Frauen mit geistiger Behinderung begleiten, die sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebten

Autor:in - Sabrina Eckl
Textsorte: Hausarbeit
Releaseinfo: Exzerpt zur mündlichen Diplomprüfung an der Schule für Sozialbetreuungsberufe Innsbruck
Copyright: © Sabrina Eckl 2012

Inhaltsverzeichnis

Frauen mit geistiger Behinderung begleiten, die sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebten

"Mit dem Wissen von heute können wir sagen, dass die meisten in ihrem Herkunftssystem oder im sozialen Nahraum sexualisierte Gewalt erlebt haben und dann sind sie im Heim gelandet als die kleinen Huren, mit denen man alles machen kann, weil sie der gesellschaftliche Abschaum sind. Es ist grauenhaft." (Margret Aull, Obfrau des Vereins "Autonomes Tiroler Frauenhaus") (Schreiber 2010)

Definition

"Sexuelle Ausbeutung von Kindern und/oder physisch und/oder geistig abhängigen Menschen durch Erwachsene oder ältere Jugendliche ist eine sexuelle Handlung des Erwachsenen mit einem abhängigen Menschen, der aufgrund seiner emotionalen, intellektuellen oder psychischen Entwicklung nicht in der Lage ist, dieser sexuellen Handlung informiert und frei zuzustimmen. Dabei nützt der Erwachsene, der/die Helferin die ungleichen Machtverhältnisse zwischen sich und der/dem Abhängigen aus, um es/sie/ihn zur Kooperation zu überreden oder zu zwingen. Zentral ist dabei die Verpflichtung zur Geheimhaltung, die das Kind/die abhängige Person zu Sprachlosigkeit, Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit verurteilt." (Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html 2006)

Weitfassende Beschreibungen zur sexuellen Ausbeutung von Menschen mit geistiger Behinderung stellen Täter dar, die andere Personen als Objekt, zur Befriedigung gewisser eigener Bedürfnisse, gebrauchen. Sexualität als Mittel in Situationen einzusetzen, um die eigene Dominanz herzustellen und/oder andere zu demütigen, herabzusetzen oder zu verletzen steht bezeichnend für den Begriff der sexuellen Gewalt. In diesem Zusammenhang ist jedes Verhalten zu nennen, das in die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen Menschen eingreift und sich über sie hinwegsetzt.

Eine weitere Demarkation kann durch die eigene Einschätzung der betroffenen Person getätigt werden, wobei in diesem Kontext die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung die Charakterisierung des Geschehenen maßgeblich beeinflusst.

Empirische Daten

Hard (1987, 1ff.) untersuchte 95 Fallberichte von erwachsenen Frauen und Männern, die wegen Entwicklungsabweichung in einer geschützten Werkstatt arbeiten. 65 dieser Personen befragte sie zusätzlich mittels eines eigens dafür entwickelten Fragebogens. Unter sexueller Ausbeutung subsumierte sie Geschlechts-, Anal-, und Oralverkehr sowie Berührungen von Brust oder Genitalien, die die Betroffenen ohne ihr Wissen oder ohne Verständnis für die erfolgte Handlung erlebten oder durch Zwang, Gewalt und Manipulation von Seiten des Täters. 83% der Frauen und 32% der Männer hatten demnach sexuelle Ausbeutungserfahrungen. Hard berichtet, dass bei 99% die Ausbeutung durch einen den Überlebenden bekannten Täter zugefügt wurde. Sie konnte das Alter von insgesamt 115 befragten Personen bei 38 Jahren ermitteln. Demnach waren 45% zur Zeit der Ausbeutung unter 18 Jahren.

Aus der Studie von Zemp und Pircher geht hervor, dass 87,7% der befragten Frauen einmal oder mehrmals sexuell belästigt wurden. 64% gaben an, einmal oder mehrmals in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfahren zu haben, was mehr als jede zweite Frau betrifft. Somit lässt sich feststellen, dass Frauen mit geistiger Behinderung weitaus häufiger Betroffene sexueller Gewalt sind, als Frauen ohne Behinderung, unter Anbetracht des Vergleichswertes der Studie von Draijer aus dem Jahr 1988, in der 34% aller nicht behinderten Frauen als Opfer sexueller Gewalterfahrungen ausgemacht wurden. (Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html 2006)

Die Skala der TäterInnen ist ausgedehnt auf das gesamte soziale Milieu, in dem sich die Person befindet. Dies schließt die familiäre, institutionelle, therapeutische, ärztliche, schulische Ebene mit ein und beinhaltet Kontakte im Freizeit- und Arbeitsbereich. Frauen als missbrauchende Personen befinden sich meist in der Rolle der Betreuerin (3,1%). (Vgl. Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html 2006) Chamberlain führt im Rahmen ihrer Studien aus, dass von 22 Mädchen und Frauen sieben vom Vater, Stief- oder Pflegevater missbraucht wurden, und drei weitere von einem anderen Familienmitglied Ausbeutung erfuhren. Weitere zwei Befragte gaben an, in der Schule missbraucht worden zu sein, eine davon von der Lehrkraft. Nachweisbar ist die Überzahl der TäterInnen den Betroffenen bekannt. (1984, 446)

Kontextfaktoren, die sexuellen Missbrauch an Frauen mit geistiger Behinderung begünstigen

(Vgl. Zemp & Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html , 2006)

Ressourcenmacht

Nicht nur die häufige physische Überlegenheit von den TäterInnen, sondern auch die Abhängigkeit von Personen mit Behinderung gegenüber Dritten führen zu einem Machtgefälle. Dies kann beispielsweise bedingt sein durch zahlreiche Intimkontakte bei der Körperpflege, eingeschränkte Weisungskompetenz, Unterstützungsnotwendigkeit bei der Selbstvertretung, wirtschaftliche und emotionale Abhängigkeit etc.. Sexuelle Ausbeutung ist als ein Ausdruck von Macht anzusehen und erklärt somit die daraus resultierende Verletzlichkeit auf diesem Gebiet.

Artikulations- und Wissensmacht

Die Kommunikationsmethoden vieler Menschen mit Behinderung sind non-verbaler Natur, da die Artikulation häufig eingeschränkt ist. Im Gegensatz dazu ist auf Seiten der Täter vielfach eine rhetorische Sprachgewalt festzustellen. Hinzu kommt ein Geheimhaltungsgebot verbunden mit Drohungen gegen die Betroffenen und eine Schilderung der sich für den Täter ergebenden Konsequenzen bei Offenlegung der Vorgänge. Die Angaben/Aussagen des Straftäters zu überprüfen, ist für die Person mit Behinderung meist unmöglich, wodurch sie in eine Beweisschuld aufgrund ihrer gesellschaftlich gesehen geringeren Glaubwürdigkeit geraten.

Non-verbale Kommunikation verläuft häufig auf körperlicher Ebene, ist vielen Menschen mit geistiger Behinderung zu Eigen und führt auf Seiten der Täter häufig zu Fehlinterpretationen sowie zu einer Verschiebung in der Wahrnehmung. Dies kann durch das subjektive Nähe-Distanz-Verständnis verstärkt werden. (Vgl. Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Aufklärung

Aufgrund des möglichen Zusammenhangs mangelnder sexualpädagogischer Aufklärung und der sexuellen Ausbeutung von Frauen mit geistiger Behinderung ist es besonders interessant zu erfahren, dass 34,7% der Betroffenen sich als nicht aufgeklärt ansehen und 17,6% hierzu keine, oder nicht einzuordnende Angaben machten . (Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html 2006)

Das Geschehene zu benennen und einzuordnen ist darauf basierend kaum bis gar nicht möglich. Menschen mit geistiger Behinderung, die sexuell missbraucht wurden, wissen häufig nicht, was mit ihnen geschehen ist. Den eigenen Körper zu kennen, ihn zu erleben und Erfahrungen mit ihm zu machen, dient der Identitätsbildung und formt maßgeblich das Selbstbewusstsein, den Selbstwert und das Selbstbild.

Was die Verhütung und Verhütungsmittel anbelangt, gaben 43,1% der von Zemp und Pircher befragten Frauen an zu Verhüten. Auffallend ist, dass von allen befragten Frauen rund 27% sterilisiert sind, meist zwangssterilisiert. (Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html) Dieses Faktum resultiert häufig aus einem Sicherheitsbedürfnis von Angehörigen mit der Beabsichtigung, deren anvertraute Personen vor sexueller Gewalt zu schützen. Diese Überlegung stellt sich kontrafaktisch dar, da eine Sterilisation eher die Gefahr von sexueller Gewalt erhöht.

Positionsmacht

Das Verschleiern des sexuellen Missbrauchs liegt nicht zuletzt daran, dass Menschen mit Behinderung, sowie Frauen im Vergleich zu Männern eine differenzierte gesellschaftliche Stellung innehaben. Hierbei ist ein Absprechen der Mündigkeit erkennbar und besonders brisant für Frauen mit geistiger Behinderung. Das Leben dieser Personengruppe ist vielfach dominiert von Fremdbestimmung und Abhängigkeit.

Organisationsmacht

Die soziale Isolation von Menschen mit geistiger Behinderung in Einrichtungen führt zu minimierten Außenkontakten, zur unrealistisch erscheinenden Inklusion, und lässt den Wunsch nach einer autonom gewählten Peer Group aussichtslos erscheinen. Das Vertretungsnetz durch nichtbehinderte Menschen bestimmt häufig über die Strukturen und Rahmenbedingungen in denen gelebt werden muss. Möglichkeiten zum nuancierten und differenzierten Einsetzen der Selbstbehauptung sind in diesem Milieu kaum gegeben.

Überlebensmechanismen/Folgen/ Indikatoren

Bei den Betroffenen sexueller Gewalt können sehr unterschiedliche Reaktionen auf das Geschehene erkannt werden. Diverse Überlebensstrategien können Ausdruck des eigenen Selbstschutzes sein, um einer erneuten Ausbeutung zu entgehen. Sie wirken meist destruktiv, sind andererseits jedoch die bestmöglichen kreativen Lösungen aus dem Unterbewusstsein, um psychisch überleben zu können.

Personenspezifische psychische Veränderungen

Trauma

Bei einem Trauma (griech.: Wunde) liegen Geschehnisse zugrunde, die auf eine Person in direkter oder indirekter Form einwirken, als bedrohlich empfunden werden, unvorhersehbar, unentrinnbar sind und eine zerstörerische Wirkung auf physischer als auch psychischer Ebene haben. Ein durch sexuelle Gewalt ausgelöstes Trauma steht in Verbindung mit tiefer Angst, kombiniert mit Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Die Typisierung der Traumata ist abhängig von der Dauer, Wiederholung, Kontinuität und vor allem von dem Lebensalter der betroffenen Person. Im Körper ausgelöste physikalische Reaktionen versetzen den Menschen in eine Kampf-Flucht-oder-Erstarrungs-Reaktion. (Vgl. Unterrainer und Kapfhammer 2012)

Posttraumatische Belastungsstörung

Posttraumatische Belastungsstörungen beschreiben einen Zustand unterschiedlicher Manifestationen akuter Stressreaktionen nach wiederkehrenden traumatischen Erlebnissen, die einige Wochen bis Monate andauern können. Symptome äußern sich durch Albträume, Erinnerungsblitze, Konzentrationsmangel, quälende Gedanken, Schlaflosigkeit, erhöhte Schreckreaktion, Panik, Depression, Abgestumpftheit, geistige Verwirrung, plötzliche Wutausbrüche und Entfremdung. Posttraumatische Symptome können auch erst im späteren Verlauf des Lebens durch Katalysatoren ausgelöst werden.

Dissoziation

Dieser Überlebensmechanismus setzt im Körper schmerzstillende biochemische Stoffe frei, die es der Person erlauben, sich von dem soeben Wiederfahrenden abzukoppeln. Die diversen psychologischen Automatismen im mentalen Leben aller können sich bei der Dissoziation vereinzelt abkapseln und für das Bewusstsein unzugänglich werden. Es wird zwischen einer partiellen (Erinnerungsfragmente vorhanden) und vollständigen Dissoziation (keine bewussten Erinnerungen an das Trauma) unterschieden. Dieses Phänomen kann in einer derartigen Dimension auftreten, dass es zu dissoziativen Identitätsstörungen (Ausbildung mehrerer Persönlichkeiten) kommt. (Vgl. Bass und Davis 2009)

Depression

Diese psychische Erkrankung tritt nachgewiesen besonders häufig nach sexuellen Gewalterfahrungen auf und hat eine Vielzahl an Ursachen. Schuldgefühle und unverarbeitete Erlebnisse können zu einer Depression führen.

Psychosen

Bei Psychosen kommt es zu einer Verschiebung der Realität, wobei von der betroffenen Person Wahnvorstellungen und Halluzinationen nicht mehr von der Wirklichkeit unterschieden werden können. Im Zentrum dieser Störung steht das Gefühl von Angst. Die bestehende Behinderung eines Menschen kann in diesem Zusammenhang verstärkt und als Überlebensmechanismus genutzt werden.

Schuldgefühle

Diese Emotion kann eine Form von Selbstschutz darstellen, wodurch die betreffende Person das Gefühl von Ohnmacht bekämpft und sich einen Teil an Eigenregie zusprechen kann. Es führt dazu, dass nicht das gesamte Vertrauen in die Mitmenschen verloren geht und sich der Mensch als existent erlebt. Die Manipulation durch den Täter verstärkt meist das Gefühl der Schuld.

Psychische Indikatoren für erlebte sexuelle Gewalt

(Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Depression

Persönlichkeitsstörungen

Anorexie

Stimmungsstörung

Borderline-Symptomatik

Bipolare Störungen

Bulimie

Panikattacken

Dissoziation

Psychosen

Ungleichgewicht von Nähe und Distanz

Einen ängstlichen Eindruck machen

Verletzlichkeit ?

Sich einsam fühlen

Angst vor dem Alleinsein

Fordern, andere in Anspruch nehmen

Anklammern an BegleiterInnen

Labilität

Negatives Selbstbild

Mangelndes Vertrauen

Regressives Verhalten

Andere emotionale Indikatoren

Psychosomatische Störungen

Essstörungen

Diese Methode ist ein Versuch, Kontrolle und Regie über das eigene Leben zurückzuerlangen. Dass es sich dabei um eine "Selbstvergewaltigung" und eine Schädigung des eigenen Körpers handelt wird nicht erkannt, da im Fokus der Handlung die Lösung von der Fremdbestimmung steht.

Suchtverhalten

Dieser Überlebensmechanismus tritt häufig bei Menschen mit einer geistigen Behinderung auf, sowie bei Personen mit einer zusätzlichen psychischen Erkrankung wie dem "Borderline-Syndrom", da das Geschehene nur schwer im Leben zu integrieren ist. Es handelt sich um einen Versuch, Gefühle zu unterdrücken und dem Alltag zu entfliehen.

Autoaggressives Verhalten

Sofern Depressionen in diesem Fall aus Schuldgefühlen resultieren, kann selbstverletzendes Verhalten von der Person als Strafe für den erlebten Missbrauch angesehen werden. Ein weiterer Ansatzpunkt geht davon aus, dass die Regulation emotionaler Zustände nicht adäquat vonstattengehen kann und dadurch ein innerlicher Leidensdruck entsteht, welcher in selbstverletzendem Verhalten Erleichterung findet. Über den gesetzten Schmerz wird das Gefühl ausgelöst noch zu leben, sich selbst zu spüren.

Psychosomatische Indikatoren für erlebte sexuelle Gewalt

(Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Bauchschmerzen

Kopfschmerzen

Blasenbeschwerden

Schmerzen beim Wasserlassen

Beschwerden beim Stuhlgang

Gegenstände in Vagina, Anus, Penis

Keine Lust auf Bewegung

Beine nicht spreizen (nicht wollen/wagen)

Verletzung des Anus

Blaue Flecken

Geschlechtskrankheiten

Schlafstörungen

Essstörungen

Selbstverletzung

Hölzerne Motorik

Blasenentzündungen

Verletzung der Vagina

Hyperventilation

Schmerzen beim Sitzen

Übermäßige sexuelle Erregung

Angespannter Gesichtsausdruck

Hyperventilation

Müdigkeit

Gewichtsprobleme

Atemstörungen

Schluckstörungen

Ängstlicher Blick

Zitterndes Kinn

Starker Körpergeruch

Unruhige Mimik

Abwärtsneigende Mundwinkel

Suchtproblematik: Alkohol, Sex, Drogen, Medikamente...

Durchdringende Geräusche

Zugekniffene Augen

Heftiges Weinen

Atem anhalten

Stoßweise Atmung

Rotes Gesticht

Knutschflecken

Kognitive Verhaltensmuster

Somatisierung

Häufig zeigt sich dieser Mechanismus in körperlichen Beschwerden, die keinerlei medizinische Ursache haben. Die Personengruppe mit Missbrauchserfahrungen ist ständig mit eigenen Krankheiten beschäftigt, wechselt häufig die behandelnden Ärzte und nimmt eine Vielzahl an Medikamenten zu sich. Diese Strategie ist häufig bei Menschen mit geistiger Behinderung anzutreffen, da der Körper als Ausdrucksmöglichkeit dient.

Regression

Als Regression wird der Rückfall in ein früheres Entwicklungsalter beschrieben. Nicht selten bewegen sich Menschen mit geistiger Behinderung nach Gewalterfahrungen auf sexuellem Gebiet unter Anbetracht der Psychosexuellen Entwicklung im Bereich der Oralen, oder Analen Phase.

Kognitive Indikatoren für erlebte sexuelle Gewalt

(Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Unzusammenhängende Berichte

Altersunangemessenes Sprechen über Sex

Nonverbale Äußerungen über sexuellen Missbrauch beim Spielen

Angst über Sex zu sprechen

Vermischung von Fantasie und Wirklichkeit

Hemmungslose Äußerungen über Sex

Sexuell gefärbte Bemerkungen

Selbstgespräche

Konzentrationsstörungen

Anspielung auf sexuelle Aktivitäten

Häufiges Reden über Sex

Missbrauchsberichte

Andere kognitive Faktoren

 

Soziale-/Umfeld spezifische Folgen

Stigmatisierung

Aus der Projektion der Verantwortlichkeit von Seiten des Täters auf das Opfer resultieren Gefühle der Scham, Schuld und eines negativen Selbstbildes. Dies animiert die Person zur Geheimhaltung und verstärkt das Gefühl des Ausgestoßen-seins und Gezeichnet-seins von und in der Gesellschaft.

Wiederholungszwang

Nach schweren Traumatisierungen kann das Geschehene in Gedanken oder Träumen ständig Revue passiert werden. Dies kann sich im Verhalten der Person darstellen, als Versuch das Geschehene in den Griff zu bekommen und einzuordnen. Der Wiederholungszwang spiegelt sich im Verhalten durch die Opferrolle, das Täterbenehmen oder einer Art von Prostitution wieder.

Aggression

In diesem Zusammenhang kann Aggression als Form der Abwehr vor Annäherungen, die von der betroffenen Person als bedrohlich empfunden werden, genutzt werden, um Menschen von sich fernzuhalten. Dieses Verhalten wirkt für die Person präventiv vor einem möglichen Kontrollverlust. Insbesondere wenn die Möglichkeiten zu kommunizieren eingeschränkt sind, kann diese Technik für die Person einen lohnenswerten Mechanismus darstellen.

Soziale/Lebensgeschichtliche Indikatoren für erlebte sexuelle Gewalt

(Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Angst vor Berührung

(über)sexualisiertes Verhalten

Nicht duschen wollen

Fixierung auf das andere Geschlecht

Nicht nackt sein wollen

Auf seltsame Weise Kontakt suchen

Angst, die eigenen Geschlechtsteile zu berühren

Sich von anderen unter Druck gesetzt fühlen

In sich zusammengesackt dasitzen

Sich prostituieren

Ekel vor Sex

Fluchtverhalten

Sexuell grenzüberschreitendes Verhalten

Probleme mit sexuellen Beziehungen

Einführen von Gegenständen in Vagina, Anus, Penis

Schamgefühle

Eigenartige Kleidung

Zerrissene Kleidung

Vermeidungsverhalten

Ruhelosigkeit

Rückzugsverhalten

Einführen von Gegenständen in Vagina, Anus, Penis bei anderen Personen

Kontakt zu manchen Menschen verweigern

Jemanden hinterherlaufen

Extrem extrovertiert

Entgrenztes Verhalten

Kontaktscheu

An Menschen oder Gegenständen "aufreiten"

Häufiger Wechsel von Kontakten

Übertriebene Abhängigkeit

Stehlen

Unterwürfigkeit

Aggression

Missbrauchssituationen provozieren

Andere soziale Indikatoren

Keine Aufklärung

Unzugängliche Aufklärung

Andere Aspekte des Umfeldes, der Lebensgeschichte

Kein Fachwissen über Hinweise auf sexuelle Gewalt

Geschlossene Systeme (Familie/Institutionen)

Sozial schwaches Milieu

Falsche Aufklärung (z.B. Pornografie)

Methodisches Eruieren anhand des hermeneutischen Kreises

(Vgl. Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Dieses Konzept stellt ein Requisit zu einer möglichst facettenreichen Einschätzung einer Person dar, unter Anbetracht der Kontextfaktoren. Dabei wird die Aufgliederung in die physische, intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung, der Lebensgeschichte und die psychische / psychiatrische Problematik zur Hinweisanalyse genützt. Außerdem wird zwischen allgemeinen und spezifischen Indikatoren unterschieden, und eine weitere Differenzierung in vier Stressniveaus findet statt, welche zu einer konkreten Einschätzung des Menschen führt. Diese vier Stressniveaus (alltäglicher Stress, allgemein posttraumatischer Stress, spezifischer posttraumatischer Stress, komplexer posttraumatischer Stress) helfen nicht nur bei der Wahrnehmung und Interpretation möglicher Hinweise auf sexuellen Missbrauch, sondern unterstützen auch adäquates Handeln bei Verdacht darauf.

Kompendium zur Vorgehensweise bei Missbrauchsverdacht

(Vgl. Ninlil und Mehrfachbehinderung)

  1. Kontenance bewahren Durch Projektion verstärkt sich die Lädierung und verhindert einen respektvollen, empathischen Umgang. Fokussiert sollte der Schutz des Opfers vor weiteren Übergriffen werden.

  2. Indikatoren einschätzen und abklären Hinzuziehen der diversen Hierarchieebenen unter Einberufung von Teammeetings und Dokumentation von Verhaltensweisen, Handlungen oder Äußerungen, die dabei unterstützen, die Situation einzuschätzen. Vor überstürzten Verdachtsäußerungen ist abzuraten, vor allem wenn keine räumliche Trennung zwischen Täter und Opfer besteht.

  3. Offene Kommunikation innerhalb des Fachpersonals Dies ermöglicht ein Gesamtbild des vorliegenden Falles.

  4. Selbstreflexion Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Ängsten unter Einbezug einer dritten Person unter Einhaltung der Schweigepflicht.

  5. Supervision Informationseinholung Inanspruchnahme von Fachberatungsstellen und Hotlines zur Einschätzung des eigenen Handelns.

  6. Kontaktaufnahme Vorsichtige Intensivierung der Beziehung zum Opfer, um den manipulativen Täteräußerungen zur Verschweigung des Geschehenen entgegenzuwirken, indem zur Aussprache von Gefühlen und Problemen animiert wird.

  7. Kontaktaufnahme zum Umfeld Diese Vorgehensweise dient der Bildung eines Unterstützungskreises.

  8. Helferinnenkonferenz Zur Besprechung eines einheitlichen Vorgehens der MitarbeiterInnen in den diversen Einrichtungen der betroffenen Person.

  9. Strafanzeige Es besteht keinerlei Verpflichtung zum Einsatz des Strafverfahrens. Seit 01.01.2006 haben Betroffene das Recht auf eine Prozessbegleitung durch spezialisierte Beratungsstellen.

  10. Dialog Keine Entscheidungen fällen, ohne die betroffene Person einzubeziehen.

Präventionsarbeit

Präventiv einzuwirken sollte auf Ebene der betreffenden Zielgruppe, deren Angehörigen, der ProfessionalistInnen und der diversen Hierarchien einer Institution oder Einrichtung erfolgen.

Zielgruppe: Personen mit geistiger Behinderung

  1. Wahlmöglichkeiten eröffnen, um eigene Entscheidungen treffen zu können und durch bewusstes Verweigern Grenzen zu setzen. Dies wirkt Identitätssteigernd und beendet Machtlosigkeit.

  2. Positive Körperwahrnehmung durch vermehrte Selbstbestimmung und größtmögliche Unabhängigkeit.

  3. Isolation und Exklusion im gesellschaftlichen Kontext unterbrechen und Empowerment unterstützen.

  4. Wissensmacht durch Sexualpädagogische Begleitung und öffentlichen Zugang zu Informationen ermöglichen.

  5. Möglichkeiten zur Weiterbildung schaffen

Angehörige

  1. Transparente Kommunikation des Verhaltenskodex in Bezug auf sexuelle Gewalt nach außen.

  2. Besorgnisse berücksichtigen und respektieren.

  3. Emphatisches, wertschätzendes Verhalten gegenüber den Angehörigen.

ProfessionalistInnen

  1. Reflektiertes Denken/Handeln in Bezug auf das Menschenbild, eigene Arbeitsmotivation, Machtverhältnisse, eigene Normen und Werte bezüglich Sexualität und das eigene Rollenverständnis.

  2. Wahrnehmung und Vermittlung eigener Grenzen.

  3. Einholung von Informationen in Bezug auf die Indikatoren, Wahrnehmung, Überlebensmechanismen, Folgen, Störungen und Dynamiken von sexueller Gewalt.

  4. Benennung von einrichtungsinternen Ansprechpersonen.

  5. Supervisorische Unterstützung.

Institution/Einrichtung

  1. Enttabuisierung der Themen Sexualität, sexueller und struktureller Gewalt.

  2. Weiterbildungen für das Personal aller Hierarchiestufen.

  3. Klare und transparente Organisationsstrukturen durch pädagogische Konzepte, fachlich reflektierten Umgang mit Nähe und Distanz, definierte Leitungsstrukturen und Kooperation mit Hilfseinrichtungen.

  4. Klar definierter Verhaltenskodex mit verständlicher Vermittlung bei Neuanstellungen.

  5. Kriseninterventionsplan

  6. Grundsätze in der Kommunikation befolgen. (Offenheit, Informationsmöglichkeiten...)

  7. Konzeptionelle Thematisierung.

Haltung / Menschenbild

Karl Rogers prägte ein humanistisches Menschenbild, das Einzug in die folgenden Leitideen hielt.

Empowerment

Diese Art der Bemächtigung stellt einen Prozess dar, in dem sich die Personengruppe ihrer eigenen Fähigkeiten, Kräfte und sozialen Ressourcen bewusst wird und diese einsetzt. Es unterstützt die Selbstgestaltung des Lebens. Ein Entgegenwirken der Fremdbestimmung und die Unterstützung der Personen bei Willensäußerungen führen zu bewussten Entscheidungen im eigenen Leben.

Partizipation

Die Forderung nach der völligen und wirksamen Partizipation (Teilhabe) an und in der Gesellschaft stellt sich gegen die bisherig vorherrschende Diskriminierung.

Emanzipation

Eine Erlösung von den unterdrückenden Obrigkeiten durch Selbstbestimmung und einer eigenen Norm- und Wertevorstellung soll erreicht werden.

Selbstständigkeit

Die Ausübung eigener Fähigkeiten und Ressourcen schützt vor Überfürsorge und Fremdbestimmung.

Wahlmöglichkeiten

Dem hohen Anpassungsvermögen von Frauen mit Lernbehinderung entgegenzuwirken, dient dazu, eigene Wünsche zu erkennen, zu benennen und zu äußern. Frauen sollen in der Verneinung und im Setzen eigener Grenzen unterstützt werden, da Unangepasstheit ein Zeichen von Autonomie und Entwicklung ist.

Inklusion

Inklusion fordert eine Konzipierung der Gesellschaft unter Anbetracht des Einbezogen-seins aller als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft, unabhängig derer Fähigkeiten. Diese Leitidee wirkt der sozialen Isolation entgegen und bewirkt Unabhängigkeit.

Normalisierung

Dieser Begriff steht für die Gewährleistung eines Lebens für Menschen mit Behinderung unter den gleichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, die nichtbehinderten MitbürgerInnen offenstehen. Dies verbessert die Lebensbedingungen und fördert Integration.

Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung die sexuelle Gewalt erlebten

Unter Berücksichtigung der psychosexuellen Entwicklung (nach Sigmund Freud)

Die angeführten Begleitungsstile verfolgen die Intention der ProfessionalistInnen an das Erleben der Person anzuknüpfen, indem durch das flexible Wechselspiel zwischen diesen Methoden auf die sozial-emotionale Entwicklung eingegangen wird.

Orale Phase

Dieser Prozess ist gekennzeichnet von einem symbiotischen Erleben des Umfelds und der eigenen Person, was sich in einem vermehrten Einfordern von Bestätigung, Gemeinsamkeit und einem unklaren Verständnis von Grenzen zeigt.

Befindet sich die zu begleitende Person regressiv auf dieser Entwicklungsebene, ist die Schaffung von Sicherheit durch die Trennung von Täter und Opfer unabdingbar. Des Weiteren sollte sich die/der AssistentIn durch Zuverlässigkeit, Vorhersehbarkeit, Ruhe, Kontinuität, Verlässlichkeit, Wertschätzung, Erkennbarkeit und das Anbieten von Berührungen und Geborgenheit auszeichnen. Im Bewusstsein sollte der Gedanke vorherrschen, dass jegliches explizites Verhalten etwas Implizites verbirgt.

Anale Phase

Die Lösung aus der Symbiose mit Übergang in die Autonomie durch die Entwicklung der eigenen Identität ist charakteristisch für diesen Prozess und zeigt sich durch das Abtasten und Prüfen der eigenen Grenzen, sowie der im Umfeld vorherrschenden Beschränkungen.

Experimentierfreiheit durch die Schaffung von geeigneten Räumen unterstützt die Entwicklung. Identitätssteigernde Maßnahmen, wie die Schaffung von Erfolgserlebnissen und zusagenden Aktivitäten mit Anknüpfung an persönliche Interessen fördern ein positives Selbst- und Körperbild. Eine bestätigende Haltung zur Person ist essentiell. In dieser Phase sollte sich der Begleitungsstil durch einen fragenden Ausdruck, durch die Schaffung von Wahlmöglichkeiten, Autonomie und Emanzipation auszeichnen.

Alltagsbegleitung

Die realistische Zuordnung der erlebten sexuellen Gewalt führt zu einer nicht immerwährenden Präsenz des Geschehenen, wodurch Emanzipation, Autonomie und Selbstbestimmung unterstützt werden. Durch die Schaffung eines sicheren Umfeldes und die Offenheit der umgebenden Personen über sexuellen Missbrauch zu sprechen, werden Rahmenbedingungen erzeugt, die einen normalen Alltag ermöglichen. Es gilt eine Balance zwischen einem strukturierten, klaren, verlässlichen und Sicherheit bietenden Tagesverlauf und einer dosierten Aufmerksamkeit durch spezifische Methoden zu schaffen.

Methoden/Konzepte

(Vgl. Bosch und Suykerbuyk, Begleitung sexuell missbrauchter Menschen mit geistiger Behinderung 2010)

Persönliches Buch

Die Stärkung der eigenen Identität ist das vordergründige Ziel dieser Methodik. Sie spricht diverse Personengruppen mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten an, da das Vorgehen die Arbeit mit Bildern, Zeichnungen, Briefen, persönlichen Dokumenten und dem geschriebenen Wort vorsieht und so dem Menschen die Möglichkeit bietet, durch Sammlungen die Persönlichkeit darzustellen. Das Werk umfasst die Bereiche eines positiven Selbstbildes beziehungsweise Körperbildes, die Visualisierung der Identität durch Bilder, Texte, etc., die Definition von sexuellem Missbrauch mit Klärung der Schuldfrage, Benennung des Täters, Nennung der AnsprechpartnerInnen zu diesem Thema und Schilderung des Geschehenen. Die individuelle Gestaltung dieses Buches bietet die Möglichkeit auf die Person einzugehen, ohne Druck auszuüben und in der Geschwindigkeit des Menschen mitzugehen. Dieses Begleitinstrument bietet Raum für Trauer und ermöglicht die Einordnung und Strukturierung des Geschehenen unter Rahmenbedingungen, die ein Verhaften in den negativen Gefühlen vermeiden. Eine fortlaufende Bearbeitung ist notwendig, da die Geschichte des Lebens bis zu dessen Abschluss nicht beendet ist.

Sticker-Methode

Als Intention dieses Konzeptes ist die Einordnung psychosomatischer Beschwerden zu nennen, sowie die Wahrnehmung und Analyse der Muster von den auftretenden Symptomen der missbrauchten Person. Diese Methode findet häufige Anwendung bei Betroffenen, die ihre psychische Befindlichkeit über Somatisierung zum Ausdruck bringen. Das Umfeld wird initiativ, der Hunger nach kontinuierlicher Aufmerksamkeit des Menschen mit erlebter sexueller Gewalt wird durch Kanalisierung, Dosierung, Strukturierung und Wahrnehmung gestillt. Die Methode umfasst das Aufkleben von roten Stickern auf die Stelle der auftretenden körperlichen Beschwerden, auf einem vorgezeichneten Bild einer geschlechtsspezifischen nackten Person. Grüne Sticker markieren die Stellen, an denen die Beschwerden nicht mehr auftreten. Beide können mit Datum versehen werden und geben dem/der KlientIn mehr Regie und Einsicht über das eigene Verhalten.

Emotionskarten

Während des Trauer-Prozesses ist es von enormer Bedeutung durch strukturiertes Erleben und Äußern der Emotionen diesen den verdienten Platz zuzuordnen. Methodisch wird durch die Arbeit mit Emotionskarten den AssistenInnen ermöglicht, die derzeitige Phase der Trauer zu erkennen und adäquat darauf einzugehen. Diese effiziente Begleitungstechnik wird bei diversen Personengruppen mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten angewandt und bewährt sich vor allem bei Menschen, die erst kürzlich sexuellen Missbrauch erlebten.

Durch die Darstellung der Grundemotionen Angst, Wut, Trauer und Freude wird ein ins Gespräch-Kommen mit dem Opfer ermöglicht. Diese Karten dienen als Ausdrucksmöglichkeit und treten anstelle einer meist vorherrschenden Sprachlosigkeit. Non-verbale Arbeitsformen erfolgen mithilfe von Zeichnungen, Bildern und Fotos

Spannungsbarometer

Das Rückerlangen der Regie über das eigene Leben fokussiert die Arbeit mit dem Spannungsbarometer. Es verhilft dazu, eigene Emotionen zu erkennen und zu steuern. Wiederum spricht dieses Verfahren eine weite Bandbreite von Betroffenen an.

Die methodische Vorgehensweise mithilfe eines vierfärbigen Rechtecks, das einen Thermometer darstellt, anhand dessen farblichen Abstimmung auf die Emotionen der Person eingegangen wird. Grün steht für ruhig/entspannt, Gelb für entstehende Unruhe, Orange für kontrolliertes Stressempfinden und Rot für emotionales Ungleichgewicht, das sich durch herausforderndes Verhalten äußert. Zu Beginn wird der Begriff Spannung mit der Person definiert. Neben der farblichen Darstellung der Emotionen kann im orangen Feld ein Handlungsrepertoire an Entspannungsmöglichkeiten dargestellt werden, um Eigenregie, Emanzipation zu erlangen und der Ohnmacht zu entfliehen.

Dosierte Aufmerksamkeit

Eine systematische Strukturierung der Lebensgeschichte von Betroffenen durch die beschriebenen Methoden hilft, dem Missbrauchs-Geschehen gerecht zu werden und die Aufmerksamkeit darauf zu dosieren. Es darf keine Bagatellisierung des Erlebten erfolgen, allerdings muss auch darauf geachtet werden, einen geeigneten Lebensrhythmus wiederherzustellen.

Sexualpädagogische Begleitung

Im Schnitt geben 47,6% der Frauen an, über jeweils einzelne Aspekte der Aufklärung etwas zu wissen. Etwas mehr als ein Drittel der Frauen, 34,7%, sind sexuell nicht aufgeklärt, von 17,6% der Frauen erhielten wir entweder keine Antwort oder sie konnten die Fragen nicht einordnen. Mehr als die Hälfte der Frauen wurde demnach nicht aufgeklärt. (Zemp und Pircher, http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html 2006)

Diese Fakten beschreiben ein enormes Handlungsfeld, in dem es zu agieren gilt. Der präventive Aspekt von Sexualpädagogischer Aufklärung ist hinlänglich bekannt. Die Personen müssen in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden, unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren und der persönlichen Auffassungsgabe. Die individuellen Norm- und Wertvorstellungen müssen berücksichtigt werden. Das Körperschema, -empfinden und -bild dienen als Ausgangspunkt einer adäquaten sexualpädagogischen Begleitung bei Personen, die sexuellen Missbrauch erlebten. Im Zentrum steht auch das Erlernen der Fähigkeit "Nein" zu sagen und eine Idee davon zu geben, was Sexualität ist und wie sie gelebt werden kann. Bei der Wissensvermittlung muss an das Erleben und die Möglichkeiten der Einzelnen angeknüpft werden. Da Sexualität einer ständigen Entwicklung unterliegt, muss die Grundhaltung von BetreuerInnen durch Offenheit und Toleranz geprägt sein.

Conclusion

Sowohl die empirischen Daten als auch die Praxiserfahrungen verweisen auf die enorme Triftigkeit zur Thematisierung des vorliegenden Inhaltes. Das beschriebene etablierte Begleitungsmanual erweist sich in der Assistenz von Menschen mit geistiger Behinderung, die sexuellen Missbrauch erlebten, als konstruktiver Ansatz. Die Aufmerksamkeit auf den Menschen in seiner Gesamtheit zu richten ist in diesen Zusammenhang unerlässlich.

"Sichere Rezepte, um Menschen mit geistiger Behinderung vor sexueller Gewalt, Missbrauch und Verführung zu schützen, gibt es nicht. Aber es können Gegengewichte geschaffen und die Widerstandskraft des betroffenen Menschen kann gestärkt werden. Was für die Entfaltung und Festigung der Persönlichkeit wichtig ist- Eigenständigkeit entwickeln, nein sagen lernen, selber Erfahrungen machen und die eigenen Gefühle, Empfindungen, Sehnsüchte und Wünsche wahrnehmen und zulassen können-, schafft auch gute Voraussetzungen, um sexuellen Zumutungen etwas entgegenzusetzen." (Pörtner 2003)

Literaturverzeichnis

Bass, Ellen, und Laura Davis. Trotz allem: Wege zur Selbstheilung für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Berlin: Orlanda Frauenverlag GmbH, 2009.

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Quelle:

Sabrina Eckl: Frauen mit geistiger Behinderung begleiten, die sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebten.

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 17.04.2013

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