Kinderkrippe, Tagesmutter, Krabbelgruppe und Co.

Autor:in - Mona Meister
Themenbereiche: Vorschulischer Bereich
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-98 Gemeinsam leben (3/1998)
Copyright: © Luchterhand 1998

Kinderkrippe, Tagesmutter, Krabbelgruppe und Co.

Vor dreizehn Jahren war ich das erste Mal schwanger. Damals war klar, daß ich nach der Geburt weiterarbeiten wollte und mußte. Der Erziehungsurlaub war zu dieser Zeit nur 6 Monate lang, eine Betreuung für unser Kind war also auf alle Fälle notwendig - wenn uns auch damals noch nicht klar war, was "wg. Kinderbetreuung" noch alles auf uns zukommen sollte.

Unser favorisiertes Betreuungsmodell hieß damals "Tagesmutter"! Tagesmütter haben den Vorteil, daß die Betreuung sehr individuell in kleinen Gruppen erfolgt. Das Kind bekommt im Idealfall noch eine zweite Familie, die ihm ebenso Geborgenheit und Liebe wie die eigene Familie vermittelt. Die Betreuungszeiten können nach Bedarf abgesprochen werden. Wünsche bezüglich Ernährung, Spiel etc. können zwischen Eltern und Tageseltern ebenfalls vereinbart werden. Zuschüsse zu den Unterbringungskosten werden in allen Bundesländern in unterschiedlicher Höhe gewährt.

So weit - so gut! Die Praxis sah dann aber leider nicht so ideal aus. Bereits bei der Suche nach einer Tagesmutter - wir suchten mit einem befreundetem Paar zusammen eine Betreuung für unsere Söhne - erlebten wir herbe Enttäuschungen. Teilweise erschienen uns die Frauen als nicht ausreichend qualifiziert und waren nicht selten der Meinung: "Ich hab eigene Kinder, also weiß ich, wie's zu laufen hat"; oder die Wohnungen waren nicht geeignet um dort 2-3 Kinder zu betreuen (Laufstall für 3 Kleinstkinder in einem "übermöblierten" Wohnzimmer, kein Kinderzimmer etc.)!

Nach langem Suchen fanden wir dann endlich eine Frau, die in der Nähe wohnte, wo sowohl die Wohnung wie auch sie selbst einen netten Eindruck machte (andere Ansprüche hatten wir schon nicht mehr). Probleme ergaben sich dann aber trotzdem noch reichlich.

Tagesmütter arbeiten in eigener Regie, haben keine Krankheits- und Urlaubsvertretung etc. So passierte es im Winter einige Male, daß ich morgens telefonisch mitgeteilt bekam, daß Moritz nicht betreut werden kann. Ich habe ihn dann teilweise mit zur Arbeit genommen oder mußte mich meinerseits vom Dienst abmelden. Beides war nicht unproblematisch.

Inzwischen gibt es Modelle, wo genau diese Problematik verbessert wurde. Beispiel Berlin: "Tagesgroßpflegestellen" für 4-8 Kinder; zwei Betreuerinnen arbeiten zusammen, Urlaubs- und Krankheitsvertretung kann organisiert werden, es finden regelmäßige Elternabende statt. Bei diesem Modell sind die Tagesmütter zwar auch noch nicht Renten- und Arbeitslosenversichert, haben aber Anspruch auf 12 bezahlte Fehltage für Urlaub, Krankheit und Fortbildung (vgl. Gerszonowicz, E: Tagespflege- Notlösung oder Alternative? In: Mehr für Kinder Stuttgart 1990).

Tagesmütter werden aber auch häufig von Eltern benötigt, deren Kinder zwar einen Platz in einer Kindertagesstätte haben, die aber mit den Öffnungszeiten nicht auskommt (vgl.: DJI: Orte für Kinder - München 1993).

Unser Tagesmutterversuch endete nach 6 Monaten sehr abrupt. Frau S. teilte uns Mitte Januar mit, daß sie im Februar in ein anderes Bundesland ziehen würde. Wir mußten also für unseren inzwischen 15 Monate alten Sohn eine neue Betreuungsform finden.

Durch Vermittlung einer Bekannten aus dem Geburtsvorbereitungskurs bekamen wir dann über- raschend schnell einen Platz in einer privaten Kleinstkindergruppe - allerdings mit der Einschränkung, daß die Kinder mit 3 Jahren in eine Kindergartengruppe wechseln müßten, da in dieser Einrichtung keine Plätze frei wären. Wo wir für Moritz einen Betreuungsplatz ab seinem 3. Geburtstag finden würden, war nicht klar.

Abenteuer ,Krabbelgruppe"

Die Krabbelgruppe war Teil einer sehr kleinen Kindertagesstätte, deren Träger ein Elternverein war. Dort wurden 6 Kleinstkinder (0-3 Jahren) und 10 Elementarkinder (3-6 Jahren) von Erzieherinnen betreut. Die Gruppengröße entsprach jeweils einer halben Krippen- bzw. einer halben Elementargruppe der städtischen Kindertagesstätten. Das Amt für Jugend der "Freien und Hansestadt Hamburg" hatte diese Einrichtung anerkannt und bezahlte einen Pflegesatz, der mit dem Täger - sprich Elternverein - in Anlehnung an die städtischen Einrichtungen ausgehandelt wurde.

Als unser Sohn Moritz in die Gruppe kam, waren die 6 Kinder alle zwischen 12 und 18 Monaten alt. Er hat sich sehr schnell eingelebt und es gab für uns keine Schwierigkeiten mehr mit Krankheits-, Urlaubsvertretungen etc. Hier bekamen wir auch endlich mehr Kontakt zu den anderen Eltern, wurden in pädagogische Diskussionen mit Eltern und Erzieherinnen einbezogen.

Allerdings, war die Betreuung nicht mehr so "bequem". Es gab feste Betreuungszeiten, Ausnahmen waren nicht möglich. Die Eltern mußten für die Kinder selbst kochen (bei 16 Kindern ist man alle 16 Tage dran), und Großreinemachen war in größeren Abständen erforderlich. Elterndienste bei Personalengpässen wurden nach Bedarf organisiert. Um dies alles zu koordinieren, fanden 14-tägige Elternabende statt.

Andere Formen von Krabbelgruppen erfordern weniger Aufwand, sind jedoch nicht so leistungsfähig für die Eltern. Beispiele: wöchentliche Treffs in Gemeinde- oder Stadtteilzentren usw., oder Betreuung von kleinen Kindergruppen durch verschiedene Eltern reihum sind für die Kinder eine gute Möglichkeit sich regelmäßig zu treffen, dabei ist jedoch eine geregelte Vollzeitbeschäftigung der Eltern nicht möglich.

Mütterzentren, wie sie inzwischen in vielen Städten existieren, bieten ebenfalls flexible Betreuungsangebote für Eltern (vgl.: Graphik Nr. 7+8+9 DJI: Orte für Kinder. München 1993).

Bei meinen bisherigen Ausführungen vermissen Sie, liebe Leserin, bestimmt den Hinweis auf die Situation von behinderten (Kleinst-)Kindern. Bei Tagesmüttern fehlt dieser Hinweis ganz bewußt, weil es nach den Erfahrungen von Eltern mit behinderten Kindern sehr schwer ist, überhaupt jemanden zu finden, der sich die Betreuung zutraut und der gleichzeitig kompetent ist, ein Kind mit Schwierigkeiten zu fördern. Es gibt keine Vorbereitung oder Fortbildung für Tagesmütter die behinderte Kinder aufnehmen wollen. Entweder man/frau hat Glück und findet eine ehemalige Erzieherin, die im Behindertenbereich gearbeitet hat, oder man/frau hat kein Glück.

Bei Krabbelgruppen ist es inzwischen üblich, daß Eltern ihre Kinder zusammen spielen lassen. Dabei ist die Situation für Mütter/Eltern von behinderten Kindern aber grundsätzlich anders als die von "nicht- behinderten" Eltern. Die Unterschiede, die mir als Dipl. Pädagogin durch die Elternarbeit mit Eltern behinderter Kinder theoretisch klar waren, habe ich während und nach meiner zweiten Schwangerschaft 1987 hautnah erlebt. Meine Kollegin, die bei uns um die Ecke wohnte und mit der ich mich auch privat gut verstand, war gleichzeitig mit mir schwanger. Aufgrund der Betreuungserfahrungen mit Moritz haben wir uns damals schon in der Schwangerschaft um einen Krippenplatz in einer städtischen Kindertagesstätte beworben.

Wir wollten beide nach 10 Monaten (der Erziehungsurlaub war inzwischen länger) wieder arbeiten. Ihr Sohn erlitt aber während der Geburt einen massiven Sauerstoffmangel. Er lag eine Woche auf Leben und Tod in der Kinderklinik, danach hatte er zwar überlebt, aber das Ausmaß der Behinderung war noch nicht klar.

Meine Tochter ist einige Monate später ohne Probleme zur Welt gekommen.

A.s Alltag war durch J.s schweren Start ins Leben sehr anders als unserer mit zwei nichtbehinderten Kindern. Nicht nur die Arzt- und Therapietermine ergaben einen "unnatürlichen" Lebensrhythmus, der häufig nicht an den Bedürfnissen des Kindes orientiert sein konnte, sondern auch die Art, wie die Eltern von der Umgebung behandelt wurden, führte zu großen - vor allem seelischen - Belastungen.

Sollte "man" ihr nun kondolieren und mir gratulieren? Bei Einkäufen, im Café‚ auf dem Spielplatz - überall wurden wir unterschiedlich behandelt. Meine "niedliche Kleine ... eideidei" wurde bewundert, betätschelt und angestrahlt, A.s Sohn wurde begutachtet! Sie wurde gefragt ob er Hunger hätte weil er so "quengelig" sei und überhaupt - hätte man "DAS" denn nicht vorher feststellen können???

Manchmal hätte ich heulen können vor Scham, Wut und Hilflosigkeit, weil Fremde so gemein und taktlos mit uns und unseren Kindern umgingen. Die Frage nach der Betreuung unserer Kinder stellte sich nun völlig anders. Einrichtungen für behinderte Kleinstkinder gab es in Hamburg gar nicht. J. hätte einen Platz in einer regulären Kinderkrippe bekommen können - aber ohne jede Förderung oder fachlich kompetente Erzieherinnen. Als "integrative" Maßnahme wurde seiner Mutter damals ein Platz in einem Säuglingsheim (Vollheim) angeboten, wo J. von montags bis freitags mit nichtbehinderten Kindern zusammen gewesen wäre. Der Kontakt zu den Eltern hätte sich auf Wochenenden beschränkt. Fachlich kompetente Förderung wäre auch hier nicht möglich gewesen. "Geht es um die Versorgung, Betreuung, Beratung von behinderten Kindern in ihrer natürlichen Umgebung, also in ihrer Familie, so zeigen sich die Spuren der traditionellen Aussonderungshaltung an der geringen Ausprägung entsprechender familiennaher Angebote." (Herzog, G.: Behinderte Vorschulkinder in Bremen. München 1987).

In dieser Situation haben wir Eltern uns zusammen geschlossen, um genau das möglich zu machen. Wir wollten eine Kindertagestätte gründen, wo die Kinder eines Stadtteils gemeinsam aufwachsen können, ohne nach irgendwelchen Kriterien "sortiert" zu werden. Die Einrichtung sollte staatlich anerkannt sein, um vom Amt für Jugend finanziert zu werden. Die Eltern aus der Krabbelgruppe meines Sohnes mußten für ihre bald Dreijährigen eine Kindergartengruppe finden. Für meine kleine Tochter und A.s Sohn wollten wir eine gemeinsame Betreuung erreichen. Es war nicht einzusehen, daß sie nur wegen der "Behinderung" bzw. "Nichtbehinderung" getrennt werden sollten. Außerdem wollten wir vermeiden, daß Kinder ihre Gruppen und Einrichtungen wechseln müssen, nur weil sie ein bestimmtes Alter erreichen. Der Wechsel zur Schule erschien uns als Grenze akzeptabel - davor wollten wir eine stabile Betreuung für die Kinder. 1988 fanden wir in Hamburg damals gute Voraussetzungen vor, um genau diese Vorstellungen Realität werden zu lassen. Die Bürgerschaft (Hamburger Landesparlament) hatte damals beschlossen, im Kindergartenbereich flächendeckend Integrationsgruppen ein- zurichten. Für die Kinder ab 3 Jahren hatten wir deshalb keinerlei Schwierigkeiten. Daß wir auch eine Kleinstkindergruppe mit "gemischten" Kindern wollten, stieß auf Verständnis - aber auch auf Skepsis. Der fehlende Bedarf an Betreuungsangeboten auch für behinderte Kleinstkinder, sonst beliebte "Abwehrfloskel", konnte uns nicht vorgehalten werden, da wir unsere Kinder bei Gesprächen mit Politikern und Behördenmitarbeiterinnen dabei hatten. Daß unsere Kinder einen Bezug zueinander hatten, wurde offensichtlich, wenn wir die beiden - manchmal auch drei - auf eine Decke im jeweiligen Sitzungszimmer legten, und sie während unserer Verhandlungen miteinander "spielten", so wie Kinder das mit 6-10 Monaten eben machen.

Seit Oktober 1988 existiert das Kinderhaus Knickweg inzwischen. Dort wurden zu Beginn 15 Kinder im Kindergartenalter und 10 kleinere Kinder betreut. Pro Altersgruppe waren 2-3 behinderte Kinder dabei. Der Alltag wurde teilweise altersgemischt (von 0 - Schulalter) gestaltet. Dabei entschieden und entscheiden die Kinder auch heute noch selbst, welche Angebote der Erzieherinnen sie annehmen wollen. Turnen, therapeutisches Reiten und Rhythmik als feste "therapeutische" Bestandteile des Kinderhausalltags wurden in getrennten Gruppen angeboten.

Heute bietet das Kinderhaus 26 Kindern Platz in zwei altersgemischten Gruppen (0 - Schulalter). Es wird durchgängig offen gearbeitet. Getrennte Angebote gibt es nur beim Sport, der gruppenübergreifend für "Große" und "Kleine" getrennt stattfindet und bei den Mahlzeiten, die in den jeweiligen Gruppen eingenommen werden.

Eine Besonderheit bezüglich der Behinderungen ergab sich zu Beginn aus dem frühen Eintrittsalter unserer Kinder. Wenn ein Kind mit einem Jahr als behindert erkannt und "eingestuft" wurde, ist es in der Regel schwerbehindert. "Leichtere" Schwierigkeiten wie Sprachstörungen etc. sind in diesem Alter noch nicht diagnostizierbar. Die Zusammensetzung der "Elementargruppe" war dadurch auch anders als es in vielen "Integrationsgruppen" der Fall ist.

Von 1991 bis 1994 war das Kinderhaus Knickweg im Modell "Orte für Kinder" vom Deutschen Jugendinstitut als ein Modellstandort mit einer wissenschaftlichen Begleitung ausgestattet. Im Zuge des Modells ergab sich für uns die Möglichkeit, bis Ende 1994 die Erfahrungen systematisch zu dokumentieren und auszuwerten.

Einige Ergebnisse sind dabei deutlich geworden, die wir uns zu Anfang auch so erhofft hatten. Die Kinder, die von Anfang an dabei waren, haben ein sehr unverkrampftes Verhältnis zueinander. Auffallend ist auch, daß sie in ihren sozialen Kompetenzen überdurchschnittlich sind. Sie können "anders sein" in verschiedensten Formen nicht nur akzeptieren, sondern auch prima damit umgehen. Außer- dem können sie sehr flexibel mit Kindern, die kleiner oder größer sind, spielen und sich beschäftigen. Hier werden Kompetenzen, wie sie in früheren Großfamilien mit vielen Kinder eingeübt werden konnten, auch für Einzelkinder erlebbar. Für uns Eltern haben sich auch wichtige Aspekte ergeben, die am Anfang nicht so stark im Blickfeld standen. So haben die Eltern der behinderten Kinder die Möglichkeit, jeden Tag als "normale/r" Frau/Mann zu leben, ohne mitleidige Blicke, Kommentare etc. Der Abstand zu ihren Kindern ermöglicht ihnen eine andere Sicht auf ihr Kind. Berufstätigkeit war ebenfalls wieder möglich - und zwar schon früher, als es durch die üblichen Sonder- bzw. Integrationskinder- gärten möglich war. Das Wörtchen war habe ich ganz bewußt verwendet, weil auch das Kinderhaus seit 1996 nur noch behinderte Kinder ab drei Jahren aufnimmt.

Das hat zwei Gründe. Einerseits ist der Erziehungsurlaub inzwischen auf drei Jahre erhöht worden, Eltern behinderter Kinder sind aber immer noch - auch im Jahre 1998 - dem gesellschaftlichen Druck stärker ausgeliefert als es bei anderen Kindern der Fall ist. Seit dem verlängerten Erziehungsurlaub wurden unsere "kleinen" Kinder mit Behinderungen bei der Aufnahme immer älter - 1995 schon 2,5 Jahre. Die Behinderungen der Kinder sind ebenfalls anders als zu Beginn. Es dominieren zur Zeit "Wahrnehmungsstörungen" verschiedenster Genese. Der Bedarf an Integrationsplätzen für "Kleine" war also tatsächlich geringer geworden. Wir haben aber auch erlebt, daß die Eltern von körperbehinderten Zwillingen erst als diese knapp drei Jahre waren, von Frühfördereinrichtungen auf uns aufmerksam gemacht wurden, weil anscheinend jede/r davon ausgeht, daß man/frau ja für die Kinder Zuhause bleibt - der Erziehungsurlaub macht's möglich. Es entsteht ein enormer Legitimationsdruck wenn frau früher wieder arbeiten will. 1997, mit 10 Monaten Erziehungsurlaubsanspruch, hatten wir dieses Problem noch nicht. Entweder frau arbeitete wieder oder die Stelle war weg - und d er Gang zum Sozialamt war vorprogrammiert.

Der zweite Grund für die Änderung war der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Auch Hamburg hatte deshalb Interesse daran, möglichst viele Plätze im Elementarbereich anbieten zu können. Wir haben derzeit also 18 Plätze für Kinder ab drei Jahren, davon sind vier für behinderte Kinder und 8 Elementarkinder. Die jüngsten Kinder ohne Behinderung sind immer noch zwischen 10 bis 12 Monaten bei der Aufnahme, Kinder mit Behinderungen könnten zwar ebenfalls so jung aufgenommen werden, es gibt dann aber keine zusätzlichen Stunden für Therapie. Wir haben durch die Krippenplätze im Gegensatz zu anderen Trägern, noch keine Probleme mit nichtbesetzten Plätzen. Für jeden freien Platz können wir aus 3 Bewerbern auswählen.

Vielleicht wundern Sie sich, daß eine Mutter, deren Kinder ja bereits 1985 und 1987 geboren sind, immer noch vom Kinderhaus als aktives Elternteil berichtet.

Wir sind, nach einem Jahr Pause seit 1995 wieder dabei. Mia, unsere Dritte, fühlt sich dort genauso wohl wie unser Kleinster. Paul ist im August 1997 mit 10 Monaten ins Kinderhaus gekommen. Bei unseren beiden Kleinsten war es für mich in der Schwangerschaft sehr beruhigend zu wissen, wo sie betreut werden und daß es für die Einrichtung egal ist, ob unser Kind der Norm entspricht oder nicht.

Was für uns genau so wichtig ist wie in der Anfangszeit, ist der Kontakt der Eltern untereinander. Die Pionierphase ist vorbei, viele Abläufe sind inzwischen institutionalisiert (Finanzgruppe, Vorstandsaufgaben, Arbeitgeberrolle ...); vieles ist aber nach wie vor immer wieder Thema (Integration, Wahrnehmung und Wahrnehmungsstörungen ...). Es ist für mich aber immer wieder spannend, daß die neuen Eltern, die sich noch nie mit dem Thema Behinderung auseinandergesetzt haben, in der ersten Zeit große Schwierigkeiten haben, die "Integrationskinder", die ja "nur" Wahrnehmungsstörungen haben, einzuschätzen. Sie haben oft Probleme, das ruppige Umgehen dieser Kinder richtig einzuordnen und die Kinder nicht als "ungezogen" abzustempeln. Diese Schwierigkeiten haben aber nur die Eltern. Für die Kinder ist Integration nach wie vor kein Thema - für sie ist es Normalität!

Die Erzieherinnen haben also während der Eingewöhnungsphase immer eine sehr intensive Aufklärungsarbeit zu leisten. Auf unseren Elternabenden kommt das Thema aber immer wieder durch - allerdings häufig von den Eltern der behinderten Kinder die sich auch im Kinderhaus manchmal stigmatisiert und nicht verstanden fühlen. Kinder, die offensichtlich behindert sind, werden von den anderen Eltern noch immer toleranter behandelt als die "versteckt" behinderten Kinder. Diese Unsicherheit im Umgang miteinander hört häufig erst nach unserer obligatorischen Reise im Herbst in ein nahe bei Hamburg gelegenes Tagungshaus auf, wo wir ein erholsames, zwangloses Eltern-Kind-Wochenende miteinander verbringen. Diese Wochenendreise ist ein wichtiger gemeinschaftsbildender Teil unserer Kinderhaus-Kultur. Wir haben es sowieso leicht, dank der Überschaubarkeit - sprich Kleinheit - der Einrichtung guten Kontakt zueinander zu bekommen. Das ist gerade für Eltern behinderter Kinder in den üblichen Sondereinrichtungen nicht gegeben, da die Kinder meist mit Fahrdiensten transportiert werden, die Eltern sich untereinander also oft nur auf Elternabenden sehen. Im Kinderhaus Knickweg ist es kein Problem, in besonderen Fällen z. B. überraschend längere Dienstzeiten, Krankheit etc. die Kinder gut betreut zu wissen. Es ist üblich, daß die Kinder sich auch nach dem Kinderhaus noch verabreden und sich gegenseitig besuchen - mit und ohne Übernachtung. Die Kinder erleben dadurch eine große Sicherheit im Umgang miteinander und mit anderen Familien. Ablösungsprobleme von den Eltern werden sehr früh durch positve Erfahrungen abgebaut. Das gilt auch für die behinderten Kinder (ehrlicherweise muß man aber sagen, daß die behinderten Kinder weniger bei anderen übernachten). Es ist aber auch für sie kein Problem sich mit Freunden im eigenen Wohnumfeld zu verabreden.

Die Beziehungen unserer Kinder untereinander sind so stabil, daß sie sich auch als Schulkinder immer noch verabreden, Wochenenden zusammen verbringen und ihre wichtigsten Probleme miteinander besprechen. Uns ist es allerdings kaum gelungen, daß die Kinder in die gleichen Klasse eingeschult werden konnten.

Insgesamt gesehen hat sich die Energie, die von uns Eltern als Träger einer Einrichtung für die Gründung und den Verwaltungsalltag investiert wurde und wird, gelohnt.

Wie meine beiden Großen ihre Kinderhauszeit nach vier bzw. sechs Jahren sehen, haben sie mir "in die Maschine diktiert". Ich habe nichts verändert nur einige Erklärungen zu Namen oder Abläufen in Klammern dahintergeschrieben.

Ronja, 10 Jahre alt: Wie ich's im Kinderhaus fand

Ich kann mich an viele Sachen gut erinnern, z. B. ans Frühstück. Beim Frühstück war's immer lustig. Wir durften essen, wie wir wollten, und unser Brot zubereiten wie wir wollten. Nach dem Frühstück wurden wir mit dem Waschlappen abgewischt und mußten dann Zähne putzen. Manchmal haben wir es nicht gemacht und sind nur ins Badezimmer gegangen und haben mit dem Wasser und der Zahnpasta gespielt. Dann sind wir in den Spielraum gegangen und haben Höhlen und Türme aus großen Polstern gebaut. Manchmal haben wir auch mit den Polstern Auto gespielt und sind nach Amerika gefahren. Manchmal stand in einem Nebenraum noch der Ballpool. Dort sind wir immer rumgetaucht und haben uns mit Bällen beworfen. Ich fand's auch schön, daß es dort eine Hängematte geb. Da konnte man immer Anschwung machen und wir sind manchmal rausgefallen, auf die Matratze.

Dann gab es Mittagessen. Das Essen war immer lecker. Ich fand am leckersten die gekochten Mais- kolben. Mit Jens konnte man auch gut spielen, nicht ganz so gut wie mit anderen Kindern aber auch gut. Er hat mir gesagt, ob's ihm gefällt oder nicht - mit einem Lachen oder mit bösem Gucken. Nach dem Mittagessen gab es Nachtisch wie z. B. Erdbeeren mit leckerer Soße. Dann haben wir noch einen Abschlußkreis gemacht und Lieder gesungen. Manchmal hat eine Erzieherin die Begleitung ge- spielt. Es hat sehr viel Spaß gemacht.

Vormittags sind wir auch noch zu Torga (Lehrerin für Musik und Rhythmik) gegangen und haben dort in einer Turnhalle Musik und Musikspiele gemacht wie z. B. das Spiel mit der Flöte wo Torga die Flöte gefunden hat und darauf gespielt hat, haben sich alle Tiere - das waren wir - im Schaufenster bewegt. Manchmal hat sie Musikinstrumente mitgebracht, dann haben wir alle zusammen Musik gemacht. Bei Jens war immer zu Zivi dabei der hat ihm geholfen, aber Jens hat auch mitgemacht und hat auch getrommelt genau wie wir. Es hat ihm auch sehr viel Spaß gemacht.

Sport war sehr schön, weil wir auf Rollbrettern durch die Turnhalle gefahren sind, oder auf ein Kletter- gerüst aus Seilen hochgeklettert sind, und wenn wir uns getraut haben, sind wir runtergesprungen. Manchmal waren wir auch auf dem Spielplatz mit "Turn-Peter" und haben dort auf den Klettergerüsten und auf den Schaukeln gespielt. Einmal im Jahr gab es ein Schlaffest. Manchmal waren die Löwenzahngruppe und manchmal die Drachen dran. An dem wurden wir früher abgeholt und kamen dann nachmittags wieder ins Kinderhaus und haben dort unsere Betten aufgebaut. Es war immer sehr lustig. Manchmal konnten wir nicht einschlafen, aber die Erzieher haben uns eine "Pulle" (Flasche) oder den Schnulli gegeben und dann sind wir eingeschlafen. Am nächsten Morgen haben wir mit den Eltern im Kinderhaus gefrühstückt. Wir haben ihnen dann erzählt, wie die Nacht war.

Nachmittags haben wir uns oft verabredet und haben oft bei anderen Kindern geschlafen. Es war immer aufregend. Jetzt bin ich immer noch mit meinen Freundinnen aus dem Kinderhaus befreundet und wir verabreden uns noch oft. Einmal bin ich mit meiner Freundin nach Bayern gefahren und dort sind wir Ski gelaufen (im ersten Schuljahr). In meiner Klasse hab ich noch nie so eine ganz ganz feste Freundin gefunden. Erst jetzt in der vierten Klasse hab ich eine. Das war's was ich übers Kinderhaus sagen wollte.

Moritz, 12 Jahre alt: Eine Woche im Kinderhaus Knickweg

Gleich nachdem wir morgens angekommen waren, gab es Frühstück. Das war sehr lustig, weil man Wettessen machen durfte und andere lustige Sachen. Danach durften wir in den Spielraum gehen, wo wir im großen Klettergerüst mit Schaumstoffklötzen Höhlen bauten. In den Höhlen spielten wir bis es Mittagessen gab. Nach dem Mittagessen gab es immer noch einen leckeren Nachtisch. (Den bekam aber nur, wer versprochen hat, nachher Zähne zu putzen.) Im Waschraum machten wir öfter Gesichter aus Zahnpasta an Kacheln und Spiegel. Als sie fertig waren, mußten wir sie aber schon wieder wegwischen.

Dann war für die kleineren Mittagsschlaf und die Größeren durften, mußten aber nicht, weiterspielen. In der Zeit, in der die Kleinen schliefen, durften immer drei bis vier von den großen Kindern in den Abenteuerraum. Im Abenteuerraum hingen viele dicke Seile von der Decke herunter, an denen man Tarzan spielen konnte. Auf dem Boden lagen große Bälle und Matratzen. Die drei bis vier Kinder durften solange in dem Abenteuerraum spielen, bis sie gegen vier Uhr abgeholt wurden.

Einmal in der Woche hatten wir Reiten. Ich fand es immer sehr spannend, mit dem großen Rotkreuzbus gefahren zu werden. Auf dem Reiterhof Wallert gab es viele Pferde und Ponnies. Zwei davon hießen Monika und Piefke. Auf den beiden durften wir meistens reiten. Einmal durften wir aber auch auf Carlos reiten.

Dienstag ging es immer zum Goldbekhaus in die Sporthalle, wo wir auf Kletterstangen kletterten, und mit großen Medizinbällen spielten. Nach der Sportstunde ging's im Bollerwagen wieder zurück in's Kinderhaus. Auf dem Weg in den Knickweg gingen wir noch mal auf den Spielplatz am Schinkelplatz, wo ein Bäcker war, bei dem wir manchmal Vollkornbrötchen kriegten.

Literatur

Deutsches Jugendinstitut DJI: Projektgruppe "Orte für Kinder" München 1993.

Gerhardt, E.-P.: Integrative Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder im Regelkindergarten - rechtlicher Rahmen und Finanzierung. Europäische Hochschulschriften. Verlag P. Lang. Frankfurt/M, Bern, New York, Paris 1990.

Gerszonowicz, E.: Tagespflege - Notlösung oder Alternative? In: Mehr für Kinder (Hrsg. ÖTV). Stuttgart 1990.

Herzog, G.: Behinderte Vorschulkinder in Bremen. DJI-Verlag. München 1987.

Autorin

Mona Meister,

Mützendorpstreet 37,

22179 Hamburg

Quelle:

Mona Meiser: Kinderkrippe, Tagesmutter, Krabbelgruppe und Co.

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-98

Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 1998

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 18.08.2006

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