Jahrestagung der IntegrationsforscherInnen 1999 in Waldheim

Arbeitsgruppe: Berufliche, nach- und außerschulische Integration

Autor:in - Antje Ginnold
Themenbereiche: I-Tagung
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Moderation: Antje Ginnold
Copyright: © bei den Arbeitsgruppen 1999

Einleitung

Die Arbeitsgruppen "Berufliche Integration" sowie "Nach- und außerschulische Integration" wurden zusammengelegt. Teilgenommen haben: Jutta Blin (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen Zittau/Görlitz (FH)), Ines Boban (Hamburg), Anke Brants (Verein Eltern beraten Eltern/Berlin), Reinhard Burtscher (Universität Innsbruck, BIDOK), Romy Dietze (Projekt "Integration 2000"/Sachsen), Antje Ginnold (Berlin), Jürgen Görner (Projekt "Integration 2000"/Sachsen), Marion Laege-Schneider (Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung - BIL), Bettina Lindmeier (Würzburg), Reinhard Markowetz (Pädagogische Hochschule Heidelberg), Mathilde Niehaus (Universität Oldenburg/Wien), Wolfgang Podlesch (BIL/Berlin), Thomas Richter (Lebenshilfe/Sachsen), Marion Sigot (Universität Klagenfurt), Rick Skelton (Bildungsclub/Zürich), Wolfgang Spähn (LAG Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen/Rheinland-Pfalz), Susanne Weiss (Universität Salzburg)

Auf Grund der verkürzten Zeit entschied die Arbeitsgruppe, nur einen Teil der vorbereiteten Inputs zu hören und zu erörtern. Außerdem sollten sowohl Aspekte der beruflichen Integration als auch der Integration in anderen Lebensbereichen, wie Freizeit, Bildung und Wohnen, in die Diskussionen einfließen. Als Rahmen bot die Moderatorin vier Fragen an:

  • Wie ist der aktuelle Stand?

  • Was sind unsere Zukunftsvisionen?

  • Was sind die nächsten Schritte dahin?

  • Wo sollte Forschung arbeiten bzw. begleiten?

Im Anschluss an die Plenumssitzung bestand in Bezug auf das Projekt "Integration 2000" zur beruflichen Integration in Sachsen noch großer Bedarf nach Nachfragen. Danach entwickelte sich eine rege Diskussion mit folgenden Schwerpunkten:

Berufliche Integration und "ArbeitsLEBEN"

Das Projekt "Integration 2000" in Sachsen bietet die Möglichkeit, als Modell für die Sekundarstufe II für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten weiter entwickelt zu werden. So wäre - wie schon in Hamburg - Vorbereitung und Qualifizierung für eine Arbeit praxisnah, an den Interessen der Jugendlichen orientiert und in einer Realsituation mit echter Verantwortung zu gestalten. Jugendliche mit und ohne Behinderungen sollten die Chance zum Voneinander-Lernen erhalten. Zudem könnte man in mehreren Ländern durch die Einrichtung eines ambulanten Arbeitstrainings, wie es in Hamburg praktiziert wird, ein weiteres Angebot schaffen. In diesem Zusammenhang sind gerade auch für Menschen mit schweren Behinderungen sinnstiftende Arbeiten zu finden bzw. zu "erfinden", damit sie nicht von den Bemühungen um berufliche Integration ausgeschlossen werden. Es entstand hierbei die Diskussion um eine neue, weite Definition des Begriffes Arbeit, die dem Verständnis von "ArbeitsLEBEN" (Reinhard Burtscher) gerecht wird. Es wurde außerdem festgestellt, dass bereits der Aufenthalt von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Raum als eine Form der (sozialen) Arbeit zu betrachten sei. Ines Boban führte das Beispiel von Emily an, die durch ihre Anwesenheit und ihr So-Sein die Theaterarbeit in dem Maße beeinflusste, dass eine neue Theaterkultur entstand.

Reform der Sondereinrichtungen?

Eine kontroverse Diskussion rankte sich um die Frage, ob man Reformbemühungen der klassischen Einrichtungen der Rehabilitation unterstützen sollte oder nicht. Können und sollen desintegrative Einrichtungen integrativer gestaltet werden? Die Meinungen waren sehr gespalten. Während einige dieses Bemühen ablehnten und lieber neue integrative Projekte initiieren wollten, sprachen sich andere dafür aus, weil eine flächendeckende Integration in diesem Bereich nicht so schnell realisierbar sei. Sie plädierten dafür, Innovationen auf allen Ebenen in Gang zu setzen - so auch in den Sondereinrichtungen. Dabei forderte beispielsweise Reinhard Markowetz innovative Veränderungen der Strukturen in den Werkstätten für Behinderte ein, um auch Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen eine Arbeit und nicht nur Betreuung zu bieten. Jutta Blin unterstützte dies und meinte, die Werkstatt für Behinderte müsste sich auf ihren Integrationsauftrag zurückbesinnen (verankert in der Werkstättenverordnung) und sich dementsprechend verändern sowie um die Integration ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bemühen. Außerdem sollten die entstehenden Strukturen in den neuen Bundesländern in Richtung einer Öffnung der Institutionen gesteuert werden.

Fazit

Resümierend konnte am Ende des ersten Arbeitsgruppentreffens festgehalten werden: Im Bereich der beruflichen Integration müssen unterschiedliche Träger bei der Entwicklung neuer Projekte eng zusammenarbeiten. Es sollte ein Netzwerk einschließlich der Werkstätten für Behinderte und anderer Sonderinstitutionen aufgebaut werden. Integration in der Arbeitswelt braucht viele, z. T. auch kleine Schritte. Integration ist immer als Prozess zu verstehen. Eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit erscheint notwendig.

Während des zweiten Arbeitsgruppentreffens wurden drei Inputs vorgestellt: Susanne Weiss zur Evaluation von Arbeitsassistenz, Mathilde Niehaus über Konzepte der beruflichen Integration und Rick Skelton über den Bildungsclub in Zürich als Angebot zur integrativen Erwachsenenbildung.

Evaluation von Arbeitsassistenz

Es gibt in Österreich in jedem Bundesland eine Arbeitsassistenz, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Zielgruppen und Qualitäten. Dies entspricht in etwa der Situation der Integrationsfachdienste in der Bundesrepublik Deutschland. Die Qualität von Arbeitsassistenz hängt von verschiedenen Faktoren ab, da viele an der Arbeit und am Erfolg beteiligt sind (die Klientin bzw. der Klient, die Institution, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie weitere Faktoren). Gerade deshalb ist festzustellen, dass es nicht DIE Qualität von Arbeitsassistenz gibt. Es geht in der Praxis mehr um Case-Management, um die Suche nach individuellen Lösungen. Dabei ist wichtig, dass nicht die Quantität, sondern eben die Qualität im Vordergrund steht. Gerade zur Qualitätssicherung von Arbeitsassistenzen ist eine wissenschaftliche Begleitforschung wünschenswert. Bei der Definition von Arbeitsassistenz wäre eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln im "supported employment" sehr notwendig, um den inzwischen sehr verwaschenen Begriff wieder zu schärfen. Für eine erfolgreiche Praxis sind die Neigungen und Interessen des Menschen mit Behinderung und die der Arbeitsassistentin bzw. des Arbeitsassistenten zu vereinigen. So müssen eigentlich zwei Jobs geschaffen werden. Gerade im Hinblick auf die Finanzierung von Arbeitsassistenzen oder Integrationsfachdiensten ist zu beachten, dass berufliche Integration ein Prozess ist, der kontinuierlich immer wieder den Kontakt des Menschen mit Behinderung zu der unterstützenden Institution notwendig macht. Hier müssen solche Dienste den Werkstätten für Behinderte gleichgestellt werden, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen ein Leben lang den Anspruch auf Unterstützung haben.

Konzepte beruflicher Integration, Rehabilitation, Re-Integration

Der überwiegende Teil der Menschen benötigt die berufliche Integration erst später im Berufsleben. Dies trifft insbesondere auf Menschen zu, die durch Unfall oder Krankheit ihren ursprünglich erlernten Beruf nicht mehr ausüben können. Bisher standen für die Umschulung und erneute Qualifizierung Berufsförderungswerke zur Verfügung. Deren Angebote waren oft realitätsfern und orientierten sich nicht an der Klientel. Es war und ist zu beobachten, dass das strukturelle Angebot des jeweiligen Berufsförderungswerkes seine darauf abgestimmte Zielgruppe hervorbringt. So sind Frauen dort deutlich unterrepräsentiert. Mathilde Niehaus berichtet weiterhin davon, dass das Arbeitsamt in Deutschland angewiesen ist, zunehmend die Erst- und Zweitausbildung im Betrieb zu fördern. Dies führt auch zu strukturellen Veränderung in den Berufsförderungswerken. Diese Institutionen beginnen sich beispielsweise auch für Menschen mit schweren Behinderungen durch das Schaffen neuer Angebote zu öffnen. Es findet ein Umschichtungsprozess der Klientel statt. Die Konkurrenz auf dem Reha-Markt nimmt zu. Die Diskussion vom Vortag aufgreifend wird festgestellt, dass die Veränderungen der Strukturen in den Berufsförderungswerken und den Werkstätten für Behinderte in Bezug auf das Einlösen ihres qualitativen und integrativen Anspruches (berufliche Qualifikation, Job-Vermittlung und Nachbetreuung) zu beobachten sind. Sollten diese Maßnahmen jedoch eher dem Erhalt der eigenen Institution als der beruflichen Integration ihrer Klientel dienen, so sind Umschichtungen der entsprechenden Gelder zum Aufbau integrativer Alternativprojekte von der Politik zu fordern.

Bildungsclub

Erwachsenenbildung ist für alle Menschen, auch für Menschen mit geistiger Behinderung ein sehr wichtiger Bereich. Für den Bildungsclub in Zürich ist keine klare Trennung zur beruflichen Weiterbildung, jedoch ein Schwerpunkt in der Persönlichkeitsbildung auszumachen. Wesentliche Prinzipien sind Freiwilligkeit des Kommens und Selbstbestimmung. Sie bieten segregierte, gemeinsame und integrierte Kurse für Menschen mit und ohne Behinderungen an. Die Erfahrung, dass die Kursleiterin bzw. der Kursleiter die zentrale Rolle für das Gelingen eines Kurses spielt, deckt sich mit den Erfahrungen in anderen Bereichen der Integration. Neben dem Bereich der Bildung sind die Freizeit- und vor allem die Wohnsituation von Menschen mit geistiger Behinderung in der Zukunft zu verbessern.

Ausblick[1]

Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe wünschen sich, dass die berufliche und soziale Integration von erwachsenen und alten Menschen mit Behinderungen insgesamt einen größeren Stellenwert im Rahmen der Tagung erhält sowie entsprechende Forscherinnen und Forscher angesprochen und eingeladen werden.

Quelle:

Antje Ginnold ua.: Jahrestagung der IntegrationsforscherInnen 1999 in Waldheim, Arbeitsgruppe: Berufliche, nach- und außerschulische Integration

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 02.11.2005



[1] Ergänzung von Jutta Blin.

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