Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern - Überblick und aktueller Diskussionsstand

Autor:in - Peter Gerull
Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 1-99 Gemeinsam leben (1/1999)
Copyright: © Luchterhand 1999

Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern - Überblick und aktueller Diskussionsstand [1]

"Soziale Arbeit entwickelte sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer "Wachstumsbranche". Allein die Wohlfahrtsverbände in Deutschland geben für Personal mehr Geld aus als die gesamte chemische Industrie ... Soziale Dienstleistungen werden jedoch oft in Strukturen und unter Organisationsbedingungen erbracht, die den Erfordernissen einer modernen Dienstleistungsgesellschaft hinterherhinken und nicht das Niveau zukunftsweisender Managementkonzepte erreichen ..."

So heißt es im Vorwort zum "Handbuch soziale Dienstleistungen", herausgegeben 1997 von Hauser, Neubarth und Obermair. Hinter allen Beiträgen des Buches steht die Grundeinsicht, daß eine maßvolle und bedachte Ökonomisierung der Sozialen Arbeit möglich und notwendig ist (a.a.O.).

Ähnliche Ausführungen finden sich in vielen Aufsätzen zum Management in sozialen Einrichtungen und Diensten. Ungeachtet aller fachlichen Innovationen, auf welche die Praxis mit einigem Stolz verweist, wird selbstkritisch zugestanden, daß man sich in finanziell üppigeren Zeiten vielerorts zu wenig um die verständliche Außendarstellung eigener Leistungen gekümmert habe, daß zu oft nur die Hand aufgehalten worden sei und stets die Interessen der Einrichtungen im Vordergrund standen. Neben der wohlklingenden Programmatik in Konzepten und Prospekten sei in der Tat zu wenig unternommen worden, die Qualität der Angebote, die Notwendigkeit der entstehenden Kosten sowie den Nutzen für Adressaten und Gesellschaft hinreichend transparent zu machen.

Während das böse Wort vom funktionellen Dilettantismus der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege die Runde machte, begann der Import verheißungsvoller Konzepte aus der Welt erfolgreicher Wirtschaftsunternehmen zu boomen: Corporate Identity, Controlling, Business Excellence, Total Quality Management, Benchmarking, ISO 9000 u. v. m.. Einhergehend mit sozialpolitischen Forderungen nach mehr Transparenz, Effizienz und Zielwirksamkeit (Effektivität), entwickelte sich ein lukrativer Nonprofit-Markt für Unternehmensberater/-innen, die - aller Ressourcenknappheit und negativem Image der Branche zum Trotze - regen Zuspruch finden, um die verunsicherten neuen Kunden in den Leitungsetagen sozialer Einrichtungen mit ihrem (notfalls rasch angelesenen) Expertenwissen zu unterstützen.

Die zentrale Botschaft der selbstkritischen und geläuterten Praktiker/-innen heißt nunmehr: Laßt uns in der Sozialen Arbeit die Chancen nutzen, die in der stärkeren Orientierung an betriebswirtschaftlichen Ansätzen und Dienstleistungsmodellen liegen. Laßt uns fachlich offensiv mit den Herausforderungen umgehen, die sich vor allem mit dem Zauberwort Qualitätsmanagement verknüpfen, damit das Feld nicht den Technokraten unter den Neuen Steuerern überlassen bleibt. Laßt uns unsere Hausaufgaben besser machen bzw. das, was wir ja eigentlich immer schon gut machen, professioneller darstellen. Es bleibt uns ohnehin nichts anderes übrig, als mit den "Qualitäts-Wölfen" zu heulen. Denn der Gesetzgeber fordert ab 1.1.1999 ausdrücklich, Vereinbarungen mit den Trägern abzuschließen, die Inhalt, Umfang und Qualität des Leistungsangebots festlegen und Grundsätze der Wirtschaftlichkeit betonen. Und gegen mehr Qualität könne doch kein vernünftiger Mensch etwas einwenden.

"Vorsicht!" warnen skeptische bis ablehnende Stimmen. Natürlich sei es notwendig und ehrenwert, Qualität auch in der Sozialen Arbeit zu verbessern; doch wird die Ökonomie als falsche Hoffnungsträgerin entlarvt, wird von des Kaisers neuen Kleidern gesprochen, von der naiven Managementfasziniertheit einer an strukturellem Technologiedefizit und Halbprofessionalität leidenden Branche. Unverhohlen wird bezweifelt, ob das "Vorbild Wirtschaft" tatsächlich die Menschen meine, wenn es Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit propagiert, statt buchstäblich nur das "Humankapital" im Auge zu haben. Da wird die ganze Richtung der Debatte für falsch gehalten, weil angeblich mehr als 300 Mrd. DM an Steuern pro Jahr hinterzogen werden, während man den Mißbrauch von einem Hundertstel skandalisiere. Und manche tun die Diskussion um Qualität als aufgeblähte modische Zeiterscheinung ab, die alsbald von neuen Themen und Moden abgelöst werde.

Ein Blick auf die Hintergründe der Qualitätsdiskussion mag verdeutlichen, daß es sich um mehr als eine flüchtige Modeerscheinung handeln dürfte und sehr handfeste Ursachen und vernünftige Ziele dahinterstecken. Mit dieser Bemerkung soll jedoch nicht präjudiziert werden, ob überhaupt, in welchem Umfange und mittels welcher Methoden ein Qualitätsmanagement dazu beitragen kann, dem nötigen Innovationsbedarf inhaltlich gerecht zu werden, ohne lediglich Strohfeuereffekte zu erzielen. Zunächst bleibt nur nüchtern festzuhalten, daß sich die Zeiten geändert haben und neue Anforderungen an die Soziale Arbeit gestellt werden. Und dabei spielt das gesamtgesellschaftlich hochaktuelle Thema der Qualität und ihres zweckmäßigen Managements eine bedeutende Rolle.



[1] Geringfügig geänderter Einführungsbeitrag aus Gerull, P.: Qualitätsentwicklung und -bewertung in der Sozialen Arbeit. Systematische Ansätze und Verfahren. EREV-Schriftenreihe 4/1998 mit freundl. Genehmigung von Autor und Verlag.

Hintergründe der Qualitätsoffensive

(Übersicht 1)

in Industrie und Handel/gewinnorientierter Wirtschaft

(Profit-Organisationen):

  • Wachsende Qualitätsansprüche der Verbraucher: Fehler werden nicht mehr ohne weiteres akzeptiert, Kosten für Ausschuß, Nachbesserung und Gewährleistung belasten die Geschäftsergebnisse

  • Kostensenkung: frühzeitige Fehlererkennung und -vermeidung, beherrschte Geschäftsprozesse, kontinuierliche Verbesserung, verschlankte Organisation

  • Kundenforderungen nach Gütesiegeln: vertraglich vereinbarte und von neutraler Stelle zu bestätigende Qualitätsfähigkeit von Lieferanten zur Vertrauensbildung (Zertifizierung)

  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit: Qualität als Erfolgsfaktor im Wettbewerb um Kundenloyalität

  • Abwehr von Haftungsansprüchen: Nachweis systematischer Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Zusammenhang mit dem Produkthaftungsgesetz

in der Sozialen Arbeit/Nonprofit-Organisationen:

  • Rezessionsbedingte Krise der öffentlichen Haushalte: Umbau/Abbau sozialstaatlicher Leistungen, Legitimationsdruck auf Leistungsanbieter (Kosten-Nutzen-Verhältnis, Transparenz)

  • Reorganisation der öffentlichen Verwaltung: Neue Steuerungsmodelle, betriebswirtschaftliche Methoden und Denkansätze als Hoffnungsträger für die Konsolidierung der Haushalte und die Modernisierung der Gesellschaft

  • Stärkung der Position der Sozialleistungsträger: gegenüber den leistungserbringenden Einrichtungen und Diensten durch gesetzliche Anforderungen an Qualitätssicherung, Wirtschaftlichkeit, Zielwirksamkeit und Transparenz

  • Verstärkter Wettbewerb: zwischen den Leistungsanbietern durch Öffnung der Märkte, Outcontracting, Expansion privatgewerblicher Betriebe

  • Professionalisierung: fachliche Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit und ihres Managements, Anwendung betriebswirtschaftlicher Verfahren zur Organisations- und Prozeßoptimierung, Evaluation

  • Gesellschaftlicher Paradigmenwechsel: Individualisierung, Demokratisierung, Abflachung von Hierarchien, Beteiligung, Dienstleistungs-/Kundenorientierung, Niederschlag in KJHG und Bundesjugendberichten

In der Wirtschaft wird Dienstleistungsqualität als entscheidender Erfolgsfaktor im Wettbewerb der Zukunft angesehen. Wo Produkte sich qualitativ immer ähnlicher werden, gewinnt das "Drumherum" der Leistung zunehmend Bedeutung. Auf diese Entwicklung hat sich die Ökonomie seit Jahren eingestellt. Viel Energie wurde aufgewendet, das Qualitätsthema sozusagen ingenieurmäßig abzuarbeiten: Eine neue Fachsprache entstand, Modelle und Werkzeuge wurden entwickelt, Lehrstühle und Studiengänge eingerichtet. Normensysteme wie ISO 9000 eroberten den Markt und förderten den Bedarf an spezifischer Beratung; das Geschäft mit der Qualität gedieh zur Wachstumsbranche.

Spätestens seit die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) ihre Vorschläge zur Neuen Steuerung (1993) unterbreitet und die Jugendhilfe (1994) exemplarisch in den kritischen Blick genommen hat, beschäftigt das Thema in steigendem Maße auch die Einrichtungen und Dienste der Sozialen Arbeit. Qualitätssicherungsanforderungen im Gesundheitsbereich waren zu diesem Zeitpunkt bereits gang und gäbe (Gesundheitsstruktur- und Pflegeversicherungsgesetz), und Bemühungen des Gesetzgebers, die sozialrechtlichen Bestimmungen auch in der Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe entsprechend zu ändern, warfen ihre Schatten voraus. Die Zahl einschlägiger Veröffentlichungen wächst seither rasant. Wer in sozialen Einrichtungen und Diensten Verantwortung wahrnimmt und fachlich auf der Höhe bleiben will, ist "auch ohne Kunden sehr beschäftigt" (Struck, 1998).

Eine jüngst durchgeführte Fragebogenerhebung in der Kinder- und Jugendhilfe, an der sich 123 Mitgliedseinrichtungen des Evangelischen Erziehungsverbandes (EREV) beteiligten, zeigte allerdings, daß vor allem die größeren Leistungsanbieter bislang gewillt und in der Lage sind, sich intensiv mit Qualitätsmanagement zu befassen (Gerull, 1998). Dabei ist es eine kleine Minderheit, die sich der ISO-Norm bedient hat oder bedienen will; viele Einrichtungen liegen noch in den letzten Zügen ihrer Leistungsbeschreibungen und planen erst konkrete Schritte, sich ein einrichtungsintern passendes Konzept zu erarbeiten, ohne sich allzusehr von Verheißungen der zumeist ohne sozialpädagogische Feldkompetenz auftretenden QM-Propagandisten beeindrucken zu lassen. Aufgeschlossenheit gegenüber den Zielen und Methoden des Qualitätsmanagements, Zurückhaltung gegenüber den Angeboten der Qualitäts-"Vermarkter" - so könnte man die mehrheitliche Haltung der Praktiker/-innen zusammenfassen.

Ohnehin ist den fachlichen Akteuren bewußt, daß sie die Qualitätsdiskussion in der Sozialen Arbeit nicht schamhaft bei Null beginnen müssen. Und unkritisch Konzepte aus der Wirtschaft zu importieren, um nun endlich forciert Qualität im Sozialbereich zu schaffen, hieße die bestehende Qualitätskultur sozialer Einrichtungen und Dienste zu verkennen und ihr durch hektischen Aktionismus mehr zu schaden als zu nützen. Vieles von dem, was Wirtschaft und öffentliche Verwaltung für sich neu entdeckt haben, stammt aus dem Fundus der Sozialen Arbeit und entspricht deren Leitbildern (methodische Praxisreflexion, Eigenverantwortung der Mitarbeiter/-innen, Ganzheitlichkeit der Organisationsentwicklung etc.). Auch wenn der Begriff "Qualität" bis Anfang der Neunzigerjahre tatsächlich kaum explizit auftauchte, so ist doch die Auseinandersetzung mit Fragen hoher Professionalität und um angemessene fachliche Standards keine Erfindung des Qualitätsmanagements.

Andererseits: Qualität wurde früher zumeist nur aus Binnensicht der Einrichtungen bzw. deren Auffassung von Fachlichkeit betrachtet. Ob diese Perspektive vollständig oder den Erwartungen und Bedürfnissen der übrigen Verfahrensbetroffenen gerecht wurde, blieb vielfach unthematisiert oder zumindest unverbindlich. Insgesamt ermangelte es der Jugendhilfe an einem bündigen Konzept, die vereinzelten Anstrengungen um strukturelle und inhaltliche Verbesserungen in einen organischen Zusammenhang zu bringen und dadurch die vorhandenen Ressourcen besser auszuschöpfen. Und hier schlägt - wenn man so will - die Stunde der Qualitätsmanagement-Systeme.

Die folgende Übersicht soll stichwortartig veranschaulichen, welche mehr oder weniger elaborierten Bemühungen, die Qualität der Einrichtungen und Dienste zu verbessern, seit den Achtzigerjahren im Schwange sind:

Überblick über bisherige Ansätze zur Qualitätsentwicklung und -sicherung (Qualitätsmanagement) in der Sozialen Arbeit

(Übersicht 2)

  • "QM Marke Eigenbau"

Ohne Bezugnahme auf ein spezifisches Label (Management, Qualität etc.) durchgeführte Maßnahmen zur Sicherung und Verbesserung von Fachlichkeit (Besprechungs- und Berichtswesen, Dienstanweisungen, Supervision, Fallkonferenzen, Fortbildungen etc.)

  • "QM" durch Evaluation, Selbstevaluation, Praxisforschung und Controlling

Punktuelle, empirisch gestützte Maßnahmen zur Auswertung fachlicher Praxis (Betreuungsverläufe, Klientenmerkmale, Belegungsschwerpunkte etc.) und betrieblicher Daten (Krankenstand, Fluktuation, Qualifikationen etc.)

  • "QM" durch Sozialmanagement, Organisations- und Personalentwicklung

Maßnahmen zur Sicherung und Verbesserung von Fachlichkeit, Image etc. durch Bezugnahme auf Konzepte des Sozialmanagements, der Organisations- und Personalentwicklung

  • QM in Anlehnung an die Normen der ISO 9000-Familie

Analyse der "Geschäftsprozesse", Erarbeitung eines QM-Handbuches und Strukturierung der betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation nach den Maßgaben der Bezugsnorm (mit und ohne Zertifizierung)

  • QM durch Orientierung an Zielen und Standards der Konzept-, Struktur-, Prozeß- und Ergebnisqualität

Zielorientierte Entwicklung von Qualitätskriterien auf verschiedenen qualitativen Ebenen und Festlegung/Aushandlung von Standards, deren Einhaltung intern und/oder extern kontrolliert wird

  • QM im Sinne Umfassenden Qualitätsmanagements (Total Quality Management) Aufbau eines QM-Systems (z. B. nach EFQM) unter Beteiligung der Mitarbeiterschaft auf allen betrieblichen Ebenen und Einbeziehung der Kunden- bzw. Außenperspektive

  • QM durch einrichtungsindividuelle Mischformen verschiedener Ansätze

Zur Frage, was denn an der Diskussion um Qualität eigentlich neu sei, außer, daß eine neue "Expertokratie" zu entstehen drohe, seien einige Autoren aus Forschung und Lehre zitiert:

  • Neu ist die Herausforderung, fachliche Standards und pädagogische Prozesse durch operationalisierte Kriterien und durch Verfahren bewertbar zu machen (Merchel, 1998).

  • Neu ist, daß " ... "Soziales" ... nicht mehr voraussetzungslos als etwas Schätzenswertes angenommen (wird), sondern ... sich als gewichtiger Faktor konsumtiver Kosten durch Wirksamkeit und Effizienz legitimieren (muß)" (a.a.O.).

  • Neu ist, daß die Qualitätsfrage die Organisationsformen sozialer Arbeit miteinbezieht und den Erfolg bei Marktpartnern zu einem wesentlichen Qualitätsmaßstab macht (Müller, 1998).

  • Die Regeln und Wissensbestände professioneller Selbstkontrolle hatten bisher keine hinreichende Verbindlichkeit. Der Anspruch, Qualität von Dienstleistungen verläßlich, kompetent, einfühlsam usw. zu erbringen, blieb praktisch und institutionell ungesichert (a.a.O.).

  • Neu ist der Anspruch, die Qualität des Leistungsangebotes durch empirische Messungen transparent zu machen und sie, unter Berücksichtigung aller relevanten Einflußfaktoren, systematisch zu steuern, zu kontrollieren und zu verbessern (Holländer und Schmidt, 1997).

  • Die Debatte zwingt die Soziale Arbeit dazu, sich mit ihren organisatorischen Strukturen und Handlungsformen auseinanderzusetzen. Die geforderte Transparenz dessen, was geschieht, und die methodische Reflexion der Arbeit eröffnen potentielle Professionalisierungsgewinne (versch. Autoren).

Neben der größeren Verbindlichkeit und Transparenz sind es Attribute wie "gesamthaft", "systemisch", "systematisch", "empirisch gestützt", "permanent", die ein Qualitätsmanagement sozialer Einrichtungen und Dienste auszeichnen sollen, das den Namen verdient. Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit zu betreiben, heißt deshalb vor allem:

  • Defizite in den organisatorischen Strukturen und im Umgang mit Geldfragen abzuarbeiten;

  • mehr Transparenz und Verbindlichkeit in den fachlichen Ansprüchen und praktischen Verfahrensab-läufen herzustellen;

  • die Intentionen des KJHG und die Strukturmaximen des (u. a.) 8. Bundesjugendberichts zielstrebiger umzusetzen;

  • Prozesse und Ergebnisse professioneller auszuwerten, zu dokumentieren und darzustellen;

  • die Aspekte "guter Arbeit" (im Sinne fachlicher "Regeln der Kunst") und "guter Dienste" (im Sinne von Kundenorientierung und Adressatennutzen) konsequenter zu integrieren und

  • sich in die sozialpolitischen Gestaltungsprozesse aktiver und selbstbewußter einzumischen.

Die in der Kinder- und Jugendhilfe mit Spannung erwarteten länderspezifischen Vorgaben zur Qualitätsentwicklung scheinen übrigens die Spruchweisheit zu bestätigen, daß nichts so heiß gegessen wie gekocht wird - so jedenfalls der Eindruck des Berichterstatters nach Lektüre der meisten Entwürfe von Rahmenverträgen nach § 78 f KJHG. Offensichtlich hat man in den Verhandlungen gemerkt, daß Qualitätsverbesserungen, die über Darstellungskosmetik hinausgehen, Geld kosten.

Es sind im wesentlichen folgende Qualitätselemente bzw. Anforderungen, die in den bislang vorliegenden Entwürfen zu Rahmenverträgen angesprochen werden (wenn auch in unterschiedlichem Umfang und Wortlaut):

Anforderungen an die künftige Qualitätsdarlegung sozialer Einrichtungen und Dienste (hier: Jugendhilfeeinrichtungen)

(Übersicht 3)

  • Leistungs-/Produktbeschreibungen

  • Qualitätsleitbild und Qualitätsstandards

  • Qualitätsentwicklungskonzeption (Personal- und Organisationsentwicklung)

  • Ggf. Qualitäts-Handbuch

  • Ggf. Qualitätsbeauftragte/r

  • Ggf. jährlicher Qualitätsbericht

  • Bedarfsgerechte betriebliche Infrastruktur

  • Bedarfsgerechtes Kommunikationswesen

  • Bedarfsgerechtes Dokumentationssystem

  • Umsetzung der Hilfeplanung

  • Orientierung an Bedürfnissen und legitimen Erwartungen der Nutzer/Kunden/Klienten/-innen

  • Gewährleistung ausreichender Beteiligung der Betroffenen

  • Schulung der Mitarbeiter/-innen, Fortbildung, Supervision

  • Kooperation mit anderen Einrichtungen, Vernetzung der Leistungsangebote

  • Controlling, Evaluation/Selbstevaluation

  • Ggf. Qualitätszirkel

  • Ggf. innerverbandliche Selbstkontrolle, externe Kontrolle bei konkreten Anhaltspunkten, Testierung

Vieles davon ist in guten Einrichtungen bereits vorhanden und bedarf lediglich der systematischen Aufbereitung.

Ein Blick in die folgende Tafel mag abschließend verdeutlichen, daß eine allzu gründliche Befassung mit Qualität ab einem bestimmten Punkt in "Qualitätsterror" ausarten muß. Eine Beschränkung auf wesentliche Schlüsselstellen im Leistungsprozeß, bei der räumlich-sächlichen Ausstattung, bei der Dokumentation von Ergebnissen usw. ist unerläßlich. Sonst bleibt vor lauter qualitätsentwickelnden und -sichernden Maßnahmen und Prüfverfahren kein Platz mehr für die eigentliche Dienstleistung, deren Verbesserung im weitesten Sinne ja den Zweck des Unterfangens ausmachen soll.

Woran kann man Qualität erkennen (Kriterien)? Was kann man tun, um Qualität zu entwickeln (Maßnahmen)?

(Übersicht 4)

  • Betriebsbezogene Kriterien und Maßnahmen

die Strukturqualitätbetreffend: Gebäudezustand, Ausstattung, Ressourcen, Leitbild, Konzeption, Leistungsbeschreibung, Aufbau- und Ablauforganisation, Führungssystem, EDV-Einsatz, Finanz-, Personal- und Klientenmarketing (Sponsoring, Imageentwicklung, Zielgruppenorientierung etc.), strategische Allianzen, ...

die Prozeßqualität betreffend: Leitbildentwicklung, Umsetzung der Konzeption, Dienstleistungsorientierung, Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß, Informations- und Kommunikationskultur, Personalentwicklung, Führungsstil, Vorschlags- und Beschwerdemanagement, Professionalität, Dienst- und Fachaufsicht, Kooperation, ...

die Ergebnisqualität betreffend: Wirtschaftlichkeit, Mitarbeiterzufriedenheit, Zielerreichungsgrad, Arbeitsmotivation, Image, Konkurrenzfähigkeit, Auslastung, Arbeitsplatzsicherheit, Marktposition, Geschäftsergebnisse, ...

  • Mitarbeiterbezogene Kriterien und Maßnahmen

die Strukturqualität betreffend: Personalschlüssel, Mitbestimmung, Arbeitsplatzausstattung, Personalentwicklungskonzept, Betriebsvereinbarungen, Dienstanweisungen, Stellenbeschreibungen, Aufstiegs-chancen, Vergütungsstruktur, Beteiligungsformen, Bildungsbedarfsermittlung, Personalrekrutierung und -freisetzung, ..die Prozeßqualität betreffend: Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Reflexionsprozesse, Beteiligung, Kommunikationswesen, Interaktions-Netzwerk, Teamoptimierung, Karriereplanung, Einarbeitung neuer Mitarbeiter/-innen, Coaching, Supervision, ..

die Ergebnisqualität betreffend: Mitarbeiterzufriedenheit, Betriebstreue, Fluktuationsniveau, Ausfall-quote, Engagement, Belastbarkeit, Betriebsklima, Qualifikationsniveau, fachliches Selbstvertrauen, Kompetenz, Berufserfahrung, ...

  • Kundenbezogene Kriterien und Maßnahmen

  • die Strukturqualität betreffend: Lebensweltorientierung, Verkehrsanbindung, Zugänglichkeit, Infor-mationen über die Einrichtung, Beteiligungsformen, Gästeservice, Dokumentationsverfahren, Berichtswesen, ...

die Prozeßqualität betreffend: Hilfeplanung und -fortschreibung, Erziehungsplanung, pädagogische Interventionen, Alltagsgestaltung, Betriebsklima, Umgangsformen, Erziehungsstil, Kooperation, Besuchs-, Beurlaubungs- und Entlassungspraxis, ...

die Ergebnisqualität betreffend: Effektivität (Erreichung der Hilfeplanziele), Kundenzufriedenheit, Akzeptanz, Ansehen, Weiterempfehlungen, Kontakte zu Ehemaligen, ...

Mit und ohne Blick auf die demnächst abzuschließenden Qualitätsentwicklungsvereinbarungen sind deshalb von den Einrichtungen und Diensten wichtige Entscheidungen zu treffen und zu begründen. Z. B.: Welche Qualitäten streben wir hauptsächlich an?Woran können wir diese jeweils erkennen?Was wollen wir regelmäßig tun, um sie zu bewerten? Welche Konsequenzen wollen wir aus den Bewertungen ableiten? Wie und wem wollen wir darüber berichten?

Bezug nehmend auf das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen, muß es im Rahmen bundes- und landesgesetzlicher Vorgaben möglich bleiben, daß die leistungserbringenden Organisationen auf diese und weitere Fragen zwar hinreichend verbindliche, jedoch sehr unterschiedliche Antworten geben können.

Literatur

GERULL, P.: Qualitätsmanagement in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Einführung und praktische Anregungen für Fach- und Führungskräfte der Kinder- und Jugendhilfe. EREV-Schriftenreihe 3/1997.

GERULL, P.: Qualitätsmanagement in der Praxis der Erziehungshilfe. Auswertungsbericht über die Fragebogenaktion zur Qualitätsentwicklung in den EREV-Mitgliedseinrichtungen (August 1998). In: Evangelische Jugendhilfe 5/1998.

HAUSER, A./NEUBARTH, R./OBERMAIR, W. (Hrsg.): Management-Praxis. Handbuch soziale Dienstleistungen. Luchterhand, Neuwied/ Kriftel/Berlin 1997.

HOLLäNDER, A./SCHMIDT, M. H.: Qualitätsbeurteilung in der Jugendhilfe: Methodenentwicklung zur Erfassung der Strukturqualität. In: Kindheit und Entwicklung 1/1997, S. 3-9.

MERCHEL, J.: Einführung: Die Qualitätsdebatte - ein erfolgversprechender Qualifizierungsimpuls für die Jugendhilfe? In: MERCHEL, J. (Hrsg.): Qualität in der Jugendhilfe. Kriterien und Bewertungsmöglichkeiten. Votum, Münster 1998.

MERCHEL, J.: Zwischen Effizienzsteigerung, fachlicher Weiterentwicklung und Technokratisierung: Zum sozialpolitischen und fachpolitischen Kontext der Qualitätsdebatte in der Jugendhilfe. In: MERCHEL, J. (Hrsg.): Qualität in der Jugendhilfe. Kriterien und Bewertungsmöglichkeiten. Votum, Münster 1998.

MüLLER, B.: Probleme der Qualitätsdiskussion in sozialpädagogischen Handlungsfeldern. In: MERCHEL, J. (Hrsg.): Qualität in der Jugendhilfe. Kriterien und Bewertungsmöglichkeiten. Votum, Münster 1998.

STRUCK, N.: Qualität und Qualitätssicherung. Ansätze im Paritätischen Wohlfahrtsverband. In: Blätter der Wohlfahrtspflege 11+12/1998, S. 245-247.

Autor

Peter Gerull,

Falkenweg 9, 31840 Hessisch Oldendorf

Quelle:

Peter Gerull: Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern - Überblick und aktueller Diskussionsstand

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 1-99

Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 1999

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Stand: 17.05.2010

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