Barrierefreie Schwangerschaft und Geburt – geht das in Österreich?

Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: AEP Informationen 1/2019: Trotz aller Barrieren. Ganz Frau-Sein mit Behinderungen, S. 11-13 AEP Informationen (1/2019)
Copyright: © Petra Flieger, Ulrike Wehle 2019

Abbildungsverzeichnis

    Barrierefreie Schwangerschaft und Geburt – geht das in Österreich?

    Die barrierefreie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit von Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Frauen mit Behinderungen gleichberechtigt und ohne Diskriminierung ÄrztInnen konsultieren und Leistungen von Krankenhäusern in Anspruch nehmen können. Wie geht es Frauen mit Behinderungen, die schwanger sind oder werden wollen? Ist die Geburtshilfe in Österreich barriere- und diskriminierungsfrei zugänglich? Eine österreichweite Untersuchung ist diesen Fragen nachgegangen und Ulrike Wehle, rollstuhlfahrende Mutter eines vierjährigen und eines zweijährigen Sohnes, hat sich in einem Gespräch mit Petra Flieger für die AEP -Informationen an ihre Erfahrungen erinnert.

    Abbildung 1.

    gemaltes Bild

    ©Karin Flatz

    Zur Frauenärztin über den Hintereingang

    „Die Praxis meiner Frauenärztin war früher nicht zugänglich für Rollstuhlfahrerinnen. Mittlerweile ist umgebaut worden und man kommt mit dem Lift hinauf, allerdings muss ich über die Hintertüre hinein. Ich muss aber immer vorher anrufen, damit mir jemand aufsperrt, weil diese Türe von außen immer zugesperrt ist. Das empfinde ich schon als diskriminierend, denn ich muss erst wieder um Hilfe bitten. Ich kann nicht alleine und selbstbestimmt hineingehen, sondern ich muss immer jemanden um Hilfe bitten. Das ist nicht selbstbestimmt und unabhängig. Der Hintereingang ist keine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft, denn er signalisiert: Wir lassen dich rein, aber bleib unsichtbar und versteckt. Eine große Hürde ist der gynäkologische Untersuchungsstuhl, der ist eine Katastrophe und barrierefrei nicht erreichbar. Am Bett sind die Untersuchungen sehr schwer zu bewerkstelligen, außerdem sind die Betten meistens nicht höhenverstellbar, d.h. ich komme nur mit allergrößter Anstrengung hinauf bzw. hat mich mein Partner dann hinaufgehoben. Er hat mich dann auch auf den gynäkologischen Stuhl gehoben. Ob es in Österreich Stühle gibt, die für Rollstuhlfahrerinnen barrierefrei benutzbar sind, weiß ich nicht.“ Es existieren für Österreich keine systematisch erhobenen Daten oder umfassende Untersuchungen zur Barrierefreiheit von gynäkologischen Praxen. Die Befragung der geburtshilflichen Abteilungen an österreichischen Spitälern ergab, dass zwar 80 % für Frauen mit Mobilitätsbeeinträchtigung barrierefrei erreichbar sind und über barrierefreie Sanitärräume verfügen, aber nur 37 % über eine Sitzgelegenheit in der Dusche (vgl. Schildberger et al. 2016, 77). Leitsysteme, tastbare Orientierungshilfen oder etwa sprechende Fieberthermometer für sehbehinderte bzw. blinde Frauen sind lediglich in ca. einem Drittel der befragten Abteilungen vorhanden, Informationen in Brailleschrift gibt es nirgends. Nur 12,5 % der Abteilungen verfügen über einen barrierefrei gestalteten Internetauftritt. Auch auf hörbehinderte oder gehörlose Frauen sind geburtshilfliche Abteilungen unzureichend eingestellt: Nur ca. 17 % verfügen über Höranlagen und nochmals weniger über Personal, das Gebärdensprache beherrscht (vgl. ebd., 78).

    Baby baden soll der Mann

    „In der Klinik hat es zwei Zimmer mit barrierefreiem Bad gegeben, also mit einem Duschklappsitz und einer Toilette mit Haltegriffen. Ich hatte das Glück, dass ich immer alleine im Zimmer war, aber es hätte jederzeit eine zweite Frau dazukommen können. Dann wäre es vom Platz her überhaupt nicht gegangen, mit zwei Babys und mit dem Rollstuhl, es wäre alles zu eng gewesen. Außerdem gibt es keinen barrierefreien, also für Rollstuhlfahrerinnen unterfahrbaren Wickeltisch, deshalb haben wir den Tisch als Wickeltisch verwendet. Auf der einen Seite war der Platz zum Wickeln, auf der anderen habe ich gegessen. Es gibt weder einen barrierefreien Wickeltisch noch unterfahrbare Babybetten oder eine barrierefreie Möglichkeit, ein Baby zu baden. Sie zeigen einem ja, wie man ein Baby badet. Sie hätten das mir alleine nicht zeigen können, haben auch von vornherein gesagt, dass der Mann dabei sein soll, damit er das Baby halten kann, weil ich das nicht könne. `Wie tun wir denn?´, haben sie gesagt.“ Diese persönlichen Erfahrungen bestätigten sich in der österreichweiten Befragung: Für RollstuhlfahrerInnen: Adaptierte Wickeleinheiten gibt es nur in 11 % der Abteilungen. Auch spezifische Informationen zu Schwangerschaft, Geburt oder Tipps für den Alltag mit einem Baby als behinderte Frau gibt es kaum, dem Personal fehlt dafür schlicht das Wissen, und es gibt auch keine Fortbildungen für ÄrztInnen und Pflegepersonal (vgl. ebd.).

    Medizinisch interessant

    „Meine Frauenärztin hat mich beim Wunsch nach Schwangerschaft immer sehr unterstützt. Auch auf der Klinik waren die ÄrztInnen sehr unterstützend. Im Vorfeld hatte ich eine schlechte Erfahrung mit einem Arzt, der im Zusammenhang mit einem Magenschutzmedikament meinte, ich dürfe damit auf keinen Fall schwanger werden. Auf der Klinik waren sie dann viel gelassener, und im Nachhinein hatte ich den Eindruck, dass sich dieser Arzt einfach nicht vorstellen wollte, dass eine behinderte Frau ein Kind bekommt. Er wollte mir mitteilen: ‚Du brauchst gar nicht schwanger werden.‘ Von vielen ÄrztInnen habe ich oft bewundernde Blicke erlebt, aber insgesamt unterstützend. Ich war halt auch medizinisch interessant, es kam also auch ein medizinischer Blick auf mich dazu. Für die ÄrztInnen war der Kaiserschnitt ohne Vollnarkose eine medizinische Herausforderung. Der Kaiserschnitt war bei mir von vornherein notwendig, und bei Frauen mit höherer Querschnittlähmung gibt es dabei ein großes Risiko für Blutdruckentgleisungen. Ich habe das Interesse der ÄrztInnen grundsätzlich als sehr positiv erlebt, habe mich ernst genommen und gut versorgt gefühlt. Allerdings habe ich ihnen auch sehr viel fachliche Information geliefert. Ich habe im Vorfeld schon sehr viel recherchiert über Querschnittlähmung und Schwangerschaft und habe ihnen ganz viel Infomaterial mitgebracht. Ich habe sie auf die problematischen Themen hingewiesen, sie selbst hätten dieses spezielle Fachwissen nicht gehabt. Insgesamt war ein großes medizinisches Interesse für mich da und ich wurde danach auch gefragt, ob mein Fall in einem Medical Journal anonymisiert verwendet werden darf. Ich habe dem zugestimmt, weil ich mir denke, vielleicht hilft es anderen behinderten Frauen, damit auch andere ÄrztInnen Bescheid wissen. Das Pflegepersonal habe ich gemischt in Erinnerung. Manche waren sehr gut, sehr nett, andere sehr neugierig, bestaunend, bis zu so indiskreten Fragen wie `Wie macht ihr das mit dem Sex?´ Für den Umgang mit behinderten Frauen ist ganz viel Wissen nicht da.“

    Peer-Beratung fehlt

    Spezifische Beratung oder gar Peer-Beratung von und für Frauen mit Behinderungen, die einen Kinderwunsch oder Fragen zu Schwangerschaft, Geburt und das Leben mit Baby haben, gibt es in Österreich nicht. Notgedrungen hat sich Ulrike Wehle diesen Austausch selbst organisiert: „Was mir im Vorfeld wichtig war: Ich habe viel Kontakt gesucht zu anderen Rollstuhlfahrerinnen und gefragt, wie sie Dinge tun oder getan haben mit Baby. Die Peer-Unterstützung war mir extrem wichtig. Immer wieder in Austausch sein, wenn man auf der Suche nach Lösungen für verschiedene Fragen ist. Ich habe auch andere Mütter im Rollstuhl besucht und mir angeschaut, wie sie Sachen machen und welche Hilfsmittel sie verwenden. Auch im Internet habe ich extrem viel recherchiert, z.B. ein barrierefreies Gitterbett. Von Hebammen, ÄrztInnen oder Pflegepersonal habe ich zu den spezifischen Fragen als Rollstuhlfahrerin keine Informationen erhalten. Beratung fehlt hier völlig, dabei wäre gerade gute Peer-Beratung sehr wichtig. Ich habe das Gefühl, jede Frau mit Behinderung fängt wieder von vorne an, Informationen zu suchen.“

    Abbildung 2. Abbildung 02:

    verschiedenförmige Stückchen am Boden

    ©Karin Flatz

    LITERATUR

    SCHILDBERGER, Barbara; ORTNER, Nicola; ZENZMAIR, Christoph; KÖNIG-BACHMANN, Martina (2016). Chancengleiche Versorgung in der Geburtshilfe – Eine qualitative Erhebung zur Barrierefreiheit an geburtshilflichen Abteilungen in Österreich. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie, 220, S. 74 – 80; DOI: 10.1055/s-0035-1555763.

    AUTORINNEN

    ULRIKE WEHLE, MMag.a, ist Dipl. Sozialarbeiterin, Psychologin und Pädagogin. Sie ist Mutter von zwei Söhnen. Die Rollstuhlfahrerin leitet das Büro von Selbstbestimmt Leben in Schwaz.

    PETRA FLIEGER siehe Editorial.

    Quelle

    Petra Flieger, Ulrike Wehle: Barrierefreie Schwangerschaft und Geburt – geht das in Österreich? Erschienen in: AEP Informationen 1/2019: Trotz aller Barrieren. Ganz Frau-Sein mit Behinderungen, S. 11-13.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 09.07.2019

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