Jahrestagung der Integrationsforscher, Wiesbaden 2000

AG 3 Qualitätssicherung der gemeinsamen Erziehung

Themenbereiche: I-Tagung
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Moderation: M. Gerspach
Copyright: © bei den Autoren

Protokoll 1.Teil: Rainer Maikowski

Nach einer Vorstellungsrunde einigt sich die AG darauf, zunächst die Beiträge von Krohn und Wetzel unter dem Aspekt der Herausarbeitung von Qualitätskriterien für den gemeinsamen Unterricht zu hören.

Schon in der Vorstellungsrunde wird deutlich, dass das Problem der Qualitätssicherung für uns auch über die bildungspolitische Aktualität hinaus, die eher in Richtung Alibifunktion und Taylorisierung von Erziehung und Unterricht zielt, von Bedeutung ist. Es geht darum im öffentlichen Bewußtsein andere normative Maßstäbe und Werte als die vorherrschenden für die Qualität von Schule und Unterricht hoffähig zu machen: Erweiterung des Bildungsbegriffs, Einbeziehung der Rahmenbedingungen von Lernen, Schlüsselqualifikationen, wie Toleranz, Teamfähigkeit, aber auch erweiterte Aspekte einer Ergebnisqualität.

Von einigen Teilnehmern wird berichtet, dass mit der Ausdehnung gemeinsamer Erziehung - gerade auch in der Sek I - eine qualitative Verflachung einhergeht. Lustlosigkeit in den Kollegien breitet sich aus, es fehlen qualitative Bezugspunkte. Gleichzeitig kommen Schulen ins Blickfeld, die sich bisher mehr oder weniger erfolgreich gedrückt haben. Wie wird damit umgegangen?

Und aus der Sicht vieler Eltern stellt sich die Frage "Wieviel Abbau gemeinsamer Erziehung ist noch zu ertragen?"

Maria Krohn referiert über Tendenzen zu Qualitätssicherungsmaßnahmen im Vorschulbereich, die als Alibi und Formallegitimation dem Machterhalt und der Institutionssicherung dienen. ISO-Standards werden Orientierungsgrößen bei der Qualitätssicherung im Elementarbereich. Kitas streben Iso-Zertifikate an und Träger definieren Standards unter formalen Gesichtspunkten, die dann abgefragt und zertifiziert werden (Hinweis auf verschiedene Verfahren wie z.B. KES = Kinder-Einschätzungs-Skala).

Krohn formuliert sieben Fragen zur Gewinnung von drei Dimensionen der Qualitätssicherung: der Struktur-, der Prozess- und der Ergebnisqualität - wobei sie besonderen Wert auf Aspekte der Prozessqualität legt.

  1. Bestimmt man Qualität normativ oder deskriptiv? Sie macht deutlich, dass das eigentlich eine Scheinfrage ist, weil immer beide Ebenen eingehen.

  2. Welche Normen, Orientierungspunkte, pädagogische Ansätze sollen zu Grunde gelegt werden? Von welchem Bildungsbegriff wird ausgegangen?

  3. Welche Standpunkte sind zugelassen? WER definiert pädagogische Qualität? (Wissenschaftler, Praktiker, Eltern, Staat, Zertifizierungsinstitute) - Sind multiperspektivische Sichtweisen möglich?

  4. WAS konkret ist Qualität? Indikatoren? (Unterrichtsstandards, Teamarbeit, Schulklima etc. - siehe- Standards der AG auf der Tagung in Leipzig). Krohn berichtet von Befragungen von Trägern im Elementarbereich über ihre heilpädagog. Angebote. In den Antworten kommen nur technische und therapeutische, aber keine pädagogischen Aspekte - geschweige denn Maßnahmen der inneren Differenzierung - vor. Es gibt kaum verschriftlichte pädagogische Konzepte und selbstgesetzte Standards.

  5. Reichweite der Qualitätsdefinition? Z.B. einrichtungsintern oder -übergreifend? Verschiedene Standards für verschiedene Abnehmer und Einrichtungen?

  6. WER evaluiert? Selbst- oder Fremdevaluation? Blendungseffekte sind enorm. Bei Selbstevaluation Binnensicht wichtig, bei Fremdevaluation wird Binnensicht aufgebrochen - kann also wichtiges Korrektiv sein. Aber Problem der Interessengeleitetheit der externen Evaluation ( z.B. Schulbehörde!).

  7. Was macht man mit den Qualitätsstandards? Wie sehen die konkreten Wege der Qualitätsfeststellung und Qualitätsentwicklung aus? Wie setzt man Prioritäten? Ressourcenfrage. Verhältnis von Aufwand und Ertrag solcher Maßnahmen für Kitas und Schulen besonders heikles Thema.

In der Diskussion wird in mehreren Kreisen das ganze Spektrum der Frage von Qualität von Schule und Unterricht angeschnitten: von konkreten Kriterien für die Gestaltung des gemeinsamen Unterrichts und der Frage, "wie unterscheiden die sich vom Regelunterricht?" bis hin zu globaleren Aspekten der Bildungsbegriffdefinition und wieder zurück zur Frage der Messung der Kriterien. Die Beantwortung der Fragen "was ist eine gute Schule?", "was ist guter Unterricht?" beinhaltet immer normative Wertsetzungen, die ausgehandelt werden müssen, oft aber durch die Möglichkeit der Normsetzung staatlicher Institutionen ohne oder ohne hinreichenden Diskurs entschieden werden. Hier liegt der Raum für Möglichkeit und Notwendigkeit der - wenn uns auch oft zu begrenzt erscheinenden - Einflußnahme durch Formulierung eigener Qualitätsstandards.

Protokoll 2.Teil: Gottfried Wetzel

Ergebnisse einer Untersuchung zur Qualität von Unterricht in Schulen Österreichs

Seit 1993 werden Schüler und Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf an allgemeinbildenden Schulen in Österreich integriert, Inzwischen existieren nur noch 50 % der Sonderschulen. Die Situation ist jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich: während es in einigen Teilen Österreichs weiterhin Sonderschulen gibt, sind sie in anderen Teilen bereits vollständig geschlossen worden.

Integration findet hauptsächlich in Form von Einzelintegration statt. Hier arbeitet ein Stützlehrer für einige Stunden mit in der Klasse. Es existieren jedoch ebenfalls Integrationsklassen, in denen Schüler und Schülerinnen mit unterschiedlichen Förderbedarf beschult werden und in denen der Unterricht stets über die Doppelbesetzung erfolgt.

Die Untersuchung zur Bewertung von Unterricht an allgemeinbildenden Schulen in Österreich stellte nicht die explizite Frage nach der Bewertung von integrativen Unterricht, jedoch wurden die Ergebnisse im nachhinein diesbezüglich hinterfragt. Ausgewählt wurden 128 Klassen des zweiten Schuljahres nach dem Zufallsprinzip:

68 Klassen ohne Integration, 62 Klassen mit Einzelfallintegration, 8 Integrationsklassen.

Untersucht wurde anhand eines Fragebogens (Einschätzskala von Melmke / Schrader), der 27 Items zur Feststellung von "guten" Unterricht beinhaltet. Ebensolche Kriterien sind auch zur Erhebung von "guten" integrativen Unterricht üblich.

Die Ergebnisse zeigten, dass der Unterricht eher nach traditionellen Methoden und Didaktiken gestaltet wird.

Es stellte sich anschließend die Frage: Lassen sich bezüglich der Qualität von Unterricht Unterschiede zwischen den Integrationsklassen und den übrigen Klassen der Untersuchung feststellen?

Hier zeigte sich, dass die Integrationsklassen im Vergleich leicht besser abschnitten.

Protokoll 3.Teil: Dieter Katzenbach

Es ist mir kaum möglich, das oder die Ergebnisse der Diskussion festzuhalten, es sind allenfalls einige Punkte zu benennen, um die Diskussion kreiste:

Ausgangspunkt waren die von Maria Kron am Vortag genannten "sieben Fragen zur Qualitätssicherung / Evaluation":

  1. Evaluation auf normativer oder auf rein deskriptiver Basis?

  2. Frage nach Orientierungsgrundlage der Institution (deren Menschenbild, pädagogische/didaktische Konzepte...)

  3. Welche/wessen Standpunkte sind in der Evaluation zugelassen?

  4. Welche konkreten Qualitätsindikatoren liegen vor?

  5. Reichweite der Qualitätsdefinition (einrichtungsintern oder -übergreifend)?

  6. Wer evaluiert: Selbst- oder Fremdevaluation?

  7. Wie sieht der Weg von der Qualitätsfeststellung zur Qualitätsentwicklung aus?

In der Diskussion wurde versucht, diese sieben Fragen auf die aus der Evaluationsforschung bekannten Kategorien Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität umzulegen. Als besonders schwierig erwies es sich dabei, Kriterien für die Ergebnisqualität (integrations-) pädagogischer Arbeit zu nennen: Dies hängt offensichtlich damit zusammen, dass ein konsensfähiger Bildungsbegriff derzeit fehlt, und auf die Schnelle in der AG auch nicht zusammengezimmert werden konnte.

Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, dass es zur qualitativen Weiterentwicklung der Gemeinsamen Bildung und Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder einer tiefergehenden Klärung des Verhältnisses zwischen Regel- und Sonderpädagogik bedarf.

Quelle:

Manfred Gerspach, Rainer Maikowski, Gottfried Wetzel, Dieter Katzenbach: Jahrestagung der Integrationsforscher, Wiesbaden 2000, AG 3 Qualitätssicherung der gemeinsamen Erziehung

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 20.02.2006

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