörlosigkeit und die damit in Verbindung stehende problematische Kommunikationssituation bezogen. Befürchtungen, dass die Kommunikation miteinander nicht funktioniert, stehen dabei genauso im Vordergrund wie die Tatsache, dass die Kommunikationsmöglichkeiten mit KundInnen aufgrund der Gehörlosigkeit eingeschränkt sind:

Ich glaube, dass einfach aufgrund der Gehörlosigkeit die Angst besteht, wie klappt die Kommunikation im Team, versteht mich die, wenn ich sage, sie muss den und denn Auftrag erfüllen oder versteht sie die Klienten, wie funktioniert einfach die Kommunikation. Also das ist die große Angst (IE6, 7).

Interessant sind die Aussagen von zwei InterviewpartnerInnen, dass ArbeitnehmerInnen mit einer Hörbehinderung im Vergleich zu anderen Behinderungen am meisten zugetraut wird. Viele ArbeitgeberInnen sind der Meinung, es würde sich "lediglich" um ein Kommunikationsproblem handeln, die Bildungsdefizite sind häufig nicht bekannt. Weitere Vorbehalte sind die Sicherheit am Arbeitsplatz, etwa, dass Arbeit auf Zuruf nicht möglich ist oder Gefahren auditiv nicht wahrgenommen werden können. Auch der erhöhte Kündigungsschutz (der für begünstigte Behinderte gilt) wird von den InterviewpartnerInnen als Anlass genannt, warum Gehörlose nicht so gerne angestellt werden. Außerdem zeigt sich nach wie vor vereinzelt das Vorurteil, "dass Gehörlose nicht lernen können, dass sie blöd sind und irgendwie eine begrenzte Intelligenz haben" (IE11, 6). Aus den Aussagen der InterviewpartnerInnen geht hervor, dass ArbeitgeberInnen dann eine hohe Bereitschaft zeigen, gehörlose MitarbeiterInnen einzustellen, wenn bereits positive Erfahrungen gemacht wurden und/oder wenn bereits Kontakte zu gehörlosen Menschen vorhanden sind, etwa in der eigenen Familie oder im sozialen Umfeld. Dies gilt natürlich auch umgekehrt, und so könnte man durchaus behaupten, dass gehörlose potentielle ArbeitnehmerInnen oder Lehrlinge nicht als Individuen betrachten werden, sondern als RepräsentantInnen einer Gruppe, denen ganz bestimmte Vorbehalte entgegengebracht werden:

Es gibt ein paar Betriebe wo Gehörlose in der Familie waren, Großbetriebe, wie eine große Buchbinderei, die 200 Jahre alt ist, und in der Familie waren Gehörlose, also die haben einen Umgang, der super passt. Die kennen sich aus und die Leute sind nicht so isoliert (IE11, 6).

Es muss im Betrieb zumindest ein offenes Ohr geben, wie man so schön sagt. Im Idealfall hat irgendjemand, der Entscheidungsträger ist, zum Beispiel jemand Betroffenen schon kennengelernt oder selber irgendwie ein Erlebnis dazu gehabt, zum Thema Hörbehinderung. Und so eine gewisse soziale Ader von Seiten der Geschäftsführung ist schon sehr gut (IE5, 8).

Eine gewisse soziale Einstellung und Grundhaltung wird als förderlich für die Einstellung Gehörloser erwähnt. Für eine gute Integration Gehörloser in einem Arbeitsumfeld ist auch das Verständnis und der Einbezug sämtlicher MitarbeiterInnen notwendig, das Team muss darauf eingestellt sein, eine gewisse Aufgeschlossenheit der KollegInnen muss vorhanden sein. Im Idealfall gibt es sogar eine Person, die eine Art MentorInnenschaft für den gehörlosen Mitarbeiter oder die gehörlose Mitarbeiterin übernimmt.

Faktoren, die die Beschäftigung gehörloser Jugendlicher eher verhindern sind die hohen Ansprüche, die die Firmen an MitarbeiterInnen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und ihres Leistungspotentials haben, sowie die Aufnahmetests, die immer häufiger durchgeführt werden. Aussagen der InterviewpartnerInnen verweisen auch darauf, dass es wichtig ist, persönlichen Kontakt mit EntscheidungsträgerInnen zu haben. Dies ist in Klein- und Mittelbetrieben eher gegeben als in großen Unternehmen:

Da, wo man Verständnis schaffen kann, wo man reinkommt sozusagen, mit dem Chef reden kann und sensibilisieren kann, da ist eigentlich gar nicht so ein Problem, aber in größeren Konzernen teilweise ist es schwierig, wo man auch nicht mehr direkt mit dem Zuständigen reden kann, also wo dann irgendwo oben Entscheidungen getroffen werden, da haben unsere Jugendlichen keine Chance (IE7, 8).

Es zeigt sich, dass die Einstellung der ArbeitgeberInnen hauptsächlich in Hinblick auf die Hörbeeinträchtigung thematisiert wird, der Faktor Geschlecht scheint ein blinder Fleck zu sein. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass ArbeitgerInnen ein hohes Maß an finanziellen Förderungen sowie Beratung und Betreuung für die Einstellung hörbeeinträchtigter MitarbeiterInnen erhalten (können). Diese Unterstützung müsste auch gewährleisten, dass frauenfördernde Maßnahmen verbindlich umgesetzt werden sowie geschlechtsspezifische Diskriminierung etwa hinsichtlich Lohnungleichheiten aufgehoben werden.

6.9 Zusammenfassende Ergebnisse

Die Stichprobe der ExpertInnen besteht aus zwölf Frauen und einem Mann, die in Einrichtungen zur Beratung und Unterstützung erwachsener und jugendlicher Personen mit Hörbeeinträchtigung arbeiten. Sie stammen zum Großteil aus den Bundesländern Steiermark und Wien sowie aus Salzburg, Oberösterreich und Tirol. Auf Basis der Analyse der Interviews ergeben sich eine Reihe von Faktoren und Voraussetzungen, die für die Situation gehörloser Frauen am Arbeitsmarkt bestimmend sind. Grundsätzlich wird betont, dass Probleme und Schwierigkeiten, die gehörlose junge Frauen am Arbeitsplatz und bei der Jobsuche haben, in erster Linie auf die Hörbeeinträchtigung bezogen werden, der Faktor Geschlecht würde keine Rolle spielen. Analysiert man jedoch die Situation der Betroffenen, zeigt sich deutlich, dass das Geschlecht für die berufliche Integration sehr wohl eine relevante Rolle spielt. Nach der Pflichtschule bestehen bei den jungen Frauen kaum Vorstellungen über ihre Berufswünsche und Berufsmöglichkeiten. Viele Jugendliche haben sehr stark internalisiert, dass sie hinsichtlich ihrer Hörbeeinträchtigung in der Berufswahl eingeschränkt sind. Zudem fehlen gehörlose Vorbilder und Rollenmodelle insbesondere für gehörlose Mädchen, die sich jenseits traditioneller Geschlechterrollen orientieren möchten. Signifikant aber nicht überraschend ist, dass junge Frauen und Burschen klassische, geschlechtsspezifische Berufswünsche haben und auch umsetzen möchten. Gehörlose Mädchen wählen aus einem engen Spektrum von Berufen. Bei den Lehrberufen dominieren Friseurin oder Bürokauffrau, auch pädagogische und soziale Berufe werden angestrebt. Bei den männlichen gehörlosen Jugendlichen überwiegen Berufswünsche im technischen oder handwerklichen Bereich. Dieses Berufswahlverhalten entspricht dem der Jugendliche in der Gesamtgesellschaft, wobei gehörlose Jugendliche ihre Berufsvorstellungen in der Regel kaum umsetzen können. Der Ausschluss aus Ausbildungen aufgrund "fehlender Eignung" betrifft häufig Frauen, die einen pädagogische Beruf oder Gesundheitsberuf anstreben. Der Zugang zu Lehrstellen am ersten Arbeitsmarkt ist beschränkt, gehörlose Mädchen haben weniger Auswahl an Lehrberufen als Burschen. Besonders in klassischen Frauenberufen (Bürokauffrau, Friseurin) ist es schwierig einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Gehörlose Mädchen haben selten die Möglichkeit ein breites Spektrum an Berufen kennen zu lernen, und selbst wenn sie sich für einen technischen oder handwerklichen Beruf entscheiden, sind die Rahmenbedingungen nicht immer günstig. Die Maßnahmen zur Berufsorientierung in den Pflichtschulen, insbesondere in den Sonderschulen für Gehörlose, stellen dabei keine große Unterstützung dar, es fehlen einheitliche Standards und konkrete Ziele sowie geschlechtersensible Zugänge.

Je höher die Qualifizierung, desto besser die Berufschancen, das ist der Tenor, der sich im Grunde durch alle Interviews zieht. Wer eine unqualifizierte oder gar keine Ausbildung hat, oder im erlernten Erstberuf nicht mehr arbeiten möchte oder kann, ist nur in unqualifizierte Beschäftigungsfelder zu vermitteln. Das betrifft insbesondere erwachsene gehörlose Frauen, in vielen Fällen sind es auch Wiedereinsteigerinnen, die als Hilfsarbeiterinnen am Arbeitsmarkt tätig sind und meist sehr niedrige Löhne erhalten. Reinigung, Gastronomie (Küchendienst) und Wäscherei sind laut Aussagen der ExpertInnen häufige Branchen, in denen gehörlose Frauen beschäftigt sind. Hilfsarbeiterinnenjobs sind für Frauen in der Regel schlecht bezahlt, meist sind die Löhne der Frauen geringer als jene der Männer. Ein großes Problem ist, dass vorhandene Ausbildungsmöglichkeiten für gehörlose Frauen häufig nicht mehr zeitgemäß sind und/oder am Bedarf vorbei qualifizieren. Solche Ausbildungen werden dann absolviert, wenn die Jugendlichen keine anderen Möglichkeiten vorfinden. Oft entsprechen sie nicht den eigentlichen Wüschen und Zielen und sind meist mit geringen Berufaussichten verbunden. Konkret heißt dies, dass nach wie vor viele gehörlose junge Frauen zu Textilarbeiterinnen, Modedesignerinnen und Damenkleidermacherinnen ausgebildet werden. Ein Beruf, dessen Ausübung in Österreich kaum mehr möglich ist, und wenn, dann besonders in hochqualifizierten Segmenten. Für den Arbeitsmarkt bedeutet das, dass die jungen Frauen nach ihrer Erstausbildung oftmals eine weitere Ausbildung machen müssten, um einen entsprechenden Job zu finden oder dass sie als Hilfsarbeiterinnen am Arbeitsmarkt tätig sind.

Der Wandel der Geschlechterrollen macht sich auch bei jungen Frauen mit Hörbeeinträchtigung bemerkbar. ExpertInnen aus der Praxis erleben, dass sich gehörlose junge Frauen heute durchaus verwirklichen möchten, dass sie motiviert und interessiert sind und dafür die bestmögliche Unterstützung und Förderung benötigen. Dadurch dass es heute vermehrt Beratungs- und Bildungseinrichtungen für Gehörlose gibt, ermöglicht es, dass die jungen Frauen Möglichkeiten und Orte der Information, Vernetzung und des Austausch miteinander vorfinden. Diese Angebote, sowie die zunehmende Akzeptanz der Gebärdensprache in unserer Gesellschaft, sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine emanzipatorische Entwicklung. Trotzdem ist die gesellschaftliche Arbeitsteilung auch für gehörlose Frauen ein Problem. Die "Vereinbarkeit" von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit betrifft auch sie. Gehörlose Frauen mit Kinderbetreuungspflichten arbeiten häufig Teilzeit. Der strukturelle Mangel an Kinderbetreuungsplätzen, insbesondere am Land und in Kleinstädten, ist für gehörlose erwerbstätige Frauen ein Problem. Die Partner stehen meist für die Reproduktionsarbeit nicht zur Verfügung. Die zeitlich eingeschränkte Verfügbarkeit ist keine günstige Voraussetzung bei der Jobsuche, auch nicht bei der Teilnahme an Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen. Wie die ExpertInnen aus der Praxis betonen, ist die Organisation von Kinderbetreuungsmöglichkeiten für hörbeeinträchtigte Frauen nicht immer selbständig lösbar. Ein weiterer Aspekt, der sich in Zusammenhang mir Karenz und Kinderbetreuung zeigt, ist, dass gehörlose Frauen oft ein erhebliches Informationsdefizit haben, wenn es um Regelungen und Gesetze zu Karenz, Kinderbetreuungsgeld, Mutterschutz oder einzuhaltende Fristen geht. Je länger Frauen in Karenz sind, desto schwieriger wird die Rückkehr ins Arbeitsleben. Ob gehörlose Frauen mit Kindern länger zu Hause bleiben als andere, lässt sich auf Basis der qualitativen Daten nicht beantworten. Wie die InterviewpartnerInnen erwähnen, sind es häufig Frauen ab 30 oder 40 Jahren die versuchen, wieder in das Erwerbsleben einzusteigen. Sie waren viele Jahre aufgrund von Kinderbetreuungspflichten vom Arbeitsmarkt weg, haben häufig keine oder nur abgebrochene Ausbildungen. Für diese Zielgruppe gibt es keine spezifischen Angebote, obwohl gerade sie auf die Problematik zugeschnittene Maßnahmen der Betreuung und Unterstützung benötigen würden. Insgesamt muss gehörlosen Frauen in und nach der Karenz mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, das bezieht sich sowohl auf Information als auch auf konkrete Unterstützung. Wenn es um die Frage geht, wie gehörlose junge Frauen heute bestmöglich unterstützt werden können, ist auch diese Problematik auf jeden Fall zu berücksichtigen.

Probleme bei der beruflichen Integration, die sich sowohl bei jungen Frauen und Burschen zeigen, sind die Bildungsdefizite der gehörlosen SchulabgängerInnen. Sie liegen häufig in fehlenden Grundqualifikationen und mangelnden sozialen Kompetenzen. und gelten als massives Vermittlungshindernis, d.h. sie wirken sich negativ auf die Ausbildungs- und Berufschancen der Betroffenen aus. Auch im Umgang mit den KlientInnen werden diese Defizite oft als erschwerend erlebt, insbesondere dann, wenn die grundlegende Voraussetzung, nämlich die der Kommunikation, nicht gegeben ist. Viele gehörlose KlientInnen kommen mit mangelnden Sprachkompetenzen sowohl in der Lautsprache als auch in der Gebärdensprache in die Einrichtungen. Der Zugang zu Lehrstellen wird insgesamt immer schwieriger, weil die Auswahl der "Besten" Gang und Gebe ist. Es dominieren Leistungsnachweise, Aufnahmeprüfungen und Auswahlverfahren. Eine hohe Motivation und Anstrengung der gehörlosen Jugendlichen sind notwendig. Selbst nach einem erfolgreichen Lehrabschluss werden gehörlose Jugendliche kaum in der Firma behalten.



[7] Berufsorientierung ist in der achten und neunten Schulstufe geblockt oder integriert in den Unterricht der Pflichtgegenstände im Ausmaß von 32 Jahresstunden abzuhalten (Lehrplan der Sonderschule für gehörlose Kinder 2008, 39).

[8] "Das Arbeitsmarktservice gibt einen Zuschuss für die Betreuung Ihres Kindes in Kindergärten, Kinderkrippe, Horten, Kindergruppen und bei Tageseltern und Privatpersonen außer Familienangehörigen" (AMS 2008).

7. Empirische Ergebnisse: Gehörlose Frauen

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Interviews mit den gehörlosen und schwerhörigen jungen Frauen dargestellt. Zu Beginn werden die Interviewpartnerinnen beschrieben (Alter, Beschäftigungsstatus, Sprachverwendung, Wohnsituation u.Ä), danach erfolgt die Darstellung der zentralen Ergebnisse der Analyse der Interviews.

7.1 Beschreibung der Interviewpartnerinnen

Insgesamt wurden 14 gehörlose und schwerhörige junge Frauen mittels qualitativer Interviews befragt. Sie stammen aus den Bundesländern Steiermark, Wien, Kärnten, Oberösterreich und Tirol.

Tab. 2: Anzahl der Interviewpartnerinnen "gehörlose Frauen" nach Bundesland

BUNDESLAND

ANZAHL

Wien/Niederösterreich

5 Person

Steiermark

5 Person

Kärnten

2 Person

Oberösterreich

1 Person

Tirol

1 Person

Gesamt

14 Personen

Die in diesem Kapitel dargestellten Daten zu Alter, Beschäftigungsstatus, Selbstdefinition, audiologische Angaben, Einkommen, Wohnsituation, Wohnort, besuchter Schultyp, höchste abgeschlossene Schulbildung wurden mittels Fragebogen erhoben (vgl. Kapitel 3.2.2). Die Antwortkategorien waren vorgegeben und entsprechend anzukreuzen.

7.1.1 Alter

Die Interviewpartnerinnen zwischen 15 und 25 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt beträgt 21,07 Jahre. Sechs Frauen sind zwischen 15 und 20 Jahre alt, davon zwei Schülerinnen, drei arbeitsuchend bzw. Lehrstellen suchend, eine bereits berufstätig. Acht Frauen sind zwischen 21 und 25 Jahre alt, davon sind fünf berufstätig, eine arbeitsuchend, eine in Ausbildung, eine in Karenz.

7.1.2 Beschäftigungsstatus

Zum Zeitpunkt der Interviews sind sechs Frauen berufstätig, vier befinden sich auf Lehrstellensuche, eine Frau absolviert eine Fachausbildung, zwei sind Schülerinnen und eine Frau ist zum Zeitpunkt des Interviews in Karenz.

Status

Anzahl

Berufstätig

(6) davon berufsbegleitende Weiterbildung oder Höherqualifizierung (3)[a]

Lehrstellensuche

(4)

Schülerin

(2) BMS, BORG

Ausbildung

(1)

Karenz

(1)

[a] Berufsreifeprüfung (1), Kinderbetreuung/Tagesmutter (2)

Von den berufstätigen Frauen sind vier vollzeitbeschäftigt, eine teilzeitbeschäftigt und eine geringfügig beschäftigt. Drei Frauen sind als Büroangestellte oder Bürokraft tätig, zwei als Projektmitarbeiterinnen, eine als Pflegehelferin und eine als Kinderbetreuerin[9]. Von diesen Frauen haben vier einen unbefristeten Arbeitsvertrag, zwei einen befristeten. Neben der Berufstätigkeit werden von drei Frauen berufsbegleitende Weiterbildungen bzw. Höherqualifizierungen gemacht: zwei Frauen absolvieren eine Ausbildung zur Tagesmutter, eine Frau macht die Berufsreifeprüfung.

7.1.3 Selbstdefinition und Sprachverwendung

Fünf Frauen bezeichnen sich als gehörlos, sechs Frauen als schwerhörig. Zwei Frauen sind sowohl schwerhörig als auch gehörlos, eine Frau bezeichnet sich als schwerhörig, gehörlos und CI-Trägerin. Was die Verwendung der Gebärdensprache bei der Interviewdurchführung betrifft, zeigt sich, dass die meisten Interviewpartnerinnen für die Kommunikation die ÖGS verwenden: Sieben Frauen verwenden ausschließlich die ÖGS, eine Interviewpartnerin verwendet sowohl die Gebärdensprache als auch die Lautsprache, d.h. die Interviewfragen wurden in die ÖGS gedolmetscht, die Antworten wurden in Lautsprache gegeben. Sechs Frauen verwenden beim Interview die Lautsprache. Es sind in der Regel die schwerhörigen Frauen, die beim Interview die Lautsprache verwenden und die gehörlosen Frauen, die beim Interview die Gebärdensprache verwenden.

Tab. 4: Selbstdefinition und Sprachverwendung

IP

Selbstdefinition

Sprachverwendung Interview

1

gehörlos

Gebärdensprache

2

schwerhörig

Lautsprache

3

gehörlos

Gebärdensprache

4

schwerhörig

Lautsprache

5

gehörlos

Gebärdensprache

6

schwerhörig

Gebärdensprache (Fragestellungen), Lautsprache (Antworten)

7

gehörlos

Gebärdensprache

8

gehörlos

Gebärdensprache

9

schwerhörig

Lautsprache

10

gehörlos, schwerhörig, CI-Trägerin

Lautsprache

11

gehörlos, schwerhörig

Gebärdensprache

12

gehörlos, schwerhörig

Gebärdensprache

13

schwerhörig

Lautsprache

14

schwerhörig

Lautsprache

7.1.4 Audiologische Angaben

Zwei der befragten Frauen tragen ein Cochlea Implantat (CI), die anderen haben, bis auf zwei Ausnahmen, Hörgeräte. In den meisten Fällen werden das Hörgerät bzw. die Hörgeräte "regelmäßig" getragen (acht Frauen), zwei Frauen geben an, es "manchmal" zu tragen. Was den Grad des Hörverlustes betrifft, geben drei Frauen an, es nicht zu wissen, fünf Frauen geben einen Hörverlust von 70 - 89 Dezibel (dB) an, vier Frauen einen Hörverlust von 40 - 69 dB, zwei Frauen 90 - 120 dB Die medizinisch-audiologische Einteilung in verschiedene Grade der Hörbehinderung ist nicht einheitlich. Richtet man sich etwa nach Leonhardt (1999, 22) ist gehörlos, wer über 90 dB Hörverlust hat, hochgradig schwerhörig bei einem Hörverlust von 60 - 80 dB und mittelgradig schwerhörig bei einem Hörverlust von 40 - 60 dB. Der Grad des Hörverlustes wurde der Vollständigkeit halber erhoben, für alle weiteren Ausführungen und Analysen jedoch nicht in Betracht gezogen. Wir verwenden lediglich die Bezeichnungen "gehörlos" und "schwerhörig" und gehen dabei von der Selbstdefinition der Interviewpartnerinnen bzw. der Sprachverwendung beim Interview aus.

Tab. 5: Audiologische Angaben

IP

Hörgerät

CI

Grad des Hörverlustes (dB)

1

nie

-

90 -120

2

regelmäßig

-

70-89

3

manchmal

-

weiß nicht

4

nie

ja

weiß nicht

5

manchmal

-

70-89

6

regelmäßig

-

40-69

7

regelmäßig

-

70-89

8

nie

-

70-89

9

regelmäßig

-

40-69

10

nie

ja

90-120

11

regelmäßig

-

70-89

12

regelmäßig

-

40-69

13

regelmäßig

-

40-69

14

regelmäßig

-

weiß nicht

7.1.5 Einkommen

Zwei Interviewpartnerinnen geben an, kein Einkommen zu haben, fünf Interviewpartnerinnen haben ein Einkommen bzw. eine Unterstützung vom AMS bis zu 800 Euro im Monat. Vier Frauen geben an, monatlich zwischen 1200 und 1600 EUR zu verdienen, eine Frau gibt ein Einkommen von 1600 bis 2000 EUR an. Die Daten zeigen, dass lediglich fünf Interviewpartnerinnen ein Einkommen von mehr als 1000 Euro monatlich haben. Wenn wir davon ausgehen, dass die Höhe der Entlohnung oder des Einkommens den Grad der Selbstbestimmung bestimmt, wie wir unser Leben gestalten können, ist der Spielraum für die gehörlosen Frauen nicht besonders hoch. Ob die Interviewpartnerinnen neben dem Erwerbseinkommen zusätzliche Beihilfen erhalten, wurde im Fragebogen nicht erhoben.

Tab. 6: Monatseinkommen

Einkommen/Monat

Anzahl Personen

Kein Einkommen

2

bis EUR 800,-

6[a]

1200 - 1600 EUR

4

1600 - 2000 EUR

1

Keine Angabe

1

[a] DLU: Deckung des Lebensunterhalts (5), Einkommen geringfügig (1)

7.1.6 Wohnsituation

Der Großteil der Frauen ist, was die Wohnsituation betrifft, noch an die Eltern bzw. an Elternteile gebunden. Acht Frauen geben an, bei den Eltern bzw. bei einem Elternteil zu wohnen, davon sind vier berufstätig, zwei Schülerinnen und vier Lehrstellensuchende. Keine der Frauen gibt an, gegenüber den Eltern Betreuungs- oder Pflegepflichten zu haben. Lediglich fünf Frauen wohnen in einer eigenen Wohnung, eine mit Freund und Kind. Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Wohnsituation gibt, kann bei der geringen Anzahl der Interviewpartnerinnen nicht beantwortet werden. Jene vier Interviewpartnerinnen, die berufstätig sind und bei den Eltern wohnen, sind vollzeitbeschäftigt. Sie sind bereits älter, nämlich 25, 24, 23 und 20 Jahre alt und stammen aus den Bundesländern Steiermark (3) und Tirol (1). Von den sechs Frauen, die selbständig wohnen, ist eine in Karenz und wohnt mit Kind und Partner, zwei sind berufstätig (eine Teilzeit für 30 Stunden/Woche, eine ist geringfügig beschäftigt), zwei sind auf der Suche nach einer Lehrstelle, eine absolviert eine Fachausbildung. Die Frauen sind 24, 23, 22, 21 und 19 Jahre alt und wohnen in den Bundesländern Klagenfurt, Wien und Oberösterreich. Das heißt, auch Frauen, die bereits volljährig sind und im Berufsleben stehen, wohnen noch bei den Eltern. Wir stellen dazu die Annahme in den Raum, das selbst bei Vollbeschäftigung das Einkommen nicht immer ausreichend ist, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können.

7.1.7 Wohnort

Die Interviewpartnerinnen stammen aus den Bundesländern Wien, Steiermark, Oberösterreich, Kärnten und Tirol, wobei mehr als die Hälfte der Interviewpartnerinnen aus Wien und der Steiermark stammen (zehn Frauen). Bis auf drei Frauen leben alle Interviewpartnerinnen in den Landeshauptstädten. Drei Interviewpartnerinnen wohnen im Einzugsgebiet einer Landeshauptstadt. Die Arbeitsplätze bzw. Schulungs- und Ausbildungsplätze der Interviewpartnerinnen befinden sich bis auf zwei Ausnahmen ebenfalls in Landeshauptstädten.

7.1.8 Besuchter Schultyp und höchste abgeschlossenen Schulbildung

Vier Interviewpartnerinnen haben ihre Pflichtschulzeit in einer Sonderschule für gehörlose Kinder (Gehörlosenschule) absolviert. Eine Interviewpartnerin absolvierte die Pflichtschule in einer Sonderschule für Schwerhörige. Sieben Frauen geben an, Integrationsklassen in Regelschulen besucht zu haben. Zwei Interviewpartnerinnen haben sowohl Regelschulen als auch Gehörlosenschulen besucht. Auffällig ist, dass jene Frauen, die Integrationsklassen besucht haben, in den meisten Fällen auch angeben, schwerhörig zu sein (sechs Personen). Die Frauen, die sich als gehörlos bezeichnen, besuchten bis auf eine Ausnahme eine Gehörlosenschule. Zum Zeitpunkt des Interviews geben acht Frauen als höchsten Bildungsabschluss den Pflichtschulabschluss an, drei haben eine Berufsbildende mittlere Schule besucht (Handelsschule, Fachschule für Mode und Bekleidung, Fachschule für Malerei und Gestaltung), drei Frauen haben die Matura gemacht.

Tab. 7: Schulbildung

IP

Pflichtschule

 

Höchster Schulabschluss

 

Volksschule

Sekundarstufe

 

1

Gehörlosenschule

Regelschule - Integration

Pflichtschule

2

Regelschule - Integration

Regelschule

BMS[a]

3

Regelschule - Integration

Regelschule

Matura (AHS)

4

Regelschule › Gehörlosenschule

Gehörlosenschule

Pflichtschule

5

Gehörlosenschule

Gehörlosenschule

BMS

6

Schwerhörigenschule

Schwerhörigenschule

Pflichtschule

7

Gehörlosenschule

Gehörlosenschule

Pflichtschule

8

Gehörlosenschule

Gehörlosenschule

Pflichtschule

9

Regelschule - Integration

Regelschule - Integration

BMS

10

Regelschule - Integration

Regelschule

Matura (Berufsreifeprüfung)

11

Regelschule - Integration

Regelschule - Integration

Pflichtschule

12

Gehörlosenschule

Gehörlosenschule

Pflichtschule

13

Regelschule - Integration

Regelschule - Integration

Matura (BORG)

14

Regelschule - Integration

Regelschule - Integration

Pflichtschule[b]

[a] Macht zum Zeitpunkt des Interviews die Berufsreifeprüfung.

[b] Zum Zeitpunkt des Interviews ist die weiterführende Schule noch nicht abgeschlossen.

7.2 Soziale Beziehungen und Freizeitverhalten

7.2.1 Kommunikation in der Familie

Nur ca. 10 Prozent aller gehörlosen Kinder wachsen in gehörlosen Familien auf und haben Gebärdensprache als Hauptkommunikationsmittel (vgl. etwa Sheridan 2008). Auch in unserer Studie zeigt sich recht deutlich, dass die meisten gehörlosen und schwerhörigen jungen Frauen in hörenden Familien aufwachsen. In vier Familien ist die Gebärdensprache das hauptsächlich verwendete Kommunikationsmittel, in einer werden sowohl Gebärdensprache als auch Lautsprache verwendet, in allen anderen Familien ist die Lautsprache vorherrschendes Kommunikationsmittel. Voraussetzung dafür, dass Gebärdensprache als Kommunikationsmittel verwendet wird, ist in der Regel, dass die Eltern oder ein Elternteil selbst gehörlos sind. Nur selten bis gar nicht kommt es vor, dass hörende Eltern die Gebärdensprache auf einem so hohen Niveau erlernen, dass eine umfassende Kommunikation mit dem Kind gewährleistet ist, das ist bei uns nur in einer Familie der Fall. Gehörlose Kinder, die in einem adäquaten sprachlichen Umfeld aufwachsen, in dem die Kommunikation und Verständigung mit den Bezugspersonen möglich ist und sie Akzeptanz und Unterstützung erhalten, haben in der Regel bessere soziale, emotionale und auch kognitive Voraussetzungen und Ressourcen (vgl. etwa Hintermair 2007). Auch für die Ausbildungs- und Berufswahl ist die Unterstützung der Familie und des sozialen Umfelds eine wichtige Ressource.

Tab. 8: Kommunikationsformen in der Familie

IP

Eltern

Interviewpartnerin (Selbstdefinition)

Kommunikation Familie

1

gehörlos

gehörlos

Gebärdensprache

2

hörend

schwerhörig

Lautsprache

3

gehörlos

gehörlos

Gebärdensprache

4

hörend

schwerhörig

Lautsprache

5

hörend

gehörlos

Lautsprache ikonische Gebärden (Cousine)

6

hörend

schwerhörig

Lautsprache (serbisch/deutsch)

7

hörend

gehörlos

Lautsprache, etwas Gebärdensprache (Mutter, Tante)

8

hörend

gehörlos

Lautsprache (serbisch/deutsch) etwas Gebärdensprache (Schwester)

9

gehörlos

schwerhörig

Gebärdensprache

10

hörend

gehörlos, schwerhörig, CI-Trägerin

Lautsprache

11

hörend

gehörlos, schwerhörig

Lautsprache

12

hörend

gehörlos, schwerhörig

Gebärdensprache (Mutter), Lautsprache

13

hörend

schwerhörig

Lautsprache

14

gehörlos

schwerhörig

Gebärdensprache, Lautsprache

Sprachliches Umfeld: Gebärdensprache

In den meisten Fällen ist das Aufwachsen mit Gebärdensprache dann gewährleistet, wenn die Eltern(teile) gehörlos sind und/oder selbst die Gebärdensprache verwenden. Das ist bei fünf Interviewpartnerinnen der Fall.

Die Interviewpartnerinnen 1 und 3 wuchsen bei gehörlosen Eltern auf, definieren sich selbst als gehörlos und geben die Gebärdensprachsprache als Hauptkommunikationsmittel an. Interviewpartnerin 9 ist schwerhörig, wuchs in einer gehörlosen Familie auf, Gebärdensprache wurde als Hauptkommunikationsmittel verwendet. Sie fühlt sich in beiden "Welten" zu Hause und erzählt, dass ihre Eltern unbedingt wollten, dass sie auch die hörende Welt kennenlernt:

Ich habe mich nie für eine Seite entscheiden können, obwohl von meiner Schwester immer der Wunsch war, dass ich mich für eine Seite entscheide. Aber ich habe gesagt, nein, ich möchte die beiden Welten kennenlernen. Ich glaube dass eine schwerhörige Person immer das Hin und Her hat. Meine Eltern wollten auch unbedingt, dass ich die andere Welt kenne lerne (IP9, 4).

Auch Interviewpartnerin 14 wuchs als schwerhörige Tochter bei gehörlosen Eltern auf. Sie gibt allerdings an, dass die Gebärdensprache nicht ihre Muttersprache ist, da sie diese erst im Kindergarten erlernt hat:

Ich habe immer deutlich reden müssen, meine Eltern haben immer auf die Lippen geschaut. Ich habe die Gebärdensprache dann im Kindergarten fleißig gelernt und dann habe ich sie können. In der Volksschule habe ich sie es schon ganz gut können und seitdem kommuniziere ich mit meinen Eltern in Gebärdensprache (IP14, 9).

Interviewpartnerin 12 ist Tochter einer hörenden Mutter, die Gebärdensprache auf einem sehr hohen Niveau erlernt hat. Somit konnte sie mit Gebärdensprache aufwachsen. Sie hat ein hohes Selbstbewusstsein, ist aktiv in der Gehörlosengemeinschaft engagiert und bezeichnet sich auch selbst als gehörlos.

Sprachliches Umfeld: Lautsprache

Unabhängig davon ob gehörlos oder schwerhörig wachsen neun Interviewpartnerinnen in hörenden Familien auf. Die deutsche Lautsprache ist bzw. war das einzige Kommunikationsmittel in den meisten Familien, in zwei Familien ist Serbisch die Muttersprache. Jugendliche, die fast ausschließlich in hörenden Familien leben, wobei die hörenden Familienmitglieder meist nicht gebärden können, leiden häufig an Kommunikationsbarrieren und dem Gefühl ausgeschlossen zu sein. Auch die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Kommunikationshindernisse zwischen Eltern und Töchtern bestehen, wenn es keine gemeinsame Sprache gibt. Hörende Eltern, deren Kinder gehörlos oder schwerhörig sind, orientieren sich meist an einer rein lautsprachlichen Erziehung und stehen dem Erlernen der Gebärdensprache häufig skeptisch bis ablehnend gegenüber. Verständlicherweise wünschen alle Eltern, dass ihre Kinder in die hörende Welt integriert sind und die Lautsprache lernen, trotzdem würde das zusätzliche Erlernen und Verwenden der Gebärdensprache einen Vorteil nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf emotionaler und sozialer Ebene darstellen. Zwei Interviewpartnerinnen führen aus, wie bemüht ihre Mütter waren, sie in ihrer Lautsprachentwicklung bestmöglich zu fördern:

Meine Mutter hat immer gesagt, wenn mein Kind etwas hört, dann probieren wir es mit der Lautsprache, sie kann immer noch die Gebärdensprache dazulernen. Wenn es nicht klappt, dann muss man es mit der Gebärdensprache probieren. So haben wir das dann gemacht, das waren die massiven Jahre bei der Logopädie, da habe ich die Lautsprache gelernt, vor zwei Jahren habe ich erst die Gebärdensprache dazu gelernt. Ich bin meiner Mutter für alles dankbar. Dass sie mich so, unter Anführungszeichen gequält hat, das musste sein. Sie hat mich immer ausgebessert, wenn ich etwas falsch ausgesprochen habe oder wenn ich etwas falsch gesagt habe, irgendetwas, einen falschen Artikel oder schlampig gesprochen, dann hat sie immer gesagt, nein, noch einmal. So lange, bis ich es richtig gesprochen habe (IP2, 9f).

Auch Interviewpartnerin 10 wird in ihrer Lautsprachentwicklung maximal unterstützt und erhält im Alter von acht Jahren ein Cochlea Implantat:

Ich habe mit einem Jahr Hörgeräte bekommen und meine Mama hat mich lautsprachlich abgefragt und wir sind oft in die Schweiz gefahren, zu dieser Frau. Sie ich Pädagogin für hörgeschädigte Leute für Lautsprache. Da waren wir oft dort. [...] Dann habe ich das CI bekommen. Es war spannend. Ich habe öfter zur CI-Einstellung fahren müssen. Meine Mama hat mich weiter gefördert und Therapie gemacht und es ist immer besser geworden. Ich bin schon froh über diese Entscheidung (IP10, 6 und 10).

Beide Interviewpartnerinnen erlernten die Gebärdensprache im Erwachsenenalter, nutzen ihre neu erworbenen Kompetenzen beruflich und haben dadurch auch Kontakte und Beziehungen zu Gehörlosen bzw. zur Gehörlosengemeinschaft. Interviewpartnerin 10 bezeichnet sich sogar auch als gehörlos.

Weitere Zitate der Interviewpartnerinnen verdeutlichen die Vorurteile gegenüber dem Erlernen der Gebärdensprache. Interviewpartnerin 11 wünscht sich etwa, dass ihre Eltern mit ihr in Gebärdensprache kommunizieren können:

Ich habe meine Mutter schon gefragt, warum sie nicht gebärden lernt und die Mama hat gesagt, weil es wichtig für mich ist, dass ich die Lautsprache übe und deshalb will sie nicht gebärden. Meine Eltern kennen gar nichts von der Gehörlosenkultur, die wissen da wenig. Sie denken, man kann auch so in der hörenden Welt gut leben. Ich hätte gerne, dass meine Eltern vollständig die Gebärdensprache können, das wäre schön (IP11, 5f).

Ich bin mit Lautsprache aufgewachsen. Meine Eltern wollten mich nicht mittels Gebärdensprache aufziehen. Mein Papa hat mir gesagt, wenn ich erwachsen bin, kann ich gerne Gebärdensprache lernen, kein Problem. Aber meine Mutter wollte nicht, weil sie Angst hatte, dass ich die Lautsprache verlerne (IP10, 7).

Wenn es dennoch Bemühungen von hörenden Eltern gibt, die Gebärdensprache zu erlernen bzw. eine Kommunikationssituation herzustellen und aufrecht zu erhalten, sind es in der Regel die Frauen, also die Mütter, Cousinen, Schwester oder Tanten.

7.2.2 Freizeitgestaltung

Alle Interviewpartnerinnen geben an, in ihrer Freizeit gerne Freunde und Freundinnen zu treffen und auszugehen. Sieben Interviewpartnerinnen sind sportlich aktiv. Erwähnt werden Sportarten wie Fußballspielen, Reiten, Schwimmen, Klettern, Inlineskaten, Radfahren, Volleyball und Snowboarden. Vier Frauen sind in Gehörlosenvereinen engagiert. Sie haben Funktionen inne, organisieren Feste und andere Veranstaltungen wie Jugendcamps, Sportveranstaltungen, Elterngruppen für hörbehinderte Kinder und halten Vorträge. Tanzen gehen und Konzerte besuchen wird von weiteren vier Interviewpartnerinnen als Freizeitbeschäftigung angegeben. Drei Frauen geben an, dass sie in ihrer Freizeit gerne lesen. Eine Interviewpartnerin gibt an, in ihrer Freizeit ihrer Mutter im Haushalt helfen zu müssen, eine Interviewpartnerin hat bereits ein Kind und verbringt ihre Freizeit mit Betreuungspflichten. Vereinzelt werden auch Reisen, Einkaufen, Fernsehen, Basteln und Unternehmungen mit dem Partner genannt. Fünf Frauen sagen, dass sie kaum Freizeit haben, weil sie sich gerade in einer Ausbildung bzw. Schulung befinden und viel lernen müssen. Was die Nutzung von Angeboten verschiedener Vereine und Organisation betrifft, geben fünf Frauen an, Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten, die von Gehörlosenorganisationen angeboten werden, zu besuchen, Es sind dies etwa Vorträge, Feste und Feiern, Teilnahme an Sportaktivitäten und Ausflüge.

Soziale Kontakte sind sehr stark durch die Sprache bedingt, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass jene Frauen, die Gebärdensprache als Hauptkommunikationsmittel verwenden, sich in ihrer Freizeit in einem gebärdensprachlichen Umfeld bewegen. Sieben Interviewpartnerinnen haben in ihrer Freizeit hauptsächlich Kontakt zu gehörlosen FreundInnen, davon bezeichnen sich sechs Frauen als gehörlos und eine als schwerhörig. Im Vordergrund steht die Kommunikation: mit gehörlosen FreundInnen kann in Gebärdensprache kommuniziert werden. Sie fühlen sich sicher und verstanden. Die Kommunikation in Lautsprache würde nicht so gut funktionieren. Drei Frauen geben an, Kontakt hauptsächlich zu hörenden Freunden und Freundinnen zu haben, davon bezeichnen sich zwei als schwerhörig und eine als gehörlos. Vier Interviewpartnerinnen bezeichnen ihre Kontakte zu hörenden, schwerhörigen und gehörlosen FreundInnen als ausgewogen. Alle vier sind schwerhörig und verwenden sowohl die Lautsprache als auch die Gebärdensprache, je nachdem mit wem sie sich gerade treffen.

7.2.3 Bedeutung der Gehörlosengemeinschaft

Für junge Frauen mit Hörbeeinträchtigung hat die "Gehörlosengemeinschaft" heute wenig Bedeutung. Lediglich vier Interviewpartnerinnen definieren sich sehr stark über die Gehörlosengemeinschaft. Teil dieser Gemeinschaft zu sein, eine gemeinsame Sprache zu haben, die Möglichkeit in Gebärdensprache kommunizieren zu können und die Zugehörigkeit zu "Gleichgesinnten" stehen im Vordergrund:

Die Gehörlosengemeinschaft ist in meinem Leben selbstverständlich, in meiner Familie sind alle gehörlos und ich bin einfach aufgewachsen in dieser Gemeinschaft. Hörende Personen, die nicht gebärdensprachkompetent sind, da interessiert mich der Kontakt nicht wirklich, wenn sie gebärdensprachkompetent sind, dann ist es sehr angenehm, auch mit ihnen Kontakt zu haben. Natürlich kann man im täglichen Leben das von Hörenden nicht verlangen, dass sie in Gebärdensprache kommunizieren, aber meine Freunde, meine Bekannten, die kann ich mir natürlich selber aussuchen und das sind durchwegs Gehörlose, weil für mich wichtig ist, die Gehörlosenidentität, das hier eine Gemeinsamkeit besteht (IP3, 9).

Wichtig ist einfach die Kommunikation. Wir können Meinungen austauschen, wir können über alles diskutieren, über das Klima, die Politik oder irgendetwas anderes, das ist einfach das Angenehme und Interessante innerhalb der Gemeinschaft. Und es ist für mich sehr, sehr wichtig, dass es eine angenehme, interessante Kommunikation gibt. Da weiß ich, man wird verstanden. Bei anderen ist man immer so unsicher, da ist es nicht so reibungslos, deswegen habe ich lieber die Kommunikation innerhalb der Gehörlosensgemeinschaft (IP12, 4).

Für mich ist die Gehörlosengemeinschaft wie eine Familie, sie ist sehr, sehr wichtig. Ich habe schon einmal probiert einen Monat lang nicht hin zu gehen und keinen Kontakt zu haben, aber ich kann es mir wirklich nicht vorstellen (IP1, 6).

7.2.4 Beziehungsmuster

Zum Zeitpunkt des Interviews sind sieben Frauen Single bzw. geben an, keinen Freund zu haben. Dies wird nicht als problematisch besprochen, zwei Frauen sagen explizit, dass sie noch keine Beziehung möchten: "Ich bin Single und ich liebe das so" (IP14, 5) sagt etwa eine Interviewpartnerin. Die andere Hälfte der Befragten hat einen Freund, eine davon lebt mit diesem auch in der gemeinsamen Wohnung. An dieser Frage war die Partnerwahl von Interesse. Sind die PartnerInnen von gehörlosen und schwerhörigen Frauen selbst gehörlos und schwerhörig? Von den gehörlosen Interviewpartnerinnen haben oder wünschen sich, bis auf eine Ausnahme, alle einen gehörlosen Partner.

Die schwerhörigen Interviewpartnerinnen haben oder wünschen sich hörende oder schwerhörige Partner. Bezüglich der PartnerInnenwahl zeigt sich also, dass gehörlose Frauen zu gehörlosen PartnerInnen tendieren und schwerhörige Frauen zu schwerhörigen oder hörenden PartnerInnen. Die Sprachverwendung scheint auch hier ein zentraler Faktor zu sein.

Tab. 9: Beziehungsmuster

IP

Selbstdefinition

PartnerIn

1

gehörlos

soll gehörlos sein

2

schwerhörig

ist hörend

3

gehörlos

ist gehörlos

4

schwerhörig

soll hörend sein

5

gehörlos

k. A.

6

schwerhörig

k. A.

7

gehörlos

k. A.

8

gehörlos

ist hörend

9

schwerhörig

ist hörend

10

gehörlos, schwerhörig, CI-Trägerin

sollte schwerhörig oder hörend sein

11

gehörlos, schwerhörig

ist gehörlos

12

gehörlos, schwerhörig

ist schwerhörig, sieht sich aber als gehörlos

13

schwerhörig

schwerhörig

14

schwerhörig

k. A.

7.3 Nutzung von Medien

Bei den Fragen nach der Nutzung von unterschiedlichen Medien wie Zeitungen, Büchern, Fernsehen, Computer, Internet stand im Vordergrund, welche Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten junge Frauen heutzutage nutzen.

7.3.1 Zeitungen und Bücher

Beinahe alle Interviewpartnerinnen (elf von vierzehn) geben an, regelmäßig Zeitungen zu lesen, dabei handelt es sich in erster Linie um Tageszeitungen, wie Kronenzeitung, Kleine Zeitung, Kurier, Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung sowie um Gratiszeitungen. Was den Inhalt betrifft, interessieren sich die Frauen am meisten für das Tagesgeschehen (elf Nennungen), gefolgt von Gesellschaft mit vier Nennungen, dem Sport und dem Fernseh- und Kinoprogramm und der Politik mit je zwei Nennungen. Einzelne Nennungen betreffen Finanzen, Wetter und Kochrezepte. Weiters geben zwei Frauen an, regelmäßig Frauenzeitschriften zu lesen, eine liest besonders gerne Jugendzeitschriften wie "Bravo" oder "Mädchen". Spezielle Printmedien für die Zielgruppe (Gehörlosenzeitung[10]) werden von rund einem Drittel konsumiert. Bücher werden nicht so häufig gelesen, lediglich vier Frauen lesen gerne und zum Teil auch recht viel. Genannt werden am häufigsten Romane und Krimis, sowie vereinzelt Jugendbücher, Sachbücher, Biografien und Erfahrungsberichte.

7.3.2 Fernsehen

Alle Interviewpartnerinnen schauen fern, die meisten von ihnen regelmäßig. Am häufigsten werden Spielfilme angeschaut (acht Nennungen), gefolgt von Serien, wie etwa "CSI", und "Der Bulle von Tölz", u.Ä. (sieben Nennungen), Shows (zwei Nennungen) und Nachrichten (eine Nennung). Vier Frauen sehen aus Zeitgründen nur gelegentlich fern.

Die Auswahl der Sendungen hat in der Regel damit zu tun, ob es Untertitel gibt oder nicht. Untertitel gibt es meist bei Spielfilmen und Serien, jedoch nicht bei Nachrichten und anderen Informationssendungen. So sehen sich gehörlose Frauen mit der Tatsache konfrontiert, dass Nachrichtensendungen aufgrund der fehlenden Untertitelungen bzw. Dolmetschungen nicht zugänglich sind. Ohne Untertitelung sind Sendungen vielfach schwer bis gar nicht mit zu verfolgen. Der Versuch "zu verstehen" ist mit großen Anstrengungen verbunden, was natürlich das Fernsehvergnügen schmälert. Um zu verstehen, muss von den Lippen abgelesen werden, das ist sehr schwer bis unmöglich und zudem nur bei deutschsprachigen Sendungen möglich. Oft werden dann nur die Bilder betrachtet oder die Zuseherinnen versuchen über die Handlung heraus zu finden, um was es geht. Als Alternative zu den gering untertitelten Sendungen im Fernsehen wird gerne auf DVDs zurückgegriffen, da man hier die Sprache und Untertitelung selbst einstellen kann.

7.3.3 Computer und Internet

Alle Frauen verwenden regelmäßig Computer und Internet, am häufigsten zu Kommunikationszwecken: Neun Frauen chatten regelmäßig mit Freunden und Freundinnen, sieben Frauen kommunizieren regelmäßig via E-Mails. Auch für das Einholen von Informationen und diverse Recherchen wird der Computer verwendet (acht Nennungen), ebenso für Arbeit und Lernen (sechs Nennungen). Weiters wird dieses Medium für Spiele (zwei Nennungen), das Anschauen und/oder Bearbeiten von Fotos und Bildern (zwei Nennungen) sowie für den Besuch von speziellen Seiten der Gehörlosengemeinschaft (zwei Nennungen) genutzt. Obwohl alle Frauen Computer und Internet regelmäßig nutzen, ist nicht davon auszugehen, dass alle private Geräte haben. Zwei Frauen sagen dezidiert, dass sie den Computer nur im Kurs verwenden können, eine gibt an, nur einen PC, jedoch keinen eigenen Internetzugang zu haben.

7.4 Einsatz von DolmetscherInnen

Die Inanspruchnahme von DolmetscherInnen wird von den Interviewpartnerinnen unterschiedlich gehandhabt. Wenn GebärdensprachdolmetscherInnen genutzt werden, werden sie am ehesten in beruflichen Zusammenhängen in Anspruch genommen. Sie werden für Settings wie Teambesprechungen, interne Weiterbildungen, Vorträge und Einschulungen oder für die Berufsreifeprüfung benötigt. Außerhalb des beruflichen Kontextes werden DolmetscherInnen nur sporadisch bestellt. Genannt werden etwa Situationen, wie ein Termin beim ÖAMTC, ein Kurs in der Fahrschule, bei der Polizei, bei einem Arztbesuch, im Krankenhaus oder bei einer Gerichtsverhandlung. Möglicherweise werden in außerberuflichen Zusammenhängen DolmetscherInnen deshalb nicht so häufig eingesetzt, weil sich die Frauen selber darum kümmern müssten. Vereinzelt wird deutlich, dass das Wissen über den Anspruch auf Dolmetscherleistungen gering ist. Insgesamt sind es acht Interviewpartnerinnen, die angeben, noch nie GebärdensprachdolmetscherInnen bestellt zu haben. Fünf Interviewpartnerinnen behaupten, keine DolmetscherInnen zu brauchen bzw. selbständig kommunizieren können. Interessant ist, dass nach wie vor Familienmitglieder, häufig die Mütter, als "Dolmetscherinnen" fungieren, davon berichten vier Interviewpartnerinnen, wie etwa die Aussage von Interviewpartnerin 7 verdeutlicht:

Wenn die Mama mit ist, dann geht es immer ganz gut, weil sie das dann übersetzt, beim Arzt zum Beispiel oder im Krankenhaus, da sage ich dann immer, Mama, kannst du mir helfen und das Formular ausfüllen (IP7, 7).

Auch die Arbeitsassistentinnen werden von zwei Interviewpartnerinnen als DolmetscherInnen heran gezogen. Eine Interviewpartnerin verweist darauf, dass "viele Dolmetscherinnen ausgebucht sind, sodass es auch schwer ist, jemanden zu finden" (IP5, 8). Die Hälfte der Frauen äußert den Wunsch häufiger DolmetscherInnen zu haben, genannt werden dabei Arbeitsplatz, Weiterbildungen, Schule, Familienfeiern und Mutter- Kind-Pass-Untersuchungen.

7.5 Berufswahl

Die Berufs- oder Ausbildungsentscheidung ist für alle Jugendlichen eine grundlegende Entwicklungsaufgabe. Studien zur Berufswahlentscheidung verweisen auf eine Reihe von Variablen, die für die Berufswahl ausschlaggebend sind, wie etwa die kulturellen und sozialen Ressourcen des Lebensumfeldes. Je nach sozialem und beruflichem Status der Eltern werden auch deren Kinder einen entsprechenden Bildungs- und Ausbildungsabschluss erwerben (vgl. Gruber 2008, 48). Der Faktor Geschlecht spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Berufswahl. So sind etwa die Berufsbereiche Erziehung, Gesundheits- und Sozialwesen weitgehend frauendominiert (vgl. Bican- Zehetbauer & Oswald 2002). Jensen (2000, 151) bezeichnet die Phase des Berufseinstiegs Jugendlicher als einen Prozess, "der sich aus zwei Quellen speist, nämlich den Interessen, Bedürfnissen und Fähigkeiten des Einzelnen und den Möglichkeiten, die eine Gesellschaft, orientiert an ihrem Bedarf, zur Verfügung stellt". Wie stellt sich die Berufswahl für gehörlose und schwerhörige weibliche Jugendliche dar? Welche Rolle spielen die Faktoren Geschlecht und Gehörlosigkeit? Welche Berufsfelder werden bzw. wurden von den Frauen angestrebt? Gab oder gibt es konkrete Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Berufsziele? Welche Probleme und Erfahrungen zeigten sich in der Ausbildung? Welche Einflüsse waren bei der Berufslaufbahnentscheidung wirksam? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden.

7.5.1 Angestrebte Berufsfelder

Bis auf eine Interviewpartnerin, die sagt, sie "hatte eigentlich kein Berufsziel, das sie machen wollte" (IP1, 1), gab oder gibt es bei den meisten Frauen Präferenzen bezüglich ihrer Berufswünsche. Wenn Berufswünsche und -vorstellungen genannt werden, unabhängig davon ob sie umgesetzt werden (können) oder nicht, sprechen gehörlose und schwerhörige Frauen bevorzugt von folgenden Berufsfeldern:

Tab. 10: Berufsvorstellungen gehörloser Frauen

Berufsvorstellungen

Häufigkeit

Studium Sozialpädagogik

1

Studium Jus

1

Studium Fotografie

1

Kindergärtnerin, Kinderbetreuerin

5

Erzieherin

1

Physiotherapie

1

Ergotherapie

1

Tierpflegerin

2

Köchin

1

Floristin

2

Textilhandel

1

Bürokauffrau

1

Handwerklicher Beruf

1

Zahntechnikerin

1

Pflegehelferin

1

Krankenschwester

1

Wie die Nennungen in Tabelle 10 zeigen, werden pädagogischen Berufe, insbesondere Kindergärtnerin oder Kinderbetreuerin, häufig als Wunschberufe genannt. Oft steht im Vordergrund, speziell Kinder mit Hörbeeinträchtigung betreuen zu wollen. Am zweithäufigsten werden Gesundheitsberufe angestrebt, genannt werden etwa Krankenschwester, Pflegehelferin, Physiotherapeutin oder Ergotherapeutin. Auch ein Hochschulstudium wird von manchen Interviewpartnerinnen angestrebt, erwähnt werden die Studienrichtungen Fotografie, Jus und Sozialpädagogik. Auffällig ist, dass handwerkliche oder technische Berufe bis auf eine Ausnahme nicht genannt werden. Weiters werden verschiedene Lehrberufe, wie Bürokauffrau, Tierpflegerin, Floristin oder Köchin genannt.

7.5.2 Unterstützung bei der Berufsfindung

Wie die Aussagen der Interviewpartnerinnen zeigen, hatten die wenigsten vor ihrer Berufswahlphase eine umfassende Auseinandersetzung damit, welchen Beruf sie ergreifen wollen. Berufsberatung und Berufsinformationen konnten kaum in Anspruch genommen werden. Fünf Frauen wurden bezüglich ihrer Berufs- und Ausbildungswahl von ihren Müttern, Eltern oder Erziehungsberechtigten unterstützt. In den meisten Fällen wurde die Unterstützung als hilfreich und Ziel führend erlebt, wie etwa die Aussage von Interviewpartnerin 3 verdeutlicht:

Ich habe oft mit meiner Mama darüber gesprochen. Sie hat mich natürlich gefragt, welchen Beruf möchtest du ergreifen, was möchtest du in Zukunft machen? Ich habe auch sehr viel über mich nachgedacht, reflektiert, wo sind meine Stärken, meine Schwächen und meine Mutter war dann eben meine Außenperspektive. Ich habe auch meinen Onkel gefragt. Ich habe sie direkt gefragt, was glaubt ihr, wo liegen meine Stärken? Dann habe ich überlegt, welche Berufe jetzt für mich in Frage kommen, in Verbindung mit meinen Stärken. Ich habe auch geforscht und gelesen und meine Mutter gefragt, wo es noch Informationen gibt, zum Beispiel bei der Berufsorientierungsmesse, das habe ich mir angeschaut. Und mit 17 war es mir dann völlig klar, dieser Beruf, den möchte ich ergreifen. Ich kann sagen, meine Mutter hat mich wahrscheinlich am meisten unterstützt, mich selbst zu finden, meinen Charakter, meine Persönlichkeit, meine Stärken besser einzuschätzen (IP3, 3).

Im Falle von Interviewpartnerin 5 wurde der empfohlene Ausbildungsweg zwar eingeschlagen, da dieser aber nicht ihren wirklichen Interessen und Fähigkeiten entsprach, nicht beibehalten:

Ich habe die Schule abgeschlossen, dann habe ich überlegt, was ich weiter machen soll und die Oma hat gesagt, mach eine Berufsausbildung, geh doch in die Malerschule. Und ich habe überlegt, na ja ich mache es halt. Ich habe dann die Ausbildung absolviert und war froh, dass ich sie endlich hinter mich gebracht habe. Die Oma wollte noch, dass ich weiter mache, mich weiter qualifiziere und ich habe gesagt, nein, das ist nicht meins, da möchte ich eigentlich nicht weiter arbeiten (IP5, 2).

Auch das soziale Umfeld, wie etwa FreundInnen oder LehrerInnen, beeinflussen die Entscheidung, welcher Berufs- bzw. Bildungsweg eingeschlagen wird. Das ist bei drei Frauen der Fall. So beschreibt etwa Interviewpartnerin 2, dass sie bei der Wahl einer weiterführenden Schule von ihrer Freundin beeinflusst wurde:

Meine damalige beste Freundin, sie hört, hat gesagt, Mode ist sehr interessant. Man kann so viel entwerfen und wir sollen mal zusammen arbeiten. Ich habe ihr geglaubt, bin auch diesen Weg gegangen und da habe ich bemerkt, das ist nicht meines (IP2, 2).

Interviewpartnerin 14 wurde von einer Lehrerin "beraten":

In der Hauptschule ist es gut gelaufen, dann hat eine Lehrerin gesagt ich soll ins Poly gehen, aber ich habe gehört, dass es da nicht so gut ist und dann habe ich mich für eine andere Schule entschieden (IP14, 2)

Auch professionelle Beratungsinstitutionen haben die gehörlosen jungen Frauen bei der Berufswahl unterstützt. Am häufigsten wird das Arbeitsmarktservice und die Arbeitsassistenz erwähnt, weiters der Verein VÖGS (Verein Österreichischer Gehörloser Studierender) und das WIFI.

7.5.3 Berufliche Vorbilder

Die Interviewpartnerinnen wurden gefragt, ob sie berufliche oder allgemeine Vorbilder haben, an denen sie sich orientierten. Nur vier Interviewpartnerinnen nennen Personen, die für sie eine Orientierungsfunktion haben. Eine Interviewpartnerin nennt eine Verwandte, an der sie sich hinsichtlich ihrer Berufswahl orientiert hat, d.h. sie hat letztendlich den gleichen Beruf ergriffen wie sie. Eine Interviewpartnerin nennt als größtes Vorbild ihre Schwester, weil sie auch nicht so schnell aufgibt. Das Durchhaltevermögen wird hier als wichtiges Ideal angesehen. Zwei Interviewpartnerinnen nennen dezidiert gehörlose Frauen und einen gehörlosen Mann als Rollenmodelle. Sie dienen nicht nur als berufliches Vorbild, sondern stellen insbesondere aufgrund ihres gesellschaftspolitischen Kampfes und Einsatzes für die Rechte Gehörloser nachahmenswerte Modelle dar. Sie sind deshalb bekannt, weil sie Personen des öffentlichen Lebens sind bzw. in der Gehörlosengemeinschaft eine öffentliche Rolle einnehmen:

Es gibt eine Frau, eine Amerikanerin, von ihr war ich besonders begeistert. Sie ist selbst gehörlos und sie ist Anwältin geworden als Gehörlose. Sie arbeitet als Rechtsanwältin, das ist für sie ein ganz normaler Beruf, ich habe sie wirklich bewundert. Sie hat auch selber Bücher geschrieben, ich habe ihre Bücher gelesen über ihren Kampf, Anwalt zu werden und ich muss sagen, ich habe sehr großen Respekt vor dieser Frau, sie hat Großartiges geleistet (IP3, 3).

Besonders diese gehörlosen Personen, Helene Jarmer und Professor Dimmel und Christine Linnartz[11], wie sie für Gehörlose kämpfen und für sie gleiche Rechte wie Hörende fordern, und das gefällt mir auch, das möchte ich auch. Das sind für mich auch Vorbilder. Ich möchte nicht, dass ich den Hörenden untergeordnet bin, nur weil ich gehörlos bin (IP10, 4).

Bei den Rollenmodellen steht die Hörbeeinträchtigung im Vordergrund und weniger das Geschlecht. Dass so wenige Rollenmodelle genannt werden, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass es wenige gehörlose und schwerhörige Personen, insbesondere Frauen gibt, die in Österreich in der Öffentlichkeit stehen.

7.6 Probleme beim Berufseinstieg

Der Übergang von der Schule in den Beruf oder in eine Ausbildung ist problematisch. Zum Zeitpunkt des Interviews waren sechs Frauen berufstätig, drei davon absolvieren zusätzlich eine berufsbegleitende Weiterbildung oder Höherqualifizierung. Bis auf eine Ausnahme berichten alle erwerbstätigen Frauen von längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit nach der Schule (fünf Frauen) und dem Annehmen von "Überbrückungsjobs" wie Kassiererin oder Hilfsarbeit (zwei Frauen). Selbst Frauen, die nach der Pflichtschule eine Berufsorientierungsmaßnahme absolvieren, also für die Berufsfindung umfassend unterstützt und vorbereitet werden, finden nicht immer sofort eine Lehrstelle. Die Berufsabschlüsse der InterviewpartnerInnen, sofern bereits vorhanden, sind unterschiedlich. Drei Frauen haben einen Lehrberuf erlernt und zwar Bürokauffrau, Friseurin und Buchbinderin. Eine Frau hat Malerin und Anstreicherin in einer Fachschule für Gehörlose erlernt. Eine Frau hat eine Fachausbildung zur Altenhelferin gemacht. Zwei Frauen haben eine Berufsbildende Mittlere Schule (Handelsschule, Fachschule für Wirtschaftliche Berufe) abgeschlossen und können damit "kaufmännische Berufe" ausüben. Lediglich zwei Frauen waren zum Zeitpunkt des Interviews in ihren erlernten Erstberufen tätig. Die anderen fünf Frauen mussten sich beruflich neu orientieren, weil sie keinen Arbeitsplatz gefunden haben, den Beruf nicht ausüben wollten, wegen Mobbing gekündigt haben oder weil sie von sich aus eine berufliche Neuorientierung anstrebten. Wie diese Analyse zeigt, sind die Berufsbiografien der von uns befragten Frauen häufig nicht geradlinig, weisen Brüche bzw. Neuorientierungen auf. Hinzu kommt die Unsicherheit, überhaupt am Arbeitsplatz bleiben zu können oder eine entsprechende Lehrstelle zu finden. Auffällig ist, dass von jenen Frauen, die zurzeit beschäftigt sind, vier schwerhörig und nur zwei gehörlos sind. Zur Veranschaulichung werden die Berufsbiografien aller Interviewpartnerinnen kurz dargestellt.

Interviewpartnerin 1 hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit und der Betreuung von Seiten des AMS hat sie von einer gehörlosen Bekannten über ein Jobangebot erfahren: "Dann bin ich dorthin gegangen, habe mich vorgestellt und habe mich eben erkundigt, was die Aufgaben dort sind und habe mich dann entschieden, dort eine Probezeit zu machen und wurde dann auch angestellt. Also der Inhalt war für mich interessant und die Arbeit war passend und ich war auch sehr motiviert, und deshalb habe ich dort zu arbeiten begonnen" (IP1, 2). Seit sechs Jahren ist sie als Projektmitarbeiterin beschäftigt.

Interviewpartnerin 2 hat die Modefachschule abgeschlossen. Danach war sie arbeitslos und wurde vom AMS in zwei integrative Ausbildungen vermittelt, in eine Ausbildung zur Bürokauffrau und eine zur IT-Fachfrau. In beiden Berufen konnte sie nie Fuß fassen, in einem anderen Job hatte sie Probleme mit dem Vorgesetzten und deshalb gekündigt. Seit kurzem ist sie geringfügig und befristet als Projektmitarbeiterin tätig, macht die Berufsreifeprüfung und hat das Ziel, ein Studium zu absolvieren.

Interviewpartnerin 3 hat an einer AHS maturiert und anschließend zwei Jahre studiert. Neben dem Studium hatte sie einen Teilzeitjob. Aufgrund mangelnder Übernahme von Dolmetschkosten konnte der Lernstoff nicht bewältigt werden und sie musste das Studium abbrechen. Danach war sie als Trainerin für gehörlose Erwachsene tätig. Zurzeit ist sie in Karenz und bildet sich mittels Fernstudium weiter. Konkrete Vorstellungen in Hinblick auf die weitere berufliche Lebensplanung gibt es nicht: "Man kann nicht sagen, dass meine Berufswahl abgeschlossen ist, da sind noch Träume da, ich möchte noch etwas weiter machen, aber jetzt muss ich einmal schauen, wie schaut es aus mit dem Baby, die Situation mit der Familie, wie schaut es aus mit der Zeit und dann werde ich erst eine Entscheidung treffen können. Aber grundsätzlich bin ich da sehr zuversichtlich" (IP3, 1).

Interviewpartnerin 4 hat im Erstberuf eine Friseurlehre absolviert, in diesem Beruf jedoch keine Stelle gefunden. Danach war sie längere Zeit arbeitslos. Seit eineinhalb Jahren hat sie eine Karenzvertretung als Büroangestellte und ist dort in der Buchhaltung und im Export tätig. "Ich bin zweieinhalb Jahre zu Hause gesessen nach der Friseurlehre und es ist einfach nichts anderes gekommen und dann habe ich gesagt gut, ich suche etwas im Büro. Da war dann einfach das Schwierige, ich soll telefonieren können, ich soll alles können, wobei ich auch eine sehr große Rechenschwäche habe und dann haben sie mich genommen und die Firma ist so zuvorkommend und alle helfen mir, wo es nur geht, sie unterstützen mich einfach und es funktioniert" (IP4, 2). Daneben macht sie noch eine Ausbildung zur Tagesmutter, da sie in Zukunft gerne als "mobile Kinderbetreuungshelferin für kleine Kinder, die Gebärdensprache brauchen" arbeiten möchte.

Interviewpartnerin 5 hat die Malerfachschule für Gehörlose abgeschlossen, ist aber nicht glücklich mit dieser Berufsausbildung. Sie möchte gerne als Tierpflegerin arbeiten, befindet sich zurzeit auf Lehrstellensuche und besucht eine Berufsorientierungsmaßnahme. Was die Umsetzung ihres Berufswunsches betrifft, ist sie durchaus realistisch: "Wenn ich keine Stelle irgendwo als Tierpflegerin bekomme, werde ich wahrscheinlich in einem anderen Bereich tätig sein müssen, in einer Bäckerei eventuell. Natürlich werde ich traurig sein, wenn es nicht möglich ist, aber dann werde ich auch so was annehmen müssen" (IP5, 1).

Interviewpartnerin 6 hat vor kurzem die Pflichtschule abgeschlossen und befindet sich in einer Berufsorientierungsmaßnahme mit dem Ziel eine Lehrstelle zu finden. Sie ist schwerhörig und kann weder die Gebärdensprache noch die deutsche Lautsprache sehr gut. Sie hat verschiedene Praktika absolviert und sich letztendlich für den Lehrberuf Köchin entschieden und hofft, für diese Ausbildung eine Lehrstelle zu finden: "Es waren viele Praktika, ich war bei den Malern, bei den Fliesenlegern, bei den Gärtnern und im Bereich Kochen. Beim Maler hat es mir nicht gefallen, es war voll mit Buben, ich war alleine als Mädchen, das geht nicht. Fliesenleger hat es mir schon gefallen, aber ich will diesen Beruf nicht erlernen. In der Gärtnerei, da war ich gut, aber ich konnte es nicht nehmen, weil es mir nicht gefällt. Es bleibt nur der Bereich Kochen" (IP6, 2).

Interviewpartnerin 7 ist nach Absolvierung der Pflichtschule in einen Berufsorientierungslehrgang eingestiegen und interessiert sich für eine Ausbildung als Floristin. Sie hat bereits verschiedene Praktika absolviert und hofft irgendeine Lehrstelle zu finden: "Es hängt auch immer damit zusammen, was ich machen kann, ich warte halt irgendwie auch, welche Chancen mir gegeben werden" (IP 7, 2). Sie hat jede Menge Befürchtungen, was die Zusammenarbeit mit hörenden KollegInnen betrifft. Auch die unsichere Zukunft findet sie belastend.

Interviewpartnerin 8 war nach der Pflichtschule ein Jahr als Hilfsarbeiterin beschäftigt. "Nach der Schule habe ich angefangen zu arbeiten, als Büglerin, im Garten, ich habe geputzt, diese drei Dinge waren mein Aufgabenbereich" (IP8, 1). Nach einem Jahr hat sie aufgehört. Die Arbeit hat ihr keinen Spaß gemacht und sie hat wenig verdient. Seit nunmehr zwei Jahren ist sie in einer Berufsorientierungsmaßnahme mit dem Ziel einen Ausbildungsplatz zu finden. Sie hat keine konkreten Vorstellungen, welche Ausbildung sie absolvieren möchte.

Interviewpartnerin 9 hat die Handelsschule absolviert, en Beruf der Bürokauffrau erlernt, war danach eine Zeit lang arbeitslos und hat vorübergehend als Kassiererin gearbeitet. Seit drei Jahren an einem Arbeitsplatz sowohl als Bürokraft als auch Kinderbetreuerin beschäftigt. Berufsbegleitend macht sie eine Ausbildung zur Tagesmutter.

Interviewpartnerin 10 hat nach der Schule die Berufsreifeprüfung gemacht und war danach ein halbes Jahr arbeitslos, Dann hat sie eineinhalb Jahre in einer Kanzlei gearbeitet, wo sie sich auch beruflich weiter gebildet hat. Da sie sich beruflich umorientieren wollte, hat sie eine dreijährige Fachausbildung für Gehörlose und Schwerhörige begonnen und befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews in der Abschlussphase. Sie hat bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht.

Interviewpartnerin 11 hat nach einer abgeschlossenen Buchbinderlehre und einem Jahr Berufspraxis wegen Mobbing am Arbeitsplatz gekündigt. Danach hat sie eine Umschulung zur Bürokraft absolviert und ist seit drei Jahren vollzeitbeschäftigt als Bürokraft in der öffentlichen Verwaltung tätig. Die Büroarbeit ist für sie nicht wirklich befriedigend: "Ich möchte etwas Handwerkliches arbeiten, also dass ich immer im Büro bleibe, das kann ich mir nicht vorstellen, ich bin jetzt nicht so ein großer Fan von der Büroarbeit. Wenn ich überlege, was ich selbst machen möchte, wenn ich in mich hineinschaue, dann ist das ein handwerklicher Beruf" (IP11, 4).

Interviewpartnerin 12 ist seit drei Jahren Vollzeit als Pflegehelferin in einem Altersheim beschäftigt. Sie hat dafür nach der Schule eine einjährige Fachausbildung absolviert. Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Beruf und möchte auf jeden Fall an ihrem Arbeitsplatz bleiben: "Ich möchte auf jeden Fall in diesem Bereich, dem Pflegehelferbereich bleiben. Ich möchte gerne mit Menschen arbeiten, ich arbeite gerne mit Menschen und es ist sehr interessant für mich und deswegen ist es einfach meins" (IP12, 4).

Interviewpartnerin 13 ist Schülerin, hat gerade die Matura bestanden und ist noch unschlüssig bezüglich ihrer weiteren Berufslaufbahn. Zum Zeitpunkt des Interviews interessiert sie sich für ein künstlerisches Studium, ist sich aber nicht sicher, ob sie das auch umsetzen kann.

Interviewpartnerin 14 ist mit 16 Jahren unsere jüngste Interviewpartnerin. Sie besucht eine Fachschule, die integrativ geführt wird. Was ihre berufliche Zukunft betrifft, hat sie noch keine konkreten Vorstellungen.

7.7 Probleme in der Ausbildung

Befragt nach Problemen und Erfahrungen in den unterschiedlichen Ausbildungen (Lehre, Berufsorientierungsmaßnahme, Berufsreifeprüfung, Fachausbildung, Studium, Weiterbildungen) zeigt sich, dass die Kommunikation bzw. der Einsatz von Gebärdensprache ein zentrales Thema ist. Obwohl der Einsatz von DolmetscherInnen, gerade im Ausbildungsbereich stark zugenommen hat, sind nach wie vor nicht alle Ausbildungen barrierefrei zugänglich. In vielen Ausbildungen ist der Einsatz von Gebärdensprache mangelhaft bzw. nicht vorhanden. So beschreibt etwa Interviewpartnerin 5:

Es war alles in Lautsprache, ich musste von den Lippen ablesen oder ich habe Mitschriften von meinen KollegInnen bekommen und habe mir auf Grund dessen die Inhalte erarbeitet (IP5, 3).

Acht Interviewpartnerinnen absolvierten einzelne Aus- und Weiterbildungen bzw. Maßnahmen, die in Gebärdensprache angeboten wurden. Es handelt sich dabei um eine dreijährige gehörlosenspezifische Fachausbildung für den Sozialbereich mit anerkanntem Abschluss, um einen einjährigen Lehrgang zur Pflegehelferin und um eine modulare berufsbegleitende Ausbildung zur Tagesmutter sowie um einen Berufsorientierungslehrgang für Gehörlose und Schwerhörige. Wenn Angebote nicht in Gebärdensprache zugänglich sind, stellt das für die gehörlosen und schwerhörigen Frauen eine deutliche Benachteiligung beim Ausbildungszugang dar. Ein hohes Ausmaß an Selbstorganisation und eine erhöhte Möglichkeit des Scheiterns sind damit verbunden. Zudem können die Wissensinhalte nicht adäquat vermittelt werden. Oft stellt sich auch das Problem, dass die Bezahlung von DolmetscherInnen und/oder TutorInnen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt ist. Das beschreibt etwa eine Interviewpartnerin, die von einem Bundesland in ein anderes übersiedelt ist, mit nachteiligen Folgen für ihre Qualifizierung:

Seit ich hier bin, geht es nicht mehr. Es gibt keine Tutorin, es gibt keine Dolmetscher. Und deswegen habe ich das alleine durchziehen müssen, da habe ich dann auch die Motivation verloren, war gar nicht mehr in der Schule, habe alles daheim gelernt, mein Kollege hat mir die Unterlagen vorbei gebracht, und jetzt muss ich halt alles alleine lernen bis zur Prüfung. Jetzt habe ich auch eine Lehrerin, die mich unterstützt, in Englisch, die hat gesagt, ich kann jederzeit zu ihr kommen und wir machen das immer wieder durch und es geht so. Aber ich wünsche mir immer noch einen Tutor, weil das am besten für mich ist (IP2, 3).

Eine andere Interviewpartnerin beschreibt das Problem des fehlenden Dolmetschkostenersatzes für die Ausbildung. Sie hat ein Studium begonnen und musste dieses aufgeben, weil sie ohne DolmetscherInnen sich den Lernstoff nicht aneignen konnte. Hier haben wir ein Beispiel dafür, dass auch gehörlose Frauen mit einer höheren Qualifizierung und der Möglichkeit ein Studium zu absolvieren, letztendlich an den fehlenden finanziellen Unterstützungen für die Dolmetschkosten scheitern.

Auch Schwerhörige benötigen DolmetscherInnen in der Aus- und Weiterbildung. So bezeichnet etwa eine schwerhörige Interviewpartnerin, die bisher noch nie eine Dolmetscherin gehabt hat, diese als Geschenk "Ich habe das erste Mal jetzt einen Dolmetscher, für mich ist das ein Wunder, das ist für mich wie ein Geschenk kann man sagen" (IP2, 2). Interviewpartnerin 10, die ebenfalls schwerhörig ist, bezeichnet das Erlernen der Gebärdensprache für ihre Ausbildung als große Bereicherung und die Tatsache in einer Gruppe, die nur aus Personen mit "Hörproblemen" besteht, als positive und persönlichkeitsstärkende Erfahrung:

Dann hat mir jemand von dieser Ausbildung erzählt, ich war eigentlich am Anfang unsicher, nur wegen Gebärdensprache, ich habe damals nicht verstanden, was Gebärdensprache ist. Ich habe es ausprobiert und schon vom ersten Tag an hat es mir gut gefallen mit hörgeschädigten Leuten. Gebärdensprache habe ich ziemlich schnell gelernt, ich habe mir nicht so schwer getan. Damals in der Schule habe ich mich ein bisschen geschämt, wie fragt man Fremdwörter oder wenn ich was nicht verstehe, habe ich mich nicht getraut, zu fragen. Und in dieser Ausbildung traue ich mich schon, also wir haben gleiche Hörprobleme und haben ähnliche Probleme [...]. Also ich muss ehrlich sagen, diese Ausbildung ist für mich die schönste Schulzeit (IP10, 1 und 5).

Ein weiterer Aspekt, der für gehörlose und schwerhörige Frauen in der Ausbildung sichtbar wird, ist die Tatsache, dass sie mit ihren eigenen Bildungsdefiziten konfrontiert sind und auch deshalb einen Mehraufwand beim Lernen haben. Oft sind es Fachausdrücke sowie fremdsprachliche Ausdrücke, die sie nicht kennen. So berichtet etwa Interviewpartnerin 12, dass sie froh ist, ihre Ausbildung, trotz Schwierigkeiten mit den Ausbildungsinhalten, geschafft zu haben:

Es waren auf alle Fälle die Fachausdrücke, die wissenschaftlichen, lateinischen Ausdrücke, Englisch war zum Teil auch dabei. Ich selbst als Gehörlose habe mit den Wörtern zum Teil nichts anfangen können, es war wirklich sehr schwierig am Anfang. Später habe ich sehr viel dazu gelernt, habe sehr viel Aufklärung bekommen und die Wörter sind mir dann im Laufe der Zeit leichter gefallen. Auch die Kommunikation mit dem Arzt war schwierig, meistens waren die medizinischen Fachausdrücke ja auch vom Arzt so gewählt, dass ich sie nicht verstanden habe (IP12, 1).

7.8 Erfahrungen am Arbeitsplatz

7.8.1 Zufriedenheit am Arbeitsplatz

Analysiert man die Aussagen der Interviewpartnerinnen, die zurzeit berufstätig sind bzw. bereits Berufserfahrungen vorweisen können, spielen folgende Faktoren eine relevante Rolle für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz:

  • Kommunikation in Gebärdensprache und die Bestellung von DolmetscherInnen (sechs Nennungen)

  • Akzeptanz als gehörlose oder schwerhörige Kollegin, keine dezidierten Diskriminierungen und Abwertungen (sechs Nennungen)

  • Inhalt der Arbeit muss interessant und herausfordernd sein, selbständiges Arbeiten, Verantwortung haben (fünf Nennungen)

  • KollegInnen unterstützen, helfen, nehmen Rücksicht (vier Nennungen)

  • Gute Integration (drei Nennungen)

  • Zufriedenstellende Informationsweitergabe (zwei Nennungen)

  • Gehalt muss passend sein (zwei Nennungen)

  • Sichere berufliche Zukunft (zwei Nennungen)

  • Stundenausmaß (eine Nennung)

  • Gehörlose und Hörende arbeiten gut zusammen (eine Nennung)

Es zeigt sich, dass die Kommunikation in Gebärdensprache, die Bestellung von DolmetscherInnen und die Akzeptanz der gehörlosen Person wichtig für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz sind. Neben diesen "gehörlosenspezifischen" Aspekten spielt jedoch auch die Qualität der Arbeit eine wichtige Rolle. Die Arbeit muss interessant und herausfordernd sein, verantwortungsvolle Positionen und die Möglichkeit, selbständig arbeiten zu können, wird immer wieder genannt. Weitere Nennungen beziehen sich auf die Unterstützung der KollegInnen, den Wunsch nach einer guten Integration insgesamt, aber auch auf Ängste und Befürchtungen bezüglich der beruflichen Zukunft sowie materielle Kriterien, wie die Höhe des Gehalts. Wenn es Probleme am Arbeitsplatz gibt, können die gehörlosen und schwerhörigen Beschäftigten theoretisch auf verschiedene Unterstützungssysteme zurückgreifen, wie z.B. die Arbeitsassistenz. Interessant ist jedoch, dass die Interviewpartnerinnen auf die Frage, bei wem sie sich bei Problemen am Arbeitsplatz Unterstützung holen, am häufigsten der Chef genannt wird und vereinzelt der Betriebsrat, die Behindertenvertrauensperson, die Arbeiterkammer, eine Freundin und eine Arbeitskollegin.

7.8.2 Einsatz von DolmetscherInnen

Die meisten gehörlosen Frauen mit Berufserfahrung geben an, am Arbeitsplatz DolmetscherInnen in Anspruch zu nehmen und diese öfter zu benötigen. Lediglich zwei Frauen geben an, noch nie DolmetscherInnen am Arbeitsplatz benötigt zu haben, beide sind schwerhörig und CI-Trägerinnen. Wofür werden DolmetscherInnen benötigt? Unabhängig davon, ob es sich um ein lautsprachliches oder gebärdensprachliches Arbeitsumfeld handelt, werden DolmetscherInnen für größere Besprechungen (vier Nennungen), Weiterbildungen (drei Nennungen), eigene Vorträge (zwei Nennungen), Teamsitzungen (eine Nennung) und Einschulungen (eine Nennung) eingesetzt. Jene Frauen, die in einem gebärdensprachlichen Umfeld arbeiten, haben den Vorteil, dass der Einsatz von DolmetscherInnen selbstverständlicher ist, als bei jenen, die in einem ausschließlich hörenden Umfeld arbeiten. Interviewpartnerin 11 etwa berichtet, dass der Einsatz von DolmetscherInnen nicht regelmäßig und auch nicht selbstverständlich ist, oft bekommt sie ein Mail mit den Informationen oder wird von den KollegInnen informiert. Wenn DolmetscherInnen bestellt werden, muss sie sich selbst darum kümmern:

Am Arbeitsplatz wird nicht regelmäßig und nicht immer gedolmetscht. Wenn es personelle Umschichtungen gegeben hat, dann ist eine Dolmetscherin dazugekommen oder ein Dolmetscher, also bei den kleinen Besprechungen gibt es das nicht, da bekomme ich einfach ein E-Mail oder die Kollegen informieren mich. Ich möchte, wenn Bedarf ist, dass der Chef selbst DolmetscherInnen bestellt, und dass ich dann auch eine Dolmetschung bekomme, damit ich alles verstehe. Ich habe ihm schon oft Bescheid gegeben, dass ich eine Dolmetscherin brauche, dann sagt er immer, ja, ja, aber dann vergisst er wieder (IP11, 4).

Für Interviewpartnerin 12 gibt es bei größeren Besprechungen am Arbeitsplatz eine/n Dolmetscherin, ebenso bei Fortbildungen. Ihr Vorgesetzter ist bereits soweit sensibilisiert, dass er die/den DolmetscherIn selbst bestellt:

Alle zwei Monate gibt es eine sogenannte Dienstbesprechung für allgemeines Personal, da beauftrage ich eine Dolmetscherin. Oder bei Weiterbildungsmaßnahmen oder bei Fortbildungen auch. Also dort bestelle ich mir schon Dolmetscherinnen. Auch der Chef ist da schon sehr fix und bestellt das für mich. Der Chef weiß das, er hat auch die Liste von den Dolmetscherinnen, das geht ganz gut. (IP12, 3).

7.8.3 Kommunikation am Arbeitsplatz

Der Arbeitsplatz ist jener Ort, an dem gehörlose Frauen zwangsläufig mit Kommunikationsproblemen zu kämpfen haben, da lautsprachliche Kommunikation vorherrscht. Nur vier Frauen sind in einem gebärdensprachlichen Arbeitsfeld beschäftigt, das heißt, es gibt entweder hörende KollegInnen, die mehr oder weniger gebärdensprachkompetent sind und/oder gehörlose und schwerhörige KollegInnen, die die ÖGS beherrschen. Wenn die Kommunikation in Gebärdensprache möglich ist, wird das als positiv gewertet:

Damals als ich angefangen habe, waren einige Hörende dabei, die eben noch nicht voll gebärdensprachkompetent waren, das war ein bisschen schwierig. Und da musste man dann schauen, wie die Kommunikation funktioniert, ob man einen Dolmetscher hinzuzieht, aber mittlerweile funktioniert das schon besser und der Austausch erfolgt in Gebärden. Und wenn was nicht verstanden wird, dann schreiben wir das auf, also das klappt jetzt schon ziemlich gut. Alle Kollegen gebärden, also ein Teil ist hörend, ein Teil ist gehörlos, aber alle gebärden (IP1, 2).

Da auch an einem gebärdensprachlichen Arbeitsumfeld die ÖGS-Kompetenz der Hörenden meist nicht so gut ist, müssen manchmal trotzdem DolmetscherInnen hinzugezogen werden, vor allem bei größeren Besprechungen und Teamsitzungen, wie etwa Interviewpartnerin 3 berichtet:

Wenn große Besprechungen waren oder auch manchmal bei Teambesprechungen, wenn man gesehen hat, manche Hörende können gar nicht gut gebärden, dann ist automatisch ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin bestellt worden. Wichtig ist, dass Kommunikation stattfindet, dass sie gut und schnell klappt und dass die Besprechungen nicht elend lang dauern, weil es eben Kommunikationsprobleme gibt. Das ist regelmäßig so, dass Dolmetscher bestellt werden, das ist eine Selbstverständlichkeit (IP3, 6).

Die schwerhörigen InterviewpartnerInnen, die an einem gebärdensprachlichen Arbeitsplatz tätig sind, berichten, dass sie mit den gehörlosen KollegInnen in Gebärdensprache und mit den Hörenden in Lautsprache kommunizieren.

Ein gebärdensprachliches Arbeitsumfeld ist für die wenigsten gehörlosen Beschäftigten Realität. Fünf Frauen sind oder waren in einem rein lautsprachlichen Arbeitsumfeld beschäftigt. Wie die Aussagen der Interviewpartnerinnen zeigen, gibt es in der Regel keine KollegInnen, die mit dem Umgang mit Gehörlosen vertraut sind, geschweige denn Gebärdensprache können. Wenn gehörlose Frauen an einem rein hörenden Arbeitsplatz einsteigen, herrscht oft Skepsis und Unwissenheit vor, insbesondere hinsichtlich der Frage der Kommunikation. Dazu berichtet Interviewpartnerin 11 Folgendes:

Am Anfang ist es normalerweise ein bisschen schwierig. Ich war die erste gehörlose Kollegin für sie und habe ihnen vieles erklärt. Einige haben geglaubt, Gehörlose können überhaupt nicht sprechen. Ich habe gesagt, das ist verschieden, habe versucht ein bisschen aufzuklären, dass es verschiedene Gehörlose gibt, einige können besser sprechen, andere weniger und so weiter und so fort, und von dem her ist es dann schon gegangen. Natürlich gibt es manchmal Missverständnisse oder ein bisschen Misstrauen, das passiert schon immer wieder, aber ich denke mir, man muss immer wieder versuchen, auf die Menschen einzugehen, es noch einmal zu sagen, noch einmal zu erwähnen, bis man wirklich dann gegenseitiges Verständnis absichert (IP11, 2).

Wie dieses Zitat verdeutlicht, müssen die KollegInnen darüber informiert werden, wie man mit Gehörlosen kommunizieren kann. Man kann sich etwa durch langsames und deutliches Sprechen, damit von den Lippen abgelesen werden kann, durch Aufschreiben bzw. durch Nutzen von E-Mails und internen Kommunikationsprogrammen verständigen. Trotzdem zeigen die Aussagen der Interviewpartnerinnen, dass eine solche Verständigung oft nicht stattfindet und sie sich nicht gut am Arbeitsplatz integriert fühlen. Viele gehörlose Beschäftigte wünschen sich gehörlose KollegInnen, um in Gebärdensprache kommunizieren zu können und um am Arbeitsplatz nicht so isoliert zu sein:

Ich möchte nicht nur mit Hörenden zusammen arbeiten, ich würde auch gerne mit Gehörlosen zusammen arbeiten [...]. Ich glaube, dass es Probleme gibt, dass die über mich lachen, wenn ich dort die einzige Nicht-Hörende bin und ich sehe dann vielleicht, dass der Chef mit den anderen spricht und die lachen, dann weiß ich nicht, worum es geht (IP7, 1 und 9).

Ich habe mich nicht wohl gefühlt, deshalb habe ich die Arbeit abgebrochen [...] Es war weder eine andere gehörlose Person dabei und niemand, der Gebärdensprache konnte. Eine hat sich ein bisschen bemüht [...] Ich habe immer von den Lippen abgelesen (IP8, 4 und 5).

Interviewpartnerin 11 beschreibt, dass die Kommunikation mit den KollegInnen in Lautsprache stattfindet und dass sie eine Person hat, die sie unterstützt, damit die Kommunikation überhaupt funktioniert:

Wenn ich mit meinen Kollegen kommuniziere, dann sprechen wir, gebärden, das haben sie noch nicht gelernt. Ein Kollege unterstützt mich und hilft mir und sagt mir auch immer Bescheid, was die anderen so sprechen, das funktioniert gut. Aber ich habe keinen Kontakt mit dem Chef, also da funktioniert auch die Kommunikation nicht gut. Wenn die Kollegen sich untereinander unterhalten und ich das nicht verstehe, und ich brauche was, dann schicke ich einfach ein E-Mail, das geht schon (IP11, 3).

Neben dem Gefühl der Isolation, ergibt sich aus diesen Kommunikationsdefiziten ebenfalls ein massiver Informationsmangel. In einem lautsprachlichen Arbeitsumfeld sind gehörlose Personen in der Regel von alle formellen und informellen Gesprächen ausgeschlossen, oft wird nicht überlegt, wie sie in die Informationsweitergabe eingebunden werden können, oft bekommen sie Informationen gar nicht oder verspätet:

Am Arbeitsplatz ist einfach wenig Information für mich da. Ich habe schon versucht mich zu bemühen, zu schauen, mehr Information zu bekommen, weil ich da schon zum Teil ein bisschen ahnungslos bin. Da würde ich mir schon ein bisschen mehr Information wünschen, damit ich auch weiß, damit ich auch verstehen kann, warum irgendetwas so und so ist [...]. Verschiedene Leute, die Kollegen zum Beispiel, die sagen mit, wenn es gibt was Neues, sie sagen das dann weiter und irgendwann landet das dann bei mir (IP12, 6 und 8).

Nicht nur gehörlose Personen haben Kommunikationsprobleme am Arbeitsplatz, sondern auch schwerhörige, wie die Aussagen dieser Interviewpartnerinnen zeigen. Obwohl die meisten die Lautsprache gut beherrschen, sind sie dennoch auf das Lippenlesen angewiesen, d.h. sie müssen die GesprächspartnerInnen direkt ansehen können. Telefonieren ist in der Regel nicht möglich oder es wird nur in Ausnahmefällen gemacht. Oft erwähnen sie den GesprächspartnerInnen gegenüber, dass sie schwerhörig sind und bitten diese, langsam und deutlich zu sprechen. Dass auch das nicht immer funktioniert verdeutlicht folgendes Zitat:

Ich sage jedes Mal, gleich von Anfang an, ich bin schwerhörig, trage ein Hörgerät, bitte langsam und deutlich sprechen. Die meisten sagen, kein Problem, und bemühen sich. Es gibt welche, da muss ich immer wieder nachfragen und sagen, es geht nicht, bitte langsamer (IP2, 12).

7.9 Kinderwunsch und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Wie stellen sich gehörlose junge Frauen ihre Zukunft vor? Wie sieht es aus mit Kinderwunsch und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung? Wie traditionell oder modern sind ihre Vorstellungen und Wünsche? Mehr als die Hälfte der Befragten möchte auf jeden Fall Kinder haben bzw. eine Familie gründen, allerdings erst in einer nicht näher benannten Zukunft. So etwa meint Interviewpartnerin 13 "Ich habe schon den Wunsch einmal Familie zu haben, aber ich lasse mir noch Zeit" (IP13, 5) "Kinder auf jeden Fall", äußert Interviewpartnerin vier, "Familie gründen, Haus bauen, einfach etwas aufbauen" (IP4, 9). Abgesehen vom Kinderwunsch an sich, äußert sich eine Interviewpartnerin auch über den "Hörstatus" des zukünftigen Nachwuchses: "Ich würde gerne zwei bis vier Kinder haben. Es wäre schön, wenn sie hörend wären, wenn sie gehörlos sind, würde ich sie bilingual aufziehen" (IP10, 7).

Für vier Interviewpartnerinnen sind Kinder und Familie zurzeit überhaupt kein Thema, die Fragen dazu werden kurz und prägnant beantwortet. Interviewpartnerin 5 entgegnet auf die Frage: "Da habe ich noch Zeit. Schön langsam!" (IP5, 4). Und Interviewpartnerin 2 antwortet auf die Frage: "Vielleicht. Aber jetzt ist einmal die Schule wichtig, die Arbeit und dann kann man mal darüber nachdenken" (IP2, 8). Eine Interviewpartnerin äußert, dass sie bald ein Kind bekommen möchte, eine hat bereits Nachwuchs. Wie stellen sich die jungen Frauen vor, Kinder, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen? Welche Konzepte haben sie im Kopf? Befragt nach der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienarbeit fällt auf, dass manche Vorstellungen durchaus sehr traditionellen Mustern entsprechen, die Frauen gehen selbstverständlich davon aus, dass sie es sind, die den Großteil der Karenzzeit übernehmen und danach teilzeitbeschäftigt in den Job zurückkehren:

Ich habe mir überlegt, wenn ich schwanger bin, dann möchte ich zwei, drei Jahre zu Hause bleiben, auf die Kinder aufpassen und dann wieder zurück, halbtags arbeiten (IP11, 5).

Ich möchte zwei Jahre zu Hause zu bleiben und dann wieder zurück gehen, vielleicht nicht Vollzeit, sondern Teilzeit, weil für die Kinder ist es auch wichtig, da zu sein (IP12, 5).

Ich denke, wenn ich ein Kind bekomme, würde ich eher zu Hause bleiben für einige Jahre bis die Kinder in den Kindergarten, eher in die Schule gehen und dann wieder einsteigen. Ich kann mit nicht vorstellen, nur ein Jahr zu Hause zu bleiben und dann wieder zurück in die Arbeit zu gehen. Was ist da mit den Kindern? Ich möchte nicht, dass meine Eltern die Kinder erziehen, weil es ja eigentlich meine Verantwortung ist (IP10, 2).

Bei diesen Aussagen wird auch deutlich, dass der Partner als möglicher Mitverantwortlicher bei der Erziehungsarbeit nicht mitgedacht wird. Lediglich fünf Interviewpartnerinnen äußern eine moderne Einstellung im Sinne einer partnerschaftlichen Aufteilung der Erziehungs- und Betreuungsarbeit:

Ich habe vor, nur ein Jahr zu Hause zu bleiben, das zweite Jahr mein Freund und die Kinder dann in den Kindergarten oder in die Krabbelstube (IP9, 4).

Die Verantwortung des Partners fordert auch Interviewpartnerin 4 ein: Sie sieht kein Problem in der Vereinbarkeit, "wenn der Partner mitspielt" (IP4, 9). Aus der Realität wissen wir, dass selbst die besten Vorsätze am Einkommensunterschied der Geschlechter scheitern. Dafür ist das Beispiel jener Interviewpartnerin, die bereits ein Kind hat, typisch. Sie meint, dass die Aufteilung "Frau in Karenz - Partner erwerbstätig" aus finanziellen Gründen vorgenommen wurde, da sie weniger verdient hat als ihr Partner:

Wir wollten es gerne teilen, aber das ist ein finanzielles Problem, eine finanzielle Frage, er verdient viel mehr als ich verdient habe, mein Verdienst war viel zu wenig, das klappt irgendwie nicht (IP3, 6).

Eine sehr realistische Einstellung äußert Interviewpartnerin 5. Sie betont, dass "Kinder auch viel Geld kosten, dass muss man sich auch einmal leisten können" (IP5, 4). Interviewpartnerin 8 stellt es sich schwer vor, Beruf und Familie zu vereinbaren, sie sagt:

Schwer stelle ich mir das vor. Wenn man fertig ist mit der Arbeit, muss man nach Hause, sich um das Kind kümmern und dann muss man wieder in Arbeit, also es ist ein Hin und Her (IP8, 5).

7.10 Diskriminierungserfahrungen

Ausgrenzungserfahrungen und Erlebnisse von Diskriminierung zeigen sich in erster Linie aufgrund der Gehörlosigkeit und nicht aufgrund des Geschlechts, so wird das zumindest von den Interviewpartnerinnen wahrgenommen. Elf von vierzehn InterviewpartnerInnen erwähnen Erfahrungen, die mehr oder weniger stark als Abwertung oder Diskriminierung aufgrund der Hörbeeinträchtigung erlebt wurden. Nur eine einzige Frau sagt, dass sie niemals eine negative Erfahrung aufgrund ihrer Hörbeeinträchtigung gemacht hat. Die Hörbehinderung als Ausgrenzungsfaktor zeigt sich am häufigsten in der Schule, aber auch in der Öffentlichkeit sowie am Arbeitsplatz.

7.10.1 Arbeitsplatz

Am Arbeitsplatz erleben gehörlose Frauen am häufigsten Mobbing und/oder verbale Abwertungen, nicht nur von Seiten der KollegInnen, sondern zum Teil auch von KundInnen und Vorgesetzten. So berichtet Interviewpartnerin 4 von massiven Diskriminierungserfahrungen durch verbale Abwertung von Seiten der Kunden und Kundinnen an ihrem Arbeitsplatz:

Die Menschen sind sehr gemein und sehr grausam. Sie sagen es einfach wortwörtlich, von der lasse ich mich nicht angreifen, nur weil man eine Hörbehinderung hat. Sie sind so grausam und gemein und das ist mir einfach zuviel geworden, das hat mich so belastet und ich wusste einfach nicht, wie ich das wegstecken soll. Damit kann man einfach nicht mehr leben oder arbeiten, auch deshalb, weil man diese Leute auch wieder sieht und weiß, der mag mich eigentlich gar nicht (IP4, 1).

Interviewpartnerin 11 beschreibt, dass sie von ihren Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz ausgenutzt und gemobbt wurde und deshalb ihren Job nach einem Jahr gekündigt hat:

Am Anfang ist es gut verlaufen, da haben die Kollegen auch gesehen, dass ich gut arbeite und es hat gut funktioniert. Sie haben mir immer mehr Aufträge gegeben, immer mehr zuarbeiten, aber sie haben mich auch stark ausgenutzt und ein bisschen gemobbt. Sie haben sich auch lustig gemacht, haben immer untereinander geredet, ich habe davon nichts mitbekommen, nichts gehört. Wenn ein Betriebsausflug war, bin ich auch nicht mitgekommen, sie haben mich auch nicht mitgenommen mit dem Auto, solche Sachen. [...] Dann habe ich mit dem Chef gesprochen und ihm gesagt, dass die Kollege irgendwie falsch waren mir gegenüber, ich bin trotzdem weiter gemobbt worden und ich habe das irgendwie aushalten müssen und hinuntergeschluckt, aber es ist halt immer weitergegangen und dann habe ich gekündigt (IP11, 1 und 3).

7.10.2 Öffentlichkeit

Die Verwendung der Gebärdensprache und das Tragen von Hörgeräten machen Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit in der Öffentlichkeit "sichtbar". Gehörlose Frauen, die in der Öffentlichkeit in Gebärdensprache kommunizieren, erleben immer wieder, dass sie angestarrt werden oder gar verspottet:

Zum Beispiel wenn ich mit Freunden in der Stadt rede, schauen uns die Leute so blöd an. Sie haben so was noch nie gesehen! Manchmal verspotten sie uns auch, manchmal fragen sie uns auch, dann müssen wir was sagen, etwas erklären (IP13, 3).

Einige Interviewpartnerinnen beschreiben, dass sie sich wegen ihrer Hörgeräte besonders beobachtet fühlen und es vermeiden, diese sichtbar bzw. überhaupt zu tragen:

Wenn ich meine Haare zusammenbinde, sieht man die Hörgeräte. Die Leute schauen sie immer an und fragen, was das ist. Das ist irgendwie nervig, wenn die uns immer anschauen (IP14, 7)

Ich habe die Haare früher immer zu gehabt und dann haben mich die Leute so angestarrt, die haben mich angespuckt. Seitdem habe ich die Haare nicht mehr offen, so fühle ich mich sicherer, ich kann das einfach nicht mehr herzeigen (IP2, 13).

Ich habe auf beiden Ohren Hörgeräte, aber ich gebe sie auch ab und zu runter. Kommt auf die Situation an. In der Gehörlosenschule habe ich sie immer getragen, aber wenn ich mit Freunden zusammen bin, gebe ich es manchmal runter. Ich schäme mich eigentlich manchmal, in der U-Bahn zum Beispiel, ich mag es nicht, wenn die Leute sehen, dass ich Hörgeräte trage, ich werde dann komisch angeschaut (IP7, 8).

7.10.3 Schule

Die Schule wird am häufigsten als Hort von negativen Erlebnissen thematisiert, zehn Interviewpartnerinnen, also mehr als die Hälfte, machten dort eine Reihe von Erfahrungen, die sie als Diskriminierung verbuchen oder zumindest als negativ bewerten. Es sind sowohl LehrerInnen als auch die MitschülerInnen, die als unwissend und/oder rücksichtslos beschrieben werden. Wenn das Verhalten der LehrerInnen thematisiert wird, handelt es sich dabei meist um Unwissenheit hinsichtlich des kommunikativen Verhaltens und der Bedeutung einer Hörbehinderung für die Unterrichtsgestaltung, sowie um das Fehlen von DolmetscherInnen:

Es waren ein paar Lehrer, die überhaupt keine Rücksicht genommen haben, obwohl wir das vorher abgesprochen haben. Wir haben dann oft Gespräche geführt mit der Erzieherin, die Lernbetreuung ist oft in die Schule gefahren und dann haben wir uns ausgeredet, aber es war wirklich keine Hilfe (IP9, 5).

Bei einer Lehrkraft, die in Mathematik vorgetragen hat, war es sehr schwierig, selbst dann, wenn ich mich an meinen Schulkollegen orientiert habe und nachgefragt habe, hat sie das immer sofort als Tratschen empfunden und gesagt ich soll mich nur auf die Tafel konzentrieren und von der Tafel abschreiben (IP5, 3).

In der Schule gibt es Versammlungen, wenn was passiert ist, und die Direktorin steht vorne und spricht vor der ganzen Aula. Ich kann da nichts verstehen, weil die hörenden Kinder so laut sind[12] (IP14, 7).

Wenn wir in der Schule eine Exkursion machen, gibt es keinen Dolmetscher und das ist dann für mich sehr oft langweilig, weil ich nichts verstehe (IP13, 7).

Auch die MitschülerInnen sind im Umgang mit ihren hörbeeinträchtigten KollegInnen nicht besonders sensibilisiert. Berichtet wird von "Verspotten", "sich lustig machen" sogar von körperlichen Übergriffen:

Wie ich von der Gehörlosenschule in die Regelschule gekommen bin, habe ich gedacht, super, endlich mit Hörenden. Ich habe gesagt, ich gehöre nicht zu den Gehörlosen, ich will wieder zu den Hörenden gehören und fertig. Aber wie ich das dann dort gesehen habe, wie sie mich angeschmissen haben mit dem Essen, mit dem Ketchup und eingesperrt haben, war es für mich aus. Ein halbes Jahr habe ich es durchgezogen, aber am Morgen jeden Tag gebrochen und die Psyche ist schon so weit unten gewesen, ich konnte einfach nicht mehr (IP4, 9).

Wie auch bei den Lehrern und Lehrerinnen herrscht auch bei hörenden MitschülerInnen oftmals Unkenntnis darüber, was eine Hörbehinderung bedeutet, und auch hier kommt es zu Fehlinterpretationen der hörenden Schülerinnen, wie Interviewpartnerin 10 beschreibt:

In der Hauptschule war eine schlimme Zeit für mich, da war es besonders schwierig, weil meine Mitschüler haben nicht verstanden, was Hörschädigung bedeutet und das ich ein fremd gesteuerte Sprache gelernt habe, das haben sie nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, was nichts hören bedeutet. Sie haben geglaubt, dass ich von den Lehrern bevorzugt worden bin, aber es hat nicht gestimmt (IP10, 2).

7.11 Zukunftserwartungen

Die berufliche Zukunft der meisten gehörlosen Interviewpartnerinnen ist unsicher und offen, ihre Vorstellungen dazu sind häufig unkonkret. Auf die Frage, wie sie sich ihre berufliche Zukunft in fünf Jahren vorstellen, können nur zwei Frauen eine konkrete Perspektive formulieren: eine möchte auf jeden Fall in ihrem Beruf bleiben, die eine Interviewpartnerin hat das Ziel ein Studium absolvieren. Weitere vier Frauen formulieren Ziele und Vorstellungen, die zum Zeitpunkt der Fragestellung noch unkonkret sind: eine möchte auf jeden Fall "mit hörgeschädigten Leuten arbeiten" und sich weiterbilden, eine hofft, eine Lehrstelle zu finden und nennt konkrete Berufswünsche, eine weitere möchte ihren derzeitigen Beruf wechseln und etwas Handwerkliches machen, eine hofft, dass sie in ihrem jetzigen Job bleiben kann. Für sieben Frauen ist die berufliche Zukunft überhaupt völlig offen. Manche sagen, dass sie "nicht wissen, was die Zukunft bringt", "was auf sie zukommt", "alles offen ist" oder dass es "keine konkreten Vorstellungen" gibt.

Als letzte Frage des Interviews wurde die Frage gestellt, welche Veränderungen sich die Interviewpartnerinnen für die Zukunft wünschen. Die Antworten waren vielfältig. Ein Großteil wünscht sich eine Verbesserung der Kommunikation und Information insbesondere durch den Einsatz von Gebärdensprache. Diesbezüglich erwähnen die Interviewpartnerinnen, dass mehr DolmetscherInnen benötigt werden, Kommunikationsbarrieren abgebaut werden sollen, die Kommunikation mit Hörenden und öffentlichen Einrichtungen wie Polizei, Krankenhäuser, Feuerwehr verbessert werden soll, DolmetscherInnen zeitgerecht und ausreichend zur Verfügung stehen und dass, insbesondere in der Ausbildung, die volle Finanzierung der Dolmetschkosten gewährleistet werden sollte. Auch der Wunsch nach einer Dolmetschzentrale wurde geäußert. Weiters wird für Kino und Fernsehen eine umfassende Untertitelung gewünscht sowie insgesamt eine Verbesserung des Informationszugangs für hörgeschädigte Personen. Als zweiter Schwerpunkt bei den Veränderungswünschen werden Fragen der Integration und Sensibilisierung angesprochen. Die Interviewpartnerinnen erhoffen sich, eine Verbesserung der Integration von Gehörlosen und Schwerhörigen in die Gesellschaft, eine höhere Akzeptanz von Gehörlosen, mehr Wissen über Gehörlose und Schwerhörige in der Öffentlichkeit und bei den Mitmenschen. Eine weitere Forderung betrifft die Bildungssituation in Schule und Ausbildung. Hier wird eine adäquate Schul- und Ausbildung für Gehörlose gefordert, ein chancengleicher Zugang zu allen Ausbildungsmöglichkeiten inklusive Universität, dass Gehörlose selbst entscheiden können, welchen Beruf sie erlernen möchten und dass sie insgesamt gleichberechtigt mit Hörenden in der Arbeitswelt sein sollten. Außerdem wurde der Wunsch geäußert auch andere Gebärdensprachen lernen zu können. Weitere Äußerungen betreffen den Wunsch zu reisen ("um die Welt reisen", "nach Amerika reisen", "unterwegs sein"), eine Familie zu gründen, mehr gehörlose Freunde zu haben und "wieder richtig hören zu können". Auch materielle Wünsche wie "viele Kleider", shoppen gehen" oder "einmal in einem großen Haus mit vielen Tieren wohnen" werden genannt.

7.12 Zusammenfassende Ergebnisse

Die Stichprobe der gehörlosen und schwerhörigen Interviewpartnerinnen besteht aus 14 Frauen mit einem Altersdurchschnitt von 21,7 Jahren. Der Großteil der Interviewpartnerinnen stammt aus den Bundesländern Wien und Steiermark. Beinahe die Hälfte der Frauen ist berufstätig, nur die wenigsten haben ein adäquates Einkommen, die meisten wohnen noch bei den Eltern bzw. einem Elternteil. Was die Sprachverwendung der Interviewpartnerinnen betrifft, verwenden sieben Frauen die Gebärdensprache, sechs die Lautsprache und eine sowohl Laut- als auch Gebärdensprache. Was die Schulbildung betrifft, besuchen die schwerhörigen Frauen in der Regel Integrationsklassen, gehörlose Frauen meistens Sonderschulen für Gehörlose (Gehörlosenschulen). Zum Zeitpunkt des Interviews haben acht Frauen als höchsten Bildungsabschluss einen Pflichtschulabschluss, drei haben eine berufsbildende mittlere Schule besucht, lediglich drei Frauen haben die Matura. Die meisten gehörlosen Frauen wuchsen in hörenden Familien mit Lautsprache auf, nur vier Frauen mit Gebärdensprache. Laut Aussagen der Interviewpartnerinnen bestehen nach wie vor Vorurteile hörender Eltern gegenüber dem Erlernen der Gebärdensprache, nur eine hörende Mutter einer gehörlosen Tochter lernt die Lautsprache.

Insgesamt sind es in der Regel die Frauen, die versuchen, eine Kommunikationssituation mit ihren gehörlosen oder schwerhörigen Töchtern herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten. Trotzdem ist es ein Faktum, dass die Kommunikation und die Verständigung der gehörlosen Töchter mit ihren Eltern bzw. Bezugspersonen kaum gegeben ist und die Akzeptanz und Unterstützung in vielen Fällen fehlt. Was das Freizeitverhalten und die soziale Integration der Interviewpartnerinnen betrifft, lässt sich sagen, dass alle recht gut integriert zu sein scheinen. Soziale Kontakte mit Freunde und Freundinnen werden gepflegt. Frauen, die die Gebärdensprache als Hauptkommunikationsmittel verwenden, bewegen sich in ihrer Freizeit hauptsächlich in einem gebärdensprachlichen Umfeld, jene, die lautsprachorientiert eher in einem lautsprachlichen Umfeld. Schwerhörige Frauen, die bilingual sind, haben die vielfältigsten Beziehungen, sie haben Kontakte zu Gehörlosen, Schwerhörigen und Hörenden. Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung ist der Anteil der sportlich aktiven Frauen sehr hoch, er liegt bei 50 Prozent. Oft betriebene Sportarten sind Volleyball, Schwimmen, Klettern, Radfahren, Skaten, Reiten und Fußball. Ein Drittel der Frauen gibt an, kaum Freizeit zu haben, da sie sich in Ausbildung Weiterbildung oder Schulungen befinden. Alle Frauen scheinen in ihrer individuellen Entwicklung unterstützt zu werden, nur eine Interviewpartnerin gibt an, oft zu Hause bei der Hausarbeit helfen zu müssen. Die Verbindungen zur Gehörlosengemeinschaft sind nicht besonders stark, für lediglich vier Frauen (von vierzehn) nimmt die Gehörlosengemeinschaft einen wichtigen Stellenwert ein. Das liegt hauptsächlich daran, dass sie in gehörlosen Familien aufgewachsen sind. Sie sind heute selbst in Gehörlosenvereinen und -organisationen engagiert bzw. haben Funktionen inne. Insgesamt scheinen junge gehörlose und schwerhörige Frauen heute besser und mehr in der Gesamtgesellschaft integriert zu sein, Trotzdem nutzt ca. ein Drittel die Angebote von Gehörlosenvereinen. Sie besuchen Vorträge und feste und nehmen an Sportaktivitäten und Ausflügen teil. Die Beziehungsmuster sind nach wie vor endogam, gehörlose Frauen haben oder wünschen sich gehörlose PartnerInnen, schwerhörige Frauen hörende oder schwerhörige PartnerInnen. Aus den Interviews geht hervor, dass die jungen Frauen durchaus unterschiedliche Medien nutzen. Computer und Internet werden hauptsächlich für die Kommunikation verwendet, in den Tageszeitungen informieren sich die Interviewpartnerinnen hauptsächlich über das Tagesgeschehen. Das Medium Fernsehen ist aufgrund fehlender sprachlicher Angebote hauptsächlich nur zur Unterhaltung nutzbar, Informationssendungen und Nachrichten können aufgrund fehlender Untertitelungen und Dolmetschungen nicht konsumiert werden. Bücher werden kaum gelesen. Auffällig ist, dass gehörlosenspezifische Medien wie die Gehörlosenzeitung oder entsprechende Internetseiten kaum konsumiert werden. Im Vergleich zu hörenden Jugendlichen, haben gehörlose Jugendliche also einen stark reduzierten Zugang zu den in den unterschiedlichen Medien vermittelten Informationen. GebärdensprachdolmetscherInnen werden am ehesten von bereits berufstätigen Frauen am Arbeitsplatz eingesetzt. Außerhalb des beruflichen Zusammenhangs werden GebärdensprachdolmetscherInnen kaum bestellt. Das Wissen über den Anspruch auf DolmetscherInnen ist, insbesondere bei den sehr jungen Frauen nicht vorhanden. Für sie fungieren nach wie vor Familienmitglieder, meistens die Mütter, als Kommunikationshilfen.

Was die Berufswahl betrifft, streben junge Frauen mit Hörbeeinträchtigung häufig pädagogische Berufsfelder und Gesundheitsberufe an, hier zeigt sich aufgrund der geschlechtsspezifischen Sozialisation ein gleiches Berufswahlverhalten wie bei hörenden Frauen. Handwerkliche oder technische Berufe werden nur in Ausnahmefällen angestrebt. Es gibt kaum Einrichtungen, die diesen Zugang fördern. Insgesamt ist zu sagen, dass die Berufs- und Ausbildungswahl in der Regel ohne längerfristige umfassende Auseinandersetzung erfolgt. Bei fast einem Drittel der Jugendlichen haben Erziehungsberichte einen Einfluss auf die Berufsentscheidung. Durch die Hörbeeinträchtigung wird in vielen Fällen die Umsetzung von beruflichen Vorstellungen verhindert. Es kommt zum Ausschluss aus Berufsfeldern, oft fehlen formale Abschlüsse, Bildungsdefizite verhindern den Ausbildungszugang, mangelnde Dolmetschkostenübernahme stellt eine Barriere für einen erfolgreichen Abschluss von Ausbildungen dar. Zudem fehlen berufliche Vorbilder und Rollenmodelle, die sowohl gehörlos als auch weiblich sind. Gehörlose Frauen sind in Österreich kaum in der Öffentlichkeit präsent. Der Übergang von der Schule in den Beruf ist problematisch. Oft gibt es längere Zeiten der Arbeitslosigkeit nach der Schule. Selbst Frauen, die nach der Pflichtschule gut unterstützt werden, finden nicht immer sofort einen Lehr- oder Ausbildungsstelle. Unbefristete bzw. "sichere" Arbeitsstellen sind selten. Oft wird ein erlernter Erstberuf nicht ausgeübt, Umschulungen und berufliche Neuorientierungen sind notwendig. Es gibt kaum Ausbildungen in den denen Gebärdensprache eingesetzt wird. Das Fehlen von DolmetscherInnen in der Ausbildung stellt eine Benachteilung beim Ausbildungszugang dar, erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation und erhöht die Möglichkeit des Scheiterns. Insbesondere für längere Ausbildungen, wie Fachausbildungen oder ein Studium werden nicht genügend finanzielle Mittel für die Dolmetschung zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der Ausbildungsmöglichkeiten bestehen Unterschiede in der Qualität und im Angebot in den einzelnen Bundesländern. Gehörlose junge Frauen, die in Wien oder Linz leben, haben sicher mehr Möglichkeiten und mehr Chancen als jene in anderen Regionen Österreichs. Aus Sicht der Interviewpartnerinnen sind die wichtigsten Faktoren für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz die Möglichkeit der Kommunikation in Gebärdensprache, die Akzeptanz als gehörlose oder schwerhörige Person sowie die Qualität und der Inhalt der Arbeit. Die Arbeit soll interessant und herausfordernd sein, was für viele gehörlose Frauen häufig nicht der Fall ist. Der Einsatz von DolmetscherInnen am Arbeitsplatz ist nicht selbstverständlich, im beruflichen Kontext werden DolmetscherInnen meist für größere Besprechungen und Weiterbildungen benötigt. Die meisten Frauen arbeiten an einem Arbeitsplatz, an dem lautsprachliche Kommunikation vorherrscht, das führt oft zu Informationsmangel und dem Gefühl sozialer Isolation. Nicht nur gehörlose sondern auch schwerhörige Frauen haben Kommunikationsprobleme am Arbeitsplatz und würden häufiger DolmetscherInnen am Arbeitsplatz benötigen. Insgesamt sind hörende Kollegen und Kolleginnen mit dem Umgang mit Gehörlosen, insbesondere was die Kommunikation betrifft, nicht vertraut. Skepsis und Unwissenheit sind oft vorhanden und beeinträchtigen das Arbeitsklima. Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen werden in erster Linie aufgrund der Gehörlosigkeit und nicht aufgrund des Geschlechts wahr genommen. Am häufigsten wird die Schule als Ort von negativen Erfahrungen thematisiert. Diskriminierungserfahrungen werden jedoch auch am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit gemacht. Vor allem das Tragen der Hörgeräte ist für die jungen Frauen oft problematisch.

Mehr als die Hälfte Frauen möchte in Zukunft eine Familie gründen und Kinder haben. Bezüglich der "Vereinbarkeit" zeigen sich meist klassische Rollenmuster. Die Frauen gehen davon aus, dass sie es sind, die den Großteil der Karenzzeit übernehmen und dann teilzeitbeschäftigt wieder in den Beruf einsteigen. Eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungs- und Betreuungsarbeit wird weniger häufig angedacht. Die Höhe des Einkommens bestimmt, welcher Elternteil in Karenz geht. Das ist auch bei gehörlosen Personen in der Regel die Frau. Die berufliche Zukunft ist in vielen Fällen unsicher und nicht selbst bestimmt. Die Hälfte der Frauen weiß nicht, was ihre berufliche Zukunft bringt und was auf sie zukommt. Auf gesellschaftlicher Ebene werden Veränderungen erhofft und auch gefordert, insbesondere die Verbesserung der Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten durch den vermehrten Einsatz von Gebärdensprache und eine verbesserte Integration durch eine verstärkte Sensibilisierung der Gesamtgesellschaft. Vor allem die Bildungs- Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten werden kritisiert. Hier zeigt sich auch bei den jungen Frauen eine große Hoffnung auf strukturelle Veränderungen.



[9] Eine Frau übt zwei Berufe aus.

[10] In Österreich gibt es derzeit eine Zeitung für die Gebärdensprachgemeinschaft: "GebärdenSache", herausgegeben vom ÖGLB. Sie erscheint viermal pro Jahr in einer Auflage von 1050 Stück.

[11] Mag.a Helene Jarmer, Pädagogin, Präsidentin des ÖGLB,. Prof. Peter Dimmel, Bildhauer, früherer Präsident des ÖGLB, Träger der Kulturmedaille des Landes Oberösterreich, Mag.a (FH) Christine Linnartz, Dipl. Sozialarbeiterin, Coach, Trainerin.

[12] Für schwerhörige Menschen mit Hörgeräten ist eine adäquate auditive Wahrnehmung nur dann gut möglich, wenn der Umgebungslärm möglichst gering ist. Auch wenn Menschen durcheinander sprechen kann das nicht oder nur schwer gehört werden.

8. Zukunftsperspektiven und Strategien

Aufgrund der bisher dargestellten Ergebnisse soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Angebote geschaffen werden müssen, um die soziale, ökonomische und kulturelle Teilhabe in unserer Gesellschaft auch für junge Frauen, die gehörlos oder schwerhörig sind, in Zukunft sicherzustellen. Gehörlose Frauen stellen hinsichtlich ihrer Integration in den Arbeitsmarkt eine problematische Zielgruppe dar, sind keine homogene Gruppe, sondern zeichnen sich durch Diversität aus, so etwa hinsichtlich ihrer Sprachverwendung. Gefragt werden muss, ob sie schwerhörig oder gehörlos sind und in welchem Ausmaß sie Gebärdensprache verwenden oder benötigen. Obwohl die Mehrheit der Frauen mit Hörbeeinträchtigung hinsichtlich ihrer Bildungsabschlüsse zu den gering qualifizierten Personen zählt (maximal Pflichtschulabschluss), gibt es auch solche, die gut qualifiziert sind. Auch diese Unterschiede müssen berücksichtigt werden. Für zukünftige Maßnahmen und Angebote müssen zwei Grundsätze gelten: Gehörlose und schwerhörige Frauen müssen hinsichtlich ihrer individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse unterstützt werden und der Fokus muss vermehrt auf ihren Fähigkeiten und Potentialen liegen. Im Konkreten heißt das zum Beispiel, auf ihren gebärdensprachlichen Kompetenzen aufzubauen, die etwa in pädagogischen und gesundheitlichen Berufsfeldern gebraucht werden, Branchen, die insbesondere von Frauen angestrebt werden.

Die Perspektiven, ihre Möglichkeiten und Chancen in unserer Gesellschaft, hängen für junge Frauen mit Hörbeeinträchtigung in hohem Maße davon ab, welche strukturellen Veränderungen und welche Angebote sie in den nächsten Jahren vorfinden werden. Aufgrund der Forschungsergebnisse hat sich gezeigt, dass nicht nur vereinzelte Maßnahmen sondern eine Vielzahl an unterstützenden und fördernden Angeboten entwickelt werden muss. Wir können an dieser Stelle lediglich Schwerpunktsetzungen empfehlen, denn die konkreten Maßnahmen und Angebote müssen erst konzipiert und in Form von Folgeprojekten umgesetzt werden. Wir legen die Einbeziehung der in der Praxis tätigen Personen sowie qualifizierter Betroffener nahe, um das vorhandene Know-how bestmöglich zu nutzen und sicherzustellen, dass bundesländerübergreifend gleiche Qualitätsstandards gegeben sind.

Wir halten folgende Schwerpunktsetzungen für sinnvoll und notwendig, die im Idealfall als umfassendes, gemeinsames Maßnahmenbündel angeboten werden.

  1. Vermittlung von nachholender Bildung, Ausbildung sozialer Kompetenzen und Stärkung des Selbstwertes

  2. Erhöhung von Ausmaß und Qualität der Berufsorientierung

  3. Modernisierung von Ausbildungen, Öffnung von Berufsfeldern

  4. Schaffung von frauenspezifischen Angeboten und Zugang zu vorhanden Maßnahmen ermöglichen

  5. Gewährleistung des Einsatzes von Gebärdensprache in allen Lebensbereichen

  6. Sicherstellung sozialer Integration am Arbeitsplatz

  7. Ermöglichung von flexibler, individuell zugeschnittener Unterstützung

ad 1. Eine adäquate Bildung ist die Basis für berufliche und gesellschaftliche Integration. Für gehörlose und schwerhörige Menschen ist es in Österreich auch heute noch nicht möglich, eine adäquate Schulbildung zu erwerben, unter anderem deshalb, weil der Einsatz der Gebärdensprache nach wie vor nicht Standard ist. Das Risiko, arbeitslos zu werden, hängt stark mit den möglichen zu erreichenden Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen zusammen. Gerade Jugendliche ohne höhere Bildungsabschlüsse sind von strukturellen Ausschlüssen und dem Verlust von sozialen Bindungen betroffen, die mit Arbeit verbunden sind. Auch die ökonomische Selbstständigkeit ist durch das Fehlen einer existenzsichernden Erwerbsarbeit gefährdet. Hinzu kommt, dass gering qualifizierte Arbeitskräfte leichter zu ersetzen sind, häufig sind sie es, die bei Auftragsmangel als erste entlassen werden. Gehörlose Jugendliche und Erwachsene benötigen Angebote für nachholende Bildung, ohne die keine Anschlussfähigkeit herzustellen ist. So mangelt es etwa an Grundqualifikationen, Allgemeinbildung, Sprachkompetenzen und sozialen Kompetenzen. Zudem haben gehörlose und schwerhörige Personen oft negative Lernerfahrungen. Konkrete Angebote und Maßnahmen dazu müssen erst entwickelt werden. In der Arbeit mit gering qualifizierten Personen hat sich heraus gestellt, dass längerfristige und intensivere Angebote nachhaltiger sind als vereinzelte Kurse, "arbeitsintegrierte Weiterbildung" (vgl. Dornmayr et. al 2008) wird oft eher angenommen als Kurse und Lehrgänge, die zusätzlich zur Arbeitszeit absolviert werden müssen. Die methodischdidaktische Konzipierung von entsprechenden Kursangeboten in ÖGS, unter Berücksichtigung der vorhandenen Bildungsdefizite und der negativen Bildungserfahrungen, benötigt Zeit und das entsprechende Know-how. Ob die Angebote unter Einsatz von DolmetscherInnen oder mittels Einsatz gehörloser TrainerInnen angeboten werden können, hängt davon ab, ob qualifizierte gebärdensprachkompetente TrainerInnen zur Verfügung stehen. Die Entwicklung von Maßnahmen, die sich für die Stärkung der sozialen Kompetenzen und des Selbstwerts eignen, ist ebenfalls notwendig. Dazu gehört es etwa für junge Frauen, die gehörlos oder schwerhörig sind, vielfältige Rollenmodelle "anzubieten". Vorbilder sind wichtige Ressourcen für die Orientierung und die Stärkung des Selbstbewusstseins, gerade für gehörlose Jugendliche, um Lebensentwürfe jenseits traditioneller Geschlechterrollen zu entwickeln. Die "Mainstream-Gesellschaft" hat es bis dato verabsäumt, gehörlose und schwerhörige Frauen in ihrer Vielfalt und Differenziertheit darzustellen. Sie sind maximal in spezifischen Kontexten vorzufinden, wie etwa in Printund Onlinemedien von Betroffenen, etwa in SignTime einer online Nachrichten- und Informationsseite in Gebärdensprache.

ad 2. Die Qualität und das Ausmaß der Berufsorientierung sind ebenfalls relevante Größen für eine nachhaltige Integration und die Verbesserung der Chancen im Berufsleben. Berufsorientierung stellt im Idealfall eine prozesshafte und längerfristige Auseinandersetzung mit den individuellen Fähigkeiten, Stärken und Interessen, aber auch mit den Möglichkeiten und dem Bedarf am Arbeitsmarkt dar und sollte nicht nur die gehörlosenspezifischen, sondern auch die genderspezifischen Besonderheiten der Zielgruppe berücksichtigen. Für gehörlose Frauen ist die Berufswahl meist eine Entscheidung, bei der sie kaum auf Ressourcen und Unterstützung zurückgreifen können. Berufsorientierung in der Schule ist kaum gegeben, die unterstützenden Maßnahmen nach der Schulzeit zur Wahl einer Ausbildung oder eines Berufsweges sind meist nur punktuell und machen keinen Entwicklungs- und Entscheidungsprozess möglich. Zudem sind bislang keine geschlechtersensiblen Konzepte vorhanden. Wir wissen, dass gehörlose Frauen aus einem engen Berufsspektrum wählen, meist werden typische Frauenberufe ausgewählt. Oft werden Ausbildungen gemacht, die den eigenen Interessen und Fähigkeiten nicht entsprechen und für die kein Bedarf besteht. Somit ist eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt nicht möglich. Berufsorientierung sollte aber auch Eltern und LehrerInnen als Zielgruppen mit einbeziehen, da es oft das nahe soziale Umfeld ist, das einen großen Einfluss auf die Berufswahl ausübt. Insgesamt ist die Förderung und Entwicklung von gehörlosen Jugendlichen massiv von ihrer "Ressourcenausstattung" (Stecher 2001) abhängig. In Familien mit hohem ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital gibt es Zeit und Raum für die Selbstentfaltung. Jugendliche ohne diesen Hintergrund müssen rascher ökonomisch selbständig werden. Berufsorientierung ist mehr als Berufsberatung und Berufsinformation und steht immer im Spannungsfeld von Arbeitsmarkt und individueller Lebensplanung. Für die Praxis der Beruforientierung heißt das, dass die Berufswahl nicht nur ein reiner Zuweisungsprozess sein darf, sondern vielmehr ein Entscheidungs-, Lern- und Entwicklungsprozess sein muss, der auf folgende inhaltlichen Schwerpunktsetzungen aufbaut:

  • Auseinandersetzung mit eigenen Interessen und Fähigkeiten

  • Geschlechtsspezifisches Berufswahlverhalten

  • Weibliche Lebensentwürfe

  • Orientierung in der Berufs- und Arbeitswelt

  • Stärkung des Selbstbewusstseins und der Eigenverantwortung

  • Stärkung der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit

  • Kennenlernen eines breiten Berufsspektrums

  • Heranführen an technische und handwerkliche Berufe

  • Einbindung gehörloser und schwerhöriger "role models"

  • Adäquate Vermittlung: Einsatz der Gebärdensprache entweder durch gebärdensprachkompetente TrainerInnen oder mittels GebärdensprachdolmetscherInnen

  • Abbau von Grundbildungsdefiziten

  • Auseinandersetzung mit der eigenen Gehörlosigkeit und Arbeit am Selbstkonzept

  • Schaffung eines Raums zum Austausch mit "peers"

ad 3 und 4. Der Zugang zu technischen und handwerklichen Berufen muss vermehrt für gehörlose junge Frauen gefördert werden. Es ist der Sozialisationsprozess, der dazu führt, dass bei Mädchen und Buben jeweils unterschiedliche Interessen und Verhaltensweisen gefördert werden, was sich wiederum auf ihr Berufswahlverhalten auswirkt. Die Auseinandersetzung mit Rollenbildern und die Mädchen- und Bubenarbeit in der Schule, sollten als Beitrag zur Gleichstellung und Chancengleichheit auch für gehörlose Jugendliche bzw. SchülerInnen angeboten werden. Gendersensible Konzepte in den Berufsorientierungsmaßnahmen, Clearings, u.Ä. sind nachhaltige Instrumente, damit junge Frauen ihren eigenen Fähigkeiten und Interessen auf die Spur kommen können. Gerade in der Gehörlosengemeinschaft sind traditionelle Rollenbilder, die sich auf das Verhalten und die Interessen gehörloser Frauen auswirken, noch stark verankert. Hinzu kommt, dass ohne entsprechende weibliche Rollenvorbilder, die außerhalb dieser Normen agieren und leben, gehörlose junge Frauen wenige Identifikationsfiguren haben. Um zu verhindern, dass Menschen mit Hörbeeinträchtigung als HilfsarbeiterInnen am Arbeitsmarkt enden, ist es dringend notwendig, jene institutionalisierten Ausbildungen, die nach wie vor speziell für Gehörlose angeboten werden, zu modernisieren, d.h. neue Berufsbilder zu installieren und bedarfsorientiert und nachhaltig auszubilden. Speziell für gehörlose junge Frauen wird eine größere Auswahl an (Lehr)Berufen insgesamt sowie die Einführung von neuen Berufsbildern als wichtige Voraussetzung für verbesserte Berufschancen genannt. Es gibt wenig Auswahl an Berufsbildern für gehörlose Frauen, die auch umsetzbar sind. Ein großes Problem stellt nach wie vor der Ausschluss von Gehörlosen aus vielen Berufsbereichen dar. Das betrifft insbesondere Frauen, die sich für klassische Berufsfelder wie Pädagogik oder Gesundheitswesen interessieren. Diese Arbeitsfelder, die auch in den kommenden Jahrzehnten Produktivität und Wertschöpfung prägen werden, müssen nicht nur für gehörlose Frauen, sondern auch für ihre männlichen Kollegen zugänglich gemacht werden. Bis dato wurden die besonderen Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Frauen nicht berücksichtigt. Wie in der Gesamtgesellschaft sind es auch bei den Gehörlosen meist die Frauen, die die Kindererziehung überhaben und somit vor die vielzitierte "Vereinbarkeit" von Beruf und Familie gestellt sind. Es braucht Maßnahmen für Wiedereinsteigerinnen, spezielle Unterstützung und Beratung vor und während der Karenz sowie Möglichkeiten der Weiterbildung und der Vernetzung. Auch spezifische Angebote im psychosozialen Segment fehlen. Insgesamt ist der Zugang zu frauenspezifischen Einrichtungen nicht gegeben, es stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen gehörlose und schwerhörige Frauen diese Angebote nützen würden. Die Implementierung von Maßnahmen und Instrumenten des Gender-Mainstreaming in allen Einrichtungen zur Betreuung und Unterstützung von gehörlosen Menschen ist unumgänglich. Es müssen Ziele und Strategien entwickeln werden, um zu ermöglichen, dass gehörlose Frauen in gleichem Ausmaß wie ihre männlichen Kollegen an allen Maßnahmen und Angeboten partizipieren können. Auch die finanzielle Förderung von ArbeitgeberInnen muss an Frauenförderung gebunden sein, um die Anzahl der beschäftigen gehörlosen Frauen zu erhöhen.

ad 5 und 6. Die Gewährleistung des Einsatzes von Gebärdensprache in allen Lebensbereichen ist notwendig, um Integration sicherzustellen. Dazu braucht es nicht nur politischen Willen, sondern die entsprechenden finanziellen Förderungen. Es ist notwendig, dass gehörlose junge Menschen ihre Rechte und Möglichkeiten kennenlernen, was den Einsatz von Gebärdensprache und/oder von DolmetscherInnen in der Ausbildung, am Arbeitsplatz und in allen anderen Lebensbereichen betrifft. Auch die Sicherstellung der sozialen Integration am Arbeitsplatz hängt in hohem Maße von den Kommunikations- und Verständigungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz ab. Mit der Frage, welche Standards an einem Arbeitsplatz gelten müssen, um die Integration gehörloser MitarbeiterInnen sicherzustellen, wird man sich vermehrt auseinandersetzen müssen.

ad 7. Die Ermöglichung von flexibler, individuell zugeschnittener Unterstützung ist dann möglich, wenn die Rahmenbedingungen der Betreuung entsprechend dehnbar sind. Dies ist bis dato nicht der Fall. Es gibt von Seiten der ExpertInnen aus der Praxis eine Reihe von Vorschlägen und Erfahrungen dazu, deren Umsetzung sinnvoll wäre.

Die vorgeschlagenen Schwerpunktsetzungen sollen als Anregung dienen, konkrete Konzepte und Angebote für gehörlose und schwerhörige junge Frauen und Männer zu entwickeln. Es gilt dabei, die unterschiedlichen Voraussetzungen und Lebenssituationen von gehörlosen Frauen und Männern zu berücksichtigen und eine geschlechtersensible Perspektive einzunehmen. Ob eine chancengleiche Partizipation in der Gesellschaft unter den gegeben Voraussetzungen jemals möglich sein wird, sei dahingestellt. Die Herausforderung liegt darin, sich dieser Chancengleichheit anzunähern.

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Kraimer (Hg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Leske + Budrich, 441-471.

Oehme, Andreas, Christian M. Beran & Richard Krisch (2007): Neue Wege in der Bildungs- und Beschäftigungsförderung für Jugendliche. Untersuchung von Potenzialen der Jugendarbeit zur Gestaltung von sozialräumlichen Beschäftigungsprojekten. Wien: Verein Wiener Jugendzentren.

Solga, Heike (2005): Ohne Abschluss in die Bildungsgesellschaft. Die Erwerbschancen gering qualifizierter Personen aus soziologischer und ökonomischer Sicht. Opladen: Verlag Barbara Budrich.

Sheridan, Martha (2008): Deaf Adolescents. Inner Lives and Lifeworld Development. Washington D.C.: Gallaudet University Press.

Statistik Austria (Hg.) (2006): Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen und -bezieher nach Erwerbsstatus und Geschlecht. Wien: Statistik Austria, www.statistik.at.

Statistik Austria (Hg.) (2009): Mikrozensus 2002. Wien: Statistik Austria, www.statistik.at.

Stecher, Ludwig (2001): Die Wirkung sozialer Beziehungen. Empirische Ergebnisse zur Bedeutung sozialen Kapitals für die Entwicklung von Kindern und Jugendliche. Weinheim: Beltz.

Walther, Andreas & Axel Pohl (with Andy Biggart, Ilse Julkunen, Yuri Kazepov and Siyk Kovacheva) (2005): Thematic Study on Policy Measures concerning Disadvantaged Youth. Study commissioned by the European Commission, DG Employment and Social Affairs in the framework of the Community Action Programme to Combat Social Exclusion 2002-2006. Final Report. Tübingen: Institute for Regional Innovation and Social Research (IRIS).

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Wroblewski, Angela (2000): Flexible Arbeitszeiten und Segregation, Empirische Befunde zu flexiblen Arbeitszeiten in Frauen- und Männerberufen. Wien: Institut für Höhere Studien.

10. Abkürzungsverzeichnis

AHS Allgemein Bildende Höhere Schule

AMS Arbeitsmarktservice

APA Austria Presse Agentur

BASB Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Bundessozialamt

BEinstG Behinderteneinstellungsgesetz

BFI Berufsförderungsinsitut

BHS Berufsbildende Höhere Schule

BIG Bundesinstitut für Gehörlosenbildung

BIZ Berufsinformationszentzrum

BSB Bundessozialamt (=BASB)

BMS Berufsbildende Mittlere Schule

BORG Bundesoberstufenrealgymnasium

BWL Betriebswirtschaftslehre

CI Cochlea Implantat

dB Dezibel

DLU Deckung des Lebensunterhalts

ECDL European Computer Driving Licence, Europäischer Computer Führerschein

GKK Gebietskrankenkasse

HASCH Handelsschule

HAK Handelsakademie

HTL Höhere Technische Lehranstalt

I Interviewerin

IE InterviewpartnerIn ExpertIn

IT Informationstechnologie

IP Interviewpartnerin gehörlose Frauen

k. A. keine Angabe

LAP Lehrabschlussprüfung

LBG Lautsprachbegleitendes Gebärden

LKH Landeskrankenhaus

MSN Abkürzung für: The Microsoft Network, Chat- und Kommunikationsservice

ÖGLB Österreichischer Gehörlosenbund

ÖGS Österreichische Gebärdensprache

ÖAMTC Österreichischer Automobil Touring Club

Poly Polytechnischer Lehrgang

PSP Psychosozialer Pflegedienst

SPF Sonderpädagogischer Förderbedarf

VÖGS Verein Österreichischer Gehörloser Studierender

WIFI Wirtschaftsförderungsinstitut

11. Verfasserinnen

Mag.a Sylvia Grünbichler

Erziehungs- und Bildungswissenschafterin mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Von 1996 bis 2010 Mitarbeiterin in den Weiterbildungs- und Forschungsprojekten am Institut für Translationswissenschaft, Arbeitsgruppe Gebärdensprache, Karl-Franzens-Universität Graz.

Kontakt: sylvia.gruenbichler@uni-graz.at

Mag.a Dr.in Barbara Andree

Linguistin und Romanistin. Von 1996 bis 2010 Mitarbeiterin in den Forschungsprojekten am Institut für Translationswissenschaft, Arbeitsgruppe Gebärdensprache, Karl-Franzens-Universität Graz.

Kontakt: barbara.andree@uni-graz.at

Anlage 1: Fragebogen für gehörlose Frauen

Quelle:

Sylvia Grünbichler, Barbara Andree: Gehörlose junge Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Möglichkeiten und Grenzen ihrer Partizipation

Eine empirische Studie im Auftrag des Bundessozialamtes

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 16.09.2013

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