Gratwanderung zwischen Werkstatt und Erwerbslosigkeit

Adäquate Arbeitsplätze für Menschen mit erworbener Hirnschädigung

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit im Studiengang Heil- und Behindertenpädagogik an der Hochschule Zittau/Görlitz (FH), Fakultät Sozialwissenschaften; Erstgutachter: Prof. Dr. phil. Rudolf Schmitt, Zweitgutachterin: Prof. Dr. phil. Jutta Blin
Copyright: © Marie-Kristin Göpfert 2009

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Forschungsinteresse und Annäherung an die Fragestellung

Durch mein praktisches Studiensemester und die fortlaufende geringfügige Beschäftigung in einer Rehabilitationseinrichtung wurde ich häufig mit dem Schicksal junger Menschen konfrontiert, die infolge von z. B. Hirntraumen, Blutungen oder entzündlichen Prozessen eine Schädigung des Gehirns erlitten haben. Der erste Eindruck, der sich zum größten Teil aus rein optischen Merkmalen zusammensetze, ließ keine Verallgemeinerung bzw. kein einheitliches Bild zu. Die Bandbreite reichte von scheinbar unversehrten bis hin zu hochgradig pflegebedürftigen Jugendlichen. Auch nach einem näheren Kennenlernen zeigten sich große Unterschiede zwischen den einzelnen Betroffenen. Zum Teil reagierten sie ängstlich und benötigten ein großes Maß an Sicherheit. Es gab jedoch auch diejenigen, die ihre Einschränkungen nicht zu bemerken schienen, unvorsichtig agierten und versuchten jede Hilfe abzuwehren. Andere wiederum wirkten im ersten Moment unauffällig, hatten jedoch Probleme sich im Haus zurechtzufinden oder wiesen gravierende Gedächtnislücken auf. Die Palette reichte weiterhin von aggressivem Verhalten, über Distanzlosigkeit bis hin zu depressiven Zügen. In einem ähnelte sich jedoch der Großteil der Jugendlichen - in der Erinnerung an ihr früheres ‚normales' Leben, aus dem sie plötzlich ohne Vorwarnung herausgerissen wurden. Durch eine Verletzung des Gehirns, z. B. in Folge von Unfällen im Straßenverkehr, im Berufsleben oder im Freizeitbereich, kommt es meist zu einem gravierenden Verlust der bekannten und vertrauten Lebensumstände. Auch nach einem relativ guten Rehabilitationsverlauf können je nach Art und Schwere der Schädigung die unterschiedlichsten Beeinträchtigungen bestehen bleiben. Häufig wird von so genannten "unsichtbaren Behinderungen" (FRAGILE Suisse 2007, S. 29) gesprochen, die z. B. die Kognition, die Emotionalität oder das Verhalten betreffen. Die Veränderungen zu akzeptieren bereitet nicht nur den Betroffenen Schwierigkeiten, sondern auch ihren Angehörigen. Eltern geben teilweise an, dass ihr Kind ein vollkommen anderer Mensch geworden sei. Die bisherige Lebensplanung gerät ins Wanken oder ist hinfällig geworden und was bleibt ist ein Gefühl der Hilflosigkeit und zahlreiche offene Fragen. Wie soll es nach dem Schonraum der Klinik weitergehen? Können adäquate Lösungen zur Bewältigung des Alltags sowie der Wohn-und Arbeitsituation gefunden werden? Wenn ja, wie sollten diese gestaltet sein?

Diese Fragestellungen beschäftigten mich während der Begleitung der Betroffenen im Klinikalltag als Mensch sowie als angehende Heilpädagogin immer häufiger. In einem Gespräch mit einer Sozialarbeiterin der Rehabilitationseinrichtung erfuhr ich, dass es vor allem schwierig wäre im Bereich der beruflichen (Wieder-)Eingliederung adäquate Möglichkeiten zu finden. Mein Anliegen im Rahmen dieser Diplomarbeit ist es, mich mit dem Bedarf nach Arbeit im Sinne einer sinnvollen Tätigkeit von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung auseinanderzusetzen. Darauf aufbauend lautet die Forschungsfrage:

Wie müssen adäquate Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung gestaltet sein, wenn eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt momentan nicht möglich ist?

1.2 Relevanz der Thematik

Verschiedene Quellen belegen, dass in Deutschland jährlich 250.000 bis 300.000 Menschen eine Schädelhirnverletzung erleiden (vgl. Ebert 2008, S. V; Ehrhardt 2004, S. 1; Heubrock & Petermann 1997, S. 443; Reimann 2007, S. 32). Dank einer umfassenden Erstversorgung und einer verbesserten Intensivmedizin überleben immer mehr Betroffene das schädigende Ereignis. Durch diese Tendenz erfährt der Sektor der Rehabilitation einen Aufschwung und avanciert zu einem noch bedeutenderen und ständig wachsenden Bestandteil unseres Gesundheitssystems, der auch in der Zukunft seine Berechtigung haben wird (vgl. Delbrück & Haupt 1996, S.15).

Laut den Angaben der Hannelore Kohl Stiftung (2008) stehen in Deutschland momentan für die stationäre und medizinische Rehabilitation ausreichend Einrichtungen zur Verfügung, die ihre Arbeit an hohen Qualitätsstandards ausrichten (vgl. ebd., Abs. 1). Der Begriff der Rehabilitation beinhaltet jedoch weit mehr als lediglich eine Funktionswiederherstellung bzw. eine Verbesserung der durch die Verletzung beeinflussten Fähigkeiten (vgl. Fries, Lössl & Wagenhäuser 2007, S. VII). Er wird ebenso als "(Wieder-)Eingliederung Behinderter und von Behinderung Bedrohter in Beruf und Gesellschaft" (Mühlum 2001, S. 1481) verstanden.

Dieser Aspekt nimmt auch in der Rehabilitation von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung eine zentrale Bedeutung ein. Die Grundlage dafür bildet der Gesetzestext des Sozialgesetzbuches (SGB) IX, der sich mit dem Recht der Rehabilitation und der Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Personen auseinandersetzt. Gemäß § 2 gelten Menschen, deren "körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit (...) länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist", als "behindert" (SGB 2005, S. 1093). Infolge einer Verletzung des Gehirns bestehen häufig auch nach einer intensiven Rehabilitationsphase, in der Fortschritte erzielt wurden, körperliche oder / und geistige Einschränkungen über den genannten Zeitraum hinaus. Die Betroffenen werden somit vom Gesetzestext als ‚behindert' deklariert.

Die Regelung ihrer Rechte befindet sich u. a. im § 1 SGB IX, der die Selbstbestimmung und Teilhabe als höchstes Rehabilitationsziel und Handlungsmaxime in den Vordergrund stellt (vgl. SGB 2005, S. 1093). "Unabhängig von der Ursache der Behinderung" (ebd.) soll eine "aktive und autonome Teilnahme am Leben in der Gesellschaft und der Berufswelt" (Fries, Lössl & Wagenhäuser 2007, S. VII) wieder ermöglicht werden. Die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben findet sich abermals im §§ 33 SGB IX wieder. Darin wird eine Erbringung von Leistungen garantiert, um die "Erwerbsfähigkeit (...) entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen" (SGB 2005, S. 1108). Die gesetzliche Grundlage definiert die Inhalte und Aufgaben der Erbringer von Rehabilitationsleistungen klar. Somit wäre vorstellbar, dass z. B. ausreichend ambulante wohnortnahe Nachsorgeangebote zur Verfügung stehen, die eine Einbeziehung des Lebensumfeldes der Betroffenen ermöglichen (vgl. Fries & Ludwig 2006, S. 1).

Doch die reale Versorgungssituation ist momentan noch lückenhaft. Die Hannelore Kohl Stiftung (2008) führt wiederum an, dass adäquate Mittel und Wege, die "die Teilhabe am sozialen Leben und am Arbeitsleben nicht nur ermöglichen, sondern nachhaltig (erhalten)" (ebd., Abs. 2), fehlen oder nur unzureichend vorhanden sind. Demnach würde es vor allem beim Übergang von der stationären zur ambulanten Rehabilitation häufig zu Problemen kommen (vgl. ebd., Abs. 1). Doch gerade diese Phase ist von höchster Priorität, da sich erreichte Erfolge im Falle einer ausbleibenden oder inadäquaten Nachsorge häufig als rückschrittig erweisen (Fries & Ludwig 2006, S. 1). Nach der Entlassung aus der Klinik müssen Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung auf ihrem Weg zurück ins alltägliche Leben meist zahlreiche Hürden bewältigen. Nach Gauggel, Konrad & Wietasch (1998) gestaltet sich vor allem der Prozess der beruflichen (Wieder-)Eingliederung häufig schwierig (vgl. ebd., S. 155). Wenn die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation in Anspruch genommen wurden und trotz dessen die Rückkehr auf den allgemeinen Arbeitsmarkt scheitert, ist die Anzahl der Möglichkeiten den Alltag mit Sinn zu beleben und als erfüllend zu empfinden begrenzt (Rost & Wiedemann o. J., S. 2). Die Aussicht auf einen Alltag ohne Beschäftigung beeinträchtigt die Lebensperspektive der Betroffenen, bei denen es sich laut Ehrhardt (2004) vorwiegend um junge Männer im Alter zwischen 15 und 40 Jahren handelt (vgl. ebd., S. 1). Zur Problematik der Annahme und der Bewältigung der krankheitsbedingten Einschränkungen gesellt sich infolge der Erwerbslosigkeit häufig eine zunehmende Isolation und Hoffnungslosigkeit sowie eine verminderte Wertschätzung durch die Gesellschaft (vgl. Frey 1995, S. VII). Daraus resultierende Folgeerscheinungen können in einem Verlust der Selbstachtung oder gar in psychischen Erkrankungen wie Depressionen zum Ausdruck kommen (vgl. Kardorff & Ohlbrecht 2008, S. 18).

Betreffend der Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung ist laut Vater und Aselmeier (2009) der Zweig der Beschäftigung, im Gegensatz zur weitgreifenden Umstrukturierung des Bereichs Wohnen nach Leitgedanken wie Dezentralisierung und Ambulantisierung, relativ unberührt geblieben (vgl. ebd., S. 75). Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) bildet auch heute noch meist die einzige Alternative zu einem Leben ohne Beschäftigung. Die Eignung dieser Institution für den Personenkreis der Hirnverletzten ist jedoch fraglich. Menschen mit einer angeborenen Behinderung, die den Großteil des Klientel einer WfbM ausmachen, blicken im Vergleich zu Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung auf eine vollkommen andere Sozialisation und Identifikation mit den vorhandenen Einschränkungen zurück (vgl. Helene-Maier-Stiftung 2008, S. 6). Zudem stellen sich infolge einer Verletzung des Gehirns meist neuropsychologische Folgestörungen ein. Die Betroffenen benötigen Bedingungen, die auf ihren Bedarf zugeschnitten sind und die es ihnen ermöglichen ihre Ressourcen zu nutzen. Diese speziellen Anforderungen können von einer konventionellen Werkstatt häufig nicht gewährleistet werden (vgl. ebd.). Um Neuerungen oder Veränderungen in die Tat umzusetzen, spielt immer auch die Finanzierung eine bedeutende Rolle. Nach dem Abschluss der Erprobungsphase und durch die vollständige Realisierung des Persönlichen Budgets am 1. Januar 2008 werden Menschen mit einer Behinderung dazu befähigt, anstelle von Dienst- oder Sachleistungen, Gelder zu beantragen, um ihren persönlichen Hilfebedarf abzudecken (vgl. Bundesministerium für Arbeit 2008, S. 7). Die gesetzlichen Regelungen der Leistungen zur Teilhabe finden sich wiederum im SGB IX und beziehen sich laut § 17 Abs. 2 "auf alltägliche, regelmäßig wiederkehrende und regiefähige Bedarfe" (SGB 2005, S. 1101). Durch die Möglichkeit des selbstständigen und eigenverantwortlichen Einkaufs von Leistungen werden Betroffene zu Experten in eigener Sache und können selbst bestimmen bzw. frei wählen, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen wollen und von wem sie zu welcher Zeit ausgeführt werden soll (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2008, S. 7).

Gemäß §§ 33 ff. sind die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Bestandteil des Persönlichen Budgets (vgl. SGB 2005, S. 1108-1111).

Rückblickend ist festzuhalten, dass die Relevanz der Thematik bzw. die Berechtigung der Forschungsfrage durch folgende Tatsachen ersichtlich wird. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung erleidet jährlich eine Hirnschädigung. Wilke (2008) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer "stillen Epidemie" (ebd., S. 70). Die Leistungen zur Teilhabe sind zwar gesetzlich geregelt, doch die reale Versorgung weist im ambulanten Bereich Lücken auf, so dass den meist jungen Betroffenen größtenteils nur die Wahl zwischen einem Leben ohne Beschäftigung und dem Besuch einer WfbM bleibt. Beide Möglichkeiten scheinen in den meisten Fällen jedoch nicht der therapeutischen und pädagogischen Notwendigkeit zu entsprechen. Für die Betroffenen steht dieser Engpass in einem Zusammenhang zu Größen wie einer fragwürdigen ethischen Rechtfertigung sowie einer verminderten Lebensqualität aufgrund der eingeschränkten Teilhabe (vgl. Wilke 2008, S. 70).

Mit dem zur Verfügung stehenden Persönlichen Budget werden Menschen mit einer Hirnverletzung dazu befähigt, den Leistungserbringer für ihre Teilhabe am Arbeitsleben selbst zu wählen und damit zur Schaffung von entsprechenden Bedingungen beizutragen. Als Grundvoraussetzung für eine gewinnbringende Weiterentwicklung steht eine umfassende Bedarfsermittlung, die in erster Linie bei den Betroffenen ansetzt. Neben dem sozialen Aspekt dürfen jedoch auch gesellschaftliche sowie wirtschaftliche bzw. ökonomische Faktoren nicht außer Acht gelassen werden. Eine berufliche Eingliederung bzw. ein Nutzbarmachen von Arbeitskraft sollte folglich sowohl auf die Belange und Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet sein als auch verwertbare und sinnreiche Ergebnisse für die Gemeinschaft mit sich bringen.

1.3 Forschungsstand

Im deutschsprachigen Raum bleibt die Thematik der Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die momentan nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, von der Literatur relativ unberührt. Deshalb möchte ich im Folgenden das wissenschaftliche Umfeld abstecken, das den Gegenstand dieser Forschungsarbeit tangiert. Die nachgehend vorgestellten Publikationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dienen dazu, einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zu vermitteln.

Einen ersten Eindruck über die Gefühlswelt der Betroffenen ermöglichen die sowohl biographisch erzählenden, als auch wissenschaftlich aufgearbeiteten Berichte von Lurija (1991) in "Der Mann, dessen Welt in Scherben ging" und von Sacks (1995) in "Der Tag, an dem mein Bein fortging". Hanek (1991) erlaubt mit "Zum zweitenmal (sic!) geboren: Tagebuch einer Mutter" einen Einblick in das Schicksal ihres hirnverletzten Sohns und die Auswirkungen für Angehörige.

Es existieren zahlreiche Veröffentlichungen, die über die Funktion des Gehirns, die neuropsychologischen Folgen von Verletzungen sowie über deren medizinische und therapeutische Rehabilitation berichten. Ich beziehe mich beispielsweise im Rahmen dieser Arbeit u. a. auf die Werke von Lurija "Die höheren kortikalen Funktionen des Menschen und ihre Störungen bei örtlichen Hirnschäden" (1970) und "Das Gehirn in Aktion" (2001). Der Inhalt dieser Arbeiten wird durch die Bücher "Die neuronalen Verstrickungen des Bewusstseins" (1994) sowie "Gehirn, Geschichte und Gesellschaft" (2004) durch wissenschaftliche Beiträge von Jantzen als Herausgeber und von zahlreichen Autoren unter aktuellen Gesichtspunkten betrachtet. Zudem bilden die Quellen "Neurorehabilitation" von Cranenburgh (2007), "Neuropsychologie im Alltag" von Goldenberg, Pössl und Ziegler (2002) sowie "Neuropsychologische Störungen und ihre Rehabilitation" von Prosiegel und Böttger (2007) den erläuternden Rahmen des funktionellen Sachverhaltes. Anhand des Inhaltes sind teilweise Rückschlüsse auf die Bedürfnisse von Menschen mit erworbenen Hinschädigungen an Arbeitsbedingungen zu ziehen. Pössl (1996) vermittelt einen Einblick in die "Problembereiche bei der psychologischen Betreuung hirngeschädigter Patienten". Im Hinblick auf die Berufswelt zeigt Bucher (1998) in "Neuropsychologische Betrachtungsweise des Arbeitsvermögens" neuropsychologische Maßnahmen auf, die sich unterstützend auf das Arbeitsvermögen auswirken sollen.

Als Werke, die sich neben medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen und Therapieangeboten auch mit der alltäglichen Teilhabe an weiten Bereichen des Lebens sowie mit der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung theoretisch auseinandersetzen, sind die Arbeiten von Gronwall, Wrightson und Waddell (1993) in "Schädel-Hirn-Verletzungen", von Gauggel et al. (1998) in "Neuropsychologische Rehabilitation" und von Fries, Lössl und Wagenhäuser (2007) in "Teilhaben!" zu erwähnen.

Bezug nehmend auf den tatsächlichen Bedarf an Arbeit stellt Jahoda (1995) die Frage "Wieviel (sic!) Arbeit braucht der Mensch?" und gibt einen Überblick über die Auswirkungen von Beschäftigungslosigkeit. Speziell auf die berufliche Situation von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bezogen, stehen vereinzelt Abfassungen über die berufliche Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Beispielsweise berichten Raß und Schramm (1997) in der Information für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit über Erfahrungen bezüglich der "Berufliche(n) Eingliederung von schädelhirnverletzten Jugendlichen und Erwachsenen". Des Weiteren liefert Wendel (2002) in ihrer Dissertation über die "Berufliche Reintegration nach Hirnschädigung" Informationen über Einflussfaktoren, die den Erfolg bzw. den Misserfolg einer beruflichen Wiedereingliederung nach einer Hirnschädigung maßgeblich mitbestimmen.

Sozialrechtliche Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung sind im SGB IX festgeschrieben. Empfehlungen bzw. Erläuterungen dazu befinden sich in den Formulierungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (2005) über "Rehabilitation und Teilhabe".

Als Eingliederungshilfe wird die aus den USA stammende Beschäftigungsform des Supported Employment beispielsweise von Theunissen (2007) in "Empowerment behinderter Menschen: Inklusion, Bildung, Heilpädagogik, Soziale Arbeit" vorgestellt und auf Deutschland von Doose (1997) mit "Unterstützte Beschäftigung" übertragen.

Häufig liegt die Monopolstellung bezüglich einer Alternative zur Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt immer noch bei der WfbM, die in zahlreichen Veröffentlichungen vorgestellt und beschrieben wird. Darunter befinden sich teilweise auch kritische Stimmen, wie die von Jähnert (1998), der im Rahmen seiner Diplomarbeit die These vertritt "Es muss nicht nur die WfB sein" (ebd., Titel).

Lediglich der Peer Support, der von Pössl (1996), Rensinghoff (2001) und Fries (2007) als Maßnahme zur Unterstützung von Betroffenen für Betroffene beschrieben wird, weist in der Literatur auf eine konkrete Arbeitsbedingung für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die momentan nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, hin.

Zur Annäherung an die Thematik beziehe ich mich deshalb auf die Erläuterungen Bronfenbrenners (1989) zur "Ökologie der menschlichen Entwicklung". In den ethischen Leitgedanken der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen richte ich mich nach den Maximen, die vorwiegend aus der Behindertenpädagogik bekannt sind. Dazu zählen das Normalisierungsprinzip, das u. a. von Thimm (1979) beschrieben wurde sowie die Ausführungen zum Empowerment-Konzept nach Theunissen (2007). Zum Integrationsgedanken wird im Rahmen dieser Arbeit u. a. durch Seyfried (1990) mit "Neue Wege zur beruflichen Integration Behinderter" und durch Vieweg (2006) mit "Inklusion und Arbeit" Stellung genommen.

Ein aktueller Bericht der sich mit Möglichkeiten und Wirklichkeit der "Rehabilitation und Nachsorge nach Schädelhirnverletzung" beschäftigt und sich u. a. sowohl auf den Bereich des Wohnens als auch des Arbeitens bezieht, stammt im Rahmen des Nachsorgekongresses der Hannelore Kohl Stiftung von Ebert, Fries und Ludwig (2008). Darin wird zudem von Wilke (2008) eine "Stellungnahme der Selbsthilfegruppe ‚Hirnverletzte und Angehörige'" verfasst, die eine Begründung für den begrenzten Forschungsstand liefert. Nach seinen Angaben besteht durch den Fortschritt und die Verbesserung der Intensivmedizin und des Rettungswesen erst seit ca. 25 Jahren die Möglichkeit, eine stetig wachsende Anzahl von Menschen mit massiven Hirnverletzungen am Leben zu erhalten bzw. wiederzubeleben (vgl. Wilke 2008, S. 69). Durch diese relativ kurze Entwicklung wäre es bis jetzt weder auf der politischen, noch auf der medizinischen und therapeutischen Ebene erkannt worden, "dass man mit existierenden Behinderungskategorien den spezifischen Besonderheiten des ‚neuen' Klientel nicht gerecht werden kann" (ebd.). Momentan bleibt es dadurch Betroffenen und Angehörigen verwährt, auf eine flächendeckende "Infrastruktur zurück(zu)greifen, die für traditionelle Behinderungsbilder besteht" (ebd.). Gesetzliche Ansprüche bezüglich der Hilfsmittelverordnung, der Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie der Vermittlung von geeigneten Lebens-, Wohn- und Arbeitsangeboten können meist nur in Einzelfallentscheidungen realisiert werden (vgl. ebd.). Aus diesem Grund plädiert Wilke (2008) für ein neues "Krankheits-und Behinderungsbild ‚Menschen, die an den Folgen eines erworbenen Hirnschadens leiden'" (ebd.).

1.4 Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil wurde bereits eine Einführung in die Thematik anhand der Erläuterung des Forschungsinteresses und der Präsentation der Fragestellung sowie der Darlegung der Relevanz der Thematik und des Skizzierens des Forschungsstands gegeben. Nach diesem ersten Überblick soll nun im Komplex I die Thematik anhand geeigneter Theorien erschlossen und diskutiert werden. Der erste Schwerpunkt richtet sich auf die Erläuterung der Kenntnisse über die Hirnphysiologie, wobei vor allem auf die Ansätze von Lurija (1902-1977) Bezug genommen werden soll. In Anlehnung an seinen Wissensstand wird das menschliche Gehirn als das "ausgeklügeltste aller Werkzeuge, das Vielfalt und Vielschichtigkeit der Umwelt widerspiegeln kann" (Lurija 2001, S. 9), vorgestellt. Aus der Betrachtung physiologischer Prozesse werden im Anschluss Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Störungen dieses mannigfaltigen Zusammenspiels u. a. im Hinblick auf deren Bedeutung für die Rehabilitation gezogen. Als Erweiterung dessen ist die Darstellung der Folgen für den einzelnen Menschen zu betrachten, die sich nun weniger abstrakt abbildet, sondern mehr auf das alltägliche Leben der Betroffenen konzentriert.

Anschließend wird die Signifikanz von Arbeit für den Einzelnen mit der Theorie der "Ökologie der menschlichen Entwicklung" nach Bronfenbrenner (1989) in Verbindung gebracht. Schließlich findet eine Zusammenführung der beiden Themenbereiche, der erworbenen Hirnschädigung und der Arbeit, durch Erläuterungen zum Prozess der beruflichen (Wieder-)Eingliederung statt. Es werden sowohl rechtliche Grundlagen, als auch verschiedene Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben aufgezeigt.

Den Abschluss der theoretischen Erläuterungen bilden Gedanken zur Ethik bezüglich der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen.

Im Komplex II folgt die Dokumentation des Forschungsprozesses. Das praktische Vorgehen bezüglich des Zugangs zum Feld, der Auswahl der Teilnehmer sowie der Durchführung der Erhebung und Auswertung wird unter Beachtung der Gütekriterien vorgestellt, begründet und theoretisch belegt.

Im dritten Komplex werden die Forschungsergebnisse, die den Prozess der Auswertung durchlaufen haben, dargestellt und unter Einbeziehung der Theorie des zweiten Abschnitts diskutiert. Daraus folgen die Konsequenzen für die Praxis sowie für die weitere empirische Forschung. Ich schließe mit persönlichen Schlussgedanken.

Alle personenbezogenen Daten werden in Anlehnung an Metschke und Wellbrock (2002) und ihre Informationen über "Datenschutz in Wissenschaft und Forschung" (ebd., S. 1) in anonymisierter Form dargestellt und unterliegen der Schweigepflicht (vgl. ebd., S. 19). Ich bin über die Regelungen zur Gleichstellung im Sinne der Gleichberechtigung informiert, verwende aus Gründen der besseren Lesbarkeit jedoch generell das generische Maskulinum.

Da keine einheitliche Bezeichnung bezüglich des diskutierten Personenkreises existiert, beziehe ich mich unter Einbeziehung der inhaltlichen Definition auf die Begrifflichkeit ‚Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung'. Die allgemeine Form ‚Menschen mit Behinderungen' ersetze ich aufgrund der Erfahrungen, die aus dem Austausch mit den Teilnehmern des Forschungsprozesses resultieren, in diesem speziellen Kontext teilweise durch ‚Menschen mit Beeinträchtigungen' bzw. durch ‚Betroffene'. Im Rahmen des Forschungsprozesses spreche ich von ‚Teilnehmern' bzw. ‚Beschäftigten', wohingegen die Angestellten der Helene-Maier-Stiftung (HMS) wie Verwaltungsleiter, Sozialpädagogen (Soz-Päd.) oder Arbeitstrainer (AT) durch den Begriff ‚Mitarbeiter' bezeichnet werden. Bezug nehmend auf die Personen, die pädagogisch handeln, werden teilweise generalisierte Bezeichnungen wie professioneller Helfer oder Begleiter verwendet. Dies schließt sowohl Heilpädagogen als auch andere Berufsgruppen wie Sozialpädagogen oder Arbeitstrainer ein.

I. Theoretischer Hintergrund

2. Erworbene Hirnschädigungen

2.1 Epidemiologie

Unser heutiges Zeitalter wird von einem Streben nach Maximen wie höher, schneller und weiter bestimmt. Diese Leitgedanken beeinflussen umfassende Bereiche unseres alltäglichen Lebens. Zum Beispiel werden immer neue Fahrzeuge konzipiert, die in der Lage sind Hochgeschwindigkeitsrekorde zu überbieten (vgl. Gronwall, Wrightson & Waddell 1993, S. 13). Es werden Sportarten erfunden, bei denen ein hohes Verletzungsrisiko besteht und entweder aus Gründen der Unwissenheit, der Bequemlichkeit oder einer Ausrichtung an Schönheitsidealen der entsprechende Schutz unterbleibt. Die Arbeitswelt der Leistungsgesellschaft unterliegt häufig einem Konkurrenzdenken einhergehend mit kaum zu bewältigendem Stress, der uns krank macht. Die Tendenz zur Gewalt nimmt zu (vgl. ebd.).

All diese Faktoren stellen eine grundsätzliche Gefährdung für den Mensch dar. Im Gegensatz zu einem gebrochenen Bein jedoch geht die Schädigung des Gehirns, deren Ursache z. B. in einer zerebrovaskulären oder entzündlichen Erkrankung, in einem Schädel-Hirn-Trauma oder in einem Hirntumor liegt, mit weitaus tief greifenderen Beeinträchtigungen bis hin zu einer Bedrohung des Lebens einher (vgl. Reutern 2005, S. 181 f.). Aufgrund der verbesserten Intensivmedizin und der Notfallversorgung besteht heutzutage dennoch in vielen Fällen eine reelle Chance auch eine derartige Verletzung zu überleben (vgl. Gauggel et al. 1998, S. 1).

Das menschliche Gehirn ist unser wichtigstes und zugleich auch ein sehr empfindliches Organ (vgl. FRAGILE Suisse 2007, S. 9). Nach der Aussage von Fries, Lössl und Wagenhäuser (2007) fungiert es als Steuerzentrale des gesamten Organismus (vgl. ebd., S. 1). Es bildet den Hauptsitz zur Regelung der Willkürbewegungen, der verschiedenen Wahrnehmungsbereiche, der Emotionen sowie der kognitiven Leistungen. Verletzungen führen demzufolge zu einem Verlust oder zu Einschränkungen von signifikanten Funktionen bzw. Fähigkeiten, die die verschiedensten Bereiche betreffen können und individuell verschiedene Störungsmuster auslösen (vgl. ebd.). Häufig bedeutet die Sicherung des Überlebens gleichzeitig den Beginn eines neuen Lebens, das teilweise von körperlichen, geistigen und / oder affektiven Beeinträchtigungen bzw. gravierenden Langzeitfolgen geprägt ist. Laut Cranenburgh (2007) ist es erwiesen, dass bereits "10 % aller leichten Schädelhirntraumen lang anhaltende oder dauerhafte Aufmerksamkeits-oder Persönlichkeitsstörungen nach sich ziehen" (Cranenburgh 2007, S. 86). Diese Tatsache macht eine Rehabilitation notwendig, die weit über die lebensrettenden Maßnahmen hinausgehen und sich an interdisziplinären Maßstäben ausrichten sollte. Auf diese Weise können sich Erfolge auch nach der Phase der unmittelbaren Regeneration einstellen, die sich maßgeblich auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken (vgl. Thiery 2007, S. V).

Aus diesem Grund stehen meiner Meinung nach Aspekte der Hirnphysiologie bzw. die mannigfaltigen Funktionen und möglichen Störungen des zentralen Organs in einem unmittelbaren Zusammenhang zur zentralen Fragestellung dieser Ausarbeitung. Um mich der Thematik zu nähern, möchte ich mich deshalb im Folgenden mit den Erkenntnissen der Neuropsychologie und der Neurorehabilitation befassen. Diese Fachrichtungen versuchen das menschliche Denken und Verhalten bzw. die psychischen Funktionen mit den neuronalen Grundlagen in einen Gesamtkontext zu bringen (vgl. Goldenberg et al. 2002, S. 1). Darauf aufbauend sollen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung therapeutische und / oder pädagogische Hilfen geschaffen werden, die sie bei der Bewältigung des Alltags sowie bei der Integration in Familie und Beruf unterstützen (vgl. Thiery 2007, S. V; Goldenberg et al. 2002, S. 3).

2.2 Historische Ansätze

Von der Vergangenheit bis zur heutigen Zeit wurden zahlreiche Hypothesen aufgestellt, die sich mit der Einteilung und Funktion des Gehirns beschäftigen. In den Fokus neuropsychologischer Untersuchungen rückten vor allem die komplexeren Tätigkeiten des Organs, die die Grundlage von psychischen Prozessen wie "Wahrnehmen und Erinnern, Erkennen und Handeln, Sprechen und Denken, Schreiben, Rechnen, Lesen" (Lurija 2001, S. 25) bilden.

Der folgende Abschnitt soll einen Einblick in diese Erkenntnisse gewähren, wobei aufgrund der Vielschichtigkeit der Sachlage kein Anspruch auf Vollständigkeit gelegt wird. Es sollen Bezüge dazu hergestellt werden, welchen Einfluss die Feststellungen früherer Zeiten auf den heutigen Wissenstand haben.

Die Aufschlüsselung des Gehirns und seiner Funktionen beschäftigt die Menschheit schon seit mehreren Jahrhunderten. Bereits im Mittelalter wurde durch die Annahme, dass geistige Fähigkeiten den drei Hirnventrikeln zuzuordnen seien, der Grundtenor einer Lokalisationstheorie bestimmt. Demnach befinden sich psychische Prozesse in abgegrenzten Hirnregionen (vgl. Lurija 2001, S. 14). Die ersten wissenschaftlich fundierten Untersuchungen wurden 1861 von dem Anatomen Broca (1824-1880) durchgeführt (vgl. ebd., S. 15). Durch Beobachtungen an Menschen mit einer örtlichen Hirnverletzung gelang es ihm zum ersten Mal die "komplexe psychische Funktion (des sprachlichen Ausdrucksvermögens, d. Verf.) in einem bestimmten Teil des Kortex" (ebd., S. 17) zu lokalisieren. Im Jahre 1874 fügte der Neurologe und Psychiater Wernicke (1848-1905) Erläuterungen bezüglich der Störung des Sprachverständnisses bei (vgl. Mayer 2008, S. 3). In den folgenden Jahren schritten die Erkenntnisse dahingehend fort, dass weitere "elementare Funktionen (...) umschriebenen Regionen der Hirnrinde" (Lurija 2001, S. 17), so genannten "Zentren", zuzuordnen seien. Dazu zählten u. a. das Schreib-, Rechen- und Lesezentrum, aber auch Zonen, die für die Bewegung, Empfindung und räumliche Orientierung verantwortlich sind (vgl. ebd., S.18). Die wohl detaillierteste Ausarbeitung dieser Denkrichtung schuf der Psychiater Kleist (1879-1960) im Jahre 1934 in Form einer Karte, die den funktionellen Aufbau des Gehirns einschließlich der Anordnung der psychischen Tätigkeitsfelder aufzeigt (vgl. Lurija 2001, S. 18). Diese ist im Anhang in der Abbildung 1 einzusehen.

Im Gegenzug wurden jedoch auch Stimmen laut, wie von den Neurologen Jackson (1834-1911), Monakow (1853-1930), Head (1861-1940) sowie später von Goldstein (1878-1965) und Lashley (1890-1958), die sich gegen den "strengen Lokalisationismus" (Lurija 2001, S. 20) verwahrten (vgl. ebd., vgl. Preilowski 2000, S. 4). Sie bestätigten zwar die Annahme, dass "einfache physiologische Funktionen (wie) Hautsinn, Gesichtssinn, Gehör (und) Bewegung in begrenzten Hirnregionen abgebildet sind" (Lurija 2001, S. 20), bezweifelten jedoch eine Verallgemeinerung dieser Aussage auf die Aktivitäten komplexer geistiger Prozesse (vgl. ebd.). Ihrer Meinung nach erfordert deren Ausführung nicht nur die Beteiligung lokaler Kortexbereiche, sondern resultiert aus dem Zusammenspiel des gesamten Gehirns. Jackson fordert daher auf, sich der zerebralen Organisation dieser Prozesse nicht über deren Lokalisation, sondern über deren Aufbau zu nähern (vgl. ebd.). Seiner Aussage nach erstreckt sich dieser über mehrere funktionelle Ebenen (vgl. Cranenburgh 2007, S. 86). Somit bleiben bei einer örtlichen begrenzten Verletzung des Gehirns Restmöglichkeiten bestehen. Laut Monakow kann es zu einer so genannten Diaschisis kommen (vgl. ebd.). Dabei werden durch die Läsion von einem Hirnanteil das gesamte System und somit auch primär unbeteiligte Regionen außer Kraft gesetzt. Das Überwinden bzw. das Aufheben dieser Blockade kann zur Reaktivierung beitragen. Das Prinzip der Equipotenz nach Lashley aus den zwanziger Jahren bildet eine Erklärung für die Regeneration nach einer Hirnschädigung, die bis heute von Bedeutung ist (vgl. ebd.). Es besagt, dass "jede (einzelne) Hirnregion alle funktionellen Möglichkeiten besitzt" (ebd.) und daher die Aufgabe von nicht intakten Gebieten übernehmen oder ersetzen kann. Goldstein befasste sich in den Jahren zwischen 1930 bis 1960 intensiv mit Menschen mit einer Hirnverletzung (vgl. Cranenburgh 2007, S. 86). Während dieser Phase machte er im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Schreibtrainings die Entdeckung, dass der Erfolg des Programms maßgeblich von der Motivation der Patienten und dem entsprechenden therapeutischen Milieu beeinflusst wurde (vgl. ebd.).

2.3 Die Bedeutung der neuropsychologischen Erkenntnisse Lurijas für die Moderne

Nach dem heutigen Wissensstand wird das menschliche Gehirn als "ein hochkomplexes, ganzheitlich aufgebautes funktionelles System" (vgl. Lurija 2001, S. 10) angesehen. Den langen Weg zum Gewinn von Erkenntnissen über dessen Aufbau und Funktion prägen die Arbeiten von Alexander R. Lurija (1902-1977) maßgeblich. Bereits 1936 entwickelte er laut Mayer (2008) Verfahren zur Diagnostik, Therapie und Rehabilitation traumatisch bedingter Hirnschädigungen (vgl. ebd., S. 7). Während des zweiten Weltkriegs erlitt eine große Anzahl der Beteiligten mannigfaltige Verletzungen des Gehirns. Dadurch ergab sich für Lurija eine Vielzahl an Möglichkeiten seine Theorien in der Praxis zu überprüfen und seine Untersuchungs-und Behandlungsmethoden weiterzuentwickeln (vgl. ebd.). In zahlreichen Veröffentlichungen berichtete er über traumatische Hirnschäden. Seiner Auffassung nach ist die grundlegende Voraussetzung für die Funktionalität des Gehirns dessen Fähigkeit zur Plastizität. Mit dieser Erkenntnis öffnete Lurija eine neue Sichtweise des Rehabilitationsprozesses, die bis heute wegweisend für die neurologische und neuropsychologische Rehabilitation ist (vgl. ebd.). Cranenburgh (2007) verzeichnet sogar, dass sie bis heute die wichtigste Grundlage der Neurorehabilitation bildet (vgl. ebd., S. 86). In Ausrichtung an seine Lehre wurden Programme zur Rehabilitation von Hirnfunktionen entwickelt, die auch heute noch teilweise in der gleichen Form oder als Grundlage von modifizierten Behandlungsansätzen Verwendung finden (vgl. Mayer 2008, S. 8).

Um zu Verstehen welche Bedeutung seine Erkenntnisse für die Rehabilitation und Begleitung von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung haben, bedarf es einem Einblick in die theoretischen Grundlagen seiner Auffassung über Aufbau und Funktion des Gehirns.

2.3.1 "Multiple Repräsentation" (Cranenburgh 2007, S. 21)

Lurija (1970) beschreibt die "höheren psychischen Funktionen (als) kompliziert organisierte funktionelle Systeme sozialer Genese" (ebd., S.52), die "über den ganzen Kortex dynamisch verteilt sind" (ebd.).

Um sich dieser Aussage zu nähern und einen Verstehensansatz zu erhalten, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der ‚Funktion'. Zum einen wird diese Bezeichnung verwendet, wenn es sich um die Tätigkeit von einem Organ oder Gewebe handelt (vgl. Lurija 1970, S. 40 f.; ders. 2001, S. 22 f.). Diese Definition ist jedoch bei komplexeren Vorgängen wie bei der Atmung, der Wahrnehmung oder sogar bei intellektuellen Prozessen nicht ausreichend (vgl. ebd.). Hierbei bezeichnet Funktion "die komplizierte Anpassungstätigkeit des Organismus, die auf die Bewältigung irgendeiner physiologischen oder psychologischen Aufgabe gerichtet ist" (Lurija 1970, S. 40). Eine wichtige Voraussetzung für die Gewährleistung des Gesamtvorhabens stellen die einzelnen Glieder dar, die sich auf verschiedenen Stufen des Nervensystems befinden (vgl. ebd., S. 41). Die ihnen eigene Dynamik ermöglicht die "topologische" (ebd.) Struktur des funktionellen Systems. Dabei bleiben die eigentliche Aufgabe und das Endergebnis unverändert, während die einzelnen zwischengeschalteten Komponenten bzw. die Art der praktischen Umsetzung variieren können (vgl. ebd.). Folglich handelt es sich um vielschichtige und komplexe funktionelle Systeme, deren zahlreiche Komponenten eine "plastische Variabilität (sowie) (...) die Eigenschaft der dynamischen Selbstregulation aufweisen" (ebd.). Das differenzierte Verständnis des Funktionsbegriffs wirkt sich ebenso auf die Vorstellungen hinsichtlich derer Lokalisation aus (vgl. Lurija 2001, S. 25). Während z. B. die Funktion von einem Gewebe durchaus einer bestimmten Zellgruppe zugeordnet werden kann, ist dies bei den wesentlich komplexeren Alltagshandlungen und psychischen Funktionen nicht möglich. Sie können keineswegs in streng begrenzte Hirnabschnitte bzw. in festgelegte "Zentren" (ders. 1970, S. 44) lokalisiert werden, sondern bilden "dynamische Systeme" (ebd.). Gegenwärtig wird die Tatsache, dass Funktionen gleichzeitig an mehreren Stellen des Zentralen Nervensystem vertreten sind laut Cranenburgh (2007) als "multiple Repräsentation" (ebd., S. 21) bezeichnet.

Demzufolge ist festzuhalten, dass die höheren psychischen Prozesse, die heute als neuropsychologische Funktionen bezeichnet werden, nur aufgrund der Wechselwirkung ihrer einzelnen Teile, der hochdifferenzierten Hirnstrukturen, bestehen können. Gemäß Lurija (1970) leistet jedes von ihnen seinen spezifischen Beitrag und spielt seine eigene Rolle, um das funktionelle System als "dynamisches Ganzes" (ebd., S. 53) aufrecht zu erhalten. Verschiedenste Hirnstrukturen arbeiten in unterschiedlicher Art und Weise zusammen, um die Aufgabenstellung des Gesamtsystems zu erfüllen (vgl. Pickenhain 1994, S. 43 f.).

2.3.2 Soziale Genese

Pickenhain (1994) konstatiert, dass Lurija (1970) in seinen theoretischen Ansätzen dem sozialen Faktor bei der Entwicklung von Hirnsystemen eine entscheidende Bedeutung zukommen lässt (vgl. ebd., S. 35). Dabei bezieht er sich auf die Arbeiten der kulturhistorischen Schule und ihres einflussreichsten Vertreters Wygotski (1896-1934). Deren Ziel war es laut Oerter (2002) eine Verbindung von Individuum und Gesellschaft zu belegen (vgl. ebd., S. 80). Sie sahen den "Menschen als aktiven Gestalter seiner Entwicklung, (der sich) die kulturellen Inhalte seiner Gesellschaft aneignet und damit zum Mitglied der Kultur wird" (ebd.). Lurija (2001) geht davon aus, dass sich psychische Prozesse im Verlauf der Ontogenese[1] herausbilden und sich durch die Beziehungen zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt differenzieren (vgl. ebd., S. 26; Pickenhain 1994, S. 35). Er führt weiter an, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier in eine Welt hineingeboren wird, die durch das gesellschaftliche Zusammenwirken geformt wurde (vgl. Lurija 1970, S. 49). Durch den Umgang mit Gegenständen erfahren die natürlichen Reflexe des Kindes wie das Saugen oder der Greifreflex eine entscheidende Veränderung. Es gleicht seine eigenen Bewegungen an die Eigenschaften der Gegenstände, die ihre Handhabung erforderlich machen, an (vgl. ebd.). Durch die Assimilation und "die aktive Auseinandersetzung mit der anschaulich-konkreten Situation" (Pickenhain 1994, S. 41) bilden sich neue Bewegungsmuster heraus, und die Qualitäten der Wahrnehmung werden eingeteilt (vgl. Lurija 1970, S. 49). Um diese Abläufe gewährleisten zu können, bedarf es der Zusammenarbeit von zahlreichen Rezeptoren sowie der Neubildung funktioneller Systeme (vgl. ebd.).

Ein ebenso wichtiger Faktor für die Gestaltung der psychischen Prozesse sind laut Lurija (1970) die Beziehungen zu anderen Personen und die damit in Verbindung stehende Aneignung der Sprache (vgl. ebd., S. 49 f.). Durch die Ausführung und Wiederholung verbaler Aufforderungen Erwachsener bildet das Kind schrittweise eine "neue Willkürhandlung (heraus), die mit der Zeit ein Zug seines individuellen Verhaltens wird" (ebd., S. 50). Durch das Sprechen zu sich selbst bzw. "das innere Sprechen" (Pickenhain 1994, S. 41) wird es ihm möglich, die Lebensbedingungen auf dem Niveau des Bewusstseins widerzuspiegeln, sich in der Umwelt zu orientieren, sich ihr anzupassen und sie zu verändern (vgl. ebd., S. 41/47).

Die dargestellten Erkenntnisse zeigen, dass die sozialen Erfahrungen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Menschen spielen. Alle "Funktionen des Organismus sind (...) als (selbstorganisierende, d. Verf.) Systemfunktionen" (ebd., S. 43) zu verstehen, die sich in der Auseinandersetzung, in der Interaktion bzw. in der Beziehung zur Umwelt entfalten (vgl. Pickenhain 1994, S. 43). Pickenhain (1994) bemerkt, dass schon zur damaligen Zeit dieser systemtheoretische Ansatz des "Gesamtsystems Organismus-Umwelt" (ebd., S. 40) von Lurija und seinen Mitarbeitern als entscheidend angesehen wurde.

2.3.3 Hierarchischer Aufbau

Lurija (2001) stellte fest, dass die psychische bzw. bewusste Tätigkeit des Menschen auf der Mitwirkung der drei Funktionseinheiten des Gehirns beruht (vgl. ebd., S. 39). Diese bezeichnet er "als Einheit der Steuerung von Tonus und Wachheit, als Einheit zur Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung der von der Außenwelt eintreffenden Informationen und als Einheit der Programmierung, Steuerung, Kontrolle psychischer Tätigkeit" (ebd.). Sie unterliegen einem hierarchischen Aufbau, der sich über mindestens drei kortikale Zonen erstreckt. Das primäre Feld empfängt oder sendet Impulse aus bzw. an die Peripherie. Im sekundären Feld werden die aufgenommenen Informationen verarbeitet. Die komplexen Zonen des tertiären Feldes haben sich am Schluss herausgebildet und sind für das Zustandekommen der psychischen Tätigkeit verantwortlich (vgl. ebd.).

Auch das Wirken der drei Funktionseinheiten des Gehirns kann nach Lurija (2001) nicht separiert betrachtet werden (vgl. ebd., S. 95). Sie kooperieren, wie im Kapitel 2.3.1 beschrieben, in einem systemischen Zusammenspiel. Um einen reibungsfreien Ablauf zu gewähren, übernimmt jedes Teil sowohl afferente als auch efferente Funktionen (vgl. ebd.).

Im Sinne Lurijas (1970) möchte ich noch einmal verdeutlichen, dass die "komplizierten funktionellen Systeme zusammenarbeitender Rindenzonen" (ebd., S. 52), die die Grundlage der höheren psychischen Strukturen bilden, bei der Geburt des Kindes noch nicht vollständig ausgebildet sind. Sie entwickeln sich erst im Laufe der Ontogenese durch die schrittweise Aneignung des Wissens und der Erfahrungen bestehender Generationen über die gegenständliche Tätigkeit und die Kommunikation (siehe Kap. 2.3.2) (ebd. S. 50 ff.). Während der aufeinander folgenden Entwicklungsetappen bleibt die Struktur der höheren psychischen Funktionen nicht konstant, sondern wird von "unterschiedlichen Konstellationen von Rindenzone realisiert" (ebd. S. 54). Auf den Entwicklungsstufen während der frühen Kindheit laufen "relativ einfache sensorische Prozesse" (ebd.) ab, worauf spätere Etappen aufbauen, in denen die höheren Funktionen ausgebildet werden. Nach deren Fertigstellung wird ihre Struktur durch komplexere Systeme bestimmt, die auf der Grundlage der Sprache entstanden sind (vgl. ebd.). Demzufolge geht Sacks (1994) davon aus, dass von dem Augenblick, in dem ein Kind auf die Welt kommt, sich bewegt und wahrnimmt, die hierarchische Anordnung der funktionellen Systeme beginnt (vgl. Sacks 1994, S. 122). Cranenburgh (2007) vergleicht die Entwicklung des menschlichen Gehirns mit dem Bau eines Hauses (vgl. ebd., S. 44). In der Kindheit wird der Rohbau vollzogen. Während dieser Phase ist es noch möglich Veränderungen am Grundriss oder am Baumaterial einzubringen. Es ist notwendig ein stabiles Fundament zu schaffen, sonst ergeben sich in späteren Etappen Nachteile. Im Erwachsenenalter folgt die Inneneinrichtung. Es sind feststehende Außenmauern vorhanden, aber die Inneneinteilung und die Möblierung können noch variieren (vgl. ebd.). Diese bildhafte Vorstellung zeigt, dass es immense Unterschiede zwischen dem kindlichen und dem erwachsenen Gehirn gibt. Obwohl die plastische Eigenschaft gleich ist, verläuft die Rehabilitation z. B. einer Aphasie vollkommen anders als die Entwicklung der Sprache im Kindesalter (vgl. ebd., S. 45). Demzufolge führen Hirnschädigungen laut Lurija (2001) im Kindesalter als Begleiterscheinung zu einer "unvollständige(n) Entwicklung der ihr übergeordneten höheren Strukturen" (ebd., S. 28). Da diese bei Erwachsenen bereits ausgebildet sind, beschreiben Verletzungen differenziertere Auswirkungen, die durch andere mit ihnen in Verbindung stehende Systeme ausgeglichen werden können. (vgl. ders. 1970, S. 55). Daraus folgt, dass "der Effekt der Schädigung eines bestimmten Hirnabschnittes auf den verschiedenen Entwicklungsetappen einer Funktion unterschiedlich ist" (ebd.).

2.3.4 Mittelbare Struktur

Aufbauend auf den Erkenntnissen Wygotskis (1896-1934) schließt Lurija (1970), dass die höheren psychischen Funktionen über eine "mittelbare Struktur" (ebd., S. 50) verfügen. Sie machen sich demnach bestimmte Werkzeuge oder Hilfsmittel zu Nutzen, um Aufgaben zu lösen und psychische Prozesse zu organisieren (vgl. ebd.). Als Beispiel hierfür dient der Knoten im Taschentuch oder das Aufschreiben von Notizen als Gedächtnisstütze (vgl. ders. 2001, S. 26). Auf diese Weise werden zwei Tätigkeiten aneinandergekoppelt die augenscheinlich überhaupt nichts miteinander zu tun haben (vgl. ders. 1970, S. 50 f.). Dadurch sind wir in der Lage unser Erinnerungsvermögen zu strukturieren und die naturgegebenen Möglichkeiten zu erweitern (vgl. ebd. S. 51). "Hirnregionen, die vorher unabhängig voneinander arbeiteten, (werden) zu Bestandteilen eines einzigen funktionellen Systems" (ders. 2001, S. 26 f.) zusammengefügt. Nach Lurija (1970) spielt dabei der Hilfreiz der Sprache eine besondere Rolle (vgl. ebd., S. 51). Im Moment der Betitelung eines Gegenstandes oder einer Eigenschaft wird gleichzeitig eine Verallgemeinerung vorgenommen bzw. ein Zusammenhang zu einem anderen Objekt oder einem anderen Merkmal hergestellt. Das Wort ordnet Gegenstände anhand ihrer Eigenschaften in ein "System von Beziehungen zu anderen Gegenständen" (Lurija 1970, S. 51). Es ermöglicht dem Menschen mit Abbildern zu operieren und weiter in die Umwelt einzutauchen. Durch die Sprache gelingt es dem Menschen die psychischen Prozesse neu zu organisieren und zu steuern (vgl. ebd.). Dadurch erhalten sie den "Charakter der Bewusstheit und der Willkürlichkeit" (ebd.).

2.3.5 Störungen der Funktionsweise des Gehirns aufgrund von Hirnschädigungen

Wie oben erläutert, entstehen psychische Prozesse auf der Grundlage von komplexen funktionellen Systemen. Diese wiederum fügen sich aus der Zusammenarbeit von verschiedenen Hirnabschnitten zu einem Ganzen (vgl. Lurija 2001, S. 34). Diese von Lurija (2001) stammende These wurde durch bildgebende Verfahren vollkommen bestätigt (vgl. Cranenburgh 2007, S. 24).

Er vermerkt, dass dieses System aufgrund einer lokalen Schädigung durch z. B. eine Blutung oder einen Tumor in einem Bereich gestört werden kann (Lurija 2001, S. 34/101). Da jedes Element seinen eigenen spezifischen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Gesamtsystems leistet, kann bei einem Wegfall dieser Funktion, die Arbeit der bestimmten Hirnregion nicht mehr in dem normalen bzw. gewohnten Ablauf fortgeführt werden (vgl. ebd., S. 35). Demzufolge fehlt die Voraussetzung für die regelrechte Aktivität eines funktionellen Systems (vgl. ebd., S. 101).

Durch die systemische Eigenschaft von Funktionen sowie den hierarchischen Aufbau kommt es gemäß Lurija (1970) infolge einer lokalen Hirnschädigung jedoch nie zu einem kompletten Ausfall der Funktion. (vgl. ebd., S. 47). Es tritt eine Desorganisation ein, die in einer pathologisch veränderten Funktion und nur unter gewissen Bedingungen sichtbar wird (vgl. ebd.). Die "topologische" (ebd., S. 98) Struktur verhindert den Zerfall des Systems und ermöglicht eine Reorganisation bzw. eine Umstrukturierung dieser Aktivität durch unversehrte Anteile des Gehirns zu einem neuen funktionellen System (vgl. ebd., S. 46 f./98; ders. 2001, S. 101).

Erschwerend für die Forschung und die Diagnostik kommt hinzu, dass "keine lokale Läsion so genau abgegrenzt (ist), dass durch sie nur eine eng umschriebene Gruppe von Nervenzellen zerstört würde" (ders. 2001, S. 102). Zudem werden nur sehr selten alle Nervenzellen einer Zone zerstört. Häufig funktionieren einige Teile nicht mehr, wohingegen andere intakt sind. Deren Aktivität ist jedoch durch die veränderten Umgebungsbedingungen nicht mehr dieselbe. Sie wird z. T. unterdrückt bzw. gehemmt, kann aber auch gesteigert oder erregt sein. Dadurch kommt es zu einer großen Variationsbreite an Symptomen infolge einer Hirnverletzung. Selbst wenn der gleiche Herd betroffen ist, können Auswirkungen unterschiedlicher Art auftreten (vgl. Lurija 2001, S. 102). Lurija (1970) schließt daraus, dass jede Störung einen spezifischen Charakter erhält (vgl. ebd., S. 101). Außerdem bestehen Untersuchungen die über die weitreichende Streubreite auf andere Hirnregionen berichten, die mit dem Einfluss von eng umschriebenen Herden in Verbindung steht (vgl. ders. 2001, S. 102). Das bedeutet, dass aus der Schädigung eines begrenzten Rindenabschnitts nicht nur ein Symptom, sondern häufig mehrere Störungen resultieren, die scheinbar in keinem direkten Zusammenhang zueinander stehen (vgl. ders. 1970, S. 103).

Zudem merkt Lurija (1970) an, dass im Falle einer weitreichenden Verletzung des Gehirns oder einer massiven Blutung meist ausgedehnte Komplexe von Nervenzellen zerstört werden, die einen großen Teil zur Ausführung von Funktionen beitragen (vgl. ebd., S. 108). Es kommt demnach zu einer "Desorganisation des gesamten funktionellen Systems" (ebd.), dessen Rehabilitation nur durch eine Reorganisation möglich ist. Der Ablauf wird neu geordnet, indem die notwendigen Aufgaben unter Auslassung der beeinträchtigten Elemente auf die noch funktionstüchtigen Einheiten verteilt werden (vgl. ebd.).

2.3.6 Zusammenfassende Betrachtungen

Die dargestellten Erkenntnisse der Systemstruktur der psychischen Prozesse, der dynamischen Zusammenarbeit ihrer Elemente, ihres hierarchischen Aufbaus und ihrer mittelbaren Struktur liefern Verstehensansätze für die Störungen bei Hirnschädigungen.

Cranenburgh (2007) formuliert, dass Plastizität im Sinne von "Veränderbarkeit, Verformbarkeit (und) Anpassungsfähigkeit" (ebd., S. 41) die grundlegende Eigenschaft jeder einzelnen Nervenzelle bis hin zum gesamten Nervensystem und zum Hirngewebe bildet (vgl. ebd.). Neurale Systeme verfügen unabhängig von ihrer Lage und ihrer Funktion über die gleiche plastische Qualität (vgl. ebd., S. 51). Rijntjes (2006) vermerkt, dass bildgebende Verfahren beweisen, dass auch das Gehirn von Erwachsenen die Fähigkeit zur Plastizität besitzt (vgl. ebd., S. VIII). Das heißt, dass es auf sich verändernde Bedingungen, die von Außen oder Innen einwirken, adäquat sowie lösungsorientiert reagiert (vgl. ebd.). In diesem Sinne findet infolge einer Hirnschädigung wie nach einem Schädelhirntrauma oder einem Schlaganfall eine Reorganisation der miteinander in Verbindung stehenden Regionen statt, die darauf ausgerichtet ist eine Optimierung sowie eine Anpassung an die neue Situation zu erzielen (vgl. ebd.; Cranenburgh 2007, S. 44). Aufträge werden neu verteilt. Intakt gebliebenes Gewebe übernimmt nun die Aufgaben von zerstörten Anteilen (vgl. Cranenburgh 2007, S. X). Auf diese Weise kann laut Cranenburgh (2007) durch eine adäquate Förderung bzw. Rehabilitation eine Verlagerung von Funktionen zustande kommen. Dies machen Beispiele aus der Praxis anschaulich. Zum Beispiel wurde nach einer erfolgreichen Rehabilitation das Sprachzentrum bei Aphasikern in der anderen Gehirnhälfte angesiedelt (vgl. Cranenburgh 2007, S. X). Daraus folgt, dass der menschlichen Organismus zu jeder Zeit bereit ist, sich zu entwickeln, zu lernen und sich infolge von Verletzungen zu regenerieren (vgl. ebd., S. 41.).

Lurijas Theorien bezüglich der Plastizität sowie seine Forschung auf dem Gebiet der erworbenen Hirnschädigungen sind bis heute grundlegend für die neurologische Rehabilitation (vgl. Cranenburgh 2007, S. 18). Nach Zieger (2004) überwindet er den "biologisch-organismischen" (ebd., S. 207) bzw. den "rein veterinär-medizinischen Ansatz" (Sacks 1995, S. 217) und stellt den einzelnen Menschen als lebendes und aktives Wesen in den Mittelpunkt seiner neuropsychologischen Überlegungen. Auf diese Weise avanciert die Person vom bloßen Objekt der Wissenschaft zu einem Subjekt, das sowohl konkret und genau als auch ganzheitlich und biopsychosozial betrachtet wird (vgl. Zieger 1994, S. 207). Sacks (1991) merkt an, dass seine soziale Sicht als Weiterentwicklung der Werke von Wygotski (1896-1934) anzusehen ist (vgl. ebd., S. 8). Diese wird durch die Auffassung gestützt, dass die geistigen Funktionen des Gehirns nie ausschließlich von biologischen Faktoren bestimmt werden, sondern immer aus Erfahrungen, Interaktionen sowie aus der Kultur des Individuums resultieren (vgl. ebd.). Aus diesem Grund ist es nicht effizient die Fähigkeiten des Menschen als "Einzelphänomene" (ebd.) zu betrachten. Sie können lediglich "im Zusammenhang mit den gestaltenden Einflüssen des Lebens (...) untersucht und verstanden werden" (ebd.). Lurija (1970) erlangt durch seine Auffassungen von der Aktivität des Gehirns und den psychischen Funktionen sowie von der Überarbeitung des Funktionsbegriffs neue Verstehensansätze, die einen "therapeutischen Optimismus" (Greitemann 2004, S. 18) zulassen (vgl. Sacks 1991, S. 8).

Im Gegensatz zur "alten Neurologie" (ebd.) werden dadurch "defektologische und reduktionistische Ansätze" (Zieger 1994, S. 212) überwunden und Wege eröffnet, die es zulassen, Einfluss zu nehmen und Verbesserungen anzustreben sowie Interventionen als gewinnbringend anzusehen (vgl. Sacks 1991, S. 8). Lurija (1970) misst dem Rehabilitationsprozess eine große Bedeutung zu. Zieger (1994) berichtet, dass er ihn u. a. mit den Worten "neuer Weg, (...) Reorganisation, Neuaufbau von Tätigkeiten und (...) Wiederherstellung der Integrität des Organismus von Hirnverletzten bezeichnet" (ebd., S. 223). Im Rahmen seiner "Defektologie" stehen laut Sacks (1994) "nicht Defekte und Ausfälle (...) im Mittelpunkt der Forschung, sondern unversehrt gebliebene Funktionsbestände und die Verwendung dieser Reste für die Entwicklung von Ersatzleistungen" (Sacks 1994, S. 121). Es gilt diese vorhandenen, individuell verschiedenen Fähigkeiten zu entdecken und zu nutzen (vgl. Cranenburgh 2007, S. 22).

2.4 Folgen von Hirnschädigungen

Zur Thematik dieses Kapitels möchte ich durch ein Zitat einer 27-jährigen Frau überleiten, die von einem leichten Schädelhirntrauma betroffen ist. Dies soll einen Einblick in die Bandbreite der Folgen von Hirnschädigungen gewähren.

Als ich nach den Klinikaufenthalten in der Akut-und in der Rehabilitationsklinik endlich wieder nach Hause durfte, dachte ich: Jetzt wird alles wieder gut - es ist vorbei - du hast es geschafft! Die schlimmste Erfahrung war, dass jetzt die Probleme erst richtig losgingen. Nichts war mehr so wie früher: Am Arbeitsplatz kam ich nicht klar, meine Freunde sagten, ich sei nicht mehr die Alte. Meine Hobbies (sic!)konnte ich wegen der Hand nicht mehr ausüben. Noch nicht einmal den Haushalt konnte ich alleine bewältigen. Auch Autofahren durfte ich nicht. Ständig war ich auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. (Gauggel et al. 1998, S. 1)

Cranenburgh 2007 führt an, dass der Versuch nach Beendigung der stationären Rehabilitation in die bisher vertrauten Lebensumstände aus der Zeit vor der Hirnschädigung zurückzukehren, für die Betroffenen häufig eine Vielzahl von Problemen birgt (vgl. ebd., S. 12). Der Schonraum der Klinik, der über eine Betreuung durch Fachpersonal, eine durch Verständnis geprägte Atmosphäre und einen strukturierten Tagesablauf verfügt, ist nicht mit dem eigenständigen Leben im häuslichen Umfeld zu vergleichen (vgl. ebd.). Häufig werden die Betroffenen relativ unvorbereitet mit Schwierigkeiten konfrontiert, die die Bewältigung des Alltags mit sich bringt.

Eine Schädigung des Gehirns, egal ob sie lokale oder umfangreiche Bezirke betrifft, umfasst laut Rijntjes (2006) weit mehr als nur den begrenzten Ausfall einer Körperfunktion (vgl. ebd., S. VIII). Die Variationsbreite der Störungsbilder, die in ihrem Ausmaß der Mannigfaltigkeit des Gehirns und seiner Funktionen entspricht, wird in zahlreichen Fachbüchern in detaillierten Auflistungen und Beschreibungen dargestellt. Dazu wären u. a. Cranenburgh (2007), Goldenberg et al. (2002), Prosiegel und Böttger (2007) sowie Sturm, Herrmann und Wallesch (2000) zu nennen. In diesem Abschnitt soll lediglich ein Einblick in mögliche Beeinträchtigungen gegeben werden, der nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. In erster Linie soll ein Exkurs in die Welt der Betroffenen unternommen werden, der die Bedeutung der Folgen für das Individuum und seine künftige Lebensgestaltung verdeutlicht. Eine Hirnschädigung und die daraus resultierenden Folgen bedingen in einer Vielzahl der Fälle tief greifende Einschnitte in die verschiedensten Bereiche des menschlichen Seins.

Wie das Beispiel zeigt, kommt es infolge einer Verletzung des Gehirns nicht zwangsläufig zu Problemen, die für die Außenwelt im ersten Moment sichtbar sind, wie es häufig bei motorischen Einschränkungen durch schlaffe oder spastische Lähmungen der Fall ist. Gemäß FRAGILE Suisse (2007) weist jedoch fast jeder Betroffene, der einer Rehabilitation bedarf, neuropsychologische Beeinträchtigungen auf, die auch als "Werkzeugstörungen" (Pschyrembel 1994, S. 1661) bezeichnet werden (vgl. FRAGILE Suisse 2007, S. 29). Dadurch werden die Betroffenen um die adäquaten Werkzeuge bzw. um die Möglichkeit gebracht, ihre eigentlich vorhandenen Fähigkeiten im gewohnten und bekannten Stil umzusetzen. Pössl (1996) gibt an, dass Einschränkungen auf diesem Gebiet vorwiegend eine Auswirkung auf "die kognitiven Leistungen (Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Lernen, Planen), die Wahrnehmungsfunktionen, den sensomotorischen Bereich (Fortbewegung, Handfunktion, Gleichgewichtssinn) und die kommunikativen Fertigkeiten (Sprachverständnis, Sprachproduktion, Sprechen)" (ebd., S. 9) haben. Daraus lassen sich Symptombezeichnungen u. a. wie Apraxie[2], Aphasie[3], Agnosie[4] und Akalkulie[5] ableiten (vgl. Pschyrembel 1994, S. 1661). Häufig sind dabei mehrere Bereiche gleichzeitig betroffen (Pössl 1996, S. 9). Trotz vielfältiger Verfahren und Methoden auf dem Gebiet der Neuropsychologie ist laut Pössl (1996) "eine vollständige Wiederherstellung des prämorbiden Leistungsniveaus oder eine Heilung im üblichen Sinne derzeit nicht erreichbar" (ebd., S. 9).

Infolge einer Schädigung der höheren Hirngebiete kommt es nach der Aussage von Jantzen (1994) zu Veränderungen in der Beziehung zwischen dem Mensch und der Welt, die sich in einem Verlust von sozialen Kontakten manifestieren und sich nachhaltig auf die Lebensqualität des Einzelnen auswirken (vgl. ebd., S. 139 f.). Glozman (2004) führt dazu aus, dass die Einschränkungen im zwischenmenschlichen Bereich und die damit verbundene Verhinderung des alltäglichen Beziehungsaustauschs für die Betroffenen eine weitaus größere Belastung als die Beschränkung der physischen Fähigkeiten darstellen (vgl. ebd., S. 75). Das komplette soziale Umfeld wie Familie, Freunde, Schule und Beruf erfährt einen umfassenden Wandel. Jantzen (1994) beschreibt diesen Zustand als "Bedingung der Isolation" (ebd., S. 139).

Als Folge der Veränderung der sozialen Situation, des Verlustes grundlegender Fertigkeiten und die daraus resultierende Beschränkung in verschiedenen Lebensbereichen oder auch durch die Schädigung des zentralen Organs selbst bzw. durch prämorbide Erkrankungen kann es zu psychischen Auffälligkeiten, Anpassungsproblemen bis hin zu einem Wandel der Persönlichkeit kommen (vgl. Pössl 1996, S. 10/14). Dazu zählen Symptome wie "Antriebs-und Ausdauermangel, Unsicherheit, Unzufriedenheit, Energielosigkeit, Apathie, sozialer Rückzug, gesteigerte oder verminderte Sexualität, Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Aggressivität, mangelnde Affektkontrolle, Angst und Depression" (Hämmerling, Ludwig & Wendel 2008, S. 224) sowie Interessenverlust und hypochondrische Tendenzen (vgl. Pössl 1996, S. 10). Zudem werden auch psychovegetative Beschwerden angegeben wie Kopfschmerzen und Schwindelzustände, "aber auch paranoide Symptome und eine unzureichende Einsichtsfähigkeit oder -bereitschaft in die Defizite und deren Folgen (vgl. ebd.). Erschwerend wirkt laut Cranenburgh (2007), dass die Gesellschaft nicht auf den Umgang mit diesen Verhaltensauffälligkeiten eingestellt ist (vgl. ebd., S. 12). Des Weiteren bestehen häufig Fehldeutungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Symptomen, die nach einer Hirnschädigung auftreten können. In diesem Sinne gibt Pössl (1996) an, dass sog. unsichtbare Behinderungen, die mit kognitiven Einschränkungen einhergehen z. B. als verminderter Wille bzw. als herabgesetzte Anstrengungsbereitschaft interpretiert werden (vgl. ebd., S. 114). Die Betroffenen werden mit der Enttäuschung ihres Gegenübers konfrontiert, nicht mehr verlässlich zu sein. Ebenso werden vor allem junge Menschen mit Gangstörungen als Betrunkene verkannt. Beeinträchtigungen des Sprachvermögens werden häufig mit Denkstörungen gleichgesetzt (vgl. ebd.). Doch Hirnverletzung heißt nicht, "geistig gestört oder geistig krank zu sein" (Gessler, M., Bryand, M., Daucourt, H., Eichenberger, S., Gerber, E., Hofer, W., Jotti, M., Khan, Z., Koller, T., Müller, M., Nussbaumer, J., Steiner, M. T., Thomann, H., Wessel Saue & D., Mani, M. 1998/2004, S. 10).

Heubrock und Petermann (1997) konstatieren, dass die beschriebenen Beeinträchtigungen für die Betroffenen häufig Barrieren darstellen, die den Weg der Wiedereingliederung in Familie und Beruf erschweren oder sogar verhindern (vgl. ebd., S. 446). Wie sich das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Menschen und der Arbeit darstellt und ob allein die Beeinträchtigungen als hinderliche Faktoren für einen beruflichen Neuanfang verantwortlich gemacht werden können, soll im dritten Kapitel ergründet werden.



[1] Ontogenese: "Entwicklung eines Individuums von der Zygote zu einem differenzierten Organismus" (Pschyrembel 1994, S. 1104)

[2] Apraxie: "Störung von Handlungen oder Bewegungsabläufen und Unfähigkeit, Gegenstände bei erhaltener Bewegungsfähigkeit, Motilität und Wahrnehmung sinnvoll zu verwenden" (Pschyrembel 1994, S. 97)

[3] Aphasie: "zentrale Sprachstörung nach (weitgehend) abgeschlossener Sprachentwicklung" (ebd., S. 92)

[4] Agnosie: "Störung des Erkennens, die nicht durch Demenz, Aphasie oder Störung der elementaren Wahrnehmung verursacht ist" (ebd., S. 26)

[5] Akalkulie: "Rechenschwäche" (ebd., S. 28)

3. Der Stellenwert der Arbeit im unteilbaren Gefüge von Mensch und Umwelt

3.1 Die ökosystemische Entwicklung nach Bronfenbrenner

Im Kapitel 2.3.2 wurde in Anlehnung an Lurija (1970) erörtert, dass sich das Kind durch die Auseinandersetzung mit seiner Umwelt Wissen aneignet. Bronfenbrenner (1989) erweitert diese These. In seiner Theorie zur "Ökologie der menschlichen Entwicklung" vertritt er die Annahme eines wechselseitigen Einflusses, der zum einen von dem Mensch auf seine Umwelt und zum anderen von der Umwelt auf den Mensch ausgeübt wird. Entwicklung definiert er als "dauerhafte Veränderung der Art und Weise, wie die Person die Umwelt wahrnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt" (ebd., S. 19). Das Individuum befindet sich demnach in einem ständigen reziproken Austausch mit den Lebensbereichen, die es umgeben und die seine Entwicklung in einer unterschiedlichen Intensität beeinflussen (vgl. ebd.). Diese unterschiedlichen strukturgebenden ineinander verschachtelten Milieus bezeichnet Bronfenbrenner (1989) als Systeme. Da sich die einzelnen Bestandteile innerhalb eines Systems wechselseitig beeinflussen, wirkt sich eine Veränderung eines Elements ebenso auf alle weiteren aus (vgl. Oerter 2002, S. 75).

Bronfenbrenner (1989) erstellt eine Einteilung in vier verschiedene Systeme, die anhand der Direktheit des Verhältnisses von Individuum und Umwelt vollzogen wird. Zudem ist jeder Lebensbereich umfassender als der Vorausgegangene (vgl. Oerter 2002, S. 76). Folgendes Modell skizziert dies:

Abb. 2: Das Modell der "Ökologie der menschlichen Entwicklung" in Anlehnung an Urie Bronfenbrenner (© Göpfert, M.-K. 2009)

Die Person mit ihren bio-psycho-sozialen Gegebenheiten gilt als kleinste Einheit und befindet sich im Zentrum der umliegenden Systeme. Unmittelbar wird sie vom Mikrosystem umgeben, in dem sie lebt und das direkt auf sie einwirkt (vgl. Bronfenbrenner 1989, S. 23). In diesem Lebensbereich erlebt das Individuum "ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen" (ebd., S. 38). Die Wechselbeziehungen vollziehen sich z. B. anhand von Interaktion innerhalb der Familie, dem Freundeskreis, dem Bereich der Freizeit, der Schule und der Arbeit oder anderen sozialen Gruppierungen. Hierbei sind die "physikalischen und materiellen Bedingungen" (Oerter 2002, S. 76) zu beachten, die die Entwicklung der Person beeinflussen. Das Mesosystem resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Mikrosysteme. Im Speziellen ist damit die wechselseitige Einflussnahme der Lebensbereiche gemeint, in denen das Subjekt aktiv beteiligt ist (vgl. Bronfenbrenner 1989, S. 41). Dies kann zum Beispiel die Beziehung zwischen Familie, Arbeit und Bekanntenkreis darstellen (vgl. ebd.). Das Exosystem umfasst einen oder mehrere Lebensbereiche, an denen die Person nicht selbst mitwirkt und unmittelbar beteiligt ist. Die darin stattfindenden Ereignisse beeinflussen jedoch indirekt das Milieu, in dem sie lebt oder werden umgekehrt von ihr beeinflusst (vgl. ebd., S. 42). Als Beispiel hierfür können der Arbeitsplatz (der Eltern) für Jugendliche, die noch nicht im arbeitsfähigen Alter sind oder die Agentur für Arbeit ein Exosystem darstellen (vgl. Oerter 2002, S. 76). Bei der Begrifflichkeit Makrosystem besteht eine grundsätzliche Ähnlichkeit betreffend der Form und des Inhalts mit den bereits beschriebenen Systemen, die sich auf niedrigeren Stufen vollziehen (vgl. Bronfenbrenner 1989, S. 42). Ihre Existenz ist auf die gesamte Kultur sowie die Subkultur in weitestgehender Übereinstimmung festgeschrieben (vgl. ebd.). Dieser Ordnung liegen Ideologien und Weltanschauungen zugrunde. Das Makrosystem findet sich in großen Teilen unserer heutigen Gesellschaft wieder, zum Beispiel in individuellen Lebensstilen, in Bräuchen, aber auch im Werte- und Normensystem (vgl. Oerter 2002, S. 76). In der gegenständlichen Betrachtung sind hierfür u. a. das Bildungswesen, die Marktwirtschaft, die Kirche und politische Parteien anzuführen.

Auf das Chronosystem, das später den Überlegungen Bronfenbrenners (1989) zugefügt wurde, werde ich nicht näher eingehen, da es für die Erörterung der Thematik nicht relevant erscheint.

Im Rahmen der beruflichen (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung spielt das ökosystemische Modell für verschiedene Schwerpunkte eine gewichtige Rolle. Hauptsächlich wird dadurch das Auge für eine ganzheitliche Sichtweise geschärft, die lehrt, dass das Individuum und seine Umwelt in einer ständigen Wechselwirkung zueinander stehen. Es ist nicht erlaubt die Person ohne die Einbettung in den jeweiligen Lebenskontext zu betrachten.

Infolge einer Verletzung des Gehirns wandelt sich das Zusammenspiel der Systeme meist grundlegend. Auf der einen Seite kommt es zu Veränderungen der Persönlichkeit, die auf die umgebenden Systeme wirken und eine Umgestaltungen der Beziehungen herbeiführen. Andererseits können die Reaktionen der Umwelt auf den plötzlich beeinträchtigten Menschen zu einer Neuorientierung in seiner Lebenseinstellung führen. Auf diese Weise können die einzelnen Systeme zum einen dazu beitragen, dass die Person in ihrer Entwicklung gehemmt und ‚verbesondert' wird, auf der anderen Seite können sie jedoch auch unterstützend und förderlich wirken.

Pössl (1996) thematisiert verschiedene Bereiche, die durch den Blick auf die Beeinträchtigungen nicht außer Acht gelassen werden sollten. Er berichtet, dass es innerhalb der Familie zu einem Rollenwechsel kommen kann, der u. a. mit einer Abhängigkeit vom Partner oder den Eltern sowie einem Autoritätsverlust bei den eigenen Kindern einhergeht (vgl. ebd., S. 116). Häufig ziehen sich frühere Freunde und Bekannte zurück. Der Verlust der Arbeit und die Einschränkungen im Freizeitbereich bedingen eine weitere soziale Isolation. Das bedeutet, dass auf der Ebene der Mikrosysteme in bestimmten Fällen nur die Familie bestehen bleibt. Gauggel et al. (1998) fügen bei, dass die Betroffenen auf die Unterstützung ihrer Angehörigen angewiesen sind, um den Alltag und das Leben im häuslichen Milieu überhaupt meistern zu können (vgl. ebd., S. 135). Die Familie stellt für sie nicht nur einen Garanten für emotionale Zuwendung, sondern auch eine Hilfe für die Interaktion mit der Öffentlichkeit z. B. durch die Abnahme von Behördengängen dar (vgl. ebd.). Auf diese Weise avanciert laut Glozman (2004) die Stellung der Familie im ökosystemischen Modell vom Mikrosystem zu einer höheren Ordnung (vgl. ebd., S. 81).

Zur (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbsarbeit tragen mehrere bedingende Instanzen bei, die eher dem Exo- oder Makrosystem zuzuordnen sind. Dazu sind u. a. die Leistungen der Kostenträger, der Agentur für Arbeit, des Integrationsfachdienstes sowie die rechtlichen Grundlagen zu zählen. Einen weiteren Einfluss nehmen die allgemeine Lage des Arbeitsmarktes und die Situation von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit und Gesellschaft. Im Folgenden soll die Bedeutung der Arbeit unter dem ökosystemischen Blickwinkel genauer betrachtet werden.

3.2 Systemökologische Aspekte der Arbeit

Jantzen (1986) definiert den Begriff der Arbeit als "ewige Naturnotwendigkeit, Stoffwechsel des Menschen mit der Natur wie realer Grund seiner Vermittlung mit der Gesellschaft als aktiver und gestaltender Teilhabe am Prozeß (sic!) der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion" (Jantzen 1986, S. 15). Eine Erläuterung für diese Aussage birgt das Kapitel 2.3.2, in dem beschrieben wurde, dass sich das Individuum das Wissen der Gesellschaft bzw. das kulturelle Erbe aneignet sowie das Kapitel 3.1 das besagt, dass dies in einem wechselseitigen Austausch mit der Umwelt geschieht. Jantzen (1986) äußert in Anlehnung an Wygotski (1978), dass sich das Kind bereits im frühen Alter von 6 Monaten Gegenständen zuwendet und beginnt diese zu manipulieren (vgl. Wygotski 1978, zitiert nach Jantzen 1986, S. 40). Damit werden die ersten Bezüge zur Arbeitstätigkeit und zum Gebrauch von Werkzeugen geknüpft (vgl. ebd.). In Bezug auf Saporoshez und Elkonin (1974) bemerkt Jantzen (1986) weiterhin, dass die tatsächliche Entwicklung der Arbeitsfähigkeit im Vorschulalter bedingt durch die Anforderungen des Umfeldes wie Eltern und Erzieher stattfindet (vgl. Saporoshez & Elkonin 1974, zitiert nach Jantzen 1986, S. 40). Nach und nach lernt es mit ihrer Hilfe immer schwierigere Aufgaben zu bewältigen, deren Resultat nicht nur für sein persönliches Wohlbefinden, sondern auch für seine Umwelt und das Kollektiv gewinnbringend ist (vgl. ebd.). Nach marxistischen Leitgedanken ist Arbeit u. a. somit "ein gesellschaftlicher Prozess, bei dem die Menschen in die verschiedenen Beziehungen zueinander treten" (Jantzen 1986, S. 40). Diese Definition stellt einen eindeutigen Individuum-Umwelt-Bezug im Rahmen der Bewältigung von Tätigkeiten her.

Speck (2008) richtet sich in seinen Formulierungen auf die aus diesem Verhältnis resultierenden gegenseitigen Ansprüchen. Demnach ist "Arbeit (...) eine fundamentale Äußerungsform menschlichen Lebens, ein Grundbedürfnis des Menschen, aber - normativ-anthropologisch gesehen - auch ein Auftrag an den Menschen, die Natur, ihre Kräfte und Stoffe in den Dienst der eigenen und gemeinsamen Lebensbewältigung zu nehmen" (ebd., 492). Dies bedeutet, das die Selbstverwirklichung einer Person und das Menschsein an sich nicht per se von seiner Arbeitsleistung abhängig ist. Oder wie es auch heißt, "wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben" (ebd.). Demnach wird dem Leben, seinem umfassenden Sinn und der Erfüllung des eigenen Seins eine höhere Bedeutung zugemessen als messbaren Größen wie Produktivität, Erbringung von Leistung und Ökonomie (vgl. ebd.). Der Arbeit wird in unserem Leben sozusagen nicht der zentrale Stellenwert zugewiesen, jedoch bestimmt sie einen nicht nebensächlichen Teil unseres Alltags und ermöglicht uns die "tätige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben" (ebd.).

Über die Bedeutsamkeit von Arbeit sowohl für Menschen mit einer Beeinträchtigung als auch für Gesunde wird in zahlreicher Literatur berichtet. Jantzen (1980) schreibt, dass Arbeit, seitdem sie im Evolutionsprozess existent wurde, in ihrer psychischen Struktur "in allen menschlichen Tätigkeiten, in allen menschlichen Denkprozessen wiederzufinden ist" (Jantzen 1980, S. 112). Seyfried (1990) spitzt dies zu, durch seine Aussage, dass "Arbeit als Tätigkeit (...) menschliches Leben erst ermöglicht" (ebd., S. 47). Laut den Untersuchungen von Jahoda (1995) über die Erfahrungen mit Erwerbslosigkeit kristallisierten sich folgende Aspekte heraus, die diese Thematik betrafen. Demnach steht Erwerbstätigkeit neben ihrem Zweck der Sicherung der finanziellen Existenz ebenso für eine Aktivierung in Form einer Strukturierung des Tagesablaufs, für eine Kontaktaufnahme außerhalb des familiären Umfeldes, für eine Teilhabe an kollektiven Zielvorstellungen sowie für eine Zuweisung des sozialen Status und der Klärung der persönlichen Identität (vgl. ebd., S. 136). Nach einer gewissen Zeit ohne eine regelmäßige Beschäftigung stellt sich häufig das deprimierende Gefühl ein, "nicht gebraucht zu werden" (ebd., S. 48). Der Mangel am Erleben seiner eigenen Kompetenz wirkt sich nachhaltig auf das Selbstwertgefühl aus. Kardorff und Ohlbrecht (2008) schlussfolgern, dass Erwerbsarbeit durch ihren orientierenden und bestätigenden Charakter positiv auf die psychische Gesundheit und die subjektive Bewertung des Lebens wirkt (vgl. ebd., S. 18).

Laut Speck (2008) muss Arbeit "zum ‚Wohl' und zum ‚Heil' des Menschen beitragen können" (ebd., S. 492). "Heilen" sollte nach Köhn (2003) nicht im Sinne einer Prozedur verstanden werden, die an einer Person ausgeführt wird, um Defekte zu reparieren oder sie gesund zu machen, sondern als eine umfassende Förderung, um eine größtmögliche Selbstbestimmung und -verwirklichung im sozialen Miteinander anzustreben (vgl. ebd., S. 21). Daraus ergibt sich gemäß Speck (2008) die Aufgabe, all unsere Bemühungen darauf auszurichten, Einrichtungen im Bereich der Arbeit unter Berücksichtigung von menschengerechten sowie -würdigen Aspekten zu gestalten und zu schaffen (vgl. ebd., S. 492).

In Zeiten der an kapitalistischen Grundsätzen orientierten Marktwirtschaft hat jedoch eine Verschiebung der humanitären Werte stattgefunden. Delbrück und Haupt (1996) betonen, dass die soziale Stellung eines Menschen innerhalb unserer Gesellschaft größtenteils von seiner Bereitschaft bzw. seiner Fähigkeit Leistungen zu erbringen abhängig ist (vgl. ebd., S. 20). Zudem besteht laut Stadler (1992) nahezu eine Fixierung auf den Gedanken, die Erwerbstätigkeit als hauptsächliche Bezugsquelle für Sinngebung und Identitätsfindung anzusehen (vgl. ebd., S. 161). Nach Frey (1995) wirkt Arbeitslosigkeit stigmatisierend (vgl. ebd., S. VII). Wer keine verwertbare Leistung erbringt, erwirbt keine soziale Anerkennung, büßt im Ansehen der Öffentlichkeit an Status und Prestige ein und wird am Rand der Gesellschaft platziert (vgl. ebd.; Jahoda 1995, S. 51). Durch eine chronische Erkrankung bzw. eine Behinderung kann die Möglichkeit, diesen Handlungsmaximen zu entsprechen, begrenzt werden. Aus diesem Grund werden laut der Helene-Maier-Stiftung (2008) auch Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung häufig mit sozialen Problemen konfrontiert und erleben mangelnde Wertschätzung sowie zunehmende Isolation (vgl. HMS 2008, S. 12).

3.3 Berufliche (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung

Der Erfolg einer beruflichen (Wieder-)Eingliederung steht laut Wendel (2002) in einem Zusammenhang zu der Definition von Arbeit (vgl. ebd., S. 31). Aus diesem Grund soll dieser Terminus zu Beginn dieses Kapitels näher betrachtet werden. Der Inhalt des Kapitels 2.4 lässt erahnen, dass für manche Menschen ihre gesamte Tagesarbeit darin besteht, die Aufgaben des täglichen Lebens selbstständig zu bewältigen. Für andere wiederum stellt dies lediglich die Voraussetzung dar, um einer Erwerbsarbeit nachzukommen (vgl. Schneider-Gurewitsch 1998, S. 3). Wendel (2002) gibt an, dass in der Literatur Uneinigkeit darüber besteht, ob Arbeit nur im Sinne von Erwerbstätigkeit oder auch von alternativen Beschäftigungsformen wie "Hausarbeit, die Wiederaufnahme einer Ausbildung oder ehrenamtliche Tätigkeiten" (ebd., S. 31) zu verstehen ist. Die hohe Varianz bezüglich des Erlangens der Arbeitsfähigkeit infolge einer Hirnschädigung spiegelt die Schwierigkeiten einer einheitlichen Beurteilung dieser Thematik wider (vgl. ebd.). Im Folgenden soll Bezug auf die berufliche (Wieder-)Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung genommen werden.

Gauggel et al. (1998) beziehen sich auf Untersuchungen im angloamerikanischen Raum und halten fest, dass sich der genannte Prozess häufig als schwierig und langwierig gestaltet (vgl. ebd., S. 155). Kursawe und Pössl (2002) behaupten, dass selbst wenn die Rückkehr in die Berufswelt gelingt, der eingeschlagene Kurs von den Betroffenen oft geändert wird und eher instabil ist (vgl. ebd., S. 149). Langzeitstudien bezeugen, dass häufig ein Wechsel des Arbeitsplatzes stattfindet (vgl. ebd.). Vollzeitanstellungen werden laut Gauggel et al. (1998) zu Gunsten von Beschäftigungen mit einer verringerten Arbeitszeit bzw. Gelegenheitsjobs oder unentgeltlicher Tätigkeit aufgegeben (vgl. ebd., S. 157). Zudem bestehen Schwierigkeiten seitens der Betroffenen, einen Arbeitsplatz über einen Zeitraum von länger als einem Jahr zu behalten (vgl. ebd.).

Über den Erfolg oder Nichterfolg der beruflichen Rehabilitation und den Weg zurück ins Arbeitsleben entscheiden zahlreiche sich gegenseitig bedingende Faktoren (vgl. ebd., S. 156 f.).

Auf Seiten der Betroffenen handelt es sich dabei laut Vorländer und Fischer (2000) vor allem um Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit und des Verhaltens, die auf Problemen im emotionalen, kognitiven, körperlichen, sozialen und / oder kommunikativen Bereich basieren (vgl. Vorländer & Fischer 2000, S. 322). Fries und Schwenk-Eschenlohr (2007) geben als negativ bedingende Faktoren, die aus der erworbenen Hirnschädigung resultieren, z. B. eine verminderte Belastbarkeit und Ausdauer, eine verzerrte Störungs- und Selbstwahrnehmung oder / und eine beeinträchtigte Sozialkompetenz an (vgl. ebd., S. 155). Bucher (1998) fügt zusätzlich ein herabgesetztes Arbeitstempo bzw. eine reduzierte Arbeitseffektivität bei (vgl. ebd., S. 25). Im konkreten Arbeitsalltag können Aufmerksamkeitsstörungen in Form einer verminderten Daueraufmerksamkeit oder Ablenkbarkeit sowie Antriebsarmut den Eindruck eines mangelnden Arbeitswillens und Interesselosigkeit vermitteln. Einschränkungen im Gedächtnis schlagen sich im Zuverlässigkeitsprofil eines Betroffenen nieder (vgl. ebd.). Durch Einschränkungen im Sprachverständnis oder in der Sprachproduktion können einerseits Arbeitsaufträge miss-oder überhaupt nicht verstanden werden, was zwangsläufig zu einer inadäquaten oder ausbleibenden Ausführung führt, andererseits bedeutet dies Einbusse im zwischenmenschlichen Kontakt oder eine Behinderung des Informationsaustauschs (vgl. ebd.). Ein selbstständiges Arbeiten wird meist durch Schwierigkeiten im Problemlöseverhalten beeinflusst. Dies wirkt vor allem hinderlich, wenn es sich um neue, unbekannte Arbeitsaufträge handelt (vgl. ebd.). Ebenso kommen räumlich-konstruktive Probleme gerade im handwerklichen Bereich z. B. beim vorgabegetreuen Messen oder Zuschneiden aber auch beim Lesen zum Tragen (vgl. Feldmann-Schmidt 2008, S. 102). Zudem gefährden Auffälligkeiten im Sozialverhalten, wie Distanzlosigkeit oder aggressive Tendenzen die Teamarbeit mit anderen Kollegen (vgl. Bucher 1998, S. 25).Auch hinterlassen das Erscheinungsbild der Person und die Ordnung am Arbeitsplatz, die evtl. durch eine Wahrnehmungs-und Planungsstörung nicht entsprechend sind, einen bleibenden Eindruck (vgl. ebd.). Dies soll nur eine kurze, nicht vollständige Auswahl an Faktoren sein, die die berufliche Integration von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bedingen. Meines Erachtens ist sie jedoch ausreichend, um einen Einblick in die Variationsbreite des speziellen Bedarfs dieser Personengruppe an Arbeitssituationen zu erhalten. Von Reutern (2005) weist in diesem Sinn insbesondere auf das erhöhte Unfallrisiko hin, das mit der Symptomatik einhergeht und unbedingt dahingehend berücksichtigt werden sollte (vgl. ebd., S. 190). Es dürfen z. B. keine Arbeiten auf Gerüsten oder an schnell laufenden Geräten angeboten werden. Ebenso sollte die Voraussetzung für das Führen von Kraftfahrzeugen im Vorfeld abgeklärt werden (vgl. ebd.).

Kursawe und Pössl (2002) führen weitere personenbezogene Aspekte an, die unabhängig von der Hirnschädigung bestehen und sich ebenso auf die (Wieder-)Eingliederung ins Arbeitsleben auswirken (Kursawe & Pössl 2002, S. 149). Dazu zählen u. a. das Alter der Betroffenen und ihr beruflicher Werdegang vor dem schädigenden Ereignis (vgl. ebd.). Den Erfolg oder Misserfolg der beruflichen Integration allein am Individuum zu verankern, wäre vor allem unter Beachtung der ökosystemischen Komponente nicht zulänglich und auch nicht stimmig. Wendel (2002) gibt an, dass dabei ebenso die gesamte Lebenssituation der Betroffenen sowie die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen eine entscheidende Rolle spielen (vgl. ebd., S. 40). Zudem sind laut Gauggel et al. (1998) übergreifende Faktoren wie die Situation des Unternehmens und des Arbeitsmarktes sowie Rehabilitationsmöglichkeiten ausschlaggebend (vgl. ebd., S. 158). Strukturelle Bedingungen wie Verkehrsanbindungen und Arbeitsplatzgestaltung bzw. Umstrukturierung bilden laut Fries und Schwenk-Eschenlohr (2007) den Rahmen der Möglichkeiten (vgl. ebd., S. 155).

Des Weiteren ist die Veränderungsflexibilität bzw. die Unterstützung des Arbeitgebers von Bedeutung (vgl. Wendel 2002, S 132; Fries & Schwenk-Eschenlohr 2007, S. 155). In diesem Kapitel wurde aufgezeigt, dass sich bedingende Faktoren für ein Gelingen der beruflichen (Wieder-)Eingliederung sowohl auf der Ebene der Person als auch an übergeordneten Stellen ansiedeln. Im Hinblick auf den ökosystemischen Ansatz sind Probleme weder allein beim Individuum, noch an der Umwelt festzumachen, sondern basieren auf einem Missverhältnis zwischen dem Einzelnen und dem ihn umgebenden Kontext. Wendel (2002) geht daher davon aus, dass die berufliche Eingliederung überwiegend aufgrund einer "Überforderung durch die Arbeitsinhalte bzw. (durch) mangelnde Passung zwischen (dem) Leistungs-und Anforderungsprofil" (ebd., S. 88) scheitert.

Aufgrund der Einzigartigkeit einer Hirnschädigung können laut Fries und Schwenk-Eschenlohr (2007) im Vorhinein lediglich Vermutungen über die dauerhafte Arbeitsfähigkeit geäußert werden (vgl. ebd., S. 147). Gewissheit wird erst durch eine praktische Arbeitserprobung am realen Arbeitsplatz erlangt (vgl. ebd.).

In diesem Kapitel wurden die Einflussfaktoren auf die berufliche Integration seitens der durch die Hirnschädigung entstandenen Beeinträchtigungen sowie der personenbezogenen und strukturellen Rahmenbedingungen dargestellt. Eine ebenso wichtige und nicht außer Acht zu lassende Rolle spielen in diesem Prozess die sozialrechtlichen Regelungen.

3.4 Die Regelungen des SGB IX und ihre Bedeutung für die Rehabilitation

Am 01.07.2001 trat das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit seinen Regelungen zur Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung in Kraft (vgl. Wacker, Wansing & Schäfers 2005, S. 9 f.). Seit diesem Zeitpunkt ergibt sich der Anspruch auf Rehabilitationsleistungen nicht mehr wie bis dato aus der Art und Schwere einer Erkrankung, sondern aus der dadurch verursachten Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (vgl. ebd.). Der Gesetzestext des § 4 Abs. 1 SGB IX bestimmt in diesem Sinne, Teilhabebeeinträchtigungen bzw. Benachteiligungen "zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten" (Sozialgesetzbuch 2005, S. 1093). Diese Neuerungen beruhen laut Wacker et al. (2005) auf einem internationalen Wandel des Verständnisses von Behinderung, welches sich von dem Defizitblickwinkel abwendet und auf eine Kompetenzorientierung sowie auf eine ökologische Perspektive richtet (vgl. ebd., S. 10). Diese reformierte Sichtweise findet sich in der ‚Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit' (ICF) wieder, die im Jahr 2001 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedet wurde (vgl. ebd.). Behinderung wird demnach als Beeinträchtigung der Körperstrukturen und -funktionen, der Aktivitäten sowie der Teilhabe definiert (vgl. ebd., S. 10 f.). Wie im unten abgebildeten bio-psycho-sozialen Modell von Behinderung der ICF (Abb. 3) zu erkennen ist, bedingen sich diese drei Bereiche gegenseitig bzw. beeinflussen sich wechselseitig. Zudem wirken Kontextfaktoren wie die Umwelt und die persönlichen Voraussetzungen eines Menschen fördernd oder hemmend auf die Realisierung des Lebensplans (vgl. ebd., S. 11). In diesem Sinne ist Behinderung "das Ergebnis negativer Wechselwirkungen zwischen einer Person, ihren Gesundheitspotentialen und den jeweiligen Umweltfaktoren" (ebd.). Demnach entsteht sie begrifflich aus einem Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Einzelnen, den Erwartungen der Gesellschaft und den bestehenden Umweltbedingungen.

Abb. 3: "Das bio-psycho-soziale Modell von Behinderung der ICF" (WHO 2001, zitiert nach Wacker, Wansing & Schäfers 2005, S.10)

Die überarbeitete Sichtweise auf Behinderung als soziales Konstrukt, die sich bereits aus der "Ökologie der menschlichen Entwicklung" von Bronfenbrenner (1989) ableiten lässt, wirkt sich grundlegend auf die Ziele und Aufgaben der Rehabilitation aus (vgl. Wacker et al., S. 11).

Daher sollte fortan das Hauptaugenmerk nicht auf die Kompensation von Teilhabebeeinträchtigungen durch spezielle Hilfesysteme, sondern auf die grundsätzliche Aufhebung der beschriebenen hinderlichen Wechselwirkungen gelegt werden (vgl. ebd.). Um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den individuellen Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten eines Menschen sowie den Kontextfaktoren herzustellen und auf lange Zeit zu sichern, gilt es auf der einen Seite, Barrierefreiheit im Versorgungssystem zu schaffen und auf der anderen Seite die Betroffenen in der Entwicklung oder Freilegung von Ressourcen sowie Handlungskompetenzen zu unterstützen (vgl. ebd.).

Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden gemäß §§ 33 ff. SGB IX von der Bundesagentur für Arbeit, der Unfallversicherung, der Rentenversicherung, den Trägern der Kriegsopferfürsorge, der Jugendhilfe und der Sozialhilfe erbracht (vgl. Stähler & Giraud 2005, S. 53). Sie dienen laut § 33 Abs. 1 dazu "die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen, um ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern" (Sozialgesetzbuch 2005, S. 1108). Im Konkreten stellt der Gesetzgeber laut § 33 Abs. 3 "Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen" (ebd.) zur Verfügung. Dazu zählen gemäß Abs. 8 u. a.

  • Kraftfahrzeughilfe

  • Ausgleich unvermeidbaren Verdienstausfalls

  • Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz zur Erlangung eines Arbeitsplatzes

  • Übernahme der Kosten für Hilfsmittel oder technischer Arbeitshilfen, die zur Berufsausübung erforderlich sind

  • Übernahme der Kosten der Beschaffung von Ausstattung und Erhalt einer behindertengerechten Wohnung (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 1110 f.)

Im gegebenen individuellen Fall kann der Integrationsfachdienst hinzugezogen werden, um den Betroffenen laut seiner Aufgabendefinition im § 110 SGB IX qualifiziert und fachgerecht zu beraten und zu unterstützen (vgl. Stähler & Giraud 2005, S. 53).

Zudem sind den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ebenso die in § 136 SGB IX festgeschriebenen Leistungen zum Erhalt, zur Entwicklung, zur Erhöhung oder zur Wiedergewinnung der Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit sowie der Weiterentwicklung der Persönlichkeit und durch die Werkstätten für Menschen mit Behinderung zuzuordnen (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 1162).

Fuchs (2008) bemerkt , dass im Zuge der Einführung des SGB IX Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung laut dem § 17 die Möglichkeit eröffnet wurde, ein Persönliches Budget in Anspruch zu nehmen und damit Leistungen zur Teilhabe und Rehabilitation selbstbestimmt zu nutzen (vgl. ebd., S. 42). Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Neuerschaffung einer eigenständigen Leistung, sondern um eine alternative Ausführungsform. Gemäß § 17 Absatz 2 Satz 1 wird den Betroffenen das Recht zugesichert, dass die verschiedenen gesetzlich festgeschriebenen Leistungen anstelle der bekannten Art und Weise durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden können (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 1100 f.).

Die Neuverteilung der Verantwortlichkeit wirkt nach der Aussage von Fuchs (2008) in Form einer Selbstermächtigung, die die Betroffenen zu Experten in eigener Sache avancieren lässt (vgl. ebd., S. 43). Durch die selbstbestimmte Verwaltung werden sie in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, welche Hilfe sie wann durch wen oder auf welche Weise in Anspruch nehmen wollen und sind somit nicht mehr an festgelegte Institutionen gebunden (vgl. ebd.). Stähler und Giraud (2005) geben zu Bedenken, dass sich daraus für die Leistungsträger und -erbringer eine neue Herausforderung ergibt (vgl. ebd., S. 60). Es gilt die bestehenden Strukturen so umzustellen und weiterzuentwickeln, dass sie dem individuellen Bedarf entsprechen (vgl. ebd.). Die verstärkte Ausrichtung an dem Mensch mit seinen Bedürfnissen soll laut Fuchs (2008) förderlich auf die Entstehung von noch nicht vorhandenen bedarfsgerechten sowie individualisierten Angeboten der ambulanten und wohnortnahen Versorgung wirken (vgl. ebd., S. 43).

Speziell für den Sektor der Arbeit bedeutet dies laut der Handlungsempfehlung der Bundesagentur für Arbeit zum §17 des SGB IX (2008), dass "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Antrag als Persönliches Budget auszuführen (sind)" (ebd., S. 1). Das heißt, dass alle Leistungen zur beruflichen Rehabilitation als Budget beglichen werden können. Storck (2008) bemerkt, dass lange Zeit für Menschen mit einer Behinderung, die nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden konnten meist nur die Wahl zwischen einem Leben ohne Arbeit oder der Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte bestand (vgl. ebd., S. 274). Diese Einschränkung der Wahlfreiheit könnte durch die Einführung des Persönlichen Budgets bald der Vergangenheit angehören. Welche Möglichkeiten der Integration in die Arbeitswelt aktuell zu Verfügung stehen, soll im folgenden Kapitel geklärt werden.

3.5 Möglichkeiten der beruflichen (Wieder-)Eingliederung für Menschen mit Behinderung

Gemäß den Angaben von Fries und Schwenk-Eschenlohr (2007) stellt vor allem für Menschen, die vor der Hirnschädigung erwerbstätig waren, die berufliche Wiedereingliederung ein primäres Ziel für die Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe dar (vgl. ebd., S. 144). Diese Bestrebungen werden vom Gesetzgeber z. B. durch den § 33 SGB IX unterstützt (siehe Kap. 3.4). Dessen Inhalt ist auf eine dauerhafte Eingliederung von Menschen mit einer Behinderung in das Arbeitsleben ausgerichtet (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 1108). Maier-Lenz und Lenk (2005) geben an, dass in Deutschland derzeit ein breit ausgebautes System der beruflichen Rehabilitation bzw. der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht (vgl. ebd., S. 113). Neben leistungserbringenden Organisationen, wie Berufsförderungswerk (Umschulung), Berufsbildungswerk (Erstausbildung), Werkstatt für Menschen mit Behinderung existieren integrative Modelle und Projekte wie Integrationsfachdienst und die Unterstützte Beschäftigung (vgl. ebd.; Gauggel et al. 1998, S. 159 ff.).

Der erste Schritt im Sinne einer beruflichen Integration von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die rehabilitationsbedürftig sind, stellen Maßnahmen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation dar (vgl. Gauggel 1998, S. 160). Prosiegel und Böttcher (2007) berichten, dass im Auftrag der Rehabilitationseinrichtung in der Klinik bzw. in einem externen Unternehmen ein "therapeutischer Arbeitsversuch" (ebd., S. 42) bzw. eine Belastungserprobung durchgeführt wird. Dies soll klären, ob die Voraussetzungen für eine berufliche (Wieder-)Eingliederung vorhanden sind. Dazu zählen Eignungen wie ein Maß an Merk-und Konzentrationsfähigkeit, soziale Integrationsfähigkeit, Dauerbelastbarkeit sowie berufsspezifische Fertigkeiten (vgl. ebd.; Gronwall et al. 1993, S. 123). Die daraus resultierende Empfehlung bzw. die interdisziplinäre Beurteilung entscheidet darüber, ob eine stufenweise (Wieder-)Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist. Wird eine negative Erwerbsprognose gestellt, können nach Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Leistungen wie z. B. die Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI gezahlt werden (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 638 f.). Da vom Gesetzgeber gemäß § 33 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden müssen, hat der Betroffene das Recht an einer alternativen Beschäftigungsform teilzunehmen. Derzeit stellt die WfbM in Deutschland die meist verbreitete Maßnahme bezüglich der Arbeitsangebote für Menschen mit einer Behinderung dar.

3.5.1 Spezielle Sondereinrichtungen anhand des Beispiels der Werkstatt für behinderte Menschen

Theunissen (2007) konstatiert, dass in Deutschland im Gegensatz zu einem Großteil der fortschrittlichen westlichen Länder seit vielen Jahren Sondereinrichtungen wie z. B. der WfbM eine nahezu absolute Vormachtsstellung eingeräumt werden (vgl. ebd., S. 318). Der Stand von 2006 belegt laut Schwendy (2008) hierzulande eine Arbeitnehmerzahl in Werkstätten von rund 250 000 (vgl. ebd., S. 238). Ihr ursprüngliches Anliegen ist es für Menschen mit vielfältigen Behinderungsarten, vorwiegend jedoch den geistigen Bereich betreffend, eine berufliche sowie soziale Förderung zu bieten (vgl. ebd., S. 238). Als positive Aspekte sind z. B. "die Berücksichtigung behinderungsspezifischer Schwierigkeiten, günstige bzw. schonende Arbeitsbedingungen, eine sinnvolle Tagesstrukturierung" (Vieweg 2006, S. 116) durch die Vermittlung von Beschäftigungs- und Arbeitsangeboten anzuerkennen (vgl. Schwendy 2008, S. 238).

Jedoch scheint die Weiterentwicklung der Einrichtungen mit ihrem eher absondernden und isolierenden Charakter, vor allem in Hinblick auf eine Verwirklichung von Leitlinien wie Empowerment, Integration bzw. Inklusion und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, stehen geblieben zu sein. Mögliche Anknüpfungspunkte sind nach der Aussage von Theunissen (2007) weit in die Ferne gerückt (vgl. ebd., S. 318 f.).

Laut dem Gesetzestext des SGB IX § 136 (2005) steht die WfbM für Personen zur Verfügung, die aufgrund der "Art und Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können" (ebd., S. 1162).

Somit gelten diese Einrichtungen als sog. "Auffangstationen" (Seyfried 1990, S. 25) für die Menschen, denen eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt für absehbare Zeit verwehrt bleibt. In der Gesetzgebung lautet es weiterhin, dass der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch entsprechende Maßnahmen gefördert werden sollte und somit die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nur vorbereitet, sondern auch eine Unterstützung bei der Vermittlung sowie bei der Eingliederung gewährt wird (vgl. Sozialgesetzbuch 2005, S. 1162; Theunissen 2007, S. 319). Theunissen (2007) behauptet, dass diesem Auftrag bisher jedoch nur in sehr geringem Maße Folge geleistet wurde (vgl. ebd., S. 319). Laut Vieweg (2006) beträgt die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unter ein Prozent (vgl. ebd., S. 116). Als Gründe dafür werden zum einen die schlechte wirtschaftliche Lage des Arbeitsmarktes benannt. Andererseits nimmt Theunissen (2007) an, dass auf Seiten der WfbM häufig gar nicht das Interesse besteht, v. a. die leistungsstarken Arbeitnehmer dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen und somit für ihre Belange zu verlieren (vgl. Theunissen 2007, S. 319).

Ein historischer Rückblick auf die Entwicklung von Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit einer Behinderung verweist sowohl auf bedeutende Fortschritte der Sozialpolitik, macht jedoch auch auf Problembereiche aufmerksam, die bis in die heutige Zeit fortbestehen.

Anfang der 60er Jahre entstanden aus der Initiative der Lebenshilfe die ersten ‚Beschützenden Werkstätten', die Arbeitsangebote für vornehmlich Erwachsene mit einer geistigen Behinderung bereitstellten (vgl. Kösler 1991, S. 43). Sie lösten eine Epoche ab, in der Beschäftigungsmöglichkeiten hauptsächlich in Heimen bestanden (vgl. Speck 2008, S. 491). Menschen mit einer schweren und / oder geistigen Behinderung wurden nicht länger nur als "zu pflegende und zu verwahrende Objekte angesehen, sondern es wurde anerkannt, dass sie auch gefördert werden können und müssen" (Jähnert 1998, Kap. 4.4). Wie der Name besagt, lag dem neuartigen Konzept ein "ausgeprägter Schutzcharakter" (ebd.) zugrunde, der anhand des Mediums der Arbeit eine Entfaltung der Persönlichkeit sowie eine Partizipation am gesellschaftlichen Leben anstrebte (vgl. ebd.). Im Jahre 1968 fand eine Änderung der Begrifflichkeit der ‚Beschützenden' zur ‚Geschützten Werkstatt' bzw. zur ‚Werkstatt für Behinderte' (WfB) statt, die nach und nach einen Wandel der Wertevorstellung mit sich zog. Die WfB wurden in ihrer Aufgabenstellung immer mehr an die der ‚normalen' Produktionsfirmen angepasst (vgl. Jähnert 1998, Kap. 4.6.2). 1979 folgte nach der Aussage von Jantzen (1980) die staatliche Formierung, wonach endgültig die ökonomischen Interessen sowie die betriebliche Rentabilität vorrangig behandelt wurden (vgl. ebd., S. 101 f.). Die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen mit einer Behinderung trat gegenüber der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Arbeitsleistung in den Hintergrund und wurde zwangsläufig zur "Neben-und Randaufgabe" (ebd., S. 103). Seyfried (1990) bemerkt, dass im Zuge dieser Entwicklung das Bestreben dem Erreichen einer Effizienzsteigerung galt (vgl. ebd., S.26). Dies wurde versucht durch das Errichten von großen Institutionen nach den Leitlinien der Zentralisierung umzusetzen. Darunter litt jedoch die personelle Überschaubarkeit (vgl. ebd.).

Auch heute noch bezieht sich laut Speck (2008) die zentrale Frage auf die Thematik, ob die WfbM ihre Priorität eher auf den wirtschaftlichen Standpunkt, also auf die Herstellung bzw. Fabrikation sowie auf Gewinnmaximierung und Kundenorientierung richtet, oder Aspekte der Humanität bezüglich der Erfüllung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung und ihrer individuellen personalen und sozialen Belange in den Vordergrund stellt (vgl. ebd., S. 492). Obwohl ihre Aufträge wie das Angebot der beruflichen Bildung oder die Weiterentwicklung der Persönlichkeit im SGB IX festgeschrieben sind, ist die Gewähr dieser Rechte bzw. Verpflichtung gefährdet, wenn nicht gar unmöglich (vgl. Theunissen 2007, S. 319; Sozialgesetzbuch 2005, S. 1162). Als Begründung dafür gibt Theunissen (2007) an, dass Werkstätten, um ihren eigenen Erhalt zu garantieren, auf eine effektive und kostengünstige Produktion angewiesen sind und daher die humanen Werte teilweise auf der Strecke bleiben (vgl. ebd., S. 319). Diese Ausrichtung an verwertbarer Arbeitskraft bzw. an Erbringung von Leistung schürt zudem Aussonderungs-und Diskriminierungstendenzen gegenüber Personen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf benötigen (vgl. ebd., S. 320).

Derzeit stehen Betroffene häufig vor der Entscheidung zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt, der zu wenig Schutz gewährt und der WfbM, die zu wenig Normalität bietet und durch ihr bloßes Vorhandensein eine Inklusion in das Arbeitsleben sowie in die Gesellschaft verhindert (vgl. Seyfried 1990, S. 26; Vieweg 2006, S. 117). Vieweg (2006) gibt zu bedenken, dass eine Beschäftigung in diesem Schonraum, in dem alle Belange unter einem "zentralisierten Dach" (ebd., S. 121) geregelt werden können, den Widereinstieg in das ‚normale' Leben mit der eigenständigen Organisation von Hilfen und Unterstützungen erschwert (vgl. ebd.).

3.5.2 Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt anhand der Beispiele Supported Employment bzw. Unterstützte Beschäftigung

Eine völlig andere Art der Beschäftigung für Menschen mit einer Behinderung kommt aus den USA und wird als Supported Employment bezeichnet. Dieses Konzept steht für eine seit 1984 gesetzlich verankerte Gestaltung der Arbeitswelt im Sinne der Forderungen des Normalisierungsprinzips, des Empowerments sowie teilweise der Inklusion (vgl. Theunissen 2002, S. 12). Theunissen (2007) erklärt, dass unter diesem Begriff diverse Arbeitsmodelle zusammengefasst werden, die es Menschen mit einer Behinderung ermöglichen, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen und somit am Arbeitsleben teilzuhaben (vgl. ebd., S. 304). Zudem wurden in diesem Rahmen spezielle Werkstätten geschaffen (vgl. ebd., S. 320). Dabei handelt es sich um kleine Betriebe, in denen Personen, die nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, produktiv tätig sind. Der Tätigkeitsbereich des Supported Employment umfasst sowohl vermittelnde und koordinierende Dienste als auch eine professionelle Begleitung bei der täglichen Arbeit in Form einer Arbeitsassistenz durch die sog. Job Coaches bzw. die Arbeitstrainer (vgl. ebd.; Theunissen und Plaute 1995, S. 157). Theunissen (2007) führt weiter an, dass sich die Intensität bzw. die Art und Weise der Unterstützung dabei nach den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Einzelnen sowie nach den Anforderungen und Bedingungen seiner berufsbezogenen Umwelt richtet (vgl. Theunissen 2007, S. 306). Seit einigen Jahren hat sich das Konzept des Supported Employment auch über die Grenzen der USA verbreitet (vgl. ebd.).

In Deutschland wurde es unter der Bezeichnung Unterstützte Beschäftigung aufgenommen und im Rahmen von beruflichen bzw. betrieblichen Integrationsprojekten umgesetzt (vgl. ebd., S. 310). Seit dem 22.12.2008 ist die Unterstützte Beschäftigung im § 38a des SGB IX gesetzlich verankert (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2009). Doose (1997) merkt an, dass dieser assistierende Dienst im Gegensatz zu den USA "nicht als grundlegende Veränderung, sondern als Ergänzung des Systems der beruflichen Rehabilitation diskutiert (wird), das unbeabsichtigt entstandene Lücken zwischen Werkstätten und dem allgemeinen Arbeitsmarkt schließen soll" (ebd., Kap. 19).

Auf diese Weise wird die seit dem 01.07.2001 im SGB IX festgeschriebene Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Arbeitsassistenz (§ 33 Abs. 8, § 102 Abs. 4) ergänzt (vgl. Theunissen 2007, S. 306). Hierbei handelt es sich nach Maier-Lenz und Lenk (2005) um eine "kontinuierliche (...) Unterstützung am konkreten Arbeitsplatz" (ebd., S. 112) für Menschen mit Behinderung, die darauf gerichtet ist, "eine Hilfestellung bei der Arbeitsausführung" zu gewähren. Nicht (mehr) vorhandene Fähigkeiten bzw. zu erbringende Leistungen werden durch die assistierende Hilfe ausgeglichen. Als Beispiele hierfür sind das Lesen für Blinde, die Übersetzung der Lautsprache für Gehörlose oder Transportdienste bei körperlichen Beeinträchtigungen zu nennen.

Zudem bestand bereits eine gesetzliche Regelung zur Tätigkeit von Integrationsfachdiensten (§§ 109 ff.). Diese können je nach individuellem Bedarf "schwerbehinderter Menschen (...) (an der) Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer möglichst dauerhaften Beschäftigung beteiligt werden" (Sozialgesetzbuch 2005, S. 1153). Im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung können sie u. a. als Träger fungieren (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2009, S. 1).

Einen wesentlichen Beitrag zur Bekanntmachung der Unterstützten Beschäftigung leisten Schartmann (1995) und Doose (1997). In ihren Aussagen stimmen sie laut Theunissen (2007) zum positiven Verdienst des Supported Employment in Bezug auf die Möglichkeit einer bezahlten sowie regulären Anstellung von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überein (vgl. ebd., S. 310). Zugleich weisen sie jedoch auf das Risiko einer "bloßen Platzierung" (ebd.) hin. Die berufliche (Wieder-)Eingliederung sollte stets in einer umfassenderen Sichtweise "als ein Beitrag zu Selbstverwirklichung durch Arbeit, zur beruflichen Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentfaltung verstanden werden" (Theunissen 2007, S. 310). In diesem Sinne entspricht sie der Forderung des Empowerment-Konzepts, das später noch diskutiert werden soll. In der Anlehnung an das Supported Employment werden folgende Unterstützungsphasen unterschieden (vgl. ebd.):

  • individuelle Beratung und Berufsplanung: Erstellung eines Fähigkeits-und Interessenprofils gemeinsam mit dem Betroffenen, persönliche Zukunftsplanung

  • Arbeitsplatz(er)findung: Arbeitsplatzsuche, Arbeitsplatzanalyse, Anpassung des Arbeitsplatzes

  • Qualifizierung am Arbeitsplatz: Einarbeitung im neuen Arbeitsumfeld, gezielte Qualifizierung (Arbeitstraining, job coaching, Beratung des Betriebes, Unterstützung durch Mentoren, ...)

  • Nachsorge: Krisenintervention, punktuelle Kontakte oder längerfristige Begleitung) (Theunissen 2007, S. 311 f.)

Theunissen (2007) bekräftigt, dass sich die Maßnahmen sowohl an den Bedürfnissen des einzelnen Menschen mit Beeinträchtigung, als auch an den Erwartungen und Interessen des Arbeitgebers bzw. Unternehmens orientieren sollten, um eine gewinnbringende Realisierung zu garantieren (vgl. ebd., S. 312). Ebenso besteht möglicherweise auf Seiten der übrigen Arbeitskollegen Unwissenheit oder ein Mangel an Erfahrungen im Umgang mit Behinderungen. Da die Qualität der zwischenmenschlichen Kontakte und das damit in Verbindung stehende Gefühl des Angenommenseins sowie der gegenseitigen Wertschätzung sich maßgeblich auf das Wohlbefinden sowie auf die Stabilität des Arbeitsverhältnisses auswirken, sollte eine Zusammenarbeit bzw. eine Sensibilisierung der gesamten Belegschaft angestrebt werden (vgl. ebd.). Der Schwerpunkt der beruflichen Integration liegt demzufolge nicht nur auf der physischen Eingliederung, sondern ebenso auf dem Schaffen von sozialer Akzeptanz im Sinne einer "inklusiven Arbeitskultur" (ebd.). Als weiteres Erfolgskriterium in diesem Sinne wird die Einbeziehung bzw. die Zusammenarbeit mit dem sozialen Kontext des Betroffenen aufgeführt. Theunissen (2007) erachtet es als wichtig, begleitend zum Arbeitsprozess Weiterbildungen anzubieten, in denen sich Menschen mit Behinderungen Kompetenzen in verschiedenen Bereichen, z. B. auf der fachlichen, der methodischen, der sozialen oder der persönlichen Ebene, aneignen können (vgl. ebd., S. 313). Dieser Zugewinn trägt seiner Meinung nach zu einer verbesserten Handlungsfähigkeit bei, die wiederum eine Entwicklung der gesamten Persönlichkeit bedingt (vgl. ebd.).

Im Hinblick auf den Prozess Unterstützte Beschäftigung konstatiert Böhringer (2005) zusammenfassend: "Mit Unterstützungsstrukturen platzieren, dort qualifizieren (‚training on the job') und anschließend bedarfsgerecht begleiten, lautet das erfolgreich erprobte Konzept zur beruflichen und sozialen Eingliederung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen." (Böhringer 2005, Kap. 6). Dadurch erhöhen sich nicht nur ihre Chancen, sondern auch die Dauer der Beschäftigung (vgl. Vorländer & Fischer 2000, S. 340).

Nach den Angaben von Feldmann-Schmidt (2008) wird in Deutschland das Modell Unterstützte Beschäftigung bis jetzt kaum umgesetzt, obwohl es in Amerika sehr erfolgreich ist und vor allem bei Menschen mit schwereren Beeinträchtigungen zu Wiedereingliederungsquoten von 50 bis 70 % führt (vgl. ebd., S. 101). Die Notwendigkeit einer Umsetzung dieser begleitenden Beschäftigung auch hierzulande geht aus den Zahlen von Vorländer und Fischer (2000) hervor, die sich auf ebenfalls 50 bis 70% der Betroffenen einer Hirnverletzung berufen, "die über herkömmliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht eingliederbar waren" (ebd., S. 337).

Zudem erscheinen Programme wie die Unterstützte Beschäftigung aus dem wirtschaftlichen Blickwinkel attraktiv. Vorländer und Fischer (2000) beziehen sich auf Arbeiten der Hamburger Arbeitsassistenz (1997), in denen über das damit in Verbindung stehende Einsparungspotential berichtet wird (vgl. Vorländer & Fischer 2000, S. 341). Wirtschaftliche Faktoren sollten auch in dem Sektor der Rehabilitation und Pflege von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, in dem laut Siegel (2008) jährliche Kosten von 1,4 Milliarden Euro anfallen, Beachtung finden (ebd., S. 149).

Im dritten Kapitel wurde der Bedarf an Arbeit u. a. unter systemökologischen Aspekten betrachtet. Zudem wurde die aktuelle Situation von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bezüglich der beruflichen (Wieder-)Eingliederung skizziert sowie die bestehenden sozialrechtlichen Regelungen geklärt. Abschließend wurden Möglichkeiten diskutiert, insbesondere die WfbM und das Supported Employment bzw. die Unterstützte Beschäftigung, die in Anspruch genommen werden können, falls die Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres durchführbar ist. Im vierten Kapitel sollen nun Prinzipien in der pädagogischen Arbeit mit Betroffenen vorgestellt werden, die sich an ethischen Gesichtspunkten ausrichten. Da für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung momentan keine speziellen Empfehlungen vorliegen, richte ich mich nach bestehenden Konzepten, die sich in der Behindertenarbeit bewährt haben.

4. Leitgedanken zur Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen unter dem Aspekt der Ethik

Der Umgang miteinander wie auch die heilpädagogische Begleitung von Menschen mit einer Behinderung, die infolge einer Hirnschädigung erworben werden kann, sollte sich nach ethischen Gesichtspunkten ausrichten. Dies bedeutet gemäß Siegel (2008) in Verantwortung für den Anderen zu handeln, in diesem Sinne über die Lebensgestaltung und -führung unter menschenwürdigen Bedingungen nachzudenken und seine Bestrebungen auf die Erarbeitung von allgemeingültigen Werten und Normen zu richten (vgl. ebd., S. 146). Um eine bedürfnisorientierte bzw. bedarfsgerechte Lösung zu praktizieren, ist es von enormer Bedeutung die Betroffenen in die gesellschaftliche Diskussion einzubeziehen und unser Handeln nach ihren Prämissen auszurichten (vgl. ebd.).

Jantzen (1998) stellt jedoch fest, dass sich die realen Umstände konträr zu den beschriebenen Forderungen verhalten. Nach ihm ist eine "(b)ehinderte Entwicklung (...) (eine) Entwicklung in der Isolation" (ebd., S. 130). Auf der einen Seite stellt schon allein die Erkrankung oder die plötzlich eintretende Behinderung und ihre Folgen eine isolierende Bedingung im Leben der Betroffenen dar. Wygotski (1975) schreibt: " Ein Mangel des Auges oder des Ohrs bedeutet (...) vor allem den Ausfall wichtiger sozialer Funktionen, die völlige Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen (...)" (ebd., zitiert nach Siebert 2004, S. 33). Die Betroffenen sind laut Jantzen (1998) meist nicht in der Lage ihre sozialen Kontakte im gewohnten Ausmaß aufrechtzuerhalten (vgl. ebd., S. 130). Daher kommt es zu einer Beeinträchtigung im "Austausch mit der Welt" (ebd.). Dieser ist jedoch für die Gesamtentwicklung unabdingbar und sollte daher in diesen Situationen intensiviert werden (vgl. ebd.). Doch die heutige Gesellschaft gestaltet den Alltag durch zusätzliche Ausgrenzungsprozesse, die wiederum eine weiterführende soziale und emotionale Isolation bedingen (vgl. Seyfried 1990, S. 43). Zum Beispiel werden Betroffene in Sondereinrichtungen untergebracht, in denen sie im Sinne des medizinischen Modells als kranke und schwache Menschen angesehen werden, denen ein außenstehender Experte helfen und sie behandeln muss (vgl. Jantzen 1998, S. 130). Um dem entgegenzuwirken, bedarf es tief greifender Veränderungen, die aus der Perspektive der Betroffenen bzw. gemeinsam mit ihnen geplant werden und sich im Sinne einer Humanisierung vollziehen(vgl. ebd., S. 130 f.).

Im Folgenden soll ein Einblick in das Normalisierungsprinzip, das Konzept des Empowerment sowie auf die Bewegung der Integration bzw. der Inklusion gewährt werden. Die daraus resultierenden Leitgedanken stellen Handlungsmaximen der heilpädagogischen Arbeit dar. Die ethischen Grundsätze sollten eine reelle Umsetzung im gesamten sozialen und gesellschaftlichen Leben finden.

4.1 Das Normalisierungsprinzip - veränderte Sichtweisen und Schaffen von Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Leben

Im Jahr 1959 wurden gemäß den Angaben von Thimm (1979) in Skandinavien die ersten Stimmen gegen die unwürdigen Lebensbedingungen von Menschen mit einer geistigen Behinderung laut (vgl. ebd., S. 19 f.). Diese lebten häufig in Großeinrichtungen, die nahezu gänzlich von der Umwelt separiert waren. Der Däne Bank-Mikkelsen (1959) stellte, resultierend aus dem Wunsch einer radikalen Veränderung, die ersten schriftlichen Überlegungen auf, die als Grundlage für eine Neuordnung des Fürsorgesystems für Menschen mit einer geistigen Behinderung galten (vgl. ebd.). Nach ihm bedeutet "Normalisierung (...) den geistig Behinderten ein so normales Leben wie möglich zu gestatten" (Bank-Mikkelsen 1959, zitiert nach Thimm 1979, S. 14).

Diese so schlicht und selbstverständlich anmutende Aussage skizziert die Anfänge des Normalisierungsprinzips, das bei einer konsequenten Umsetzung zu einem vollkommenen Wandel im Umgang der Gesellschaft mit den Betreffenden führt.

Der Schwede Nirje (1969) stellte dieses Konzept 10 Jahre später in der Fachliteratur vor und erweiterte es im Sinne eines Leitbildes für die "medizinische, pädagogische, psychologische, soziale und politische Tätigkeit" (Thimm 1979, S. 21). Dazu beschreibt er acht konkrete Forderungen, die sich aus dem Normalisierungsgedanken ableiten und darauf ausgerichtet sind, die Bedingungen bzw. Gegebenheiten des täglichen Lebens für jeden Menschen, egal ob behindert oder nicht, zugänglich zu machen (vgl. ebd., S. 20 f.). Dazu zählen:

  • Normaler Tagesrhythmus

  • Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen

  • Normaler Jahresrhythmus

  • Normaler Lebenslauf

  • Respektierung von Bedürfnissen

  • Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern

  • Normaler wirtschaftlicher Standard

  • Standards von Einrichtungen

(ebd., S. 21)

Das Normalisierungsprinzip ist ein Konzept, das aufgrund der Missstände, die in der realen Umwelt vorlagen, geschaffen wurde (vgl. ebd., S. 22). Im Umkehrschluss stellt auch die praktische Umsetzung einen Prozess dar, der sich auf verschiedenen Ebenen dieser Umwelt widerspiegelt. In diesem Kontext müssen getreu dem Motto ‚Regionalisierung statt Zentralisierung' stationäre Großeinrichtungen den ambulanten, wohnortnahen Hilfsangeboten bzw. kleineren halbstationären Lebensräumen weichen. Neben der Überarbeitung von Institutionskonzeptionen bedarf es Veränderungen der Betreuungssituation bis hin zur Sozialpolitik. Dabei dürfen nicht länger die Defekte, sondern müssen die Entwicklungsmöglichkeiten unter weitestgehend normalen Bedingungen im Vordergrund stehen (vgl. Thimm 1979, S. 22).

Im Jahre 1972 versucht der Deutsch-Amerikaner Wolfensberger das Normalisierungsprinzip zu systematisieren bzw. zu präzisieren (vgl. ebd., S. 20). Die deutsche Übersetzung seiner Formulierungen lautet : "Anwendung von Mitteln, die der kulturellen Norm soweit wie möglich entsprechen, mit der Absicht, persönliche Verhaltensweisen und Merkmale zu entwickeln bzw. zu erhalten, die den kulturellen Normen so weit wie möglich entsprechen" (ebd., S. 24). Im Unterschied zu Bank-Mikkelsen und Nirje betont Wolfensberger, dass sich der Prozess der Normalisierung auf bestimmte Mittel zur Begleitung bzw. zur Förderung von Menschen mit Behinderung ebenso wie auf ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen bezieht (vgl. ebd., S. 25). Dieser Appell einer "Normalisierung des Behinderten" (ebd.) bedarf einer Erläuterung, da Ansätze für eine Fehlinterpretation im Sinne eines "Normalmachens" (ebd., S. 10) und einer vollkommenen Anpassung der Betreffenden an gesellschaftliche Normen und Erwartungen nahe liegt. Die Normalisierung soll jedoch nicht " (...) im Sinne der unkritischen Anpassung an gesellschaftliche Standards des alltäglichen Lebens und Verhaltens" (Thimm, v. Ferber, Schiller & Wedekind 1985, zitiert nach Mohr 2004, S. 37) sowie einhergehend mit einem Verlust an Persönlichkeit und Identität erfolgen, sondern sie strebt eine Aufwertung der Rolle des betroffenen Menschen innerhalb der Gesellschaft an.

Nach Wolfensberger (1972) ist Normalisierung nur im Zusammenhang mit Integration möglich (vgl. Thimm 1979, S. 25). Je eher und umfassender Menschen mit Behinderung in das gesellschaftliche Miteinander sowohl physisch als auch sozial eingegliedert werden, umso leichter gestaltet sich die Annahme der Person mit ihren individuellen Erscheinungs- und Verhaltensweisen. Thimm (1979) bezieht sich auf Goffman (1967) und schreibt: "Identität ist nur zu erreichen, indem biografische Einmaligkeit (persönliche Identität) und So-Sein-Wie-Andere (soziale Identität) immer wieder ausbalanciert werden" (ebd., S. 25). Integration lebt aus einem Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft. Auf beiden Seiten vollziehen sich im Verlauf dieses Prozesses Veränderungen, die ihre Beziehungen zueinander normalisieren (vgl. ebd.). Des Weiteren eröffnet Wolfensberger den Blick auf die Ebene der Interpretation. Das bedeutet, dass sich Normalisierung nicht nur auf die Interaktion mit Menschen mit einer Behinderung bezieht, sondern ebenso auf die Art und Weise, in der sie "‚nach außen' dargestellt (...) (und) wie sie der Umwelt symbolisch repräsentiert werden" (Thimm 1979, S. 26).

In Deutschland wurde das Normalisierungsprinzip in den 70er Jahren von Thimm (1979) ins Gespräch gebracht. Nach seiner Auffassung ergeben sich aus den Grundsätzen der Normalisierung die folgenden organisatorischen Konsequenzen:

Deinstitutionalisierung, Dezentralisierung und Regionalisierung des Hilfesystems. Eine kommunale Ausrichtung der Hilfen für Behinderte ist bezogen auf eine konkrete Wohnbevölkerung (eine Kommune, einen Stadtteil). Sie orientiert sich an anschaulichen Beziehungsgruppen und deren spezifischen Bedürfnissen. Das professionelle Handeln ist zunehmend auf gemeindenahe, integrierte, flexible Servicesysteme ausgerichtet, die an den allgemeinen Sozialbeziehungen (oder sozialen Netzwerken) von Klienten anknüpfen und nicht primär auf zentralisierte (Sonder-) Einrichtungen. Und schließlich: Normalisierung der Lebensbedingungen setzt die umfassende und verantwortliche Beteiligung der Adressaten in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Hilfesystems voraus (Thimm 1992, S. 210 f.) (Abb. 4).

Abb. 4: "Perspektiven der Normalisierung" (Thimm 1992, S. 211)

Speziell für den Bereich der Arbeit schließt Wallner (1974) aus diesen Forderungen, dass zunächst jeder Mensch unabhängig von der Schwere der Behinderung ein Recht auf eine angemessene Beschäftigung bzw. auf eine Arbeit hat (vgl. ebd., S. 37). Bank-Mikkelsen (1978) tritt zudem dafür ein, dass jedem, egal ob gesund oder behindert, als Ausgleich zur erbrachten Leistung, ein entsprechendes Entgelt zusteht (vgl. ebd., S. 56). Ergebnisorientierte Produktivität wirkt sich nachhaltig auf die Persönlichkeitsentwicklung aus (vgl. ebd.). Daher sollten laut Wallner (1974) die Aufgaben an die Fähigkeiten des Einzelnen angepasst sein und von ihm als sinngebend empfunden werden (vgl. ebd., S. 40). Getreu dem Prinzip von Nirje (1969) sollte eine Trennung der Bereich Arbeit, Freizeit und Wohnen stattfinden. Dies bedeutet, dass der Arbeitsplatz ein abgegrenztes Milieu darstellt und zum Wohnbereich einen gewissen Abstand sowie eine Veränderung der Umwelt gewährt (vgl. Wallner 1974, S. 40).

Da eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit nicht in jedem Fall umsetzbar ist, sollte die Möglichkeit der Beschäftigung in einer WfbM bzw. einer anderen sinnvollen Tätigkeit angeboten werden (vgl. ebd., S. 37).

Laut dem Niedersächsischen Sozialministerium (1993) heißt es, dass "jeder Mensch die Freiheit (hat), über sich und seine Lebensumstände zu entscheiden" (vgl. ebd., S. 199). Dies schließt u. a. die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl ein. Freies Handeln, das dem Normalisierungsprinzip entspricht, kann jedoch nur umgesetzt werden, wenn in allen Lebensbereichen mehrere Alternativen bzw. Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, "die alle Menschen uneingeschränkt erreichen und nutzen können" (ebd., S. 200). Jähnert (1998) ruft in diesem Zusammenhang dazu auf, dass "behinderten Menschen, die keinen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden haben, nicht länger nur die WfB (sic!)" (ebd., Kap. 1) angeboten werden kann. Er räumt ein, dass die Bereitstellung einer Vielzahl von Möglichkeiten der beruflichen Integration höchstwahrscheinlich kostenintensiv ist und keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen. Als Lösung für diese Problematik schlägt er eine Umverteilung der Gelder und eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe vor. Er schreibt weiter:

Das dann zusätzlich zur Verfügung stehende Geld muss ausschließlich zur Finanzierung der notwendigen Alternativen eingesetzt werden, und zwar solange, bis diese den gleichen Standard erreicht haben wie die WfB(sic!). (...) Denn Wahlfreiheit setzt nicht nur die Wahlmöglichkeiten voraus, sondern muss auch sicherstellen, dass die zur Wahl stehenden Projekte gleiche Chancen haben. Das heißt, dass z. B. Eingliederungsprojekte pro Person die gleichen finanziellen Möglichkeiten und Vorteile erhalten, wie sie den WfB (sic!) jetzt schon zur Verfügung stehen. (ebd.)

Rückblickend kann für den Bereich der Arbeit festgehalten werden, dass gemäß dem Normalisierungsprinzip jeder Mensch das Recht auf einen Arbeitsplatz oder eine entsprechende Beschäftigung hat. Dies sollte sich unter ‚normalen' Bedingungen vollziehen. Dazu zählen u. a. eine Trennung von Wohn-und Arbeitsraum sowie eine gerechte Entlohnung. Zudem sollten mehrere Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, aus denen sich der Einzelne für die Tätigkeit entscheidet, die seinen Fähigkeiten entspricht und die für ihn individuell bedeutsam bzw. sinngebend ist.

4.2 Empowerment - ein Wegweiser für die Praxis des Miteinanders

Laut Theunissen (2007) hat sich Empowerment zu einem "der wichtigsten Konzepte der Arbeit mit behinderten Menschen" (ebd., S. 9) entwickelt. Derzeit ist es in den Bereichen der Pädagogik und Sozialen Arbeit sowie der Gemeindepsychologie und dem Gesundheitswesen fest verankert (vgl. Theunissen 2007, S. 9).

Die Begrifflichkeit wurde erstmalig in den USA im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen des Schwarzen Amerikas sowie mit der lateinamerikanischen Befreiungstheorie und den Kampagnen zur "kritischen Bewusstseinsbildung" geprägt (vgl. ebd., S. 27 f.). Nach diesem Vorbild gab es in den letzten Jahren in den verschiedensten Ländern zahlreiche Bewegungen, Initiativen, Kampagnen und Projekte sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, die sich unter der Zielsetzung des Empowerments für "die Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten, Benachteiligung und Ungleichheiten durch die (politische) Durchsetzung einer größtmöglichen Kontrolle und Verfügung über die eigenen Lebensumstände (einsetzten)" (Theunissen & Plaute 1995, S. 11)

Theunissen und Plaute (1995) berichten, dass diese Entwicklung im rehabilitativen Bereich vor ca. 35 Jahren ihren Anfang nahm (vgl. ebd., S. 15). Als bedeutende Beispiele aus den USA sind hierfür die Independent Living Movement und Self-Advocacy Movement zu nennen, "deren Verdienste in Bezug auf Anerkennung von Menschen- und Bürgerrechten, Unterstützung von Selbstbestimmung, gesellschaftliche Integration und Partizipationsmöglichkeiten behinderter Menschen unstrittig sind" (Theunissen 2007, S. 29).

Im Deutschen könnte dem Begriff ‚Empowerment' dem Wortlaut nach eine Bedeutung wie ‚Selbst-Bemächtigung', ‚Selbst-Ermächtigung' oder ‚Selbstbefähigung' zugeordnet werden. Doch laut Theunissen (2007) verbirgt sich dahinter viel mehr als eine bloße Übersetzung zu leisten vermag. Er berichtet, dass dies gleichzeitig der Ausdruck für "eine Philosophie, theoretische Annahme und Leitidee wie aber auch (für) Prozesse, Programme, Konzepte oder Ansätze (darstellt)" (ebd., S. 23).

Im sozialen Sektor und der Behindertenhilfe hat die Empowerment-Bewegung zu einem tief greifenden Wandel sowie zu einer Neuorientierung des professionellen Handelns geführt (vgl. ebd.).

Die Idee der Selbst-Ermächtigung geht grundsätzlich mit der Zielsetzung der selbstbestimmten Gestaltung und Bewältigung des alltäglichen Lebens sowie einer Ausrichtung an seinen eigenen Bedürfnissen einher (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 12). Die Basis dafür bildet das Vertrauen in die vorhandenen Stärken und die sog. Selbstheilungskräfte, die jedem Einzelnen innewohnen (vgl. Theunissen 2007, S. 23 f.). In dem Prozess des Strebens nach Autonomie gilt es gemäß Theunissen und Plaute (1995) sich seiner Fähigkeiten bewusst zu werden, seine individuellen Ressourcen zu nutzen und mit eigenen Kräften für die Verwirklichung seiner Wünsche und Vorstellungen einzutreten (vgl. ebd., S. 12). Da die menschliche Entwicklung an "Selbstbestimmung in sozialer Bezogenheit" (ebd.) gekoppelt ist, wirkt sich der Aspekt der weitestgehend autonomen Lebensführung maßgeblich auf die psychische Gesundheit aus (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 12).

Diese Auffassungen bedingten nicht nur eine Abwendung von dem bis dahin bestehenden Fürsorgeprinzip und medizinischen Modell, in dem der ursprünglich als Experte betrachtete Beistand die alleinige Entscheidungsgewalt trug und der Betroffene als Mängelwesen oder Patient im Licht von Defiziten, Unfähigkeit und Hilflosigkeit betrachtet wurde, für den entweder zu handeln oder zu sorgen sei oder der durch diverse Therapien im Sinne einer Wiederherstellung und Anpassung an gesellschaftliche Normen verobjektiviert wurde (vgl. ebd. S. 11 ff.). Theunissen (2002) mutmaßt, dass das Paradigma der Institutionalisierung eine Unterbringung bzw. Zusammengruppierung von Menschen mit Behinderungen in Sondereinrichtungen befürwortete, da sie aufgrund der "irreparablen Schädigungen" (ebd., S. 1) in diesen spezialisierten und isolierenden Einrichtungen am besten "aufgehoben" (ebd.) seien und nach den damaligen Ansichten ihren Bedürfnissen am besten entsprochen werden könne. Im Zuge des Empowerment fand ein Perspektivwechsel statt, durch den der Betroffene zum kompetenten "Experten in eigener Sache" (Theunissen & Plaute 1995, S. 11) bzw. zum "Akteur seiner eigenen Entwicklung" (ebd., S. 18) wird und der professionelle Helfer im Sinne einer "ressourcenorientierten Assistenz" (ebd., S. 13) handelt. In diesem Sinne kommt es zu einer unterstützenden, kooperativen Zusammenarbeit, in der der Begleiter seinem Gegenüber im Prozess der Selbstermächtigung zur Seite steht und ihm einen eigenständig organisierten Alltag ermöglicht (vgl. Theunissen 2007, S. 28; Theunissen & Plaute 1995, S. 13). Nicht zuletzt aufgrund von eventuell bestehenden kognitiven Einschränkungen seitens des Betroffenen sollten sich die beiden Parteien in einer authentischen und dialogischen Beziehung begegnen, die von Akzeptanz und Wertschätzung geprägt ist und eine gegenseitige Verantwortung für das Gegenüber einschließt (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 69). Zieger (1994) führt dazu das von Martin Buber (1984) begründete dialogische Prinzip an, in dessen Rahmen es zwischen dem "Ich" und dem "Du" zu einer gemeinsamen Begegnung kommt (vgl. ebd., S. 239). Die Partner erleben miteinander und entdecken sich in ihrem Menschsein (vgl. ebd., S. 223/239).

Die pädagogische Arbeit im Sinne des Empowerment-Konzepts richtet sich flexibel an subjektiven Bedürfnissen des einzelnen Menschen aus, knüpft an seinem aktuellen Entwicklungsstand an und bewegt sich mit den Worten von Wygotski (1977) im Horizont der "Zone der nächsten Entwicklung" (ebd., S. 237). Da sich jeder Mensch vom anderen durch seine eigene Lebensgeschichte, die sich aus individuellen Voraussetzungen, Sozialisationserfahrungen sowie aus dem spezifischen sozialen und gesellschaftlichen Kontext zusammensetzt, unterscheidet, kann nur eine subjektzentrierte Vorgehensweise als sinnvoll erachtet werden (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 65). Die allgegenwärtige Zielsetzung der Selbstbestimmung kann auf den verschiedensten Ebenen ihre Verwirklichung finden. Wichtig ist, dass das individuelle Konzept vom Betroffenen aus, gemeinsam mit ihm und für ihn entwickelt wird (vgl. ebd., S. 66).

Gerade bei Menschen, die an den Folgen einer Hirnschädigung leiden, ist eine individuelle Anpassung der Maßnahmen sowie eine personenbezogene Begleitung und Förderung von enormer Bedeutung. Neben den Unterschieden in Charakter und Einstellungen erscheint jede Hirnschädigung, aufgrund der Komplexität des Aufbaus und der Funktionen des Gehirns, einzigartig (vgl. Rijntjes 2006, S. VIII). Cranenburgh (2007) bemerkt, dass in der Praxis immer wieder zu beobachten ist, dass sich Erholungsverläufe von Betroffenen, die analoge Hirnverletzungen aufweisen, voneinander unterscheiden (vgl. ebd., S. 230). Daher ist im Prozess der Rehabilitation die Verwendung von ‚Allheilmethoden' bzw. ‚Patentrezepten' unzulässig. Als Handlungsmaxime sollten Ansätze dienen, die alle Facetten einer Persönlichkeit berücksichtigen, das Einzigartige und Unverwechselbare des menschlichen Seins respektieren und auf die individuellen Fähigkeiten abgestimmt sind (vgl. ebd., S. 246).

Bezug nehmend auf die "Ökologie der menschlichen Entwicklung" von Bronfenbrenner (1989) wird der Begriff der Ganzheit bzw. Ganzheitlichkeit ins Spiel gebracht. Demnach wird laut der Angabe von Theunissen und Plaute (1995) im Empowerment die individuumzentrierte durch eine bio-psycho-soziale Problemsicht ersetzt (vgl. ebd., S. 12). Lebens-weltliche Zusammenhänge, subjektive Erfahrungen und Lebensereignisse sowie die realen Lebensbedingungen nehmen im Verständnis von Behinderung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung ein, da persönliche Merkmale und individuelle Beeinträchtigungen stets in einer sich gegenseitig bedingenden Wechselbeziehung zu ihrer Umwelt stehen und auch so verstanden werden sollten (vgl. ebd., S. 12 f./18).

Cranenburgh (2007) konstatiert, dass infolge einer Hirnschädigung das biopsychosoziale Gleichgewicht eines Menschen, der im Normalfall gleichzeitig auf allen drei Ebenen funktioniert, empfindlich gestört wird (vgl. ebd., S. 368). Zudem kommt es, wie im Kapitel 3.1 beschrieben, häufig zu einem grundlegenden Wandel im Zusammenspiel der Systeme. Wenn sich das Verhältnis der Systeme untereinander oder in Bezug zu den Entwicklungsmöglichkeiten und Bedürfnissen des Einzelnen in einer Disharmonie befindet, kann dies gemäß Theunissen und Plaute (1995) eine negative Rückwirkung auf die Identität zur Folge haben, die sich u. a. in Einschränkungen der Selbstbestimmung niederschlagen können (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 69). Neben autonomiehemmenden Faktoren können im Lebensumfeld jedoch auch förderliche Umstände verborgen sein (vgl. ebd.).

Sie führen weiter an, dass ein "(pädagogischer) Erfolg nur dann erwartet werden kann, wenn sich das lebensweltliche System mitverändert" (ebd., S. 63). Demnach strebt Empowerment eine lebensweltorientierte Behindertenarbeit an, die darauf bezogen ist, Ressourcen des Individuums sowie des sozialen Unterstützungssystems bzw. des gesellschaftlichen Kontextes aufzuspüren und nutzbar zu machen (vgl. ebd., S. 17 f./63).

Jantzen (1998) bezeichnet die verstehende Diagnostik, die das Subjekt in seiner individuellen Geschichte und in seinem Kontext zu begreifen versucht, als Voraussetzung, um einen Menschen in seiner Ganzheit wahrzunehmen, ihn in seiner Eigenart zu verstehen und herauszufinden, warum er so ist wie er ist (vgl. ebd., S. 131). Theunissen (2005) fügt bei, dass der Begleiter nur mit Hilfe einer Rehistorisierung im Sinne einer Rekonstruktion der Lebensgeschichte sowie der aktuellen Ereignisse und der Bedeutung für das Individuum in der Lage ist, Verstehensansätze für Verhaltens- sowie Erlebensweisen und deren subjektiven Sinn zu gewinnen (vgl. ebd., S. 63 f.). Des Weiteren gelingt es ihm auf diese Art und Weise individuelle Bewältigungsformen sowie Bedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten und Ressourcen des Einzelnen aufzuspüren (vgl. ebd., S.64).

Im Sinne einer zeitgemäßen und humanen Behindertenarbeit, wie sie durch das Konzept des Empowerment vorgeschlagen wird, kann zusammenfassend mit den Worten von Theunissen und Plaute (1995) konstatiert werden, dass

im Einvernehmen und in Kooperation mit Betroffenen ein bedürfnis-und bedarfsgerechtes Netzwerk rehabilitativer Systeme entwickelt und aufgebaut werden (soll), das die Behindertenhilfe nicht mehr an traditionelle, separierende (heilpädagogische) Institutionen oder Wohlfahrtsverbände in Monopolstellung überantwortet, sondern, dass vor Ort, in der vertrauten Lebenswelt, ein bürgernahes, flexibles, mobiles, integrationsförderndes und autonomiesicherndes Rehabilitationsangebot sicherstellen kann. (Theunissen & Plaute 1995, S. 16)

Das Fazit für die Heilpädagogik bezüglich des Empowerment bezieht sich auf eine Unterstützung zur Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung sowie auf eine Teilhabe in eigener Regie, die darauf bedacht ist durch die zunehmende Selbstermächtigung der Betroffenen immer weniger in Anspruch genommen werden zu müssen (vgl. ebd., S. 19).

Die Umsetzung der Leitgedanken des Empowerment auf der Ebene der Arbeitswelt stellt jedoch im Vergleich zur Gestaltung des Bereichs Wohnen eine immense Herausforderung dar, da auf diesem Sektor Faktoren wie Wirtschaftlichkeit, Konkurrenz und Leistungsdruck dominieren und humane Bestrebungen eher in den Hintergrund treten (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 154 f.).

Integrativen Projekten wird der eindeutige Vorrang gewährt, da diese reale Arbeitsbedingungen als Ausgangspunkt setzen und somit ein ‚natürliches' bzw. ‚normales' Lernen ermöglichen, das die Grundlage für ein selbstbestimmtes und sinnerfülltes Dasein bildet (vgl. ebd., S. 19/159).

4.3 Zusammenfassende Betrachtungen unter dem Gesichtspunkt der Integration bzw. Inklusion

Zu Beginn dieses Kapitels bedarf es, ohne in die endlose Debatte der Differenzierung und Bewertung von Integration und Inklusion einzusteigen, einer Begriffsbestimmung. So verwende ich die Bezeichnung ‚Inklusion' im Sinne von Theunissen (2007), nach dem dies

ein Ansatz (ist), der von Lebenswelten (Familie, Kindergarten, Schule, Stadtbezirken, Wohnsiedlungen, Arbeitsstätten ...) ausgeht, in denen alle Menschen, mit oder ohne Behinderung, willkommen sind und die so ausgestaltet sein sollten, dass jeder darin, mit oder ohne Unterstützung, sich zurechtfinden, kommunizieren und interagieren, kurzum sich wohlfühlen kann. (ebd., S. 31)

Demnach wird Menschen mit Behinderung eine "uneingeschränkte gesellschaftliche Zugehörigkeit" (ebd.) sowie das Recht auf adäquate Unterstützung zur aktiven gesellschaftlichen Partizipation anerkannt (vgl. ders. 2002, S. 6). Als Umkehrschluss steht Integration gemäß Vieweg (2006) für eine Eingliederung durch verschiedene Maßnahmen, wenn das dargestellte Bedingungsgeflecht nicht von Beginn an garantiert ist und im Vorfeld eine Ausgliederung bzw. eine Segregation wider der Inklusion stattgefunden hat (vgl. ebd., S. 121).

Der Themenbereich Integration bzw. Inklusion soll in der Ausarbeitung in Form einer kritischen Betrachtung aufgenommen werden, da sich die Forschungsfrage auf die Personengruppe bezieht, bei der eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt momentan nicht möglich ist. Zudem wurde bereits bei der Darstellung des Normalisierungsprinzips und des Empowerments auf Aspekte der Integration bzw. Inklusion eingegangen. Die Konzepte bedingen sich gegenseitig und sind teilweise voneinander abhängig. Daher ist eine genaue Abgrenzung kaum möglich.

Nach der Aussage von Theunissen (2002) wurde das Normalisierungsprinzip in Deutschland in seinem ursprünglichen Bestreben vielerorts missverstanden und die Entwicklung tendierte weniger zu einer Auflösung von Großeinrichtungen als zu einer Humanisierung der Lebensbedingungen innerhalb dieser Institutionen (vgl. Theunissen 2002, S. 2). Dennoch hat es zu einer Veränderung im Verständnis von Menschen mit Behinderung geführt, das nun nicht mehr allein die Person mit ihrer Schädigung umfasst, sondern ebenso problematische Bedingungen wie institutionelle Barrieren oder gesellschaftliche Benachteiligung, die hinderlich auf die individuelle Entwicklung wirken können, in die Betrachtung einschließt (vgl. ebd.). In diesem Zuge traten Integrationsbestrebungen in Gang, die sich für eine Öffnung der sog. ‚normalen' gesellschaftlichen Einrichtungen für alle Menschen einsetzten. Die Bemühungen erzielten in Deutschland vor allem im schulischen Bereich Erfolge, die jedoch bislang noch längst nicht zufriedenstellend sind (vgl. ebd., S. 3). Auf dem Gebiet des Wohnens und in der Arbeitswelt von Menschen mit Beeinträchtigungen lastet die Institutionalisierung schwer nach (vgl. ebd.). Wogegen der Sektor des Wohnens in der Ausrichtung der Angebote unter den Leitmotiven Dezentralisierung und Ambulantisierung fortschrittlich vor dem Sektor der Arbeit steht, der laut Vater und Aselmeier (2009) von dieser Entwicklung bislang kaum erfasst wurde (vgl. ebd., S. 75).

Nach Seyfried (1990) steht eine umfassende Integration in einem engen Zusammenhang mit dem "grundlegenden Gefühl emotionaler Aufgehobenheit" (ebd., S. 56). Von diesem Gedanken ausgehend bezweifelt er, ob derartige Bindungen in anonymen Großeinrichtungen entstehen können. Aus seiner Sicht wären kleinere überschaubare Anlagen, die ein stetiges menschliches Miteinander gewähren, prädestiniert dafür (vgl. ebd.). Im Rahmen der beruflichen Integration sollten Menschen mit einer Behinderung zudem als Arbeitnehmer anerkannt werden, dessen sozialer Status sich an der Tatsache seiner produktiven Tätigkeit und nicht an seinen Beeinträchtigungen festmacht. Eine derartige Einordnung wirkt sich entscheidend auf die Geltung innerhalb der Gesellschaft sowie auf das eigene Selbstwertgefühl aus (vgl. ebd.). Des Weiteren fehlt es derzeit noch an adäquaten Lösungen bezüglich der Entgeltzahlung. Einerseits sollten diese einem ausgewogenen Verhältnis zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und der Höhe des Einkommens unterliegen. Andererseits sollte sich daraus auch keine Art der Bestrafung für eine möglicherweise behinderungsbedingte Minderleistung ergeben. Es muss ein gerechtfertigter und entsprechender Ausgleich geschaffen werden (vgl. ebd.).

Vieweg (2006) bemerkt, dass Arbeit unter dem Aspekt der Erwerbstätigkeit und der Höhe des Einkommens in gewisser Weise als "Schlüssel für soziale Inklusion" (ebd., S. 119) sowie als Voraussetzung für Chancengleichheit betrachtet werden kann (vgl. ebd., S. 119/122). Häufig bestimmt dies über den Grad der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, da ein Gro der Eingliederungshilfeleistungen wie Hilfsmittel, ein behindertengerechter Wohnraum und ein Kraftfahrzeug eng daran gekoppelt sind. Somit bedingt nicht nur Behinderung, sondern auch Arbeitslosigkeit oder ein Einkommen, das auf ein Existenzminimum beschränkt ist und lediglich die Grundsicherung abdeckt, wie es bei einer Beschäftigung in einer WfbM der Fall ist, vielschichtige Momente der sozialen Exklusion (vgl. Vieweg 2006, S. 117 ff.). Eine Lösung hierfür wäre eine Inklusion in Arbeit im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. ebd., S. 119).

Seyfried (1990) betont, dass das Ziel der beruflichen Integration nicht allein darin bestehen sollte Menschen mit einer Behinderung durch bestimmte Maßnahmen an die Bedingungen der Arbeitswelt anzupassen (vgl. ebd., S. 27). Ebenso ist eine Modifizierung und Umgestaltung der Umwelt mit einer Ausrichtung an den Bedürfnissen und den Leistungsmöglichkeiten der Betroffenen notwendig. Das Streben nach Normalität sollte stets mit einem "flexiblen Schutz" (ebd.) und der Berücksichtigung der Grenzen, die sowohl aus der Umwelt als auch aus der Behinderung resultieren können, verbunden sein (vgl. ebd.).

Gerade diese Schutzfunktion scheint mir in der gegenwärtigen Arbeitswelt schwer umsetzbar zu sein. In diesem Punkt kommt es meiner Meinung nach zu einem extremen Gegensatz zwischen den ethischen Grundsätzen und den momentan bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen, was eine unbedingte Integration von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt als fraglich erscheinen lässt. Auf der einen Seite richten sich die Bestrebungen des Normalisierungsprinzips und des Empowerments nach bedarfsgerechten Hilfen und größtmöglicher Autonomie des Einzelnen. Demgegenüber stehen ökonomische Prämissen, Wirtschaftlichkeit und Leistungsgedanke. Die Bedürfnisse des Individuums treten dabei gelegentlich in den Hintergrund. Von Arbeitnehmern ohne Behinderung kann diesem Anspruch unter erhöhtem Aufwand meist über längere Zeit Stand gehalten werden. Menschen mit einer Beeinträchtigung sind jedoch in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt und benötigen Unterstützung in Form von Assistenz, um wenigstens annähernd mit dem geforderten Pensum mithalten und sich mit der Leistung der Kollegen messen zu können. Seyfried (1990) bemerkt Bezug nehmend auf diesen Sachverhalt, dass für Betroffene nur wenig Aussichten auf Integration bestehen, wenn die "menschliche Anerkennung an das Erbringen einer Leistung geknüpft wird" (ebd., S. 51). Wallner (1974) schreibt, dass eine Person, auch wenn sie nur leichte Beeinträchtigungen aufweist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt meist nicht konkurrenzfähig ist (vgl. ebd., S. 199). Zudem halten sich laut Vieweg (2006) auf Seiten der nichtbehinderten Arbeitnehmer hartnäckig nicht bewiesene Vorurteile gegenüber Betroffenen wie z. B. sie "seien (...) öfter krank, bräuchten ständig Hilfe, sie können nicht gekündigt werden, sie seien doch in Sondereinrichtungen gut aufgehoben, sie sollten den nichtbehinderten Arbeitnehmern nicht die Arbeit wegnehmen" (vgl. Vieweg 2006, S. 118). Aber auch unter optimalen Bedingungen werden sie höchstwahrscheinlich isoliert und einsam bleiben. Theunissen und Plaute (1995) stellen fest, dass aufgrund des Missverhältnisses zwischen dem Anforderungsniveaus und den Möglichkeiten des Einzelnen die permanente Gefahr einer Überforderungs-oder Belastungssituation besteht, die auf die Betroffenen eine krankmachende Wirkung ausübt (vgl. ebd., S. 160). Laut Wallner (1974) wäre es daher vielleicht besser, spezialisierte Unternehmen zu schaffen, die auf die Bedürfnisse der Angestellten ausgerichtet sind und trotzdem nach ökonomischen Richtlinien wirtschaften (vgl. ebd., S. 199). Auch Seyfried (1990) gibt an, dass "separierte Einrichtungen (...) nicht unbedingt als integrationshemmend angesehen werden (müssen), insbesondere dann, wenn dort zielgruppenspezifische Angebote zur beruflichen Rehabilitation durchgeführt werden" (ebd., S. 25).

Eine andere Sichtweise beleuchtet der Soziologe Wolfgang Engler (2005) in seinem Buch "Bürger ohne Arbeit", in dem er die Behauptung "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit" (ebd., S. 11) kritisch hinterfragt. Vieweg (2006) bezieht sich in diesem Sinne auf die Tätigkeit in einer WfbM und fügt provokant bei, ob "es wirklich so wichtig (sei), dass ein Mensch mit Behinderung tagtäglich Metallteile zusammen und / oder auseinander baut, nur um das Gefühl zu haben, beschäftigt zu sein" (ebd., S. 124). Als Alternative dazu könnten Aufgaben in der Gesellschaft oder der Gemeinschaft bereitgestellt werden, "die auch mit einfachen angelernten Kenntnissen ausgeübt werden können" (ebd., S. 123). Sie betont nochmals die verbesondernde und separierende Wirkung von Sondermaßnahmen, die auch durch die Bereitstellung von Arbeit nicht zwangsläufig zu einer Integration in die Gesellschaft beitragen (vgl. ebd., S. 123 f.). Ein Ausblick auf die zukünftige Situation unter inklusiven Gesichtspunkten weist auf eine unumgängliche Neudefinition von Erwerbsarbeit, die die Belange von Menschen mit Behinderung ausreichend berücksichtigt. Zudem sollte dafür eingetreten werden, dass sich eine Einbeziehung dieser Bevölkerungsgruppe in die Gesellschaft auch ohne (Erwerbs-)Arbeit vollzieht (vgl. ebd., S. 124).

Die Bestrebungen von Normalisierung, Empowerment und Inklusion verweisen laut Theunissen (2007) auf eine Öffnung des allgemeinen Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung (vgl. ebd., S. 320). Der Integrationsgedanke erfüllt sich jedoch nicht nur durch diese Zugangsberechtigung, sondern bedarf konzeptioneller Unterstützung, z. B. durch Projekte wie Supported Employment, Unterstützte Beschäftigung sowie durch die Integrationsfachdienste (vgl. Theunissen 2007, S. 320). Zudem wird sich im Sinne einer generellen Teilhabe am Arbeitsleben für eine Umgestaltung bzw. Nutzbarmachung der WfbM für alle Menschen mit Behinderung stark gemacht. Um jedem Einzelnen einen adäquaten Arbeitsplatz anbieten zu können, bedarf es grundlegender Veränderungen wie einen verbesserten Personalschlüssel, "die Abschaffung der Ausschlusskriterien, die Bildung kleiner, überschaubarer Werkstätten im Verbund, Gruppenverkleinerungen und Raumgestaltungen zum Wohlfühlen" (Theunissen 2007, S. 320). Diese Erkenntnis resultiert aus der gelebten Praxis von Tageszentren oder kleinen Werkstätten, wie sie zum Beispiel in Schweden, Dänemark, den Niederlanden oder Österreich bestehen (vgl. ebd., S. 320 f.). An diesen Orten erhalten Menschen mit Lernschwierigkeiten und einem hohen Unterstützungsbedarf die Möglichkeit in überschaubaren Gruppen, die nicht oft eine Größe von 6 Personen überschreitet, einer Beschäftigung nachzugehen, die an ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgerichtet ist und sie nicht überfordert. Gleichzeitig werden sie in diesem Rahmen nicht vollkommen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und nehmen z. B. das tägliche Mittagessen in externen ‚normalen' Gaststätten ein. Die Gesichtspunkte der Produktivität und der Reduzierung auf die Leistungsfähigkeit bleiben in diesen Institutionen weitestgehend unbeachtet. Menschliche Arbeit gilt daher als ein "wesentliches Mittel zur Selbstverwirklichung in sozialer Bezogenheit" (ebd., S. 321). Dieses Konzept der kleinen Einrichtungen stellt eine Alternative zu der beruflichen Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt dar, die durchaus als sinnvoll und momentan sogar als unverzichtbar anzuerkennen ist, um eine Partizipation am Arbeitsleben für alle Menschen sicherzustellen (vgl. ebd., S. 322).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch die bestehenden Normen, Werte und Bedingungen des öffentlichen Lebens eine Teilhabe und Eingliederung in die Gesellschaft stark an Erwerbstätigkeit und finanzielle Aspekte gekoppelt ist. Nach den Angaben von Vieweg (2006) beweisen jedoch die Arbeitslosenzahlen der vergangenen Jahre sowie des derzeitigen Stands, dass die Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt von Menschen mit Behinderungen gegenüber nichtbehinderten Personen durchaus geringer sind (vgl. ebd., S. 114 f.).Einer komplikationslosen Integration von Menschen mit einem Unterstützungsbedarf in den allgemeinen Arbeitsmarkt stehen Aspekte wie Leistungsdruck und das Konkurrenzdenken entgegen. Um die Forderungen der Inklusion zu verwirklichen, bedarf es eines grundlegenden Umdenkens sowie tief greifender Veränderungen des bestehenden Wertesystems und der krankmachenden Einstellung zur Arbeit. Bis Menschen mit Beeinträchtigungen jeglicher Art gemäß der Empowerment-Philosophie als wirklich gleichberechtigte Mitglieder wahrgenommen und behandelt werden sowie ein "vom Leistungsgedanken unabhängiger Zugang zu einem integrativen Arbeitsmarkt" (Theunissen & Plaute 1995, S. 160) ermöglicht wird, ist noch ein langer Weg zu gehen. Daher befürworte ich zum aktuellen Zeitpunkt die Öffnung und Weiterentwicklung der WfbM im Sinne einer personenzentrierten Teilhabeförderung sowie die Schaffung von kleinen, bedarfsgerechten Einrichtungen nach dem bereits beschriebenen Vorbild (vgl. Vater & Aselmeier 2009, S. 75). Als Beispiel der Teilhabe von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung gilt die Helene-Maier-Stiftung (HMS), die ich später vorstellen möchte.

II. Empirischer Teil

5. Das Forschungsdesign

5.1 Wahl der qualitativen Forschungsmethode

Zur Erhebung der Forschung habe ich mich für die qualitative Methode entschieden. Diese Wahl soll zu Beginn begründet werden.

Quantitative Untersuchungen befassen sich vorwiegend mit statistischen Analysen, Stichprobenverfahren bzw. nummerischen Darstellungen von empirischen Sachverhalten (vgl. Lamnek 2005, S. 3). Nach Mayring (2002) handelt es sich dabei, um "ein Denken, das sich den Menschen und Dingen annähert, indem es sie testet und vermisst, mit ihnen experimentiert und ihre statistische Repräsentanz überprüft, ohne vorher den Gegenstand verstanden zu haben, seine Qualität erfasst zu haben" (ebd., S. 9).

Die qualitativen Forschungsmethoden beziehen sich dagegen laut Lamnek (2005) "auf die Messung von Qualitäten, d. h. nonmetrische Eigenschaften von Personen, Produkten und Diensten" (ebd., S. 3). In der Sozialforschung werden analog nicht standardisierte Daten in einem interpretativen, sinnverstehenden und theoriebildenden Zusammenhang ausgewertet (vgl. ebd., S. 34 f.). Nach der Aussage von Schmidt-Grunert (1999) richtet sich die qualitative Forschung auf die "soziale Wirklichkeit und greift praktische Problemlagen auf" (ebd., S. 13). Dabei stehen im Bereich der Sozial- und Heilpädagogik anwendungsorientierte Erkenntnisse im Mittelpunkt. Diese ergeben sich aus Einblicken in das praktische Arbeitsfeld, in das Leben der betreffenden Personen einschließlich ihres Kontextes sowie ihrer Interaktion. Das daraus resultierende Wissen ist daher stets "handlungsbegründend und handlungsweisend" (ebd.). Der Gegenstand der qualitativen Sozialforschung ist der handelnde Mensch. In einem Prozess der Beobachtung sowie der Kommunikation wird versucht, die betreffende Person in ihrer "subjektiven Einmaligkeit"(ebd.), aber auch in ihrer "kollektiven Eingebundenheit" (ebd.) wahrzunehmen, zu verstehen bzw. zu erfassen sowie die entsprechende Lebenswelt aus ihrer Sicht zu beschreiben (vgl. ebd.).

Der Schwerpunkt meiner Forschungsfrage richtet sich auf die spezielle Lebenssituation von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung sowie auf die adäquate Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Es sollen individuelle sowie kollektive Bedürfnisse bzw. Voraussetzungen aufgespürt werden, die es diesem Personenkreis ermöglichen (wieder) in Arbeit und Beschäftigung zu kommen. Diese Thematik kann meines Erachtens nur anhand qualitativer Methoden erschlossen werden.

Gerade da sich der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtungen befindet und die grundsätzliche Gefahr der Verletzung seiner Persönlichkeit besteht, gilt es, sich bei jedem Schritt des Forschungsprozesses mit den Leitprinzipien der Ethik auseinanderzusetzen (vgl. Flick, S. 2007, S. 63). Nach Flick (2007) schließt dies zuerst eine angemessene Information über das Vorgehen und das Ziel der Forschung sowie eine freiwillige Einwilligung der betreffenden Person ein, die dazu als kompetent erachtet wird (vgl. S. 63 f.). Zudem ist die Wahl bzw. die Formulierung von Fragestellungen auf die individuelle Situation unter ethischen Gesichtspunkten abzustimmen. Eine Konfrontation mit z.B. belastenden Ereignissen oder der Schwere von Beeinträchtigungen ist zu überdenken bzw. zu vermeiden (vgl. ebd., S. 65). Ebenso sollte die Darstellung der Ergebnisse Menschen aufgrund von persönlichen Wertungen oder spezifischen Vergleichen mit anderen Personen nicht denunzieren bzw. herabwürdigen. Daher müssen sich Interpretationen stets auf real existente Aussagen oder andere Belege beziehen. Die Vertraulichkeit bzw. der Datenschutz, die sich sowohl auf die Schweigepflicht, als auch auf die Sicherung der Anonymität beziehen, sind in jedem Fall zu wahren (vgl. S. 65 f.).

5.2 Zugang zum Feld

Durch den Sozialdienst der Rehabilitationseinrichtung, in der ich ein praktisches Studiensemester absolviert habe und einer fortlaufenden geringfügigen Beschäftigung nachgehe, erfuhr ich von einer Einrichtung, die auf die berufliche und soziale Wiedereingliederung von Menschen mit erworbener Hirnschädigung spezialisiert ist. Da diese Informationen vollkommen meinem Forschungsinteresse entsprachen, nahm ich unverzüglich Kontakt zur genannten Institution auf. Mein Anliegen wurde von dem Verwaltungsleiter sehr positiv aufgenommen. Er ging mit meinen Vorschlägen konform und belebte sie durch Ideen der praktischen Umsetzbarkeit. Er sicherte mir Unterstützung zu, stellte sich als Ansprechpartner zur Verfügung, machte mich im Kollegium bekannt und räumte die Möglichkeit für eine Begleitung der Beschäftigten im Arbeitsalltag sowie für Experteninterviews mit Arbeitstrainern, Therapeuten oder Neuropsychologen ein.

Im Folgenden möchte ich das Forschungsfeld, die Helene-Maier-Stiftung (HMS), näher vorstellen. In meinen Ausführungen werde ich mich dazu auf die Informationen des Konzeptes der HMS beziehen.

Seit 1996 ist die HMS auf dem Landgut Theisewitz bei Kreischa als gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts operativ tätig. Ihr Ziel ist es, Menschen, die aufgrund einer Hirnverletzung mit der dauerhaften Einbuße der Erwerbsfähigkeit konfrontiert sind, bei der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung zu unterstützen und somit neue Lebensperspektiven zu eröffnen. In diesem Sinne stehen Betroffenen verschiedene Angebote zur Verfügung. Bei dem Stiftungsprogramm "Wiedereingliederung in Arbeit und Tätigkeit" (WAT) handelt es sich um eine längerfristige rehabilitative Maßnahme, die komplett aus Stiftungsmitteln finanziert wird. In diesem Rahmen sollen die Teilnehmer schrittweise an Alltagsbelastungen herangeführt und auf diese Weise für die Aufnahme einer Tätigkeit, die ihrer Leistungsfähigkeit entspricht, vorbereitet werden.

Weitere Angebote, wie die stationäre und die ambulante Belastungserprobung bzw. Betreute Arbeitsplätze, unterliegen der Finanzierung durch Leistungsträger. Das Programm der Belastungserprobung richtet sich auf die Feststellung der vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Beschäftigten und erschließt daraus fassbare Perspektiven für die berufliche und soziale Wiedereingliederung.

Betreute Arbeitsplätze stellen eine alternative Form der Beschäftigung zu der in einer WfbM dar. Betroffene erhalten hierbei die Möglichkeit unter realen Arbeitsbedingungen, jedoch ohne Leistungsdruck sowie unter Beachtung ihrer Leistungsgrenzen in einem überschaubaren Umfeld tätig zu sein. Um den Bedürfnissen der betreffenden Personen zu entsprechen und ihre unterschiedlichen Voraussetzungen zu fördern, stehen verschiedene Arbeitsbereiche mit einem vielfältigen Anforderungsprofil zur Verfügung. Dazu zählen die Eingangswerkstatt, die ökologische Landwirtschaft und der Gartenbau, die Holzwerkstatt bzw. Tischlerei, der Baubereich, die Metall-, Agrar-und Elektrowerkstatt, der Bürobereich sowie der Hofladen und die Lebensmittelverarbeitung. Die Arbeitsaufgaben der Beschäftigten ergeben sich aus der Mitarbeit am Tagesgeschäft des Landgutes im Rahmen der Zweckbetriebe sowie bei externen Aufträgen.

Der Aufnahme einer Beschäftigung im Rahmen Betreuter Arbeitsplatz geht in den meisten Fällen ein sozialmedizinisches Gutachten einer Rehabilitationseinrichtung voraus, das die Reintegration der entsprechenden Person in den allgemeinen Arbeitsmarkt ‚als nicht Erfolg versprechend' einstuft. Aus diesem Grund entsprachen die Erfahrungen bzw. Auskünfte der Personen, die in diesem Bereich tätig waren meinem Forschungsinteresse und rückten somit in den Mittelpunkt meiner Betrachtungen.

In der HMS wird die Auffassung vertreten, dass durch eine entsprechende Förderung sowie durch eine bedarfsgerechte Unterstützung die z. T. verborgenen Ressourcen und die verbliebene Leistungsfähigkeit für die Ausübung einer sinnstiftenden und gleichzeitig wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit genutzt werden können. Daher dient der Betreute Arbeitsplatz im Sinne einer dauerhaften Beschäftigungsmöglichkeit zur Tagesstrukturierung sowie zur Förderung einer sozialen und gesellschaftlichen Integration.

Im Verlauf der Diagnostik-und Trainingsphase wird durch Beobachtung und Testung sowie durch Erprobung und gezielte Vorbereitung ein Arbeitsplatz eruiert, der auf der einen Seite den individuellen Voraussetzungen wie Leistungsvermögen, Ressourcen und Interessen entspricht und auf der anderen Seite den Anforderungen der Beschäftigung nachkommt.

Während des gesamten Prozesses sowie in dem nun folgenden Arbeitsalltag werden die Beschäftigten von einem Team bestehend aus Neuropsychologen, Sozialpädagogen, Therapeuten und Arbeitstrainern begleitet und unterstützt, das sowohl in Einzel-, als auch in Gruppengesprächen gemeinsam nach individuellen Lösungen sucht. Zusätzlich finden regelmäßig sowie je nach Bedarf alltagsrelevante therapeutische Angebote wie das Training sozialer Kompetenzen, die Kochgruppe, Einkaufstraining oder Fahrtraining mit den öffentlichen Verkehrsmitteln statt. Neben der Unterstützung der Beschäftigten kommt auch der Angehörigenarbeit ein großer Stellenwert zu, da die Einbeziehung eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg rehabilitativer Maßnahmen darstellt.

Die Aufnahmekriterien richten sich an Personen im Alter von 16 bis 60 Jahren, die über eine ausreichende Motivation zur Teilnahme sowie eine Grundbelastbarkeit von zwei Stunden täglich verfügen. Eine weitere Zugangsvoraussetzung bildet die Leistungszusage des zuständigen Rehabilitationskostenträgers. Dazu zählen z. B. die Agentur für Arbeit, ein Träger der Renten- oder der gesetzlichen Unfallversicherung sowie einer privaten Unfall- oder Haftpflichtversicherung oder ein Träger der Sozialhilfe. Die Leistungen können zudem gemäß § 17 SGB IX durch ein persönliches Budget erbracht werden.

5.3 Sampling

An die Forschungsfrage sind bereits im Vorfeld bestimmte Einschlusskriterien gekoppelt, die sich aus ihrem Inhalt und dem Kontext, in dem sie sich bewegt, ergeben. Folglich sollte es sich bei den Teilnehmern um Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung handeln, die aufgrund der daraus resultierenden Beeinträchtigungen momentan nicht mehr in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden können. Bei den Personen, die an einem Betreuten Arbeitsplatz beschäftigt sind, bestehen neben einer negativen Erwerbsprognose, die hauptsächlich durch die Schädigung des Gehirns bedingt ist, Erfahrungen mit einer alternativen Beschäftigungsform. Daher bilden ihre Erfahrungen und Bedürfnisse die optimale Grundlage bzw. Voraussetzung zur Analyse von adäquaten Arbeitsbedingungen und somit zur Beantwortung der Forschungsfrage.

Die Festlegung auf die HMS als Forschungsfeld birgt weitere Einschlusskriterien, die in einer Verbindung zu deren Zugangsvoraussetzungen stehen. Das heißt, dass sich die Menschen, die ich beobachtet und befragt habe, in einem Alter zwischen 16 und 60 Jahren befinden und sowohl über Motivation zur Teilnahme, als auch über eine Grundbelastbarkeit von zwei Stunden täglich verfügen.

Zur Auswahl der konkreten Personen orientierte ich mich in der Anfangsphase des praktischen Forschungsprozesses am "theoretischen Sampling" (Glaser & Strauss 2005, S. 53) nach Glaser und Strauss (2005).

Theoretisches Sampling meint den auf die Generierung von Theorien zielenden Prozess der Datenerhebung, währenddessen der Forscher seine Daten parallel erhebt, kodiert und analysiert sowie darüber entscheidet, welche Daten als nächste erhoben werden sollen und wo sie zu finden sind. Dieser Prozess der Datenerhebung wird durch die im Entstehen begriffene (...) Theorie kontrolliert. (ebd., S. 53)

In diesem Sinne wird die "Entscheidung über die Auswahl und Zusammensetzung des empirischen Materials (bei dieser offenen Vorgehensweise, d. Verf.) im Prozess der Datenerhebung und -auswertung" (Flick 2007, S. 158) getroffen. Betreffend der Fallauswahl bedeutet dies, dass ich nicht schon zu Beginn per Zufallsprinzip bestimmte Personen ausgewählt habe, sondern zuvor den Großteil der Beschäftigten, die zu diesem Zeitpunkt an einem Betreuten Arbeitsplatz beschäftigt waren, durch Hospitationen während des Arbeitsalltags kennenlernte. Zu Beginn stellte ich mich den Betroffenen vor und informierte sie über die Idee meines Forschungsvorhabens, das im Rahmen meines Studiums stattfindet. Die betreffenden Personen reagierten überwiegend interessiert und aufgeschlossen und gewährten mir bereitwillig Einblicke in ihr Handlungsfeld. Durch Gespräche, Beobachtungen und die gemeinsame Arbeit an bestimmten Aufträgen trat ich mit den Beschäftigten in Kontakt und erfuhr etwas über jeden Einzelnen. Mein Ziel war es eine Auswahl von verschiedenen Personen zu treffen, die eine möglichst große Divergenz bzw. Verschiedenartigkeit zueinander aufweisen. Auf diese Weise soll nach Flick (2007) die bestehende "Variationsbreite und Unterschiedlichkeit" (ebd., S. 165) des Feldes ermittelt und verstanden sowie der Gehalt der Forschungsfrage gesättigt werden. Die endgültige Entscheidung erfolgte schrittweise und in einem steten Abgleich mit dem bereits vorhandenen Material. Die allmähliche Festlegung ermöglichte es mir, interessante und markante Informationen sowie neue Erkenntnisse nicht bereits im Vorfeld auszuschließen. Zudem konnte ich auf diese Weise einen detaillierten Überblick über die Arbeit der Stiftung erhalten, zu den Beschäftigten in Beziehung zutreten und mich langsam in deren Welt einschwingen.

Eine Person lehnte die Mitarbeit am Forschungsprozess aus persönlichen Gründen ab. Dies wurde respektiert.

Im Endeffekt entschied ich mich für eine empirische Erhebung in Form von Begleitung, Beobachtung sowie Befragung während des Arbeitsalltags von fünf Teilnehmern. Durch die relativ begrenzte Anzahl und die Konzentration auf ausgewählte Beispiele versuchte ich eine möglichst tiefgründige Analyse des Feldes zu erzielen (vgl. Flick 2007, S. 167).

5.4 Vorstellung der Teilnehmer

Im Folgenden möchte ich die verschiedenen Teilnehmer kurz vorstellen, um einen besseren Überblick zu gewähren und den Einstieg in die theoretische Darlegung des Forschungsprozesses anschaulich und nachvollziehbar zu gestalten.

Andreas[6]

Andreas ist Mitte 30 und arbeitet bereits seit über 10 Jahren in der Stiftung. Als Folge einer Gewalttat erlitt er Anfang der 90er Jahre ein SHT III[7], das einen Herz-Kreislaufstillstand und einen hypoxischen[8] Hirnschaden nach sich zog. Infolgedessen haben sich neuropsychologische Beeinträchtigungen manifestiert, die seinen Alltag beeinflussen. Im Vordergrund stehen die schweren mnestischen[9] Funktionsstörungen. Zudem besteht im motorischen Bereich eine ausgeprägte Ataxie[10], dystone[11] Bewegungsstörungen sowie eine Dysarthrie[12]. Andreas ist stark ablenkbar. Sein Arbeitstempo ist allgemein verlangsamt, und er verfügt über Planungs- und Konstruktionsschwierigkeiten.

Vor der Verletzung befand sich der junge Mann in der 10. Klasse des Gymnasiums. Er erzielte gute bis sehr gute Leistungen, war vielseitig interessiert und hatte sich vorgenommen, nach dem Abitur ein Studium der Betriebswirtschaftslehre aufzunehmen. Nach der erworbenen Hirnschädigung scheiterte der Versuch einer Wiederaufnahme seiner schulischen Laufbahn. Mit der Arbeit im Rahmen eines Praktikums in einer WfbM war er sehr unzufrieden. Aufgrund dieser Erinnerungen und negativen Eindrücke missglückte ein Eingliederungsversuch in eine Institution für Körper- und Mehrfachbehinderte. Nach seiner Teilnahme am WAT-Programm der HMS strebte er nach eigenem Wunsch einen Betreuten Arbeitsplatz an diesem Ort an.

Der Alltag in der Einrichtung strukturiert sich aus einem Wechsel von fest installierten sowie regelmäßig wiederkehrenden Aufgaben, die Andreas unter Einbezug von Hilfsmitteln selbstständig ausführt und Aufträgen, die je nach Bedarf erledigt werden müssen, z. T. neuartig sind und unter Anleitung erfolgen. Der Teilnehmer wird in jedem Bereich eingesetzt.

Andreas ist ledig und unterhält eine eigene Wohnung. An den Wochenenden hält er sich meist in seinem Heimatort bei seinen Eltern auf, die ihn unterstützen, ihn aber auch in seiner Selbstständigkeit bestärken. In seiner Freizeit geht er auch heute noch seinen vielfältigen Interessen nach. Zu seinen Hobbys zählen u. a. gutes Essen, Museumsbesuche, die Philatelie sowie das regelmäßige Training im Fitnessstudio. Das Aufnehmen von sozialen Kontakten bereitet ihm nach seiner Aussage durch seine Eigenschaft als "Kommunikator" (A, T5, Z. 255) keine Schwierigkeiten.

Als ich Andreas kennenlernte, wirkte er vorerst zurückhaltend und etwas distanziert auf mich. Er vermittelte mir (wahrscheinlich bewusst) den Eindruck, dass ich ihn schon begleiten könne, ihn dies aber nicht sonderlich tangiere. Im weiteren Verlauf wurde deutlich, dass das Preisgeben seiner Einschränkungen für ihn unangenehm ist, und er sich schämt, wenn ein Anderer dies z. B. durch Beobachtungen bemerken könnte. In Gesprächen öffnete er sich und akzeptierte mich als "ebenbürtiges" (A., T5, Z. 327) Gegenüber. Unsere Kommunikation schien für ihn eine Unterhaltung darzustellen, die seinem intellektuellen Bedürfnis entsprach. Er erzählte offen über seine Situation, die er mit einer gehörigen Portion an Zuversicht, Charme, Ironie, Witz und Intelligenz sowie mit einem liebenswerten Teil an Arroganz trägt und ließ dabei auch tief greifende Erfahrungen nicht aus. Für mich war Andreas ein sehr angenehmer Gesprächspartner, den ich in der Anfangsphase meiner Forschung über einen relativ langen Zeitraum begleitete.

Robert

Robert ist Anfang 30 und arbeitet seit einem längeren Zeitraum in der Einrichtung. Infolge eines Verkehrsunfalls vor mehr als fünf Jahren erlitt er ein Polytrauma[13] einschließlich eines schweren Schädel-Hirn-Traumas mit multiplen[14] intrazerebralen[15] Kontusionsherden[16] und zahlreichen Frakturen[17]. Bis zum heutigen Zeitpunkt bestehen neuropsychologische Folgestörungen mit konzentrativen, mnestischen und exekutiven[18] Beeinträchtigungen. Zudem ist eine hirnorganische Wesensänderung zu verzeichnen, die mit Verleugnungstendenzen, einer Kritik-und Einsichtsminderung, einer herabgesetzten Frustrationstoleranz sowie einer reduzierten Impulskontrolle einhergeht. Bei der Bewältigung des Alltags stellen vor allem die hochgradige Unflexibilität und die Angst vor Veränderungen eine Herausforderung dar.

Da nach einer umfangreichen Rehabilitation weder eine Rückkehr in seinen gelernten Beruf als Dachdecker, noch in die Laufbahn bei der Armee möglich war, wurde ihm von der Klinik die Aufnahme einer Beschäftigung in der Stiftung empfohlen. Am Betreuten Arbeitsplatz ist er fast ausschließlich im Bereich Holz beschäftigt und erledigt Routinetätigkeiten wie das Streichen von Zaunslatten. Selten kommt es zu einem Einsatz im Grünbereich. Der tägliche Kaffeedienst stellte zu Beginn für ihn eine fast unüberwindbare Herausforderung dar, die er nun gern ausführt und auf die er stolz ist.

Des Weiteren ist er in eine ambulante betreute Wohngemeinschaft eingegliedert und meistert seinen Alltag stets nach dem gleichen Ablauf weitestgehend selbstständig. Die Wochenenden verbringt er in seinem Heimatort bei seinen Eltern. Durch ein intensives Fahrtraining ist er nun in der Lage die Heimfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eigenständig zu bewältigen. Der junge Mann ist ledig. Bezugspersonen sind für ihn seine nahen Angehörigen. Sein großes Hobby ist das Fotografieren. Durch die ‚eingefangenen' Momentaufnahmen hält er sein Leben fest und macht es für sich nachvollziehbar. Weiterhin fährt er als Ersatz zu seinem Auto mit Vorliebe Fahrrad und möchte gern wieder aktiv Handball spielen.

Um Robert in seinem vollen Umfang zu charakterisieren, müsste ich zwei komplett verschiedene Menschen beschreiben. Auf der einen Seite entspricht er den Eigenschaften eines Gentleman. Er ist höflich, zuvorkommend, freundlich, hoch motiviert und kooperativ. Von einer Sekunde auf die nächste kann dieses Bild durch eine kleine unplanmäßige Irritation kippen. Dann reagiert er häufig aufbrausend, gereizt und gestresst. Die Kontaktaufnahme zu ihm musste daher stets rechtzeitig angekündigt und durch einen Eintrag auf seinem Plan vorbereitet werden. Da es schwierig ist alle Eventualitäten im Vorhinein detailliert zu planen, ging ich manchen Treffen etwas unruhig und angespannt entgegen. Robert war jedoch sehr bemüht alle meine Fragen präzise zu beantworten. Er gewährte mir einen Einblick in alle seine Tätigkeitsfelder, stellte mir seinen Arbeitsplatz ausführlich vor und bot sich an, mir auch gern weiterhin für Gespräche zur Verfügung zu stehen.

Katrin

Die junge Frau ist ca. Mitte 20 und war vor mehreren Jahren an einem Verkehrsunfall beteiligt. Dabei erlitt sie ein Polytrauma einschließlich einer Schädelbasisfraktur und zahlreicher weiterer Frakturen. Es trat ein schweres Schädelhirntrauma ein, das mit einem akuten Subduralhämatom[19] sowie einer traumatischen Subarachnoidalblutung[20] einherging. Daraus resultierten neuropsychologische Beeinträchtigungen wie eine leichte Lern-und Merkfähigkeitsstörung und ausgeprägte Einschränkungen in den exekutiven Funktionen. Die Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit sind deutlich vermindert. Dabei liegt die konzentrative Dauerbelastbarkeit bei zwei bis drei Stunden täglich. Zudem hat sich als Reaktion auf die Wahrnehmung der veränderten Situation und der verminderten Leistungsfähigkeit eine Anpassungsstörung manifestiert, die Angst und Depressionen auslöst.

Zum Unfallzeitpunkt befand sich Katrin in der Ausbildung zur Bürokauffrau. Der Versuch der Wiederaufnahme der Ausbildung sowie eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit verkürzten Arbeitszeiten scheiterten. Seit mehreren Jahren ist sie in der Stiftung beschäftigt. Momentan wird sie an zwei Tagen in der Woche für jeweils zwei Stunden im Bereich Büro eingesetzt. Hier erfüllt sie wenig komplexe Bürotätigkeiten z.B. Dateneingaben, Vergleiche, Zusammenstellen und Binden von Broschüren nach Muster, Falten von Flyern, Bedrucken von Ordnerrücken, Abschreibe- und Layoutaufgaben nach genauen Vorgaben, Scannen, Kopieren etc..

Katrin hat einen Sohn und lebt in einer festen Partnerschaft, die schon vor dem Unfall bestanden hat. Einem Hobby geht sie nicht nach, da sie momentan durch die Aufrechterhaltung des Tagesablaufs einschließlich der Haushaltsführung und der Erziehung ihres Sohnes, der derzeit in der Schule die Unterstufe besucht, vollkommen ausgelastet ist.

Da sie nur selten in der Einrichtung vor Ort ist, beschränkte sich unser Kontakt auf zwei Gesprächstermine und ein paar flüchtige Treffen. Vom äußeren Erscheinungsbild ist Katrin eine attraktive und modern gekleidete Frau, bei der auf den ersten Blick keinerlei Auffälligkeiten festzustellen sind. Und auch beim zweiten hinschauen wirkt sie zugänglich, aufgeschlossen und freundlich. Sie war gern für Gespräche mit mir bereit, artikulierte klar und sprach offen über ihre Erfahrungen. Sie berichtete gut reflektiert und unterschied sich durch ihre unverzerrte Wahrnehmung von den anderen Teilnehmern. Während der Gespräche hatte ich den Eindruck, dass sie teilweise froh war sich über bestimmte Sachverhalte auszusprechen. Bei gewissen Themen wirkte sie jedoch auch unruhig, sprach sehr schnell oder wurde einsilbig.

Daniel

Der heute Anfang 30-Jährige erlitt Ende der 90er Jahre infolge einer Schlagverletzung ein Schädelhirntrauma II mit einer Zwischenhirnschädigung. Als neurologische Folgestörungen ergaben sich Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwankungen, Schwierigkeiten im Bereich der exekutiven Funktionen wie beim Planen und beim problemlösenden Denken sowie eine reduzierte Stresstoleranz bei Arbeiten unter Zeitdruck. Die ataktische Störung spiegelt sich im Gangbild, durch Gleichgewichts-und Koordinationsprobleme sowie in den Einschränkungen der Feinmotorik wider. Aufgrund der eingeschränkten Handmotorik und der Beeinträchtigung des Sprechens ist sein Arbeitstempo verlangsamt.

Daniel beendete die Schule nach der 9. Klasse mit dem Hauptschulabschluss und absolvierte anschließend eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Danach war er als Bauhelfer bei diversen Zeitarbeitsfirmen tätig. In dem Zeitraum nach der Hirnschädigung und der langwierigen Phase der Rehabilitation verbrachte er u. a. fünf Monate bei seinem Onkel in England und jobbte bei einer Malerfirma. Da die darauf folgende Umschulung zum Bürokaufmann im Rahmen eines 6-wöchigen Aufenthalts in einem Berufsförderungswerk nicht seinem Interesse entsprach, meldete er sich zur stationär erweiterten Belastungserprobung in der Stiftung an. Seit mehr als fünf Jahren ist er bereits an einem Betreuten Arbeitsplatz tätig. Derzeit arbeitet der Beschäftigte größtenteils im Bereich Bau. Dort ist es ihm möglich, seine Vorkenntnisse als Maler einfließen zu lassen. Die Aufträge richten sich nach dem Bedarf und werden entweder selbstständig von ihm oder in Zusammenarbeit mit seinem Arbeitstrainer ausgeführt. Seine wöchentliche Aufgabe, die termingerechte Bereitstellung der Gelben Säcke und der Mülltonne erledigt er verlässlich.

Daniel ist Vater von einem Kind, das bei seiner Mutter lebt. Seine frühere Partnerin bracht ein weiteres Kind mit in die Beziehung. Mit diesem angenommenen Kind, das nun schon im Teenageralter ist, lebt der Teilnehmer in einer eigenen Wohnung. Im privaten Bereich erhält er weiterhin viel Unterstützung durch seinen Freundeskreis, der schon vor der Verletzung bestand. Ebenso hat sich in seiner Freizeitgestaltung nichts geändert. Nach seinen Angaben interessiert er sich für Fußball, Urlaub und Reisen.

Bereits nach unserem ersten flüchtigen Kennenlernen begrüßte mich Daniel stets mit einem Lächeln und einem freundlichen "Hallo". Der Kontakt zu ihm war von Beginn an sehr angenehm und unkompliziert. Zu jeder Zeit konnte ich ihn bei der Arbeit begleiten. Vorher vereinbarte Gesprächstermine hielt er stets pünktlich ein und zeigte sich offen sowie kooperativ. Aufgrund der schwer verständlichen Sprache nutzten wir einen Computer zur Überbrückung der Kommunikationsschwierigkeiten.

Tilo

Tilo ist Mitte 30. Vor ca. 10 Jahren erlitt er einen Verkehrsunfall. Dabei zog er sich ein SHT III mit multiplen intrazerebralen Kontusionsblutungen zu. Infolgedessen ist er von einer spastischen[21] Hemiparese[22], Feinmotorik- und Koordinationsstörungen und einer Dysarthrie betroffen. Neuropsychologische Folgestörungen bestehen bzgl. der Aufmerksamkeit und der Dauerbelastbarkeit, des Gedächtnisses, der Impulskontrolle und der exekutiven Funktionen wie Planen, Orientierung sowie Verarbeitungsgeschwindigkeit. Ein Neglect[23] führt zur Vernachlässigung der betroffenen Körperhälfte und schränkt sein Sichtfeld ein. Zudem liegt ein posttraumatisches depressives Syndrom vor.

Nach einem ca. 5-monatigen Koma und seinem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik versuchte Tilo einen Neuanfang bei seinem früheren Arbeitgeber in einem Unternehmen der Kommunikationselektronik. Die Wiedereingliederung scheiterte. Aufgrund der Unfallfolgen ist er nicht mehr in der Lage seine frühere Tätigkeit auszuüben.

Seit diesem Zeitpunkt ist er im Rahmen eines Betreuten Arbeitsplatzes für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung in der Stiftung tätig. Aufgrund seines langen Arbeitsweges mit einer Fahrtstrecke von ca. 30 Kilometern arbeitet Tilo nur an drei Vormittagen in der Woche. Sein Einsatz richtet sich an einem regelmäßigen Ablauf aus und ist immer klar strukturiert. Zu seinen festen Aufgaben, die er in eigener Regie ausführt, gehört die Kontrolle und Dokumentation der Anwesenheit der Beschäftigten, die Erledigung des Postausgangs sowie das Zuordnen und Verteilen von Essenmarken. Des Weiteren wird er im Bereich Büro eingesetzt und erfüllt Aufgaben, die dem Bedarf entsprechen.

Trotz seiner Einschränkung hat er sich eine Alltagsfähigkeit erworben. Er unterhält eine eigene Wohnung, hat einen Hund und kommt relativ selbstständig zurecht. Zum Abendessen besucht er häufig seinen Vater, der in unmittelbarer Nähe von ihm wohnt. Vor der Hirnschädigung beschäftigte sich Tilo mit zahlreichen anspruchsvollen Hobbys. Dazu zählten u. a. Kickboxen, Schach, Fußball und das Auflegen von Musik in einer Diskothek. Er bedauert sehr, dass er diesen Beschäftigungen zum Großteil nicht mehr nachgehen kann. Seine Motivation und seinen gesamten Ehrgeiz steckt er nun in die Teilnahme an der Physiotherapie und in seine regelmäßigen Besuche im Fitnessstudio.

Vom ersten Eindruck unterschied sich Tilo von den anderen Beschäftigten. Er nahm augenscheinlich keine Notiz von mir und bekundete keinerlei Interesse an meiner Tätigkeit. Im Nachhinein betrachtet war ihm dies eventuell aufgrund seiner Einschränkungen des Gedächtnisses auch nicht möglich. Dadurch erschien er mir als unzugänglich, und ich war mir etwas unsicher, wie ich ihn ansprechen könnte. Seine Reaktion auf meine Frage, ob ich ihn während des Arbeitsalltags begleiten könne, folgte prompt durch die Worte: "Kann ich Sie daran hindern?" (T., B1, S. 1). Diese Äußerung relativierte er aber sofort im Anschluss. Auch vereinbarte Gesprächstermine nahm er erst nach einer erneuten Erinnerung wahr. Im Direktkontakt zeigte er sich jedoch als sehr vertraulich und erklärte mir ausführlich seine Aufgaben sowie seinen Arbeitsplatz. Er präsentierte mir stolz seine Ergebnisse und sprach mich als Verbündete an, wenn er sich über etwas beschwerte.

5.5 Die Erhebungsmethoden

In der Planungsphase der Forschung stellte sich die grundsätzliche Frage nach der Wahl einer Erhebungsmethode, die den Bedürfnissen von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung entgegenkommt. Nach einer umfangreichen Auseinandersetzung mit den Methoden der qualitativen Sozialforschung entschied ich mich für das Ero-epische Gespräch nach Girtler (2001), das im Rahmen einer Freien teilnehmenden Beobachtung geführt wird (vgl. Girtler 2001, S. 147). Beide Methoden versprechen in den theoretischen Darlegungen ein Maximum an Wahrheitsgehalt sowie ein daraus resultierendes tiefes Verständnis für die Lebenswelt der betroffenen Personen (vgl. ebd., S. 165). Dieser Aspekt ist meiner Ansicht nach unabdingbar zur Beantwortung der Forschungsfrage. Zudem ergeben sich in der direkten Arbeitssituation unter natürlichen und ungezwungenen Bedingungen interessante Anhaltspunkte, die das Thema betreffen und in einer z. B. ‚künstlichen' Interviewsituation evtl. keine Erwähnung finden würden. Durch den nicht ausschließlich verbalen Austausch treten kognitive Einschränkungen sowie Beeinträchtigungen der Sprache in den Hintergrund. Dadurch müssen beispielsweise Menschen mit einer Aphasie nicht im Vorfeld von der Forschung ausgeschlossen werden und die Variationsbreite wird auf diese Weise erweitert. Obwohl die Freie teilnehmende Beobachtung und das Ero-epische Gespräch im Gleichklang Anwendung finden und daher nicht voneinander zu trennen sind, möchte ich ihre theoretischen Grundlagen vorerst separat diskutieren.

5.5.1 Die Freie teilnehmende Beobachtung

Im sozialwissenschaftlichen Sinn wird die Beobachtung im Allgemeinen als ein "Verfahren" definiert, "durch welches der Beobachter sinnlich wahrnehmbares Handeln erfassen will" (Girtler 2001, S. 61). Für den Forscher ergibt sich dadurch die Möglichkeit nicht nur Informationen, die aus dem verbalen Austausch resultieren, sondern auch Eindrücke über das Sehen, das Hören, das Riechen sowie das Fühlen aufzunehmen und zu verwenden (vgl. Flick 2007, S. 282). In der Literatur werden verschiedene Beobachtungstypen dargestellt. An dieser Stelle möchte ich jedoch ausschließlich auf die Freie teilnehmende Beobachtung eingehen, da sie als Erhebungsmethode verwendet wurde.

Die teilnehmende unstrukturierte oder freie Beobachtung zählt zu den klassischen Methoden der Ethnologie (vgl. Girtler 2001, S. 65). Obwohl sie sich laut der Aussage von Girtler (2001) in der Soziologie nur wenig durchsetzen konnte, wird sie von ihm als "Königin unter den Methoden der Feldforschung" (ebd., S. 147) beschrieben.

Er erklärt weiter, dass bei der freien Beobachtung, im Gegensatz zu strukturierten Methoden, kein "systematischer Erhebungsplan" (vgl. ebd., S. 62) vorliegt. Im Vorab wird weder eine Festlegung getroffen über welchen Zeitraum die Beobachtung andauern, noch auf welche Art und Weise sie stattfinden soll. Durch die Erweiterung der Möglichkeiten und des Handlungsspielraums wird der Beobachter in die Lage versetzt, Situationen und Handlungsabläufe weitestgehend unbegrenzt in ihrer gesamten Komplexität wahrzunehmen und zu verstehen (vgl. ebd.). Im Laufe des Forschungsprozesses werden Ergebnisse systematisiert, und es kommt zu einem Zuwachs an Kenntnissen bzw. zu Änderungen des Wissensstandes, die wiederum einen Perspektivwechsel bedingen. Da bei der freien Beobachtung die Handlungsgrenzen variabel sind, können alternative Gebiete oder Personen auch im weiteren Verlauf hinzugezogen und erörtert werden (vgl. ebd.).

Die einzige Kontrollinstanz ist demnach der Beobachter selbst, der sein Handeln stets überblicken, analysieren und reflektieren sollte, um Abweichungen von den realen Bedingungen zu vermeiden (vgl. ebd.).

Der Gegenstand der Freien teilnehmenden Beobachtung ist in erster Linie der Mensch. Der Forscher möchte einen Zugang zu ihm finden und mit ihm in einen "engagierten und wirkungsvollen Kontakt" (ebd., S. 66) treten, um ihn in seiner tatsächlichen Wesenheit bzw. seinen Handlungen verstehen zu lernen (vgl. ebd., S. 65; Flick 2007, S. 281 f.). Um ein ganzheitliches und umfassendes Bild von einer Person zeichnen zu können, richtet sich der Forscher weitestgehend unvoreingenommen und so wenig wie möglich vorstrukturiert an das Forschungsfeld (vgl. Girtler 2001, S. 69). Er begibt sich gemeinsam mit seinem Gegenüber in eine reale alltägliche Situation, nimmt daran teil und erfährt bzw. erlebt es in all seinen Qualitäten. Im Sinne Lurijas (1993) besteht das Ziel einer "wirklichen wissenschaftlichen Beobachtung" (Lurija 1993, zitiert nach Métraux 2004, S. 65) darin, "ihr Objekt aus so vielen Perspektiven wie möglich zu betrachten. Es geht darum ein Objekt oder ein Ereignis nicht isoliert, sondern in seinen Beziehungen zu anderen Objekten oder Ereignissen zu verstehen" (ebd.). Nur auf diese Weise kann es nach Girtler (2001) gelingen den Menschen in seiner "ganzen Tiefe zu erfassen" (ebd., S. 79).

5.5.2 Das Ero-epische Gespräch nach Girtler

Wie eingangs erwähnt, formuliert Girtler (2001), dass sich der Rahmen der Freien teilnehmenden Beobachtung eignet, um ein Ero-episches Gespräch einzuflechten (vgl. ebd., S. 147). Auf die inhaltliche Ausrichtung dieses Begriffs lässt sich anhand seiner ursprünglichen Herkunft aus dem Altgriechischen schließen (vgl. ebd., S. 150). Demnach bedeutet "Erotema" soviel wie "Frage" bzw. "fragen, befragen und nachforschen" (ebd.) und "Epos" meint "Erzählung" bzw. "erzählen" (ebd.). Folglich kommt es im Ero-epischen Gespräch darauf an, dass "Fragen und Erzählungen kunstvoll miteinander im Gespräch verwoben werden" (ebd., S. 151).

Der Gegenstand sind Erzählungen und Geschichten, die sich inhaltlich auf weite Teile des Feldes beziehen können (vgl. ebd., S. 147). Die Konversation wird nicht durch vorbereitete Fragen vorstrukturiert, sondern folgt dem Verlauf des Gesprächs und richtet sich nach der jeweiligen Situation (vgl. ebd.). Die Gesprächspartner stehen sich im Prinzip der Gleichheit gegenüber, bringen sich durch beiderseitige Fragen in das kommunikative Verhältnis ein und können auf diese Weise voneinander lernen (vgl. ebd.). "Ein ‚ero-episches Gespräch' ist demnach ein sehr eingehendes Gespräch, bei dem beide sich öffnen, der Forscher und sein Gesprächspartner, um in die wahren Tiefen einer Kultur (...) vorzudringen" (ebd., S. 153) und sich der Wirklichkeit zu nähern.

Um eine derartige Gesprächssituation herzustellen, bedarf es der entsprechenden Umgebung. Am besten eignet sich dazu die Lebenswelt der betreffenden Personen. Da sie ihnen vertraut ist, und sie sich dort höchstwahrscheinlich wohl und sicher fühlen (vgl. ebd., S. 154). Girtler (2001) konstatiert in Anlehnung an Cicourel (1974), dass dabei eine möglichst nahe Heranführung "an die ursprünglichen Handlungskontexte" (ebd., S. 158) stattfinden sollte, um der Spontanität und der Eigeninitiative der betreffenden Personen Zutritt zu gewähren. In gleichem Maße profitiert der Dialog nach seiner Angabe von einer persönlichen und offenherzigen Atmosphäre (vgl. Girtler 2001, S. 155). Künstliche Gesprächssituationen ohne eine herzliche Beziehung gestalten sich aus diesem Grund häufig als problematisch bzw. als wenig gewinnbringend (vgl. ebd.). In einer Interviewsituation im Rahmen einer einmaligen Fragebogenerhebung fällt es jedoch meist schwer diese Punkte zu realisieren. Girtler (2001) gibt an, dass durch das unpersönliche Klima und die befremdliche Situation jeder froh wäre, wenn die Befragung vorüber sei (vgl. ebd., S. 156). Aus diesem Grund würden die Antworten eher kurz und oberflächlich bleiben, und es wäre kaum möglich ein echtes Gespräch zu entwickeln (vgl. ebd., S. 148). Während beim Ero-epischen Gespräch gerade darauf geachtet wird, dass beim Gegenüber nicht das Gefühl entsteht, dass er lediglich als "Auskunftsperson" (ebd., S. 147) ausgenutzt wird, ist diese Situation beim Interview durch seinen ausfragenden Charakter kaum vermeidbar (vgl. ebd.). Weiterhin fügt Girtler (2001) bei, dass strukturierte Interviews durch die Anfertigung eines Leitfadens nach den Vorstellungen des Forschers "eher zu einer Verfälschung der sozialen Wirklichkeit als zu ihrer Aufhellung" (ebd., S. 155) führen würden. Im Gegensatz dazu gewährt die freie Feldforschung tatsächliche Kenntnisse über das soziale Handeln und über die Regeln, nach denen es sich richtet (vgl. ebd., S. 156). Auf diese Weise gelingt es nach Girtler (2001) die soziale Wirklichkeit offen zu legen (ebd., S. 165).

5.5.3 Praktisches Vorgehen

Obwohl sowohl die Freie teilnehmende Beobachtung als auch das Ero-epische Gespräch durch eine offene Vorgehensweise gekennzeichnet sind, ist es empfehlenswert, sich als Forscher gedanklich auf das Vorhaben vorzubereiten und sich auf den betreffenden Personenkreis einzustimmen. Laut Girtler (2001) ist gerade der Einstieg bzw. die Art und Weise, wie sich der Zugang des Forschers zum Feld gestaltet, entscheidend für seine Aufnahme in die jeweilige Gemeinschaft und sein Eintauchen in deren Alltagswelt (vgl. ebd., S. 69). Dabei sind gewisse Vorkenntnisse über den entsprechenden Sachverhalt bzw. über die Gruppe erlaubt und teilweise durchaus als hilfreich zu bewerten (vgl. ebd.). Dies lässt sich am Beispiel der Sprache erläutern. Der Begriff ‚Sprache' meint hier nicht nur eine vollkommen fremde Landessprache, sondern auch die unterschiedlichen Ausdrucksformen und Formulierungen innerhalb der eigenen Nationalität. Es handelt sich ebenso um einen bestimmten Jargon, der durch spezielle Begriffe oder Wendungen geprägt ist und vornehmlich von einzelnen Gruppen oder Randkulturen benutzt wird (vgl. ebd.). Das Bemühen des Forschers um diese Eigenheiten sowie ein überlegtes empathisches Vorgehen erleichtert ihm den Zugang in die noch unbekannte Welt (vgl. ebd., S. 70). Da die Personen, mit denen ich gesprochen habe, nicht einer bestimmten Gruppierung oder Kultur angehören und aus unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft stammen, habe ich stets versucht, mich individuell auf mein Gegenüber einzustellen und mich an seiner speziellen Situation auszurichten. Dies betraf auch den Sprachgebrauch. Im Hinblick auf bestehende kognitive Beeinträchtigungen verwendete ich einfache Formulierungen, die in ihrem Umfang begrenzt waren. Das heißt, es wurden in diesen Fällen kurze präzise Aussagen getroffen und keine Doppelfragen gestellt. Des Weiteren informierte ich mich über Hilfsmittel zur Überbrückung von Beeinträchtigungen des Sprechens und stellte diese bei Gesprächen, wenn möglich, zur Verfügung.

Gemäß Girtler (2001) kann der Zugang zu dem entsprechenden Feld an diverse Schwierigkeiten gekoppelt sein. Dabei sind die verschiedenen Prozedere mit unterschiedlichen Vor-und Nachteilen verbunden (vgl. ebd., S. 83-106). Im Kontext meiner Forschung wurde mir der Einstieg durch das Gespräch mit der Verwaltungsleitung der HMS geebnet. Dadurch erhielt ich von Seiten der Vorgesetzten die Möglichkeit, frei bzw. in Absprache über mein Vorgehen zu entscheiden.

Da ich die verdeckte Beobachtung aus Gründen der Ethik und Fairness ablehne, stellte ich mich den Beschäftigten vor und informierte sie über mein Forschungsvorhaben. Teilweise wurde mein erstmaliger Besuch bei Personen, die von einem regelmäßigen und strukturierten Ablauf profitieren, durch die Sozialpädagogin angekündigt.

Girtler (2001) merkt an, dass die Mitglieder der fremden Gemeinschaft die Entscheidung treffen, ob sie dem Forscher eine Chance gewähren an ihren alltäglichen Aktivitäten "teilzuhaben" (ebd., S. 72) bzw. diese "mit(zu)leben" (ebd., S. 71), um auf diese Weise ihre Lebenswelt kennenzulernen. Um dieses Vertrauen zu erlangen und akzeptiert zu werden, bedarf es vom Forscher viel mehr als nur anwesend zu sein. Ich schließe mich den Formulierungen Girtlers (2001) an, der konstatiert: "Will man (...) menschliches Handeln in seinen vielen Aspekten erforschen, so bedarf es einer ziemlichen Ausdauer, menschlichen Einfühlungsvermögens, eines gehörigen Maßes an Bescheidenheit, Demut und der Achtung vor anderen Menschen sowie deren Problemen" (vgl. ebd., S. 72). Zudem zählen ein ehrliches Interesse und die Integrität der Person zu den Voraussetzungen einer vertrauensvollen Beziehung (vgl. ebd., S. 92/111).

Um den Einstieg in die direkte Gesprächssituation anzubahnen, sollte der Forscher versuchen, durch Berichte und Erzählungen über sein Vorhaben, das Interesse seines Gegenübers zu wecken, so dass es schließlich von selbst beginnt sich mitzuteilen (vgl. ebd., S. 152). Da ich mich einerseits in der Position der Studentin und somit der Lernenden befinde und andererseits als Neuling in eine für mich relativ unbekannte Lebenswelt traf, erklärten mir die entsprechenden Personen größtenteils bereitwillig bestimmte Sachverhalte und berichteten über ihren Alltag, ihren Arbeitsplatz sowie über ihre Erfahrungen. Zudem entsprach mein Anliegen, Kenntnisse zu erlangen, die es ermöglichen Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung anzupassen bzw. zu verbessern, der Interessenlage der Betroffenen. Daher gewährten sie mir Einblicke in ihre Lebenswelt und stellten sich für weiterführende Gespräche zur Verfügung. Zu Beginn der praktischen Forschung nahm ich vorerst Kontakt zu zwei Beschäftigten auf, die ich an mehreren Tagen während ihres Arbeitsalltags begleitete. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, sie kennenzulernen, mich in ihre Welt einzuschwingen und einen Überblick über den Ablauf der Tätigkeiten der Stiftung zu erhalten. Zudem begegnete ich z. B. bei Gruppenarbeiten mir noch unbekannten Personen, erfuhr etwas über sie und bezog einzelne Personen im weiteren Verlauf in die Forschung ein.

Die praktische Durchführung wie der Umfang der Gespräche und der Grad der Teilnahme unterlagen einer offenen Vorgehensweise und wurden schrittweise bzw. flexibel geplant sowie an den individuellen Fall angepasst. Das Ausmaß inwieweit sich der Forscher einbringt, erstreckt sich laut Girtler (2001) von einer weitestgehend unbeteiligten Beobachtung, über Gespräche mit Gruppenmitgliedern, bis hin zur Übernahme von feldspezifischen Rollen bzw. Funktionen (vgl. ebd., S. 65 f.). In den meisten Fällen wird der Forschungsprozess sowohl von aktiven, als auch von passiven Momenten bestimmt (vgl. ebd., S. 64). Diese Tatsache fand in meiner praktischen Erfahrung ihre Bestätigung. Teilweise war es angebracht, mich im Hintergrund zu halten und dadurch für so wenig Ablenkung wie möglich zu sorgen. Teilweise ergaben sich die besten Eindrücke und Gespräche bei der gemeinsamen Arbeit, wie beim Stapeln von Holz oder beim Transport von Ästen. Ebenso bildeten Situationen, in denen mehrere Personen zusammentrafen, wie bei Gruppenarbeiten oder während der Pausen umfassende Anregungen. Auch der Bereich, in dem die Teilnehmer beschäftigt waren, wirkte sich auf das Prozedere aus. Zum Beispiel gestalten sich Unterhaltungen im Bereich Büro eher schwierig, da hier eine ruhige und konzentrierte Arbeitshaltung vorherrscht. Gespräche lenken andere Beschäftigte ab und rücken die betreffende Person in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In diesem Fall zeigte es sich als vorteilhaft, das Gespräch außerhalb der direkten Arbeitssituation zu führen.

Die praktischen Erfahrungen bestätigten abermals die Aussage Girtlers (2001): "(J)e mehr dass Engagement des Gesprächspartners angeregt wird, um so ‚leichter' fällt ihm das Erzählen" (ebd., S. 158). Als ich den betreffenden Personen die Möglichkeit gewährte über sich selbst, ihre Erfahrungen sowie über ihre konkrete Arbeitssituation zu berichten, waren sie mit vollem Einsatz bei der Sache und erzählten lebhaft und teilweise ausschweifend. Es genügten von Zeit zu Zeit kleinere Anstöße, die sich auf das Forschungsinteresse bezogen und auf die Weiterführung des Gesprächs gerichtet waren (vgl. Girtler 2001, S. 158). Um bestimmten Sachlagen auf den Grund zu gehen und den tatsächlichen Gehalt dahinter zu erfahren, griff ich teilweise bereits besprochene Themen erneut auf und hinterfragte sie.

Die Beobachtungen der Handlungsabläufe bzw. des sozialen Miteinanders gab ich direkt im Anschluss an die jeweilige Gegebenheit detailliert und möglichst genau in Protokollen wieder. Dabei bezog ich mich neben meinen Erinnerungen auf Notizen, die ich in der konkreten Situation stichwortartig und rasch in ein kleines Heft übernahm. Zur Aufnahme von Gesprächen verwendete ich, wenn möglich sowie nach Absprache mit der betreffenden Person, ein relativ unauffälliges Diktiergerät. In den meisten Fällen wurde dem von den Teilnehmern nach wenigen Augenblicken keine Beachtung mehr geschenkt. Bei einem längeren Gespräch mit einem Teilnehmer trat es so in den Hintergrund, dass sich dieser Mann nach Beendigung wunderte, dass ich mir gar nichts aufgeschrieben habe, obwohl ich ihn vorher um Erlaubnis für die Nutzung des Gerätes bat (vgl. T1, Einleitung). Das Gesprochene wurde im Anschluss von mir transkribiert.

5.5.4 Kritische Betrachtung der Erhebungsmethoden

Während der Durchführung der Freien teilnehmenden Beobachtungen und der Ero-epischen Gespräche kam es z. T. zu Schwierigkeiten, die Abweichungen von der von Girtler (2001) empfohlenen Vorgehensweise verlangten sowie verschiedner Modifikationen bedurften.

Im Theorieteil wurde in den Kapiteln 2.4 und 3.3 dargestellt, dass es infolge einer erworbenen Hirnschädigung zu Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit kommen kann, die mit einer erhöhten Ablenkbarkeit einhergehen. Aus diesem Grund fiel es einem Teil der Teilnehmer schwer, sich auf Gespräche einzulassen, die in der direkten Arbeitssituation stattfinden sollten. Ein Teilnehmer unterbreitete mir beispielsweise den Vorschlag, dass wir uns vielleicht auch einmal "reinsetzen können" (R., B1, S. 1), um uns zu unterhalten, weil er sich auf seine Arbeit konzentrieren muss. Im Nachhinein betrachtet steht dieser Sachverhalt ebenso in einer engen Verbindung zur Flexibilität des Teilnehmers und zum Anspruch der jeweiligen Tätigkeit.

Zudem hatte ich das Gefühl, dass Gesprächsinhalte, die sich neben der Arbeit vollzogen, teilweise auch nach einem näheren Kennenlernen auf der Ebene des konkreten Gegenstands stagnierten und daher eher einseitig blieben. In diesem Fall könnte eine gewisse Unangebrachtheit des Ero-epischen Gesprächs während der Arbeit und evtl. im Beisein von Kollegen bezüglich spezieller Inhalte angenommen werden. Zudem gestaltete sich die Aufnahme mit einem Diktiergerät durch den Umfang und das Ausmaß der Umgebungsgeräusche sowie durch bewegungsintensive Abläufe häufig als schwierig.

Aus den genannten Gründen wählte ich nach ca. zwei Wochen versuchsweise ein Büro der Stiftung als Gesprächsrahmen. Es zeigte sich, dass der betreffende Teilnehmer in der ungestörten Atmosphäre in der Lage war, offen über verschiedenste Erfahrungen zu berichten. In diesem Rahmen war es möglich Beobachtungen aus dem Arbeitsalltag erneut aufzugreifen und zu hinterfragen sowie gewisse Themenbereiche ausführlicher zu besprechen. Im Kontakt zu weiteren Personen bezog ich mich auf diese Erfahrung und variierte folglich den Ort der Gespräche. Das Kennenlernen und die ersten Unterhaltungen fanden jedoch immer im unmittelbaren Arbeitsumfeld statt. Auf diese Weise gelang es, sich ungezwungen aufeinander einzustellen. Aufgrund der relativ begrenzten Anwesenheit einer Person von zwei Stunden an zwei Tagen in der Woche war es notwendig, die Gespräche in einem überschaubaren Rahmen stattfinden zu lassen. Um dies zu gewährleisten, erstellte ich im Vorfeld ein Gerüst an Themen, die in der Unterhaltung als grober Orientierungsrahmen dienten.

Der von Girtler (2001) angestrebte "persönliche und offenherzige" (ebd., S. 155) Kontakt bildet zwar häufig eine optimale Voraussetzung für Gesprächsituationen, ist aber meiner Meinung nach auch mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Da es infolge einer erworbenen Hirnschädigung u. a. zu Verhaltensauffälligkeiten kommen kann, ist es für Betroffene teilweise schwierig, übliche Distanzen bzw. Abgrenzungen im adäquaten Maß zu wahren (siehe Kap. 2.4). Daher ist auch auf diesem Gebiet eine individuelle Anpassung notwendig.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Freie teilnehmende Beobachtung und das Ero-epische Gespräch höchstwahrscheinlich nicht zu den Methoden der qualitativen Forschung zählen, die am einfachsten und schnellsten durchzuführen sind. Es benötigt vom Forscher Einfühlungs-sowie Durchhaltevermögen, um sich auf die unterschiedlichen Charaktere über eine relativ lange und intensive Beziehung einzulassen. Die Geduld wird sowohl durch den hohen Zeitaufwand als auch durch das teilweise eintretende frustrierende Gefühl, nur im Weg zu stehen oder für die Arbeit hinderlich zu sein, auf die Probe gestellt. Als eindeutiger Vorteil geht jedoch hervor, dass es durch das offene und freie Vorgehen möglich wird, den Menschen in seiner gesamten Persönlichkeit zu erfassen sowie in den Worten Girtlers (2001) "soziologisch bzw. ethnologisch relevante Daten direkt und hautnah zu erheben" (ebd., S. 114).

5.5.5 Triangulation

Der Begriff ‚Triangulation' wird nach Flick (2007) u. a. für "die Kombination verschiedener Methoden" (ebd., S. 519) verwendet und dient dazu, bestehende Informationen und Kenntnisse, die bei der bisherigen Erhebung durch z. B. Freie teilnehmende Beobachtung und Ero-episches Gespräch gewonnen wurden, anzureichern und zu vervollständigen (vgl. ebd., S. 520). Die Aussagekraft und die Erkenntnismöglichkeit einzelner Methoden soll auf diese Weise systematisch erweitert und potenziert werden (vgl. ebd., S. 285/520). Laut Flick (2007) stellt die Triangulation eine Strategie dar, die "die Breite, Tiefe und Konsequenz im methodischen Vorgehen erhöht" (ebd., S. 520).

In diesem Sinne führte ich im Anschluss an die eigentliche Erhebung ein Expertengespräch mit zwei Mitarbeitern der HMS durch, die unmittelbar mit den Beschäftigten zusammenarbeiten und sie schon über einen längeren Zeitraum begleiten. In Form eines Leitfadeninterviews stellte ich Teile der erworbenen Kenntnisse aus den Gesprächen mit den Teilnehmern vor und ergänzte sie durch die Stellungnahme der Mitarbeiter zu den einzelnen Personen. Zudem erhielt ich auf diesem Weg Kontextinformationen, die bestimmte Sachverhalte für mich verständlicher machten.

Als zweites komplementäres Verfahren bezog ich die Analyse verschiedener schriftlicher Dokumente ein, indem ich Einsicht in vorliegende Akten nahm. Darin wurden detaillierte Auskünfte über den Werdegang bzw. die Lebensgeschichte der Teilnehmer einschließlich ihrer Erfahrungen mit verschiedenen Institutionen seit dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereitgestellt.

Durch die Triangulation zeichnete sich ein umfassendes Bild von der betreffenden Person und ihrem Lebenskontext.

5.6 Die Auswertungsmethode

5.6.1 Das Zirkuläre Dekonstruieren nach Jaeggi, Faas und Mruck

Für die Auswertung verwendete ich das Zirkuläre Dekonstruieren nach Jaeggi, Faas und Mruck (1998). Da diese Methode in der direkten Auseinandersetzung mit diversen qualitativen Untersuchungen sowie mit der Begleitung von Diplomarbeiten entwickelt wurde, erscheint sie als prädestiniert für die Anwendung im Rahmen derartiger Forschungsarbeiten (vgl. ebd., S. 5). Zudem ermöglicht dieses Verfahren eine zügige und gut umsetzbare Auswertung (vgl. ebd., S. 4).

Jaeggi et al. (1998) erläutern, dass sich die theoretischen Grundlagen des Zirkulären Dekonstruierens auf verschiedene bereits bestehende Methoden beziehen (vgl. ebd., S. 5). Dazu zählen u. a. die Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967), die Entwürfe von Böhm, Legewie und Muhr (1992), von Böhm, Mengel und Muhr (1994), von Jüttemann (1990) sowie von Witzel (1995) (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 5). Des Weiteren verweisen sie sowohl auf den qualitativen Forschungsstil als auch auf die Forschungswerkstatt von Breuer (1996) und auf das Konzept der "Projektwerkstatt qualitativen Arbeitens" von Mruck und Mey (1998) (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 5).

Das praktische Vorgehen im Rahmen des Zirkulären Dekonstruierens leitet sich von seiner ursprünglichen Wortbedeutung ab. Als Ausgangspunkt dient das vorliegende Material in Form eines Textes, das der Forscher gedanklich umkreist bzw. um dessen Gehalt er sich "in kreativen Gedankenschleifen" (ebd., S. 5 f.) herum bewegt. Bei dem sog. Zirkulieren lässt er sich teils durch Theorien leiten oder vertraut seinen Intuitionen, arbeitet teilweise direkt am fassbaren Material oder befindet sich auf einer Abstraktionsebene (vgl. ebd., S. 6 f.). Auf diese Weise wird der Text in den ersten Arbeitsschritten in kleine Bestandteile zerteilt bzw. ‚dekonstruiert' und anschließend wieder so zusammengesetzt, dass die darin enthaltene Bedeutsamkeit sichtbar wird. Während dieses Prozesses ändert sich der Blickwinkel des Forschers bezüglich des Forschungsgegenstandes mehrfach, und es wird ihm infolgedessen möglich, zu neuen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. ebd.).

Nach Jaeggi et al. (1998) versucht das Zirkuläre Dekonstruieren "das Konstruktive und Kreative qualitativen Arbeitens im Blick zu halten und für den Deutungsprozeß (sic!) schöpferisch zu nutzen" (ebd., S. 3). Um den Ideenreichtum zu wahren, ist sowohl auf ein vorgefertigtes Kategoriesystem im Sinne der besseren Ordnung und Überschaubarkeit als auf eine Analyse, die sich untertänig an den Text bindet, zu verzichten (vgl. ebd., S. 7).

In den folgenden Kapiteln möchte ich näher auf die von Jaeggi et al. (1998) vorgestellten Arbeitsschritte eingehen, die nach ihren Angaben als Muster bzw. Schablone zu betrachten und je nach Forschungsinteresse mit anderen Methoden kombinierbar sind (vgl. ebd., S. 4). Jaeggi et al. (1998) orientieren sich in ihren Ausarbeitungen vornehmlich an der Auswertung von Interviews. Das Material meiner Erhebung umfasst jedoch außerdem Beobachtungsprotokolle und Mitschriften aus Akten und einem Fachgespräch. Daher bedurfte es einer teilweisen Erweiterung der Methode. Dieses Vorgehen soll ebenso in den folgenden Abschnitten aufgezeigt werden.

5.6.2 Das Ausgangsmaterial

5.6.2.1 Transkription

Damit Gesprächsinhalte, die z. B. mit einem Diktiergerät aufgenommen wurden, einer Interpretation zugänglich gemacht werden können, ist es notwendig, sie vorerst in eine schriftliche Form zu bringen (vgl. Flick 2007, S. 379). Dieser Zwischenschritt wird als Transkription bezeichnet. Da sich die gegenseitige Kommunikation im Kontext meines Forschungsanliegens in erster Linie auf den Gewinn von inhaltlichen Schwerpunkten bezieht, richtet sich die Verschriftung in ihrer Genauigkeit am erforderlichen Maß der Fragestellung aus (vgl. ebd.). Es wurde eine wort-wörtliche Darstellung verwendet. Umgangssprachliche Ausdrücke und die Färbungen durch den Dialekt werden beibehalten. Es wird sowohl bei der Transkription als auch bei den Beobachtungsprotokollen darauf geachtet, dass ein ausreichend breiter Seitenrand zur Verfügung steht, um im Nachgang bzw. in der Phase der Auswertung Stichwörter zu notieren, die eine bessere Orientierung während dieses Prozesses ermöglichen (vgl. Girtler 2001, S. 168). Die Transkriptionsregeln wurden in Anlehnung an das Beispiel von Flick (2007) erstellt:

Unsichere Transkription

[abc]

Kurze Pause

*

Dauer der Pause in Sekunden

*123*

Kommentare zum besseren Verständnis

[[abc]]

Betont

Abc

Wortabbrüche

Abc`

Satzabbrüche

Abc-

Gleichzeitiges Sprechen

#abc#

Füllwörter

<ähm>

Unverständliches

((unv. Wort))

ABC

Anonymisierung (zusätzlich zu personenbezogenen Daten der Teilnehmer)

(vgl. Flick 2007, S. 381 f.)

An dieser Stelle möchte ich eine Sequenz aus dem Interview R., T3 zitieren, die einen typischen Einblick in die Vorlieben und Abneigungen des Beschäftigten während des Arbeitsablaufs widerspiegelt. Oben aufgezeigte Transkriptionsregeln werden hierbei verwendet. Das "I" steht für Interviewer und das "IP" für Interviewpartner. Der ursprüngliche Seitenrand, der für Notizen zur Verfügung stand, wurde beibehalten, um keine Zeilenverschiebungen zu begünstigen.

I: Was verursacht Dir Stress?

95 IP: * Na, eigentlich fast gar nischt. *3* Das is` halt bloß, wenn ich jetzt zum Beispiel *3* am Streichen bin und dann sacht der AT hier mach` und mach` ma` das jetzt und mach` ma` das hier, das is` für mich Stress.

I: Hm.

100 IP: Weil ich konzentrier` mich erstma` nur off die eene Arbeit, weil das muss * Superqualität wern, sacht er ja immer selber, weil-, und dann muss ich wieder das mach`n, muss ich das mach`n. Dann verlass` ich mein` Arbeitsplatz und die Zaunslatten, da passiert`s halt, wenn Du Farbe droffknallst <ähm, ähm> streichst, dass da ab und

105 zu Nasen lofen.

I: Hm.

IP: Die Nasen, die müssen weggemacht werden, weil wenn das fest wird, <ähm> wenn die Farbe fest wird, siehste dann die Nasen das is` *2* keene Qualität, das is` halt o` so `n Stressfaktor für

110 mich.

I: Hmh.

IP: Also im Prinzip meine Arbeit, die ich gerne mache, muss `ch dann verlassen, * na gut, dass dauert manch-, meistens ni` lange, das is` `ne Viertelstunde oder so, dass `sch halt ma` was andres mache. Da

115 wär `ch halt aus meim *3* Arbeitszeuch raus gezogen.

I: Hmh.

IP: A` ich hab` mich schon dran gewöhnt. * Deswegen * kann ich damit umgehn`. *2* Manchma` sacht er, sacht er ja, weil ich bin ni` so eener, ich mag das ni` alles so kurzfristig, manchma`

120 sacht er o` schon hier, was weeß ich um elwe oder in zehn Minuten brauch` ich dich ma` und da weeß ich das *4* da kann `ch mich o` droff vorbereiten, also mach` ich so weit meine Latten, dass ich weeß, gutt in elf Minuten kannste gehen, da passiert nischt.

5.6.2.2 Beobachtungsprotokoll

Es wird ein Ausschnitt aus dem Beobachtungsprotokoll R, B3 vorgestellt. Dieses ist zwar am selben Tag, jedoch in der direkten Arbeitssituation entstanden und knüpft thematisch an den Inhalt der Transkription an. Es wurde bei der Erhebung eine Kombination aus der Freien teilnehmenden Beobachtung und dem Ero-epischen Gespräch verwendet. Begriffe oder Aussprüche, die vom Teilnehmer stammen werden in Anführungszeichen gesetzt oder sind näher erläutert.

Später begleite ich Robert in die Holzwerkstatt, in der er heute überwiegend selbstständig arbeitet, weil sein "Meister" nicht da ist. Wie an den meisten Tagen befindet sich sein Arbeitsplatz in "seiner Ecke" (Bezeichnung durch Robert geprägt). Er streicht an einem Arbeitstisch Zaunslatten. Als ich hereinkomme läuft ein Radio. Robert stellt es jedoch ab, als er mich wahrnimmt. Ebenso liegt ein Gehörschutz bereit. Ich beobachte ihn eine Weile und stelle ihm ein paar Fragen, die er auch während des Arbeitsgangs gut beantworten kann. Dabei fällt mir auf, dass der Ablauf des Streichens der Latten immer genau der gleiche ist - fast identisch. Zuerst streicht er, wischt die trockene Seite ab, legt die Latte zum Trocknen, nimmt die nächste, ... bis nichts mehr auf die Ablage passt (ca. 7 Stück). Dann nimmt er Latte für Latte, dreht sie einmal links herum und schaut, dreht sie einmal rechts herum und schaut, bevor er sie in ein Regal legt zum weiteren Trocknen. Über der ersten Ablage befindet sich das Schild "Fehlerkontrolle". Robert berichtet mir, dass sein "Meister" ihm schon einmal das Streichen verboten hatte, weil er zu viele Fehler (Nasen, ...) gemacht habe. Er wäre unkonzentriert gewesen und hätte alles zu schnell gemacht. Als "Strafe" musste er alle Latten wieder abschleifen. Dieses Verbot war für ihn nach seinen Angaben wie ein Schlag ins Gesicht, da er sehr gern streicht. Später wurde dieses Reglement wieder aufgehoben. Doch von diesem Vorfall her stammt das Schild "Fehlerkontrolle". Robert soll dadurch seine Arbeit von selbst kontrollieren und dabei auf Qualität achten.

5.6.2.3 Akteneinsicht

Folgende Notiz aus der Akteneinsicht wird unter der Bezeichnung R., Ak geführt. Sie berichtet stichwortartig über den Zwischenstand der Eingliederung eines Teilnehmers im Rahmen des Betreuten Arbeitsplatzes.

  • -kontinuierlich, an die für ihn überschaubare und lösbare Aufgabe herangeführt

  • -Nutzung Notizbuch: selbstständig abgegrenzte und vorstrukturierte Teilaufgaben zu übernehmen und in guter Qualität zu bearbeiten -Routinetätigkeiten, nach Vorplanung mit AT weitestgehend in Eigenenergie ausgeführt

  • -Grundvoraussetzung kontinuierliche Führung eines Notizbuches, um gravierende Gedächtnisstörung zu kompensieren -> Nutzung ist derzeit zuverlässig und eigenständig

  • -Arbeitsleistung insgesamt im Rahmen des Routineplans mit wiederkehrenden Aufgabenstellungen als stabil zu bezeichnen -Schwierigkeiten bei Konfrontation mit komplexen Anforderungen -bei Übermittlung neuartiger oder mehrerer Arbeitsaufträge reagiert er aus Überforderung schnell abweisend und aufbrausend

  • -gibt an, dass für ihn schwierig sei, wenn er bemerkt eine Aufgabe nicht zu verstehen bzw. dieser nicht gewachsen zu sein -> Verhalten in diesen Situationen kontinuierlich geübt

5.6.2.4 Expertengespräch

Hierbei handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Expertengespräch R., E. Da die Aufnahme mit einem Diktiergerät nicht erwünscht war, wurden die Informationen stichpunktartig notiert. Die Textstelle, die in Anführungszeichen gesetzt ist, kennzeichnet eine Anmerkung von mir. Es handelt sich dabei um einen Aspekt, der mir im Interview aufgefallen ist und den ich hinterfragen wollte.

  • zu Beginn wenig bis gar keine Krankheitseinsicht

  • Kartenhaus aufgebaut, dass alles in Ordnung ist

  • musste erst eingerissen werden, damit er eingegliedert werden konnte und Kompensationsmöglichkeiten auch nutzte

  • benötigt immer klare Rückmeldung, damit er versteht, wo er steht

  • Eklatante Fehlwahrnehmung

  • Reflektion von Fachleuten und Verwandten ist bei ihm in ein Bauchgefühl übergegangen, dass irgendetwas nicht stimmt

  • vertraut seiner Umwelt bzw. dem Personal der Stiftung und weiß daher, dass seine Selbstwahrnehmung nicht ganz stimmt

  • am Betreuten Arbeitsplatz bewegt er sich innerhalb seiner Leistungsgrenzen, dadurch sind Ressourcen vorhanden, auf die er zurückgreifen kann, und er lässt die gestellten Anforderungen zu

  • früher durchlebte er eine sehr depressive Phase, war impulsiv und auch aggressiv

  • in seinem Fall sind die Bedingungen optimal eingerichtet

  • "berichtet im Interview stets über Verbesserungen" -> belegt den Gewinn an Anpassung, Anforderungen entsprechen seinem Bedarf, weil Bedingungen angepasst sind

  • Ziel ist es in kleinen Schritten seine Lebensqualität weiterhin zu erhöhen und ihn psychisch zu stabilisieren

  • Unterstützung durch Eltern sehr hilfreich; auch Angehörigenarbeit wichtig, damit diese die Veränderungen von Robert verstehen können, und er nicht den gesamten Lebensinhalt der Familie darstellt

5.6.3 Die erste Auswertungsphase

In der ersten Auswertungsphase werden die einzelnen Interviews unabhängig voneinander betrachtet und jeweils in sechs Arbeitsschritten strukturiert.

5.6.3.1 Formulierung des Mottos

Mit dem Begriff ‚Motto' ist im Sinne des Zirkulären Dekonstruierens "entweder ein treffender Satz aus dem Text (...) oder ein subjektiv prägnanter Satz (gemeint), der einen Eindruck vom Text zusammenfasst" (Jaeggi et al. 1998, S. 7). Durch diese Art der Auseinandersetzung werden anfängliche emotionale Bindungen zum Text geknüpft. Das Motto verleiht dem Material eine erste Gestalt, zu der der Forscher in gewisser Weise in Beziehung tritt. Dadurch stellt es gleichzeitig eine hilfreiche Gedächtnisstütze dar, die eine mentale Verbindung zwischen Text und interviewter Person schafft (vgl. ebd.). Dem oben angeführten Interview gab ich das Motto: "Ich bin so `n kleener Nervöser". Ebenso wurden für die Beobachtungsprotokolle Mottos formuliert. In dem aufgezeigten Fall lautet es: "Alles ist 100%ig geregelt."

5.6.3.2 Zusammenfassende Nacherzählung

Die Nacherzählung sollte laut der Angabe von Jaeggi et al. (1998) als Legende der Transkriptionen in Form einer Zusammenfassung des Textes stattfinden, die "das Wesentliche des Gesprächs" (ebd., S. 8) auf maximal zwei Seiten darstellt. Auf diese Weise soll das umfangreiche Material im Sinne einer besseren Überschaubarkeit komprimiert und verdichtet werden. Zudem werden dadurch erste Interpretationsschwerpunkte sichtbar, die im Folgenden detailliert betrachtet werden können (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 8).

Da im Verlauf des Forschungsprozesses mehrere Gesprächssequenzen von unterschiedlichem Umfang aufgezeichnet wurden, existieren diverse zusammenfassende Nacherzählungen von Transkriptionen. Ebenso fungieren die Beobachtungsprotokolle durch die darin enthaltene zusammenfassende Darstellung von Prozessen als Nacherzählung. Da die Einsicht in Akten bzw. die Fachgespräche dazu genutzt wurden das bestehende Material anzureichern und zu erweitern, wurde im Vorfeld eine Auswahl inhaltlicher Schwerpunkte getroffen. Dadurch erscheinen die Notizen als gut fassbar bzw. überschaubar und verbleiben in der stichpunktartigen Abbildung.

An dieser Stelle sollen zwei Sequenzen aus Nacherzählungen aufgezeigt werden, die auf Transkriptionen von Gesprächen mit einer Person an verschiedenen Tagen beruhen. Der erste Ausschnitt entstand in der konkreten Arbeitssituation, der zweite in einer Unterhaltung in einem Büro der HMS.

Beispiele: Zusammenfassende Nacherzählung (Ausschnitt)

Nacherzählung R., T1: "Lieber so, als daheeme rumhäng` und nichts machen." Nach dem Unfall bzw. in Folge der erworbenen Hirnschädigung war es für Robert nicht mehr möglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden. Daraufhin wurde er direkt von der Rehabilitationsklinik an die HMS vermittelt und nahm an einem "Probeschnuppern" (Z. 16) teil. Seine Anstellung verlängerte sich seitdem immer wieder bis er vor mehreren Jahren einen Beschäftigungsvertrag erhielt, der ihm folgende Annahme vermittelt: "(S)olange ich diese Einrichtung brauch`, kann ich hier bleiben" (Z. 32). Robert ist sehr froh über die Möglichkeit in der Stiftung tätig zu sein, denn er möchte lieber arbeiten, "als daheeme rum(zu)häng` und nichts (zu) machen" (Z. 38). Des Weiteren führt er an, dass es nicht einfach wäre für Personen wie ihn, die "Probleme ham mit`m Kopf" (Z. 41) sowie mit Reaktion und Konzentration, eine Anstellung zu finden. Robert gibt an, dass es Verbesserungen gibt, aber dass es "noch ni` perfekt" (Z. 61) sei.

Nacherzählung R., T3: "Ich bin so `n kleener Nervöser."

Robert schildert, dass er durch den Unfall "vieles (wieder) lern` (muss), wie `n kleenes Kind" (Z. 11). Häufig scheut er sich neue Herausforderungen sowie noch unbekannte Aufgaben anzunehmen. Durch Beeinträchtigungen im Bereich der Konzentration möchte er mit Arbeiten "schnell fertig werden" (Z. 43), aber "wenn de schnell fertig wirst, machst de viele Fehler" (ebd.). An seinem Arbeitsplatz befindet sich ein Gehörschutz, den er verwendet, falls ihn Umgebungsgeräusche zu stark ablenken. Zur Kompensation der Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses bzw. der Merkfähigkeit konnte er sich bereits zahlreiche Hilfsmittel aneignen. Zum Beispiel unterstützen ihn im Alltag sowie bei der Erledigung von Aufträgen ein "Gedächtnisbuch" (Z. 70), Pläne sowie schriftliche Arbeitsaufträge. Er benötigt regelmäßig sich wiederholende Tätigkeiten "bis das im Körper drin` is`, der Kopp das begreift" (Z. 223), und er in der Lage ist, Handlungen zu verinnerlichen bzw. zu automatisieren. Jeder Tag in der Woche gestaltet sich nach dem gleichen Rhythmus und auch in der Freizeit garantieren Pläne den starren Ablauf. Wenn diese Struktur durchbrochen wird und Robert zum Beispiel kurzfristig die Tätigkeit, die er momentan ausführt, für eine andere Aufgabe verlassen muss, gerät er unter Druck. Besser damit umgehen kann er, wenn ihm der Wechsel vorher angekündigt wird, und er sich darauf einstellen kann. Veränderungen an sich selbst bemerkt der Teilnehmer nach seiner Aussage nicht. Jedoch werden diese durch Personen in seinem Umfeld, wie seine Eltern, der Soz-Päd. oder der AT, festgestellt. Als positiv bewertet er, dass man ihm die Beeinträchtigungen nicht ansieht.

5.6.3.3 Stichwortliste

Um den vorhandenen Text noch weiter zu verdichten, folgt im dritten Teil eine chronologische Auflistung aller "auffälligen, gehaltvollen Worte oder Begriffe des Textes" (Jaeggi et al. 1998, S. 9). Damit diese ihrem Sinn entsprechend für den Leser nachvollziehbar bleiben, habe ich sie z. T. in ganze Wortgruppen eingebettet und anschließend hintereinander aufgelistet. Neben der Straffung des Materials dient dieser Arbeitsgang dazu, sich auf "spontane Interpretationsversuche einzulassen" (vgl. ebd.).

In der Aufstellung wurden sowohl die Stichworte aus den Transkriptionen als auch aus den Protokollen der Beobachtungen und des Expertengesprächs sowie der Notizen aus den Akten einschließlich ihrer Bezugsquelle vermerkt. An dieser Stelle soll die Stichwortliste anhand eines Ausschnitts aus einer Transkription dokumentiert werden.

Beispiel: Stichwortliste (Ausschnitt)

  • kriech` (...) `n roten Kopp und fang` an zu schwitzen (T3, Z. 85)

  • bin (...) ni` hier, um das zu üben, Stress (T3, Z. 88)

  • mach` mr manchma` selber Stress, wenn `ch mich selber unter Druck setze (T3, Z. 90)

  • mach` und mach` ma` das jetzt und mach` ma das hier, das is` für mich Stress (T3, Z. 97)

  • konzentrier` mich erstma` nur off die eene Arbeit (T3, Z. 100) -muss Superqualität wern (T3, Z. 101)

  • Arbeit, die ich gerne mache, muss `ch dann verlassen (T3, Z. 112)

  • wer`ch halt aus meim Arbeitszeuch raus gezogen (T3, Z. 115)

  • dran gewöhnt, deswegen kann ich damit umgehn (T3, Z. 117)

  • mag das ni` alles so kurzfristig (T3, Z. 119)

  • da weeß ich das, da kann `ch mich o` droff vorbereiten (T3, Z. 121)

  • gleiche Abläufe, das is` wichtig (T3, Z. 128)

  • brauch` jeden Tag `n gleichen Ablauf (T3, Z. 130)

  • immer der gleiche Ablof (T3, Z. 135)

  • Plan (...) da steht ... dran, was jeden Tag zu machen is` (T3, Z. 140)

  • mittlerweile brauch` mr den ni` mehr, weil sich das eingelebt hat (T3, Z. 143)

  • Probleme mit der Merkfähigkeit (T3, Z. 149)

  • brauch ich bloß of den Plan gucken (T3, Z. 150)

  • Dinge über `n gewissen Zeitraum ni` merken kann (T3, Z. 151)

  • is` och schon besser geworn (T3, Z. 153)

  • `n Zettel gemacht (...) das is` für mich `ne Hilfe (T3, Z. 161)

  • wenn ich den Zettel ni` hätte, kann sein, ich vergess` es (T3, Z. 164)

  • hab` mich dran gewöhnt, (...) kann damit leben, (...) hab` damit kee` Problem (T3, Z. 178)

  • man sieht mr das ni` an (...) das is` das Gute (T3, Z. 181)

  • merkt man dir doch gar ni` an (...) du kannst och so schön sprechen (T3, Z. 192)

  • deswegen kann ich o` damit leben, weil mir merkt man das ni` an (T3, Z. 196)

5.6.3.4 Themenkatalog

Um den Themenkatalog zu erstellen, "werden aus der Stichwortliste verschiedene angesprochene Themenbereiche extrahiert" (Jaeggi et al. 1998, S. 9). Aussagen, die sich in ihrer Kausalität bzw. in ihrem Sinngehalt ähneln, werden unter einem Oberbegriff zusammengefasst. Dieser Arbeitsgang bewegt sich nicht mehr ausschließlich direkt am Text, sondern findet auf einer höheren bzw. komplexeren Abstraktionsebene statt (vgl. ebd.). Die erstellten Themen können als Vorstufe der interviewspezifischen zentralen Kategorien betrachtet werden (vgl. ebd., S. 10). Sie bestimmen den weiteren Prozess der Auswertung und der Ergebnisgewinnung mit und helfen ihn zu gliedern. Aus diesem Grund sollte sich die Themenbildung nicht ausschließlich und rigoros auf die Aspekte beziehen, die die Forschungsfrage vorgibt oder die der Forscher gedanklich vorgefertigt hat. Sondern es sollte versucht werden, eigenständige gehaltvolle Gruppierungen zu finden, die es ermöglichen, neue Erkenntnisse bzw. Erklärungen zu erlangen. In diesem Sinne erlangen auch gewisse Eindrücke und Stimmungen bzw. Besonderheiten in der Interaktion oder Sprache an Bedeutung (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 10).

Durch diesen Arbeitsschritt vollzieht sich in meinem Vorgehen ein erster Zusammenschluss des kompletten Ausgangsmaterials der einzelnen Teilnehmer. Um die ursprüngliche Bezugsquelle der verschiedenen Stichworte nachvollziehen zu können, wurden sie in Klammern mit unterschiedlichen Kennzeichnungen versehen. Der Buchstabe "T" steht für Transkription, "B" für Beobachtung, "Ak" für Akte und "E" für Expertengespräch.

Beispiele: Themenkatalog (Ausschnitt)

12. Kompensation - Gedächtnis

  • mei` Gedächtnisbuch (T3, Z. 70) -Plan (...) da steht (...) dran, was jeden Tag zu machen is` (T3, Z. 140)

  • brauch` ich bloß of den Plan gucken, weeß `sch, ach das war das (T3, Z. 150)

  • `n Zettel gemacht (...) das is` für mich `ne Hilfe (T3, Z. 161)

  • wenn ich den Zettel ni` hätte, kann sein, ich vergess` es (T3, Z. 164)

  • ganzen Schritte (...) offgeschrieben (T3, Z. 209)

  • Zettel (...) falls ich das vergesse (...), damit ich weeß, wo ich dann droff kucken muss (T4, Z. 7)

  • Fehlerkontrolle (T4, Z. 67)

  • Merkbuch: Schreibt ein, was er jeden Tag gemacht hat und wenn er am Abend mit seinen Eltern telefoniert, kann er dann mit dieser Hilfe erzählen (B1)

  • Heft ist sein "2. Gedächtnis" (B1)

  • Bücher und Fotoalben zeigen "sein 2. Leben" (B1)

  • Gedächtnis nicht mehr so intakt ... Fotos sein zweites Leben (B2)

  • "Fehlerkontrolle": Arbeit von selbst kontrollieren und daher auf Qualität achten (B3)

  • Grundvoraussetzung kontinuierliche Führung eines Notizbuches, um gravierende Gedächtnisstörung zu kompensieren -> Nutzung ist derzeit zuverlässig und eigenständig (Ak)

  • Nutzung Notizbuch: Selbstständig abgegrenzte und vorstrukturierte Teilaufgaben zu übernehmen und in guter Qualität zu bearbeiten (Ak)

13. Bedarf an Struktur und Routine

  • gleiche Abläufe, das is` wichtig (T3, Z. 128)

  • brauch` jeden Tag `n gleichen Ablauf (T3, Z. 130)

  • immer der gleiche Ablof (T3, Z. 135)

  • weil das immer das Gleiche is` (T4, Z. 192)

  • das is` immer das Gleiche (T4, Z. 213)

  • immer der gleiche Weg (T4, Z. 216)

  • immer der gleiche Ablauf (B3)

  • Stammplatz (B3)

  • Ablauf des Streichens der Latten immer genau der gleiche ist - fast identisch (B3)

  • überpünktlich (B1)

  • zwanghaft anmutendes Verhalten als wichtiger Therapieerfolg im Sinne einer erfolgreichen Kompensationsstrategie zu bewerten (Ak)

  • aufgrund erarbeiteter Struktur ausreichend gut in der Lage Anforderungen nachzukommen (Ak)

  • Bedingungen der Organisation hat er angenommen und erfüllt sie nun teilweise zwanghaft - Zwänge geben Sicherheit, Struktur und Klarheit (E)

5.6.3.5 Paraphrasierung

Obwohl die Paraphrasierung vom Wortlaut einer verdeutlichenden Umschreibung entspricht, besteht laut Jaeggi et al (1998) bezüglich der Interpretationsleistung ein Unterschied zur bereits vollzogenen Nacherzählung (vgl. ebd., S. 12). Durch die Gliederung des Themenkatalogs ist der Forscher nun in der Lage, die Zusammenfassung durch einen subjektiven und intuitiven Gehalt zu bereichern. Das Ziel dieses Arbeitsschrittes ist es, geeignete übergeordnete Begriffe zu finden, die den Merkmalen der Einzelinterviews entsprechen. Dazu werden die bestehenden Themen nochmals geprüft, überarbeitet und präzisiert oder zusammengelegt (vgl. ebd.).

In den Klammern befinden sich die Ziffern, die im Themenkatalog als Nummerierung verwendet wurden.

Beispiel: Paraphrasierung (Ausschnitt)

Arbeit ist für Robert wichtig (16). Er ist sich jedoch darüber im Klaren, dass er nicht wieder die Tätigkeit aufnehmen kann, der er früher nachgegangen ist (17). Im Allgemeinen ist er der Annahme, dass er als Mensch mit einer Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Chance habe (17). Zudem kommen Ängste, dass er in seiner Andersartigkeit von "gesunden" Personen nicht oder falsch verstanden werden könnte (18). Auf der anderen Seite fühlt er sich auch dem Klientel einer WfbM nicht zugehörig, und es würde ihm schwer fallen mit ihm zusammenzuarbeiten (19).

Die Einrichtung bezeichnet er als sein "Leben" und gibt an, dass er sich "pudelwohl" fühlt (20). Er schwört auf seinen AT (21), weil er weiß, "wo`s langläuft" und mit ihm umgehen kann. Zudem schätzt er die Kollegialität (22) sowie den Austausch mit "Leuten, die och Probleme ham" (23). Die bestehenden Arbeitsbedingungen bezeichnet er als ideal (24). Auch aus Sicht der Sozialpädagogin sind in Roberts Fall die Bedingungen optimal auf seinen Bedarf abgestimmt (25). Er bewegt sich am Betreuten Arbeitsplatz innerhalb seiner Leistungsgrenzen, kann daher auf seine Ressourcen zurückgreifen und sich auf die gestellten Anforderungen einlassen (25).

Robert ist auf stets gleiche Abläufe, feste Strukturen und Routinehandlungen angewiesen, um im Alltag bestehen zu können (13). Sein fast zwanghaft anmutendes Verhalten ist als wichtige Kompensationsstrategie zu betrachten (13). Es bietet ihm Sicherheit, Klarheit und Struktur (13). Gleichzeitig bildet es eine Hilfe zur Aneignung von Abläufen. Durch die ständige Wiederholung von gleichen Prozessen wird die Ausführung automatisiert und kann nach einer schrittweisen Einführung durch den AT letztendlich vom Beschäftigten selbst übernommen werden (14). Da der Teilnehmer bei der Konfrontation mit neuartigen oder mehreren Tätigkeiten sowie mit komplexen Arbeitsaufträgen schnell überfordert ist bzw. gestresst reagiert, benötigt die Anbahnung solcher Aufgaben seitens des AT viel Feingefühl und Kontinuität (9, 10). Unterstützend im Arbeitsprozess wirken daher das Vermitteln von Überschaubarkeit durch eine Vorschau am Ende eines Arbeitstages auf die Aufgaben des nächsten Tages (25) sowie wiederkehrende Tätigkeiten (26). Am liebsten bearbeitet er Aufträge, mit denen er vertraut ist, die er von Anfang bis Ende selbst ausführen kann und danach ein Ergebnis in den Händen hält (24). Dies macht in seinen Augen eine sinnvolle Tätigkeit aus (24). Robert schätzt zudem einen "ruhigen" sowie fest installierten Arbeitsplatz, an dem Störquellen weitestgehend ausgeschaltet sind (13, 24).

5.6.3.6 Interviewspezifische zentrale Kategorien

Im letzten Teil der Auswertung der Einzelinterviews werden sämtliche Ergebnisse aus den vorangegangenen Arbeitsschritten nochmals einbezogen und zu einem Gesamtwerk zusammengefügt (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 13). Die resultierenden Begriffe werden als zentrale Kategorien bezeichnet und sind bereits als Komponenten der Theorie zu betrachten. Dadurch heben sie sich vom gewöhnlichen Alltagswissen ab. Anhand der zentralen Kategorien können in den folgenden Auswertungsphasen verschiedene Interviews miteinander verglichen werden (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 14).

Beispiel: zentrale Kategorien, interviewspezifisch

1. Folgen der erworbenen Hirnschädigung

  • allgemeine Beschreibungen

  • Emotionalität / Stimmungsschwankungen

  • Konzentration

  • geteilte Aufmerksamkeit

  • Reaktionsfähigkeit

  • Selbstreflexion / Krankheitseinsicht / Akzeptanz

  • Gedächtnis

  • Flexibilität

  • Belastbarkeit / Umgang mit Stress und Überforderung

2. Kompensationsstrategien

  • geteilte Aufmerksamkeit

  • Gedächtnis

  • Bedarf an Struktur und Routine

  • Automatisierung / Verinnerlichung

3. Bedeutung von Arbeit

4. Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt

5. Ängste

6. Auseinandersetzung mit der WfbM

7. Die Helene-Maier-Stiftung

  • Subjektive allgemeine Bewertung

  • Anleitung

  • Kollegen

  • Peer Group

8. Ansprüche an ideale Arbeitsbedingunge

  • aus Sicht des Teilnehmers

  • aus Sicht der Umwelt

9. subjektiv empfundener Zugewinn im Zeitraum nach der Hirnschädigung

10. Nutzung von Ressourcen durch optimale Anpassung

11. Wünsche für die Zukunft

12. Wiederholte Passagen / Doppelungen

13. Private Unterstützung

5.6.4 Die zweite Auswertungsphase

Da in der zweiten Auswertungsphase ein systematischer Vergleich stattfindet, müssen mindestens zwei Interviews existieren, bei denen die erste Auswertungsphase bereits vollendet wurde (vgl. Jaeggi et al 1998, S. 14). In den folgenden drei Arbeitsschritten werden sie miteinander in Beziehung gesetzt.

5.6.4.1 Synopsis

Jaeggi et al. (1998) erläutern, dass für die vergleichende Übersicht der Synopsis eine Tabelle entworfen wird, in deren Spalten die zentralen Kategorien aus der ersten Auswertungsphase übernommen werden (vgl. ebd., S. 14). In die Zeilen werden untereinander die verschiedenen Interviews eingetragen (ebd.). Da es sich in meiner Arbeit um einen Zusammenschluss mehrerer Datenquellen handelt, habe ich die unterschiedlichen Teilnehmer in den Spalten geführt. Die vorhandenen Kategorien wurden in den Zeilen dargestellt. In dem entstandenen Raster werden zutreffende Kategorien durch Kreuze markiert. Die Zahl in der Klammer unter dem Kreuz verweist auf den Gliederungspunkt der jeweiligen Kategorie im entsprechenden Interview (vgl. ebd., S. 14).

Mit Hilfe der Synopsis erhält der Forscher einen ersten Überblick über mögliche Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Teilnehmern. Im Rahmen der qualitativen Forschung sind jedoch nicht nur die am häufigsten vorkommenden, sondern auch die idiosynkratischen Kategorien als relevant bzw. wichtig für den Gewinn neuer Erkenntnisse zu betrachten (vgl. ebd., S. 15). Diese ergeben sich aus den Spalten, die nur einmal markiert wurden.

In dem exemplarischen Ausschnitt der Synopsis habe ich die Unterkategorien bewusst ausgespart, um eine bessere Überschaubarkeit zu erzielen.

Beispiel: Synopsis (Ausschnitt)

 

Andreas

Robert

Katrin

Daniel

Tilo

Erfahrungen aus Kindheit

X (1)

       

Folgen der Hirnschädigung

X (2)

X (1)

X (1)

X (1)

X (1, 2, 3)

Kompensations-möglichkeiten

X (3)

X (2)

X (7)

 

X (4)

Vgl. zw. früher und heute

X (4)

       

Bedeutung von Arbeit

X (5)

X (3)

X (5)

X (4)

X (7)

Allgemeiner Arbeitsmarkt

 

X (4)

 

X (8)

X (12)

WfbM

X (9)

X (6)

X (4)

X (9)

X (13)

Stiftung

 

X (7)

X (6)

X (6)

X (8)

Ressourcen

X (6)

X (10)

 

X (5)

X (9)

Optimale Bedingungen

X (7)

X (8)

X (8)

 

X (11)

Suboptimale Bedingungen

X (8)

   

X (11)

 

Ängste

 

X (5)

X (3)

   

Privatleben als Unterstützung

X (10)

X (13)

 

X (12)

X (14)

Finanzielle Ab- Sicherung

X (11)

       

Wünsche für Zukunft

X (12)

X (11)

X (9)

X (13)

X (15)

5.6.4.2 Verdichtung

In diesem Arbeitsgang werden mehrere zentrale Kategorien zu einem neuen Konstrukt zusammengefasst und verdichtet (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 15). Der Forscher konzentriert sich dabei in seinem Vorgehen auf Aspekte, die ihm als bedeutsam und Erfolg versprechend für die weitere Auswertung erscheinen. Die Zielsetzung ist weniger darauf ausgerichtet, logische Oberbegriffe zu finden, als dass sich die psychologische Gestalt der Ergebnisse unter dem Einfluss der vorangegangenen Einzelschritte weiter verdeutlichen und hervortreten soll. Es ist darauf zu achten, dass stets ein Rückbezug zum ursprünglichen Material stattfindet. Durch diesen erneuten Perspektivwechsel im Sinne der Zirkularität wird von der Ebene der Intuition auf den Ausgangspunkt der konkreten realen Person geschlossen (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 15).

Beispiel: Verdichtung

1. Das neue Leben nach der Hirnschädigung

  • Folgen von Hirnverletzungen (Motorik, Gedächtnis, Sprache, Kognition, Belastbarkeit, Emotionalität, Konzentration, Selbst- und Krankheitswahrnehmung, Akzeptanz, ...)

  • Der veränderte Alltag (Beeinflussung des Alltags durch Einschränkungen, resultierende Veränderungen im beruflichen und privaten Bereich, ...)

  • Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Behinderung' (Abgrenzung Behinderung und erworbene Hirnschädigung, unsichtbare Behinderung, ...)

2. Berufliche (Wieder-/)Eingliederung

  • Bedeutung / Einstellung zur Arbeit

  • Vorhandensein von individuellen Ressourcen

3. Gestaltung von Arbeitsbedingungen

  • Optimum (Mitbestimmung, Freiheit, Struktur, Vielseitigkeit / Flexibilität, Vertrauen, Kommunikation / sozialer Kontakt, Selbstverwirklichung, ...)

  • Kompensationsmöglichkeiten (Pläne, Schriftliche Anweisungen, Merkheft / Notizbuch, selbstangeeignete Strategien, Handy, Niederschriften, Arbeitsplatzgestaltung, ...)

  • suboptimale Faktoren (Arbeitsweg, unbekannte oder wenig strukturierte Arbeitsaufgaben, ...)

4. Der betreute Arbeitsplatz als Beispiel optimaler Bedingungen

  • Arbeitsklima (Akzeptanz und Respekt, Humor, Offenheit...)

  • Arbeitsinhalte (Vorkenntnisse, reale Bedingungen, ...)

  • Anleitung / Unterstützung

  • Kollegen (Kollegialität, Peer Group, ...)

  • Pensum

  • Zugewinn / empfundene Verbesserung

5. Alternativen zur geschützten Beschäftigung

  • WfbM

  • Allgemeiner Arbeitsmarkt

  • Berufsförderwerk

6. Arbeit und sonst?

  • Privatleben als wichtiger Unterstützungsfaktor

  • Selbstständiges Wohnen

  • Wünsche für die Zukunft

5.6.4.3 Komparative Paraphrasierung

Die komparative Paraphrasierung ähnelt im Vorgehen der Paraphrasierung der ersten Auswertungsphase. Die Gegenstände der Bearbeitung sind hierbei jedoch nicht die Themen der Einzelinterviews, sondern die Konstrukte, die im Prozess der Verdichtung aus den Kategorien verschiedener Interviews erschlossen wurden. Im Verlauf dieses Arbeitsschrittes werden sie anhand von Zitaten mehrerer Interviews belegt und erläutert. Dadurch wird sichtbar wie unterschiedlich Situationen von verschiedenen Personen erlebt und erläutert werden (vgl. Jaeggi et al. 1998, S. 16 f.). Durch die Differenzierung der einzelnen Phänomene zeigen sich innerhalb der entstehenden Gestalt vielfältige Variationen anhand von Kontrasten, Schattierungen und Überlappungen. Im Gesamtbild führt dies zu einer weiteren Verstärkung ihrer Konturen und zum Gewinn von Verständlichkeit. Das Konstrukt setzt sich als fester Bestandteil der in Entwicklung stehenden Theorie durch (vgl. ebd., S. 17).

Während der zweiten Auswertungsphase erschließt sich die Bedeutung des Zirkulären Dekonstruierens vollkommen. Durch die vielschrittige Auswertung und den mehrfachen Perspektivwechsel wird "die übliche lineare Phasenfolge von Erhebung - Auswertung - Ergebnisdarstellung (durchbrochen)" (ebd., S. 16), und es eröffnen sich neue Erkenntnismöglichkeiten.

Beispiel: Komparative Paraphrasierung (Ausschnitt)

Suche nach der Wirklichkeit zwischen Selbstüberschätzung und Schamgefühl

Der Aspekt der Krankheitswahrnehmung und Akzeptanz scheint zwischen Betroffenen und Umwelt häufig umstritten und indifferent bewertet zu sein. Im Vergleich zwischen Interview, Beobachtung, Aktennotiz und Expertengespräch zeichnen sich teilweise so unterschiedliche Bilder, dass man glauben könnte, es handle sich um verschiedene Personen. Zum Beispiel äußert Tilo in einem Gespräch, dass er nicht "wüsste (...), wo (sein) Problem sein soll" (T., T1, Z. 658), um wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden zu können. Die Beobachtungen und Gespräche ergeben jedoch, dass er aufgrund diverser Beeinträchtigungen auf Unterstützung angewiesen ist. Auch Robert gibt an, dass er "nich` mehr so ist wie vor `m Unfall" (R., T3, Z. 7), konstatiert zudem jedoch, dass er an sich selbst "eher weniger" Veränderungen feststellt. Diese werden ihm "durch andere (wie) AT, SOZ-PÄD. oder Eltern" vermittelt (R, T3, Z. 15). Er erläutert, "wo ich das erste Ma` hier war (...), wußt` ich och ni` was ich hier will." (ebd., Z. 436). Durch eine stete klare Rückmeldung seines Umfelds begann er zu verstehen, an welchem Punkt er sich befindet und ist dadurch in der Lage Hilfen anzunehmen und Kompensationsmöglichkeiten zu nutzen. Die Anpassung der Bedingungen bewertet er als "Fortschritte" (R., T3, Z. 496). Auch Daniel gibt an, dass er keine Probleme bei der Arbeit habe, obwohl ihm seine motorischen Beeinträchtigungen teilweise zu schaffen machen (vgl. D., B3, S. 2). Laut dem AT würde er zwar qualitativ hochwertig arbeiten, aber habe mit dem bestehenden Arbeitstempo keine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (vgl. ebd., S. 3). Da die Bedingungen innerhalb der Stiftung auf die individuellen Fähigkeiten der einzelnen Beschäftigten abgestimmt sind, könnte es sein, dass dadurch der Blick für die Realität getrübt ist und eventuelle Einschränkungen nicht wahrgenommen werden. Andreas gesteht sich ein, dass es "einige Probleme" gibt (A., T5, Nachtrag), überschätzt sich jedoch teilweise in seiner Selbstständigkeit (vgl. A., E). Er hadert nach wie vor mit seiner jetzigen Situation, versucht aber das Beste daraus zu machen (vgl. ebd.). Um mit den Veränderungen umgehen zu können, hat er seine eigenen "Strategien" (A., T5, Z. 181) entwickelt.

Des Weiteren zeigt sich in manchen Fällen ein Schamgefühl für verloren gegangene Fähigkeiten und die Verwendung von Hilfsmitteln wie bei Andreas und Katrin. Der junge Mann kreuzt z. B. seinen Plan an als ich nicht dabei bin (vgl. A, B2, S. 1 f.) und macht seine Notizen im Verborgenen (vgl. ebd., S. 2). Die junge Frau äußert, dass sie sich "dafür schäm`" (K, T1, Z. 421) würde, "was (sie) alles ni` kann" (ebd., Z. 418).

5.6.5 Die dritte Auswertungsphase - Vom Idiosynkratischen zum Kollektiven

Bei idiosynkratischen Momenten handelt es sich wortwörtlich um etwas Spezifisches, Eigentümliches bzw. Singuläres, was z. B. "in Metaphern, ungewöhnlicher Wortwahl, irritierenden Interaktionsformen" (Jaeggi et al. 1998, S. 17) oder in Themen, die sich augenscheinlich abseits vom entsprechenden Kontext bewegen, zum Ausdruck kommt. Es sind folglich bestimmte Sachverhalte gemeint, die dem Forscher aufgefallen sind, jedoch bis zu diesem Zeitpunkt in der Auswertung noch keine Erwähnung gefunden haben. Die genauere Betrachtung und Analyse dieser vorerst ungewohnten oder gar störenden Einzelfaktoren kann einerseits zu einer Aufwertung des Allgemeinen oder zu dessen Überarbeitung und Aktualisierung beitragen (vgl. ebd., S. 17 f.). Andererseits ist es möglich, dass dadurch neue, noch nicht bearbeitete Fragerichtungen eröffnet werden bzw. auf weitere Forschungen verwiesen wird (vgl. ebd., S. 18).

Die Thematik "Idiosynkratisches als Ausdruck des Kollektiven" wird im Kapitel 6.5 und "Idiosynkratisches als Eröffnung einer neuen Fragerichtung" wird im achten Kapitel ausführlich erläutert und praktisch belegt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle darauf verzichten.

5.6.6 Die vierte Auswertungsphase - Die Ergebnisse

Die vierte Phase stellt den krönenden Abschluss der gesamten Auswertung dar. Die Ergebnisse der komparativen Paraphrasierung werden unter Einbeziehung des theoretischen Hintergrundes dargestellt und diskutiert. Es erfolgt eine erneute Gliederung und Kürzung der Inhalte im Sinne der Prägnanz. Durch die Gegenüberstellung mit der Literatur wird sichtbar, ob die gewonnen Erkenntnisse "geeignet sind, eine bereits formulierte Theorie zu bestätigen, sie zu differenzieren, sie anzureichern oder sie infragezustellen (sic!)" (Jaeggi et al. 1998, S. 19).

Damit der Prozess der Erkenntnisgewinnung für den Leser anschaulich und nachvollziehbar erscheint, werden immer wieder Bezüge zum Ausgangsmaterial durch das Einflechten von typischen und treffenden Zitaten geschaffen (vgl. ebd., S. 18). Dadurch wird zudem ersichtlich auf welche Weise Zusatzinformationen zugänglich wurden oder sich neue Fragestellungen aufgetan haben (vgl. ebd.).

Als Resümee oder Zusammenfassung folgen eine Darstellung der praktischen und forschungsorientierten Schlussfolgerungen sowie eine Ableitung von Konsequenzen für die Theorie und die empirische Forschung.

Der an dieser Stelle theoretisch erläuterte Sachverhalt wird im Kapitel 6 in die Praxis umgesetzt sowie dokumentiert bzw. diskutiert.

5.7 Gütekriterien

Im Verlauf dieses Kapitels soll durch eine theoretische und praktische Darstellung nachgewiesen werden, dass zur Erstellung der Arbeit wissenschaftliche Gütekriterien verwendet wurden.

Gemäß Flick (2007) ist die Frage, wie die qualitative Forschung bewertet werden soll, bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zufrieden stellend beantwortet (vgl. ebd., S. 487). Demnach bieten gegenwärtig weder die klassischen Gütekriterien der quantitativen Forschung, Reliabilität, Validität und Objektivität, noch alternative Kriterien eine optimale Lösung (vgl. ebd., S. 506).

Da sich die bisherige Entwicklung bzw. Anpassung von entsprechenden Kriterien für die qualitative Forschung als nur wenig Erfolg versprechend darstellt und das Einflechten erläuternder Zitate allein nicht ausreicht, um das gesamte Verfahren nachvollziehbar zu belegen, habe ich mich für die klassische Variante entschieden, um die Güte der Ergebnisse zu ermitteln (vgl. ebd., S. 488/506). Zudem möchte ich deren Grad der Verallgemeinerbarkeit erläutern.

5.7.1 Reliabilität

Mit dem Begriff ‚Reliabilität' ist die Zuverlässigkeit eines Textes bzw. "die Prüfung der Verlässlichkeit von Daten von Vorgehensweisen" (Flick 2007, S. 492) gemeint.

Flick (2007) merkt in Anlehnung an Kirk und Miller (1986) an, dass verschiedene Möglichkeiten vorhanden sind, um eine Erhöhung der Reliabilität von Daten herbeizuführen (vgl. ebd., S. 490). Da in der "Prozeduralen Reliabilität" (ebd.) vor allem der Dokumentation eine zentrale Bedeutung zukommt, sollte auf qualitativ hochwertige sowie auf standardisierte Aufzeichnungen geachtet werden (vgl. ebd.). Aus diesem Grund überlegte ich mir im Vorfeld allgemeingültige Regeln, nach denen ich mein Vorgehen sowie die Verschriftung der Daten einheitlich ausrichtete. Um die Dokumentation meiner Feldnotizen zu strukturieren, nutzte ich laut der Empfehlung von Girtler (2001) während der Beobachtungen und Gespräche mit den Teilnehmern ein kleines Heft, in das ich in der konkreten Situation einzelne prägnante Stichworte übernahm, die im Nachhinein bei der Erstellung des Protokolls eine Art Gerüst oder Leitfaden bildeten (vgl. ebd., S. 141). Anhand der Stichworte wurde direkt im Anschluss an die jeweilige Situation eine ausführliche Niederschrift abgefasst, die neben der Schilderung des Hergangs auch Eindrücke, Empfindungen und Bilder über die jeweiligen Kontakte aufnahm. Des Weiteren hielt ich in einem Forschungstagebuch den Verlauf des Forschungsprozesses fest, in dem ich gewisse Erfahrungen, Probleme, Ideen und Befürchtungen sowie Gedanken, Hinweise und Kontaktdaten notierte (vgl. Flick 2007, S. 377; Girtler 2001, S. 133).

Flick (2007) berichtet weiter, dass Kirk und Miller (1986) sowie Silverman (1993) vorschlagen, für Aufzeichnungen bestimmte Konventionen zu nutzen, um "die Vergleichbarkeit der Perspektiven, die zu den jeweiligen Daten geführt haben" (Flick 2007, S. 491) und damit die Reliabilität zu erhöhen. In diesem Sinne kennzeichnete ich in den Beobachtungsprotokollen die Formulierungen und subjektiven Sichtweisen, die vom Teilnehmer getroffen wurden, beispielsweise durch Anführungszeichen und unterschied sie somit von meiner eigenen Begriffswahl und Interpretation. Dadurch wurden die Deutbarkeit sowie die Überprüfbarkeit durch einen anderen Leser bzw. Forscher sichergestellt (vgl. ebd.). Des Weiteren verwendete ich für die Transkriptionen der Aufnahmen der Gespräche einheitliche bzw. konventionalisierte Regeln (siehe Kap. 5.6.2.1), die ebenso verdeutlichen auf welche Art und Weise die Daten entstanden sind (vgl. Flick 2007, S. 491).

Da ich mehrere Gespräche mit den Teilnehmern in unterschiedlichen Situationen führte, war es mir möglich, die Gesprächsführung und vor allem den Einstieg stets im Nachgang zu überprüfen und zu evaluieren sowie dadurch die Reliabilität zu erhöhen (vgl. ebd.).

Während der gesamten Ausarbeitung war es mir wichtig, mein Vorgehen für den Leser nachvollziehbar zu gestalten. In den Kapiteln über die Erhebungs- und Auswertungsmethode begründete ich meine Wahl umfassend. Die einzelnen Schritte der Auswertung sind anhand von Textpassagen belegt und sollen dadurch einen Einblick in das interpretatorische Handwerk gewähren. Im Anhang befinden sich weitere Beispiele des Ausgangsmaterials, durch die der Leser in der Lage ist, ein eigenes Verständnis zu entwickeln sowie die Güte meiner Aussagen zu überprüfen.

Die Materialien sind stets durch Bezeichnungen gekennzeichnet, damit ihre Herkunft verdeutlicht und somit nachvollziehbar wird. In den Klammern befindet sich an der ersten Stelle der Anfangsbuchstabe des entsprechenden Teilnehmers (R., A., K., D. oder T.). Danach ist die jeweilige Bezugsquelle zu entnehmen. Der Buchstabe "T" steht für Transkription, "B" für Beobachtung, "Ak" für Akte und "E" für Expertengespräch. Diese Quellen sind teilweise nummeriert. Zusätzlich wurde bei Transkriptionen die Zeile angegeben, auf der sich der Ausspruch befindet und bei Beobachtungsprotokollen die entsprechende Seite. Bei den Notizen aus der Akteneinsicht und aus dem Expertengespräch unterblieb dies, wegen des überschaubaren Umfangs des Materials.

5.7.2 Validität

Die Validität bezieht sich laut Flick (2007) auf das Grundproblem der Diskrepanz zwischen den tatsächlich bestehenden Gegebenheiten sowie Zusammenhängen und der Sichtweise bzw. der Darstellung, die der Forscher davon abgibt (vgl. ebd., S. 493). Das heißt, es besteht die Frage, "inwieweit die Konstruktionen des Forschers in den Konstruktionen derjenigen, die er untersucht hat, begründet sind (...) und inwieweit für andere diese Begründetheit nachvollziehbar wird" (ebd.). Um die Validität bzw. die Gültigkeit zu bestimmen, muss daher das Zustandekommen der Daten überprüft werden (vgl. ebd.).

Da nach Flick (2007) eine valide Schilderung mit einer Erzählung gleichzusetzen ist, die durch den Forscher relativ unbeeinflusst bleibt, sind Interviews im Sinne der Bestimmung der Validität auf den Anteil der Erzählungen und den Grad der Authentizität zu überprüfen (vgl. ebd., S. 494). Es werden weitere differenzierte Vorstellungen zur Überprüfung der Datenlage dargelegt, die sich jedoch stets darauf beziehen, ob der Teilnehmer die Möglichkeit hatte, sich wahrheitsgemäß und vorurteilsfrei zu äußern.

Durch die Wahl des Ero-epischen Gesprächs in der direkten Arbeitssituation wurde bereits im Vorfeld ein authentisches Verhältnis geschaffen, das das Entstehen narrativer Elemente begünstigte, die evtl. bei der Verwendung eines Leitfadeninterviews verzerrt worden wären (vgl. ebd.). Auf diese Thematik ist bereits im Kapitel 5.5.2 ausführlich eingegangen wurden.

Flick (2007) zitiert Wolcott (1990) der im Sinne der "Prozeduralen Validität" (Flick 2007, S. 497) in der ethnographischen Forschung folgende neun Punkte formuliert, die zu ihrer Realisierung beitragen sollen (vgl. ebd.).

(1) Der Forscher soll im Feld weniger selber reden, sondern möglichst viel zuhören. Er soll (2) möglichst genaue Aufzeichnungen erstellen und (3) frühzeitig zu schreiben beginnen, und zwar (4) in einer Form, die es dem Leser seiner Aufzeichnungen und Berichte ermöglicht, selbst zu sehen, d. h. so viel an Daten mitzuliefern, dass Leser ihre eigenen Schlüsse ziehen können und die des Forschers nachvollziehen können. Der Bericht soll möglichst (5) vollständig und (6) offen sein. Der Forscher soll im Feld oder bei seinen Kollegen (7) Feedback zu eigenen Ergebnissen und Darstellungen suchen. Darstellungen sollen eine Balance (8) zwischen den verschiedenen Aspekten und (9) durch Genauigkeit im Schreiben gekennzeichnet sein. (Wolcott 1990, zitiert nach Flick 2007, S. 497)

Im Rahmen dieser Darlegungen setzt Wolcott (1990) die Sicherung der Validität mit einem sensiblen und umsichtigen Handeln im Feld in Beziehung (vgl. Flick 2007, S. 497). Die Art und Weise meines praktischen Vorgehens, das ich versuchte, an eben diesen Aspekten auszurichten, wurde im Kapitel 5.5.3 ausführlich beschrieben. Zudem setzt sich Wolcott (1990) in hohem Maß mit der Art und Weise der Dokumentation und des Schreibens auseinander, das sowohl vollständig, als auch transparent sein sollte. Diese Kriterien habe ich bereits im Kapitel 5.7.1 erläutert. Um der siebenten Forderung zu entsprechen bzw. ein Feedback von außenstehenden Personen bezüglich der eigenen Ergebnisse zu erhalten, strebte ich häufig Gespräche mit Mitarbeitern der HMS an, die mit den Teilnehmern in Kontakt standen. Dazu zählten beispielsweise ein reger Erfahrungsaustausch mit den Arbeitstrainern, der Sozialpädagogin und der Neuropsychologin, aber auch die Informationen, die aus dem Expertengespräch hervorgingen. Zudem lieferte die Einsicht in die Akten valide Daten. Von der "Kommunikativen Validierung" (Flick 2007, S. 495) und damit von der Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse mit allen Teilnehmern musste ich im Rahmen der Diplomarbeit aufgrund der zeitlichen Begrenzung absehen (vgl. ebd., S. 495/498). In diesem Rahmen wäre die Diskrepanz zwischen der Interpretation der Ergebnisse und der verzerrten Selbst- und Störungswahrnehmung einiger Teilnehmer kritisch zu betrachten gewesen. Die Vorstellung und Diskussion bestimmter Gegebenheiten oder Probleme im Rahmen des Diplomantenkolloquiums brachte durch die Unvoreingenommenheit bzw. Neutralität der Mitglieder nochmals neue Erkenntnisse und eröffnete weitere Perspektiven.

5.7.3 Objektivität

Die Objektivität wird laut Flick (2007) nur selten im Zusammenhang mit der qualitativen Forschung für deren Bewertung bzw. Diskussion genutzt (vgl. ebd., S. 499).

Grundsätzlich besteht nach der Aussage von Jaeggi et al. (1998) sowohl bei der Beobachtung als auch bei der Beschreibung und der Transkription die Gefahr der "subjektiven Verzerrung (und) der selektiven Vorinterpretation" (ebd., S. 5). Sie geben weiter an, dass "selbst die besten Regeln (...) keine ‚Objektivität' (...) herstellen" (ebd.) können. Meiner Meinung nach, kann diesem Mangel der Nachweisbarkeit von Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit gewissermaßen durch die Methoden der Freien teilnehmenden Beobachtung sowie des Ero-epischen Gesprächs entgegengewirkt werden. Dadurch, dass das Individuum keiner isolierten Betrachtung unterzogen wird, die sich lediglich auf einzelne Merkmale ausrichtet und den Kontext ausblendet, entsteht eine ganzheitliche Sichtweise aus verschiedenen Perspektiven. Auf diese Weise wird einer oberflächlichen, einseitigen und unvollständigen Beschreibung vorgebeugt (vgl. Métraux 2004, S. 65). Ebenso wird durch die Verwendung von mehreren Erhebungsmethoden an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Terminen im Sinne der Triangulation (siehe Kap. 5.5.5) eine höhere Güte der Daten erreicht.

Auch die Objektivität der Teilnehmer soll an dieser Stelle kurz erwähnt werden. Dadurch, dass sie zum Großteil schon über einen langen Zeitraum in der HMS tätig und die Abläufe bereits zur Routine geworden sind, fällt es ihnen teilweise schwer diese zu reflektieren.Zudem sind die Bedingungen weitestgehend optimal auf den Einzelnen angepasst und Schwierigkeiten treten dadurch in den Hintergrund. Für den Forschungsprozess bedeutete dies zahlreiche Beobachtungen durchzuführen und nach einem längeren Beziehungsaufbau auch konfrontative Fragen einzuflechten.

5.7.4 Generalisierbarkeit

Neben den Gütekriterien der qualitativen Forschung möchte ich einen Überblick über die Generalisierbarkeit meiner Arbeit geben. Der Aussage von Flick (2007) ist zu entnehmen, dass aufgrund ihrer verschiedenen Ausgangspunkte ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen der qualitativen Forschung und der Generalisierung besteht (vgl. ebd., S. 522). Während sich die qualitative Forschung auf konkrete Fälle und Bedingungen bezieht und dadurch einen kontextspezifischen Charakter erhält, versucht die Generalisierung gerade diesen aufzugeben, um unabhängige bzw. losgelöste Ergebnisse miteinander zu vergleichen (vgl. ebd.).

Damit eine gewisse Verallgemeinerung auch in der qualitativen Forschung erreicht werden kann, ist es laut Flick (2007) notwendig, möglichst unterschiedliche Fälle einzubeziehen und empirisch zu analysieren (vgl. ebd., S. 522 f.). Anhand des Theoretischen Sampling ist es mir gelungen fünf Teilnehmer zu wählen, die in ihren Persönlichkeiten stark variieren. Aufgrund der begrenzten Anzahl der Einzelfallanalysen wäre eine Übertragung der erarbeiteten Ergebnisse auf die Bedürfnisse an Arbeitsbedingungen von allen Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung jedoch zu hoch gegriffen. Der Grad der Verallgemeinerung ist daher eingegrenzt. Durch die tiefgründige Auseinandersetzung mit den individuellen Lebensentwürfen kann dennoch ein exemplarischer Einblick in die Welt der Betroffenen, ihre persönlichen Empfindungen und Wünsche sowie ihre Vorstellungen von Arbeitssituationen erhalten werden. Neben einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Thematik sollen Möglichkeiten für die Praxis aufgezeigt werden, die Anregungen zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen für diesen Personenkreis liefern. Dieses Muster soll auf Missstände hinweisen und Mut machen Veränderungen aktiv anzugehen. Mit diesem Ziel richtet es sich sowohl an Betroffene und Angehörige, als auch an professionelle Helfer und Institutionen.

III. Zusammenführung von Theorie und Forschung



[6] Alle personenbezogenen Daten (Name, Alter, Jahreszahlen, Orte) werden in anonymisierter Form dargestellt.

[7] Schädelhirntrauma: "Oberbegriff für gedeckte bzw. offene Schädelverletzungen mit Gehirnbeteiligung" (Pschyrembel 1994, S. 1365)

[8] Hypoxie: "Herabsetzung des Sauerstoffgehalts im Gesamtorganismus oder bestimmten Körperregionen" (ebd., S. 696)

[9] mnestisch: "das Gedächtnis betreffend" (ebd., S. 985)

[10] Ataxie: "Störung der Koordination von Bewegungsabläufen" (ebd., S. 129)

[11] Dystonie: "fehlerhafter Spannungszustand von Muskeln, Gefäßen oder vom vegetativen Nervensystem" (ebd., S. 364)

[12] Dysarthrie: " Sprechstörung infolge Störung der an der Sprechmotorik beteiligten nervalen Strukturen, die sich durch Störungen der Artikulation, vermehrte Sprechanstrengung sowie Veränderungen der Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit äußert" (ebd., S. 356)

[13] Polytrauma: "Mehrfachverletzung" (Pschyrembel 1994, S. 1228)

[14] multipel: "vielfach" (ebd., S. 997)

[15] intra: " Wortteil mit der Bedeutung innerhalb, in - hinein" (ebd., S. 732); zerebr-: "Wortteil mit der Bedeutung Gehirn" (ebd., S. 1690)

[16] Kontusion: "Prellung und Quetschung von Organen durch direkte stumpfe Gewalteinwirkung" (Pschyrembel 1994, S. 814)

[17] Fraktur: "Knochenbruch" (ebd., S. 491)

[18] exekutive Funktionen (höhere kognitive Funktionen): "Funktionen, die insbesondere von den Frontallappen des Gehirns abhängen, einschließlich komplexe zielgerichtete Verhaltensweisen wie Entscheidungen treffen, abstrakt denken sowie einen Plan aufstellen und durchführen, mentale Flexibilität, entscheiden, welche Verhaltensweisen unter welchen Umständen angemessen sind. Abstraktionsvermögen, Ordnen von Ideen, Zeitmanagement, Einsichts- und Urteilsvermögen, Konzeptbildung, Kategorisierung und kognitive Flexibilität" (Fischer & Scholler 2007, S. 100)

[19] subdural: "unter der Dura mater (zwischen Dura und Arachnoidea) gelegen (Pschyrembel 1994, S. 1484)

[20] subarachnoidal: "unter der Arachnoidea encephali (...) liegend (ebd.)

[21] Spastik: "Vermehrung des Muskeltonus mit meist gleichzeitig gesteigerten Muskeleigenreflexen" (Pschyrembel 1994, S. 1436)

[22] Hemiparese: "inkomplette Lähmung einer Körperhälfte infolge einer zentralen Läsion" (ebd., S. 608)

[23] Neglect: "oft halbseitige Vernachlässigung des eigenen Körpers oder der Umgebung bzgl. einer oder mehrerer Sinnesqualitäten" (ebd., S. 1043/1044)

6. Darstellung und Diskussion der Ergebnisse

Im sechsten Kapitel möchte ich die erarbeiteten Ergebnisse des Forschungsprozesses anhand der letzten Auswertungsphase von Jaeggi et al. (1998) darlegen. Zur Interpretation und Diskussion werden sie mit den theoretischen Hintergründen, die u. a. bereits in dieser Arbeit unter dem Gliederungspunkt I vorgestellt wurden, in Beziehung gesetzt. Dies geschieht stets im Hinblick auf die Thematik der Forschungsfrage:

Wie müssen adäquate Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung gestaltet sein, wenn eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt momentan nicht möglich ist?

Im Anschluss an die Darstellung der Ergebnisse werden sowohl Konsequenzen für die Praxis als auch für die empirische Forschung aufgezeigt.

6.1 Das fremd gewordene Leben

Eine erworbene Hirnverletzung und die daraus resultierenden Folgen nehmen eine zentrale Bedeutung im Leben jedes Betroffenen ein. Die Veränderungen sind so tief greifend, fatal und allumfassend bzw. gehen mit solch einer Intensität einher, dass dadurch das bisher bekannte Leben in all seinen Bereichen einem umfangreichen Wandel unterzogen wird und es häufig zu einer vollkommenen Änderung des erstellten Lebenskonzepts kommt (vgl. Mühlum & Kemper 1992, S. 31). In diesem Sinne berichtet ein Teilnehmer, dass "(d)as Leben (...) in keinster Weise mehr so (ist) wie vor `m Unfall" (K., T1, Z. 16) und sich "komplett geändert" (ebd., Z. 14) hat. Eine weitere Person vergleicht ihre Situation rückblickend auf die unmittelbare Zeit nach dem schädigenden Ereignis mit einem Leben "in `ner andren Welt" (R., T3, Z. 630). Die Betroffenen sehen sich mit einem Schicksal konfrontiert, das sie aus eigener Kraft nicht abwenden können. Nach Gessler et al. (2004) ist die Hirnschädigung als ein "plötzlicher, brutaler Schnitt ohne Wahlmöglichkeiten" (ebd., S. 4) zu verstehen. Dies bestätigt die folgende Aussage eines Teilnehmers: "Mein vorheriges Leben ist mir genommen worden" (D., T1, Z. 2). Meist stehen die Beeinträchtigungen im Fokus und werden als "Probleme" (A., T1, Z. 32) wahrgenommen. Ich "fühlte mich wie ein Wrack" (D., T1, Z. 18). "Im Vergleich zu früher (ist) alles Käse" (A., T5, Nachtrag).

Es ist "alles Punkt, Punkt, Punkt - Schimpfwort mit ‚Sch'" (T., T1, Z. 557). Die Betrachtungen über den aktuellen Leistungsstand gehen häufig mit einem Vergleich mit der früheren Lebenssituation und einem Verlust des ehemaligen Besitzes der Fähigkeiten einher, was die folgenden Äußerungen eindrücklich beweisen. "Dass man ni` alles das machen kann, was man früher gemacht hat, das is` klar." (T., T1, Z. 672), "(a)lles war quasi wie gelöscht" (D., T1, Z. 17) und man "muss vieles lern` wie `n kleenes Kind" (R., T3, Z. 12).

6.1.1 Selbstverständliche Dinge gewinnen an Bedeutung

Im Kapitel 2.4 wurde festgehalten, dass sich ein Großteil der Beeinträchtigungen infolge einer Hirnschädigung erst nach der Entlassung aus der Klinik bemerkbar macht, wenn die Betroffenen mit der Bewältigung des Alltags im häuslichen Milieu konfrontiert werden. Es treten Einschränkungen in Bereichen auf, in denen es vor der Verletzung keine Probleme gab. So gibt ein Teilnehmer an: "Wenn man gesund is`, nimmt man alles als selbstverständlich hin" (K., T2, Z. 170). "Es war einfach so, und es hat so funktioniert" (ebd., Z. 173). Die Betroffenen versuchen an ihr früheres Leben anzuknüpfen, stoßen dabei aber immer wieder an Grenzen. Das Aufbringen von bestimmten Leistungen benötigt im Vergleich zu der bis dato durchlaufenen ‚normalen' Entwicklung erheblich mehr Zeit und Anstrengung oder ist gänzlich unmöglich geworden (vgl. Fischer & Scholler 2007, S. 100). "(D)u kommst in Situationen, da erinnerst` dich an früher, war größtenteils simpel (...) und jetzt vergisst` es" (T, T1, Z. 152). Von einem Tag auf den nächsten sind sie gezwungen ihre persönlichen Freiheiten und ihr eigenständiges Leben aufzugeben und sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Umwelt zu begeben. "Ich konnte gar nichts mehr, nicht mal die einfachsten Dinge z. B. laufen, reden" (D., T1, Z., 16). ). Träume zerplatzen. "(F)rüher war ich (...) Organisator (...) (jetzt) bin ich einfach nur (...) Mitglied, aber mehr auch nicht" (A., T4, Z. 466). In diesem Zusammenhang gewinnen Faktoren, die früher keine besondere Beachtung fanden an Bedeutung.

Laut Gessler et al. (2004) ist die Bezeichnung Hirnverletzung ein Sammelbegriff, der nicht nur die Schädigungsstelle und die verschiedenen Formen von Beeinträchtigungen, sondern auch einen vielschichtigen und umfassenden Symptomkomplex umreißt (vgl. ebd., S. 5). Die daraus resultierenden Probleme sind in ihrer Vielfalt und Variationsbreite kaum zu überblicken (siehe Kap. 2.3.5 & 2.4) Die folgende exemplarische Auswahl begrenzter Problembereiche gewährt einen Einblick auf den steinigen Weg zurück ins alltägliche Leben und vor allem in die Arbeitswelt.

6.1.2 Verhinderte Teilhabe

6.1.2.1 Handeln ohne mobil zu sein

Motorische Fähigkeiten stellen die Voraussetzung zur Verrichtung der Aktivitäten des täglichen Lebens und der Selbstversorgung sowie der Versorgung des häuslichen Milieus dar (vgl. Ortner & Pott 2007, S. 45). Bewegung, Aktivität und Mobilität stehen jedoch auch in einem engen Zusammenhang zur Teilhabe am sozialen wie auch am Arbeitsleben. Zum Beispiel sind diese Qualitäten bei der Ausführung von handwerklichen Fertigkeiten unabdingbar. Infolge einer Hirnschädigung können körperliche Einschränkungen entstehen, die die Durchführung bestimmter Tätigkeiten erschweren oder gänzlich unmöglich machen. Ein Teilnehmer gibt dahingehend an: "Ich kann mit der Halbseitenlähmung ni` im Metall- oder Holzbereich arbeiten" (T., T1, Z. 310) und "ich hab` das Problem mit `m draußen arbeiten" (ebd., Z. 355). Aufgaben, die im früheren Berufsleben problemlos absolviert wurden, können teilweise nur noch schwer oder gar nicht mehr erledigt werden. Ein Maler kann nicht mehr "Decke tapezieren (und) Leiter laufen zusammen" (D., T1, Z. 130). Ein Kommunikationselektroniker, der vorwiegend im Außendienst tätig war, darf "ni` mehr off `n Mast steigen" (T., T1, Z. 649). Weiterhin wirken sich Spastizität oder ataktische Bewegungsstörungen auf die Handmotorik aus und erschweren die Handhabung von vor allem kleineren Gegenständen sowie eine physiologische Stifthaltung und das damit in Verbindung stehende Schreiben oder Zeichnen (vgl. A., B2, S. 2). Diese Symptomatik wird in den meisten Fällen unter Zeitdruck verstärkt (vgl. A., Ak; vgl. D., Ak). Lähmungen beeinträchtigen die Koordination und ein beidhändiges Arbeiten (vgl. T., Ak). Häufig geht mit den motorischen Beeinträchtigungen eine allgemeine Verlangsamung einher und die Erledigung von Aufgaben ist mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden (vgl. D, B3, S. 2; vgl. A, Ak). "`S geht aber verdammt lange (...) viel zu langsam" (T., T1, Z. 315). Aufgrund der Einschränkung der Beweglichkeit sind versteckte Ecken nur schwer erreichbar, das Überwinden von Höhenunterschieden wird zu einer komplizierten Angelegenheit und ein beschleunigtes Laufen ist nur mit einem erhöhten Sturzrisiko zu bewältigen (vgl. D, B3, S. 2; vgl. A., B1, S. 1).

Das Arbeitstempo ist stets auch an die Arbeitseffektivität gekoppelt, die ausschlaggebend ist, ob ein Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als konkurrenzfähig gilt. Ist diese Entscheidung getroffen, geraten qualitative Aspekte ins Hintertreffen (vgl. D, B3,

S. 3).

Mobilität wird jedoch nicht allein in ihrer ursprünglichen Bedeutung der Beweglichkeit bzw. der Bewegung verstanden, sondern auch in ihrer Möglichkeit der eigenständigen Bewältigung von alltäglichen Wegen wie z. B. dem Arbeitsweg. Zudem richtet sich die Begrifflichkeit nicht ausschließlich auf das Gehen zu Fuß, sondern bezieht ebenso die Steuerung bzw. Benutzung von privaten oder öffentlichen Verkehrsmitteln ein (vgl. Ortner & Pott 2007, S. 45). Die Fähigkeit zur Fortbewegung bildet laut Ortner und Pott (2007) die Voraussetzung "für eine selbstbestimmte Teilhabe in nahezu allen Lebensbereichen" (ebd., S. 45). Infolge einer Hirnverletzung kann es zu motorischen Beeinträchtigungen wie Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen kommen, die das Gehen erschweren oder unmöglich machen. Jeder, der von mir beobachteten und interviewten Personen war in der Lage sich per Fuß fortzubewegen. Bei drei der betreffenden Personen traten jedoch Gangunsicherheiten auf.

Das Autofahren ist oft untersagt. Gründe dafür können sein: "(W)eil ich `n Problem hab` (...) mit der Reaktion" (R., T3, Z. 351; vgl. R., B1, S. 2) oder die "Fleppen liegen bei Polizei - immer noch - haben sie mir damals vor Ort abgenommen" (D., T2, Z. 184). Somit sind die Betroffenen häufig auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, um größere Distanzen bzw. den Weg zum Arbeitsplatz zu überwinden. Die tägliche Bewältigung dieser Strecke birgt für Menschen mit einer körperlichen Einschränkung vielfältige Hürden, die für einen ‚gesunden' Menschen kaum vorstellbar sind. Ein Teilnehmer formuliert: "Mich tut (...) die Anreise verdammt schlauchen. Da kannst de ungemein Nerven lassen" (T., T1, Z. 282).

Das Um- oder Einsteigen steht häufig mit der Benutzung einer Treppe in Verbindung. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, zu deren Bewältigen es teilweise bestimmter Hilfsmittel bedarf. "`N Geländer brauch` ich. Ich hab` ja das Problem, dass (ich) bloß rechts Geländer nutzen konnte, (...) weil links die Halbseitenlähmung" (ebd., Z. 89). Eine weitere wesentliche Komponente stellt der Zeitfaktor dar. "Da musste dich beeilen, dass de den Bus ni` verpasst. (...) (E)enma` hab`sch `n fahrn lassen müssen" (ebd., Z. 81).

Nicht nur körperliche, sondern auch kognitive Beeinträchtigungen oder Orientierungsschwierigkeiten können die Mobilität z. B. durch Probleme bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln einschränken. Ein Teilnehmer berichtet z. B., dass er die Fahrstrecke mit dem Bus nach Hause durch die Ergotherapeutin "eingetrichtert bekommen" (R., B1, S. 3) hat, bevor er sie allein bewältigen konnte.

6.1.2.2 Sich mitteilen ohne sprechen zu können

Über die beachtliche Rolle der Sprache für die Entwicklung des Kindes wurde in den Kapiteln 2.3.2 bis 2.3.4 berichtet. Gemäß Lamprecht (2007) ist unser Alltag voll von Worten und Gesprächen, so dass eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ohne Kommunikation schier unmöglich erscheint (vgl. ebd., S. 89). Sprache wird von uns als etwas Normales und Selbstverständliches angesehen, das uns als Hilfsmittel zur Verfügung steht und auf das wir uns verlassen können. Störungen der Sprache (Aphasien) oder des Sprechens (Dysarthrophonie) sind häufig Folgen von Hirnverletzungen (vgl. Lamprecht 2007, S. 89 f.). Sie können zu Beeinträchtigungen des familiären sowie des sozialen Lebens führen und sich hinderlich auf die berufliche Wiedereingliederung auswirken (vgl. ebd., S. 91). Von den Betroffenen werden sprachliche Handicaps als schwierig und belastend empfunden (vgl. D., B3, S. 2). Die Erfahrung, von seinen Gesprächspartnern stets schlecht oder missverstanden zu werden, hebt die Hemmschwelle sich überhaupt noch verbal mitzuteilen (vgl. ebd.).

Beeinträchtigungen des Sprechens wirken sich nicht nur in Form einer Erschwernis des sozialen Austauschs aus, sondern gehen immer auch mit einem erhöhten Zeitaufwand einher (vgl. A., B1, S. 1; vgl. D., B3, S. 1). Selbst wenn die Sprachproduktion weitestgehend erhalten ist und die Betroffenen lediglich etwas leise und ‚verwaschen' artikulieren, verlangt dies vom Gegenüber eine vermehrte Aufmerksamkeit und eine verstärkte personelle Zuwendung (vgl. A, B1, S. 1). Im Arbeitsalltag schlägt sich dies auf das Arbeitstempo und die Arbeitseffektivität nieder (vgl. D., Ak). Als Verständigungshilfe bzw. als alternative Kommunikationsform kann die schriftliche Mitteilung dienen. Aufgrund von zusätzlichen motorischer Einschränkungen ist es möglich, dass diese jedoch teilweise ebensoviel Zeit in Anspruch nimmt (vgl. D., Ak).

6.1.2.3 Aufgaben bewältigen ohne Merkfähigkeit und Ausdauer

Kognitive Störungen oder sog. unsichtbare Behinderungen zählen zu den typischen Folgen von Hirnverletzungen. Laut der ICF sind dieser Rubrik u. a. Orientierung, Wahrnehmung, Denken, die höheren kognitiven (exekutiven) Funktionen und das Rechnen zuzuordnen (Fischer & Scholler 2007, S. 100). Des Weiteren berichtet ein Teilnehmer über "Kurzzeitgedächtnislücken" (A., T4, Z. 99), ein anderer sagt: "Ich hab` ganz, ganz große Probleme mir Sachen zu merken." (K., T1, Z. 55), ein weiterer äußert sogar: "(I)ch weiß nichts mehr" (T., T1, Z. 34) und muss daher die Ereignisse der kürzeren Vergangenheit "bruchstückenweise zusammen flicken, zusamm` kratzen" (ebd., Z. 15).

Neben einem lückenhaften Erinnerungsvermögen wirken sich die Beeinträchtigungen der Merkfähigkeit z. B. auch auf das Lesen aus. Eine Person gibt an, dass "nicht`s mehr so richtig hängen bleiben möchte" (K., T1, Z. 45). "(W)enn ich am Ende der Seite angekommen bin und eigentlich ni` wirklich weiß, was ich gelesen hab` (...) (muss ich, d. Verf.) dann wieder von vorne anfang`" (ebd., Z. 40).

Betreffend des Arbeitsalltags reichen die Beispiele von "Termine(n), (die) vermasselt (wurden)" (K., T1, Z. 97) bis hin zu Aufgaben, die "aus dem Blickwinkel geraten" (A., B2, S. 2) und nicht zu Ende geführt bzw. Teilschritte oder kompletten Arbeitsgängen vergessen werden (vgl. ebd.).

Es wird beschrieben, dass es vor allem schwierig ist, sich "Dinge über `n gewissen Zeitraum (zu) (...) merken (...)" (R., T3, Z. 151). Die Zeitspanne des Vergessens hängt häufig davon ab, wie stark sich eine Person für etwas interessiert (vgl. T, B1, S. 3). Beobachtungen zeigten zudem, dass Ablenkungen oder Unterbrechungen des Ablaufs wie Gespräche mit Kollegen die Gedächtnisspur abreißen lassen (A., B2, S. 2). Ebenso stellen mehrschrittige Aufgabenstellungen eine Herausforderung dar, bei der teilweise nur der erste Teil behalten wird (vgl. T, B1, S. 3).

Außerdem gibt ein Teil der befragten und beobachteten Personen "große Probleme mit (der) Konzentration" (K, T1, Z. 20) an. Die Arbeitsfähigkeit wird häufig durch Konzentrationsschwankungen und eine Einschränkung in der konzentrativen Dauerbelastbarkeit beeinflusst (vgl. Cranenburgh 2007, S. 236). Ein Teilnehmer merkt an: "Also so bis zu zwei Stunden (...) kann ich sagen, dass ich eigentlich auch fit bin oder aufnahmefähig bin und (...) och arbeiten kann" (K., T1, Z. 29). Aber "nach den zwei Stunden (bin ich) völlig k. o." (ebd., Z. 267). Die Einschränkungen in der Dauerbelastbarkeit gehen teilweise mit einer geteilten Aufmerksamkeit oder einer gesteigerten Ermüdbarkeit einher (vgl. K, Ak; vgl. T., Ak). ). In diesem Sinne äußert ein Beschäftigter, dass er sich lieber "erstma` nur off die eene Arbeit (konzentriert), weil das muss Superqualität wern" (R., T3, Z. 100). Eine weitere Person bezieht sich auf Gespräche von anderen Beschäftigten oder Mitarbeitern während der Arbeit und äußert dazu: "(D)as ging mir so auf `n Keks, da konnt` ich mich och of meine Arbeit überhaupt ni` mehr konzentriern" (K., T2, Z. 106). "Das wirkt sich (...) so aus, dass ich entweder Kopfschmerzen hab` oder dass ich erschöpft bin oder dass ich müde bin" (K., T1, Z. 25). Zudem besteht eine erhöhte Ablenkungsbereitschaft bei Umgebungsgeräuschen. Ein Teilnehmer formuliert: "(Z)ur Not setz` ich n` Gehörschutz off. Da hör` ich den ni` mehr" (R., T3, Z. 62). Eine verminderte Konzentrationsfähigkeit kann sich auch in Qualitätseinbußen widerspiegeln. Ein Beschäftigter ist seiner Aussage nach "`n kleener Nervöser" (ebd., Z. 41) und möchte immer "schnell, schnell fertig werden" (ebd., Z 43). Doch "wenn de schnell fertig wirst, machst de viele Fehler" (ebd.). Das heißt, dass durch vorschnelle und unüberlegte Reaktionen Fehler provoziert werden können.

Das Leistungsvermögen der Betroffenen unterliegt häufig Schwankungen, die teilweise auch von der Tagesverfassung abhängig sind. Zum Beispiel gibt ein Teilnehmer Bezug nehmend auf Umgebungsgeräusche an: "Wenn ich sowieso schon frühs meinetwegen mit Kopfschmerzen komm` oder so und sowieso schon Probleme habe, mich zu konzentrieren, dann lenkt mich so was ganz schnell ab" (K., T2, Z. 91).

6.1.2.4 Psychische Instabilität: Emotionen verselbstständigen sich

Infolge einer Hirnverletzung können aufgrund der Schädigung des zentralen Organs oder im Verlauf des Prozesses der Bewusstwerdung der eigenen Beeinträchtigungen auf Seiten der Betroffenen verschiedenste emotionale Reaktionen bzw. psychische Auffälligkeiten auftreten (siehe Kapitel 2.4). Dies belegt das folgende Beispiel aus der Praxis. "Ich bin ja schon immer ein emotionaler Mensch und sehr nahe am Wasser gebaut, aber seit dem Unfall (...) hat sich`s noch verstärkt." (K., T1, Z. 144). Es kommt häufig zu Stimmungsschwankungen. Zum Beispiel "kann`s passiern, dass ich von einer Minute auf die andre komplett ausraste, und es fällt mir auch schwer mich dann selber zurückzuhalten (...) mich selber runterzufahrn." (ebd., Z. 161). "Die Grenze, (...) dass man (...) sauer (...) oder wütend wird oder komplett ausrastet, die is` bei mir ganz weit unten" (ebd., Z. 152).

Zudem machten sich bei den Befragten teilweise übersteigerte Zukunfts-und Existenzängste bemerkbar (vgl. K., Ak). Teilweise kam es infolge von Gedächtnislücken zu Hilflosigkeit und Unsicherheit, da der Betroffene nicht in der Lage war bestimmte Sachverhalte einzuordnen, da er "keen Maß (kennt)" (T, T1, Z. 394) und somit keine Vergleichsmöglichkeit besitzt. Des Weiteren besteht häufig eine verminderte Belastbarkeit und die Betroffenen können "mit Stress (...) ni` wirklich gut umgehn" (K., T1,Z150). Ein Teilnehmer fügt dem bei: "(M)anche würden (bei Stress) (...) kaputt gehen" (R., T4, Z. 150). Zudem können depressive Tendenzen auftreten, wie aus der Aussagen "auf mich ist kein Verlass" (T., B1, S. 1) zu schließen ist, die auf ein zutiefst erschüttertes Vertrauen in sich selbst hinweist.

Ebenso kann es in dem Prozess der Krankheitsbewältigung zu Vermeidung, Trauer, Abwehr oder vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten kommen, die sich auf das Sozialverhalten auswirken (vgl. Bauer et al. 2007, S. 29). Nach der bio-psycho-sozialen Problemsicht, die im Kapitel 3.4 und 4.2 beleuchtet wurde, sind Verhaltensauffälligkeiten jedoch "nicht einzig und allein an einer Person (festzumachen, d. Verf.), sondern stets (als) Ausdruck einer Störung des Verhältnisses zwischen Individuum und Umwelt (zu betrachten)" (Theunissen 2005, S. 59). Die Versuche des Individuums dieses Missverhältnis durch seine spezifischen Verhaltensweisen auszugleichen und zu bewältigen, werden von der Umwelt als "normabweichend oder sozial unerwünscht" (ebd.) bewertet. Um den Ursprung des Erlebens und Verhaltens eines Individuums zu erkunden und damit Verstehensansätze für eine emotionale Andersartigkeit zu finden, bedarf es einer verstehenden Diagnostik, wie sie im Kapitel 4.2 beschrieben wurde (vgl. Theunissen 2005, S. 64).

Obwohl die Arbeitsbedingungen in der HMS weitestgehend an den individuellen Bedarf der Beschäftigten angepasst sind, konnte durch Beobachtungen ein Zusammenhang zwischen psychischen Instabilitäten und suboptimalen Faktoren des Arbeitsalltags festgestellt werden. Ein Teilnehmer reagiert z. B. gereizt und zornig als etwas vorausgesetzt bzw. von ihm verlangt wurde, was er aufgrund der Beeinträchtigung der Merkfähigkeit komplett vergessen hatte. Er äußerte daraufhin zynisch: "Toll, ich soll etwas holen, was ich gar nicht kenne" (T, B1, S. 3). Häufig waren Änderungen des Verhaltens an Unterschiede in der Struktur und des Bekanntheitsgrades der Aufgaben gebunden. Ein Teilnehmer neigte bei der Konfrontation mit unbekannten oder wenig strukturierten Tätigkeiten dazu unangemessen und überzogen zu reagieren (vgl. ebd., S. 2). In diesen Situationen verwendete er unangebrachte Kommentare oder begab sich in Diskussionen. Er wurde unsachlich und benutzte Kraftausdrücke oder überschritt soziale Distanzen. Zudem ging er sehr unselbstständig vor und wendete sich ohne etwas auszuprobieren mehrmals an den AT. Bei der Erledigung von Routineaufgaben hingegen arbeitete er eigenständig und ging sicher, präzise sowie ruhig vor (vgl. ebd.). Diesen Zusammenhang zwischen Verhalten und Anpassung der Bedingung bestätigt das Beispiel eines weiteren Teilnehmers, der im Erstkontakt sehr höflich und zuvorkommend erschien. Ebenso zeigten Beobachtungen während der Arbeit, dass er bei Routineaufgaben mit einem stets gleichen Ablauf ohne Unterlass und mit Freude tätig war (vgl. R., B1, S. 3). Durch kleinste Irritationen wie Abweichungen vom festen Ablauf oder neuen Herausforderungen, ließ er sich jedoch aus der Fassung bringen und reagierte häufig inadäquat, gereizt, gestresst und sehr aufbrausend (vgl. ebd., S. 2; vgl. R., B3, S. 1). Durch die Konfrontation mit vielschichtigen und komplexen Anforderungen kommt er nach seinen Angaben "ins Trudeln" (R., T4, Z. 145) bzw. "kriech(t) (...) `n roten Kopp und (fängt) an zu schwitzen" (R., T3, Z. 85).

Diese Beispiele belegen, dass Verhalten durchaus auch als Reaktion auf Gegebenheiten der Umwelt zu Betrachten ist und Auffälligkeiten daher teilweise als Spiegel von suboptimalen Bedingungen fungieren. Aus diesem Grund sollten sie nicht vorschnell als Unwille oder Bösartigkeit abgestempelt werden, sondern sind als wichtige und z. T. einzig mögliche Botschaft der Betroffenen zu betrachten. Daran ist das pädagogische Handeln auszurichten. Wie diese Darstellungen weiterhin belegen, sind derartige Reaktionen meist nur durch Beobachtungen während des Arbeitsalltags aufzuspüren und machen daher eine Begleitung vor Ort erforderlich.

6.1.3 Wege in die Isolation

Vier der fünf Personen, die ich befragt habe, gingen vor der Hirnschädigung einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach. Ein Teilnehmer befand sich in der 10. Klasse und strebte das Abitur an. Der Versuch eines Wiedereinstiegs in die bisher genommene schulische oder berufliche Laufbahn scheiterte bei allen Teilnehmern. Als Gründe dafür werden von den Betroffenen mangelnde "Konzentration" (K., T1, Z. 186), "Wissen, was (...) verloren gegangn is`" (ebd., Z. 206), "Überforderung" (ebd., Z. 265), Probleme "mit `m Schreiben (und) (...) mit `m Kopf" (A., T4, Z. 503) sowie eine verminderte "Reaktion" (R., T1, Z. 44) angegeben. Das Gedächtnis eines Teilnehmers weist solche gravierenden Lücken auf, dass er sich nur "bruchstückenweise" (T., T1, Z. 15) erinnern kann, warum er "verberentet" (T., T1, Z. 49) wurde. Ein weiterer schildert, dass sein "Chef (ihn) nicht bezahlt hat (und er) daraufhin (...) gekündigt (hat)" (D., T3, Z. 32). Die einzelnen Schicksale gehen mit der Enttäuschung einher, nicht mehr das leisten zu können, was vor dem schädigenden Ereignis möglich war. Das Gefühl der Wertlosigkeit wird durch die gesellschaftliche Meinung über Erwerbslosigkeit, wie im Kapitel 3.2 dargestellt, bedingt bzw. verstärkt. Soziale Anerkennung ist demnach stark an die Leistungsfähigkeit gekoppelt. Wer diesen Idealen nicht entspricht wird zwangsläufig mit Ausgrenzung und Isolation konfrontiert.

Nach einer Hirnschädigung und den damit in Verbindung stehenden Veränderungen minimieren sich Beziehungen rapide und Partnerschaften scheitern teilweise (vgl. Glozman 2004, S. 81). Diese Erfahrung mussten auch zwei der Befragten machen. Eine Person äußerte bezüglich dieses Themas, "wenn de ni` fit bist, will dich nämlich keener" (T., T1, Z. 755). Auch Freunde wenden sich in der Folgezeit häufig ab. Ein Teilnehmer berichtet, dass er "durch den Unfall (...) (seinen) ganzen Freundeskreis verlorn (hat)" (R., T3, Z. 8) und dass "niemand (...) was (mit ihm) (...) unternehm` (würde)" (ebd., Z. 643). Ein anderer gibt an, dass er "kaum Freunde richtsche Freunde" (A., T5, Z. 358) hat. Doch auch hierbei gibt es Ausnahmen, wie die Aussage "meine Freunde (...) kann ich nachts um 3 wecken, 10 min später sind sie bei mir" (D., T2, Z. 134) beweist. Der Verlust von sozialen Kontakten (siehe Kap. 2.4) führt zu einer enormen Beeinträchtigung der Lebensqualität und stellt für die Betroffenen eine weitaus größere Belastung als die Beschränkung der physischen Fähigkeiten dar (vgl. Glozman 2004, S. 75).

In den Darlegungen zum theoretischen Hintergrund wurde mehrfach beschrieben von welcher immensen Wichtigkeit die Funktion des Gehirns für das menschliche Leben in all seinen Bereichen ist. Im Kapitel 2.1 wurde berichtet, dass es für die Regelung der Willkürbewegungen, der verschiedenen Wahrnehmungsbereiche, der Emotionen sowie der kognitiven Leistungen verantwortlich ist (vgl. Fries, Lössl & Wagenhäuser 2007, S. 1). Praktische Beispiele belegen nun wie sensibel unser zentrales Organ auf Störungen reagiert. Infolge von Hirnschädigungen kommt es zu individuell verschiedenen Störungsmustern, die mit einem Verlust von Fähigkeiten wie der Mobilität, der Sprache, der kognitiven Leistungen, aber auch der Unabhängigkeit, sozialer Kontakte sowie der Arbeitstelle einhergehen können. Für die Betroffenen scheint dabei nicht der Ausfall von signifikanten Funktionen die größte Belastung darzustellen, sondern die damit einhergehenden Einschränkungen der Teilhabe.

Im Kapitel 2.3.2 wurde in Anlehnung an Lurija (1970) beschrieben, dass sich die Funktionen des Organismus in der Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln. Ebenso wird im Abschnitt 3.1 unter Bezugnahme auf Bronfenbrenner (1989) von dem wechselseitigen Einfluss unterschiedlicher Systeme berichtet. Das Instrument der ICF greift diese Gedanken auf und stellt sie im bio-psycho-sozialen Modell dar (siehe Kapitel 3.4). Schließlich wird auch im Empowerment-Konzept der Einbeziehung der Kontextfaktoren eine besondere Bedeutung zugeteilt (siehe Kapitel 4.2). Im Hinblick auf die Forschungsfrage nimmt gerade die Qualität der Umweltbedingungen einen großen Einfluss auf die Möglichkeit der Teilhabe - auch am Arbeitsleben. Eingeschränkte Fähigkeiten können sich im Zusammenhang mit den materiellen Gegebenheiten des öffentlichen Lebens und dem bestehenden gesellschaftlichen Wertesystem leicht zu Exklusionskriterien entwickeln, wie auch die folgende Aussage eines Teilnehmers belegt: "Ich habe keine Probleme (...), die werden mir nur gemacht" (A., T5, Z. 331).

Die Bestrebungen adäquate Arbeitsplätze für Menschen mit einer Hirnschädigung zu schaffen setzen daher unter ethischen Prämissen daran an, auf Umgebungsfaktoren einzuwirken und Veränderungen vorzunehmen (siehe Kap. 4). Das heißt:

  • Barrierefreiheit an öffentlich zugänglichen Gebäuden (und auch an Bahnsteigen sowie an öffentlichen Verkehrsmitteln) schaffen

  • Bedarf an Hilfsmitteln z. B. zur Kompensation von Gedächtnislücken und Sprachschwierigkeiten entdecken und individuell anpassen bzw. den Umgang damit trainieren

  • störende Umgebungsgeräusche vermeiden bzw. Nischenarbeitsplätze schaffen, die weitestgehend frei von Ablenkungen sind

  • Arbeitszeitmodelle anbieten, die einer verminderten Belastbarkeit entgegenkommen

  • erhöhte Zeittoleranz gewähren

  • menschliche sowie kontextbezogene Aspekte wie vermehrte Anstrengungen zur Bewältigung des Alltags berücksichtigen.

Im vierten Kapitel wurde festgehalten, dass ein Mensch mit Behinderungen allein durch die Beeinträchtigung isolierenden Bedingungen unterliegt. Diese Tendenz sollte nicht noch durch das gesellschaftliche Zutun verstärkt, sondern lösungsorientiert aufgenommen werden.

6.2 Die Suche nach der eigenen Identität

Der Begriff ‚Identität' entspricht laut Steiger (2004) der ursprünglichen Bedeutung der "Wesenseinheit" (ebd., Abs. 2) und wird u. a. als Einzigartigkeit der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen verstanden (vgl. ebd.). Auf der Suche nach der eigenen Identität findet eine stete Auseinandersetzung mit Fragen wie: "(W)er bin ich, auf wen beziehe ich mich, wer bezieht sich auf mich, worüber definiere ich mich und was macht mich aus" (ebd.) statt. Dieser Prozess befindet sich über den gesamten Lebenslauf in Entwicklung und Veränderung (vgl. ebd., Abs. 3). Die Identität eines Menschen baut sich nach Petzold (1993) auf folgenden 5 Säulen auf: "Leib/Leiblichkeit, soziales Netzwerk, Arbeit und Leistung, materielle Sicherheit und Werte" (Steiger 2004, Abs. 4). Eine Identitätskrise wird demnach ausgelöst, "wenn eine oder mehrere Säulen ‚wegbrechen' oder sich plötzlich stark verändern, und die anderen Säulen die Identität nicht ausreichend stabilisieren können" (ebd., Abs. 11).

Da sich eine Hirnverletzung auf "das ‚Zentralorgan' des Menschen (Selbst) und das ‚soziale Organ' (Kultur)" (Zieger 2005, Folie 5) auswirkt, kommt es zu einem Zusammenbruch der "5 Säulen der Identität". Die Leiblichkeit, die sich aus Faktoren wie Gesundheit, Kranksein, Leistungsfähigkeit, Aussehen, Wohlbefinden etc. zusammensetzt, ist instabil (vgl. Steiger 2004, Abs. 6; Zieger 2005, Folie 6). Soziale Netzwerke zerfallen. Die Betroffenen werden laut Zieger (2005) aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen und erleben schmerzliche Erfahrungen der Trennung und Isolation (vgl. ebd., Folie 6). Die Möglichkeit des zwischenmenschlichen Austauschs bzw. der Kommunikation ist beeinträchtigt. Die Leistungs-und Arbeitsfähigkeit ist herabgesetzt. Die materielle bzw. finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit ist gefährdet oder geht verloren. Aufgrund der Erfahrungen gerät der Glaube an sich selbst sowie an alle aufgebauten Wertekategorien ins Wanken (vgl. ebd.).

Die Hirnschädigung und die damit in Verbindung stehenden Beeinträchtigungen führen zu einem "absoluten Bruch in (der) (...) Biographie" (Raß & Schramm 1997, S. 95), der gleichzeitig eine Art Neubeginn bzw. einen weiteren Schritt in der Identitätsentwicklung darstellt (vgl. Meyer 2008, Abs. 1).

6.2.1 Das verzerrte Spiegelbild

Aufgrund der unvermittelten und allumfassenden Art, in der eine Hirnschädigung in ein Leben tritt, kann sie von den Betroffenen oft nicht sofort in ihr Selbstbild integriert werden (vgl. Raß & Schramm 1997, S. 95). Es kommt zu einer verzerrten Störungs-und Selbstwahrnehmung, die bereits im Kapitel 3.3 kurz Erwähnung fand. In Verbindung mit speziellen Störungen der Funktion des Gehirns kann diese auch über Jahre bestehen bleiben. Laut Raß und Schramm (1997) ist diese Situation mit dem Bild eines Menschen zu vergleichen, der sich im Spiegel betrachtet, jedoch nicht in der Lage ist sein aktuelles, reales Spiegelbild wahrzunehmen, sondern sich lediglich stets so sieht, wie er vor dem schädigenden Ereignis war (vgl. ebd., S. 95). Dadurch kommt es häufig zu einer Diskrepanz der Fremd- und Selbstwahrnehmung. Für diesen Sachverhalt ließen sich auch bei den beobachteten und interviewten Menschen einige Beispiele finden. Im Vergleich zwischen Interview, Beobachtung, Aktennotiz und Expertengespräch von ein und derselben Person zeichneten sich teilweise so unterschiedliche Bilder, dass man glauben konnte, es handle sich um verschiedene Menschen. Ein Teilnehmer gibt beispielsweise an, dass er sich "ni` vorstellen (kann) (...), nich` (auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, d. Verf.) arbeiten zu könn`" (T., T1, Z. 643). Er "wüsste nich`, wo da (sein) Problem sein soll" (ebd., Z. 658). Er fügt bei, dass es erst in der HMS "rausgekommen (ist), dass (er) `s ni` kann. Is` ja hier festgestellt worden." (ebd., Z. 644).

Ein weiterer Teilnehmer berichtet, dass er "nich` mehr so ist wie vor `m Unfall" (R., T3, Z. 7), konstatiert zudem jedoch, dass er an sich selbst "eher weniger" (ebd., Z. 15) Veränderungen feststellt. Dies wird ihm "meistens gesagt durch andere, entweder durch (...) `n AT, SOZ-PÄD. oder halt zu Hause die Eltern." (ebd., Z. 15).

Das Anliegen des Empowerment-Konzepts strebt vor allem nach einer weitestgehenden Autonomie sowie Selbstverwirklichung der Betroffenen (siehe Kap. 4.2). Diese kann im Zusammenhang mit einer verzerrten Wahrnehmung nicht auf direktem Wege erreicht werden. Im Gegensatz zu Personen mit einer stimmigen Wahrnehmung, die häufig von Ängsten oder Schamgefühlen heimgesucht werden (siehe Kap. 6.3.1 & 6.4.6), führt eine fehlende Einsicht in die eigenen Beeinträchtigungen meist zu Selbstüberschätzung und zu einer verminderten Motivation bzw. Kooperationsbereitschaft bei rehabilitativen Maßnahmen. Dies wirkt sich wiederum hinderlich auf eine Wiedereingliederung in das soziale bzw. berufliche Leben aus (vgl. Gauggel et al. 1998, S. 65). Menschen die neben Einschränkungen

in der Reflexionsfähigkeit über Beeinträchtigungen des Gedächtnisses verfügen, fällt es teilweise schwer eigene Vorstellungen bezüglich spezieller Themen zu entwickeln, da Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Ein Teilnehmer antwortet auf die Frage nach einem optimalen Arbeitsplatz: "(W)oher soll ich denn das wissen" (T., T1, Z. 363), "(ich) kenn` doch keen Maß" (ebd., Z. 394), und "(ich) weeß ni`, was heutzutage Vorschrift is`" (ebd., Z. 391).

Damit der Betroffene letztlich dazu befähigt wird ein autonomes Leben zu führen, gilt es vorerst in Verantwortung für ihn zu handeln, ihm zu einer realistischen Wahrnehmung zu verhelfen sowie ihn bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen. Dieser Prozess schließt ebenso die Akzeptanz der Veränderungen und des Verlustes sowie eine neue Definition des eigenen Selbstbildes ein (vgl. Bauer, Fischer, Seiler & Fries 2007, S. 29). Das heißt, dass eine Person mit einer verzerrten Wahrnehmung sich zuerst vertrauensvoll in die Hände eines professionellen Helfers begeben muss, um im weiteren Verlauf eine Teilhabe in eigener Regie verwirklichen zu können.

Das pädagogische Handeln richtet sich nach den in Kapitel 4.2 erwähnten Maximen: vom Betroffenen aus, gemeinsam mit ihm und für ihn (vgl. Theunissen & Plaute 1995, S. 66). Aufgrund der Einschränkungen in den reellen Bewertungsmöglichkeiten seitens der Betroffenen ist ein steter externer Abgleich zwischen den bestehenden Bedingungen und dem momentanen Leistungsstand notwendig (vgl. E). Es sollte immer wieder ein Augenmerk darauf gelegt werden, ob es dem Einzelnen möglich ist, mit den Gegebenheiten umgehen zu können. Aus diesem Grund sollten Arbeitsabläufe immer begleitet werden und auf Situationen angepasst sein (vgl. A., E). Verwendete Hilfsmittel müssen auf ihre Effizienz überprüft und gegebenenfalls neu installiert werden (vgl. ebd.). Der professionelle Helfer gestaltet auf diese Weise einen strukturellen Handlungsrahmen, der sich an den aktuellen Bedingungen orientiert.

6.2.2 Unsichtbare Behinderung als hinderlicher Faktor der Bewältigung

In dem Prozess der Bewältigung und Akzeptanz können die bereits mehrfach beschriebenen unsichtbaren Behinderungen ein hinderliches Faktum darstellen. Nach Außen täuschen sie eine scheinbare Unversehrtheit vor und stehen somit in einem konträren Kontrast zum realen Be-bzw. Empfinden der Betroffenen. Ebenso zwiespältig sind die Bewertungen der Personen, mit denen ich gesprochen habe. Ein Teilnehmer berichtet freudig, dass er von der Umwelt rückgemeldet bekommt, dass man ihm seine Beeinträchtigungen "doch gar ni` (anmerkt)", da er "och so schön sprechen (kann)" (R., T3, Z. 192). Seiner Bewertung nach ist das "das Gute" (ebd., Z. 181). In diesem Kontext äußert er zudem: "(D)eswegen kann ich o` damit leben, weil mir merkt man das ni` an" (R., T3, Z. 196). Eine andere Person geht hingegen davon aus, dass sie "wahrscheinlich größeres Verständnis bekommen (würde) von andren Leuten, wenn (sie) `ne Narbe quer durch`s Gesicht hätte, (...) (ihren) linken Arm ni` bewegen (könnte), (..) hinken würde (...) oder wenn (sie) Probleme hätte beim Sprechen" (K., T1, Z. 626). Diese Einschätzungen stehen wahrscheinlich in einem engen Zusammenhang mit dem Grad der Selbstwahrnehmung sowie der Reflexionsfähigkeit des jeweiligen Menschen. Der erst genannte Teilnehmer ist nicht in der Lage, Veränderungen, die aus der Hirnverletzung resultieren, an sich selbst wahrzunehmen. Nach einem langen Prozess des Beziehungsaufbaus, der Konfrontation, der klaren Rückmeldung und psychischen Unterstützung hat er sich vertrauensvoll in die Hände seiner Umwelt begeben und konnte in gewisser Weise mit seiner momentanen Situation Frieden schließen. Dies spiegelt sich in den Äußerungen "(i)ch hab` mich dran gewöhnt, ich kann damit leben, ich hab` damit kee` Problem" (R., T3, Z. 178) wider. Der Zweitgenannte hingegen, empfindet es zwar als "schön, dass (er) ni` (...) in `n Spiegel guck(t) und jedes Mal daran erinnert (wird)" (K.,T1, Z. 656). Die unsichtbare Behinderung erlebt er jedoch "ni` immer unbedingt positiv" (ebd., Z. 655). Zum einen werden die Einschränkungen von ihm selbst im vollen Ausmaß wahrgenommen, zum anderen wären im familiären Bereich "Probleme"(ebd., Z. 590) vorhanden seine Situation "nachzuvollziehen" (ebd.) und das "Verständnis (würde) irgendwann aufhör(en)" (ebd., Z. 593). Weiterhin bestehen seiner Auffassung nach, "ganz, ganz, ganz viele Vorurteile (...) in unsrer Gesellschaft" (ebd., Z. 622). Da seine äußerlichen "Probleme (...) so gering (sind), merkt (das) keiner wirklich" (ebd., Z. 633). Die Leute würden in dem Sinne kommentieren: "(M)it Ihn` is` doch alles in Ordnung, wir sehn doch gar nischt" (ebd., Z. 624). Daher wäre es "in der Gesellschaft (...) ni` unbedingt einfacher, wenn man nichts sieht" (ebd., Z. 657). Daraus resultiert "immer wieder das Gefühl (sich) wieder rechtfertigen zu müssen, neu erklären zu müssen" (ebd., Z. 640) vor Anschuldigungen wie: "(I)ch würde mich hinter meim Unfall verstecken" (ebd., Z. 651). Ob bei diesen Schilderungen eine verminderte Abgrenzung von familiären bzw. gesellschaftlichen Normen oder eine Übertragung von selbstauferlegten Ansprüchen mitschwingt, bleibt hierbei fraglich. Sicher ist jedoch, dass sich aus der Unsichtbarkeit der Beeinträchtigungen eine polare Spannung zwischen den Empfindungen der Teilnehmer bildet, die auf der einen Seite besagt ‚man sieht nichts, also ist nichts' und auf der anderen Seite ‚man nimmt mich und meine Probleme nicht ernst'. Diese Problematik weist auf einen weiteren Faktor hin, der auf Seiten der Betroffenen häufig Unsicherheit auslöst. Menschen, die eine Hirnschädigung erworben haben, fällt es u. a. durch die Erinnerungen an ihr früheres ‚normales' Leben und die nun vorhandenen Beeinträchtigungen nicht leicht im vorgegebenen Kategoriesystem ‚normal' oder ‚behindert' ihren Platz zu finden.

6.2.3 In der Schwebe zwischen Normalität und Behinderung

Das schrittweise Bewusstwerden der Beeinträchtigungen und die damit in Verbindung stehenden Veränderungen im Leben lassen die Menschen, die ich befragt und beobachtet habe, zu der Überzeugung gelangen, dass sie sich durch die Hirnverletzung von dem, was die Gesellschaft als ‚normal' definiert, entfernt haben und gewisse Unterschiede zwischen ihnen und der übrigen Bevölkerung bestehen. Ein Teilnehmer gibt an, dass er "durch den Unfall halt anders (ist)" (R., T2, Z. 52). Ein anderer "merkt`s halt doch manchma`, dass (er) behindert (ist)" (T., T1, Z. 769). Die empfundene Andersartigkeit lässt diverse Ängste entstehen. Von einem Befragten werden Minderwertigkeitsgefühle umschrieben. Er denkt, dass er "in em Betrieb (...), wo alle gesund sind, (...) en Problem (hätte)" (K. T1, Z. 417) und sich "dafür schäm (würde)", "was (er) alles ni` kann" (ebd., Z. 418). Ein anderer befürchtet, dass Personen, die ihn nicht kennen, nicht "mit (ihm) umgehen könn`" und ihn "eventuell nich` verstehn oder falsch verstehn" (R., T3, Z. 350). Diese Bedenken könnten aus Erfahrungen oder aber auch aus der steten Rückmeldung der Umwelt bezüglich seiner realen Situation resultieren. Folglich weichen Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung von den von der Gesellschaft definierten Normalvorstellungen ab. Doch besteht eine 100-prozentige Übereinstimmung mit ‚Behinderten' bzw. sind Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung in diese Kategorie ‚Behinderte' einzuordnen?

Die Reaktionen der Befragten in Verbindung mit der Thematik der Behinderung weisen auf eine bereits vollzogene Auseinandersetzung und die Tendenz einer deutlichen Abgrenzung zu dieser Begrifflichkeit sowie auf eine Nichtidentifizierung mit ‚normalen Behinderten' hin. "Auch wenn ich weiß, was ich für Einschränkungen hab`, muss ich trotzdem immer bei dem Wort Behinderung schlucken" (K., T1, Z. 439). "(I)ch seh` mich ni` so (und) ich würde mich och so nie bezeichnen" (ebd., Z. 448). Besonders hart war es dadurch für den betreffenden Teilnehmer, als sein Kind ihn mit den Worten "Behinderte so wie (...) dich" (ebd., Z. 444) mit dieser Personengruppe gleichsetzte. Die Betroffenen gestehen sich zwar ein, dass Beeinträchtigungen bestehen. Eine Identifizierung mit dem Wort ‚Behinderte' fällt jedoch schwer. Es wird nach einer Formulierung gesucht, die eine Unterscheidung zwischen ihrem Schädigungsbild und dem von Menschen, die seit Geburt an behindert sind, verdeutlicht. Eine annehmbarere Bezeichnung wäre nach einem Teilnehmer "ich habe Einschränkungen" (K., T1, Z. 450). Nur eine Person merkt an, Behinderte, "(das) sind och nur Menschen wie du und ich" (T., T1, Z. 290).

Die Gründe für die Ablehnung der vorhandenen Begrifflichkeit von den Teilnehmern sind verschieden. Sie beziehen sich teilweise auf Vergleiche zwischen den Beschäftigten der WfbM und dem eigenen Leistungsvermögen, die sich aus Vorurteilen oder aus realen Erfahrungen wie aus einem Praktikum in einer solchen Institution zusammensetzen. Nach der Meinung der Befragten bestehen große Unterschiede zwischen ihnen und dem ‚typischen Werkstattklientel'. Ein Beschäftigter konstatiert, dass sie im Gegensatz zu ihm "körperlich Probleme ham"(R., T3, Z. 460), "ni` sprechen (können)" (ebd., Z. 466), "den ganzen Tag ‚nänänä' machen [[gestikuliert dazu wild]]" (R., T4, Z. 158) und "wirklich schwer behinderte Menschen (sind)" (R., T3, Z. 460). Dies bestätigt ein anderer Teilnehmer, indem er zu dem Schluss kommt, dass der "Großteil viel schwerer behindert (war, als er selbst, d. Verf.)" (A., T4, Z. 318). Ein Dritter fügt bei, dass sie "auf nichts reagieren können" (D., T1, Z. 331) und er "dazu (...) gesund genug (ist)" (ebd., Z. 326). Es handle sich um "Fälle, (...) die noch lange nicht soweit sind, um in solch eine Einrichtung (wie die Stiftung, d. Verf.) zu gehen" (ebd.). Diese Aussagen lassen eine Aufwertung ihrer eigenen Situation gegenüber den Beschäftigten der WfbM deutlich werden, sind jedoch nicht gleichzeitig als Abwertung ihnen gegenüber zu betrachten. Das Schicksal der Menschen, die in einer WfbM arbeiten, wird als "traurig" (R., T3, Z. 478) empfunden, und es wird befürwortet, dass ihnen "geholfen (wird)" (D., T1, Z. 333). Zudem drückt sich in den Aussagen Erleichterung aus, einem Leben mit den nach ihren Beurteilungskriterien schwerwiegenderen Beeinträchtigungen entgangen zu sein. Der Zusammenhang zwischen einer Schädigung des Gehirns und dem Erwerb von Behinderung scheint den Befragten durchaus bewusst zu sein. Ein Teilnehmer gibt zu Bedenken, dass "(ihm) och so was passieren (hätte) können" (R., T4, Z. 161). Er zeigt sich glücklich, dass es ihn "ni` so erwischt (hat)" (R., T3, Z. 476). Zum Teil haben die Betroffenen auch schon einen sehr langen Leidensweg hinter sich und blicken zurück auf das dabei Erreichte bzw. auf die erzielten Fortschritte. Ein Befragter gibt an, dass er am Anfang "gar nichts mehr (konnte), nicht mal die einfachsten Dinge wie B. laufen, reden" (D., T1, Z. 16). Der Kontakt zu Menschen, die in einer WfbM arbeiten, weckt in ihm Erinnerungen an diese Zeit, die er "ungern noch mal leben will" (ebd., 335). Da nach seiner Aussage, "bei denen (...) wie bei mir (Ende der 90er Jahre, Verf.) noch fast gar nichts (geht)" (ebd., Z. 327).

Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Begriffs ‚Behinderung' könnten Ängste vor einer vorschnellen negativen Bewertung der Person seitens der Gesellschaft sein, die auch von den Betroffenen selbst wie oben beschrieben, geäußert wurden. Jantzen (1999) äußert in Anlehnung an Espin (1993), dass der "weiße, angloamerikanische, mittel-oder nordeuropäische Mann heterosexueller Orientierung (...) die Norm einer differentiellen Psychologie" (Jantzen 1999, Kap. 1) bildet. Alles andere wird in diesem Kontext als Abweichung, "nicht aber als Variabilität menschlicher Normalität realisiert" (ebd.). Dieser Ausspruch macht deutlich, dass Menschen mit einer Behinderung aufgrund der Normierung als abweichend betrachtet werden und ihnen eine Außenseiterposition am Rand der Gesellschaft zugewiesen wird. Somit ist der Begriff ‚Behinderte' nicht nur eine Bezeichnung für eine Bevölkerungsgruppe, sondern ist immer auch im Zusammenhang mit Stigmatisierungstendenzen zu sehen. Mit ihm geht eine meist negative Bewertung der einzelnen Person im Vorab einher, die wiederum eng an die Integration gekoppelt ist.

Als Erweiterung dieser Gedanken sind die Erfahrungen von Hanek (1991) zu werten. Sie schildern die Problemlage eines Jugendlichen, der nach einem Unfall und einer langwierigen Rehabilitation nun vor allem mit unsichtbaren Behinderungen leben muss. Auf einem gemeinsamen Ausflug mit einer Gruppe von Personen mit einer körperlichen Behinderung erfährt er aufgrund seiner vermeintlichen Unversehrtheit deren Ablehnung (vgl. ebd., S. 125). Eine Ausgrenzungsproblematik scheint folglich nicht nur in der ‚normalen' Gesellschaft bezüglich einer Andersartigkeit zu bestehen, sondern auch unter Personen mit verschiedenen Behinderungsarten.

Wie im Kapitel 1.2 beschrieben, deklariert der Gesetzgeber Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, wenn die Beeinträchtigungen länger als sechs Monate bestehen, zu ‚Behinderten'. Die theoretischen Hintergründe belegen jedoch, dass sie sich von Personen, die von Geburt an mit Behinderungen leben, unterscheiden. Dies ist zum einen anhand der ungleich verlaufenden Sozialisation und den damit in Verbindung stehenden Erfahrungen aus dem vorherigen Lebensabschnitt begründet. Zum anderen ist der Prozess der Bewältigung und der Akzeptanz der Beeinträchtigungen ein völlig anderer. Dennoch besteht aufgrund der Beeinträchtigungen und der daraus resultierenden Veränderungen auch keine Passgenauigkeit zur übrigen gewöhnlichen Bevölkerung. Die Frage eines Angehörigen an einen Betroffenen: "(G)ibt`s eigentlich auch Berufe für Behinderte so wie dich?" (K., T1, Z. 444) macht nochmals deutlich, dass Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung nicht in das bestehende Kategoriensystem einzuordnen sind. Mit den Worten von Hanek (1991) ist festzuhalten, dass Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung augenscheinlich "für die Gesunden zu krank und für die Kranken zu gesund" (ebd., S. 125) sind. Bevor, um dieses Problem zu lösen, weitere Kategorien geschaffen werden, die Menschen in Schubladen pressen, sollte meiner Meinung nach ein Umdenken in allen Schichten in Richtung des Inklusionsgedanken stattfinden, der für eine "uneingeschränkte gesellschaftliche Zugehörigkeit" (Theunissen 2007, S. 31) sowie für eine adäquate Unterstützung zur Teilhabe an der Gemeinschaft eintritt.

Bezug nehmend auf die Forschungsfrage ist zu konstatieren, dass sich Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung in einer Ausnahmesituation befinden.

Es wird ersichtlich, dass der Schritt sein neues Leben anzunehmen und eine weitere Stufe der Identitätsentwicklung zu erklimmen, nicht einfach ist und viel Arbeit seitens der Betroffenen erfordert. Die Krankheitsbewältigung erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Ist-Zustand und mit dem "Leben, so wie`s jetzt ist" (K., T2, Z. 252). Sich seinem Schicksal zu stellen ist für die Betroffenen kein einfacher Schritt und hat oft einen enormen Leidensdruck zur Folge. Eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung stellt jedoch die Voraussetzung für die Teilhabe an der sozialen Gemeinschaft, vor allem aber am Arbeitsleben dar. Saeki (2000) fasst diesen Bedeutungsgehalt wie folgt zusammen: "Chances for implementing work capacity are poor without emotional acceptance of disability" (Saeki o. J., zitiert nach Bauer et al. 2007, S. 30).

Während des Prozesses der Krankheitsbewältigung sowie bei der Auseinandersetzung mit den Krankheitsfolgen und den umfassenden Veränderungen der Lebensumstände benötigen die Betroffenen laut Pössl (1996) häufig eine fachliche Unterstützung und Begleitung (vgl. ebd., S. 9).

Durch die Hirnschädigung bedingte Depressionen und andere psychische Instabilitäten wirken sich maßgeblich auf die Lebensqualität der Betroffenen aus und können den Effekt der rehabilitativen Maßnahmen negativ beeinflussen (vgl. ebd., S.10). Aus diesem Grund gilt es adäquate Bewältigungsstrategien zu erarbeiten bzw. bereits bestehende zu verstärken. Ein Teilnehmer gibt z. B. an, dass er "schon in frühester Kindheit (...) gelernt (hat) mit schlechten Erfahrungen so umzugehen, dass (er) daraus was gewinnt" (A., T4, Z. 23) und "dass es positiv wird" (ebd., Z. 50). Diese Einstellung hat er sich nach seiner Aussage bewahrt. "(O)hne das wäre (er) verzweifelt" (ebd., Z. 55).

Die Ziele der psychologischen Interventionen richten sich in diesem Sinne hauptsächlich auf "die Wiedergewinnung von Selbstvertrauen und das Aufrechterhalten des emotionalen Gleichgewichts, eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und eine diesen Fertigkeiten entsprechende, möglichst eigenverantwortliche Gestaltung des weiteren Lebens" (Pössl 1996, S.14). Vor allem die Vermittlung eines wirklichkeitsgetreuen Bildes über die Einschränkungen des Leistungsvermögen ist ein schwieriger Prozess, der viel Einfühlungsvermögen und Feingefühl benötigt (vgl. ebd., S. 114). Auf der einen Seite ist ein reales Selbstbild notwendig, um eine Hilfe zur Selbsthilfe in Gang zu setzen und Schwierigkeiten z. B. bei der beruflichen Eingliederung zu umgehen (vgl. Pössl 1996, S. 114). Die Vermittlung bedarf einem klaren Rückmeldesystem (vgl. Raß & Schramm 1997, S. 96). Auf der anderen Seite kann es durch die Konfrontation mit den Defiziten leicht zur Selbstabwertung und zur Verstärkung der Hilflosigkeit kommen (vgl. Pössl 1996, S. 115). Um dies zu vermeiden bzw. auszugleichen, sollten immer wieder die noch bestehenden Fähigkeiten und Möglichkeiten in den Blickpunkt gerückt werden (vgl. ebd.).

Die pädagogische Begleitung sollte darauf ausgerichtet sein, die Betroffenen auf dem Weg in die größtmögliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu unterstützen. Es gilt seinen Körper in seiner Funktionalität neu zu entdecken und sich mit ihm vertraut zu machen sowie bestehende Fähigkeiten zu adaptieren oder Fertigkeiten anzueignen. Das Ziel ist es die Beeinträchtigungen in sein Selbstbild zu integrieren und Strategien zu entwickeln, um das neue Leben mit den Beeinträchtigungen zufriedenstellend zu meistern (vgl. Bauer et al. 2007, S. 30).

6.3 Arbeit ja, aber nicht um jeden Preis

Einer Arbeit nachzugehen, stellt für den Großteil der Befragten einen festen Bestandteil des Lebens dar und gehört zum Alltag dazu. Ein Teilnehmer gibt an, dass er sich "irgendwo anders was suchen (würde)" (A., T4, Z. 632), wenn er nicht mehr in der HMS tätig sein könnte. Ein anderer spitzt dies noch zu und äußert, dass er Arbeit "braucht" (K., T1, Z. 259). Ein weiterer Befragter unterstreicht mit seiner Aussage "lieber tot als verrotten zu Hause" (D., T2, Z. 119) die Fundamentalität der Möglichkeit der Teilhabe an der Berufswelt. Damit wird die Aussage von Speck (2008), in der er Arbeit als "Grundbedürfnis des Menschen" (ebd., S. 492) darstellt, unterstrichen (siehe Kap. 3.2). Die Bedeutsamkeit für den Einzelnen bleibt unterschiedlich, kommt jedoch den Erhebungen von Jahoda (1995), die in Kapitel 3.2. aufgeführt wurden, im Allgemeinen nahe. Von mehreren Personen wird der Aspekt der Beschäftigung hervorgehoben, der dadurch Priorität zu haben scheint. Ein Befragter äußert, dass er lieber arbeiten geht, "als daheeme rum(zu)häng` und nichts (zu) machen" (R., T1, Z. 38). Da er "beim Arbeiten (immerhin, d. Verf.) was macht" (R., T3, Z. 504). Ein anderer bezeichnet Arbeit als "nützlichen Zeitvertreib" (T., T1, Z. 600). Dadurch wird dafür gesorgt, dass man "beschäftigt" und "vertan" (ebd., Z. 632) ist. "Sonst sitzt de ja bloß da, sitzt de und weeßt ni`, was de machen (sollst)." (ebd., Z. 626).

Ein Teilnehmer schätzt z. B. an der Arbeit den "geregelten Tagesablauf" (K., T1, Z. 260), die Wirkung "für`s Selbstwertgefühl" (ebd., Z. 263) sowie "Abwechslung zu ham" (ebd., Z. 264). Zudem wird der sozialen Komponente Beachtung verliehen. Einem Befragten gefällt es, dass er bei der Arbeit "unter Menschen (ist)" (R.,T3, Z. 504). Ein anderer freut sich "Kollegen zu ham" (K., T1, Z. 264). Ebenso wird der Geist trainiert, da man beim Arbeiten "dn Kopp` anstrengt" (R., T3, Z. 504). Des Weiteren spielt der finanzielle Aspekt der Arbeit eine Rolle. Eine Person äußert: "Davon lebt man ja auch - ohne Geld kein Essen, ohne Essen kein Sinn" (D., T2, Z. 125). In der Aussage einer Person kommt die Problematik der Kopplung von Status und Prestige an die Erwerbstätigkeit zum Tragen, die ebenso im Kapitel 3.2 diskutiert wurde. Da sie aufgrund des Unfalls ihre Ausbildung nicht abschließen konnte, macht sich in ihr nun das Gefühl breit "nichts zu ham" (K., T1, Z. 464). Sie äußert: "(Im Vergleich zum Freundeskreis, d. Verf.) fühl` ich mich immer minderwertig (und) (...) ganz schlecht (...), (w)eil ich dann so sehe, dass ich das eben in meinem Leben noch ni` erreicht hab`" (ebd., Z. 470).

Im Speziellen werden Aspekte der Arbeit aufgeführt, die mit der Hirnschädigung in Verbindung stehen. Ein Befragter sieht ihren Zweck z. B. in einer Prophylaxe vor einem weiteren körperlichen und geistigen Verfall. Er formuliert dazu: "(I)ch wollte (...) irgendwas machen, was mich (...) auf dem Punkt hält, wo ich dann war. Hätt` ich nicht`s gemacht, da wär` ich noch mehr abgefallen" (A., T4, Z. 543). Die Intention scheint also klar zu sein: Die Personen, die ich befragt habe, möchten gern arbeiten. Fraglich ist noch, wo und unter welchen Bedingungen dies geschehen kann. Dies soll im Folgenden geklärt werden.

6.3.1 Integration unerwünscht

Einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt steht der Großteil der Teilnehmer skeptisch gegenüber. Als mögliche Gründe dafür können zum einen Erfahrungen des eigenen Scheiterns bei einem Wiedereingliederungsversuch, wie in Kapitel 6.1.3. beschrieben, angenommen werden. Zum anderen kann diese Einstellung auf dem Wissen über die eigenen Beeinträchtigungen und ihre mangelnde Konformität mit den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes beruhen, was z. T. auch von der Umwelt rückgemeldet wird. Ein Beschäftigter gibt an: "(I)ch kann nich` das machen, was ich ma` gelernt hab`" (R., T3, Z. 445). Aus diesem Grund ist er der Überzeugung, dass er "off `m ersten Arbeitsmarkt sowieso keene Chance (hat)" (ebd., Z. 353). Für ihn ist es fraglich, "wer (...) heut` schon een (...) mit Behinderung (einstellt)" (ebd., Z. 355). Durch die Annahme, dass er "außerhalb (...) keene Chance (hat)" (ebd., Z. 443), scheint ein Prozess der Akzeptanz und des Abfindens mit der eigenen Situation in Gang gekommen zu sein, der ihn nun zu der folgenden Überzeugung kommen lässt: "(I)ch muss das akzeptiern, ich kann da nicht machen" (ebd., Z. 754). Da er sich an seinem Arbeitsplatz in der HMS nach eigener Angabe "pudelwohl" (ebd., Z. 411) fühlt, und er die Sicherheit hat, dass er "solange (er) die Einrichtung brauch(t)" (R., T3, Z. 800), auch bleiben kann, strebt er momentan keine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt an. Im Gegenteil er würde es eher ablehnen in einem Unternehmen zu arbeiten, wo "alle gesund" (ebd., Z. 342) sind. Er fügt bei: "(D)a (...) würd` ich das ni` machen" (ebd., Z. 343). Bei dieser Aussage spielen Ängste mit, dass der Arbeitgeber oder die Mitarbeiter ihn "eventuell nich` verstehn oder falsch verstehn" (ebd., Z. 350) oder nicht "mit (ihm) umgehen könn`" (R., T2, Z. 52). In diesem Sinne äußert eine weitere Person: "(I)n em Betrieb (...), wo alle gesund sind, hätt` ich (...) en Problem" (K., T1, Z. 417).

Wogegen das erste Beispiel noch eher auf anfänglicher Unfreiwilligkeit und auf fehlenden Alternativen sowie auf Ängsten basiert, lehnt der folgende Teilnehmer eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kategorisch ab. In diesem Zusammenhang berichtet er über seine Erfahrungen aus einer Beschäftigung nach der Hirnverletzung im Bauwesen. Dabei geht er auf Aspekte ein, die in der heutigen konkurrenzbestimmten Arbeitswelt als normal anzusehen sind und die bereits des Öfteren im Theorieteil Erwähnung fanden. "(A)lle schauen nur auf sich" (D., T1, Z. 188), "kriechen dem anderen förmlich in den Aa" (ebd., Z. 188), "jeder will beim Chef gut da stehn" (D., T2, Z. 89) und "jeder wollte sein Arsch auf gut deutsch retten und sauber halten" (D., T3, Z. 42). Diese Bedingungen sind in der Stiftung weitestgehend ausgeschaltet, da hier kein Wettbewerbsdenken und Leistungsdruck vorherrscht. Der Befragte gibt weiterhin an, dass sich die Einrichtung vom allgemeinen Arbeitsmarkt "in allem" (D., T1, Z. 301) unterscheidet. Dabei geht er weniger "von (den) Anforderungen (aus), nur das wie" ist entscheidend (ebd., Z. 304). "(W)ie wird man aufgenommen, respektiert, akzeptiert (und wie ist der) Umgang" (ebd., Z. 306).

Im sozialen Sektor sind Integration sowie Inklusion zu Schlagworten geworden, die das Ziel aller Bemühungen und das scheinbare Optimum der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen darstellen. Die beiden Beispiele, in denen die Menschen, um die es eigentlich in der Debatte geht, zu Wort kommen, beleuchten eine ganz andere Sichtweise. Ihr Bestreben richtet sich konträr zur allgemeinen Meinungsbildung gegen eine unbedingte Eingliederung in die ‚normale' Berufswelt. Ein Beschäftigter kann sich noch gut an die Schattenseiten der Arbeitsbedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erinnern, die in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu humanistischen Ansätzen stehen. In den Kapiteln 3.2 und 4.3 wurde beschrieben, dass der Wert eines Menschen nach diesen Gesichtspunkten allein an seiner Leistungsfähigkeit festgemacht wird und das Individuum dahinter keine bzw. eine sehr geringe Beachtung findet. Durch das ‚Unter-sich-bleiben' wird die Messlatte nicht so hoch gehängt und es erscheint durchaus verständlich, dass Alternativen, die sich am individuellen Bedarf sowie an Grundsätzen der Menschlichkeit orientieren, bevorzugt werden.

6.3.2 WfbM - "Nein danke" (D., T1, Z. 323)

Wenn der Weg nach der Rehabilitation nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt oder in der Erwerbslosigkeit mündet, führt er häufig in eine der weit verbreiteten WfbM. Doch auch mit den dort bestehenden Bedingungen herrscht seitens der befragten Personen größtenteils keine Konformität. Ein Ausschlusskriterium ist nach den Angaben eines Teilnehmers, der aus seinen Erfahrungen während eines Praktikums in einer WfbM berichtet, die Beschneidung seiner Freiheiten in allen Bereichen - bis zur Festlegung des Essens. Er gibt an, "dass die Arbeitsbedingungen in der Stiftung auf jeden Fall besser und freier sind, als (...) dort" (A., T4, Z. 297). "Und (er) (...) och essen (kann), was (er) (...) will" (ebd., Z. 310). Des Weiteren wurde er nicht seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend gefördert (vgl. A., Ak). Die dort anfallenden Aufgaben lagen weit unter seiner geistigen Leistungsfähigkeit, aber stellten hohe feinmotorische Anforderungen, die er aufgrund der Spastik der Hände nur schwer erfüllen konnte (vgl. A., Ak). Zudem entsprachen die Tätigkeiten nicht seiner Vorliebe, der Vielseitigkeit, sondern waren eher eintönig und monoton. Der Beschäftigte fügt bei: "(D)ort saß ich halt dann da und hab` irgendwas gemacht" (A., T4, Z. 358). Es stellte sich nie das Gefühl ein "heimisch" (ebd., Z. 322) zu sein. Das lag nach seinen Angaben vielleicht auch daran, dass der "Großteil (des Klientel, d. Verf.) viel schwerer behindert" (A., T4, Z. 318) war als er, und er sich daher nicht zugehörig fühlte. Diese Problematik wurde bereits im Kapitel 6.2.3 durch die Aussagen anderer Teilnehmer belegt und diskutiert. Eine Zusammenarbeit wird von den meisten Personen, die ich befragt habe, abgelehnt, wie die folgenden Aussagen bezeugen. "(W)ürde mir schwer falln mit solchen Menschen zusamm` arbeiten" (R., T3, Z. 478) oder einfach nur "Nein danke" (D., T1, Z. 323).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Menschen, die ich befragt und beobachtet habe, Arbeit eine bedeutende Rolle zur Erfüllung verschiedenster Bedürfnisse darstellt. Ebenso wird jedoch auch deutlich, dass bestimmte Ansprüche bezüglich der Arbeitsbedingungen bestehen und man einer Beschäftigung nicht um jeden Preis nachgehen möchte. Dieser Sachverhalt wurde bereits im Kapitel 4.3 im Zusammenhang mit Wolfgang Englers (2005) kritischen Betrachtung der Hypothese "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit!" (ebd., S. 11) besprochen. Die begrenzte Wahlmöglichkeit bezüglich der Beschäftigungsangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen, auf die im Kapitel 4.1 hingewiesen wurde, wird an der Anzahl der diskutierten Alternativen, die sich auf zwei begrenzt, deutlich. Seitens der Teilnehmer wurden sowohl stichhaltige Argumente gegen eine unbedingte Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt unter bestehenden Bedingungen als auch gegen die Gegebenheiten, die in den WfbM momentan verbreitet sind, angeführt. Im Hinblick auf die Forschungsfrage wurde demnach noch keine Institution aufgeführt, die adäquate Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bietet.

6.4 Der Betreute Arbeitsplatz als Exempel optimaler Bedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung

Nachdem im vorangegangenen Teil ein Exkurs in das Leben von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung genommen wurde, der Einblicke in ihr Erleben und Verhalten gewährte sowie Ableitungen in Bezug auf ihren Bedarf und ihre Vorstellungen von Arbeitssituationen zuließ, sollen nun spezielle Bedingungen und Handlungsanleitungen für die professionellen Helfer aus Sicht der Betroffenen dargestellte werden.

Die Personen, die ich befragt und beobachtet habe, beziehen sich in ihren Aussagen häufig auf ihre eigene Beschäftigung in der HMS. Um optimale Arbeitsbedingungen bestimmen zu können, werden Vergleiche zu den bestehenden Gegebenheiten angeführt.

6.4.1 Die motivationale Komponente

Die bio-psycho-soziale Betrachtungsweise wurde im Theorieteil bereits im Kapitel 2.3.6 im Zusammenhang mit den Erkenntnissen Lurijas (1970) bearbeitet und erneut im Abschnitt 3.4 als Leitgedanke der ICF aufgegriffen. Die Ebene des Körperlichen, der Psyche und des Geistes bilden innerhalb eines Subjektes eine untrennbare Einheit. Es ist daher unumstritten, dass psychische Faktoren einen enormen Einfluss auf die Körperfunktionen und so auch auf die "Fähigkeit des Gehirns zur Selbstreparatur" (Christensen 2004, S. 50) besitzen (vgl. Cranenburgh 2007, S. 140). Die individuell empfundene Lebensqualität bestimmt den Behandlungserfolg entscheidend mit und steht in einem engen Zusammenhang zur Motivation, ohne die ein Lernen nicht denkbar wäre(vgl. ebd.; Glozman 2004, S. 76). Die Zufriedenheit mit den bestehenden Bedingungen der HMS seitens der Personen, die meist schon seit mehreren Jahren an diesem Ort beschäftigt sind, fällt einstimmig aus. Während ein Teilnehmer noch ganz nüchtern bemerkt: "(D)as hier ... gefällt mir besser (als in der WfbM, d. Verf.)" (A., T4, Z. 330), gibt ein anderer an: "(H)ier in der Stiftung is` mei` Leben" (R., T3, Z. 442) und "ich fühl` mich hier pudelwohl" (ebd., Z. 411). Diese Aussage entspricht auch der Intention eines weiteren Teilnehmers, der äußert: "Der Stiftung verdank` ich alles" (D., T1, Z. 231). "(I)ch weiß, was ich hier habe und kein Geld der Welt (kann) dies ersetzen" (D., T3, Z. 74). Er ist sogar so überzeugt, dass er "jeder Zeit (...) losziehen (...) (und) Werbung betreiben (würde)" (D., T1, Z. 226). Seiner Auffassung nach "gibt (es) hunderttausend behinderte Menschen mit SHT, denen so `ne Chance nicht angeboten wird oder die über so eine Einrichtung nicht wissen, denen muss einfach geholfen werden" (ebd., Z. 233). Es sollen "Zukunftsperspektiven für erworbene SHT-Menschen (geschaffen werden, damit sie, d. Verf.) wieder ins Berufsleben zurück finden können" (D., T2, Z. 11). Für ihn sollten ideale Arbeitsbedingungen so "wie hier" (D, T1, Z. 289) gestaltet sein. Dies bestätigt ein weiterer Teilnehmer, in dem er auf die Frage nach dem optimalen Arbeitsplatz antwortet: "Na so, wie `s jetz` is`, kurz und knapp" (R., T3, Z. 409). Die Bewertung der Gegebenheiten erweist sich als gesichert. Fraglich bleibt noch, worauf diese Intentionen beruhen und wodurch bei den Mitgliedern dieses Personenkreises Motivation speziell in der Arbeitssituation entsteht.

6.4.2 Individuelle Anpassung

Nach der Angabe von Theunissen (2003) lässt der heutige Wissenstand eine Zuordnung von bestimmten neurologischen Kompetenzen bzw. zentralen Informationsverarbeitungsprozessen in die beiden Hemisphären zu (vgl. ebd., S. 77). Auf diese Weise sind gewisse Rückschlüsse von der geschädigten Hirnregion auf etwaige Funktionsausfälle möglich. Eine starre Lokalisation von komplexen geistigen Prozessen in isolierte Abschnitte des Gehirns gemäß der Lokalisationstheorie wurde jedoch widerlegt (siehe Kap. 2). Ebenso ist über die große Variationsbreite von Symptomen sowie über den spezifischen Charakter von Störungen des Gehirns berichtet worden, die letztendlich auf dem komplexen Zusammenspiel der dynamischen Teile beruht (vgl. Lurija 2001, S. 102). Sowohl aus den funktionellen Betrachtungen als auch aus den humanistischen Forderungen des Empowerment, die im Kapitel 4.2 dargestellt wurden, erscheint eine subjektzentrierte Vorgehensweise daher als optimal. In diesem Sinne fordert Glozman (2004) im Prozess der Rehabilitation "auf die Erfahrungen von Personen zu fokussieren, auf ihre subjektiven Interpretationen und ihr persönliches Wissen von Gesundheit und Krankheit, auf ihre Bewältigungsstrategien, ihr Selbstbewusstsein, ihr emotionales Wohlbefinden und ihre soziale Interaktion" (ebd., S. 75). Die Notwendigkeit der Subjektzentrierung und Individualisierung unterstreicht die Aussage eines Teilnehmers, der anmerkt, dass "alle, (die ein) SHT hatten (ähnlich sind), nur welche Krankheit das SHT ausgebrochen hat, ist bei jedem einzelnen unterschiedlich" (D., T2, Z. 98). Ein anderer Beschäftigter gibt an, dass daher jeder "nur von (sich) erzählen (kann)" (A., T4, Z. 7). Einen "Durchschnitt kannst du nicht ermitteln" (ebd., Z. 11). Für die Forschung wie für die pädagogische Begleitung bedeutet dies, jedem Menschen in seiner individuellen Einzigartigkeit zu begegnen und sich auf dieser Grundlage auf die Suche nach Abstraktionen zu begeben und Kategorien zu bilden, die den Gehalt hinter den Worten identifizieren sowie anhand von Gemeinsamkeiten zu einem noch tieferen Einblick in die inneren Zusammenhänge und zu einem umfassenden Verständnis verhelfen. Diese verbindenden Elemente bzw. kongruenten Bedürfnisse konnten bezüglich adäquater Arbeitsbedingungen aufgespürt und sollen im Folgenden dargelegt werden.

6.4.3 Erleben von Autonomie durch Mitbestimmung

Über das Streben nach Selbstverwirklichung im Sinne des Empowerment wurde im Kapitel 4.2 berichtet. Selbstbestimmung und Autonomie zählen laut Theunissen (2005) zu den menschlichen Grundbedürfnissen (vgl. ebd., S. 105). Eine Realisierung steht stets in einer engen Verbindung zu dem Vorhandensein von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten (vgl. ebd.).

Auf das Mitspracherecht im Arbeitsprozess wird von einem Teil der Personen, die ich befragt und beobachtet habe, großer Wert gelegt. Dies spiegelt die folgende Aussage eines Beschäftigten wider. "Ich wer` ja bestimmen könn`, was mit mir getan wird" (A., T4, Z. 433). Für ihn sind "herabwürdigende (Arbeiten, d. Verf.)" (ebd., Z. 283), "alle (die), die (er) nicht selbst bestimm(t)" (A., T5, Z. 94).

Das Empfinden, ob sich ein Mensch in ausreichendem Maße selbst verwirklichen kann, richtet sich nach seinen individuellen Bedürfnissen und umfasst verschiedene Gesichtspunkte. Zum Beispiel lehnt ein Teilnehmer ein Beschäftigungsverhältnis, in dem er "nicht viel anstellen (kann) (...) (bzw.) Wochen vorher Bescheid sagen (muss)" (A., T5, Z. 280) ab. Zudem gleicht er "billige Arbeiten" (ebd., Z. 113) gern für sich durch den "Ersatz (des) Denkens" (ebd., Z., 115) aus und ist daher "am liebsten bei (sich selbst)" (A., T4, Z. 404). Aus diesem Grund bevorzugt er "Aufgaben, die freigestellt sind" (ebd., Z. 408) und die er "auf eigene Faust" (ebd., Z. 598) erledigen kann. Dass das Bedürfnis nach Selbstbestimmung durch die Mitarbeiter sowie durch die Firmenkultur respektiert, getragen und versucht wird, ihm nachzukommen, bestätigt eine andere Person, die sichtlich stolz darüber ist, dass das "Projekt Treppenhaus Farbgestaltung (...) von (ihr kommt)" (D., T1, Z. 258). Des Weiteren verspürt ein weiterer Beschäftigter das Gefühl, dass er die "Macht habe" (A., T4, Z. 335) und ist der Überzeugung: "(I)ch bin mein Chef" (ebd., Z. 430). Ein Befragter schildert die Bedingungen mit folgenden Worten: "Also `s is` jetz` ni` so, dass jemand sagt, du machst jetz` das und das, ich will das so ham und so, und da sag` ich halt, das würd` ich aber anders mach`, weil aus den und den Problem`, die ich hab`, würd` ich die Variante, die ich (...) mir vorstelle, bevorzugen" (R., T3, Z. 391). Er schätzt es, seine "Meinung dazu sagen" (ebd., Z. 386) zu können.

Die wöchentliche Arbeitszeit unterliegt laut Beschäftigungsvertrag einem Spielraum zwischen 15 bis 37,5 Stunden. Die detaillierte Festlegung wird in Absprache mit den Beschäftigten bzw. durch eine Anpassung an ihre individuellen Bedürfnisse vollzogen. Ein Teilnehmer ist z. B. nur an drei Vormittagen in der Woche in der Stiftung tätig, da sein Arbeitsweg relativ lang ist (vgl. T., T1, Z. 426). Er äußert in diesem Rahmen: "`(C)h (könnt) mir vorstellen, dass `ch, noch etwas länger durchhalte, aber dann muss die [Voraussetzung sein] (...) en Arbeitsplatz in der Nähe, dass ich`s ni` ganz so weit hab`" (T., T1, Z. 431). Eine weitere Person bewertet es als sehr positiv, dass sie sich "Pausen gönn` kann, wo (sie sich) o` rausnehm` kann ohne irgendwie en Vorwurf (...) zu bekomm: (Sie) mach(t) nichts oder (sie) ha(t) keine Lust was zu machen" (K., T1, Z. 378).

Der Selbstbestimmung sind jedoch auch in der HMS gewisse strukturelle Grenzen gesetzt, um einen geregelten Ablauf zu garantieren. Beispielsweise wird dem Wunsch eines Beschäftigten, der gern generell selbst entscheiden würde, wie "lang (er) arbeiten kann (...) und (...) will" (A., T5, Z149), nicht nachgegeben.

6.4.4 Erleben von Stärken und Kompetenzen

In den Kapiteln 2.3.2 und 3.2 wurde beschrieben, dass der Wunsch seine Umwelt zu erforschen und sie zu verstehen ein angeborenes Phänomen ist, das das Kind schon frühzeitig dazu veranlasst sich mit der gegenständlichen und personellen Welt auseinanderzusetzen (vgl. Deci & Ryan 1993, S. 11). Deci und Ryan (1993) geben an, dass der Wunsch, sich selbst als handlungsfähig sowie kompetent und effektiv im Umgang mit der Umwelt zu erleben, ein menschliches Grundbedürfnis ist (vgl. ebd., S. 6). Zusätzlich werden laut Cranenburgh (2007) Tätigkeiten, die mit angenehmen Gefühlen in Verbindung stehen, schneller eingeprägt und der Lerneffekt wird damit verstärkt (vgl. ebd., S. 83). Durch ein Lernen am Erfolg, merken die Betroffenen, dass ihre unternommenen Anstrengungen einen Sinn haben, und es sich lohnt dafür zu kämpfen (vgl. ebd., S. 63). Daher wäre es im beruflichen Alltag ideal eine Aufgabe zu finden, die dem Interessenbereich des Betroffenen entspricht und seine Begeisterung weckt (vgl. ebd., S. 237). Zudem sollte die Aufmerksamkeit auf bestehende Erfahrungen oder Vorkenntnisse aus dem Bereich der Arbeit gerichtet werden. Fertigkeiten, die im prämorbiden Zustand regelmäßig wiederholt sowie verinnerlicht wurden, erholen sich häufig schneller (vgl. ebd., S. 138). In diesem Sinne fügt eine Person, mit der ich gesprochen habe bei, dass "bestimmt einige (...) hier (sind), (die) gerne wieder würden das machen, (was sie, d. Verf.) früher gemacht ham" (T., T1, Z. 692).

Diverse Beobachtungen und Gespräche während des Arbeitsalltags der HMS zeigten, dass bei der Verteilung der Beschäftigungsangebote versucht wird den individuellen Interessen und Vorkenntnissen der Beschäftigten zu entsprechen. Ein Teilnehmer, der vor der Hirnschädigung als Maler gearbeitet hat, gibt zum Beispiel an, dass er im Berufsförderwerk als "Büro Tusse" (D., T1, Z. 91) ausgebildet werden sollte. Nach seinen Angaben liegt dies einem, der "vom Bau kommt" (ebd., Z. 95) "nun glei` gar nicht" (ebd., Z. 93). In der Stiftung arbeitet er am liebsten im Bereich "Bau oder Holz" (ebd., Z. 215). Hier kann er seine Erfahrungen bzw. Kenntnisse einbringen. Er betont "gelernt ist gelernt" (D., T1, .Z. 64). Eine weitere Person, die ich befragt habe, war früher im Bürobereich tätig und kann dieser Beschäftigung auch im Rahmen der Stiftung nachgehen (vgl. K., Ak). Wenn es für bestimmte Personen im geschützten Rahmen nicht möglich ist die frühere Beschäftigung auszuüben, wird versucht, Interessen sowie Stärken und Ressourcen in anderen evtl. verwandten Gebieten aufzuspüren. Dies gelingt teilweise so gut, dass sich ein Teilnehmer aufgrund der entdeckten Leidenschaft für das Streichen fragt, warum er "ni` Maler gelernt (hat)" (R., T3, Z. 300). Dies stellt für ihn eine "ruhige Arbeit" (ebd., Z. 301) dar, die einfach nur "herrlich" (ebd.) ist.

Teilweise ist die Diskrepanz zwischen dem Lebensplan, der zu Zeiten vor dem schädigenden Ereignis erstellt wurde und den aktuell veränderten Möglichkeiten jedoch nur schwer überbrückbar. Die verminderte Identifikation mit Inhalten der Arbeit kann sich negativ auf die Motivation und Zufriedenheit auswirken. Einem Beschäftigten, der vor dem schädigenden Ereignis mit guten bis sehr guten Leistungen ein Studium anstrebte (vgl. A., Ak), ist es nicht möglich an seine damaligen intellektuellen Fähigkeiten anzuknüpfen. Da er sich darüber bewusst ist, äußert er, dass er "dadurch (...) gelernt (hat) (...) Scheißarbeit zu machen" (A., T4, Z. 287). Er fügt bei: "(I)ch simuliere (...) nur, damit (...) ich davon denke, dass wär` so erträglich" (ebd., Z. 274). Zudem werden das individuelle Wohlbefinden sowie die Bedürfnisse durch den Fokus der Wahrnehmung mitbestimmt. Ein weiterer Teilnehmer, für den seine körperlichen Beeinträchtigungen im Vordergrund stehen, erachtet die geschützte Beschäftigung nicht als unbedingt notwendig. Er gibt an, dass er "genuch zu tun (hätte)" (T., T1, Z. 247) ohne Arbeit. Damit sind vor allem Maßnahmen, wie Physiotherapie oder Fitnessstudio gemeint.

6.4.5 Strukturierung der Tätigkeit

Jantzen (1980) betont, dass "die Struktur der Tätigkeit von außerordentlicher Bedeutung für die weitere Förderung (...) (und) für die Entwicklung (der) Denk-und Handlungsfähigkeit ist" (ebd., S. 105). Jemand, der Tag für Tag die gleichen einfachen Tätigkeiten ausführt, muss keine komplizierten und vielschichtigen Lösungsstrategien entwerfen und kann sich dadurch keine komplexen Gedankengänge aneignen (vgl. Hörmann 1985, S. 113). Die Flexibilität des Geistes und die Fähigkeit zu denken nimmt ab (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund stellt die Entwicklung einer angemessenen Struktur der Aufgaben einen Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit dar. Im Folgenden soll vorgestellt werden, welche Aspekte dabei im speziellen Kontext von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung und Arbeitssituationen Beachtung finden sollten.

6.4.5.1 Sinnstiftendes Handeln

Ein Hauptaugenmerk sollte auf eine zweckmäßige bzw. sinnvolle Tätigkeit gelegt werden. Das subjektive Empfinden von Sinnhaftigkeit ist an die Nachvollziehbarkeit einer Aufgabe und dem damit verbundenen Verständnis gekoppelt und wirkt sich oft nachhaltig auf die Motivation des Einzelnen aus (vgl. Cranenburgh 2007, S. 237). Zu einem zu vollbringenden Auftrag kann meist eher ein Bezug hergestellt werden, wenn der gesamte Prozess der Entstehung eines Produktes von Anfang bis Ende ausgeführt wird und nicht nur einzelne Teilschritte und Zuarbeiten beigesteuert werden. Die Forderung nach Ganzheitlichkeit scheint ebenso ein Anliegen der Beschäftigten zu sein, mit denen ich gesprochen habe. Ein Teilnehmer möchte z. B. "was anfang` und das dann zu Ende bring`" (R., T4, Z. 105). "(W)enn`s fertig is`, dann freut (ihn) das" (R., T3, Z. 307). Für dieses Vorgehen übernimmt er die Beschreibung einer "sinnvollen Tätigkeit" (R., T3, Z. 520). Eine weitere Person möchte ebenso eine Aufgabe "komplett machen" (K., T1, Z. 61). Ein Beschäftigter gibt an, dass er "keen` (...) Bock droff (hätte), täglich das selbe zu machen und nie zu sehen, ob man auch ma` was gebracht hat" (A., T4, Z. 451).

6.4.5.2 Vielseitigkeit innerhalb der Leistungsgrenzen

Nach den Aussagen eines Großteils der Teilnehmer sollte sich die inhaltliche Qualität einer Beschäftigung zudem auf ein vielseitiges und flexibles Anforderungsniveau beziehen. Ein Teilnehmer verwehrt sich beispielsweise gegen "irgendwas Stumpfsinniges" (A., T4, Z. 382), da sonst seine "Motivation" sinkt (ebd., Z. 377) und er "zu tun (hat), dass (er) wach bleib(t)" (ebd., Z. 385). Daher ist es sein Wunsch "vielseitig eingesetzt (zu) werden" (ebd., Z. 356). Ebenso favorisiert eine weitere Person laut ihren Angaben "Wechseltätigkeiten" (K., T1, Z. 382). Diese wirken nach ihren Angaben unterstützend, da sie dadurch "ni` nur gezwungen (ist, sich) die ganze Zeit zu konzentrieren, sondern dass (sie) auch auf `ne andre Tätigkeit wechseln kann, wo die Konzentration (...) ni` so gefragt is`" (ebd., Z. 383). In diesem Sinne fügt sie bei: "(D)adurch, dass ich eben och wechseln kann, dass ich ma` Tätigkeiten auf`m Computer mache oder irgendetwas raussuche oder eben Kalender binde für die Klienten (...) (o)der eben och ma` runtergehn kann, wenn mir danach is`, das is` einfach entspannter und ni` ganz so anstrengend" (K., T1, Z. 308). Ein anderer kann sich aus diesem Grund z. B. eine Arbeit am Fließband nicht vorstellen, da er dort immer das Gleiche machen müsse (vgl. D, B3, S. 2).

Die gewünschte Vielseitigkeit sollte jedoch nicht separat von den individuellen Möglichkeiten des Einzelnen betrachtet werden. Wie in Kapitel 6.4.5 beschrieben, legen die Inhalte und die Qualität der vorgegebenen Aufgaben das Möglichkeitsspektrum fest, innerhalb dessen der Lernende Wissen und Fertigkeiten erwerben kann. Daher sollten diese auch an seinen Leistungsstand angepasst sein (vgl. Hörmann 1985, S. 123). Im Sinne Wygotskis (1977) sowie des Prinzips der Entwicklungsgemäßheit des Empowerment-Konzepts sollten die Anforderungen stets am bestehenden Leistungsniveau bzw. an den individuellen Voraussetzungen und aktuell verfügbaren Fähigkeiten anknüpfen und sich am Horizont der "Zone der nächsten Entwicklung" (ebd., S. 237) ausrichten (vgl. Jantzen 1980, S. 126). Durch die Anpassung des Anforderungsniveaus und der Bedingungen an die individuelle Situation der Betroffenen, ihre momentane Leistungsfähigkeit bzw. ihre subjektiven Bedürfnisse sowie durch das Anstreben von erreichbaren Zielen wird versucht, eine Unter- oder Überforderung zu vermeiden. Auf diese Weise gelingt es den Beschäftigten, sich innerhalb ihrer eigenen Leistungsgrenzen zu bewegen und auf ihre vorhandenen Ressourcen zurückzugreifen (vgl. Cranenburgh 2007, S. 234). Infolge dieser Angleichung treten die Beeinträchtigungen und Probleme in den Hintergrund und die Fähigkeiten werden sichtbar bzw. können genutzt werden. Der durch die Anpassung entstandene Zugewinn wird von den Teilnehmern häufig als Verbesserung wahrgenommen und auch so artikuliert. Ein Beschäftigter stellt z. B. fest, dass er "schon ganz schön Fortschritte gemacht (hat)" (R., T3, Z. 496) und sich "von Jahr zu Jahr weiterentwickel(t)" (R., T4, Z. 21). Wenn er seine anfängliche Angst vor einer neuen Herausforderung überwunden hat, gibt er zu, dass es ihm "Spaß (macht), (...) was (er) am Anfang nie gedacht hätte" (ebd., Z. 235). Ein weiterer Befragter schildert, dass er sonst "nicht hier und jetzt stehen (würde), wo (er ist)" (D., T2, Z. 37). Ebenso gibt ein Dritter an, dass er es "jetzt (...) wieder positiv sieht" (T., T1, Z. 730).

6.4.5.3 Struktur und Routine

Das folgende Kapitel scheint sich auf den ersten Blick in einem Gegensatz zu den soeben beschriebenen Forderungen nach Vielseitigkeit und Abwechslung zu befinden. Um diese Qualitäten im Arbeitsalltag zu gewähren bzw. umsetzen zu können, benötigen die Betroffenen jedoch über den Tag verteilte, regelmäßige, stets wiederkehrende und fest installierte Strukturen, auf die sie sich beziehen können und die ihnen Sicherheit geben. Das Bedürfnis nach einer Strukturierung spiegelt sich in den Aussagen der Personen wider, mit denen ich gesprochen habe. Ein Teilnehmer bezeichnet sich selbst beispielsweise als "Strukturliebhaber" (A., B1, S. 2). Strukturen sind seiner Meinung nach etwas, an dem man sich festhalten könne, wenn es nötig wäre (vgl. ebd.). Auf diese Weise käme es nie zu einem vollständigen, sondern nur zu einem teilweisen Kontrollverlust (vgl. ebd.).

In den Kapiteln 2.3.1 bis 2.3.3 wurde beschrieben, dass das Gehirn und seine Systeme im Laufe der Entwicklung unter sozialen Bedingungen heranreifen. Laut Jantzen (1980) werden Handlungen und Tätigkeiten in einem "Prozess der zunehmenden Aneignung (Interiorisation) und Vergegenständlichung (Exteriorisation)" (ebd., S. 125) immer mehr verinnerlicht und automatisiert (vgl. ebd., S.125). Cranenburgh (2007) bemerkt, dass Wiederholungen durch die Bildung von Routinen und dem Gewinn an Überschaubarkeit zu einer Verbesserung des Lerneffekts führen (vgl. ebd., S. 82). Durch das Vorhandensein von Automatismen können Prozesse rascher und ohne nachzudenken vollzogen werden. Zudem wird es (wieder) möglich, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen (vgl. ebd., S. 241 ff.). Der Erwerb von Routine stellt daher eine Hilfe in der selbstständigen Bewältigung des Lebens-und Arbeitsalltags dar, wie auch die folgenden Aussagen beweisen. Ein Teilnehmer berichtet von seiner Vorliebe für "immer das Gleiche" (R., T4, Z. 213) und betont mehrfach, dass er "jeden Tag `n gleichen Ablauf (braucht)" (R., T3, Z. 130). Ebenso beschreibt eine weitere Person, dass sie "Regelmäßigkeit" (K., T2, Z. 296) sowie "durchgeplante" (ebd., Z. 298) Abläufe benötigt, da sie sonst "nichts mehr hin(kriegt)" (K., B1, S. 1).

Um sich unbekannte Anforderungen anzueignen oder sich mit komplexen Aufgaben auseinanderzusetzen, benötigen Betroffene häufig eine Unterstützung, die auf einer Strukturierung oder Routinebildung beruht. Eine Person berichtet, dass wenn sie sich an etwas "dran gewöhn(t), da geht das" (R., T4, Z. 109). Dann benötigt sie z. B. weniger Hilfsmittel oder Begleitung, "weil das schon verinnerlicht is` in (ihr)" (ebd., Z. 11). Für sie ist es von höchster Priorität auf den Ablauf des nächsten Tages durch die verbale Mitteilung sowie durch Pläne vorbereitet zu werden, da sie es nach ihrer Aussage nicht mag, wenn "alles so kurzfristig" (R., T3, Z. 119) eintritt (vgl. R., B2, S. 2). Zudem kann sich die Strukturierung darauf beziehen komplexe Arbeitsgänge in mehrere kurze Abschnitte aufzusplitten, um sie überschaubarer und leichter verständlich bzw. umsetzbar zu gestalten. Neue, noch unbekannte Anforderungen werden in Zusammenarbeit mit dem AT kleinschrittig bzw. kontinuierlich eintrainiert und durch schriftliche Arbeitsanweisungen unterstützt (vgl. R., E, S. 3). Ein detaillierter Überblick über Kompensationsmöglichkeiten und Strukturierungshilfen soll im folgenden Kapitel gegeben werden.

6.4.6 Hilfen und Kompensationsmöglichkeiten - Überwinden von Barrieren

Nach der Angabe von Fries, Pott und Lojewski (2007) bedeutet der Begriff "Kompensation", dass "Funktionen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die sich nicht durch Üben allein wieder herstellen lassen, durch Hilfsmittel oder Umgehungsstrategien zu ersetzen (...), auszugleichen (...) oder zu umgehen" (ebd., S. 23) sind. Infolge einer Hirnschädigung kommt es häufig zu einem "Ungleichgewicht oder einer Diskrepanz zwischen den vorhandenen Fähigkeiten einer Person und Umweltanforderungen" (Gauggel et al. 1998, S. 16), die ausgleichende Maßnahmen erforderlich machen. Dies kann in Form eines Umlernens und Erarbeitens von neuen Strategien oder durch die Anpassung der Umgebung realisiert werden (vgl. Cranenburgh 2007, S. 111). Alternative Lösungen sind speziell auf den individuellen Bedarf sowie auf die persönlichen Voraussetzungen des Einzelnen abzustimmen. Teilweise gilt es, erst spezifische Hilfen zu schaffen, um der einmaligen Situation zu entsprechen. Um dies zu gewährleisten, sollte bei der Entwicklung der Ausgleichsstrategien auf die Mitsprache der Betroffenen großer Wert gelegt werden. Zudem zeigt sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit meist als gewinnbringend (vgl. Fries, Pott & Lojewski 2007, S. 23).

Da infolge einer Hirnschädigung in der Mehrzahl der Fälle dauerhafte bzw. chronische Beeinträchtigungen bestehen bleiben, kommt der Entwicklung und Anpassung von Kompensationsstrategien bzw. -hilfen laut Gauggel et al. (1998) eine große Bedeutung zu (vgl. ebd., S. 15). Die eigenständige und aktive Benutzung der Hilfsmittel basiert immer auch auf einem ausreichend realitätsnahen Bewusstsein für die Notwendigkeit bzw. für das bestehende Ungleichgewicht (vgl. ebd., S. 18). Wer die Beeinträchtigungen, die durch die Hirnschädigung entstanden sind, nicht wahrnimmt, wird auch kaum verstehen, warum er Hilfsmittel verwenden sollte (vgl. Fries, Pott & Lojewski 2007, S. 25). Fries, Pott und Lojewski (2007) stellen fest, dass derartige Hilfen zudem als "gesellschaftliche Symbole der Behinderung" (ebd., S. 24) gelten, die den Betroffenen stigmatisieren und als Makel empfunden werden. Sie weisen auf verloren gegangene Fähigkeiten hin, wofür sich die betreffenden Personen z. T. schämen. Ein Teilnehmer, den ich während des Arbeitsalltags beobachtete, versuchte z. B. die Gedächtnislücken und das Angewiesensein auf Merkhilfen teilweise zu verbergen, indem er sich Notizen im Verborgenen machte oder seinen Zettel ankreuzte als ich nicht dabei war (vgl. A., B2, S. 1 f.).

Trotz dessen war es mir möglich, während meiner Beobachtungen vielfältige Hilfsmittel und Kompensationsstrategien zur Bewältigung des Arbeitsalltags kennenzulernen.

Vor allem bei Einschränkungen der Merkfähigkeit erweisen sich Hilfsmittel als notwendig und für den Betroffenen sehr hilfreich. Dies bestätigt ein Teilnehmer, der zugibt: "(Ich) brauch` (...) eine Gedächtnisstütze" (A., T4, Z. 116) und "brauche (...) den Plan" (A., T1, Z. 9). Teilweise werden sogar Lobreden über das Medium gehalten, die von einer wahren Begeisterung zeugen. Ein Beschäftigter betitelt sein Merkheft, als sein "2. Gedächtnis" (R., B1, S. 2). Ein anderer verwendet diese Bezeichnung für Listen, die er sich als problemlösende Handlungsanleitung angefertigt hat (vgl. T., B1, S. 2). In den meisten Fällen stellt diese Hilfe einen spürbaren Zugewinn an Lebensqualität für den Einzelnen dar.

Die sog. "Gedächtnisbrücken (...) zum Merken" (A., T4, Z. 134) entsprechen in ihrer Anzahl und Variabilität den individuellen Unterschieden der Person. Im Folgenden soll eine Auswahl von Hilfsmitteln, die in der Praxis Einsatz fand, vorgestellt werden.

6.4.6.1 "Gedächtnisbuch" (R, T3, Z. 70)

Teilweise nutzen die Beschäftigten z. B. ein Merkheft in Form eines Notizbuches. Ein Teilnehmer berichtet, dass er in "(s)ei` Gedächtnisbuch" (R., T3, Z. 70) einschreibt, was er jeden Tag gemacht hat und wenn er am Abend mit seinen Eltern telefoniert, kann er dann mit dieser Hilfe von seinen Erlebnissen erzählen (vgl. R., B1, S. 2). Ebenso gibt ein anderer Befragter an, dass er das "Buch (...) zum Kompensieren (...) von Kurzzeitgedächtnislücken" (A., T4, Z. 97) verwendet. Die kontinuierliche Führung eines Notizbuches stellt in vielen Fällen eine Grundvoraussetzung dar, um die Einschränkungen der Gedächtnisleistung zu kompensieren. Der dringende Bedarf an diesem Medium spiegelt sich in der Aussage eines Beschäftigten wider, der angibt, dass er "10 Hefte (...) im Jahr" (A, B1, S. 2) benötigt.

6.4.6.2 Pläne

Des Weiteren verfügen die Betroffenen häufig über Pläne. "(D)a steht (...) dran, was jeden Tag zu machen is`" (R.,T3, Z. 140). Sie sind eine Hilfe, um sich "dran (zu) halten, (...) was zu tun ist, (...) was schon getan wurde, (...) wo (...) weiter(zu)machen (ist)" (A., T4, Z. 106). Für die Erledigung der Aufgabe des Blumengießens innerhalb der gesamten Einrichtung verwendet ein Teilnehmer z. B. einen vorgefertigten Plan, auf dem sämtliche Zimmer vermerkt sind. Die erledigten Räume werden abgehakt (vgl. A, B2, S. 1). Wenn ein Zimmer vorübergehend besetzt ist, kann er dies dem Plan später entnehmen, ohne dass es in Vergessenheit gerät (vgl. A., B2, S. 1).

6.4.6.3 Schriftliche Anweisungen und Notizen

Fast jeder der Befragten äußert, dass er auf das Medium der Verschriftung zurückgreift bzw. darauf angewiesen ist. Ein Teilnehmer gibt an, dass es aufgrund seiner Gedächtnisproblematik besser wäre, wenn Arbeitsaufträge "immer (...) aufgeschrieben" (A., T1, Z. 22) werden, da er sie sonst vergisst (vgl. A., B1, S. 2). Wenn er etwas liest, "dann kann (er sich) meistens was merken" (A., T5, Z. 232). Ebenso äußert ein anderer: "(`N) Zettel (...) das is` für mich `ne Hilfe" (R., T3, Z. 161) und "wenn ich den Zettel ni` hätte, kann sein, ich vergess` es" (ebd., Z. 164). Auch eine dritte Person gibt an, dass sie "gezwungen (ist sich) alles irgendwo aufzuschreiben" (K., T1, Z. 68) und fügt bei: " (Ich) muss mir dann aber auch merken, wo ich`s hin tue oder wo ich`s hinlege" (ebd., Z. 71). Ein Befragter berichtet, dass er sich "Listen angefertigt" (T., T1, Z. 222) hat. Darin sind z. B. die Bedienungsschritte für das Programm Excel in einfachen Worten schrittweise und systematisiert aufgelistet (vgl. T, B1, S. 2). Diese nimmt der Beschäftigte zur Hand, "wenn (er) `n Problem ha(t)" (T, T1, Z. 225) und kann "nachlesen, (...) wie (er) da vorzugehen" (ebd., Z. 225) und "zu verfahrn ha(t)" (ebd., Z. 225).

6.4.6.4 Elektronische Medien

Beeinträchtigungen der Sprache und des Sprechens machen aufgrund einer schweren Verständlichkeit teilweise eine Kommunikation über den Schriftweg erforderlich. In diesem Sinne verwendet ein Teilnehmer z. T. sein Handy, in das er einen Text eingibt und dann seinem Gegenüber vorlegt. Für ausführliche Gespräche oder Befragungen benutzt er den Computer (vgl. D., B2, S. 1). Das Handy erfüllt auch bei einer anderen Person eine kompensierende Funktion. Sie benutzt es jedoch als "Gedächtnis" (T., B1, S. 3), um sich "Sachen zu merken" (T., T1, Z. 203). In den integrierten "Terminplaner (...) wird`s Wesentliche eingegeben (...) (und der) erinnert (...), wenn die Zeit ran is`" (ebd., Z. 207). Der Betreffende gibt weiter an: "(W)enn ich`s ni` vergess`, dann guck` ich och nach. Und dann seh` ich, was ich vorhab`" (ebd., Z. 210).

6.4.6.5 Arbeitsplatzgestaltung

Wie in Kapitel 2.2 Erwähnung fand, stellte bereits Goldstein (1878-1965) fest, dass die Motivation des Einzelnen und das therapeutische Milieu sich entscheidend auf den Erfolg von speziellen Programmen auswirken (vgl. Cranenburgh 2007, S. 86). Einflüsse der Umgebung spielen eine entscheidende Rolle bei der Anbahnung von Lern-und Wiederherstellungsprozessen (vgl. Cranenburgh 2007, S. 280). Aus diesem Grund kann eine individuelle Arbeitsplatzgestaltung eine weitere strukturgebende sowie hilfreiche Maßnahme darstellen. Dass es infolge einer Hirnschädigung zu einer verminderten Konzentrationsfähigkeit sowie zu einer erhöhten Ablenkbarkeit kommen kann, wurde bereits in Kapitel 3.3 und 6.1.2.3 geschildert. Laut Cranenburgh (2007) bildet jedoch die Fähigkeit sich einer Tätigkeit aufmerksam zuzuwenden, die Grundlage für ein motiviertes Vorgehen sowie für Lernen und Gedächtnisleistungen (vgl. ebd., S. 236 f.). Daher ist es wichtig eine Umgebung zu wählen, die auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ihre individuelle Situation abgestimmt ist. In der Arbeitssituation könnte dies z. B. bedeuten einen Einzelarbeitsplatz bzw. einen Nischenarbeitsplatz einzurichten, wie es im Fall eines Beschäftigten in der HMS gehandhabt wird. Er ist zum Großteil an einem fest installierten Ort beschäftigt, den er liebevoll "meine Ecke" (R., T3, Z. 301) nennt. Wenn ihm auch dort noch zuviel Ablenkung herrscht, setzt er sich "`n Gehörschutz off" (ebd., Z. 62). Dieser Platz ist weiterhin durch ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Fehlerkontrolle" speziell auf seine Person und die auszuführende Tätigkeit adaptiert. Durch diese Anpassung ist der Teilnehmer in der Lage seine Arbeit selbst zu kontrollieren, sorgfältig vorzugehen und ein qualitativ hochwertiges Ergebnis zu erzielen (vgl. R, B3, S. 3).

In unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes eines anderen Beschäftigten befindet sich sein "Fach, wo (seine) Arbeitsmaterialien (drin) sind" (T., T1, Z. 221). Darunter sind u. a. auch Handlungs-und Arbeitsanleitungen enthalten. Dieser Standort bildet für ihn einen festen Orientierungspunkt, auf den er trotz der eingeschränkten Merkfähigkeit eigenständig zurückgreifen kann, wenn er bei der Ausführung von Aufgaben Hilfe benötigt (vgl. T., B1, S. 2).

6.4.6.6 Selbst angeeignete Kompensationsstrategien

Wenn die Betroffenen realisiert haben, in welchen Bereichen ihre Schwierigkeiten liegen und was ihnen hilft, diese zu umgehen, entwickeln sie teilweise eine Vielzahl von Kompensationsmöglichkeiten, die sich durch ihren gesamten Alltag weben. Dies geschieht teilweise bewusst, aber auch unbewusst. Ein Teilnehmer äußert bezüglich der hilfreichen Strategien "eigentlich hab` ich viele" (A., T4, Z. 128). Bei seiner Aufgabe sämtliche Pflanzen der Einrichtung zu gießen, überprüft er teilweise mit dem Finger, ob er diese oder jene schon gegossen hat oder ob sie noch trocken ist (vgl. A., B2, S. 1). Bevor er während seiner Runde neues Wasser holen geht, platziert er seinen Eimer vor dem Raum, in dem er als letztes gewesen ist. Dadurch weiß er, wenn er zurückkommt, wo er fortfahren muss (vgl. A., B2, S. 1). Wenn er zur Ausführung von einem Auftrag mehrer Anläufe benötigt, da er immer wieder etwas vergessen hat, entsagt er irgendwann seinem Bedürfnis zu kommunizieren, lässt sich von niemandem unterbrechen und versucht mit seinen Gedanken ganz bei der Aufgabe zu bleiben. Dann gelingt ihm meist eine exakte Ausführung (vgl. A., B1, S. 3). Ein anderer Beschäftigter hat nach seinem Unfall das Fotografieren für sich entdeckt. Da immer wieder Gedächtnislücken auftreten, stellen für ihn die Fotos sein "zweites Leben" (R., B2, S. 1) dar. Sogar zwanghaft anmutendes Verhalten und eine Vorliebe für gleiche Abläufe sind in manchen Fällen als erfolgreiche Kompensationsstrategie zu bewerten. Diese Zwänge geben Sicherheit, Struktur und Klarheit (vgl. R., E). Eine weitere Person, die ich befragt und beobachtet habe, verfügt über Einschränkungen in der konzentrativen Dauerbelastbarkeit und gerät schnell in Überforderungssituationen. Daher versucht sie durch einen angemessenen Arbeitsablauf mit ihren zur Verfügung stehenden Energien zu haushalten. Sie passt die Abarbeitung ihrer Aufgaben ihrer Befindlichkeit an und ist bemüht, "entsprechende (...) Ruhephasen " (K., T1, Z. 332) einzubauen. Den Prozess der Angleichung beschreibt sie mit den folgenden Worten: "(I)ch entscheide dann je nachdem, wie ich mich fühle, was davon ich umsetze" (ebd., Z. 123). Zum Beispiel "such` isch mir immer ene (...) feste Tätigkeit, die ich gleich frühs mache, wo meine Konzentration noch am besten is` (und später, d. Verf.) konzentrier` ich mich dann eher so auf praktische Tätigkeiten. Da muß ich ni` so viel nachdenken" (ebd., Z. 129). Wenn sie sich überfordert und ihre Stimmung kippt, oder sie merkt, dass sie plötzlich gereizt wird, geht sie wie folgt vor: "Ich verlass` dann meistens den Raum oder geh` in nen andren Raum, um mich abzureagiern" (K., T1, Z. 165).

Im Kapitel 2.3.4 wurde festgehalten, dass die höheren psychischen Funktionen über eine "mittelbare Struktur" (Lurija 1970, S. 50) verfügen. Demnach ist der Mensch durch die Verwendung von Hilfsmitteln in der Lage, Aufgaben zu strukturieren, Lösungsmöglichkeiten zu erweitern sowie "Herr seines Gedächtnisses" (ebd., S. 51) zu werden. Diese Möglichkeit bzw. Fähigkeit des menschlichen Gehirns nutzen auch Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, um ein Leben mit Beeinträchtigungen zu meistern. Die praktischen Beispiele der Vielzahl von Kompensationsmöglichkeiten weisen daraufhin, dass ihr Sinn bzw. ihr Verwendungszweck stets auf eine bessere Überschaubarkeit und Erleichterung der Bewältigung des Alltags abzielen. Sowohl das Merkheft, die Pläne, die schriftlichen Arbeitsanweisungen, die elektronischen Medien, aber auch die Arbeitsplatzgestaltung dienen dazu, die Betroffenen zu befähigen, strukturierte bzw. abgegrenzte Teilaufgaben zu übernehmen sowie diese in guter Qualität und größtmöglicher Selbstständigkeit zu bearbeiten. Gerade die selbst angeeigneten Kompensationsstrategien weisen darauf hin, dass die Betroffenen als "Experten in eigener Sache" zu betrachtet sind, da sie selbst am besten wissen, was ihnen hilft und was sie benötigen. Daher gilt es, ihre Meinung in die Gestaltung von Bedingungen einzubeziehen und auf ihre Erfahrungen zu vertrauen.

6.4.7 Adäquates Maß an Unterstützung und größtmögliche Selbstständigkeit

In der Darstellung des theoretischen Hintergrunds sowie in der Diskussion der Ergebnisse wurde festgestellt, dass sich Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung sowohl durch ihre individuellen Belange, als auch durch die Verschiedenartigkeit der Beeinträchtigung und ihrer Folgen voneinander unterscheiden. Für den Arbeitsalltag bedeutet dies, dass auch der Bedarf an Art und Weise sowie Intensität der Unterstützungsangebote variiert. Jeder Einzelne benötigt sein eigenes Maß an Zeit und Anleitung, um eine Aufgabe zu bewältigen. Nach der Aussage eines Befragten kommt es vor, dass es "einer (...) glei` (kann), der andere weniger" (ebd., Z. 66). Ebenso sind seitens der Beschäftigten unterschiedliche Erwartungen an die professionelle Begleitung während des Arbeitsablaufs gerichtet. Teilweise wird dem AT eine zentrale Rolle zugewiesen. Ein Befragter gibt z. B. an, dass es für ihn wichtig ist "nich` alleene" dazustehen (R., T3, Z. 256). In seiner Aussage: "(E)en andrer (...) Meester (...) könnte ni` mit mir umgehen" (R., T4, Z. 90) schwingt Bewunderung mit. Sein Anleiter stellt für ihn die Instanz dar, die dafür Sorge trägt, dass sein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur erfüllt wird. Seiner Aussage nach, ist er "der Mann (...), der weeß, wo `s langläuft" (R., T3, Z. 226). "(S)onst könnt` ja jeder hier machen, was er will, (...) wenn keener aufpasst" (ebd., Z. 234). Im Gegensatz dazu steht die Aussage eines anderen Teilnehmers, der es nicht mag, "dass (ihn) ständig jemand beaufsichtigt" (A., T5, Z. 192). Er nimmt jedoch auch das Vertrauen der AT in seine Fähigkeiten wahr und schätzt dies. So bemerkt er: "(D)as Gute is` (...), dass die (AT, d. Verf.) mich kenn` und wissen, dass ich, wenn ich Aufgaben bekomm` hab`, die auch durchführe, (...) (da) brauchen se mich nicht beaufsichtigen, wenn die Arbeit nicht neu ist und mir ungewohnt" (ebd., Z. 211). Im Vergleich zu der Situation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wird anerkannt, dass in der Einrichtung "jeder AT(...) auf den Klienten ein(geht)" (D., T2, Z. 88). "Draußen auf (dem) freien Arbeitsmarkt sagt Chef so und so" (ebd., Z. 64). In der HMS "wiederum erklären alle AT genau und stehen bei, bei deiner zu vollrichtenden Arbeit" (ebd., Z. 65). Wenn eine Person nicht in der Lage ist eine Aufgabe allein zu lösen, unterstützt sie der Anleiter, in dem er nicht einfach die Erledigung selbst übernimmt, sondern indem sie das Problem "zusammen" (D., T1, Z. 149) lösen. Dieses Vorgehen entspricht laut Theunissen (2003) dem Ansatz des "handelnden Lernens" (ebd., S. 70).

Demnach stellt die eigenständige, aktive Auseinandersetzung mit alltäglichen Situationen an realen Schauplätzen für die Betroffenen die Voraussetzung dar, sich ihrer eigenen Lebensumstände wieder zu bemächtigen, Kontrolle darüber zu erlangen sowie einer "erlernten Hilflosigkeit" und der Abhängigkeit von der Umwelt vorzubeugen (vgl. Theunissen 2003, S. 70 f.).

Ein weiterer Teilnehmer bewertet die Spezialisierung der Anleiter und die darauf aufbauende fachgerechte Handlungsfähigkeit als positiv. Er bemerkt dazu: "Die AT sind auf die Menschen eingestellt, die wissen auch mit wem sie zusammenarbeiten. Das sind ganz, ganz große Pluspunkte hier, die ich woanders ni` hätte" (K., T1, Z. 427). Die betreffende Person fügt hinzu, dass der AT um einer Überforderung vorzubeugen auch "sehr darauf achtet, dass (sie) Pausen mache und dass (sie) auch wechselnde Tätigkeiten habe" (ebd., Z. 287).

Auch wenn die Teilnehmer komplett verschiedene Bedürfnisse beschreiben, spiegelt sich in all ihren Aussagen das als positiv empfundene Gefühl des ‚Aufgehoben-Seins' wider, egal ob dies durch Strukturierung, Vertrauen, Einfühlungsvermögen, Unterstützung oder Fachwissen vermittelt wurde. Dieses "grundlegende Gefühl emotionaler Aufgehobenheit" (Seyfried 1990, S. 56) wurde bereits im Kapitel 4.3 von Seyfried (1990) als Qualität einer umfassenden Integration bewertet. Er nimmt an, dass diese Atmosphäre vorwiegend im Rahmen von kleinen, überschaubaren Einrichtungen vorzufinden ist, da sie ein stetiges menschliches Miteinander gewähren (vgl. ebd.).

6.4.8 "Soziale Eingebundenheit" (Deci & Ryan 1993, S. 6)

Laut den Ausführungen zur Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und Ryan (1993) stellt die soziale Eingebundenheit oder die soziale Zugehörigkeit neben der Erfüllung der Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie bzw. Selbstbestimmung eine wesentliche Voraussetzung dar, um Bedingungen als positiv zu empfinden, zu erleben und zu bewerten (vgl. ebd., S. 6). Im Kapitel 2.3.2 wird das "Gesamtsystem Organismus-Umwelt" (Pickenhain 1994, S. 40) erwähnt, das u. a. auf die soziale Bezogenheit des Menschen und sein ursprüngliches Bedürfnis des Kontaktes und der Auseinandersetzung mit Bezugspersonen verweist.

6.4.8.1 Die Beziehung als Fundament

Laut Köhn (2003) bildet die "Beziehung (...) das Fundament für die heilpädagogische Begleitung eines Mitmenschen" (ebd., S. 26). Mit dem Ausspruch "(d)er Mensch wird am Du zum Ich" (Buber 1984, S. 32) erklärt Buber, dass das Individuum nur durch die Beziehung zu seinem Gegenüber zu sich selbst finden kann. Die im Kapitel 4.2 beschriebene gemeinsame Begegnung oder das sog. "dialogische Prinzip" (Buber 1984) kann nur durch eine vertrauensvolle sowie partnerschaftliche Vorgehensweise entstehen, die durch gegenseitige Achtung, Akzeptanz und Wertschätzung sowie Offenheit, Empathie und Authentizität geprägt ist (vgl. Theunissen 2003, S. 65).

In den Gesprächen mit den Beschäftigten wurde deutlich, dass die genannten ethischen Maxime einen wesentlichen Anteil zur subjektiven Zufriedenheit sowie zum Gefühl der sozialen Eingebundenheit beitragen. In diesem Sinne äußert ein Teilnehmer: In der HMS "wird man respektiert, ob Klient oder nicht" (D., T1, Z. 210). Er fühlt sich nach seiner Angabe "sauwohl" (ebd., Z. 181), weil man "akzeptiert wird, egal wer welche Krankheit mit sich bringt" (ebd., Z.180). Einer anderen Person ist es wichtig, dass "Toleranz da is` von (...) dem Arbeitgeber (...), (damit sie) mit den Unfallfolgen (...) zurechtkommen kann" (K., T1, Z. 375).

Beobachtungen ergaben, dass im Arbeitsalltag der HMS häufig ein kollegiales und gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Beschäftigten und AT herrschte, in dem die Mitsprache seitens der Betroffenen begrüßt sowie dankend angenommen wurde, und auch die Menschlichkeit und der Humor nicht zu kurz kamen (vgl. D., B3, S. 3). Neben der Anleitung spielt im Aufgabengebiet der Mitarbeiter die psychische Unterstützung eine große Rolle, die erst durch eine vertrauensvolle Beziehung ermöglicht wird. In diesem Sinne gibt ein Beschäftigter an, dass er "Riesenrespekt vor der Sozialpädagogin hat" (D., T1, Z. 157). Er konstatiert: "Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich jetzt stehe. Soviel Vertrauen schenk` ich nicht vielen Leuten. Sie ist da, wenn mir was auf der Seele brennt. Sie steht mit Rat und Tat in jeglicher Hinsicht mir bei - würd` schon sagen, dass ich sie brauche" (ebd., Z. 158).

Das Bedürfnis nach sozialer Kommunikation spiegelt sich in der Aussage eines Teilnehmers wider, der sich selbst als "Kommunikator" (A., T5, Z. 255) bezeichnet. Er bemerkt: "Wenn jemand da is` mit dem man sich nebenher unterhalten kann, dann hab` ich Spaß dran" (ebd., Z. 319). Wie die Äußerung einer anderen Person belegt, wird Wert auf eine offene Kommunikation, nicht nur im Kontakt zu den Mitarbeitern, sondern auch zu den Kollegen gelegt. So formuliert sie: "Was ich gar nicht abkann, is` hinterm Rücken reden" (D., T1, Z. 189). "(K)lar gibt's mal hier und da Meinungsverschiedenheiten, aber die lassen sich wunderbar lösen." (ebd., Z. 185). In der Stiftung "redet man offen, und so was find` ich spitze" (ebd., Z. 204).

Von den Teilnehmern wird zudem angegeben, dass in der Stiftung "`ne gute Harmonie" (R., T3, Z. 325) herrscht und dass das Arbeitsklima "Bombe" (D., T1, Z. 183) ist. Ein Beschäftigter fügt hinzu: "(G)ewisse Personen schließt man eben och ins Herz und of die freut man sich dann och und das is`n angenehmes Gefühl (in die Stiftung, d. Verf.) (zu) fahrn mit dem Gedanken (...) heut` siehst de denjenigen oder diejenige wieder, und mit den kannste dich unterhalten" (K., T1, Z. 407).

Die Aussage eines Teilnehmers fasst das bereits Gesagte zusammen und bringt es auf den Punkt. Seiner Meinung nach steht in der HMS "allen (...) der Weg offen (...)wieder Mensch zu sein" (D., T1, Z. 179).

6.4.8.2 Peer Support

‚Peer Support' meint eine Gruppe von Gleichgestellten, deren Mitglieder in ein gegenseitiges Unterstützungsverhältnis treten (vgl. Pott 2007, S. 157). Im Zusammenhang mit Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung übernimmt dabei vor allem die Person, die schon seit längerer Zeit betroffen ist, gewisse Kompetenzen im Umgang mit dieser Situation erwerben konnte und über die entsprechende Distanz verfügt, eine beratende Funktion für die ‚Unerfahreneren' ein (vgl. Rensinghoff 2001, S. 12). Laut Pössl (1996) stellt sich in der Phase der Krankheitsbewältigung der Austausch mit ähnlich schon länger Betroffenen häufig als sehr hilfreich heraus (vgl. ebd., S. 120). Ihre Erfahrungen und Ratschläge bezüglich der Lebensplanung werden von Menschen, die vor einem kürzeren Zeitraum eine Hirnschädigung erlitten haben, eher angenommen, als die von einer Fachkraft, weil sie doch nicht "im selben Boot sitzt" (vgl. ebd.). Die Mithilfe der sog. Peer Group kann z. B. dazu beitragen aktiv an der Umgestaltung des Tätigkeitsspektrums mitzuwirken, Alternativen zu den Aktivitäten ausfindig zu machen, die nicht mehr möglich sind und Anregungen und Ideen für die Lösung alltäglicher Probleme zu geben (vgl. ebd. ). Der Austausch mit Gleichgestellten kann zudem hilfreich sein, um die Thematik des sozialen Miteinanders aufzuarbeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten, neue Kontakte zu knüpfen oder mit gesellschaftlicher Diskriminierung und Benachteiligung umzugehen (vgl. ebd., S. 121). Somit stellt der Peer Support eine Möglichkeit dar, die "Bedingungen der Isolation" (Jantzen 1994, S. 139), die in den Kapiteln 2.4 und 4 beschrieben wurden, zu durchbrechen.

Durch die Spezialisierung der HMS besteht die Möglichkeit, mit ähnlich betroffenen Menschen in Austausch zu treten. Seitens der Personen, mit denen ich gesprochen habe, ergibt sich dadurch das Gefühl sozial besser integriert zu sein. Ein Teilnehmer schätzt es beispielsweise "unter Leuten (zu arbeiten, d. Verf.), die och Probleme ham" (R., T3, Z. 254). Als Gründe dafür gibt er an, dass sie gegenseitig "ungefähr (ihr) Krankheitsbild kenn" (R., T2, Z. 77) und sich daher "bestimmt besser verstehen" (ebd., Z. 74). Deshalb empfindet er es als "schön, (dass) jeder der hier is` (...) seine Probleme (hat)" (R., T3, Z. 316). Eine andere Person nimmt die Arbeit unter ähnlich Betroffenen ebenso als "Vorteil" (K., T1, Z. 414) wahr. Dadurch, "dass es (...) viele Klienten gibt, denen es ähnlich geht wie (ihr), kann man sich och austauschen" (K., T1, Z. 415).

Neben dem gegenseitige Verständnis und dem möglichen Austausch untereinander wird der Vergleich mit anderen Betroffenen zusätzlich zu einer Aufwertung, Stabilisierung und Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls genutzt. Eine Person schildert z. B. wenn sie in einem Unternehmen arbeiten würde, "wo alle gesund sind, (hätte sie) (...) en Problem" (ebd., Z. 417). Sie erläutert: "Ich käm` mir immer minderwertig vor, oder ich würde mir ständig Gedanken drüber machen, was ich alles ni` kann. (...) Und würde mich vielleicht auch am Ende dafür schäm`" (ebd., Z. 418). Nach ihrer Aussage braucht sie dieses Gefühl in der HMS nicht zu haben, "weil`s hier ganz, ganz viele Menschen gibt, die so sind (...) oder die dieselben Probleme ham wie (sie)" (ebd., Z. 423). Im Rahmen eines subjektiven Vergleichs der eigenen Leistungsfähigkeit mit der eines Kollegen stellt ein Teilnehmer fest, "den hat`s genauso Sch-getroffen" (T., T1, Z. 695) bzw. "war`s (bei ihm) aber noch schlimmer" (ebd., Z. 701).

Da sich nicht oft Menschen mit einer Hirnschädigung im unmittelbaren Bekanntenkreis befinden, stellt die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe eine unterstützende Alternative dar. Laut Pott (2007) ergeben Untersuchungen, dass es durch den gegenseitigen Austausch zu einer Verbesserung der Lebensqualität auf Seiten der Betroffenen sowie der Angehörigen kommen kann (vgl. ebd., S. 157).

6.5 Arbeit und sonst? - Ein Blick über den Tellerrand anhand der idiosynkratischen Momente

Der Forschungsgegenstand beschäftigt sich mit adäquaten Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung. Da daraus resultierende Veränderungen weite Bereiche des Lebens umfassen, kann sich eine pädagogische Förderung und Begleitung, die sich dem Prinzip der Ganzheitlichkeit verschrieben hat (siehe Kap. 4.2), nicht nur mit dem Sektor der Arbeit befassen, sondern sollte die Befindlichkeit der betreffenden Personen auffangen, sich nach dem Bedarf ausrichten und verborgene Fähigkeiten aufdecken. Der ökosystemische Ansatz von Bronfenbrenner (1989) weist bereits daraufhin, was die ICF festschreibt und das Empowerment fordert: Eine bio-psycho-soziale Problemsicht, nach der Schwierigkeiten nicht an der Person allein festzumachen sind, sondern auf einem Missverhältnis zwischen dem Individuum und der Umwelt basieren (siehe Kap. 3.1, 3.4 & 4.2). Darauf aufbauend sollte bei der Gestaltung adäquater Arbeitsbedingungen immer auch ein Blick über den Tellerrand hinaus auf die Lebensumstände des Einzelnen riskiert werden. Dieser Bedarf, auf den vereinzelte bzw. spezifische Aussagen der Beschäftigten hinweisen, soll im Folgenden dargelegt werden.

6.5.1 Die Bedeutung des Kontextes am Beispiel der familiären Situation

Obwohl im Rahmen dieser Ausarbeitung die Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung im Mittelpunkt stehen, soll an dieser Stelle ein Einblick in die Lage der Angehörigen gewährt werden, da diese reziprok auf die Betroffenen rückwirkt. Chronische Behinderungen, aus denen bleibende Beeinträchtigungen resultieren, gehen meist mit tief greifenden Veränderungen des gesamten Familienlebens einher (vgl. Glozman 2004, S. 81). Laut Hämmerling et al. (2008) erfordern sie seitens der Familienmitglieder eine Anpassung in verschiedensten Bereichen, die von der ursprünglichen Lebensplanung abweicht (vgl. ebd., S. 224). Das alltägliche Zusammenspiel läuft nicht mehr in gewohnten Bahnen, und es mangelt meist an Bewältigungsstrategien (vgl. ebd.). Das Gleichgewicht und die Rollenverteilung zwischen den einzelnen Mitgliedern geraten in Schieflage (vgl. Glozman 2004, S. 81). Aufgrund der Beeinträchtigung und dem damit in Verbindung stehenden empfundenen Mitgefühl seiner Angehörigen wird dem Betroffenen eine Sonderposition zugewiesen. Die gesamte Aufmerksamkeit und Zuwendung der engen Verwandten richtet sich vorerst auf ihn. Dabei treten andere Familienmitglieder wie z. B. Geschwister in den Hintergrund (vgl. FRAGILE Suisse 2007, S. 55). Glozman (2004) gibt an, dass die Veränderungen sowohl im Verhalten, als auch der gesamten Lebensumstände seitens der Angehörigen zu Schuldgefühlen, Versagensängsten und Überforderung führen können (vgl. ebd., S. 82). Aufgrund der Doppelbelastung der Rolle des Angehörigen sowie des Pflegenden zugleich kann es zu Stress sowie zu einer Minderung der Lebensqualität bis hin zu psychischen Langzeitfolgen wie Depressionen oder Ängsten kommen, die sich wiederum auf die Situation des Betroffenen durch einen Mangel an sozialer Interaktion, Aufheiterung und emotionaler Unterstützung auswirken (vgl. ebd.; Hämmerling et al. 2008, S. 224).

Dadurch dass sich infolge einer Hirnschädigung externe Kontakte vermindern (siehe Kap. 6.1.3), wird die Familie zur wertvollsten und zugleich zur "verwundbarsten Ressource" (Glozman 2004, S. 81) (siehe Kap. 3.1). Glozman (2004) gibt zu Bedenken, dass die Beziehungen innerhalb dieses Gefüges den Rehabilitationsverlauf des Betroffenen u. a. auch aufgrund ihrer täglichen Präsenz maßgeblich mitbestimmen (vgl. ebd., S. 81). Harmonische, unterstützende und empathische Konstellationen können auf der einen Seite positiv wirken. Vermittelte negative Einstellungen, wie "unrealistische Erwartungen, Schuldgefühle, Überbehütung, exzessive Aufmerksamkeit oder soziale Entfremdung, (...), übertrieben kritischer oder ängstlicher Umgang usw." (ebd.), wirken sich eher hinderlich aus und können zu einer Schwächung der Leistungsfähigkeit bis hin zu einer Verstärkung der Symptomatik oder zu emotionalen Störungen beitragen (vgl. Glozman 2004, S. 81).

Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, gaben in den meisten Fällen an, durch ihre Eltern eine vollkommene Unterstützung zu erhalten, über die sie sehr glücklich sind. Ein Teilnehmer berichtet z. B., dass sie "nach `m Unfall zu (ihm) gehalten (haben) und jetz` o` noch zu (ihm halten, d. Verf.)" (R. T3, Z. 494) sowie dass sie "voll hinter (ihm) stehn" (ebd., Z. 710). Ebenso berichtet ein anderer, dass ihm seine "Eltern helfen" (A., T4, Z. 337) und seine Wünsche unterstützen, in dem sie fragen, "was (er) will" (ebd., Z. 337). Neben der Unterstützung durch Personen wird von einem Beschäftigten sein Haustier als hilfreich geschätzt. Er äußert: "(M)it meim Hund kann ich (...) sprechen" (T., T1, Z. 548). In den Gesprächen wurde jedoch auch deutlich, dass es für die Angehörigen nicht immer leicht ist die Veränderungen der Betroffenen zu akzeptieren. So berichtet eine Person, dass "das Verständnis irgendwann aufhört" (K. T1, Z. 593) und "es (...) allen schwer (fällt) das nachzuvollziehen, dass da bleibende Schäden sind" (ebd., Z. 599).

Aus der immensen Gewichtung der Unterstützung durch Bezugspersonen lässt sich gemäß von Reutern (2005) die Empfehlung ableiten, in jegliches Vorgehen einschließlich der beruflichen (Wieder-)Eingliederung die Angehörigen einzubeziehen bzw. diese mit ihnen abzustimmen (vgl. ebd., S. 190). Auf diese Weise stellen sie eine gewinnbringende Unterstützung dar, die die Maßnahmen mit trägt und behilflich ist, eine Über- sowie Unterforderung des Betroffenen zu vermeiden (vgl. ebd.). Eine umfassende Aufklärung und Beratung durch Fachpersonen hilft bei der Einordnung und der Verarbeitung der unfallbedingten Veränderungen ihrer Kinder, trägt zur Sicherung ihrer psychischen Gesundheit bei und unterstützt sie dabei, eine Abgrenzung zu vollziehen. Nach der Phase der intensiven Rehabilitation müssen die Betroffenen wieder lernen auf eigenen Füßen zu stehen. Im Fall eines Teilnehmers wirkte sich der Schritt in die Selbstständigkeit und die zeitweise Trennung vom Elternhaus beispielsweise durch einen Zuwachs an Selbstbewusstsein sowie eine positive Entwicklung des Prozesses der Krankheitsverarbeitung aus. (vgl. A., Ak). Ein stabiles soziales Umfeld sowie die Unterstützung im privaten Bereich stellen für die Betroffenen einen wichtigen Rückhalt dar und prägen den Integrationserfolg nachhaltig.

Laut Fries (2007) weisen Studien auf das Bedürfnis der Angehörigen nach mehr sozialer Unterstützung hin, das ebenso einen Ausgleich zu den Belastungen innerhalb der Familie schafft (vgl. ebd., S. 138). Angehörigengruppen dienen neben dem Austausch mit anderen Betroffenen zu einer Aneignung von Bewältigungsstrategien (vgl. ebd.).

6.5.2 Eigenständiges Wohnen lernen

In einem Gespräch mit einem Teilnehmer wird ersichtlich, dass er sehr stolz darauf ist seinen Alltag selbstständig zu meistern. Er gibt an, dass er sich seine Wohnung auf "eigene Faust" (A., T4, Z. 600) gesucht hat und sich dort nach seinen Wünschen verwirklichen kann. Die Selbstversorgung und die häusliche Lebensführung stellen einen wesentlichen Aspekt der Teilhabe dar, deren Kategorien in der ICF aufgeführt sind (vgl. Rehbein & Lojewski 2007, S. 65). Die eigenständige Wohnsituation trägt zur Förderung der Selbstständigkeit bei. Im Fall eines Zusammenlebens mit anderen Personen stellt sie zudem ein Übungsfeld für soziale Kompetenzen dar. Laut dem Kapitel 2.4 wird jedoch u. a. auf die Schwierigkeiten verwiesen, die die Betroffenen nach der Entlassung aus der Klinik bei der Bewältigung der alltäglichen Aufgaben erwarten. Häufig treten durch die Komplexität der Anforderungen rasch Überforderungssituationen auf (vgl. ebd.). Das eigenständige Leben muss in den meisten Fällen erst wieder erlernt werden. Ein Beschäftigter, der in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft eingegliedert ist, berichtete von seinen anfänglichen Versuchen wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Dabei erhielt er Unterstützung durch eine Ergotherapeutin. In diesem Sinne bemerkt er: "(A)m Anfang (ist sie) zweema` de Woche vorbeigkomm`, dann bloß noch eenma` und dann gar ni` mehr" (R., T3, Z. 781). Gemeinsam mit der Therapeutin wurde ein Plan erstellt, der den "gleichen Ablof" (ebd., Z. 135) sichert. Durch diese Strukturierung, die dem individuellen Bedarf entspricht, ist es der betreffenden Person nun möglich einen Alltag in größtmöglicher Selbstständigkeit und Autonomie zu führen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Eingliederung in den Arbeitbereich aus.

Eine effektive und gewinnbringende Alternative zu ambulanten Angeboten erscheint meiner Meinung nach das Konzept der Wohnschulen oder des Trainingswohnens, das vorwiegend in der Schweiz und vereinzelt auch in Deutschland umgesetzt wird. In diesem Rahmen werden erwachsene Menschen mit einem speziellen Lernbedarf auf dem individuellen Weg in die Selbstständigkeit unterstützt (vgl. Hofmann & Schwander o. J., S. 11 f.).

Um Angebote wie diese auch für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung so effektiv wie möglich zu gestalten und Unterstützungen zum Erlernen des eigenständigen Wohnens zu schaffen, sollte aus meiner Sicht eine Bedarfsermittlung bezüglich der Gestaltung von Wohnbedingungen bzw. von adäquaten Wohnformen für diesen Personenkreis erfolgen. Die Bearbeitung dieses Aspekts wäre meiner Meinung nach prädestiniert für eine weitere Forschung und könnte mit einer Konzeptentwicklung einhergehen.

6.5.3 Gestaltung der Freizeit

"Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben" (vgl. Speck 2008, S. 492). Dieser Ausspruch macht deutlich, dass der freien Zeit in unserem Leben eine hohe Bedeutung zukommt. Sie sollte daher eine Quelle der Selbst-und Interessenverwirklichung, der Selbstbestätigung bzw. der Stärkung des Selbstbewusstseins, der Anbahnung sozialer Kontakte etc. sein. Derartige Erfahrungen spiegeln sich in den Erzählungen eines Großteils der Teilnehmer wider. Hobbys, die schon vor dem schädigenden Ereignis bestanden, wurden teilweise beibehalten oder durch alternative Beschäftigungen ersetzt. Diverse Schilderungen über ihre Freizeitgestaltung wirkten auf die jeweiligen Personen beschwingend und schienen von ihnen als durchaus sinngebend bzw. erfüllend betrachtet zu werden. Ein Teilnehmer gab an, dass er keine Hobbys habe. Dies wäre auch vor dem Unfall schon so gewesen. Damals war das aus seiner Sicht "och ni` schlimm" (K., T2, Z. 268). Er bemerkt jedoch auch: "(J)etzt bräucht` ich`s wahrscheinlich zum Ausgleich. Müsst` ich mir irgendwas suchen, was ich für mich ganz alleine mache" (K, T2, Z. 268). Diese Person wird häufig durch Existenzängste und Minderwertigkeitsgefühle geplagt, die durch die Vermittlung einer Freizeitbeschäftigung und das Kennelernen bzw. den Austausch mit verschiedenen Leuten evtl. vermindert werden könnten. Eine Unterstützung dieser Art könnte auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe darstellen.

Ein anderer Beschäftigter merkt an: "(D)a hab` ich mit der Sozialpädagogin geredet, dass wir zum Beispiel mal das machen, was ich früher gern gemacht hab` (...) Handball spielen" (R., T2, Z. 43). Diese Aussage belegt, dass dieser Bedarf von den Mitarbeitern der HMS aufgenommen und versucht wird, unterstützend darauf Einfluss zu nehmen.

Anhand der Erläuterung der idiosynkratischen Momente wird die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse durch eine ganzheitliche Perspektive abgeschlossen. Im Anschluss sollen die aufgezeigten Ergebnisse des sechsten Kapitels in einer zusammenfassenden Betrachtung gebündelt offeriert und für die Praxis übertragbar gemacht werden.

7. Zusammenfassende Betrachtungen im Hinblick auf die Konsequenzen für die Praxis

Die Ausführungen zum theoretischen Hintergrund sowie die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse verdeutlichen, dass ein Großteil der Menschen, die eine erworbene Hirnschädigung erlitten haben, auch nach der Phase der intensiven medizinischen Rehabilitation auf umfassende oder punktuelle Unterstützung in unterschiedlichsten Bereichen angewiesen ist. Diese stellt für sie eine Hilfe dar, um ihr neues Leben zu bewältigen. Da die Störung direkt an der sog. Steuerzentrale des menschlichen Organismus, dem Gehirn, ansetzt, welches durch eine komplexe Funktionsweise den gesamten Ablauf regelt und aufrechterhält, zeigen sich resultierende Beeinträchtigungen in einer enormen Variationsbreite an Symptomen, die sich auf weite Teile des Alltags auswirken und zu einem drastischen Wandel in der individuellen Lebensplanung führen.

Gerade weil die Veränderungen so breit gefächert und allumfassend erscheinen, sollten Angebote stets im Sinne des Empowerment-Konzepts sowie nach der Forderung der ICF auf den individuellen Bedarf angepasst sein und sich auf eine ganzheitliche bio-psycho-soziale Sichtweise beziehen.

Anhand der Forschungsfrage wurde versucht, adäquate Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die momentan nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, zu ermitteln. Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden die erarbeiteten Ergebnisse des Forschungsprozesses noch einmal aufzeigen sowie die Konsequenzen für die Praxis darstellen.

Grundsätzlich sollten Beschränkungen der Möglichkeit zur Teilhabe, die meist erst offensichtlich werden, wenn eine Beeinträchtigung eintritt, nicht von der Gesellschaft verstärkt, sondern vermindert bzw. ihnen entgegengewirkt werden, damit isolierende Bedingungen aufgehoben und Lebensqualität gesichert wird. Für den Sektor der Arbeit regeln zwar gesetzliche Vorgaben die Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung. In der Praxis fehlen jedoch augenscheinlich Maßnahmen, die sich auf den speziellen Bedarf von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung ausrichten. Die Aufnahme einer Tätigkeit in einer WfbM wird von den Personen, mit denen ich gesprochen habe, größtenteils abgelehnt. Zu unterschiedlich sind auch die Sozialisationserfahrungen und die Art der Beeinträchtigungen sowie die Ebenen der Verarbeitungs-, Bewältigungs-sowie die Akzeptanz- und Identifikationsprozesse. Ebenso bestehen verschiedene Einwände gegen eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt unter den bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Unter den existenten Gegebenheiten erachte ich daher die Umgestaltung der WfbM unter subjektzentrierten und dezentralisierenden Gesichtspunkten sowie die Ergänzung der bestehenden Strukturen durch individuelle Projekte, wie sie im Kapitel 4.3 beschrieben sind, als Erfolg versprechend. Aus den Aussagen der Forschungsteilnehmer ist zu schließen, dass das Forschungsfeld, die Helene-Maier-Stiftung, für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung adäquate Arbeitsbedingungen bietet und damit als ein Vorzeigebeispiel der bedarfsgerechten Hilfe unter normalen und menschenwürdigen Voraussetzungen zu betrachten ist.

Vorerst möchte ich Rahmenbedingungen skizzieren, die sich sowohl auf die Lebensqualität, als auch auf die Arbeitsfähigkeit von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung auswirken. Aufgrund der speziellen Situation des besprochenen Personenkreises sollte das pädagogische Handeln durch ein grundsätzliches Verständnis geprägt sein, das die individuellen Notlagen, die häufig mit Verlusterfahrungen sowie mit dem Zerplatzen von privaten und beruflichen Träumen einhergehen, anerkennt und respektiert.

Da die mannigfaltigen Beeinträchtigungen und neuropsychologischen Folgeerscheinungen trotz eines theoretischen Fachwissens nicht wie z. B. nach einer Operation der Hüfte im Vorfeld abzustecken sind, bedarf es vor der Aufnahme eines festen Arbeitsplatzes einer verstehenden Diagnostik und einer Belastungserprobung, die die Voraussetzungen des Einzelnen einschließlich seiner Ressourcen, Interessen und Bedürfnisse aufspüren. Beobachtungen ergaben, dass individuelle Fähigkeiten oder Schwierigkeiten meist hauptsächlich in der konkreten Situation festgestellt werden konnten. Da der Organismus durch die Fähigkeit des Gehirns zur Plastizität lebenslang lernfähig ist und sich entwickelt, sollte der Prozess der Anpassungen der Bedingungen an den individuellen Bedarf durch eine kontinuierliche Begleitung während der Arbeit fortgeführt werden. Nur auf diese Weise können Veränderungen festgestellt, und es kann adäquat darauf reagiert werden. Verhaltensauffälligkeiten sind dabei als wichtiger Hinweis auf ein Missverhältnis zwischen den bestehenden Bedingungen und dem individuellen Bedarf zu verstehen.

Psychologische Unterstützung

Gerade bei Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung erscheint eine psychologische Unterstützung von großer Bedeutung. Teilweise resultieren psychische Veränderungen direkt aus der Hirnschädigung, teilweise führt die Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem neuen Leben zu einem enormen Leidensdruck. In beiden Fällen benötigen die Betroffenen eine professionelle Hilfe, die zur Sicherung der psychischen Stabilität beiträgt und sie auf der Suche nach der neuen Identität sowie bei der Überarbeitung der Definition des eigenen Selbstbildes begleitet. Dieser Weg kann zudem durch eine getrübte oder verzerrte Selbst-und Störungswahrnehmung blockiert sein und auf diese Weise die soziale und berufliche (Wieder-)Eingliederung negativ beeinflussen. Die Vermittlung eines wirklichkeitsgetreuen Bildes verlangt auf der einen Seite eine klare Rückmeldung des Ist-Standes einschließlich der vorhandenen Einschränkungen, auf der anderen Seite sollten diese Bemühungen bei der betreffenden Person nicht zu einer Abwertung führen. Daher sollten stets verblieben Fähigkeiten und Möglichkeiten im Vordergrund stehen.

Zudem stellen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung der Umgang mit unsichtbaren Behinderungen sowie die ungeklärte Einordnung ihrer Person in die gesellschaftlichen Kategorien ‚gesund' oder ‚behindert' eine zusätzliche Verunsicherung und Belastung dar, bei deren Bewältigung sie häufig auf professionelle Unterstützung angewiesen sind.

Autonomie und Selbstbestimmung

Es besteht die grundsätzliche Annahme, dass der Betroffene der Experte ist, der sich selbst bzw. seine Bedürfnisse am besten kennt und somit als kompetente Auskunftsperson gilt. Daher wird bezüglich der Anpassung der Arbeitszeit, des Arbeitsplatzes bzw. der Hilfsmittel auf seine Mitsprache Wert gelegt. Autonomie und Selbstbestimmung kann z. B. durch das Eröffnen von Wahlmöglichkeiten, durch die Beteiligung an Entscheidungen, durch das Einräumen von Chancen, um sich selbst einzubringen sowie durch das Zugestehen von Freiheiten und Selbstständigkeit im Arbeitsablauf verwirklicht werden.

Zentrierung auf Stärken und Kompetenzen

Es werden sowohl Interessen, als auch Vorkenntnisse und Erfahrungen der Beschäftigten in den Arbeitsprozess einbezogen. Außerdem wird darauf Wert gelegt, Tätigkeiten zu finden, bei denen der Teilnehmer seine Stärken und Ressourcen einsetzen kann. Freude an der Arbeit wirkt sich nachhaltig auf die Motivation und die Zufriedenheit aus und nimmt einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität. Aufgaben, die dem Interesse entsprechen, werden besser verinnerlicht. Kenntnisse und Fertigkeiten, die momentan im Verborgenen liegen, können auf diese Weise reaktiviert werden.

Anpassung der Bedingungen an die individuellen Fähigkeiten

Um eine Unter- oder Überforderung im Arbeitsprozess zu vermeiden, sollte das Aufgabenspektrum stets an den Leistungsstand des Einzelnen angepasst werden und sich, ohne die Leistungsgrenzen zu überschreiten, an der nächst höheren Entwicklungsstufe orientieren. Dadurch wird es dem Beschäftigten möglich im Rahmen seiner Fähigkeiten tätig zu sein und seine Ressourcen zu nutzen. Anforderungen innerhalb der Leistungsgrenzen stellen die Voraussetzung für ein Lernen am Erfolg dar. Zum Beispiel sollten Personen mit einer Spastizität der Hände nicht mit Aufgaben konfrontiert werden, die einen hohen Grad feinmotorischen Geschicks verlangen. Gleichgewichtsprobleme erschweren ein Arbeiten auf Leitern oder machen es unmöglich. Ebenso sollten Menschen mit Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit nicht mit hochkomplexen Sachverhalten betraut werden. Das Maß der Begleitung und Unterstützung sollte sich nach dem individuellen Bedarf richten, um eine größtmögliche Selbstständigkeit, aber auch die notwendige Hilfe und vor allem einen Schutz vor Verletzungen zu gewähren.

An dieser Stelle soll nochmals auf die konkreten Arbeitsbedingungen eingegangen werden, die Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bei der Bewältigung des Arbeitsalltags unterstützen. Ich möchte betonen, dass diese Darstellungen als Anregungen bzw. Möglichkeiten für die Gestaltung der Praxis zu verstehen sind. Keinesfalls sollten sie im Sinne von Patentrezepten oder allgemeingültigen Regeln verwendet werden, die sich gleichermaßen auf jede beliebige Person richten, die eine Hirnschädigung erlitten hat. Eine Anpassung an den individuellen Bedarf bleibt dabei stets unerlässlich.

Örtliche Gegebenheiten

Es sollte grundsätzlich an allen öffentlichen Orten einschließlich der Arbeitsplätze Barrierefreiheit bestehen, um sie für jeden Menschen frei zugänglich zu machen. Die Gestaltung des Milieus sollte nicht vernachlässigt werden, da es sich nachhaltig auf Lernprozesse auswirkt und den Prozess der Eingliederung beeinflussen kann. Im Fall von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung sind teilweise Einzel- bzw. Nischenarbeitsplätze empfehlenswert, um Ablenkungen sowie störende Umgebungsgeräusche zu minimieren. Zudem erweist sich z. T. ein fest installierter Arbeitsplatz als angebracht. Dadurch wird eine Struktur geschaffen, die es dem Beschäftigen ermöglicht sich besser zu orientieren. Dies kann durch Hinweisschilder oder Markierungen noch verstärkt werden. Ein Ruheraum kann sich in Überlastungssituationen als dienlich erweisen. Weiterhin sollte die Arbeitsstelle mit öffentlichen behindertengerechten Verkehrsmitteln erreichbar sein. Als Alternative dazu könnten Transportangebote zur Verfügung gestellt werden.

Zeitliche Faktoren

Arbeitszeitmodelle bzw. eine flexible Zeiteinteilung sind hilfreich, um einer verminderten Belastbarkeit entgegenzukommen, eine erhöhte Zeittoleranz zu gewähren und menschliche sowie kontextbezogene Aspekte wie eine vermehrte Anstrengung zur Bewältigung des Alltags zu berücksichtigen. In der Praxis kann dies z. B. durch eine Angleichung der allgemeinen Arbeitszeit oder durch eine Pauseneinteilung nach persönlichem Ermessen umgesetzt werden. Zeitdruck sollte vermieden werden, da dadurch bestimmte Symptomatiken verstärkt werden, die die Qualität der Ergebnisse negativ beeinflussen und den Lernerfolg schmälern können.

Profil der Aufgaben und Tätigkeiten

Motivationale Anreize und Lernen stehen in einer engen Verbindung zu dem Empfinden von Sinnhaftigkeit bzw. dem Verleihen von Bedeutsamkeit. Die Voraussetzung dafür bilden eine Umgebung, die sich an normalen Arbeitsbedingungen orientiert und Aufträge, die einen realen Zweck verfolgen. Für die Betroffenen sind sinnvolle bzw. sinnstiftende Tätigkeiten dadurch gekennzeichnet, dass sie den gesamten Prozess der Fertigung des Produktes von Anfang bis Ende durch ihr aktives Handeln gestalten und nicht nur einzelne Teilschritte ausführen. Ein Ergebnis, das aus der eigenen Herstellung hervorgeht, wirkt sich wiederum positiv auf das Selbstwertgefühl aus. Wünsche nach einem vielseitigen Einsatz wider die Monotonie oder nach stets gleichen Abläufen variieren von Person zu Person.

Flexibilität

Auf Schwankungen in der Leistungsfähigkeit kann nur durch eine flexible Anpassung der Arbeitsinhalte und des Pensums adäquat reagiert werden. Die Voraussetzung dazu bildet eine Begleitung bzw. Präsenz des professionellen Helfers in der direkten Arbeitssituation. Zum Beispiel können bei einer verminderten konzentrativen Dauerbelastbarkeit zeitlich begrenzte Aufgaben gewählt werden, die nach den einzelnen Segmenten einen Wechsel des Anforderungsprofils zulassen.

Struktur und Routine

Fest installierte Strukturen und regelmäßig wiederkehrende Routine vermitteln Sicherheit und kompensieren Gedächtnisschwierigkeiten. Dazu zählen z. B. gleiche Abläufe oder eine Vorbereitung auf die Aufgaben des nächsten Tages, die anhand von Plänen visualisiert werden kann und somit einen verbindlichen sowie beständigen Charakter erhält. Wiederholungen steigern zudem den Lerneffekt.

Simplifizierung

Häufig fällt es schwer Aufgaben mit einer komplexen Struktur zu lösen. Eine Aufgliederung in mehrere Teilschritte vereinfacht diesen Vorgang. Zudem können einschrittige Arbeitsgänge besser gemerkt werden.

Kompensationsmöglichkeiten

Es wurden bereits zahlreiche Medien genannt, die den Beschäftigten behilflich dabei sind, verloren gegangene oder eingeschränkte Fähigkeiten auszugleichen bzw. zu ersetzen. Speziell für den Bereich der Merkfähigkeit bieten sich z. B. Merkhefte an, in die Aufgaben und Termine notiert werden können. Damit sich diese Hilfe bewährt, ist eine kontinuierliche Nutzung erforderlich. Des Weiteren können Pläne, schriftliche Arbeitsanweisungen in einer schrittweisen Darstellung sowie der Terminkalender inklusive der Erinnerungsfunktion des Handys genutzt werden. Zum Überwinden von Sprachbarrieren können Computer und Handy zum Einsatz kommen. Aufgabe der pädagogischen Begleitung ist es hierbei, den Bedarf zu entdecken, das Medium individuell anzupassen und den Umgang damit zu trainieren.

All diese Maßnahmen sind in erster Linie darauf ausgerichtet eine größtmögliche Selbstständigkeit der Beschäftigten zu erzielen. Diese wiederum wirkt sich positiv auf das Selbstwertgefühl aus und stärkt die Psyche.

Wohlfühlfaktor

Eine große Bedeutung wird dem Gefühl des ‚Aufgehoben-Seins' und der "sozialen Eingebundenheit" (Deci & Ryan 1993, S. 6) beigemessen. Den preferierten Rahmen dazu bildet laut Seyfried (1990) eine kleine Einrichtung mit einer überschaubaren Atmosphäre, die einen steten Austausch ermöglicht (vgl. ebd., S. 56). Zudem wird zwischen dem Beschäftigten und dem Pädagogen von beiden Seiten eine verlässliche, vertrauensvolle sowie partnerschaftliche Beziehung angestrebt, auf deren Basis sich eine Entwicklung erst vollziehen kann. Werte wie gegenseitiger Respekt, Akzeptanz auch gegenüber den Grenzen, Gleichberechtigung und Toleranz sowie eine harmonische Kollegialität und eine offene soziale Kommunikation werden hervorgehoben sowie geschätzt und beeinflussen den Erfolg der Beschäftigung. Ebenso wirkt sich der Peer Support, im Sinne eines Austauschs mit Personen mit ähnlichen Problemen sowie das dadurch erfahrene gegenseitige Verständnis, als unterstützend aus.

Einbeziehung der Kontextfaktoren

Laut Bronfenbrenner (1989) befindet sich jeder Mensch in einem wechselseitigen Austausch zu seiner Umwelt, durch den sich die verschiedenen Systeme gegenseitig beeinflussen. Auf dieser Annahme fußt, dass auch die Kontextfaktoren einen indirekten Einfluss auf die Arbeitssituation der jeweiligen Person nehmen. Da das Umfeld eine durchaus förderliche Wirkung auf die Entwicklung des Einzelnen ausübt, diese jedoch auch hemmen kann, sollte es bewusst und aktiv in den Prozess einbezogen werden und eine Unterstützung durch den Pädagogen erfahren. Dies kann z. B. in Form von Beratung der Eltern, durch Angehörigengruppen, durch die Vermittlung von Selbsthilfegruppen, durch Klärung der adäquaten Wohnsituation, durch ein Fahrtraining mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. durch Anregung von Freizeitaktivitäten geschehen.

Interdisziplinarität

Die aufgeführten Bedürfnisse von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung an Arbeitsbedingungen geben einen Überblick über die Breite des Tätigkeitsspektrums der pädagogischen Mitarbeiter. Dabei bleiben die Regelungen von behördlichen und finanziellen Belangen noch ausgespart. Um einen reibungslosen Ablauf im Arbeitsprozess zu gewähren, der der einzelnen Person in seiner bio-psycho-sozialen Ganzheit entspricht, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Instanzen unabdinglich. Durch eine gegenseitige Kooperation gelingt es, das Handeln auf den verschiedenen Ebenen transparent werden zu lassen und gemeinsame Ziele zu verwirklichen.

Die Zusammenfassung der Ergebnisse gibt Hinweise auf die Gestaltung von adäquaten Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die momentan nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden können. Damit gilt die Forschungsfrage als beantwortet. Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da die Daten von einer begrenzten Teilnehmerzahl erhoben wurden. Sie sind als Anregungen für die Gestaltung von Bedingungen in ähnlichen Praxisfeldern zu verstehen und bedürfen bei einer eventuellen Übernahme einer Anpassung an den jeweiligen Kontext.

Die gewählten Theorien zeigten sich bei der Erschließung der Fragestellung als belastbar und hilfreich. Sowohl ein Wissen über die komplexe Funktionalität des Gehirns, die das Lernen ermöglicht, als auch die Kenntnisse über systemökologische Ansätze und die Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt, haben zu einem tiefgründigen Verständnis der Thematik beigetragen. Die Gedanken der Normalisierung, des Empowerments und der Integration bzw. Inklusion erweiterten diese Auffassungen mit ethischen Aspekten. Auf diese Weise wurde bereits durch die Abfassung des theoretischen Hintergrunds ein umfassendes Bild gezeichnet.

Konkrete Hinweise für die Gestaltung von Arbeitsbedingungen konnte ich im Rahmen der Helene-Maier-Stiftung beziehen, die sich nicht zuletzt wegen der kooperativen Beziehungen zu Beschäftigten und Mitarbeitern als höchst geeignet erwies.

Fragen, die sich aus der Forschung ergeben haben und bis jetzt noch nicht diskutiert wurden, sollen im folgenden Kapitel vorgestellt werden.

8. Konsequenzen für die empirische Forschung

Die Auseinandersetzung mit der Thematik der erworbenen Hirnschädigungen ließ deutlich werden, dass dieser Bereich beispielsweise im Vergleich zu geistigen Behinderungen bisher relativ wenig erforscht ist. Dies kann, um der Aussage von Wilke (2008) zu folgen, dadurch bedingt sein, dass die Entwicklung dieses Zweigs auf eine vergleichsweise kurze Entstehungsgeschichte zurückblickt. Wie der Forschungsstand belegt, ist bis zum heutigen Zeitpunkt ein reichhaltiges Angebot an Literatur über die funktionellen Ausfälle, die Variationen der Beeinträchtigungen sowie über die medizinische Rehabilitation bzw. die verschiedenen Therapieformen vorhanden (siehe Kap. 1.3). Als begrenzt zeigt sich jedoch der Sektor, der sich mit der speziellen Situation der Betroffenen, als Menschen mit individuellen Bedürfnissen und Schwierigkeiten, auseinandersetzt. Da u. a. im Bereich der Heilpädagogik die Bedarfsorientierung im Mittelpunkt steht, sollten weitere Forschungen die Erfahrungen der Betroffenen als Ausgangspunkt nehmen, um Lösungen ausfindig zu machen, die behilflich sind Barrieren zu überwinden und auch ein Leben mit Einschränkungen als qualitativ und lebenswert zu empfinden. Der Zweck derartig inhaltlich geprägter Ausarbeitungen ist es zudem, Transparenz und Aufklärung gegenüber der Gesellschaft zu schaffen, für individuelle Notlagen zu sensibilisieren sowie Anstöße für Initiativen zu geben.

Um einen profunden Einblick in die Lebenswelt der betreffenden Personen zu erhalten, erwies sich die Kombination der Erhebungsmethoden der Freien teilnehmenden Beobachtung mit dem Ero-epischen Gesprächs als durchaus brauchbar, unterstützend und gewinnbringend. Obwohl beide Methoden einen hohen Zeitfaktor in Anspruch nehmen und eine Menge Geduld erfordern, stellen sie meiner Meinung nach eine optimale Möglichkeit dar, um die Menschen in ihrem Kontext wirklichkeitsgetreu wahrzunehmen und umfassend zu verstehen. Die Triangulation durch Informationen aus Akten und Expertengespräch wirkte bereichernd. Ebenso zeigte sich die Auswertungsmethode des Zirkulären Dekonstruierens als geeignet, um das Material mehrerer Datenquellen zu vereinen und gemeinsam zu analysieren. Das Gesamtpaket der Methodenwahl erscheint daher als empfehlenswert für weitere qualitative empirische Forschungen.

Das Pensum, das im Rahmen einer Diplomarbeit zu bewältigen ist, bleibt jedoch limitiert und somit weisen auch die vorliegenden Darstellungen dieser Untersuchung Grenzen auf, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. Eine höhere Generalisierbarkeit der Ergebnisse könnte beispielsweise erreicht werden, wenn die Erfahrungen weiterer Betroffener zur Klärung der Fragestellung herangezogen werden würde. Um ein möglichst breites Spektrum zu erfassen und neue Perspektiven zu öffnen, wäre es meines Erachtens hilfreich auch Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung zu involvieren, die momentan in einer WfbM tätig oder erwerbslos sind. Ein anschließender Vergleich der Datenlage würde zu einer größeren Gültigkeit bzw. zu einer höheren Generalisierbarkeit führen.

Des Weiteren wäre eine Gegenüberstellung von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung mit Personen, die bereits seit ihrer Geburt mit einer Behinderung leben, unter dem Fokus der beiderseitigen Vorstellungen über das zukünftige Leben sicherlich spannend. Durch die Exploration von Teilnehmern einer Altersgruppe könnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich ihrer Ansichten über ihre eigene Person sowie über die Bereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit beleuchtet werden. Zudem könnten die Ergebnisse die Frage klären, inwiefern sich unterschiedliche Sozialisationserfahrungen auf das weitere Leben auswirken.

Obwohl die Personen, die in meine Recherche einbezogen waren, zum Großteil den Wunsch nach einer täglichen sinnvollen Beschäftigung äußerten und die Bedeutsamkeit von Arbeit auch in den theoretischen Bezügen dargestellt wird, ist dadurch nicht der tatsächliche Bedarf von erforderlichen Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung geklärt. Um diesen Sachverhalt zu erörtern, benötigt es meines Erachtens einer quantitativen Erhebung, die sich z. B. auf einzelne Bundesländer beziehen könnte. Die Skizzierung der realen Ausgangslage ist wiederum als Bezugspunkt für die Initiierung neuer Projekte und wohnortnaher Tätigkeitsfelder mit angepassten Bedingungen anzusehen. Dadurch könnte eine Antwort auf die Frage eines Beschäftigten gefunden werden, der sich auf die HMS bezieht und anmerkt "wo gibt `s halt wo anders noch so was?" (R., T3, Z. 260).

Mit der Wahl des Forschungsfeldes wurden bereits vorab gewisse Kriterien aus der Erhebung ausgeschlossen. Laut den Zugangsvoraussetzungen der Stiftung sollte eine Grundbelastbarkeit von zwei Stunden arbeitstäglich bestehen. Obwohl mit der Umsetzung dieser Forderung flexibel umgegangen wird, gibt es Menschen, die infolge einer Hirnschädigung nicht dem Rahmen einer Anstellung dieser Art entsprechen. Auch für diesen Personenkreis gilt es, adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten zu ermitteln. Als Beispiel in diesem Sinne wären künstlerisch bildende Tätigkeiten zu nennen.

Der Inhalt dieser Ausarbeitung ist auf Arbeitsbedingungen ausgerichtet. Daher bleibt der Bereich des Wohnens weitestgehend ausgespart. Wie in Kapitel 6.5.2 beschrieben, ist die Wohnsituation nicht nur im Leben von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung bedeutsam. Speziell für sie, wäre es meiner Meinung nach jedoch erforderlich entsprechende Wohnformen zu ermitteln, um eine größtmögliche Selbstständigkeit bei der alltäglichen häuslichen Lebensführung zu gewähren und zu erhalten.

Das persönliche Budget wird derzeit laut Storck (2008) nur sehr selten in Bezug auf den Bereich der Arbeit in Anspruch genommen (vgl. ebd., S. 276). Die Gründe dafür erschließen sich nicht ausreichend, vor allem da bereits Angebote bestehen, um mögliche Antragssteller zu unterstützen. Dazu zählen beispielsweise die Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (o. J.) über "Das trägerübergreifende persönliche Budget", die in leicht verständlicher Sprache veröffentlicht wurde oder die Budgetberatung des Projektes "Zukunft (mit)gestalten durch persönliches Geld". Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik unter Einbeziehung von Gesprächen mit der Bundesagentur für Arbeit, Mitarbeitern der o. g. Initiative oder anderen Fachkundigen würde Aufschluss geben und könnte nicht nur für die Betroffenen gewinnbringend sein.

Generell als überlegenswert erscheint mir in der Arbeit mit erwachsenen Menschen die Wahl der Begrifflichkeit ‚Pädagogik', da es sich hierbei laut der Definition um die Erziehung von Kindern handelt. In der Schweiz wird im Sinne der Erwachsenenbildung beispielsweise von ‚Agogik' gesprochen, was meines Erachtens dem Prinzip der Entwicklungsgemäßheit bzw. der altersgerechten Ansprache eher entspricht.

9. Schlussgedanken

Durch meine Auseinandersetzung mit der Thematik der Arbeitssituation von Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung wurde deutlicht, dass die Möglichkeit der Realisierung von pädagogischen Vorstellungen stets in Abhängigkeit zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und sozialpolitischen Regelungen bzw. wirtschaftlichen Prämissen zu betrachten ist. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die mit ständig steigendem Konkurrenzdruck einhergehen und wobei mit aller Macht versucht wird, Gewinne mittels Senkung der Produktionskosten zu erhöhen, bewegen sich in einem Gegensatz zu ethischen Prinzipien. Nach Schneider-Gurewitsch (1998) ist es ein Paradoxon unserer heutigen Zeit, dass man entweder Arbeit hat, in diesem Fall schuftet man bis zum Umfallen, oder man hat gar nichts (vgl. ebd., S. 2). Im Besonderen wirkt sich die Vernachlässigung der humanitären Grundsätze auf die Lebensqualität von sozialen Randgruppen negativ aus. Ist es in Anbetracht dieser Tatsache verwunderlich, wenn sich Personen, denen eine alternative Möglichkeit geboten wird, sich diesen krankmachenden Gegebenheiten zu entziehen, gegen eine Eingliederung entscheiden? Diese Intention richtet sich nicht grundlegend gegen den Inklusionsgedanken. Sie ist meines Erachtens lediglich als logische Konsequenz auf die Bedingungen der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen. Um in diesem Sinne auch Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit offenen Armen willkommen zu heißen, bedarf es neben einem umfassenden Umdenken, einer grundlegenden Neudefinition der Arbeit sowie der gesellschaftlichen Erwartungen, die daran gekoppelt sind. Eine Realisierung derartiger Vorstellungen erscheint mir jedoch momentan als illusorisch und ist zurzeit nicht absehbar. Auch für mich als angehende Heilpädagogin bedeutet dies, mich in Anlehnung an Wygotski (1977) auf dem aktuellen Niveau mit Orientierung an der "Zone der nächsten Entwicklung" (ebd., S. 237) zu bewegen und auf diese Weise einen Spagat zwischen dem Erstrebenswerten und dem Möglichen zu schlagen. Im Konkreten bedeutet dies, in Verantwortung für die Betroffenen zu handeln und Kompromisse zu finden, die den Bedürfnissen entgegenkommen sowie realisierbar sind. Es gilt, Wege zu bahnen, die einerseits eine aktive Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben gewähren und andererseits eine Entwicklung "unter Berücksichtigung der jeweils individuellen Lern-und Lebensbedingungen" (Runge-Soppe 1996, zitiert nach Sommer 1999, S. 36) ermöglicht. Das Ansinnen dieser Forschungsarbeit ist es, adäquate Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung zu skizzieren und damit einen Teil dieses Weges zu beschreiten.

Der Verlauf der Ausarbeitung führte mir nochmals eine Thematik vor Augen, die meines Erachtens den Rahmen des Studiums der Heilpädagogik bildet. Zu Beginn der Ausbildung vermisste ich, evtl. durch meinen therapeutischen Hintergrund, des Öfteren die Vermittlung von gewissen Verallgemeinerungen in Form von handfesten Techniken und speziellen Methoden. Im weiteren Verlauf lernte ich durch theoretische Grundlagen und vor allem durch praktische Erfahrungen wie wichtig es ist, eine tragfähige Beziehung zu seinem Gegenüber aufzubauen, den Menschen in seiner einzigartigen Ganzheit wahrzunehmen und daraus den individuellen Bedarf zu erschließen. Der Forschungsprozess bestätigte die Individualität und die damit verbundene Unvergleichbarkeit einer jeden Person. Die Auswertungsphase verdeutlichte jedoch auch, dass durch das Abstrahieren Gemeinsamkeiten erschlossen werden können, die im Konkret-Materialistischen vorerst verborgen blieben. Diese Kategorien stellen nun u. a. die Ergebnisse der Forschungsarbeit dar und geben eine Anregung zur Gestaltung adäquater Arbeitsbedingungen für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung. Unumstößlich bleibt, dass kein Handwerkszeug eine individuelle Anpassung ersetzen kann. Meiner Meinung nach kann es jedoch zu einer Bereicherung der Praxis beitragen und Anstöße für neue Denkansätze eröffnen. Es gilt daher nochmals zu appellieren, Menschen nicht zu verobjektivieren und an vorgefertigte Methoden anzupassen, sondern verschiedene Methoden im Hinterkopf zu behalten und diese durch evtl. Kombination an den Bedarf von Menschen anzupassen und für sie nutzbar zu machen. In diesem Sinne schließe ich mit den Worten von Paulo Freire (1973):

"Für den echt humanistischen Erzieher wie den echten Revolutionär ist die Wirklichkeit, die von ihnen mit anderen Menschen zusammen verwandelt werden muß (sic!), Gegenstand des Handelns, nicht aber der Mensch selbst" (ebd., S. 77).

Abkürzungen

Abb.

Abbildung

Abs.

Absatz

AT

Arbeitstrainer

Aufl.

Auflage

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

ders.

derselbe

d. h.

das heißt

d. Verf.

die Verfasserin

ebd.

ebenda

et al.

et alii

etc.

Et cetera

HMS

Helene-Maier-Stiftung

ICF

International Classification of Functioning, Disability and Health (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit)

Kap.

Kapitel

o. J.

ohne Jahr

PKW

Personenkraftwagen

SGB

Sozialgesetzbuch

SHT

Schädelhirntrauma

sog.

so genannt

Soz-Päd.

Sozialpädagoge

u. a.

unter anderem

usw.

und so weiter

vgl.

vergleich(e)!

WAT

Wiedereingliederung in Arbeit und Tätigkeit

WHO

World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)

WfB

Werkstatt für Behinderte

WfbM

Werkstatt für behinderte Menschen

z. B.

zum Beispiel

z. T.

zum Teil

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: "Lokalisationskarte nach Kleist" (Lurija 2001, S. 19)

Abbildung 2: Das Modell der "Ökologie der menschlichen Entwicklung" in Anlehnung an Urie Bronfenbrenner (© Göpfert, M.-K. 2009)

Abbildung 3: "Das bio-psycho-soziale Modell von Behinderung der ICF" (WHO 2001, zitiert nach Wacker, Wansing & Schäfers 2005, S. 10)

Abbildung 4: "Perspektiven der Normalisierung" (Thimm 1992, S. 211) 49

Anhang

Anmerkung von bidok: Der vollständige Anhang kann als pdf-Dokument (504 kb) unter folgendem Link heruntergeladen werden: http://bidok.uibk.ac.at/download/goepfert-werkstatt-dipl-anhang.pdf

Erklärung

Ich versichere, dass die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt wurde und ich mich keiner anderen als der von mir angegebenen Hilfsmittel und Literatur bedient habe.

Im Rahmen einer Prüfung wurde das Thema von mir noch nicht schriftlich bearbeitet.

Marie-Kristin Göpfert Ort, Datum

Quelle:

Marie-Kristin Göpfert: Gratwanderung zwischen Werkstatt und Erwerbslosigkeit. Adäquate Arbeitsplätze für Menschen mit erworbener Hirnschädigung

Diplomarbeit

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 01.12.2010

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