Integration auf Griechisch

Ein Projekt zur Integration von Kindern mit Behinderung in Kindergarten und Grundschule

Themenbereiche: Vorschulischer Bereich
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-98 Gemeinsam leben (3/1998)
Copyright: © Luchterhand 1998

Integration auf Griechisch

Der Begriff Integration im Bereich des Schulwesens wirkt oft irritierend. Pädagogische Theorien, humanistische Ideologien, Normalisierungsmethoden und -praktiken und eine Betrachtung des Schulwesens und der Behinderung unter sozialpolitischem und medizinisch-pathologischem Aspekt stehen im Kampf unterschiedlicher Interessengruppen gegenüber. Diese bemühen sich um die Erreichung unterschiedlicher Ziele, wobei sie selbstverständlich im Rahmen unterschiedlicher Machtverhältnisse kämpfen. All das wirkt so verwirrend, daß es schwer zu erkennen ist, wo die Rhetorik endet und wo die Realität auf institutionalisierter Ebene beginnt.

Integration gilt heute beispielsweise als eine Frage, die Kinder mit speziellen, vor allem pädagogischen, Bedürfnissen und/oder behinderte Kinder betrifft. In diesem Fall konzentrieren wir uns auf die psychopathologische Betrachtung des Kindes. So untersuchen wir Ursachen, Symptome und Therapien, wobei wir das Mißlingen als unmittelbare Auswirkung eines grundsätzlich vom Kind selbst ausgehenden Problems ansehen. Kann es jedoch nicht sein, daß wir durch die schwerpunktmäßige Betrachtung der Theorie des "defizitären Modells" und der Unfähigkeit des Kindes einer sehr wichtigen Frage zu wenig Bedeutung beimessen - und zwar der Unfähigkeit des Schulsystems, den Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden?

In anderen Fällen wird die Integration lediglich als billige Alternative zur Sondererziehung angesehen. Es ist sehr kostengünstig, alle Kinder zusammen zu unterrichten, ohne etwas für die Schaffung von Sonderschulen aufzuwenden. Dieser Einstellung liegt eine gewisse Logik zugrunde, da zur Zeit von der Notwendigkeit der Integration die Rede ist, ohne daß sich jedoch die Grundstrukturen des allgemeinen Erziehungssystems in der Praxis wesentlich geändert hätten.

Diese unklare Situation in der Integrationsfrage hat zur Herausbildung zweier Richtungen beigetragen: a) Die Vertreter der einen Richtung halten die Schaffung von mehr Sonderschulen und Sonderklassen für erforderlich - mit allen Konsequenzen eines negativ vorbelasteten Trennungs- und Isolationssystems. b) Die Vertreter der anderen Richtung sind der Ansicht, daß die Ausstattung der Schulen mit dem geeigneten Instrumentarium und die Einstellung spezialisierter Lehrkräfte notwendig seien. Die Geldmittelbeschaffung scheint auf internationaler Ebene das Hauptdilemma in der Integrationsfrage zu bilden. Hier scheinen die Gesetze der Ökonomie vor den pädagogischen Erfordernissen Vorrang zu haben und die pädagogische Praxis zu bestimmen. Somit wird die Frage aufgeworfen, ob man nicht aus der Sicht der Ökonomie und der ökonomischen Interessen anstatt aus der Sicht pädagogischer Praktiken über Integration diskutieren sollte.

Wir betrachten die Integration als kontinuierliches Bemühen um eine ständige Verbesserung der allgemeinen Schule. Das bedeutet, daß die Integration als Mittel zur Schaffung einer Schule eingesetzt werden kann und muß, die den unvermeidlicherweise unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder gerecht werden kann, ob diese nun als besondere oder kurzfristige Bedürfnisse, als Behinderungen oder sonstwie bezeichnet werden. Wie man glaubt, spielt die Lehrkraft in diesem kontinuierlichen Prozeß eine wichtige Rolle. Bei jeder konstruktiven Kritik an der Leistung der Lehrkräfte sind jedoch u. a. die Auffassungen, die didaktischen Maßnahmen und die Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen, in deren Rahmen die Lehrer und Lehrerinnen ihre Aufgabe erfüllen sollen.

In Griechenland gelten Planung und Qualität der frühzeitigen pädagogischen Intervention als eines der wesentlichen Merkmale der Integration von benachteiligten oder beeinträchtigten Kindern. Im einzelnen wurden zusätzlich zu den gesetzlichen Regelungen zur Integration von "Sonderkindern" in Griechenland jüngst Vorschriften über pädagogische Maßnahmen erlassen. Mit seiner Bildungspolitik zielt das Kultusministerium generell darauf ab, eine Schule für alle Kinder und alle Jugendlichen ins Leben zu rufen, die sowohl den individuellen Interessen als auch dem kollektiven Lernen gerecht werden kann, d. h. eine Schule ohne Trennung und Diskriminierung.

Für die theoretische Konzeption und die Realisierung von Programmen zur Integration von "Sonderkindern" in den allgemeinen Kindergarten und die Grundschule bieten sich viele Möglichkeiten. Welche Möglichkeit gewählt wird, hängt von der theoretischen und humanistischen Ausrichtung der Wissenschaftler ab. Ein weiterer Faktor, der zu dem, was möglich ist, wesentlich beiträgt, ist unserer Ansicht nach die jeweilige politische, soziale und wirtschaftliche Struktur des Staates. Wir sind der Auffassung, daß in einem Staat gelungene Integrations-Programme nicht unverändert von einem anderen Staat übernommen werden können. Selbstverständlich ist es wichtig, diese erfolgreich durchgeführten Programme aus anderen Ländern zu kennen - dies gilt insbesondere für die Probleme und die Auswertung bzw. Beurteilung der Programme -, damit eventuelle Fehler vermieden werden können. Eine der Möglichkeiten, die für den griechischen Raum ausgewählt wurden, ist die frühzeitige Integration der Kinder in die Gemeinschaft (Kinderkrippe, Kindergarten, Grundschule, Gymnasium), wozu die Gegend, in der das Kind lebt und aufwächst, seine Familie und seine Freunde gehören. Diese pädagogische Möglichkeit wird in einer vertrauteren Umgebung geboten, als es bei den vom Wohnort in der Regel weit entfernten Sonderschulen der Fall ist. Das schlägt sich insbesondere darin nieder, daß das Kind seine Freizeit mit Freunden in der Nachbarschaft verbringen kann, was seine Integration erleichtert.

Dieser Bericht beschreibt die Konzeption und Umsetzung eines Projekts für Kinder, die den Kindergarten und die Grundschule in ihrem Wohngebiet besuchen.

Schwerpunkte sind dabei:

  • das konkrete Integrationsmodell betreffende Faktoren,

  • für das Programm ergriffene Initiativen,

  • Hindernisse, mit denen wir während des Integrationsprozesses konfrontiert wurden,

  • Beurteilung der gegenwärtigen Situation und

  • Zukunftsperspektiven.

Projektbeschreibung

Das Integrationsprojekt betraf einerseits blinde und Sehschwierigkeiten aufweisende Kinder und andererseits Kinder mit mittlerer geistiger Behinderung - im Kindergarten und in der Grundschule. Es handelte sich um ein experimentelles Programm der Pädagogischen Abteilung für Frühpädagogik der Universität Athen. Der Zweck des Projekts war, ein Modellprogramm zu konzipieren, zu entwickeln, anzuwenden und auszuwerten - ein Modellprogramm zur frühzeitigen pädagogischen Förderung für Kinder im Kindergarten (im Alter von 4 bis 6 Jahren) und für Kinder in der Grundschule (im Alter von 6 bis 12 Jahren). Das Programm hatte folgende Grundziele:

  1. Verfahren zu entwickeln, die die Wahl der richtigen Programme für Kinder im Vorschul- und Schulalter erleichtern,

  2. die Personen weiterzubilden, die bei den Integrationsprogrammen in den Kindergärten und Grundschulen der Region beschäftigt werden sollten,

  3. Maßnahmen hinsichtlich der Integration von behinderten Kindern in Kindergärten und Grundschulen zu ergreifen,

  4. Integrationsprogramme, auszuwerten und zu beurteilen,

  5. eine Erziehungspolitik und Verfahren für die nationalen und lokalen Bildungsträger im Bereich der Integration zu entwickeln.

Zu a) Entwicklung von Verfahren zur Erleichterung der Wahl der richtigen Programme für Kinder im Vorschul- und Schulalter

Zur Erreichung dieses Zieles mußte ein "Instrumentarium" entworfen und eingesetzt werden: Es beinhaltete einerseits Interviews, Beobachtungen und allgemein die Beurteilung des Integrationsumfelds und andererseits spezielle Beurteilungsformulare, die von Eltern behinderter und nicht behinderter Kinder aus der Schul- wie auch aus der weiteren Gemeinschaft ausgefüllt werden sollten.

Zu b) Weiterbildung der Personen, die bei den Integrationsprogrammen in den Kindergärten und Grundschulen der Region beschäftigt werden sollten

Die Weiterbildung umfaßte die Konzipierung, Durchführung und Auswertung der Fortbildung für alle Mitglieder jeder am Programm mitwirkenden Gruppe. Diese Teams setzten sich aus Sonder- und allgemeinen PädagogInnen (KindergärtnerInnen und LehrerInnen), Familienangehörigen behinderter und nichtbehinderter Kinder und den übrigen, auf sonst eine Weise am Integrationsprogramm beteiligten Mitarbeitern zusammen. Ziel der Fortbildung im weiteren Sinne war die Verbesserung der individuellen Erziehung. Dadurch sollte den besonderen Erziehungs- und psychisch-sozialen Bedürfnissen von Kindern mit Behinderungen aber auch mit anderen Erziehungs- und psychischen Problemen substantiell auf optimale Weise Rechnung getragen werden.

Zu c) Ergreifen von Maßnahmen hinsichtlich der Integration von behinderten Kindern in Kindergärten und Grundschulen Die individuellen Integrationsprogramme wurden von ExpertInnen der Abteilung für Frühpädagogik und kommunale Bildung der Universität Athen konzipiert. Zu den ExpertInnen gehörten ein wissenschaftsübergreifendes Team aus allen Wissensgebieten sowie Personen mit jahrelanger Erfahrung im Bereich der Sonder- und Allgemeinpädagogik. So gelang es uns, individuelle Interventionsprogramme für alle Kindergärten- und Grundschulaktivitäten so zu planen und durchzuführen, daß alle Kinder in die offiziellen Erziehungsprogramme integriert werden konnten und Zugang dazu hatten. Wir legten das Schwergewicht auf die gegenseitige Beeinflussung der behinderten und nichtbehinderten Kinder wie auch von deren Familien. Ferner fand jeden Monat mit Unterstützung der lokalen Selbstverwaltung ein Forum für die Einwohner der betreffenden Region statt, bei dem es hauptsächlich darum ging, diese über das Recht auf Anderssein zu informieren und fortzubilden.

Zu d) Auswertung und Beurteilung der Integrationsprogramme Um die notwendige Auswertung zu ermöglichen, wurde in den Kindergärten und Grundschulen, in denen die Integrationsprogramme realisiert wurden, für ständige Beobachtung gesorgt. Die für diese Programme entworfene Auswertung beinhaltete Skalen zur Ermittlung des kognitiven, des sozialen, des Kommunikations- und des Wahrnehmungsniveaus etc. sowie des Grades der Beteiligung der Kinder am Geschehen in ihrem allgemeinen Umfeld. Es wurde ebenfalls ein spezielles Programm erstellt, das die Eltern zu Hause zur Beurteilung der generellen Entwicklung ihres Kindes im familiären Umfeld während der Integration anwandten. Für die Eltern selbst wandten wir ebenfalls eine Art Auswertungsprogramm an, dessen Gegenstände die ihren Kindern erteilte Hilfe, die bessere Nutzung der sozialen und Gemeinschaftsleistungen sowie ihr Verhältnis zu den anderen Eltern und Einwohnern der Gegend waren. Zum Abschluß wurden Daten über die Stellung des Kindes im Projekt und in seinem sozialen Umfeld während des Integrationsprozesses gesammelt und verarbeitet.

Zu e) Entwicklung einer Erziehungspolitik und von Verfahren für die nationalen und lokalen Bildungsträger im Bereich der Integration Bei diesen experimentellen, in Griechenland erstmals in organisierter Form durchgeführten Programmen wurde für eine Selbstevaluation gesorgt, wobei der Einschätzung einzelner Themen besondere Bedeutung beigemessen wurde. Ausgewertet wurde insbesondere die Erziehungspolitik auf nationaler und lokaler Ebene im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, aber auch den Prioritäten, die sich im Laufe der Integrationsprozesse für uns ergeben hatten. Die nationalen und lokalen Bildungsträger wurden vierteljährlich von der Projektentwicklung unterrichtet. Nach dem Abschluß der experimentellen Phase wurden dem Kultusministerium Vorschläge zur allgemeinen Erziehungspolitik im Integrationsbereich unterbreitet.

Durchführung des Programms

Das Programm zur Integration in die Gesellschaft und Gemeinschaft zielte konkret auf eine systematischere Planung und Auswertung der Erziehungsabläufe bei Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen und bei nichtbehinderten Kindern ab. Für die Pilotprojekte wurden zwei relativ kleine Stadtteile von Athen ausgewählt (je 30.000 Einwohner). Für diese Gegenden entschied man sich einerseits wegen des Zugangs zur lokalen Selbstverwaltung und der möglichen Inanspruchnahme medizinisch-pädagogischer und psychologischer Dienste und andererseits, weil sie so strukturiert waren, daß man die Einwohner leicht zu Fortbildungs- und Sensibilisierungs-Seminaren einladen konnte. Zur Projektrealisierung wurden spezialisierte PädagogInnen, die ein Aufbaustudium für Integration - mit geistiger Behinderung und Blindheit als Schwerpunktthemen - absolviert hatten, sowie ein Koordinator eingestellt.

TeilnehmerInnen des Projekts

Am Projekt nahmen im Kindergarten 20 nichtbehinderte Kinder und ein blindes Kind teil. Von den nichtbehinderten Kindern wiesen zwei Kinder Verhaltensstörungen und ein Kind psychische Probleme auf. In der Grundschule nahmen 21 nichtbehinderte Kinder, von denen vier Lernschwierigkeiten hatten, sowie 2 behinderte Kinder teil, eines geistig leicht behindert und eines mit Down-Syndrom

Ebenen der Integration

Zur besseren Projektdurchführung wurde es als notwendig erachtet, die Integration auf verschiedenen Ebenen vorzunehmen, und zwar:

  1. auf der Ebene behinderter und nicht behinderter Kinder, ihrer gegenseitigen Beeinflussung,

  2. auf Schulebene (bei LehrerInnen und den übrigen MitarbeiterInnen - wissenschaftsübergreifender Charakter,

  3. auf der Ebene der Institutionalisierung( Bildungsbehörden),

  4. auf sozialer und kommunaler Ebene.

Zu a) Ebene behinderter und nicht behinderter Kinder, ihre gegenseitige Beeinflussung Vor Projektbeginn wurden die Kinder im Kindergarten wie auch in der Grundschule durch konkrete Aktionen zum Thema "Anderssein" im allgemeinen informiert. Parallel dazu fanden Besuche in Sonderkindergärten und Grundschulen sowie gemeinsame kulturelle und Freizeitveranstaltungen statt. Mit den Aktionen auf dieser Ebene sollte erreicht werden, daß der Andere in seiner Eigentümlichkeit akzeptiert wird. Den Anderen in seiner Eigentümlichkeit zu akzeptieren, erfordert jedoch nicht, unsere teilweise widersprüchlichen Bemühungen, die bei der Begegnung mit einem Behinderten oft zu beobachten sind, zu unterdrücken. Gemeinsames Handeln (gegenseitige Beeinflussung) ist eine Frage unterschiedlicher Verhaltensweisen, die bei Beziehungen während der Integration praktisch aktiviert werden oder nicht vorhanden sind.

Zu b) Schulebene (bei Lehrern und den übrigen Mitarbeitern - wissenschaftsübergreifender Charakter) Es wurde für den Projektablauf als notwendig erachtet, die Lehrkräfte und das übrige Personal weiterzubilden. Die Fachkenntnisse der das Projekt realisierenden Lehrkräfte genügten uns nicht. Wir glauben, daß die Akzeptanz der Pädagogengemeinschaft im weiteren Sinne für die Projektunterstützung wichtig war - und zwar einerseits für die Informierung der übrigen, nichtbehinderten und am Projekt nicht beteiligten Schüler und andererseits für die gegenseitige Beeinflussung der Beschäftigten in den Schulen. Die Kooperation der bei Integrationsprojekten mitwirkenden Experten gilt angesichts der besonders komplexen sowie mehrfach auftretenden Lern- und anderen Schwierigkeiten für unerläßlich. Die substantielle Zusammenarbeit von Angehörigen verschiedener Fachgebiete ist für die Förderung und den Prozeß der Integration unabdingbar.

Zu c) Ebene der Institutionalisierung Bereits bei der Konzipierung des Integrationsprogramms bemühten wir uns die Bildungsbehörden für uns zu gewinnen und von den Integrationsprogrammen zu überzeugen. Zu ihrer diesbezüglichen Informierung und Sensibilisierung fanden wiederholt Treffen statt. Wir glauben, daß die Integration die von den offiziellen Bildungsträgern vertretene Erziehungsthese beinhaltet und die offizielle Erziehungsthese gleichzeitig die institutionalisierten Grundlagen für die Integratiosmöglichkeit bietet.

Zu d) soziale und kommunale Ebene Angesichts dessen, daß die Wirkung der Integration auf den Kräften der Fordernden basiert, wurde dieser Ebene ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Wir haben alle Kräfte wie Eltern-, Behinderten-, Lehrer-, Kulturverbände usw. mobilisiert, um eine weitgehende Sensibilisierung und vor allem die Mitwirkung der Einwohner und EinwohnerInnen der betreffenden Regionen zu erreichen. Von den Erfahrungen mit dem Ablauf auf dieser Ebene ausgehend halten wir es für erforderlich, die Gegensätze, die zwischen den unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen und der Gleichberechtigung existierten und noch existieren, gründlich und so schnell wie möglich zu beseitigen.

Die oben genannten verschiedenen Ebenen beeinflussen sich gegenseitig dynamisch. Die Vorgänge auf einer Ebene beeinflussen die Abläufe der Integration auf anderen Ebenen, weil dort sowohl die Möglichkeiten als auch die Unterdrückung der Individuen ergänzt und verarbeitet werden. In Griechenland sind es die institutionalisierten und sozialen bzw. kommunalen Leistungen, die den Konflikt auf interpersoneller Ebene (Notwendigkeit eines inneren Konflikts mit den anderen) erschweren oder sogar unterdrücken. Die Integrationsprozesse tragen auf den verschiedenen Ebenen sowohl zur persönlichen Entwicklung und zu den Beziehungen zwischen den TeilnehmerInnen bei als auch dazu, daß die Träger die Notwendigkeit der Integration einsehen.

Ergebnisse des Projekts

Für die Effizienz des Programms sprechen viele Ergebnisse. Bereits während der Durchführung des Projekts waren bei den daran teilnehmenden Kindern in fast allen Bereichen bedeutende Fortschritte erkennbar. Im Sozial-, im Motorik- und im Kommunikationsbereich traten schon im ersten Anwendungsjahr deutliche Besserungen ein. Zunehmend und in hohem Maße waren die Kinder den täglichen Anforderungen der Schule gewachsen. Sie zeigten eine verstärkte Beteiligungstendenz in der Gruppe Gleichaltriger, während ihre Beschäftigung mit Objekten abnahm. Die nichtbehinderten Kinder ließen mehr Beistand, Solidarität, Akzeptanz usw. für die behinderten Kinder erkennen. Die Projektteilnahme wirkte sich auch auf die Familien (behinderter und nichtbehinderter Kinder) positiv aus. Nur im Anfangsstadium des Projekts waren negative Reaktionen durch Eltern nichtbehinderter Grundschulkinder zu verzeichnen. Diese Reaktionen waren auf die Angst der Eltern zurückzuführen, daß sich die schulischen Leistungen ihrer Kinder wegen der Präsenz behinderter Kinder in der Klasse nicht weiterentwickeln würden. Im Laufe der Zeit nahmen die Eltern jedoch immer reger an gesellschaftlichen und Schulveranstaltungen teil, und als ihnen ein Jahr später ein Fragebogen über ihre mit dem Integrationsprogramm verknüpften Erwartungen vorgelegt wurde, fielen die Antworten eher positiv als negativ aus. Was die PädagogInnen (für allgemeine und für Sondererziehung) betrifft, so begannen sie nach anfänglicher Skepsis selbst, die Integrationsprogramme zu verbreiten und zu unterstützen. Was die Institutionen betrifft, ist festzuhalten, daß es uns trotz aller - vor allem bürokratiebedingter und finanzieller - Schwierigkeiten gelungen ist, sie von der Notwendigkeit der Integration zu überzeugen.

Merkmale eines effizienten Integrationsprojekts für Griechenland

Ein Integrationsprojekt, vor allem ein experimentell durchgeführtes, sollte klare Ziele sowie dokumentierte theoretische und praktische Grundlagen haben und interdisziplinär aufgebaut sein. Bereits bei der Konzepterstellung wurden einige interdependente Leistungsmerkmale ermittelt, die für das Gelingen der Umsetzung des Integrationsprogramms als notwendig erachtet wurden. Diese nachfolgend beschriebenen Charakteristika dienten den Projektexperten als Qualitätsindices für die Auswertung und Beurteilung der diversen Leistungen, die den Kindern, deren Familien, den PädagogInnen und allgemein dem Personal der Schulen und der kommunalen Bildungsträger geboten wurden.

1. Theoretischer Projektrahmen

Wir gingen von Anfang an davon aus, daß ein klarer und verständlicher Rahmen, der die Ziele und Dienstleistungen definiert, für die Gewährleistung des richtigen Verhaltens und der Kohärenz der Mitglieder des Projektteams unerläßlich ist (McDaniels 1977). Ebenfalls hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die in einem akzeptablen und definierten theoretischen Rahmen angewandten Programme bessere Resultate für die Kinder und deren Familien erzielen. Bei den bisherigen Programmen, besonders bei denen für Kinder im Vorschulalter, wurden die Wichtigkeit eines klaren theoretischen Rahmens oft außer acht gelassen, während man sich sehr in der Leistung therapeutischer Dienste für die Kinder und deren Familien engagierte. Heute wird die Bedeutung der frühzeitigen pädagogischen Intervention bei behinderten Kindern allgemein anerkannt. Statt nur auf die Besserung der Entwicklungsstörungen Wert zu legen, werden die Bemühungen nun darauf ausgerichtet, den Kindern je nach ihren Entwicklungsfähigkeiten in einem von der Familie geleiteten, auf der sozialen und kommunalen Unterstützung basierenden und in die Gesellschaft integrierten Umfeld zu helfen.

2. Kooperation und Mitwirkung der Familie

Es ist die Familie, die in einem Verhältnis ständiger gegenseitiger Beeinflussung steht und das Kind kontinuierlich unterstützt. Folglich müssen sich die Integrationsprogramme hinsichtlich der von ihnen gebotenen Leistungen an der Familie orientieren und die Lebens- und Denkweise sowie die Prinzipien, Werte und Prioritäten berücksichtigen, die jede Familie festsetzt und besitzt. Die Familien können sich hinsichtlich Herkunft, Strukturen, Finanzlage und Bildungsniveau voneinander unterscheiden. Um den individuellen Erfordernissen der am Projekt beteiligten Familien effizienter Rechnung zu tragen, mußten die betreffenden MitarbeiterInnen in der Lage sein, die Sorgen, Interessen und Prioritäten der Familien zu erkennen und mit diesen erfolgreich zu kommunizieren und zu kooperieren. Dadurch sollten die Projektziele auch auf das familiäre Umfeld übertragen werden.

3. Konzipierung und Planung einer wissenschaftsübergreifenden Kooperation

Eine der Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert wurden, war die Kohärenz der interdisziplinären Teams. Die Mitglieder mußten als echtes Team operieren - die Zusammenarbeit durfte also nicht nur verbal und oberflächlich sein. ExpertInnen werden dann zu einem Team, wenn ihr Zweck und ihre Funktion aus einem gegenseitig akzeptierten theoretischen Rahmen abgeleitet werden und sie gemeinsame Ziele haben. Bei dieser wissenschaftsübergreifenden Kooperation wechselten die Mitglieder die Rollen, wobei sie oft fachgebietsübergreifend tätig waren. Die Mitglieder trafen sich oft planmäßig zum Meinungsaustausch. Sie lernten, zu kooperieren und zusammen auf die Ermittlung, den Erfolg und die Übernahme gemeinsamer Ziele für das Kind und dessen Familie hinzuwirken.

4. Planung der Kooperation und Kommunikation mit den sozialen und kommunalen Trägern

Wir bemühten uns, einen Weg der Zusammenarbeit mit den Trägern zu finden, der die Beschaffung und Sicherung der für die Integrationsprogramme benötigten Geldmittel ermöglichen sollte. Wir legten jedoch auch Wert darauf, daß sich unsere Kooperation mit den Trägern nicht auf die Finanzierung beschränkte, sondern sich von einer einfachen Zusammenarbeit zu gemeinsamen Anstrengungen und Leistungen entwickelte. Dieses Bemühen setzte bei den betreffenden Trägern eine Akzeptanz des theoretischen und praktischen Rahmens des Integrationsprogramms wie auch der Ziele voraus. Dieses Ziel der Zusammenarbeit mit den Trägern wurde zu einem großen Teil verwirklicht, wobei natürlich Zurückhaltung in der Frage geboten ist, ob diese Kooperation kontinuierlich sein oder sogar als Kooperationsmodell für andere kommunale Träger gelten kann. Unserer Auffassung nach müssen die Ziele dieser Kooperationsplanung den jeweiligen Erfordernissen und spezifischen Merkmalen der lokalen Behörden, der lokalen Selbstverwaltung, entsprechen.

5. Individuelles und einheitliches Erziehungsprogramm im familiären, im Nachbarschafts- und im Schulmilieu des Kindes

Zur Erreichung dieser Ziele haben wir versucht, nach dem Modell des Teil- und individuellen Programms für systematischen Unterricht vorzugehen. Bei der betreffenden Methode werden die Grundfähigkeiten ermittelt, die einem Kind je an Hand seiner Alltagsaktivitäten (Beschäftigung) in seinem familiären und Nachbarschaftsmilieu zu vermitteln sind. Diese auf natürlichen Lernmethoden basierenden Alltagsaktivitäten bieten eine Chance für therapeutische wie auch für sozialpädagogische Maßnahmen. Unsere Anforderungen bestanden insbesondere darin, daß diese simplen Programme zur Intervention in die alltägliche Umwelt den Ausgangspunkt für die Teilnahme des Kindes am Familienleben und vor allem am Leben in seinem Wohngebiet, d. h. an der Freizeitgestaltung, bildeten. In der Schule bemühten wir uns darum, daß dem Kind alle Alltagsbeschäftigungen ermöglicht wurden, denen das Kind in seiner familiären und nachbarschaftlichen Umgebung nachging. Auf die Interessen, Präferenzen, Initiative usw. des Kindes legten wir größeren Wert als auf die Entscheidungen der ExpertInnen. Die Verwirklichung dieses äußerst schwierigen Zieles setzte bei den Teammitgliedern eine hohe fachliche Qualifikation voraus, sowie die Möglichkeit, die eigenen Grundkenntnisse und Aufgaben mit denen der übrigen Gruppenangehörigen zu kombinieren.

6. Weiterbildungssystem für die MitarbeiterInnen der Integrationsprogramme

Wir definierten die Schulung am Arbeitsplatz als Prozeß, über den die Beschäftigten zur Verbesserung ihrer beruflichen Fähigkeiten Erfahrungen sammeln. Generell zielt die Schulung am Arbeitsplatz auf eine Differenzierung der Einstellung, den Erwerb neuer Kenntnisse und die Verbesserung oder sogar die Änderung praktischer Fertigkeiten ab. Unser späteres Ziel war die Aufnahme neuer Kenntnisse zur Verbesserung der betreffenden beruflichen Leistungen. Das Schulungsprogramm wurde besonders sorgfältig geplant. Angewandt wurden kollektive Schulungsmethoden. Alle MitarbeiterInnen einschließlich der Schulleiter und Schulräte (für Sonder- und für Allgemeinerziehung) wirkten bei den Bemühungen um die Schulung des Personals mit, so daß die Verantwortung nicht nur einem Gruppenmitglied zugeschrieben werden konnte. Die Schulung basierte auf den von den Betreffenden selbst festgestellten Erfordernissen und Werten. Die Ziele der Schulung bzw. Weiterbildung waren auf jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin individuell abgestimmt. Die Personalschulung umfaßte eine Laborausbildung, Universitätsvorlesungen, Schulung bzw. Anschauungsunterricht über Video und Ausbildung durch FachberaterInnen.

7. Projektbeurteilung

Das Integrationsprojekt wurde durch die PädagogInnen selbst (teilnehmende und nicht teilnehmende) und durch die kommunalen und die sonstigen sozialen Träger positiv beurteilt. Trotzdem sind wir der Meinung, daß wir als Wissenschaftlerteam die Planung der Auswertung nicht schwerpunktmäßig behandelt haben. Insuffizienz der Meßskalen zur Ermittlung geringfügiger Fortschritte in der Entwicklung des einzelnen Kindes wurden durch Methodikprobleme verursacht, die auf nicht entsprechend standardisierte Beurteilungen von Therapieinterventionsprogrammen zurückzuführen waren. In diesen Fällen ist eine differenzierte, auch den Zielen der therapeutischen Maßnahmen entsprechende Auswertung notwendig. Trotz all dem vertreten wir jedoch durchaus die Meinung, daß die Ziele, wie die Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen, das Selbstbewußtsein der Kinder, das Verständnis mit allen Konsequenzen, die gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz usw., erreicht wurden.

Schlußfolgerungen

Aus unseren Erfahrungen mit dem Integrationsprojekt für Kinder im Vorschul- und Schulalter sind positive Ergebnisse abzuleiten. Das bedeutet nicht, daß keine weitere Programmverbesserung notwendig wäre. Die Durchführung des Programms erfordert den vollen Einsatz und eine ständige Erweiterung der Kenntnisse des Teams, auch der MitarbeiterInnen der am Projekt beteiligten sozialen und kommunalen Träger, damit neue Methoden der Kooperations- und der Hilfeleistung entwickelt werden. Die durchgeführte Weiterbildung vermittelte neue Kenntnisse, z. B. auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Tätigkeiten, der Planung, der Auswertung, der Art der Kooperation zwischen Expertinnen usw. Die Charakteristika des Projekts ermöglichten dem Personal, aber auch den Familien, die zur Erzielung der Ergebnisse angewendeten Methoden zu verstehen. Bei der Programmrealisierung wurde festgestellt, daß Planung und Kosten der neuen Strukturen der pädagogischen und sozialen Leistungen dominierten. Trotz der Deckung der anfänglich angesetzten Kosten wurden viele Sonderausgaben erforderlich, die jedoch sanken, statt zu steigen. Zu Beginn wurden wir ebenfalls mit den negativen Reaktionen seitens der Gemeinschaft der PädagogInnen wie auch der Gemeinschaft im allgemeinen konfrontiert. Die Einführung neuer Arbeitsmethoden scheint zu Unsicherheit und Angst zu führen. Zukünftig sollte man sich vor der Inangriffnahme solcher Projekte derartigen Reaktionen stellen

Autor

Prof. Dr. Athina Zohiou-Sideris

Universität Athen

Abt. für Frühpädagogik

Quelle:

Athina Zoniou-Sideris: Integration auf Griechisch - Ein Projekt zur Integration von Kindern mit Behinderung in Kindergarten und Grundschule

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-98

Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 1998

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 01.04.2005

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