Wozu nützt Sozialmanagement?

Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 1-99 Gemeinsam leben (1/1999)
Copyright: © Luchterhand 1999

1. Von welchen Bezugspunkten muß man ausgehen?

Gesetzgeber und Exekutiven von Bund, Ländern, Bezirken, kreisfreien Städten/Landkreisen und Gemeinden haben sich im Strudel gesellschaftlicher Veränderungen lange Zeit im Wesentlichen darauf beschränkt, die Rahmenbedingungen für das System sozialer Hilfen zu schaffen und die benötigten/angeforderten finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Man hat dabei unterstellt, die sozialen Einrichtungen und ihre Träger, freie wie öffentliche, würden dann diese Rahmenbedingungen nach bestem Wissen und Gewissen qualifiziert nutzen und ausfüllen, um die anstehenden Aufgaben befriedigend zu bewältigen. Diese Erwartung wurde insgesamt offensichtlich nicht in dem erwünschten und wünschbaren Ausmaß erfüllt, weil die politischen Entscheidungsträger und die zuständigen finanzierenden Behörden sich weitgehend auf formal korrekte Abwicklung beschränkten und damit begnügten, daß etwas getan wurde; sie achteten jedoch erstaunlich wenig auf die Arbeitsergebnisse der sozialen Einrichtungen. Die Betroffenen/NutzerInnen hatten dabei nur geringe Chancen, mit ihren Wünschen gegenüber dem Angebotsdiktat der sozialen Einrichtungen durchzudringen. Seit einigen Jahren versucht man deshalb unter dem Druck knapper Finanzen verstärkt, Einfluß auf die inhaltliche und wirtschaftliche Wirksamkeit sozialer Einrichtungen zu nehmen. Durch rechtliche Vorgaben versucht man die sozialen Einrichtungen dazu zu zwingen, ihr Tun bzw. Lassen von Grund auf zu überdenken und produktive Veränderungen in Angriff zu nehmen. Die Vorgaben richten sich auf zwei Ziele, die auf verschiedene Weise miteinander verbunden werden: Die Verbesserung der Arbeitsergebnisse durch Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement sowie die leistungsbezogene Finanzierung sozialer Hilfen.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement

Der Gesetzgeber verpflichtet zunehmend, Betreiber sozialer und gesundheitsbezogener Einrichtungen dazu, Qualitätssicherung zu betreiben. Dies gilt z.B. für Krankenhäuser und andere Pflegeeinrichtungen wie stationäre Altenhilfe. Aber auch im KJHG gibt es Ansätze zur Qualitätssicherung. Das KJHG gebraucht zwar den Begriff Qualitätssicherung nicht, verpflichtet die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe jedoch, bei der Erarbeitung der Hilfepläne alle beteiligten Fachkräfte und die Betroffenen einzubeziehen. Mit diesen Forderungen werden einige inhaltlich wichtige Gesichtspunkte des Qualitätsmanagement aufgenommen.

Leistungsbezogene Finanzierung sozialer Hilfen

Fachliche und Budgetverantwortung werden miteinander verbunden. D.h.: Die sozialen Einrichtungen werden sowohl für die fachliche Qualität ihrer Dienstleistungen als auch für die dafür eingesetzten finanziellen Mittel verantwortlich gemacht. Dadurch soll sich Verantwortung für die Kosten sozialer Arbeit, d.h. betriebswirtschaftliche Rationalität entwickeln. Dabei wird - meines Erachtens zurecht - unterstellt, daß innerhalb der sozialen Einrichtungen beachtliche Ressourcen brach liegen, die aktiviert und eingesetzt werden können (Engelhardt 1995: 59), um zusätzliche Kosten, die durch Geldwertverlust und tarifliche Erhöhung der Personalkosten entstehen, auszugleichen, ohne die finanziellen Zuwendungen zu erhöhen. Um diese Ressourcenaktivierung voranzutreiben, werden die finanziellen Zuwendungen aus Steuermitteln an die freien Träger der Wohlfahrtspflege zunehmend von Fehlbedarfsfinanzierung auf Leistungsfinanzierung umgestellt und mit Budgetierung verbunden. Dies bedeutet:

  • Zuschußgeber und soziale Einrichtungen verhandeln über die zu erbringenden Leistungen und die dafür zu leistenden Entgelte. Dies setzt auf Seiten der sozialen Einrichtung bzw. Ihres Trägers voraus, die eigenen Vorgehensweisen und die damit angestrebten Arbeitsergebnisse = Leistungen plausibel bestimmen zu können. In den meisten sozialen Einrichtungen sind diese Leistungsbeschreibungen nicht einfach abrufbar, sondern sie müssen von den MitarbeiterInnen in einem meist zeitintensiven Prozeß erarbeitet werden. Für den Zuschußgeber entstehen durch derartige Leistungsbeschreibungen eine gute Übersicht über die und Vergleichbarkeit der Leistungen der von ihm bezuschußten Einrichtungen/Träger.

  • Leistungsverträge werden z.B. in München meistens über eine Laufzeit von drei Jahren abgeschlossen und für jedes Jahr mit dem gleichen Betrag entgolten. Zusätzlich erwirtschaftete Mittel wirken sich nicht zuschußmindernd aus, Defizite müssen von der Einrichtung verantwortet werden. Es lohnt sich also für die Einrichtung, Wege zur Erschließung zusätzlicher finanzieller Mittel auszuprobieren (z.B. Social Sponsoring u.a.). Die Einrichtung ist für die Vertragsdauer an die vereinbarten Leistungen gebunden, die Stadt als Vertragspartner an die rechtzeitige Bereitstellung der vereinbarten Entgelte. Vor Ablauf des Vertrags verhandeln die Einrichtungen und Zuschußgeber über die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses. Es ist nicht ungewöhnlich, daß der Zuschußgeber in den Verhandlungen andere bzw. neue Schwerpunkte setzt, d.h. bisherige Leistungsangebote vermindert und neue wünscht, um den sich ändernden Anforderungen gerecht zu werden. Innerhalb des vereinbarten Budgets haben die Einrichtungen größere Handlungsspielräume. Insbesondere sind die einzelnen Kostenstellen des Etats mindestens teilweise wechselseitig deckungsfähig.

  • In München ist die Einführung von qualitätssichernden Maßnahmen regelmäßig Bestandteil der Leistungsverträge. Auch auf diese Weise werden Verbesserung der Leistungen und Finanzierung miteinander verbunden.

Es ist zu erwarten und auch zu wünschen, daß Qualitätssicherung/ Qualitätsmanagement und die leistungsbezogene Finanzierung bald für alle soziale Einrichtungen in allen Feldern der sozialen Arbeit verbindlich gemacht werden. Denn schon jetzt kann man sagen: In den vergangenen Jahren haben sich diese Instrumente bewährt; in zahlreichen sozialen Einrichtungen haben sie oft intensive Bemühungen ausgelöst, Ziele, Konzepte, Verfahrensweisen, Arbeitserfolge, Arbeitsteilung, Formen der Entscheidungsfindung, Führungsmodi, Organisationsformen der Arbeit u.a. zu überprüfen, zu verändern, weiterzuentwickeln, neu zu gestalten; ihre Auswirkungen sind deshalb weit überwiegend als positiv und heilsam zu bewerten. Allerdings verlangen Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement und leistungsbezogene Finanzierung den MitarbeiterInnen erhebliche Qualifizierungen und den Einrichtungen umsichtige Steuerungsprozesse ab. Von den unredlichen Mogelpackungen, bei denen auf primitiv-dusselige Formen der Kostenreduzierung das Etikett Qualitätsmanagement aufgeklebt wird möchte ich hier absehen. Jedenfalls bewerten die mir bekannten Einrichtungen - in München waren es Einrichtungen der Jugend- und Familienhilfe sowie Gesundheitsprojekte - ihre teilnehmerorientierten Prozesse des Qualitätsmanagement positiv, auch wenn sie auf die mit dem hohen Arbeitsaufwand verbundenen besonders hohen Anstrengungen hinweisen.

2. Management oder Sozialmanagement der sozialen Arbeit?

Um den genannten Herausforderungen gerecht werden zu können, sind LeiterInnen und MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen auf einschlägige Kenntnisse und Fähigkeiten des Management angewiesen, die sie sich je nach aktueller Situation entweder selbst aneignen und/ oder durch Experten von außen beschaffen müssen. Im Zuge ihrer Bemühungen um die Verbesserung ihrer Arbeitsergebnisse stellen MitarbeiterInnen ja durchaus fest, für welche Aufgaben ihnen einschlägige methodische/technische Fähigkeiten und/oder Wissensbestände fehlen. Berufsbegleitende Fortbildungen für "Sozialmanagement" oder "Fortbildung zum Sozialbetriebswirt/ zur Sozialbetriebswirtin" u.a. erfreuen sich deshalb besonderer Beliebtheit und Nachfrage. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf alle möglichen Konzepte und Werkzeuge des Management, die zur zielbezogenen Optimierung der Arbeit in der eigenen Einrichtung geeignet erscheinen. Auch feldbezogene Zeitschriften für MitarbeiterInnen gehen auf neuere Konzepte zur Veränderung ein (z.B. "Der Altenpfleger", "Zur Orientierung", ...).

Management oder Sozialmanagement? Für Müller-Schöll und Priepke (1989: 11) ... "ist das Konzept des Sozialmanagements der Versuch, sowohl die Ansprüche der Ethik sozialer Arbeit in den Strukturen ihrer Organisationen einzulösen ("sozial") als auch die Effektivität sozialen Handelns methodisch und systematisch zu verbessern ("Management")." Seit der ersten Auflage dieses Klassikers sind einige Jahre vergangen. Neuere Ansätze der Personal- und Organisationsentwicklung (Neuberger 1991, Beck/Schwarz 1997 a, 1997b, Engelhardt/Graf/Schwarz 1996) ebenso wie des Qualitätsmanagement (Bobzien/Stark/Straus 1996) haben neue Gesichtspunkte eingebracht und werden mittlerweile auch im Sozialbereich diskutiert; sie heben die Bedeutung der MitarbeiterInnen und ihrer Qualifizierung sowie die Wünsche und Interessen der NutzerInnen besonders hervor. Die seit zwei Jahrzehnten immer noch steigende Zahl der Selbsthilfeinitiativen und die Forschungsergebnisse über sie zeigen, daß die Erfahrungen und die Wissensbestände der Betroffenen wesentliche Beiträge zur Bewältigung aktueller Probleme liefern können (Engelhardt/Simeth/Stark 1995) und deshalb bei den Managementaktivitäten berücksichtigt werden müssen.

Management in sozialen Einrichtungen: "Sozialmanagement" im hier gemeinten Sinn bleibt aus den genannten Gründen nicht dabei stehen, das Management an ethische Positionen zu binden, sondern beinhaltet zusätzlich zwei weitere Aspekte des Wortes "sozial". Insgesamt drei Aspekte des Wortes sozial kennzeichnen Management in sozialen Einrichtungen:

  • "Sozial" im ethisch-moralischen Sinn.

Wie Müller-Schöll/Priepke verbinde ich mit Sozialmanagement eine ethische Dimension, die nicht zwangsläufig christlichem Glauben verbunden sein muß, sondern auch aus anderen Wurzeln gespeist werden kann. Sozialmanagement muß auf einem positiven Menschenbild aufbauen, das man allgemein mit der Achtung derPerson umschreiben könnte. Betroffene sind nicht bloß Kunden in einem Verhältnis von Angebot und Nachfrage, sondern Personen, die um ihrer selbst willen mit ihren Problemen Achtung und Beachtung verdienen. Ebenso sind MitarbeiterInnen über ihre Funktion zur Zielerreichung hinaus Personen, die die Einrichtung respektiert und für die sie Verantwortung trägt.

  • "Sozial" zur Kennzeichnung eines spezifischen Arbeitsfeldes?

Management muß den Besonderheiten sozialer Arbeit Rechnung tragen. Dementsprechend sind für den Sozialbereich nur Konzepte und Techniken des Management tauglich, die sich problemlos - d.h. ohne Verzerrung oder Entfremdung zentraler Inhalte - auf den Sozialbereich übertragen lassen oder auf die Eigenart sozialer Arbeit angepaßt werden können. Dabei handelt es sich um besondere Formen sozialer Dienstleistungen, deren Eigenart und deren gesellschaftlicher Wertekontext zu beachten sind. In jedem Fall haben Konzepte und Techniken des Management in der Sozialen Arbeit Werkzeugcharakter; sie werden eingesetzt, sofern und solange sie bei der Bewältigung sozialer Probleme hilfreich sind. Vergleichbare Besonderheiten treten auch bei Bildungseinrichtungen, in einigen anderen nicht gewinnorientierten Einrichtungen und sogar bei besonderen Formen gewerblicher Dienstleistungen auf. Die Bezeichnung Sozialmanagement ist deshalb aus inhaltlichen Gründen nicht glücklich gewählt, wenn damit sozialbereichsspezifisches Management gemeint ist. Management muß stets der Eigenart der in einer Organisation betriebenen Tätigkeiten Rechnung tragen. Trotz dieser Bedenken verwende ich den Begriff Sozialmanagement, weil er sich eingebürgert hat und "sozial" zusätzlich andere Inhalte transportieren soll.

  • "Sozial" im Sinne der Aktivierung der in den beteiligten Menschen liegenden Fähigkeiten.

Sozialmanagement ist darauf ausgerichtet, die in den beteiligten Personen liegenden Fähigkeiten und andere Qualifikationen zu entwickeln und für die Problembewältigung zu optimieren. Beteiligte Personen sind dabei sowohl MitarbeiterInnen als auch NutzerInnen, können aber auch andere Betroffene (z.B. Angehörige), Selbsthilfeinitiativen sowie andere Menschen als Glieder sozialer Netze (Nestmann 1988; Keupp/Röhrle Hrsg. 1987) oder Gemeinwesen sein. Entwicklung von Fähigkeiten und anderen Qualifikationen wird als Empowerment (Stark 1996; de Shazer 1989) bezeichnet und wird hier als die zentrale Managementaufgabe überhaupt angesehen.

Ich fasse zusammen: Sozialmanagement umfaßt alle Bemühungen, unter bewußter Einbeziehung ethischer Aspekte, der Besonderheiten der sozialen Einrichtung und der Fähigkeiten aller Beteiligten Ziele und darauf bezogene Arbeitsabläufe (Schlüsselprozesse) einer Einrichtung zu optimieren.

3. Welche Besonderheiten sozialer Arbeit sind zu beachten

Sozialmanagement, so sagte ich eben, muß den Besonderheiten sozialer Arbeit Rechnung tragen. Dementsprechend sind - ich wiederhole - für den Sozialbereich nur Konzepte und Techniken des Management tauglich, die sich problemlos auf den Sozialbereich übertragen lassen oder auf die Eigenart sozialer Arbeit angepaßt werden können. So haben z.B. Konzepte, die auf genaue quantitative Messung von Arbeitsergebnissen abzielen, mangels meßfähiger Arbeitsinhalte im Sozialbereich (fast) nichts zu suchen. Damit ist ein entscheidendes Auswahlkriterium formuliert. Wer sich also mit der Einführung von Managementtechniken beschäftigt, sollte zuerst die wesentlichen Merkmale der Ziele und Schlüsselprozesse der eigenen Einrichtung klären. Erst dann hat er die Maßstäbe gewonnen, mit denen er Konzepte und Techniken des Management auf ihre Eignung für seine soziale Einrichtungen prüfen kann. Welche Besonderheiten des Sozialbereiches sind zu beachten?

  • Traditionelle und neuere Managementkonzepte beziehen sich auf gewinnorientierte Produktion von Gütern und Dienstleistungen in marktwirtschaftlichen Bezügen. Das Marktmodell kann für den Sozialbereich sicher interessante Anregungen geben, die soweit als möglich und sinnvoll aufgenommen werden sollten. Soziale Einrichtungen erfüllen jedoch - mit wenigen Ausnahmen - wichtige Elemente des Marktmodells nicht:

  • Sie sind nicht gewinnorientiert, sondern versorgungsorientiert.

  • Der Regelungsmechanismus von Angebot und Nachfrage ist im Sozialbereich nur geringfügig funktionsfähig, kann immerhin einige wenige Probleme verringern, würde, rigoros eingeführt, jedoch auch viele neue Probleme schaffen.

  • Organisationsentwicklungs- und Qualitätsmanagementkonzepte sehen die Produkte/Dienstleistungen als Ergebnis eines marktwirtschaftlichen Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Anbieter sozialer Dienstleistungen und deren NutzerInnen sind jedoch nicht als gleichrangige Partner zu verstehen, da letzteren die erforderlichen Kontrollmittel fehlen. Ein großer Teil der Betroffenen/NutzerInnen/KundInnen ist nicht oder nur begrenzt in der Lage, dieser Nachfrager-Rolle gerecht zu werden, d.h. selbst bei optimaler Information zu beurteilen, mit welchen Hilfen ihre Probleme gelöst oder bewältigt werden können. Gerade die besonders Benachteiligten würden mit diesem Regelungsmechanismus leer ausgehen. Eine stellvertretende Wahrnehmung von Betroffeneninteressen bleibt deshalb mindestens teilweise unverzichtbar. Auch wenn die NutzerInnen eine angemessene Formulierung ihrer Bedürfnisse/Wünsche schaffen, sind sie mangels eigener finanzieller Mittel nur selten in der Lage, ihre Realisierung durchzusetzen. Die von Freier (1989, 369-371) vorgeschlagene Ausstattung der NutzerInnen mit Gutscheinen oder Treuhandkonten könnte allenfalls in bestimmten Feldern sozialer Arbeit praktiziert werden, würde aber zusätzlichen Aufwand zur Schaffung entsprechender Gutachteragenturen schaffen.

  • Gesellschaftliche Wertsetzungen setzen den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen in vielen Feldern der sozialen Arbeit deutliche Grenzen. Das Marktmodell läßt gewerblichen Anbietern und Verbrauchern im Rahmen gesellschaftlicher Werte und Normen großeSpielräume für Aushandlungsprozesse, die im Sozial- und Gesundheitsbereich in sehr viel geringerem Maße bestehen. Auch wenn der Unterschied nur graduell ist, so ist er doch qualitativ bedeutsam. Gesellschaft und Politik können die Spielräume für Aushandlungsprozesse zwischen Profis und Betroffenen/ NutzerInnen nur begrenzt ausweiten, d.h. die Entscheidung über zentrale gesellschaftliche Werte individualisieren. Je mehr die Gesellschaft die Entscheidung über zentrale Werte, z.B. Mißhandlungen, Mißbrauch, Mißbrauch von Medikamenten/Drogen, in bestimmten Fällen über Leben und Tod einzelnen Personen überläßt - und die Diskussion darüber ist ja im Gange -, desto mehr gibt sie ihre ordnungsstiftende Funktion auf, bis Gesellschaft, bis Ordnung sich auflöst ... Es bestehen also häufig und unvermeidbar unüberbrückbare Spannungen zwischen gesellschaftlichen Werten/Normen einerseits und den Bedürfnissen/Wünschen der Beteiligten andererseits. Zentrale gesellschaftliche Werte sind nicht individualisierbar und verhandelbar, sie steuern vielmehr als Rahmenbedingungen die Aushandlungsprozesse zwischen Profis und Betroffenen.

  • Im Vergleich zu gewerblichen Unternehmen sind wichtige Voraussetzungen für eine Orientierung an den Umweltverhältnissen, an der Nachfrage, oder auch für ein offenes Organisationsmodell bei sozialen Einrichtungen nicht oder nur teilweise gegeben. Erstens steht den sozialen Einrichtungen die Zielsetzung gewöhnlich nur als Interpretation und Konkretisierung staatlicher Vorgaben, d.h. politischer Entscheidungen zu. Was in diesem Rahmen getan werden kann wird zweitens in erheblicher Weise durch die staatliche Finanzierung begrenzt. Von Selbstbestimmung der Ziele und des Wirtschaftsplans - Voraussetzungen eines offenen Modells - kann also nur in begrenztem Ausmaß die Rede sein.

  • Verfahren des Qualitätsmanagement stammen aus der gewerblichen Wirtschaft und zielen dort auf Klärung und Standardisierung von Arbeitsabläufen. Die zentralen Methoden sozialer Arbeit - Beratung, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit - entziehen sich der in der gewinnorientierten Güterproduktion üblichen Standardisierung und genauen Berechenbarkeit, d.h. der Wiederholung gleichartiger vorher bestimmter Arbeitsabläufe; sie sind nur aspektweise nicht nach dem Schema wenn...dann zu definieren und in geschlossene Prozesse zu bringen (das ist der ewige Traum mancher Sozialverwalter!!); sie sind vielmehr prozeßorientiert, d.h. Problembestimmung, Zieldefinition und Methodenwahl sind nicht von vorne herein vorgegeben, sondern ergeben sich im Laufe des Arbeitsprozesses mit vielschichtigen Rückkopplungsschleifen und entsprechenden Verschiebungen. Die Lage wird zusätzlich dadurch erheblich erschwert, daß weit überwiegend Problemlagen mit vielfältigen Ursachen vorliegen, von denen nur ein von Fall zu Fall variierender Anteil von sozialer Arbeit erreicht werden kann. Zudem liegen oft Langzeitbeeinträchtigen vor, die mehr oder weniger irreversibel sind, so daß auch grundsätzlich die Grenzen der Machbarkeit erreicht werden. Prozeßorientierte Abläufe können jedoch durch Qualitätsstandards überprüft werden, deren Entwicklung und Handhabung besondere Schwierigkeiten macht. Standardisierbar, d.h. in Rezeptform oder wenn ... dann Konfigurationen zu bringen sind in der sozialen Arbeit jedoch die der eigentlichen methodischen Arbeit vor - und nachgelagerten Prozesse (z.B. Verwaltungstätigkeiten, Information, Kontaktaufnahme, Anmeldung, Erstellung von Dienstplänen ...). Es ist sicher kein Zufall, daß Prozesse des Qualitätsmanagement in Werkstätten für Behinderte nahezu durchgängig auf die Arbeitsabläufe in der Werkstatt beschränkt bleiben ... weil diese standardisierbar sind ... und die Betreuungsprozesse bleiben außen vor ... hätten aber Qualitätsstandards oft sehr nötig.

  • Sozialprofis und Betroffene erbringen - weit überwiegend - gemeinsam die Dienstleistung, deren Qualität entscheidend davon abhängt, ob die aktive Einbeziehung und Mitwirkung der Betroffenen erreicht werden kann. Der Gestaltung des Interaktionsprozesses zwischen Profis und Betroffenen kommt deshalb zentrale Bedeutung für Erfolge bzw. Mißerfolge sozialer Arbeit zu. Der interaktive Charakter sozialer Arbeitsformen beinhaltet aber auch ein dynamisches psychosoziales Potential, das den Ablauf bestimmt und bestimmen muß, aber damit auch der Formalisierung weitgehend entzieht.

  • Zur Realisierung von Qualitätsmanagement wird in der gewerblichen Güterproduktion die Qualität der Produkte mit präzisen Meßdaten beschrieben und bewertet, monetäre Erfolge können darüber hinaus mit Kennzahlen ausgewiesen werden. Quantitative Meßverfahren und Kennzahlen können in der sozialen Arbeit nur in wenigen Fällen eingesetzt werden, da in der professionellen Arbeit weit überwiegend qualitative Veränderungen angestrebt werden, für die geeignete d.h. problemangemessene qualitative Beurteilungsformen (Beobachtungsbögen, Zeitreihen, Situationsportraits ... vgl. v. Spiegel 1993/1994) entwickelt werden müssen. Entsprechende Ansätze werden seit einigen Jahren arbeitsfeldbezogen erarbeitet.

  • Eine letzte Besonderheit - allerdings auch für andere mit Menschen arbeitenden Berufszweige - ist darin zu sehen, daß Maschinen nur in minimalem Maße eingesetzt werden können. Man muß auf Menschenarbeit setzen. Es gibt dazu keine Alternative. Mehr als irgendwo sonst steht oder fällt der Arbeitserfolg mit der Qualifikation der MitarbeiterInnen. Aufgrund dieses Sachverhalts müßten sich alle Bemühungen des Managements auf die mit den MitarbeiterInnen zusammenhängenden Aspekte sozialer Arbeit konzentrieren, gerade weil die festgestellte Qualität der Arbeitsergebnisse keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Qualität der Arbeit zuläßt. Durch die Qualifizierung der MitarbeiterInnen kann man in der sozialen Arbeit die Wahrscheinlichkeit guter Arbeitsergebnisse erhöhen, garantieren kann man sie im Einzelfall nicht.

4. Welche Aufgaben soll Sozialmanagement bewältigen?

Aufgrund der zur Zeit im Sozialwesen beobachtbaren Suchbewegungen und Veränderungsprozesse gehe ich davon aus, daß die Vorgaben :

Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement und leistungsbezogene Finanzierung wesentlich dazu beitragen, daß die sozialen Einrichtungen in Zukunft den aktuellen Herausforderungen sehr viel besser gerecht werden können als bisher. Welche Anforderungen/Aufgaben ergeben sich aus dem Gebot von Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement und leistungsbezogener Finanzierung/Budgetierung? Die Hauptaufgabe für soziale Einrichtungen besteht - dies ist schon mehrfach angeklungen - in der Aktivierung der in den Personen liegenden Fähigkeiten/ Ressourcen. Die weit verbreitete Auffassung, mehr Qualität sozialer Dienstleistungen koste auch mehr Geld, trifft für den Sozialbereich - und darüber hinaus - nur in wenigen Bereichen zu, die hier nicht einbezogen werden; sie setzt voraus,

  • daß die gewählte Methode die optimale Verfahrensweise ist, um ein gegebenes Problem, eine gegebene Aufgabe, zu lösen bzw. zu bewältigen,

  • daß die gewählte Methode perfekt vollzogen wird,

  • daß die gewählte Organisation der Dienstleistungserbringung bereits soweit optimiert ist, daß keine nennenswerten Verbesserungen mehr zu erwarten sind.

Mindestens eine der drei Voraussetzungen, häufig aber zwei oder auch alle drei sind in sozialen Einrichtungen nicht erfüllt. Es gibt also erhebliche Verbesserungsreserven!

Aktivierung der in den Personen liegenden Fähigkeiten/Ressourcen kann nur gelingen, wenn diese Personen: MitarbeiterInnen, Betroffene, Angehörige, Glieder von sozialen Netzwerken ... von der Leitung Wertschätzung erfahren und ihre Fähigkeiten auch tatsächlich einbringen können. Die dafür notwendigen offenen Strukturen müssen oft erst geschaffen werden. Traditionelle Formen der Über- und Unterordnung bieten dafür keine Möglichkeiten.

Soziale Einrichtungen sind Organisationen, die die Merkmale: Ziele, Technologie (methodische Verfahrensweisen), Beteiligte und Sozialstruktur aufweisen und mit ihrer relevanten Umwelt in Austauschbeziehungen stehen. Je intensiver diese Austauschbeziehungen alle relevanten Umweltpartner einbeziehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ihre Bedürfnisse und Interessen zu berücksichtigen. Da durchaus mit Interessengegensätzen zu rechnen ist, muß ein Interessenausgleich gesucht werden. Orientiert man sich an den Merkmalen von Organisationen: (Engelhardt 1995, 21-30), so können mehrere Teilaufgaben formuliert werden, die dann weiter konkretisiert werden:

  1. Bestimmung und periodische Aktualisierung der Einrichtungsziele,

  2. Entwicklung zielführender Arbeitsabläufe (Schlüsselprozesse) einschließlich geeigneter Verfahren der Erfolgskontrolle/ Evaluation,

  3. Optimierung der Organisationsstruktur für die Durchführung der Schlüsselprozesse,

  4. fortlaufende Qualifizierung der MitarbeiterInnen durch Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung,

  5. regelmäßige Kommunikation mit den Partnern der jeweils relevanten Umwelt: NutzerInnen/Betroffenen, Träger, Zuschußgebern, Fachöffentlichkeit usw.

Zu 1. Bestimmung und regelmäßige Aktualisierung der Einrichtungsziele

In die Bestimmung der Einrichtungsziele sollen eingehen

  • die Sichtweisen und Wünsche der Betroffenen/ NutzerInnen, da sie Ausgangs- und Bezugspunkte für die Entwicklung zielführender Arbeitsabläufe sind,

  • die fachlichen Vorstellungen der MitarbeiterInnen, weil sie das methodische Repertoire kennen,

  • die Auffassung des Trägers, weil er - insbesondere als freier Träger ein bestimmtes Leitbild sozialer Arbeit umsetzen will,

  • die Vorstellungen der Zuschußgebers, weil er für die Realisierung bestimmter inhaltlicher Ziele die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen soll.

Bei der Bestimmung der Einrichtungsziele liegt es nahe, zuerst die Sichtweisen und Wünsche der Betroffenen/ NutzerInnen sowie zugleich ihre Mitwirkungsmöglichkeiten erfassen. Hilfreich sind hier besonder Erfahrungen in und aus Selbsthilfeinitiativen. Selbsthilfeinitiativen wählen oft andere Problemzugänge, die insbesondere die psychosoziale Befindlichkeit verbessern, einen anderen Umgang mit Problemen und insbesondere die Entwicklung neuer Lebensperspektiven begünstigen. Es könnte deshalb durchaus ein realistisches Ziel sein, die Anregung von Selbsthilfegruppen und die Zusammenarbeit mit ihnen im Kontext der eigenen Einrichtung ins Auge zu fassen. Eine Reihe selbstorganisierter Projekte sind in München diesen durchaus generalisierbaren Weg gegangen (Engelhardt/Simeth/Stark 1995, 150-158). Eine derartige Einbeziehung der Betroffenen erschließt zu wichtigen Problemaspekten Zugänge, die der professionellen Arbeit regelmäßig verschlossen bleiben und zusätzliche Ressourcen für die Umsetzung fachlicher Ratschläge in lebensweltliche und biographische Zusammenhänge aktivieren.

Die MitarbeiterInnen verfügen üblicherweise über die größte Informationsdichte über die Betroffenen und ihre Probleme; sie haben deshalb realistische Vorstellungen darüber, welche Ziele erreicht werden können und welche nicht; zudem spielen sie bei der Entwicklung der zielführenden Arbeitsvorgänge, d.h. der Schlüsselprozesse, die sie selbst durchzuführen haben, eine zentrale Rolle. Wie sollen MitarbeiterInnen Zielbindung haben, wie sollen sie zielführende Arbeitsvorgänge entwickeln, wenn sie sich mit den Zielen mangels Beteiligung nicht identifizieren können? Ihre Vorstellungen nicht einzubeziehen, d.h. über ihre Köpfe hinweg Ziele festzulegen, kommt einer Blockade professioneller Arbeit nahe. Die Einbeziehung der Zuschußgeber ist unumgänglich und bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Bei der Formulierung der Ziele reicht es jedoch nicht aus, die Vorstellungen von Betroffenen, Mitarbeitern und Zuschußgebern zu systematisieren und zu harmonisieren. Die Zielformulierung muß mehr sein als die Summe von Umweltansprüchen; sie muß ein eigenes Profil und Selbstverständnis beinhalten, das charakteristisch für die Einrichtung und den Träger ist, sich von Zielsetzungen ähnlicher Einrichtungen unterscheidet und in Krisenzeiten Orientierung gibt. Es kommt darauf an, diese Ziele nach innen und nach außen zu kommunizieren.

Zu 2. Entwicklung zielführender Arbeitsabläufe (Schlüsselprozesse) und geeigneter Formen der Erfolgskontrolle

Im Kontext von Qualitätsmanagement bezeichnet man Arbeitsabläufe, die für die Erreichung bestimmter Handlungsziele entscheidende Bedeutung haben, als Schlüsselprozesse. Sie bedürfen besonderer Sorgfalt, stellen sie doch das operative System, das praktische Instrumentarium, das Werkzeug dar, mit dem eine Einrichtung zeigt, was sie kann und wie sie es kann. Nicht zufällig gilt das operative System in der gewinnorientierten Güterproduktion als das eigentliche Herz des Betriebes. Auch in sozialen Einrichtungen hätte das operative System mehr Aufmerksamkeit verdient. Zu unterscheiden sind verschiedene Formen von Schlüsselprozessen:

  • Schlüsselprozesse zur Erreichung von Zielen, mit denen Probleme der Betroffenen gelöst bzw. bewältigt werden sollen (z.B. psychosoziale Diagnose, problemorientierte Beratung, Vermittlung von Spezialisten, Hilfeplanerstellung ...).

  • Schlüsselprozesse, die auf innerbetriebliche bzw. betriebsbezogene Ziele gerichtet sind (z.B. Verwaltungsabläufe, Dienstpläne, Erreichbarkeit von Mitarbeitern, Anmeldungen ...).

  • Schlüsselprozesse, die auf die Austauschbeziehungen mit Betroffenen, Träger, Zuschußgeber und relevanter Öffentlichkeit ausgerichtet sind (z.B. Erstellung von Jahresberichten, Informationsbroschuren, Pressearbeit ...).

Die auf Betroffene bezogenen Schlüsselprozesse sind, abgesehen von Vermittlungen und einfachen Informationen allenfalls teilweise standardisierbar, während die anderen beiden Formen teilweise oder auch ganz standardisiert, d.h. auch routinisiert werden können. Es ist anzuraten, Arbeitsabläufe soweit dies inhaltlich möglich ist, zu standardisieren. Funktionierende Arbeitsabläufe sparen nicht nur Zeit und Mißverständnisse/ Konflikte, sondern sie stellen auch die Visitenkarte nach außen dar. Zur Qualifizierung der auf die Betroffenen bezogenen Kerntätigkeiten entwickeln die MitarbeiterInnen Qualitätsstandards; sie können sich dabei mittlerweile oft auf einschlägige Vorarbeiten stützen und diese für die eigenen Verhältnisse anpassen. Es ist nachdrücklich davon abzuraten, die Erarbeitung der Schlüsselprozesse durch "Experten" am Schreibtisch vornehmen zu lassen und deren Ergebnisse den MitarbeiterInnen vorzusetzen, überzustülpen. Ist man an der Praktizierung der Arbeitsabläufe interessiert, so muß man die Praktiker dazu gewinnen, ihre Schlüsselprozesse, falls notwendig mit externer Unterstützung zu entwickeln und festzuschreiben. Als Regel gilt, die an bestimmten Schlüsselprozessen beteiligten MitarbeiterInnen in die Entwicklung der Schlüsselprozesse einzubeziehen, in manchen Fällen auch Personen, die mit ihrer Arbeit von diesen Schlüsselprozessen abhängig sind. Erarbeitung von Schlüsselprozessen durch die beteiligten MitarbeiterInnen wirkt fünffach, sie

  • drückt Anerkennung professioneller Qualifikation aus,

  • qualifiziert die Beteiligten,

  • bewirkt Identifikation, d.h. Zielbindung und Motivation,

  • erzeugt Kommunikation und durch diese implizit auch die Bearbeitung/Minderung vorhandener Spannungen und Konflikte,

  • reduziert Widerstände.

Sehr viele Einrichtungen haben sich bisher damit begnügt, geleistete Arbeit nachzuweisen und zu dokumentieren. Systematische Evaluation der Arbeitsergebnisse oder Erfolgskontrolle, auf die Gesetzgeber und Zuschußgeber mittlerweile besonderen Wert legen, wurde in einigen Arbeitsfeldern insoweit vorgenommen, als der Erfolg z.B. als Teilnahme von Personen problemlos gezählt werden konnte, ansonsten primär bei Modellprojekten durchgeführt. Die Entwicklung geeigneter Evaluationsverfahren hat in der BRD erst seit etwa 1985 Auftrieb erhalten durch M. Heiner (1986/1988; 1994/ 1996 ), später H. v. Spiegel (1993/1994) u.a., die sich vor allem der Selbstevaluation zuwandten und entsprechende Grundlagen und Techniken vorantrieben. Die in der gewerblichen Wirtschaft und andernorts übliche Fremdevaluation stößt in den Feldern der sozialen Arbeit nicht nur auf vehemente Widerstände der Sozialprofis, sondern ist auch, soll sie zuverlässige Ergebnisse erbringen, mit erheblichen methodischen Problemen und entsprechendem Aufwand verbunden. Mehrere Gründe sprechen deshalb dafür, Verfahren der Selbstevaluation voranzutreiben, mit periodischen Neujustierungen durch außenstehende Experten zu versehen und möglichst flächendeckend zu verbreiten: Selbstevaluation

  • nimmt den Sozialprofis Angst vor Fremdkontrolle,

  • bietet den Vorteil problembezogener Nähe der Ausführenden zu den aktuellen Problemen,

  • stellt, systematisch betrieben, eine der bestmöglichen Formen fachlicher Qualifizierung = Personalentwicklung dar, insbesondere für die Handhabung, Variation und Einschätzung von Methoden.

Hat eine Einrichtung ihre Ziele definiert und die darauf bezogenen Schlüsselprozesse erarbeitet, so verfügt sie über die wichtigsten Grundlagen, um einen Leistungsvertrag mit dem Zuschußgeber abzuschließen; hat sie darüber hinaus systematische Selbstevaluation unter ihren Mitarbeitern etabliert, so verfügt sie über differenziertes Legitimationswissen, das eine hervorragende Grundlage für Vertragsverhandlungen darstellt. Insbesondere Einrichtungen freier Träger werden in nächster Zukunft ihre Arbeit durch Entgelte für vertraglich vereinbarte Leistungen finanzieren und müssen sich die dazu benötigten Techniken und Wissensbestände aneignen.

Als zweite Form der Erfolgskontrolle eignet sich, jedenfalls für einige Felder sozialer Arbeit das Konzept Führung durch Zielvereinbarung. Dabei vereinbaren Vorgesetzte mit ihren MitarbeiterInnen für einen bestimmten Zeitraum Ziele. In festzulegenden Abständen wird dann darüber gesprochen, inwiefern die Ziele erreicht wurden bzw. welche Modifikationen vorgenommen werden sollen. Kontrolliert wird die Zielerreichung, die Wahl der geeigneten Methoden bleibt den MitarbeiterInnen überlassen. Das Konzept Führung durch Zielvereinbarung liefert nur wenig Materialien, die für Leistungsverträge gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Zu 3. Optimierung der Organisationsstruktur für die Durchführung der Schlüsselprozesse

Die Entwicklung der Schlüsselprozesse und darauf bezogener Verfahren der Erfolgskontrolle erlaubt nun, inhaltlich zusammengehörige Schlüsselprozesse in Aufgabenbeschreibungen für einzelne MitarbeiterInnen zusammenzufassen, mit den für diese Aufgaben notwendigen Entscheidungsbefugnissen auszustatten und die erforderlichen Kooperationsbeziehungen d.h. die Schnittstellen mit den daran Beteiligten zu regeln. Damit sind die wesentlichen Elemente der Struktur aus den Erfordernissen aufgabenorientierter Schlüsselprozesse entwickelt. Eine derartige Vorgehensweise, von den Betroffenen und ihren Problemen auszugehen, zur Abhilfe/Bewältigung Ziele und nachfolgend Schlüsselprozesse und Erfolgskontrolle, Arbeitsrollen, Entscheidungsbefugnisse d.h die Struktur zu entwickeln ist für Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe ein gangbarer Weg. Aber selbst in größeren stationären Einrichtungen z.B. der Altenhilfe mit über 700 BewohnerInnen und einer entsprechenden MitarbeiterInnenzahl kann man auf diese Weise vorgehen.

Zu 4. Fortlaufende Qualifizierung der MitarbeiterInnen

Die vorausgegangenen Ausführungen zu den Punkten 1, 2 und 3 lassen erkennen, daß die MitarbeiterInnen selbst als die entscheidenden Akteure in modernen Formen des Sozialmanagements anzusehen sind. Einerseits wird ihnen zugetraut, mit ihrem fachlichen Wissen die wichtigen Gestaltungsprozesse ihrer Arbeit selbst durchzuführen und sich dabei ständig weiter zu qualifizieren. Andererseits muß Ihnen dafür auch das erforderliche einschlägige Wissen und Handwerkszeug verfügbar gemacht werden. Dazu gehören zusätzlich zu den üblichen Fachkenntnissen:

  • finanz- und betriebswirtschaftliche Grundlagen,

  • Konzept und Vorgehensweise der Organisationsentwicklung,

  • Konzepte und Methoden der Personalentwicklung,

  • Konzepte und Vorgehensweise des Qualitätsmanagement,

  • Konzepte und Techniken der Evaluation und Selbstevaluation,

  • Führung, Konzepte und Methoden,

  • Umgang mit Konflikten,

  • Arbeits- und Gesellschaftsrecht,

  • Kenntnis von und Erfahrung mit feldbezogenen EDV- Programmen,

  • Grundlagen der Verwaltungsorganisation,

  • Formen und Techniken der Öffentlichkeitsarbeit,

  • Kommunikative Kompetenzen: das Führen von Mitarbeitergesprächen, Moderation, Agieren in Gremien, Teamarbeit.

Dieser Katalog aktueller Themen des Sozialmanagement zeigt, daß die Ansprüche an fachliche Qualifikation der Sozial- und Gesundheitsprofis sowohl erheblich gestiegen sind als auch zusätzliche, neue Akzente erhalten haben. Seit Jahren ist die Tendenz festzustellen, Personalentwicklungsprozesse im Kontext konkreter Probleme in der Einrichtung durch externe Experten durchführen zu lassen. Die Einrichtungen können damit den größt möglichen Vorteil aus Personalentwicklung ziehen.

Zu 5. Regelmäßige Kommunikation mit den Partnern der jeweils relevanten Umwelt

Die vorausgegangenen Darlegungen haben in unterschiedlichen Facetten deutlich gemacht, daß Sozialmanagement auf intensive Austauschbeziehungen mit Partnern der relevanten Umwelt angewiesen ist,

  • weil die Ziele und die anzubietenden Dienstleistungen/ Hilfen im Dialog mit NutzerInnen, Trägern, Zuschußgebern und MitarbeiterInnen entwickelt werden müssen, wenn sie dem aktuellen Bedarf gerecht werden sollen und

  • weil die dafür erforderlichen Wissensbestände, Fähigkeiten und Techniken unmöglich von den Einrichtungen selbst bereitgestellt werden können, sondern von erfahrenen Experten von außerhalb eingebracht werden müssen.

Es genügt deshalb an dieser Stelle, auf bisher noch nicht angesprochene wichtige Partner der relevanten Umwelt hinzuweisen. Dies sind:

  • die Medien, die das öffentliche Image von Einrichtungen wesentlich prägen, d.h. die örtliche Presse, gelegentlich auch das Fernsehen,

  • neue Zielgruppen, an die man sich wenden will und die "erschlossen" werden sollen,

  • zusätzliche Zuschußgeber, sei es als dauerhafte Drittmittelfinanzierung oder als einmalige oder periodische Unterstützer durch Geld, Bereitsteller oder Spender von Sachmitteln, Käufer von Reklamemöglichkeiten/Anzeigen, Vertragspartnern für bestimmte Leistungen usw.,

  • die Fachöffentlichkeit, die zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Einrichtung vitale Bedeutung hat.

5. Wer sind die Akteure beim Sozialmanagement?

Es galt bisher als Selbstverständlichkeit, daß Managementaufgaben (Zielbestimmung, Methodenwahl, Mitteleinsatz, Entscheidung, Weisung, Kontrolle, Außenvertretung ...) von Leitungspersonen und die "eigentlichen" fachlichen Kerntätigkeiten von den mehr mit Ausführung betrauten MitarbeiterInnen wahrzunehmen sind, auch wenn letztere häufig über beachtliche Handlungsspielräume verfügen konnten. Diese Arbeitsteilung - hier in der Kürze etwas schablonenhaft dargestellt - kann jedoch nicht aufrecht erhalten werden, wenn Sozialmanagement, orientiert an MitarbeiterInnen und Betroffenen, die stetige Optimierung der zielführenden Arbeitsabläufe zum Inhalt hat und dafür alle verfügbaren Konzepte, Methoden und Techniken einsetzt. Damit werden MitarbeiterInnen selbst immer mehr in Managementfunktionen einbezogen und benötigen dafür entsprechende Fortbildungen. Qualitätsmanagement mit den Beteiligten baut darauf auf, findet ohne anteilige Übernahme von Managementfunktionen durch die MitarbeiterInnen eben nicht statt. Beispielhaft:

  • In die Zielbestimmung werden nicht nur Zuschußgeber und Träger, sondern zunehmend auch NutzerInnen und MitarbeiterInnen einbezogen.

  • Bei den Schlüsselprozessen gewinnen NutzerInnen und MitarbeiterInnen noch mehr an Bedeutung:

- Wird mit dem Führungskonzept "Zielvereinbarungen" gearbeitet, so werden nur die anzustrebenden Ziele vereinbart und periodisch in Zielvereinbarungsgesprächen überprüft, die Wahl der Verfahrensweise wird den MitarbeiterInnen überlassen.

- Werden bestimmte methodische Zugänge festgelegt, so werden die MitarbeiterInnen und teilweise die NutzerInnen entscheidend an Auswahl, Prägung und bei der Erarbeitung von Qualitätsstandards und Formen der Erfolgskontrolle beteiligt.

  • Im Zuge der Budgetierung wird die Verbindung von fachlicher und Budgetverantwortung auch an die MitarbeiterInnen weitergegeben, die im Rahmen ihrer fachlichen Aufgaben Budgetverantwortung erhalten.

  • MitarbeiterInnen nehmen schon seit längerer Zeit für ihren Arbeitsbereich auch die Außenvertretung wahr. Auch diese Tendenz wird eher zunehmen.

Dementsprechend ändert sich allerdings auch das Aufgabenspektrum für Leitungspersonen: Sie

  • delegieren insbesondere bereichsspezifische Gestaltungs- und Entscheidungsfunktionen,

  • behalten letzte Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse, die jedoch eher als Vetorechte bzw. Eingreifrechte in außergewöhnlichen Situationen zu verstehen sind,

  • sie verantworten klare Zielsetzungen und deren periodische Überprüfung, indem,

  • sie Prozesse der Ziel- und Entscheidungsfindung mit den MitarbeiterInnen in Gang setzen und moderieren,

  • sie führen Zielvereinbarungsgespräche mit den MitarbeiterInnen,

  • sie koordinieren die inhaltliche Arbeit der MitarbeiterInnen, deren Dienstpläne usw.,

  • sie sorgen für Kooperation im Inneren der Einrichtung und mit anderen Einrichtungen,

  • sie sind für angemessene Konfliktbearbeitung verantwortlich,

  • sie entwickeln mit den MitarbeiterInnen aufgabenadäquate Formen der Erfolgskontrolle und handhaben diese,

  • sie organisieren den Informationsfluß in der Einrichtung,

  • sie kümmern sich um die konstruktive Bearbeitung von Konflikten,

  • sie sorgen für die aktuelle Weiterentwicklung der Einrichtung, indem sie- Organisationsentwicklung,

- Personalentwicklung,

- Qualitätsmanagement vorantreiben,

- benötigtes Expertenwissen beschaffen,

  • sie beraten die MitarbeiterInnen fachlich, und motivieren sie,

  • sie leiten Planungsprozesse ein und koordinieren sie,

  • sie tragen Verantwortung

- für das Budget, seine Verteilung,

- die Einwerbung zusätzlicher Ressourcen,

- die Finanzplanung,

- die Überwachung von Rechnungswesen und finanziellen Transaktionen,

  • sie organisieren und pflegen die Beziehungen zu bedeutenden Partnern in der Umwelt, soweit sie die Gesamtorganisation betreffen.

Fazit: Die Leitungspersonen haben auf der inhaltlichen Ebene die Funktion operativer und strategischer Controller, allerdings mit Entscheidungsfunktion und benötigen dafür Aufgeschlossenheit und schnelle Auffassungsgabe für neue Entwicklungen, ein ausgeprägtes Urteilsvermögen über die Relevanz neuer Ansätze für die eigene Arbeit sowie umfassende, fast virtuose kommunikative Fähigkeiten. Aufgrund der breiteren Verteilung der Entscheidungsbefugnisse sind sie in erheblichem Maße darauf angewiesen, sich Achtung und Respekt durch überzeugende Argumentation zu verschaffen. Dies kann jedoch nur befriedigend gelingen, wenn bei den MitarbeiterInnen die erforderliche Zielbindung besteht.

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Hans Dietrich Engelhardt

Quelle:

Hans Dietrich Engelhardt: Wozu nützt Sozialmanagement?

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 1-99

Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 25.05.2010

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