Neue Bilder in LehrerInnenköpfe

Methodische Überlegungen zur LehrerInnenfortbildung für integrativen Unterricht

Autor:in - Petra Flieger
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: dargestellt anhand konkreter Beispiele aus dem Kurs "Integration" im Europäischen Forum Projekt zwischen 1995 und 1997.
Copyright: © Petra Flieger, 1998

Vorbemerkung

Das Projekt "Europäisches Forum" wurde zwischen 1995 und 1997 von der European Association on Special Education in Kooperation mit Universitäten und LehrerInnenorganisationen aus Ungarn, der Slowakischen und der Tschechischen Republik durchgeführt. Die Finanzierung erfolgte aus Mitteln der EU Gemeinschaftsinitiative Phare-Lien sowie aus Eigenmitteln der teilnehmenden Länder. Ziel war es, LehrerInnen der drei osteuropäischen Länder für die Integration von SchülerInnen mit Behinderung fortzubilden. Dies erfolgte in zwei parallelen Kursen, einer zum Schwerpunkt Beratung, der andere zum Schwerpunkt integrative Unterrichtsgestaltung, die in Blockveranstaltungen abwechselnd in einem der drei Länder stattfanden. Wesentlicher Teil dieser Schulung war die Durchführung konkreter integrativer Pilotprojekte durch die TeilnehmerInnen vor Ort.

Die Autorin beteiligte sich am European Forum im Jahr 1997 als Referentin im Kurs zur integrativen Unterrichtsgestaltung, den sie gemeinsam mit Dr. Suszan Kereszty von der Pädagogischen Hochschule in Budapest leitete.

Theoretische Voraussetzungen

Integrativer Unterricht, in dem Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, beruht auf grundlegend anderen Prinzipien im Gegensatz zu traditionellem Unterricht, der SchülerInnen aussondert. Feuser beschreibt Merkmale einer aussondernden Pädagogik, denen er Merkmale einer integrativen Pädagogik gegenüberstellt (vgl. Feuser 1995, 170-174):

Aussondernde Pädagogik beruht auf einem abweichungsbezogenen und defektorientierten Menschenbild im allgemeinen, im speziellen von behinderten Personen. Im Vordergrund der pädagogischen Aufmerksamkeit stehen Beeinträchtigungen, die als individuelle Mängel bewertet und an der Person festgemacht werden. Demgegenüber liegt dem integrativen Ansatz ein Menschenbild zugrunde, das Menschen als integrierte Einheit von Biologischem, Psychischem und Sozialem versteht: jede Person lebt mit ihren individuellen Voraussetzungen so, wie ihr das in der jeweiligen Umwelt möglich ist. Personen können nur im Zusammenhang und in Kommunikation mit ihrer Umwelt betrachtet werden, Behinderung ist nicht individuelles Schicksal sondern vielmehr gesellschaftliches Phänomen.

Im herkömmlichen Bildungssystem werden SchülerInnen nach Leistungskriterien selektiert, die Bildung möglichst homogener Unterrichtsgruppen ist das Ziel. Diesem Prozeß liegt die Vorstellung zugrunde, daß Gruppen von einander sehr ähnlichen SchülerInnen am besten zu unterrichten sind. Demgegenüber geht integrative Pädagogik davon aus, daß die Schaffung homogener Klassen an sich ein Trugschluß ist, der über die Individualität aller SchülerInnen hinwegtäuscht. Demgegenüber bietet eine heterogene SchülerInnengruppe Vorteile und Chancen. So regt ihre Vielfalt LehrerInnen dazu an, sich auf neue methodische Wege einzulassen, durch die sie erst den Bedürfnissen aller Kinder gerecht werden können. An die Stelle des Wettbewerbs, der das traditionelle System grundlegend kennzeichnet, tritt in der integrativen Pädagogik die Kooperation aller SchülerInnen miteinander.

Aufgrund der genannten Merkmale und Prinzipien ist aussondernde Pädagogik durch äußere Differenzierung gekennzeichnet, dies drückt sich unter anderem in unterschiedlichen Schulformen und Sonderschultypen aus. Für die Unterrichtsgestaltung integrativer Pädagogik ist dagegen innere Differenzierung innerhalb der heterogenen SchülerInnengruppe einer Klasse kennzeichnend.

Im aussondernden System sind die Bildungsinhalte durch die Selektion in unterschiedliche Schultypen von vornherein reduziert, was seinen Ausdruck in individuellen Lehrplänen findet. Demgegenüber ist es im offenen und projektorientierten Unterricht einer integrativen Pädagogik möglich, einen umfassenden gemeinsamen Lehrplan so zu modifizieren, daß er den jeweiligen Bedürfnisse eines Kindes gerecht wird. Am gemeinsamen Gegenstand lernen alle Kinder im gegenseitigen Austausch miteinander das, was für sie aktuell und individuell von Bedeutung ist.

Lernende LehrerInnen

Unterricht wird von LehrerInnen gestaltet. Die einleitenden theoretischen Überlegungen zur Integration von SchülerInnen legen es nahe, daß integrativ arbeitende LehrerInnen ihren Unterricht grundsätzlich anders gestalten müssen als so, wie Schule und Lernen gemeinhin verstanden werden. Die große aktuelle Herausforderung für die LehrerInnenfort- ebenso wie für die LehrerInnenausbildung liegt darin, Auseinandersetzungen mit den skizzierten integrationstheoretischen Inhalten anzuregen und Wege der Umsetzung im Unterricht zu entwickeln. Stark behindernd wirkt dabei die Tatsache, daß LehrerInnen, die heute an integrativer Pädagogik interessiert sind, selbst weder integratives Unterrichten noch Schulsysteme, die nicht aussondern, kennengelernt haben. Ihre inneren Vorstellungen und Bilder davon, was Schule, Unterrichten und Lernen sind bzw. wie diese funktionieren können, sind geprägt von der selbst erfahrenen, aussondernden Pädagogik. Die wenigsten LehrerInnen haben in ihrem Leben Möglichkeiten gehabt, eigene und aktive Integrationserfahrungen zu sammeln (vgl. Schöler, 1995). Dennoch verlangen sie von den Kindern integratives Verhalten, von dem sie selbst nicht wissen, was und wie es sein soll bzw. von dem sie bloß idealtypische Vorstellungen und Ahnungen haben.

Zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit integrativem Unterricht fällt es vielen LehrerInnen schwer, das, was sie im offenen, von den SchülerInnen mitbestimmten Unterricht einer Integrationsklasse beobachten können, als Schule zu bezeichnen. Sie können nicht glauben, daß Kinder lernen, wenn sie miteinander experimentieren, diskutieren und wenn es in der Klasse vor Aktivität nur so summt. In den Köpfen der LehrerInnen sind Bilder von Klassen, in denen es ruhig ist und nur der Lehrer oder die Lehrerin bestimmt, wann ein Kind etwas sagen darf. Kommunikation der Kinder untereinander hat hier meistens etwas Unfolgsames und Unerlaubtes an sich. Für die LehrerInnenfortbildung bedeutet dies, daß Bedingungen geschaffen werden müssen, die LehrerInnen anregen, ihre inneren Bilder über Schule, Unterricht und Lernen zu erkennen, zu reflektieren und schließlich langsam durch neue Vorstellungen und Konzepte zu ersetzen, die das neue, integrative Paradigma beinhalten.

Aber: wie kann LehrerInnenfortbildung aussehen, die Auseinandersetzung mit und Veränderung von inneren Bildern und Erwartungen anregt und in weiterer Folge eine veränderte Unterrichtsgestaltung bewirkt?

Ein typischer und leider sehr häufiger Fehler in der LehrerInnenbildung ist es, daß innovative Inhalte auf traditionelle Weise vermittelt werden. Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Thema "Offener, individualisierter Unterricht" in Form frontaler Vorträge oder Referate abgehandelt wird. Oder wenn die Vorteile heterogener SchülerInnengruppen in einer homogenen LehrerInnengruppe besprochen werden. So werden sowohl Verhaltensweisen als auch innere Bilder dadurch verstärkt, daß genau jene Erfahrungen, die eigene Lernprozesse geprägt haben, wiederholt werden.

Bewährte Prinzipien

Dabei es geht viel mehr darum, neue, an integrativen Theorien orientierte Lehrformen zu entwickeln und zu erlernen. Im Kurs "Integration" des Europäischen Forum Projekts waren die Kursleiterinnen davon überzeugt, daß auch für lernende LehrerInnen gilt "Denken ist verinnerlichtes Handeln". Und daß es zu wirklichen und nahchhaltigen Handlungsveränderungen nur dann kommt, wenn alternative Handlungsformen erlebt, ausprobiert, reflektiert und bewertet werden können. Das grundlegende Prinzip der Kursgestaltung beim Europäischen Forum war daher denkbar einfach: jene Prinzipien, die sich im Unterricht einer Integrationsklasse bewähren, kamen auch bei der Planung und Gestaltung für den Kurs zu tragen. Das heißt, die Unterrichtsplanung orientierte sich an jenen Grundsätzen, die für integrativen Unterricht charakteristisch sind.

Im folgenden werden diese Prinzipien kurz dargestellt und anhand konkreter Beispiele aus dem Europäischen Forum veranschaulicht. In der Praxis ist eine klare Abgrenzung der Grundsätze voneinander kaum möglich, die Prinzipien stehen in direktem Zusammenhang zueinander und beeinflussen einander gegenseitig. So werden z.B. immer wieder kooperative Arbeitsformen erwähnt. Die konkreten Beispiele machen dies besonders deutlich.

Orientierung an den individueller Bedürfnisse in einer heterogenen Gruppe

"Am Anfang waren wir entsetzt, daß LehrerInnen aus Regel- und aus Sonderschulen miteinander in einem Kurs sitzen. - Nun, am Ende, denken wir in derselben Weise."

(Rückmeldung der KursteilnehmerInnen. Die Originalzitate der KursteilnehmerInnen stammen aus einer Feed Back Einheit, die am Ende des Europäischen Forums mit allen TeilnehmerInnen gemeinsam durchgeführt wurde.)

Vergleichbar einer Klasse, in der Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen gemeinsam unterrichtet werden sollen, fanden sich auch im Kurs Personen mit sehr unterschiedlichen Ausbildungen und Erfahrungen. Regel- und SonderschullehrerInnen wurden gemeinsam unterrichtet. Diese Heterogenität wurde durch die Dimension erweitert, daß TeilnehmerInnen aus der Tschechischen Republik, der Slowakischen Republik und aus Ungarn gemeinsam einen Kurs besuchten. Die Geschichte dieser Länder und ihre aktuellen politischen Beziehungen zueinander erforderten von allen TeilnehmerInnen ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit. Zu Beginn sträubten sich einige überhaupt gegen diese Zusammensetzung, empfanden sie als Zumutung. Es liefen ähnliche Prozesse ab, wie sie in Klassen beobachtet werden können. Z. B. wurde der Kursleiterin aus Ungarn von ihren Landsleuten vorgeworfen, sich viel mehr um die TeilnehmerInnen aus Tschechien und der Slowakei zu bemühen, sie fühlten sich benachteiligt. Im Lauf der Zeit wurde aber immer deutlicher und vor allem auch praktisch erlebt, daß in der Heterogenität eine große Chance steckt. Gemeinsamer Austausch und gegenseitige Unterstützung gewannen immer mehr an Stellenwert. Die TeilnehmerInnen lernten, diese Vielfalt als Ressource zu nützen und wirklich miteinander zu kooperieren.

Zum Beispiel:

Eine Kursteilnehmerin spricht den Wunsch nach Kopiervorlagen zum Training der Kulturtechniken für die 1. und 2. Schulstufe aus. Darauf meint spontan eine Kollegin aus einem anderen Land: "Kein Problem, ich bringe dir nächstes Mal Unterlagen mit."

Reflektierend wiesen die Kursleiterinnen immer wieder auf diese Prozesse hin, um die TeilnehmerInnen anzuregen, Vielfalt nicht als Bedrohung sondern als Bereicherung und Ressource zu erkennen und zu nützen. Neben dem grundlegenden Umstand der Heterogenität gingen sie bewußt auf die individuellen Bedürfnisse der TeilnehmerInnen ein, besprachen und gestalteten Inhalte und Planung kommender Kurse mit den TeilnehmerInnen. Um weitgehende Mitwirkung und Mitbestimmung praktisch zu realisieren, setzten die Kursleiterinnen dafür gezielt Kleingruppenaktivitäten ein.

Zum Beispiel:

Planung in Vac, März 1997, für den nächsten Kurs in Lucenec, Juli 1997:

Für sich und alleine sollen alle TeilnehmerInnen überlegen, welche Inhalte für sie wichtig sind und im nächsten Kurs behandelt werden sollen. Anschließend besprechen sie ihre Überlegungen in Kleingruppen, jede Gruppe muß sich auf drei Inhalte einigen. In der folgenden Präsentation im Plenum werden die Ergebnisse der Kleingruppen miteinander verglichen und zusammengefaßt. Nun besprechen die beiden Kursleiterinnen die Wünsche und entwerfen ein Programm, das sie den TeilnehmerInnen vorstellen, die dazu konkret Stellung nehmen und Änderungsvorschläge einbringen können. Im letzten Schritt einigt sich die Gruppe mit den Kursleiterinnen auf das Programm.

Handlungsorientierung

Frontale Referate wurden nur sehr reduziert und gezielt zur Informationsvermittlung eingesetzt, um ein Thema zu skizzieren oder um komprimiert Hintergrundinformation zu vermitteln. In Einzel, Paar- und Gruppenaktivitäten hatten die TeilnehmerInnen Gelegenheit, das Prinzip des aktiven Lernens selbst zu erfahren, indem sie sich mit Inhalten konkret und praktisch, im gegenseitigen Austausch befaßten.

Zum Beispiel:

Von der Referentin wird ein kurzer theoretischer Überblick über die Prinzipien integrativer Methodik gegeben. Anschließend teilt sie die Gruppe in vier Kleingruppen. In diesen Kleingruppen sollen die TeilnehmerInnen konkrete Materialien wie Fotos, Schulhefte, Zeichnungen und Collagen aus einer Integrationsklasse analysieren und konkrete Beispiele für die genannten Prinzipien finden.

Gestalteten anfangs vor allem die Kursleiterinnen die Einheiten, wurden in einem weiteren Schritt auch die TeilnehmerInnen dazu angeregt, Kurseinheiten zu Inhalten zu planen, auf die sich die Gruppe vorher geeinigt hatte.

Zum Beispiel:

Eine Kollegin aus Ungarn zeigt ein Video über die Arbeit in einer Integrationsklasse. Zuvor hat sie drei Gruppen gebildet, die unterschiedliche Beobachtungsaufgaben erhalten. Im Anschluß an das Video müssen aufgrund der Beobachtungen Fragen beantwortet werden. Im abschließenden Plenum werden die Ergebnisse ausgetauscht.

Nicht zuletzt sind die lokalen Vor-Ort-Projekte ein umfassendes und weitreichendes Beispiel für handlungsorientiertes Lernen. Entsprechend den jeweiligen Voraussetzungen und individuellen Bedürfnissen waren die TeilnehmerInnen aufgefordert, aktiv zu planen, zu gestalten und durchzuführen. Auch die lokalen Projekte, die im zweiten Jahr des Kurses vor Ort geplant und durchgeführt werden mußten, wurden anfangs eher ablehnend bewertet, am Ende dagegen wurden sie als eines der wesentlichen Positiva des gesamten Projekts herausgehoben.

"Es war sehr positiv,daß die Projekte ins Leben gerufen worden sind."

(Rückmeldung der KursteilnehmerInnen)

Kooperative Arbeitsformen

Sämtliche Sozialformen wie Einzel-, Partner- Klein- und Großgruppen fanden ständig und abwechselnd Einsatz. Anfangs war es für viele TeilnehmerInnen sehr ungewohnt, nicht nur still zu sitzen und Vorträge mitzuschreiben, sondern sich im Raum zu bewegen, mit Materialien zu hantieren und mit KollegInnen zu diskutieren. Für die Kursleiterinnen war es am Ende sehr belohnend und bestätigend zu sehen, wie selbstverständlich die TeilnehmerInnen nun mit Einladungen zu Gesprächen, Diskussionen und Reflexionen umgingen und wie sehr sie dieses Arbeiten zu schätzen gelernt hatten. Die TeilnehmerInnen erwiesen sich als immer selbständiger und unabhängiger von den Kursleiterinnen. Vor allem während der letzten beiden Kurse kam es immer wieder zu Situationen, in denen sich die Kursleiterinnen zurückziehen konnten und von den TeilnehmerInnen nur mehr die ÜbersetzerInnen benötigt wurden, um die Sprachprobleme zu überwinden.

"Wir haben in den Kursen viel voneinander gelernt."

(Rückmeldung der KursteilnehmerInnen)

Zum Beispiel:

Eine Kollegin hat sehr viele Materialien zur Entwicklung der Kulturtechniken in den ersten beiden Schuljahren mitgebracht. Sie hat vier Stationen mit inhaltlichen Schwerpunkten aufgebaut. In Kleingruppen sollen die TeilnehmerInnen die Materialien konkret ausprobieren, z.B. Spiele miteinander spielen und anschließend diskutieren. Die Stunde verläuft unwahrscheinlich schnell, alle probieren aus, reden, lachen und machen sich Notizen. Gemeinsam werden die Materialien erforscht, es wird über Unterrichtsmittel gesprochen, die andere daheim haben. Insgesamt findet ein umfassender Informationsaustausch in sehr positiver und aktiver Atmosphäre statt.

Reflexion

Ein wesentliches Element integrativer LehrerInnenfortbildung bildet die bewußte Reflexion der eigenen Rolle als LehrerIn (vgl. UNESCO 1993). Im Kurs werden die TeilnehmerInnen immer wieder dazu aufgefordert, sich zu fragen, was besprochene Inhalte oder Aktivitäten für sie konkret bedeuten bzw. wie sie neue Einsichten oder Methoden auf ihre eigene Arbeit übertragen können. Die TeilnehmerInnen hatten immer wieder Zeit, sich selbst klar zu machen, welche Aspekte für sie persönlich wesentlich waren. In Gesprächen mit einzelnen Personen oder in sehr kleinen Gruppen konnten diese Überlegungen ausgetauscht werden. Dabei konnten natürlich sowohl positive als auch negative Momente eine Rolle spielen.

Zum Beispiel:

Eine Referentin erklärt verschiedene Modelle der schulischen Integration: Integrationsklasse mit zwei LehrerInnen, StützlehrerInnenmodell und Kooperationsklasse. Um die komplizierten Unterschiede zu veranschaulichen, überträgt sie die Modelle auf die aktuelle Situation im Kurs. So erklärt sie die ÜbersetzerInnen zu unterstützenden LehrerInnen, die den TeilnehmerInnen mit besonderen Sprachbedürfnissen die Teilnahme am Kurs ermöglichen. Sind Referentin und ÜbersetzerInnen gemeinsam mit allen TeilnehmerInnen zusammen, ist dies mit einer Integrationsklasse vergleichbar, in der auf individuelle Bedürfnisse eingegangen wird. Dann werden die ÜbersetzerInnen aus dem Raum geschickt, die TeilnehmerInnen mit besonderen Sprachbedürfnissen können dem Unterricht nicht mehr folgen. Zuletzt müssen jene, die nur Englisch verstehen, den Raum verlassen und sind von den anderen abgesondert. In der anschließenden Reflexion schildern einige TeilnehmerInnen, wie es ihnen bei dieser Übung ergangen ist und wie aussondernd bzw. integrativ sie die unterschiedlichen Situationen empfunden haben.

Neben solch konkreten Übungen waren die Kursleiterinnen für Prozesse und Geschehnisse im Kurs, die Kursinhalte konkret veranschaulichten, sensibel und wiesen die TeilnehmerInnen darauf hin. Immer wieder gelang es, den TeilnehmerInnen deutlich zu machen, daß in der Kursgruppe Prozesse passierten, die mit jenen in einer Integrationsklasse vergleichbar sind. So wurde eine Möglichkeit geschaffen, Unterschiede zwischen aussondernder und integrativer Pädagogik persönlich zu erleben und bewußt zu machen.

Zum Beispiel:

Drei Kleingruppen sollen sich zu einem Thema auf jeweils drei Punkte einigen. Bei der Präsentation wird deutlich, daß nur eine Gruppe die Aufgabe so erfüllt hat, wie es die Kursleiterinnen ursprünglich geplant hatten. Zwei Gruppen haben die Aufgabe anders gelöst. An dieser Stelle unterbrechen die Kursleiterinnen und weisen die TeilnehmerInnen auf ihre Beobachtung hin.

Teamteaching

Charakteristisch für integrativen Unterricht ist es, daß LehrerInnen mit unterschiedlicher Ausbildung Kooperationen und Partnerschaften bilden bzw. in Teams miteinander arbeiten (vgl. Eberwein 1994; UNESCO 1995). Für viele LehrerInnen ist dies ein vollkommener neuer Ansatz, den sie nur sehr schwer mit ihren Vorstellungen und Erfahrungen als "EinzelkämpferInnen in der Klasse" vereinbaren können. Teamteaching wird von vielen LehrerInnen anfangs als sehr schwierig, bedrohlich und belastend empfunden (vgl. Hochreiter 1994; Specht 1993). Daher war es den Kursleiterinnen beim Europäischen Forum ein großes Anliegen, Teamteaching konkret zu praktizieren und den TeilnehmerInnen ein Beispiel dafür zu geben, wie zwei durchaus unterschiedliche Persönlichkeiten erfolgreich miteinander Unterricht gestalten können.

Zum Beispiel:

Aufgrund der besonderen Situation des Europäischen Forum bestand das LehrerInnenteam aus vier Personen, die gleichberechtigt und partnerschaftlich, im gleichen Raum zur gleichen Zeit miteinander kooperierten: zwei Kursleiterinnen arbeiteten mit zwei ÜbersetzerInnen zusammen, die als StützlehrerInnen fungierten und die internationale Integration überhaupt erst möglich machten.

Resümee

Feuser fordert: "Pädagogen müssen die Chance haben, die Ghettos in ihren eigenen Köpfen zu beseitigen," (Feuser 1995, S. 222). Da sich beim Europäischen Forum TeilnehmerInnen ebenso wie Unterrichtende selbst auf integrative Prozesse eingelassen haben und zur aktiven, persönlichen Auseinandersetzung bereit waren, haben "Neue Bilder" von Schule, Lernen und Unterrichten in ihren Köpfen Platz gefunden. So haben die beteiligten LehrerInnen in sich selbst die Grundlage für integratives Arbeiten geschaffen. In diesem Sinn kann das Europäische Forum als erfolgreich und modellhaft bezeichnet werden.

Literatur:

Feuser, G. (1995). Behinderte Kinder und Jugendliche: zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Eberwein, H. (Hrsg.) (1994, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage). Behinderte und nichtbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

Hochreiter, W. Teamteaching in Integrationsmodellen. in: Integration in der Praxis: 4/94, S. 21-26.

Schöler, J. (1995). Neue Bilder in die Köpfe bringen! in: zusammen: behinderte und nicht behinderte Menschen. 15. Jahrg./ Nr. 1, S. 7-11.

Specht, W. (1993). Evaluation der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Lehrerinnen und Lehrern in Schulversuchen. Graz: Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung, Abteilung II.

UNESCO (1993, deutsch 1995):Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung: Besonderer Förderbedarf in der Klasse. Kursmaterial. Graz: Zentrum für integrative Betreuung.

Quelle:

Petra Flieger: Neue Bilder in LehrerInnenköpfe - Methodische Überlegungen zur LehrerInnenfortbildung für integrativen Unterricht

dargestellt anhand konkreter Beispiele aus dem Kurs "Integration" im Europäischen Forum Projekt zwischen 1995 und 1997.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 22.01.2007

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation