Behinderung. Integration in der Schule

Positionen; Dilemma: die Praxis; Ungeklärt: die Zukunft

Themenbereiche: Rezension
Textsorte: Rezension
Copyright: © Petra Flieger, Gabriele Lener, Elisabeth Leskova, Maria Jäger, Johannes Zuber 1999

Titelseite:

Buchinformationen:

AutorIn/Hrsg.: Petra Flieger, Gabriele Lener, Elisabeth Leskova, Maria Jäger, Johannes Zuber

Titel: Behinderung. Integration in der Schule. Positionen; Dilemma: die Praxis; Ungeklärt: die Zukunft

Infos: schulheft 94/1999; ISBN 3-901655-14-X,

Vertrieb: Pädagogischer Buchversand, 1080 Wien, Strozzigasse 14 - 16, Tel. und Fax: +43 / (0)1 / 408 11 20, Preis öS 150,-.

Bestellungen an: "schulheft", 1170 Wien, Rosensteingasse 69/9 oder e-mail an: jzuber@xpoint.at oder seiter.anzengruber@online.edvg.co.at

Themenbereich: Schule, Arbeitswelt

Kurzbeschreibung:

Editorial von Petra Flieger

"Von Beginn an setzte sich die Behindertenrechtsbewegung für Unabhängigkeit und Integration als Eckpfeiler ihrer politischen Philosphie ein."

Charlton, 1998, S. 124[1]

Seit 1997 besagt der Artikel 7 Absatz 1 der österreichischen Bundesverfassung: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten". Daß es zu dieser Verfassungsänderung kam, ist wesentlich den Bemühungen der österreichischen Behindertenbewegung zuzuschreiben. Was hat Schule mit den gesellschaftspolitischen Forderungen einer BürgerInneninitiative zu tun? Im konkreten Fall sehr viel, denn ein zentrales Anliegen der für Antidiskriminierung kämpfenden Behindertenbewegung war und ist die Integration von Personen mit Behinderung in jedem Lebensalter und in allen Lebensbereichen, siehe das Zitat von Charlton. Schule als Ort der Bildung, Sozialisation und Spiegel gesellschaftspolitischer Entwicklungen nimmt bei der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung eine bedeutende Position ein.

Grund genug also, erneut ein schulheft dem Thema Integration von Personen mit Behinderung zu widmen. Daß dabei die schulische Integration im Vordergrund steht, liegt auf der Hand. Allerdings war es dem Redaktionsteam von Beginn an ein zentrales Anliegen, über den Bereich der Pflichtschulzeit hinaus sowohl die berufliche Bildung als auch den Lebensbereich Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade weil Integration, bei allen Schwierigkeiten, mittlerweile an vielen österreichischen Pflichtschulen selbstverständlich und erfolgreich zum pädagogischen Alltag zählt, ist die Forderung nach Integration in höheren und vor allem auch berufsbildenden Schulen berechtigt. Zu unverständlich erscheint , die Tatsache, daß Jugendliche mit Behinderung, die ihre Pflichtschulzeit integrativ durchlaufen haben, nicht genauso wie ihre SchulkollegInnen ohne Behinderung aus der vielfältigen Palette von Berufsbildungsmöglichkeiten wählen können. Auch die Natürlichkeit, mit der Jugendliche ohne Behinderung, deren Persönlichkeit sich gut entwickelt und die gerne lernen, eine höhere Schule besuchen können - einfach um mehr zu lernen -, verstört. Viele SchülerInnen mit Behinderung, die mindesten ebenso gerne lernen und deren Persönlichkeit sich entgegen allen Prophezeiungen spezialisierter ExpertInnen mindestens ebenso gut entwickelt, stehen vor der Wahl: Beschäftigungstherapie oder Sondermaßnahme des Arbeitsmarktservice für Personen mit Behinderung. Denn: die Schule hat nach dem Ende der Pflichschulzeit endgültig keinen Platz mehr für sie, weil sie eine Behinderung haben. Demgegenüber steht die Tatsache, daß jene Jugendlichen mit Behinderung, die eine Sonderschule besuchen, sehr wohl ein 11., 12., ja 13. Schuljahr genehmigt bekommen. Hier schließt sich der Kreis zur Verfassungsänderung: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

Die Vielfalt der gesammelten Beiträge spiegelt die Komplexität des Themas wider, und wäre das schulheft nicht ein schmaler Band: es hätten noch viele Aspekte und Perspektiven berücksichtigt werden können. Bei der konkreten Auswahl stand im Vordergrund, daß der Anspruch auf eine grundsätzlich kritische Positionierung sowohl in theoretischen als auch praxisorientierten Texten Ausdruck findet. Unter den AutorInnen finden sich daher nicht nur WissenschafterInnen und LehrerInnen verschiedener Schulformen sondern auch MitarbeiterInnen von Elterninitiativen.

Der erste Teil versammelt nach einem kurzen Abriß über die Geschichte der Schulintegration in Österreich (Volker Rutte) theoretische Zugänge aus unterschiedlichen Perspektiven. Den Einstieg bilden allgemeine sozialwissenschaftliche Beiträge über den Paradigmenwechsel (Ernst Berger), Modelle der Integration (Georg Feuser), die Pädagogik für Alle (Gitta Bintinger) sowie neben einem Streitgespräch über den aktuellen Zustand des österreichischen Bildungssystems (Gabi Lener, Erich Ribolits, Michael Sertl) einen Beitrag zur Frage der Reproduktion sozialer Ungleichheiten durch Schulintegration (Gabi Lener). Eine erste Brücke zur konkreten Arbeit schlägt der Beitrag über die Gestaltung einer ganzen Schule nach integrationspädagogischen Prinzipien (Josef Reichmayr). Den Abschluß des ersten Teils bilden zwei nicht weniger relevante Aspekte: ein Text über eine aktuelle Studie zum Stand der Integrationspädagogik in der LehrerInnenausbildung (Hans Hovorka) und ein Vorschlag zur inhaltlichen Gestaltung eines Schwerpunkts Integrative Pädagogik im Rahmen des Diplomstudiums Pädagogik (Volker Schönwiese).

Der praxisorientierte Abschnitt umfaßt neben zwei konkreten Berichten von der Integration in einer Polytechnischen Schule (Renate Braun) eine kritische Interpretation aktueller Daten der Schulstatistik (Monika Haider) sowie eine Darstellung der Aktivitäten der Integrationsberatungsstelle des Wiener Stadtschulrats (Judith Pannos).

Der Frage, welche Formen die Integration von Personen mit Behinderung in der Berufsbildung und im Arbeitsleben annehmen kann, widmet sich der dritte Teil schließlich. Ausgehend von allgemeinen Überlegungen zum Stellenwert der Arbeit überhaupt (Integration:Wien), über den Pionierversuch an einer Höheren Berufsbildenden Schule, eine junge Frau mit Mehrfachbehinderung zu integrieren (Heidemarie Nalis), den Möglichkeiten in der Berufsschule (Ernst Reiffenstein) bis zur Kritik an den derzeit sehr populären Projekten zur Arbeitsintegration (Petra Flieger) läßt der Schwerpunkt absehen, daß in dieses Thema noch viel Bewegung kommen wird und kommen muß.

Die Stellungnahme einiger politischer Parteien (SPÖ ÖVP, LIF, Grüne, KPÖ) zur Problematik zeigt eventuelle zukünftige Möglichkeiten/Veränderungen.

Preis öS 150,-.

Bestellungen an: "schulheft", 1170 Wien, Rosensteingasse 69/9

oder e-mail an: jzuber@xpoint.at oder seiter.anzengruber@online.edvg.co.at

Texte aus dem Schulheft finden Sie hier:

Monika Haider: http://bidok.uibk.ac.at/library/haider-rechenspiele.html

Gabriele Lener: http://bidok.uibk.ac.at/library/lener-ungleichheit.html

Erich Ribolits, Michael Sertl, Gabriele Lener: http://bidok.uibk.ac.at/library/lener-streitgespraech.html im Bildungssystem? - Ein Streitgespräch

Quelle:

Rezensiert von Petra Flieger

bidok-Rezensionshinweise

Stand: 07.03.2006



[1] Charlton, J.I. (1998). Nothing about us without us. Disability Oppression and Empowerment. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press. Übersetzung des Zitats aus dem Amerikanischen Petra Flieger.

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