"ohne Wenn und Aber"

Über die schulische Integration "behinderter" Kinder Situationsbezogen auf Vorarlberg

Themenbereiche: Schule
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie, an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens Universität Innsbruck, eingereicht bei: Univ.-Doz. Dr. Volker Schönwiese, Institut für Erziehungswissenschaften, Innsbruck, im Mai 1995
Copyright: © Annette Dür, Brigitte Scheidbach 1995

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Träumt einer allein,

ist es nur ein Traum.

Träumen viele gemeinsam,

ist es der Anfang

von etwas Neuem.

(Brasilianisches Sprichwort)

Schulische Integration ist für die Gesellschaft, in der wir leben, der Anfang von etwas Neuem. Neu darum, da behinderte Kinder nach einer langen Zeit der Aussonderung nun das Recht auf den gemeinsamen Schulbesuch mit nichtbehinderten Kindern haben.

Dieses Recht ist zwar gesetzlich verankert, es gibt aber leider immer noch Hintertüren, mit Hilfe derer es umgangen werden kann. Und genau diese Hintertüren bergen die Gefahr in sich, daß schulische Integration eine Sache der "besser Behinderten" wird, und alle anderen durch das integrative Netz hindurchfallen.

Mit unserer Arbeit möchten wir einen Beitrag dazu leisten, daß dieses Netz zu einer lückenlosen Einheit gewoben wird, und kein Kind mehr, unabhängig von Art und Schweregrad der Behinderung, hindurchfällt.

Der Titel "ohne Wenn und Aber" mag manch einem provokativ und unrealistisch erscheinen. Dies ist er sicher auch, betrachten wir die Bedingungen, unter denen der Großteil der integrativ unterrichtenden LehrerInnen derzeit arbeiten muß. Für uns stellen Rahmenbedingungen, wie fachspezifische Ausbildung, wissenschaftliche Begleitung, Reflexionsmöglichkeiten, ..., die Grundvoraussetzung für schulische Integration "ohne Wenn und Aber" dar.

Erst wenn diese Rahmenbedingungen kein Thema mehr, sondern Selbstverständlichkeit sind, was letztendlich vom Willen der Schulbehörde und der Forderungsintensität aller am integrativen Prozeß Beteiligten abhängt, kann der Weg von Integration "ohne Wenn und Aber", das Neue, konsequent verwirklicht werden!

1. Geschichtlicher Verlauf

Die Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber behinderten Menschen änderte sich im Laufe der vorherrschenden geschichtlichen Epochen, was aus den unterschiedlichsten Verhaltensweisen, die sowohl Aussonderung als auch Verehrung beinhalten, ersichtlich wird.

1.1 Antike

In der Antike hing der Grad der Aussonderung der behinderten Menschen von den folgenden Faktoren ab:

  • "dem Grad der Integration in den Sozialverband;

  • den Möglichkeiten zur Erfüllung bestimmter Funktionen;

  • der sozialen Stellung des Betroffenen."

(Hofmüller G., Stekl H., 1982, S.112)

Der bedeutende Philosoph dieser Zeit, Platon, war der Ansicht, daß der/die, dessen/deren Behinderung von Geburt an offensichtlich ist, nicht gepflegt werden muß, da er/sie weder sich noch dem Staat nützt. Es war somit üblich, behinderte Kinder unmittelbar nach deren Geburt zu töten. Dieses Recht auf Tötung des Neugeborenen fand in der römischen Rechtsordnung die Legitimation. Die Kriegsinvaliden hingegen wurden zur Erhaltung der Kampfmoral der Soldaten gepflegt.

Trotz der weit verbreiteten negativen Einstellung gegenüber den "Behinderten" standen einige wenige von ihnen im Zeichen der öffentlichen Verehrung. So galten zum Beispiel manche Blinde als SeherInnen und Propheten/Prophetinnen. Diese Annahme beruhte auf dem Glauben, daß der Verlust der Sehkraft dem Anblick einer Gottheit zuzuschreiben sei. Aber egal welche Haltung diesen Menschen entgegengebracht wurde, sie war immer von Distanz geprägt, und ließ sie einen Platz außerhalb der Gesellschaft einnehmen.

1.2. Mittelalter

Die Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung änderte sich durch die Ausbreitung des Christentums. Lebten diese nicht in der eigenen Großfamilie, in Pflege oder in der Dorfgemeinschaft, übernahmen nun Kirchen- und Ordensgemeinschaften deren Versorgung und Pflege.

Der christliche Geist dieser Zeit war geprägt von der Ansicht, daß ALLE Menschen als Kinder Gottes anerkannt werden müssen. Behinderte Menschen mußten somit nicht mehr um ihr Leben bangen, sondern wurden mitleidig versorgt. Dennoch führte die christliche Einstellung keineswegs zu einer Akzeptanz; sie führte doch vielmehr zur Errichtung einer Anzahl von "Aussonderungs"-Institutionen.

Mit Ausgang des Mittelalters versuchte die Kirche im Zuge der Inquisitation ihre bereits verlorene Macht gegenüber dem Staat dennoch zu demonstrieren. Viele "Behinderte" wurden als Hexenwesen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zum ersten aber nicht zum letzten Mal galten sie als Sündenböcke in der Gesellschaft.

1.3. Aufklärung und Industrialisierung

Aufklärung und Industrialisierung waren geprägt von der immer stärker werdenden Forderung nach Vernunft und Rationalität. Der Wert einer Person wurde an deren Produktivität, sowie der körperlichen und geistigen Unversehrtheit gemessen.

Großfamilien mußten für den industriellen Produktionsprozeß in zweckrationale Kleinfamilien umgewandelt werden. Um sich von den "unnützen Balastexistenzen", zu denen erstmals nicht nur "Behinderte" zählten, zu befreien, wurden "für unbrauchbare Alte Altersheime errichtet, für Pflegebedürftige Pflegeheime, für unversorgte oder störende Kinder Waisenhäuser und Kindergärten (Pestalozzi), für geistig Behinderte Idiotenanstalten, für "Arbeitsscheue" Arbeitshäuser, für Straffällige erstmals eigene Gefängnisse und für die Irren eben Irrenanstalten." (Dörner K., Plog U., 1980, S.432)

Damit waren die Grundsteine für das soziale Versorgungsnetz, welches heute noch seine Gültigkeit hat, gelegt.

Zudem wurden behinderte Menschen zum wissenschaftlichen und medizinischen Objekt und waren unzähligen Heilungs- und Erziehungsversuchen ausgesetzt, um für die Gesellschaft nutzbar gemacht zu werden.

1.4. 19. Jahrhundert

Trotz zahlreicher Selbsthilfeverbände von "Behinderten", die seit 1870 auftraten, um gegen ihre diskriminierende gesellschaftliche Stellung anzukämpfen, trafen die Überlegungen des Sozialdarwinismus, vor allem bei Medizinern/Mediznerinnen, Politikern/Politikerinnen und Pädagogen/Pädagoginnen, auf fruchtbaren Boden.

1.4.1. Sozialdarwinismus

1859 veröffentlichte Charles Darwin sein Buch "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtauswahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein", in dem er sich mit dem Kampf um das Dasein, der natürlichen Auslese sowie der Selektion in der Entwicklung von Pflanzenarten auseinandersetzte. Darwins Lehre wurde, ohne dessen Zustimmung, von verschiedenen Sozialdarwinisten/-darwinistinnen auf die Menschen übertragen.

Die Darwinisten/Darwinistinnen teilten sich in die Rassenanthropologen/-loginnen und die RassenhygienikerInnen. Für die Rassenanthropologen/-loginnen war die germanische Rasse die edle und gesunde, die es galt, vor der Erbmischung zu schützen. Die RassenhygienikerInnen vertraten den Standpunkt, daß alles Schwächliche oder Erbkranke von der Fortpflanzung auszuschließen sei. In erster Linie waren es behinderte Menschen, in denen die Träger dieses minderwertigen Erbgutes gesehen wurden, was zur Forderung eines Eheverbotes für diese führte.

Schallmayer, der in Deutschland bekannteste Vertreter des Sozialdarwinismus, forderte neben dem Eheverbot die nach Geschlecht getrennte Zwangsasylisierung und die Zwangssterilisation, um somit die "Krüppel" Schritt für Schritt aus der Welt zu schaffen.

Diese Überlegungen bildeten die Voraussetzungen für die im Dritten Reich ausgeführten Sterilisations- und Euthanasiekampagnen.

1.4.2. Die Hilfsschule

Im Zuge der Reformierung des Volksschulwesens um 1870 kam es zur Gründung der Hilfsschule. Diese Gründung kann von zwei Seiten betrachtet werden:

  • Aspekt der Aussonderung: die Hilfsschule diente, indem sie sich den Schwach(sinnig)en annahm, vor allem zur Entlastung der Regelschule.

  • Aspekt der Gleichberechtigung: die Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Schwach(sinnig)en sollten verbessert werden.

Schon damals gab es BefürworterInnen und GegnerInnen der Hilfschulen als "Aussonderungsinstitutionen". Folgendes Zitat aus einem Bericht des Landesausschusses weist auf die Vorteile eines gemeinsamen Unterrichtes hin:

"Es ist gewiß richtig, daß schon der Umgang mit gut gezogenen gesunden Kindern äußerst vorteilhaft auf schwachbegabte Kinder einzuwirken vermag. Durch das Beispiel der Altersgenossen, das nicht selten weit eindringlicher wirkt als die Belehrung Erwachsener, unter dem Miteinflusse des in früher Jugend mächtig wirkenden Nachahmungstriebes kann in bezug auf Ordnungsliebe, Gesittung, Haltung ein wertvoller Erziehungserfolg erreicht werden, dem sich unter dem belebenden Einflusse des Verkehrs mit den normal Befähigten und der aus demselben sich ergebenden Anregung allmählich die Erlernung der willkürlichen Aufmerksamkeit und das Erwachen der Verstandestätigkeit anreiht, durch welche solchen Kindern wenigstens einfache mechanische Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Handarbeit) beigebracht werden können, wenn auch das verständige Rechnen schon oft unübersteigliche Schwierigkeiten bereitet." (Zitat in: Schmitten I., 1985, S.129)

All diese Überlegungen gerieten jedoch bald in Vergessenheit. Viel mehr stieg die Anzahl jener Kinder, die oft unberechtigt als "schwachsinnig" degradiert wurden und somit die Hilfsschule zu absolvieren hatten. Der Makel "HilfsschülerIn" begleitete sie ein Leben lang.

1.5. Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Nach dem Ersten Weltkrieg nutzten die RassenhygienikerInnen die Notlage der Bevölkerung aus, um die Zahl der AnhängerInnen ihrer Theorien zu vergrößern. Anhand eines Kosten - Nutzen - Modells, in welchem sie die Kosten für Krüppel, HilfsschülerInnen, Geisteskranke, RentnerInnen, WohlfahrtsempfängerInnen und VerbrecherInnen dem niedrigen Lebensstandard der BürgerInnen entgegenhielten, wollten sie dieses Vorhaben verwirklichen.

1.5.1. Binding und Hoche

Der Jurist Karl Binding und der Mediziner Alfred Hoche veröffentlichten 1920 ihre Schrift "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form". Das Spritzen einer tödlichen Überdosis stellte ihrer Ansicht nach eine Heilhandlung dar, welche es als unverboten zu betrachten galt. Binding und Hoche dehnten den Euthanasiegedanken von unheilbar Kranken auf Geisteskranke, Schwachsinnige und mißgebildete Kinder aus. Sie bezeichneten diese Personengruppen als "Balastexistenzen", als "geistig Tote".

Nach anfänglicher Ablehnung der gesetzlichen Euthanasieforderungen auf Ärztekongressen organisierten sich die RassenhygienikerInnen zur Durchsetzung ihrer Ideologie in Verbänden; so zum Beispiel der 1925 gegründete Verband der "Wiener Gesellschaft für Rassenpflege".

All die Forderungen der RassenhygienikerInnen fanden bald darauf im Nationalsozialismus, in den großangelegten Euthanasiekampagnen ihre Verwirklichung.

1.5.2. Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 traten Gesetze in Kraft, welche die Diskriminierung und Verfolgung behinderter Menschen bewirkten.

Es waren dies das

  • "Gesetz zur Förderung der Eheschließungen vom 1.6.1933

  • Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933

  • Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrechen und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933

  • Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3.7.1934

  • Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935"

(Rudnick M., 1985, S.51)

Durch die gesetzliche Legitimation der Sterilisation von Menschen mit Behinderung und der Loyalität vieler Sonderpädagogen/-pädagoginnen bzw. HilfsschullehrerInnen zu den Zielen des faschistischen Staates gab es kein Entkommen für die als erbkrank Bezeichneten. Schätzungen zufolge waren es 200.000 bis 350.000 Personen, die größtenteils zwangsweise sterilisiert wurden.

Doch die nationalsozialistischen Gedanken reichten über die Zwangssterilisation hinaus. So wurde 1935 im Reichsparteitag der NSDAP die Euthanasie als groß angelegter Vernichtungsfeldzug für den Fall eines Krieges geplant. Weil Euthanasie offiziell immer strafbar blieb, wurde 1939 die Tarn-Aktion "T4" gestartet, der 80.000 bis 100.000 Menschen zum Opfer fielen.

Trotz nicht unbedeutenden Widerstandes gegen die Verbrechen an "Behinderten" und "Geisteskranken" während der NS-Zeit kam es nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes in der Bevölkerung zu einer Verdrängung der Gedanken an die menschenverachtenden Aktionen.

2. Medizinische und gesellschaftliche Sichtweise von Behinderung

"Die Worte haben sich geändert, die Einstellung ist geblieben."

(Sierck U., 1982, S.41)

2.1. Behinderte Menschen in der Medizin

Die Medizin spielte seit jeher eine wichtige Rolle in der "Entdeckung" und Bezeichnung der behinderten Menschen als "Mängelwesen". Inghiwo aus der Schmitten ist in seinem Buch "Schwachsinnig in Salzburg" auf die Anfänge sowie die Folgen der medizinisch-naturwissenschaftlichen "Defekt"-Sichtweise eingegangen. Laut Schmitten wurde der Kretinismus Ende des 18. Jahrhunderts von reisenden Ärzten und Naturforschern entdeckt.

Besondere Bedeutung kommt den Ergebnissen der Forschungsberichte der Brüder Joseph und Karl Wenzel zu, die 1792 nach Salzburg reisten, um Studien über den Kretinismus zu betreiben. Die beiden Ärzte sahen ihre Aufgabe in der genauen Beobachtung und Beschreibung des Kretinismus.

"Nachdem der Kretinismus ein "einheimisches Uebel" sei, wären die hiesigen Ärzte und die ansässige Bevölkerung an den Anblick gewöhnt, und da man es überdies für klimatisch bedingt und daher unbehebbar halte, ziehe es keine weitere Aufmerksamkeit auf sich. Daher müßten fremde Ärzte und Naturforscher, welche die nötige Muße und das entsprechende Interesse mitbrächten, diese Aufmerksamkeit erst wecken." (Schmitten I., 1985, S.10)

Schmitten weist, wie aus diesem Zitat ersichtlich ist, darauf hin, daß der Kretinismus bei der einheimischen Bevölkerung als nichts Besonderes angesehen wurde. Erst als um 1800 die Auseinandersetzung mit dem Kretinismus in der Medizin modern wurde, veränderte sich die Stellung der "Schwachsinnigen", die die Brüder Wenzel auch als "Menschen-Abart" bezeichneten.

2.1.1. "Der Fex wird zum Monster"

Je mehr sich die Wissenschaft mit dem Kretinismus auseinandergesetzt hat, desto fremder wurden die als "Fexen" bezeichneten "Andersartigen" für die Bevölkerung.

In der 1829 erschienenen Abhandlung "Beytrag zur Kenntnis des Cretinismus im Salzburgischen" von Doktor Joseph Johann von Knolz spricht dieser den Kretinen, den Blöden und Schwachsinnigen das Menschsein ab. Das Anliegen von Knolz war es, das Wesen des Kretinismus darzulegen. Weiters übernahm er den Vorschlag folgender Gradeinteilung der Brüder Wenzel:

  • vollkommener Cretin

  • Halbcretin

  • Cretinartig

Diese Gradeinteilung führte zu einer defektorientierten Sichtweise, welche auch heute noch die Grundlage der medizinischen Diagnosestellung bildet.

Nachdem der Arzt Knolz den Kretinen das "Mensch-sein" abgesprochen hatte, setzte er diese sogar den Tieren und Pflanzen gleich. Hierzu verglich er sie beispielsweise mit Krummholz sowie Schnecken und Weichwürmern, die zu den niedrigsten Tieren zählen.

Um die "Kretinen" aber nicht den Zoologen und Botanikern zu überlassen, gab Knolz ihnen, mit der Begründung, daß sie von menschlichen Eltern abstammen, einen Teil ihrer Menschlichkeit zurück. Knolz stellte als erster das Wesen des Kretinismus als Krankheit dar und ordnete diese den Nerven- bzw. Seelenkrankheiten, die dem Aufgabengebiet der Psychiatrie zugewiesen werden, zu.

"Nicht nur das; er dehnte den Begriff Kretinismus auf alle Formen des Schwachsinns aus und damit tendenziell auch die medizinisch begründete Ausschließung aus der Welt der normalen Menschen." (Schmitten I., 1985, S.65)

2.1.2. Der "ärztliche Blick"

Eine weitere Grundlage zur Erstellung einer medizinischen Diagnose bildet der "ärztliche Blick". Dieser ist im Zeitalter der Aufklärung entstanden und ging mit den neuen Leistungsanforderungen einher. Der "ärztliche Blick" konzentriert sich ausschließlich auf Defekte, welche als objektive Fakten gesehen werden.

Foucault, der den Begriff vom "ärztlichen Blick" geprägt hat, schreibt hierzu:

"Der Blick beobachtet, hütet sich vor dem Eingreifen: er ist stumm und ohne Geste. Die Beobachtung läßt alles an seinem Platz; es gibt für sie nichts Verborgenes im Gegebenen." (Foucault M., 1988, S.121)

Bei der Beobachtung der Defekte spielt es keine Rolle, ob diese körperlicher, geistiger oder sozialer Art sind. Der Defekt ist aus klinischer Sicht das Problem der behinderten Person selbst und nicht das der Familie oder der gesellschaftlichen Umgebung. Der "ärztliche Blick" brachte sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich: einerseits wurden große Fortschritte in der Heilung bzw. Behandlung kranker und behinderter Menschen erzielt; andererseits kam es zu neuen Stigmatisierungen "unheilbarer" Personen, vor allem behinderter, sowie zur Entdeckung von vielfältigen neuen Schädigungen. Für die als "unheilbar" beziehungsweise "unerziehbar" Bezeichneten, welche der gesellschaftlichen Norm nicht entsprachen, wurden spezielle Aussonderungsinstitutionen, wie Heime und Sonderschulen, errichtet.

Über den "ärztlichen Blick" und die daraus resultierenden Aussonderungstendenzen schreibt Peter Gstettner folgendes:

"FOUCAULT hat uns gezeigt, daß es ein Charakteristikum des "ärztlichen Blicks" ist, Anormalitäten und Abweichungen als "Varianten der Natur" zu klassifizieren und zu behandeln. Es liegt also vermutlich auch in der Tradition der Medizin, daß sie mit einer "fortschrittlichen" Pädagogik gut kooperieren kann, weil diese ihrerseits das Anormale als einen pädagogischen Sonderfall ansieht, der nicht integriert werden darf, weil er Sonderbehandlung und Spezialisierung herausfordert." (Gstettner P., 1982, S.134f.)

2.1.3. Definition von Behinderung in der Medizin

Wie aus den vorangegangenen Kapiteln ersichtlich ist, rückte der Begriff der "Behinderung" immer mehr in das Interesse der Medizin. Um auch genau diagnostizieren zu können, wer als behindert gilt, wurden eigens medizinische Diagnosen erstellt:

"Behinderung: Nicht nur vorübergehende zu einer MdE v. mindestens 10% führende körperliche, geistige od. seelische Beeinträchtigung, unabhängig davon, ob sie angeboren, durch äußere Ereignisse (z.B. Unfall, Krieg) erworben od. durch Erkr. hervorgerufen wurde. Eine Schwerbehinderung liegt nach dem Schutz- u. Fördermaßnahmen f. Schwerbehinderte regelnden Schwerbehindertengesetz (SchwbG) in d. Fassung v. 8.10.1979 (BGBI.1 S.1649) dann vor, wenn inf. der B. die Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um mindestens 50% gemindert ist." (Pschyrembel, 1990, S.190)

Da Behinderung in der Medizin als Krankheit angesehen wird, die es zu heilen gilt, kommt der Therapie eine große Bedeutung zu. Um sogenannte Defekte heilen zu können, müssen diese genau definiert werden. Hierfür zerlegt die Medizin den Menschen in einzelne Teile und Funktionen, welche anhand von Standardnormen beurteilt werden. Diese Parzellierung erniedrigt den/die Patienten/Patientin - die behinderte Person - zum Objekt, zerstört dessen/deren Identität und entmündigt diesen/diese.

"Die medizinische Denkweise ist auch durch jene Maßlosigkeit gekennzeichnet, alles menschliche Verhalten in ihr System einordnen zu wollen, und legt damit den Grundstein für die verhängnisvolle Entwicklung von der Therapie zur Therapeutisierung." (Wunder M., 1982, S.74)

Durch die medizinische Denkweise, die den/die Patienten/Patientin in "einzelne Teile" zerlegt, verschwindet die ganzheitliche Sichtweise des Menschen. Die Medizin beschäftigt sich also nicht mit der behinderten Person als Individuum, sondern versucht "krampfhaft", die Defekte dieser zu heilen/zu therapeutisieren.

2.2. Behinderte Menschen in der Sonder- und Heilpädagogik

Die medizinisch-defektorientierte Sichtweise hat auch in der Sonder- und Heilpädagogik eine lange Tradition.

"Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die heilpädagogische Betreuung geistigbehinderter Menschen theoretisch und praktisch zunehmend von der Psychiatrie vereinnahmt, was dazu führte, daß die Heilpädagogik ganz unter ihre Obhut geriet." (Theunissen G., 1993, S.139f

Die Hinwendung der Heilpädagogik zur Medizin ist auf das jahrzehntelang ausgebliebene fachliche Interesse seitens der Allgemeinen Pädagogik, gegenüber dieser zurückzuführen. Da die Heilpädagogik als erziehungswissenschaftliche Disziplin kaum Anerkennung fand, wurde sie von der Psychiatrie immer mehr vereinnahmt und häufig zu deren medizinisch-therapeutischen Hilfsdisziplin erklärt. Obwohl die Anlehnung der Heilpädagogik an die Medizin auch heute noch in den Köpfen vieler in diesen Disziplinen Tätigen existiert, lösen neue Ansätze (vgl. Kapitel 2.2.3.) die alte Denkweise immer öfter ab.

2.2.1. Definition von Behinderung in der Sonder- und Heilpädagogik

Der Sonderpädagoge Thalhammer definiert Behinderung wie folgt: "Geistige Behinderung bezeichnet diejenige Seinsweise und Ordnungsform menschlichen Erlebens, die durch kognitives Anderssein bedingt ist und die besondere lebenslange mitmenschliche Hilfe zur Selbstverwirklichung in individuellen Dimensionen und kommunikativen Prozessen notwendig macht." (Zitat in Elbert J., 1982, S.68)

Dieser Theorieansatz Thalhammers wirkt in zweifacher Weise stigmatisierend:

  • das "Anders-Sein" der behinderten Person wird in den Vordergrund gestellt, sie wird nicht als gesellschaftlicher bzw. "normaler" Mensch anerkannt;

  • dem behinderten Menschen wird die Fähigkeit abgesprochen, sich selbst verwirklichen zu können.

Die Sonderpädagogik sieht es nun als ihre Aufgabe an, "Schonräume" zu schaffen, da die "Selbst"-Verwirklichung angeblich erst durch diese schützenden Arrangements verwirklicht werden kann. Dem sonderpädagogischen Handeln liegt die Kantsche Feststellung zugrunde, daß Erziehung beides zu berücksichtigen habe, nämlich das, was der Mensch ist, als auch, was er sein soll.

Ein weiterer Anspruch im Umgang mit behinderten Menschen findet sich allein schon in der Bezeichnung SONDER- und HEILpädagogik wieder:

  • SONDER: Der/die "Behinderte" wird als Sonderwesen betrachtet, welches Sonderbehandlung benötigt.

  • HEIL: Behinderung wird als Krankheit angesehen, welche es zu heilen gilt.

Durch diese angebliche Notwendigkeit auf Sonderbehandlung und Heilung hat sich eine Therapieflut entwickelt, die das Leben einer behinderten Person von deren Geburt an zu überschwemmen droht (vgl. Kapitel 2.2.2.).

Elbert sieht die Gefahr der Sonderpädagogik in deren Untersuchungsmethoden und den diesen zugrundeliegenden Theorien vom Menschen:

"Die Ergebnisse von Untersuchungen geben nur Auskunft über die künstlich erzeugte Wechselwirkung, nicht aber über die "Wirklichkeit", die vor, nach oder außerhalb der Versuchsanordnung existiert. Dies ist besonders in der pädagogischen Wissenschaft vom Menschen zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß jede pädagogische Theorie vom Menschen im Sinne des physikalischen Modells einen Bildcharakter hat und den Menschen nur in einem Zustand, nie aber in seinem "Wesen" erfassen und beschreiben kann. So ist jede pädagogische Theorie, nach ihrer Intention, nach ihren Hypothesen, Grundannahmen, Fragestellungen und Erhebungsmethoden und damit verursachten Wechselwirkung zu hinterfragen." (Elbert J., 1982, S.55)

Elbert fordert also die Hinterfragung der sonderpädagogischen Theorien, da er diesen eine formierende Wirkung vorwirft. Mit dieser Behauptung bezieht Elbert sich auf den Sonderpädagogen Thalhammer, welcher die Ansicht vertrat, daß erst durch die Erziehung der Mensch zum Menschen wird.

Thalhammer versuchte damit, die sonderpädagogischen Eingriffe in das Leben der behinderten Menschen, für dessen Verwirklichung die Sonderpädagogik Sorge zu tragen habe, zu rechtfertigen.

Elbert schreibt hierzu folgendes: "Thalhammer (1980, S.67) redet der bekannten Kantischen Erziehungsnotwendigkeit das Wort, daß nämlich erst durch die Erziehung der Mensch zum Menschen wird. Bezieht man diesen Satz auf den "Geistigbehinderten", der sich ja nicht in einem von der Gesellschaft isolierten Raum bewegt, sondern spezifischen Erziehungsmethoden, bestimmten formierenden Prozessen unterworfen ist, könnte man die Schlußfolgerung Kants, daß der Mensch nichts ist, als was die Erziehung aus ihm macht, auch folgendermaßen formulieren: Der "Geistigbehinderte" ist nichts, als was die Erziehung aus ihm gemacht hat." (Elbert J., 1982, S.70)

Weiters wirft Elbert der Sonderpädagogik mit ihren Theorien vor, das Kind bzw. den Menschen, der "hinter" der Behinderung steckt, zu vergessen bzw. nicht zu akzeptieren."Denn wie kann man ein Kind akzeptieren, wenn man gezielt auf seine Veränderung hinwirken will? Sonderpädagogische Einstellung und Akzeptieren einer zu erziehenden Person sind unvereinbar." (Elbert J., 1982, S.71)

2.2.2. Der Therapiewahn

Musizieren, Tanzen, Spielen, Malen, Essen ..... die Gesellschaft neigt dazu, all diese Tätigkeiten mit dem Nachwort Therapie zu versehen, sobald sie von und mit behinderten Menschen ausgeführt werden.

Im DUDEN lautet die Definition von Therapie wie folgt: "Kranken-, Heilbehandlung".

Das Ziel der Therapie kann somit darin gesehen werden, durch Beseitigung von Störfaktoren einen "gesunden" Zustand wieder herzustellen.

Der/die "Behinderte" bedarf also einer Sonderbehandlung, die in eigens dafür errichteten Therapiezentren stattfindet, welche eine räumliche, sichtbare Ausgrenzung zur Folge haben. In den speziell für sie errichteten "therapeutischen Zentren" wird den behinderten Menschen die Möglichkeit genommen, in alltäglichen Lebenssituationen zu lernen, sowie die außerinstitutionelle Lebenswelt als Lernfeld zu erfahren.

Theunissen beschreibt diese Therapeutisierung des Alltags sehr treffend:

"Die behinderte Person als exclusiver Adressat therapeutischer Bemühungen erfährt seiner alltäglichen Lebenszusammenhänge entkleidet eine Heilbehandlung, die sich nur auf Funktionsstörungen, Symptome, Defizite, Defekte oder "Fehlverhaltensweisen" erstreckt, und dadurch entsteht eine Aufgabenkonzentration, die sich bei genauer Betrachtung als Aufgabenverengung erweist, weil "der ganze Mensch" als soziales Wesen mit all seinen Möglichkeiten, Entwicklungspotentialen und Qualitäten ignoriert wird." (Theunissen G., 1993, S.141)

Die behinderte Person als "Ganzes" zählt nicht mehr. Sie wird in einzelne "Teile" zerlegt, damit jede Therapie ein eigens ihr zugeordnetes Tätigkeitsfeld hat:

"die Hände der Beschäftigungstherapeutin, die Beine der Krankengymnastin, der Mund der Logopädin usw." (Schönwiese V., 1989, S.62)

Der Therapiewahn macht auch vor der Familie nicht Halt. Den Eltern wird häufig die Aufgabe der Co-Therapeuten zuteil. Nach dem Motto "Je mehr Therapie desto besser", wird jede Bewegung des/der "Behinderten" und jede Beschäftigung mit diesem/dieser auf deren therapeutische Wirksamkeit hin betrachtet. Elbert schildert die Gefahr, wenn Eltern zu Co-Therapeuten werden, wie folgt:

"Werden nun die Eltern zu Co-Therapeuten, die anstelle oder in Ergänzung des Therapeuten die mechanistischen Übungen praktizieren, so wird das Kind auch in seinen familialen Beziehungen zumindest stundenweise zum Reflex der elterlichen Reize reduziert, zum leblosen, mechanischen Objekt, dem aus Gründen der Therapie sogar wehgetan werden muß. Der Körper des Kindes wird nicht mehr länger als ausführendes Organ des kindlichen Wunsches, in der Welt selbst aktiv zu sein, verstanden." (Elbert J., 1982, S.82)

Werden durch die Therapie keine Fortschritte erzielt, so wird die Schuld dafür häufig dem/der Betroffenen, also der behinderten Person, zugeschrieben. Diese Schuldzuschreibung führt bei dem/der Betroffenen zu Minderwertigkeitsgefühlen und löst bei ihm/ihr das Gefühl aus, noch mehr Therapie zu benötigen, um den Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden.

2.2.3. "From cure to care"

Um der "Allmacht" der Therapie entgegenzutreten, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine neue Ideologie, nämlich "From cure to care", was den Übergang von der Behandlung der Krankheit (Behinderung) zur Sorge um die Gesundheit bedeutet. Voraussetzung dafür ist ein gesellschaftliches, aber auch wissenschaftliches Umdenken.

Zwei Vertreter dieses neuen Ansatzes der WHO sind der Arzt Adreano Milani-Comparetti und der Psychologe Ludwig O. Roser. Sie stellen der defektorientierten Sichtweise der Medizin, welche sie als Medizin der Krankheit bezeichnen, ihr Modell der Medizin der Gesundheit gegenüber.

Medizin der Krankheit

Milani-Comparetti und Roser kritisieren an der Medizin der Krankheit deren Defektbetonung, da die Behandlung in der Unterscheidung von gesunden und kranken Teilen erfolgt. Weiters werfen sie ihr vor, isolierend zu wirken, da sie das Kind in dessen bzw. die Person in deren sozialen Beziehungen behindert, sowie entwicklungshemmend zu sein, da die Zukunft nicht berücksichtigt wird.

Medizin der Gesundheit

Die Medizin der Gesundheit hat laut Milani-Comparetti und Roser folgende drei Dimensionen zu berücksichtigen:

1.) "die ganzheitliche Dimension seiner Person,

2.) die Dimension seiner Zugehörigkeit im Verhältnis zur physischen und menschlichen Außenwelt,

3.) die Dimension seiner Entwicklung, die seine Zukunft betrifft."

(Milani-Comparetti A., Roser L.O., 1982, S.78)

Die Medizin der Gesundheit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die vorhandenen Fertigkeiten einer Person in den Vordergrund stellt. Es geht nicht darum, eine defizitäre Diagnose zu erstellen, sondern um eine auf die alltäglichen Fähigkeiten gerichtete Beobachtung. Milani-Comparetti und Roser fordern, daß der Prognose, anstelle der Diagnose, Vorrang gegeben wird, worunter sie die Suche nach dem Möglichen verstehen. Ziel ist es somit, die behinderte Person in ihrer Normalität zu fördern, statt deren Behinderung im Sinne einer Krankheit zu behandeln. Der/die TherapeutIn ist nun nicht mehr in der Rolle des/der Allwissenden und Alleinhandelnden, sondern er/sie wird Förderer/Förderin von Normalität und Autonomie, indem er/sie seine/ihre fachlichen Kenntnisse in die alltägliche Sprache übersetzt.

Die Ganzheitlichkeit ist das leitende Grundprinzip der medizinischen und pädagogischen Umsetzung der Medizin der Gesundheit. Um dem Anspruch der ganzheitlichen Sichtweise gerecht zu werden, muß .....

  • eine behinderte Person als Person mit Behinderung, die sowohl handeln, geben, als auch schöpferisch tätig sein kann, und nicht als "Behinderter/Behinderte" behandelt werden;

  • die Behandlung auf das unbedingt Notwendige und auf einen begrenzten Zeitraum reduziert werden;

  • die Erfahrung im täglichen Leben den auf Heilung konzentrierten, therapeutischen Übungen vorgezogen werden.

Weiteres Augenmerk legen Milani-Comparetti und Roser auf die Rehabilitation, unter der sie den nicht-medizinischen Einsatz der Gesellschaft zur Verhinderung der Aussonderung der behinderten Menschen verstehen. Therapie hingegen ist für sie der fachliche, spezifische Einsatz zur Reduktion eines funktionellen Defizits.

"Rehabilitiert ist der Behinderte aber nicht, wenn er durch Therapie von seinem Defekt befreit ist, sondern wenn ihm von vornherein dazu verholfen ist, mit seinem Defekt in der Gemeinschaft zu leben, in der Normalität, durch die allein seine Rehabilitation Wahrheit wird." (Milani-Comparetti A., Roser L.O., 1982, S.88)

2.3. Behinderte Menschen in der Gesellschaft

Um die von Milani-Comparetti und Ludwig O. Roser geforderte Rehabilitation verwirklichen zu können, bedarf es einiger Veränderungsprozesse im Denken der Gesellschaft, die den/die "Behinderten/Behinderte" nicht als vollwertigen Menschen ansieht.

Die Gesellschaft orientiert sich an bestimmten Einstellungen und Haltungen, welche zur Be- bzw. Entwertung der behinderten Person führen. Die Akzeptanz dieser ist umso größer, je ...

  • größer deren Grad der Anpassung an die Gesellschaft ist;

  • leistungsfähiger sie ist;

  • mehr sie den ästhetischen Ansprüchen (Vitalität, Schönheit ...) der Gesellschaft entspricht;

  • "normaler" sie ist.

2.3.1. Definition von Behinderung in der Gesellschaft

Laut Elbert J., der sich in seinem Artikel "Geistige Behinderung - Formierungsprozesse und Akte der Gegenwehr" (1982) mit der Entstehung des/der "Geistigbehinderten" befaßt, ist die Gesellschaft, also das soziale Umfeld, an dieser enorm beteiligt. Elbert sieht die größte Gefahr für die "Geistigbehinderten" in den totalen, von der Pädagogik und Psychiatrie erstellten Bildern vom Menschen, die von der Gesellschaft meist kritiklos übernommen werden. Diese Bilder unterliegen einer Sichtweise, die vorgibt, das Wesen des/der "Geistigbehinderten" zu kennen, wodurch die pädagogischen und psychiatrischen Arrangements sowie Eingriffe gerechtfertigt werden. In der Praxis sieht das so aus:

Das Kind, bei welchem eine "geistige Behinderung" vermutet wird, wird einem/einer Experten/Expertin (PsychiaterIn, Psychologe/-login, SonderschullehrerIn), welcher/welche über die Macht und das Wissen der Psychiatrie verfügt, "vorgeführt".

Der/die Experte/Expertin verfügt neben den bereits erwähnten Bildern über Krankheitsbilder, denen er/sie bestimmte Symptomkombinationen zuordnet. Diese versucht er/sie nun in seinem/ihrem Untersuchungsobjekt wiederzufinden, um die vermutete Diagnose "geistige Behinderung" stellen zu können. Die Diagnose ist es nun, die das gesamte Leben des/der davon Betroffenen verändert. Die Familie und die Gesellschaft übernehmen die psychiatrischen und pädagogischen Vorstellungen davon, wie der Mensch, der/die "Geistigbehinderte", zu sein hat. Elbert spricht von einer negativen Erwartungshaltung der Gesellschaft, die durch die Diagnose hervorgerufen wird.

"Um es mit Goffman (1972) zu sagen, wird dem als "geistigbehindert" bezeichneten Menschen der "bürgerliche Tod" verordnet. Mit der Postulierung eines lebenslangen Schutzbedürfnisses, was die Übernahme der Verantwortung, Behütung und Kontrolle bedeutet, wird dem Kind vorenthalten das zu lernen, was sonst vom bürgerlichen Menschen erwartet wird und ihm ein bürgerliches Leben und ein stabiles "bürgerliches Selbst" gewähren würde, d.h. seine Welt einigermaßen unter Kontrolle zu haben, ein Mensch mit der Selbstbestimmung, Autonomie und Handlungsfreiheit eines "Erwachsenen" (vgl. Goffman 1972, S.49f.) zu werden. Das Kind wird zum Objekt, zur passiven Marionette." (Elbert J., 1982, S.63)

Aufgrund dieser negativen Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber dem/der Behinderten hat er/sie nahezu keine Chance, inmitten dieser ein Leben, wie Nichtbehinderte es führen, zu leben.

2.3.2. Stigma als soziales Vorurteil

Erving Goffman, der den Begriff Stigma in die Soziologie einführte, verstand unter diesem eine zutiefst diskreditierende Eigenschaft einer Person, welche soziale Beziehungen beeinflußt. Etwas mehr als zehn Jahre später setzte Jürgen Hohmeier sich erneut mit der Stigmatisierung auseinander. Für ihn ist Stigma ein Sonderfall sozialer Vorurteile gegenüber bestimmten Personen, wodurch die Zuschreibung von negativen Eigenschaften erfolgt. Stigmatisierungen knüpfen häufig an sichtbaren oder unsichtbaren Merkmalen von Personen an. Dabei handelt es sich oft um nicht der Norm entsprechende Verhaltensweisen und Eigenschaften, wie z.B. Sektenzugehörigkeit, gesetzwidriges Verhalten und eben auch Behinderung.

"Für Stigmata ist es nun charakteristisch, daß einmal das vorhandene Merkmal in bestimmter negativer Weise definiert wird und daß zum anderen über das Merkmal hinaus dem Merkmalsträger weitere ebenfalls negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem tatsächlich gegebenen Merkmal objektiv nichts zu tun haben." (Hohmeier J., 1975, S.7)

Diese Zuschreibung führt zu einer Generalisierung der Eigenschaften, die die Stellung einer Person innerhalb der Gesellschaft beeinflußt, aber auch den Umgang anderer Menschen mit ihr prägt. Stigmatisierungen treten besonders in leistungsorientierten Gesellschaften auf. Sie richten sich gegen Gruppen, die über wenig Macht verfügen, zu denen unter anderem "Behinderte" zählen. Ebenso hängt der Grad der Stigmatisierung vom sozialen Status ab. Man stelle sich das Verhalten gegenüber einem/einer querschnittsgelähmten MillionärIn im Vergleich zu einem/einer querschnittsgelähmten SozialhilfeempfängerIn vor.

Hohmeier spricht von verschiedenen Funktionen der Stigmata:

Orientierungsfunktion in sozialen Interaktionen

Mit Stigmata sind bestimmte Vorstellungen und Verhaltensweisen verknüpft, wodurch es möglich ist, Situationen im voraus einzuschätzen und sich darauf einzustellen. Gerade durch diese Vorstrukturierung einer Situation und dem Bedürfnis nach Einordnung einer stigmatisierten Person werden neue Erfahrungen verhindert.

  • Identitätsstrategien

Die Begegnung mit einer stigmatisierten Person löst häufig das Gefühl der Bedrohung der eigenen Identiät aus, da sie an eigene Abweichungstendenzen erinnert. Um die Identität zu sichern, greift der/die "Normale" auf Strategien wie Ablehnung, Kontaktvermeidung und soziale Isolierung zurück.

  • Herrschaftsfunktion

Machtgruppen nützen Stigmatisierungen dazu, um für sie unerwünschte Gruppen zu unterdrücken, indem ihr negativer Einfluß auf die Gesellschaft in den Vordergrund gestellt wird (vgl. Euthanasiemaßnahmen im Dritten Reich).

Wird einer Person ein Stigma zugeschrieben, so wird ihr gesamtes Verhalten anhand des Stigmas interpretiert.

"Die Folgen sind auf der Ebene der Teilhabe des Individuums an der Gesellschaft, auf der Ebene der Interaktionen mit Nicht-Stigmatisierten und schließlich auf der Ebene der Veränderung der Person in ihrer Identität zu betrachten. Das zentrale Problem des Stigmatisierten auf allen drei Ebenen ist das der Anerkennung als Person und als gesellschaftlicher Partner." (Hohmeier J., 1975, S.13)

Stigmatisierungen setzen dem/der Betroffenen daher enge Grenzen. Weiters ist es für ihn/sie sehr schwierig, das Stigma wieder loszuwerden, da sein/ihr ganzes Verhalten im Sinne dessen interpretiert wird.

Wenden wir nun die verschiedenen Funktionen von Stigmata auf eine "geistigbehinderte" Person an, so sieht dies folgendermaßen aus:

Das Stigma des/der "Geistigbehinderten" ist seine/ihre "geistige Behinderung". Die Vorstellungen, die mit "geistiger Behinderung" verknüpft sind, beschreibt Elbert folgendermaßen:

"Als allgemeine Erkennungszeichen dieses Wesens gelten: Verlangsamung der Gesamtentwicklung, Verlangsamung im Ablauf der psychischen Funktionen, Affektverflachung, Neigung zu Primitivreaktionen, die auch bei Kindern und Tieren zu finden seien, extreme emotionale Äußerungen (vgl. Arns et al. 1978, S.225)." (Elbert J., 1982, S.59)

Der/die "Geistigbehinderte" wird also als primitiv, unreif, kindlich und hilflos angesehen. Dadurch wird ihm/ihr automatisch eine lebenslange Abhängigkeit von unserer Fürsorge zugeschrieben.

"Dieser "Wesenskatalog" bezieht sich immer auf die Annahme einer nicht vollzogenen oder unzulänglichen Entwicklung. Unter den Prämissen dieser Entwicklungsvorstellung wird "Geistige Behinderung" als Mangel erfaßbar. Indem zwischen dem fremden "Zustand" "Geistige Behinderung" durch den Bezug auf einen festen Normwert eine Verbindung zu dem "normalen Zustand" erstellt wird, verliert jener sein Fremdsein. Die Nähe wird hergestellt, indem man postuliert, daß es sich lediglich um ein Ausbleiben der Reife handele. Dies ermöglicht die Erstellung quantitativer Differenzen (distanzierende Platzzuweisungen) und eine Vereinnahmung, die einer Individualisierungsstrategie folgt."

(Elbert J., 1982, S.59)

Die distanzierenden Platzzuweisungen oder auch Identitätsstrategien, wie Hohmeier sie bezeichnet, äußern sich in unserer Gesellschaft in Heim- oder Psychiatrieunterbringungen, Beschäftigung der "Behinderten" in beschützenden Werkstätten und Therapieeinrichtungen, Sonderschulzuweisungen, etc..

"Die Betreuung in Sondereinrichtungen, die die Segregation von den "Normalen" impliziert, wird mit der Intention der optimalen Förderung und des Schutzes empfohlen. Eine Entwicklung, die durch das "Wesen" der Person bestimmt ist, hält man in sehr beschränktem Maße für möglich." (Elbert J., 1982, S.61f.)

2.3.3. "Du läßt mich existieren, ....

.... aber die Welt draussen wird niemals mein." (in Elbert J., 1982, S.54)

Wer kennt sie nicht, die Spendenaufrufe, die Weihnachts- und Osterkarten, die Einladungen zu diversen Basaren ...., die zum Wohle der "Behinderten" (und zur Beruhigung des Gewissens) an uns gerichtet werden?

Ziel all dieser Aktionen ist es, so viel Geld wie möglich für die sogenannte Förderung der behinderten Menschen zu sammeln, um neue Heime, Werkstätten und Therapiezentren zu errichten. Wer beruhigt nicht jedes Jahr sein Gewissen, indem er mindestens einen der erhaltenen Zahlscheine ausfüllt?

Durch diese Spenden lassen wir die "Behinderten" zwar existieren, bewirken aber damit gleichzeitig deren Stellung außerhalb der Gesellschaft, indem wir den Ausbau von Aussonderungsstätten durch unsere Finanzierung unterstützen.

Durch solche "ma hilft anand" - Aktionen wird der/die "Behinderte" zum Sonderwesen und dessen/deren Abschiebung in Spezialeinrichtungen legitimiert.

Da behinderte Menschen in alltäglichen Situationen kaum anzutreffen sind, sondern sich im "Schutz" diverser Institutionen befinden, haben nur wenige Erfahrung im Umgang mit ihnen. Aber genau diese Erfahrungen wären notwendig, damit sich die Einstellung gegenüber den "Behinderten" ändern kann. Diese Erfahrungen können nur dann gemacht werden, wenn es normal wird, das Leben gemeinsam mit ihnen zu leben. Dies bedeutet, daß jede Isolierung und Abschiebung von Anfang an vermieden werden muß. Denn nur wenn es gelingt, den behinderten Menschen ein möglichst selbständiges Leben ohne Besonderung innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen, können diese ihre eigenen, selbstbestimmten Wege gehen.

Für die Gesellschaft bedeuten diese Forderungen, daß sie von den Vorstellungen von dem "Normalen Zustand", also der Normalität, abkommen muß. Hier stellt sich die Frage: "Was ist eigentlich Normalität?"

"Zu dieser "Normalität" gehören nach allgemeiner Vorstellung alle die Personen, die körperlich voll leistungsfähig, also körperlich intakt und auch gesund sind und die im Bereich ihrer psychisch-geistigen Verhaltensweisen den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen, d.h. Funktionen in der Gesellschaft übernehmen können. Überspitzt könnte man sagen: Der "normale" Mensch ist der eigentliche Mensch. Alle anderen sind die "besonderen" - und dazu gehören auch die Behinderten." (Bärsch W., 1987, S.58)

Diese Vorstellung von Normalität wirkt sich "brutal" auf den behinderten Menschen aus, da es für ihn praktisch unmöglich ist, dem "Normalbild" der Gesellschaft zu entsprechen. Er kann sich nur dann als voll akzeptierter Mensch fühlen, wenn er nicht mehr als abnormal betrachtet wird, wir also die Vorstellung von Normalität begraben. Es ist daher notwendig, ihn nicht über seine Behinderung zu definieren, was bedeutet, ihn nicht länger zum Blinden, zum Geistigbehinderten, zum Gehörlosen, zum Spastiker usw. zu machen.

"Die Eigenart seiner Behinderung ist nicht das Wesentliche an ihm, entscheidend ist, daß er zuvor ein Mensch wie wir alle ist." (Bärsch W., 1987, S.60)

Für Elbert liegt das Problem des/der "Geistigbehinderten" bereits in der Familie, die ihrem "geistigbehinderten" Mitglied eine bestimmte Rolle zuschreibt.

Elbert betrachtet die Familie als ein System, das in sich stabil ist. In diesem System ist das Verhalten eines jeden einzelnen Familienmitgliedes von Bedeutung, da es das Verhalten der anderen beeinflußt. Vom "geistigbehinderten" Familienmitglied werden bestimmte, auf die Diagnose bezogene Verhaltensweisen erwartet. Jegliches, von der psychiatrisch bestimmten Erwartungsgrenze abweichende Verhalten wird, laut Elbert, als "Fehlverhalten" interpretiert und unterbunden. Dadurch wird versucht, die "geistigbehinderte" Person im alten Erwartungsmuster festzuhalten, damit die Stabilität der Familie, welche bei Erhalt der Diagnose zerstört wurde und nur langsam wieder aufgebaut werden konnte, nicht gefährdet ist.

Dem behinderten Menschen wird also in der Familie und folglich auch in der Gesellschaft nur ein begrenzter Lebensraum zugeschrieben, der dadurch gekennzeichnet ist, daß

"kein zielgerichtetes Handeln, keine adäquate Auseinandersetzung mit der Umwelt und keine persönliche, autonome Entwicklung erwartet" (Elbert J., 1982, S.81) wird.

Der begrenzte Lebensraum des Menschen mit Behinderung macht es von vorneherein unmöglich, daß es in der Familie und Gesellschaft ein wahres gemeinsames Miteinander gibt. Denn gemeinsam mit jemandem zu leben bedeutet, daß jede Person ihren Wünschen, Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck verleihen kann und darf. Ein gemeinsames Miteinander bedeutet, daß jede Person, auch die behinderte, so akzeptiert wird wie sie ist. In einem gemeinsamen Miteinander bedarf es keiner herabgesetzter Erwartungen und künstlich geschaffener Schonräume. In einem gemeinsamen Miteinander wird jeder Person, auch der behinderten, gewährt, so zu leben und zu handeln wie sie es möchte.

Vielen mögen diese Forderungen des gemeinsamen Miteinanders utopisch erscheinen, denn für sie sind "Behinderte" immer noch jene zu bemitleidenden Kreaturen, die im Zuge einer Ausflugsfahrt aus dem Lebenshilfe-Bus aussteigen und denen vorgeschrieben werden muß, wie sie zu leben haben, da sie ja selbst nicht dazu imstande sind, eigene, sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Damit behinderte Menschen nicht länger als Wesen von einem anderen Stern betrachtet werden, ist es notwendig, ein gemeinsames Miteinander von Beginn an in der Familie, in der Krabbelstube, im Kindergarten, in der Schule, im Berufsleben, in der Freizeit - kurzum, in allen Bereichen des Lebens, zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.

3. Ja zur Integration

Jeder Mensch hat als Teil der Gesellschaft das Recht, an dieser teilzunehmen. Für uns derzeit Nichtbehinderte ist es selbstverständlich, daß wir dieses Recht tagtäglich in Anspruch nehmen. Egal ob es sich um Freizeit, Beruf, Schule etc. handelt, wir können zwischen verschiedenen Möglichkeiten und Angeboten wählen, und uns dann für das uns am meisten Entsprechende entscheiden.

In Bezug auf die Schule sieht es so aus, daß ein Großteil der Eltern nichtbehinderter Kinder sich meist erst kurze Zeit vor Einschulung darüber Gedanken zu machen braucht, welche Schule am besten bzw. am geeignetsten für ihr Kind ist. Viele Eltern behinderter Kinder hingegen haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits jahrelang mit Schulbehörden, Schuldirektoren/-direktorinnen und Lehrern/Lehrerinnen auseinandergesetzt, um eine Aufnahme in irgendeine Regelschule zu erreichen. Und genau dies zeigt uns, daß es für behinderte Menschen nicht selbstverständlich ist, an der Gesellschaft teilzunehmen. Denn bis vor wenigen Jahren lehnten die Regelschulen die Aufnahme behinderter Kinder fast ausnahmslos ab. Und auch heute ist es noch nicht selbstverständlich, daß behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Gerade dieser gemeinsame Unterricht ist aber eine jener Voraussetzungen, die es behinderten und nichtbehinderten Kindern ermöglicht, den jeweils anderen als gleichwertigen Teil der Gesellschaft kennenzulernen und zu akzeptieren.

3.1. "Integration muß in den Köpfen beginnen"

(Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.19)

Nicht die behinderten Menschen sind es, die sich aufgrund ihrer Behinderung von der Gesellschaft absondern. Nein, wir sind es, die wir mit den in unseren Köpfen fest verankerten Vorstellungen davon, wie ein Mensch zu sein hat, deren Aussonderung bewirken. Begegnen wir einer Person, so setzt in unseren Köpfen automatisch ein Prozeß ein, indem unser Gegenüber an vorhandenen Normen gemessen, bewertet und je nach Abweichung von diesen Normen eben ausgesondert wird. Sehr oft sind es "Behinderte", die durch dieses Netz von Normen fallen. Der Aspekt des Mensch-Seins geht durch diese defizitäre Betrachtungsweise, die uns oft gar nicht bewußt ist, völlig verloren. Mit dem Aspekt des Mensch-Seins geht auch der Blick hinter "die Fassade" verloren. Wir fragen uns nicht länger, was das für ein Mensch ist, der als "Behinderter/Behinderte" bezeichnet wird. Wir geben uns einfach mit der Bezeichnung "Behinderter/Behinderte" zufrieden und glauben, die Person schon zu kennen. Doch was sagt diese Bezeichnung wirklich über eine Person aus? Auch sie beschränkt sich wiederum auf Defizite, wie nicht sehen können, nicht sprechen können, nicht laufen können - eben auf all das, was der/die als "behindert" Bezeichnete nicht kann. Daß wir von unserer derzeitigen Denkweise über behinderte Menschen Abstand nehmen müssen, drückt folgender Artikel aus: (Raidel H., 3. Jänner 1995)

Was sind "Behinderte"?

Es sind Menschen - Menschen mit Empfindungen, Fähigkeiten, Launen, Begabungen, Gefühlen, ... so wie Du und ich, egal ob "geistig oder körperlich behindert". Wieso sondern wir sie deshalb aus? Sie möchten auch mit uns zusammensein, mit uns leben. Sie wollen nicht nur untereinander als sogenannte "Behinderte" in einer für sie speziell geschaffenen Institution leben. Wie würde das aussehen, wenn wir alle, die schlecht sehen (z.B.Brillenträger), die nicht gut hören, die sehr intelligent sind, die Sommersprossen haben, in eine für sie speziell geschaffene Institution geben würden? Wir wären alle ausgesondert und voneinander getrennt. Dürfen wir überhaupt Menschen, die angeblich bestimmte Fähigkeiten und Eigen-schaften nicht besitzen oder doch besitzen, charakterisieren, abstempeln und über ihr Leben entscheiden? Jeder ist in seinem Menschsein anders. Dieses Anderssein, das in jedem von uns tief verwurzelt ist und jeder in sich trägt, sollten wir respektieren, verstehen und achten, nur dann können wir voneinander lernen und miteinander leben. Die Integration bietet uns da eine gute Chance, sowohl für "Behinderte" als auch für "Nichtbehinderte"!

  • Ein voneinander Lernen und miteinander Leben ist nur möglich, wenn wir Integration als Chance sehen. Denn sie ermöglicht uns, die gesellschaftliche Tendenz der Ausgrenzung von behinderten Menschen durch ein gemeinsames Miteinander zu überwinden und unsere Haltung ihnen gegenüber zu verändern.

  • Integration ist aber noch nicht realisiert, wenn wir uns mit einem behinderten Menschen in einem Raum befinden, sie ist also kein bloßes Nebeneinander.

  • Integration bedeutet vielmehr, sich übereinander zu informieren, sich aneinander zu gewöhnen und miteinander umzugehen lernen. Wir müssen also beginnen, die "Behinderten" in unseren Köpfen zu integrieren, sie so zu akzeptieren wie sie sind.

  • Integration muß in allen Bereichen des täglichen Lebens stattfinden, denn nur so kann sie zur Selbstverständlichkeit werden.

Das gemeinsame Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Menschen muß so selbstverständlich werden, daß die Bezeichnung "integrieren" gar nicht mehr benötigt wird.

"Integriert wird ein Mensch, der ausgeschlossen ist oder draußen war. Ein Mensch, der in irgendeiner Form - und sei es auch nur in unseren Gedanken - außerhalb unserer Vorstellung von Normalität, außerhalb unserer Vorstellung von Gesellschaft ist."

(Schöler J., 1985, S.96)

Wie weit wir von diesem Selbstverständnis des gemeinsamen Miteinanders noch entfernt sind, wird aus einem Gespräch zwischen Jutta Schöler, Professorin am Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften der Technischen Universität Berlin, und dem Arzt Adreano Milani-Comparetti, deutlich. Jutta Schöler stellte ihm die Frage, wann bzw. ab welchem Alter in Italien mit der Integration behinderter Kinder begonnen werde. Worauf dieser zurückfragte, wann denn in Deutschland mit der Aussonderung begonnen werde.

In ihrem Artikel "Schulische Integration" bittet Jutta Schöler den/die LeserIn, gemeinsam mit ihr, den von Adreano Milani-Comparetti angeregten Gedanken zu verfolgen:

  • Wieviele von uns beginnen schon vor der Geburt mit der Aussonderung, indem sie sich einer vorgeburtlichen Diagnostik unterziehen, um dann darüber nachzudenken, ob das möglicherweise behinderte Kind abgetrieben werden soll?

  • Unmittelbar nach der Geburt eines behinderten Kindes wird dieses sofort mit einer Diagnose versehen, welche dessen Defizite in den Mittelpunkt stellt. Die Ärzte/Ärztinnen machen den Eltern klar, was ihr Kind alles nicht können wird, was für eine Belastung es für die ganze Familie darstellen wird. Anstelle einer psychologischen Unterstützung, um mit der Behinderung des Kindes umgehen zu können, anzubieten, wird den Eltern oft geraten, das Kind in ein Heim "für solche Fälle" zu geben.

  • Die nächste Tendenz zur Aussonderung liegt in der Überlegung, ob dieses Kind einen Sonder- bzw. Regelkindergarten besuchen soll/kann/darf.

  • Hat das behinderte Kind bis zum Beginn der Schulzeit ein "ganz normales" Leben geführt, läuft es nun aufgrund verschiedener Schulreifeuntersuchungen Gefahr, in einer Sonderschule ausgesondert zu werden.

3.2. Die Schule als Ort der Begegnung und des miteinander Wachsens

Der Kindergarten und die Schule als Ort der Begegnung und des miteinander Wachsens nehmen einen wichtigen Stellenwert im Leben einer heranwachsenden Persönlichkeit ein. Im Kindergarten setzt nach Leont'ew die "erste Geburt der Persönlichkeit" ein. Feuser schreibt zu dieser "Geburt der Persönlichkeit" folgendes:

"Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Kinder über das enge Beziehungsgeflecht ihrer Familie hinaus im kooperativen Miteinander in der Kindergruppe die anderen Sozialpartner in ihre Ich-Strukturen und mithin in ihr Bewußtsein zu integrieren beginnen. Dies, indem sie sich im jeweils anderen spiegeln und erkennen, daß der andere Mensch ein Mensch ist, wie sie selbst es sind, daß der andere Mensch ein Ich ist, wie ich es bin, aber nicht ich ist, sondern Du." (Feuser G., 1994, S.141)

Um den heranwachsenden Persönlichkeiten weiterhin zu zeigen, daß jeder Mensch, eben auch der/die "Behinderte", ein Mensch ist, darf nach dem Kindergarten keine Segregation stattfinden. Nach dem gemeinsamen Kindergartenbesuch muß nun auch der gemeinsame Schulbesuch gewährleistet werden. Also ist es notwendig, eine gemeinsame Schule für ALLE zu schaffen.

3.2.1. Integration "ohne Wenn und Aber"

Integration ist nur "ohne Wenn und Aber" möglich, denn beschäftigen wir uns mit einem Wenn und Aber, beginnen wir dann nicht schon wieder mit der Ausgrenzung? Der Anspruch auf Integration ist für ALLE, unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung, gültig. Somit erübrigt sich die Frage nach der Integrationsfähigkeit des einzelnen Kindes. Es ist also nicht das behinderte Kind, sondern es sind die äußeren Bedingungen, wie die Einstellung der Erwachsenen, das Schulsystem, die Leistungsanforderungen der Gesellschaft, usw., die die Integration von vornherein zum Scheitern verurteilen.

"Wenn es Grenzen gibt, dann sind dies unsere Grenzen. Es sind die Grenzen der Erwachsenen, der gesellschaftlichen Bedingungen, aber die Grenzen liegen nicht im einzelnen Kind. Es sind unsere Grenzen, wenn wir es nicht schaffen, uns das gemeinsame Leben und Lernen mit einem schwer behinderten Kind vorzustellen, wenn wir die notwendigen organisatorischen Bedingungen nicht herstellen können, um ein schwer behindertes Kind täglich in die Schule zu transportieren, zu wickeln, zu füttern. Wir müssen bereit sein, mit dem Kind zu lernen." (Schöler J., 1990, S.9)

Integration "ohne Wenn und Aber" bedeutet, daß wir die von Jutta Schöler beschriebenen Grenzen in unseren Köpfen überwinden und somit eine Schule für ALLE schaffen.

Eine Schule für ALLE

  • akzeptiert, daß alle Kinder verschieden sind und unterschiedliche Lernvoraussetzungen mit sich bringen.

  • fordert nicht, daß jedes Kind zur selben Zeit den selben Lehrstoff lernt.

  • läßt deshalb jedem Kind die Zeit, die es braucht, um das für es Sinn- und Bedeutungsvolle zu lernen.

  • bietet jedem Kind unterschiedliche Methoden des Lernens an.

Eine Schule für ALLE, Integration "ohne Wenn und Aber", hat zur Folge, daß es die Institution Sonderschule als solche nicht mehr braucht. Sie verlangt und will aber keineswegs die Abschaffung der Sonderpädagogik, sondern macht sich deren Wissen zu- nutze. Der/die Sonderpädagoge/-pädagogin unterrichtet die Kinder nun nicht mehr gesondert. Er/sie stellt vielmehr sein/ihr Wissen und seine/ihre Fähigkeiten in der Schule für ALLE zur Verfügung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der/die SonderschullehrerIn für das behinderte Kind mitgeliefert wird und ausschließlich für dessen Betreuung zuständig ist, damit die nichtbehinderten Kinder nach alter Manier ungestört lernen können. Diese Art von Unterricht, die Feuser als "Schäferhundpädagogik" bezeichnet, kann keineswegs als integrativer Unterricht bezeichnet werden, da es sich dann lediglich um eine räumliche Veränderung der herkömmlichen Sonderpädagogik handelt. Im integrativen Unterricht stellt der/die Sonderpädagoge/-pädagogin ein sehr wichtiges, unentbehrliches, dem/der KlassenlehrerIn gleichberechtigtes Mitglied dar. Das Wissen des/der Sonderpädagogen/-pädagogin und das des/der Klassenlehrers/-lehrerin haben sich im integrativen Unterricht zu ergänzen, damit eine gute allgemeine Pädagogik entsteht.

3.3. Georg Feuser und seine Thesen zur Integration in Kindergarten und Schule

Georg Feuser, Professor an der Universität Bremen (Studiengang Behindertenpädagogik), ist einer der bekanntesten und radikalsten Forderer von Integration. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge und Abhandlungen zum Thema "Integration", deren Aussagen in diesem Kapitel nun ausführlich behandelt werden. (siehe dazu auch: BIDOK: "Geistigbehinderte gibt es nicht!" Zum Verhältnis von Menschenbild und Integration)

3.3.1. Feuser's Definition von Integration

"Integration - ein Wort, das eine Idee in sich trägt - die Idee vom Erhalt oder der Wiederherstellung gemeinsamer Lebens- und Lernumfelder behinderter und nichtbehinderter Menschen, um der Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten aller willen." (Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.162)

Integration bedeutet also, daß die Arbeit mit behinderten Menschen nicht mehr länger von Selektion und Besonderung geprägt ist, sondern daß

  • behinderte Menschen an ihrer natürlichen Lebens- und Lernumwelt teilhaben können;

  • sie in das gesellschaftliche Leben und den sozialen Verkehr miteinbezogen werden;

  • sie in ihren Lebens- und Lernorten all jene speziellen Hilfen erhalten, die zur Erhaltung der Gesundheit sowie der Persönlichkeitsentwicklung erforderlich sind.

Demzufolge kann Integration als gemeinsame Erziehung, Bildung und Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher verstanden werden, wobei Feuser unter Erziehung "die Strukturierung der Tätigkeit der Kinder und Schüler mit dem Ziel größter Realitätskontrolle" versteht und Bildung "als Ausdruck des Gesamts der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen eines Menschen im Sinne seiner aktiven Selbstorganisation" begreift. (Feuser G., 1989, S.19)

3.3.2. Integrative Pädagogik

Die Grundlage einer integrativen Pädagogik, welche Kindergarten und Schule für ALLE fordert, in denen jedes Kind gemäß seinen individuellen Voraussetzungen optimal gefördert werden kann, bildet eine basale, kindzentrierte, allgemeine Pädagogik:

Basale Pädagogik:

Die basale Pädagogik orientiert sich an den Grundlagen menschlicher Entwicklung und geht vom jeweiligen Entwicklungsstand des/der einzelnen Schülers/Schülerin - egal ob behindert oder nichtbehindert - aus.

Kindzentrierte Pädagogik:

Die kindzentrierte Pädagogik geht auf die Individualität des/der zu Unterrichtenden ein, indem sie die Lernangebote individuell gestaltet, was bedeutet, daß diese Pädagogik die Heterogenität einer menschlichen Gruppe voraussetzt.

Allgemeine Pädagogik:

Die allgemeine Pädagogik verzichtet auf verschiedene Schulformen und -typen, weil sie alle Menschen in gleicher Weise an der Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen teilhaben läßt.

3.3.3. Integrativer Unterricht

"Integration ist erst dann erreicht, wenn buchstäblich KEIN Schüler mehr eine andere Schulform besuchen muß, als seine Alterskameraden." (Feuser G., 1989, S.16)

Die Voraussetzung für Integration "ohne Wenn und Aber" sieht Feuser in einer neuen Unterrichtspraxis sowie in neuen Formen der Kooperation der LehrerInnen, Therapeuten/Therapeutinnen und Eltern. Diese neue Pädagogik und somit der integrative Unterricht sind von folgenden didaktischen Elementen gekennzeichnet:

  • Kooperation

Kooperation ist als Gegenkraft der bisherigen Aus- und Besonderung zu sehen. Demzufolge bedarf es der Zusammenarbeit aller MitarbeiterInnen im integrativen pädagogischen Feld (GrundschullehrerInnen, SonderschullehrerInnen, Therapeuten/Therapeutinnen) in Bezug auf die Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichtes. Kooperation bedeutet für den integrativen Unterricht, daß der/die GrundschullehrerIn und der/die SonderschullehrerIn, die im Idealfall stets gleichzeitig in der Klasse sind, nach dem Prinzip des Team-Teaching den Unterricht gleichzeitig gestalten. Die beiden Lehrpersonen sind gleichermaßen für ALLE SchülerInnen zuständig.

  • Innere Differenzierung:

Mit innerer Differenzierung meint Feuser die Orientierung an der momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenz der einzelnen SchülerInnen. Jeder/jede SchülerIn erhält dadurch die Möglichkeit, selbständig und selbsttätig zu handeln und zu lernen, wobei er/sie seine/ihre Motive durch die eigene direkte Erfahrung mit seinem/ihrem Umfeld gewinnt. Dem/der Schüler/Schülerin wird Lernen gelernt.

  • Individualisierung:

Das individualisierte Curriculum, anhand dessen jeder/jede alles auf seinem/ihrem Niveau lernt (vgl. Feuser G., 1985, S.59) ermöglicht, daß alle SchülerInnen an einem gemeinsamen Gegenstand arbeiten, welcher entsprechend den unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Wahrnehmung und Handlung der SchülerInnen aufbereitet ist. Es erfolgt somit eine Abstimmung des Curriculums auf die verschiedenen Zugänge zum Lehrstoff.

"Damit kann auch ein schwerstbehindertes Kind integriert werden und auf seinem Niveau in Kooperation mit anderen effektiv lernen." (Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.60)

  • Projektorientierter offener Unterricht:

Projektorientierter offener Unterricht bietet die Möglichkeit, auf die jeweiligen Erfahrungshorizonte und Bedürfnislagen der SchülerInnen einzugehen und an diesen anzuknüpfen. Die Wichtigkeit des projektorientierten offenen Unterrichts verdeutlicht Feuser anhand des "Baum-Modells":

[Baum - Graphik leider nicht verfügbar]

"Der Stamm stellt die äußere thematische Struktur eines Projektes dar. Das Innere des Stammes repräsentiert die innere Struktur des Projektes im Sinne der Kategorien des "Elementaren" und "Fundamentalen", also jener Zusammenhänge, die die Wirklichkeit, mit der wir uns befassen, ursächlich in ihrer Gesamtheit bedingen. Die Äste (und Zweige) entsprechen einerseits den vielfältigen Herangehens- und Umgangsweisen, die mit dem Vorhaben möglich sind (-> nicht den traditionellen Unterrichtsfächern) und andererseits den in Wahrnehmung, Denken und Handeln der Schüler/innen zum Ausdruck kommenden Entwicklungsniveaus in dem Sinne, daß der Astansatz eine sinnlich-konkrete, auf basale Wahrnehmungen bezogene Tätigkeit repräsentiert und ermöglicht und das Astende eine abstrakt-logische, symbolische, auch in Sprache, Schrift und Formeln kodierte Auseinandersetzung mit dem Vorhaben. Die Wurzeln des Baumes sind die Wissenschaften, die uns ermöglichen, einen im Projekt repräsentierten Ausschnitt der Welt zu erkennen und zu verstehen. Didaktischerseits wird die Arbeit in Projekten und an Vorhaben, die "Schlüsselprobleme" der Menschheit repräsentieren in Formen offenen Unterrichts in allen Schulstufen eine unverzichtbare unterrichtsorganisatorische Bedingung sein." (Feuser G., 1994, S.145f.)

3.3.4. Der gemeinsame Gegenstand

Im integrativen Unterricht lernen ALLE Kinder am gemeinsamen Gegenstand, was aber nicht bedeutet, daß sie zwangsläufig das Gleiche tun. Es wird auch nicht gefordert, daß alle dieselben Ziele erreichen, da eine innere Differenzierung von Zielen und Methoden bei gleichen Lerninhalten stattfindet. Die Ziele sind also variabel! Der gemeinsame Gegenstand kann als das Innere des Baumstammes betrachtet werden.

"Der "gemeinsame Gegenstand" integrativer Pädagogik ist nicht das materiell Faßbare, das letztlich in der Hand des Schülers zum Lerngegenstand wird, sondern der zentrale Prozeß, der hinter den Dingen und beobachtbaren Erscheinungen steht und sie hervorbringt." (Feuser G., 1989, S.32)

Feuser verdeutlicht die Arbeit am gemeinsamen Gegenstand anhand des Projektes "Ernährung": in diesem Projekt bereiten SchülerInnen einen Gemüseeintopf zu. Der gemeinsame Gegenstand ist nun weder das Rohgemüse noch der fertige Gemüseeintopf. Feuser bezeichnet das Kochen, also jenen Prozeß, der vom ersten zum zweiten Zustand führt, als gemeinsamen Gegenstand. Rückgreifend auf das "Baum-Modell" ist in diesem Beispiel der gemeinsame Gegenstand - das Kochen - das Innere des Baumstammes. Die SchülerInnen befassen sich ihrem Leistungsniveau und Interesse entsprechend auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Prozeß "Kochen" und lernen somit entlang verschiedener Äste. Während die einen z.B. an Ästen der sinnlich-konkreten Erfahrung des Vorgangs "Kochen" durch Wärmeausstrahlung, Isolierung, Geräusche, Düfte etc. arbeiten, setzen sich andere mit physikalischen und chemischen Vorgängen oder der mathematischen Bewältigung auseinander. Der gemeinsame Gegenstand "Kochen" entspringt aus den Wurzeln des Baumes, Physik, Chemie, Molekularbiologie etc., welche das Fundamentale des Baumes bilden.

Die Vorteile des integrativen Unterrichtes, werden all die bisher erwähnten Punkte zusammengenommen, liegen u.a. darin, daß sich jeder/jede SchülerIn wahrnehmend und handelnd in den Unterricht und in die sozialen Prozesse einbringen kann. Das Tun jedes/jeder einzelnen Schülers/Schülerin beeinflußt das der anderen, wodurch sich jeder/jede als wichtiges Mitglied der Gemeinschaft erfahren kann.

3.3.5. Beurteilung im integrativen Unterricht

Die herkömmliche Ziffernbeurteilung findet laut Feuser im integrativen Unterricht keinen Platz mehr, da Ziffern nichts über die individuellen und sozialen Lernprozesse des/der einzelnen Schülers/Schülerin aussagen und zudem zu einem Konkurrenzdenken führen. Feuser legt Wert darauf, daß auch die Beurteilung genauso individuell wie der Unterricht auf die SchülerInnen abgestimmt wird.

Ziel der Beurteilung soll sein, Auskunft darüber zu geben, was ein/eine SchülerIn unter welchen Voraussetzungen gelernt hat, wie er/sie mit dem Gelernten umzugehen versteht und was er/sie in nächster Zukunft zu lernen hätte. Feuser hält diese Art der Beurteilung für die Persönlichkeitsentwicklung als unverzichtbar, da nur so die Subjektivität eines/einer jeden Schülers/Schülerin gewährleistet werden kann.

Zeugnisse sind im integrativen Unterricht keine pädagogischen Machtinstrumentarien, die über den Aufstieg in die nächste Schulstufe entscheiden. Eine Voraussetzung für integrativen Unterricht ist, laut Feuser, die Überwindung des "Sitzenbleibens" sowie der Leistungsbeurteilung am Klassendurchschnitt zugunsten einer kontinuierlichen Schullaufbahn und einem von LehrerIn und SchülerIn gemeinsam erarbeiteten Entwicklungsbericht.

3.3.6. Rahmenbedingungen für die integrative Praxis

Feuser beharrt auf folgenden drei Prinzipien als Rahmenbedingungen für Integration:

  • Prinzip der Regionalisierung: Die Erziehung und Bildung aller Kinder muß im unmittelbaren Lebensumfeld stattfinden.

  • Prinzip der Dezentralisierung: Materielle und personelle Hilfen müssen am Ort des Lebens und Lernens, eingebettet in das Gruppengeschehen, gewährt werden.

  • Prinzip des Kompetenztransfers: Der Austausch der verschiedenen fachlich qualifizierten Personen, die im integrativen pädagogischen Feld tätig sind, hat in Form von Teamarbeit stattzufinden.

3.3.7. Therapie in der integrativen Praxis

In der integrativen Praxis werden therapeutische Hilfestellungen in den Unterricht eingebaut, dominieren diesen jedoch nicht. Es findet eine neue Art der Zusammenarbeit von Pädagoge/Pädagogin und TherapeutIn statt, deren Anliegen es ist, von der momentanen Handlungskompetenz des/der jeweiligen Schülers/Schülerin auszugehen und auf der Basis von Akzeptanz eine Verbesserung der Realitätskontrolle anzustreben.

Ziel der Therapie ist nun nicht mehr das Beseitigen von Defekten, sondern das Kind in seinem vorhandenen Können zu akzeptieren und zu unterstützen. Therapie setzt an der Lebensrealität der Kinder an, was allerdings nur dann möglich ist, wenn der/die TherapeutIn den "Schonraum Therapieraum" verläßt, er/sie also an die Orte geht, an denen das Kind lebt und therapeutischer Hilfe bedarf.

Feuser hält das Verlassen des Therapieraumes, das Integrieren der Therapie in den Unterricht, deshalb für wichtig, da das Kind im Therapieraum nicht in der Lage ist, seine Bedürfnisse an Objekte zu binden, welche seine Wünsche und Bestrebungen verwirklichen könnten. Er ist der Meinung, daß durch Therapie, die im "Schonraum" stattfindet, das Kind sich selbst entfremdet wird. Im Gruppenalltag hingegen erhält das Kind neben den Bemühungen der Pädagogen/Pädagoginnen und Therapeuten/Therapeutinnen, eine Vielzahl von Anregungen und Hilfen von den anderen Kindern, und kann sich an den ihm vorgeführten Lernmodellen und Lösungsstrategien orientieren.

All dies verlangt ein völliges Umdenken und eine veränderte Arbeitsweise von Pädagogen/Pädagoginnen und Therapeuten/Therapeutinnen.

3.3.8. Zusammenfassend

Für Feuser stellt Integration eine mit großem Einsatz zu realisierende Aufgabe dar. Seine Grundgedanken zur Integration lassen sich in folgenden zwei Zitaten sehr treffend darlegen:

"Das "Besondere" der Pädagogik, derer wir für Integration bedürfen, liegt nicht in der "Besonderung" der Kinder, sondern im "allgemeinen einer basalen Pädagogik", im "allgemeinen der Grundlagen menschlicher Entwicklung und des menschlichen Lernens". Dieses "Allgemeine" herauszuarbeiten, ist das spezielle unserer Arbeit; es in der "Besonderung (der Kinder) zu suchen, ist ein Irrweg!" (Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.183)

"Zusammenfassend geht es (...) um die Realisierung eines Veständnisses von schulischer Integration, das impliziert, daß

  • alle Schüler

  • in Kooperation miteinander

  • an und mit einem gemeinsamen Thema/Inhalt/Gegenstand

  • auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau und mittels ihrer jeweiligen Handlungskompetenz

  • lernen und im Unterricht mitarbeiten."

(Feuser G., Meyer H., 1986, S.12)

3.4. Unterrichtsmodelle

Mit seinen Ausführungen zur Integration beschreibt Feuser einen Idealzustand, der seiner Meinung nach unbedingt erreicht werden muß, um von "wahrer" Integration sprechen zu können.

Im Rahmen der Schulversuche wurden vier Unterrichtsmodelle, von denen Feuser selbst nur eines akzeptiert, vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport genehmigt:

- Integrative Klasse

- Gestützte Klasse

- Kooperative Klasse

- Förderklasse

3.4.1. Integrative Klasse

In der integrativen Klasse werden etwa vier behinderte SchülerInnen zusammen mit nichtbehinderten Schülern/Schülerinnen in Volks- und Hauptschulklassen mit verminderter SchülerInnenzahl (ca.20 SchülerInnen) von zwei Lehrpersonen (Volksschul-, HauptschullehrerIn und SonderschullehrerIn) gemeinsam unterrichtet.

Das Grundanliegen des Modells der integrativen Klasse ist es, den besonderen Erziehungsbedürfnissen der behinderten und auch der nichtbehinderten SchülerInnen zu entsprechen. Eine Ausgliederung behinderter SchülerInnen soll durch dieses Modell vermieden werden, ohne auf notwendige sonderpädagogische Betreuung verzichten zu müssen, die ja durch die ständige Anwesenheit des/der Sonderpädagogen/-pädagogin gewährleistet ist. Der gemeinsame Unterricht behinderter und nichtbehinderter SchülerInnen soll bewirken, daß jene sozialen Lernprozesse angebahnt werden, die für das spätere gesellschaftliche Zusammenleben wichtig sind.

Für den Unterricht in der integrativen Klasse gelten die Prinzipien der Individualisierung, Binnendifferenzierung und des kooperativen handlungsorientierten Lernens (Projektlernen). In der integrativen Klasse wird versucht, durch innere Differenzierung den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der SchülerInnen gerecht zu werden. Dies bedeutet, daß behinderte SchülerInnen nach dem ihrer Behinderungsart und ihrem momentanen Stand entsprechenden Lehrplan unterrichtet werden, wobei die Art des Lehrplanes im Zeugnis vermerkt wird.

Schwerpunkt der integrativen Klasse bildet eine Lernorganisation, die auf eine innere Differenzierung setzt. Innere Differenzierung bedeutet, daß keine räumliche Trennung nach Begabung erfolgt. Es findet eine flexible innere Gliederung statt, welche fach- und inhaltsspezifische Begabungsschwerpunkte sowie SchülerInneninteressen berücksichtigt.

Das integrative Modell stellt für Feuser und den Großteil der im Bereich der Integration Tätigen, die einzige akzeptable und als solche zu bezeichnende Form von Integration dar.

Specht schreibt in seiner Evalutation zum Modell der integrativen Klasse folgendes:

"Die meisten unter evaluativen Perspektiven bedeutsamen Aspekte der Schulversuchsarbeit werden von den Lehrern dieser Modellvariante am positivsten beurteilt: Erfolge des Schulversuchs im Bereich der Förderung aller Schüler, der Effizienz des Unterrichts, der Gestaltung eines integrativen Klassenklimas wie auch der Zusammenarbeit der Lehrer werden hier am klarsten herausgestrichen." (Specht, 1993, S.74)

Auf die Frage, welche Vorteile das Modell der integrativen Klasse mit sich bringt, antwortete uns eine Integrationslehrerin folgendermaßen:

"Unsere Kinder lernen gleichviel wie die Kinder in anderen Klassen, nur daneben eben noch viel mehr."

3.4.2. Gestützte Klasse

In der gestützten Klasse werden ein oder zwei behinderte SchülerInnen zusammen mit nichtbehinderten Schülern/Schülerinnen in Volks- bzw. Hauptschulklassen unterrichtet, wobei die SchülerInnenzahl nach Möglichkeit reduziert ist. Neben dem/der KlassenlehrerIn (Volksschul-, HauptschullehrerIn) steht für eine gewisse Anzahl von Wochenstunden (sechs Stunden pro SchülerIn mit besonderem Förderbedarf) ein/eine StützlehrerIn zur Verfügung .

Zu den Aufgaben des/der Stützlehrers/-lehrerin zählen dabei:

  • die Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen an behinderte SchülerInnen sowie deren spezifische sonderpädagogische Betreuung und Förderung.

  • die Beratung des/der Klassenlehrers/-lehrerin bei Differenzierungsmaßnahmen sowie Mitwirkung bei der Bildungsplanung für das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

  • die Unterstützung von KlassenlehrerIn und Eltern bei anfallenden Schwierigkeiten.

  • die Mitwirkung bei Bildungsentscheidungen.

Die zusätzliche sonderpädagogische Förderung kann nach Absprache mit dem/der KlassenlehrerIn sowohl innerhalb als auch außerhalb des Klassenverbandes erfolgen.

Das differenzierende Prinzip kommt im Modell der gestützten Klasse stark zur Geltung, da eine Lehrperson (StützlehrerIn) eigens für den/die SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Klasse geholt wird, um diesen/diese zu stützen und zu fördern.

"So kommt es zumindest stundenweise zur Trennung der Schüler, die die Unterscheidung von behinderten und nichtbehinderten, angepaßten und unangepaßten, begabten und leistungsschwachen Schülern plakativ macht." (Specht W., 1993, S.107f.)

Im Rahmen der Evaluation der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder haben sich folgende Probleme des Modells der gestützten Klasse herauskristallisiert:

  • Durch die stundenmäßig begrenzte Anwesenheit des/der Stützlehrers/-lehrerin erhalten die behinderten SchülerInnen rein zeitlich weniger Betreuung und Förderung als im integrativen Modell.

  • In der Abwesenheit des/der Stützlehrers/-lehrerin ist der/die Volksschul-, HauptschullehrerIn oft überlastet.

  • Durch diese Zusatzbelastung des/der Klassenlehrers/-lehrerin leidet das gesamte Sozial- und Lernklima der Klasse.

In unseren Gesprächen mit Lehrpersonen, Beratern/Beraterinnen, dem ehemaligen wissenschaftlichen Begleiter der integrativen Schulversuche Vorarlbergs etc. trafen wir überwiegend auf GegnerInnen des Modells der gestützten Klasse.

Feuser kritisiert an diesem Modell, welches er auch als Einzelintegration bezeichnet, folgendes:

"Auch die "Einzelintegration", so viel sie für ein bestimmtes Kind auch bedeuten kann, wird letztlich die Verhältnisse, die Kinder und Jugendliche fortgesetzt wegen Behinderungen oder anderen zweifelhaften Kriterien aussondern und segregieren, nicht überwinden. Hier besteht eher die Gefahr, daß mit dem Lockvogel Einzelintegration berechtigte Bedürfnisse von Eltern im Sinne einer Befriedungsstrategie eingegrenzt und ihre reformerischen Kräfte gebunden werden, ganz abgesehen von der Gefahr, daß immer da, wo sich der Regelunterricht nicht von der heute überwiegend praktizierten Form löst und weitgehend verändert, ein behindertes Kind zum Beistellkind und Alibi einer Fortschrittlichkeit werden kann, die im Grunde keine ist und allenfalls für den Staat einen Spareffekt hat, als daß sie für alle betroffenen Kinder und Schüler einen Fortschritt in der Realisierung einer humanen Schule bedeuten und werden könnte." (Feuser G., 1989, S.18)

3.4.3. Kooperative Klasse

In der kooperativen Klasse werden behinderte SchülerInnen in Klassen mit kleiner SchülerInnenzahl (vergleichbar mit der Klassengröße in der Allgemeinen Sonderschule) zusammengefaßt. Entsprechend ihren jeweiligen Voraussetzungen werden die behinderten SchülerInnen während bestimmer Unterrichtsstunden gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern/Schülerinnen einer "Normalklasse" der gleichen Schulstufe unterrichtet.

Im kooperativen Modell dominiert das differenzierende Prinzip, sowohl vom Rahmenplan als auch von der gebräuchlichen Form der "Realisierung" von Integration her. Durch ein zeitlich begrenztes Zusammensein von behinderten und nichtbehinderten Schülern/Schülerinnen in bestimmten Unterrichtsgegenständen, zumeist in Gegenständen wie Werken, Bildnerische Erziehung, Musik, kommt es lediglich zu einer Abschwächung der Grundphilosophie der begabungs- und behinderungsspezifischen Förderung.

In der bereits erwähnten Evaluation der Schulversuche sprachen viele Lehrpersonen dieselben Probleme des kooperativen Modells an:

- Während der Kooperationsphasen kommt es oft zu unzumutbaren Klassengrößen.

- Durch die partielle Integration in "nichtleistungsbezogenen Gegenständen" wird die soziale Stigmatisierung als SchülerIn einer Sonderschule eher verstärkt als abgeschwächt.

Feuser schreibt zum Modell der kooperativen Klasse folgendes:

"Ich wage aber vorauszusagen, daß die "Kooperation" der Schulformen (...) letztlich nicht zu der hier zu beschreibenden Integration, Erziehungs-, Bildungs- und Schulreform führen wird und kann. Daß man Kooperation heute noch in Schulentwicklungsplänen fordern muß und sie zwischen allen Schulformen und -typen nicht längst Selbstverständlichkeit ist, ist nicht nur traurig, sondern erschütternd - und peinlich für die Lehrerschaft." (Feuser G., 1989, S.18)

3.4.4. Förderklasse

In Förderklassen werden lernschwache SchülerInnen, die normalerweise eine Klasse der Allgemeinen Sonderschule besuchen würden, an Volks- bzw. Hauptschulen mit mindestens zwei Parallelklassen in Kleinklassen von sechs bis elf Schülern/Schülerinnen nach den Lernzielen der Volks- bzw. Hauptschule unterrichtet. Die SchülerInnen dieser Klassen werden durch einen auf ihre individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse abgestimmten Unterricht, welcher von Sonderpädagogen/-pädagoginnen nach sonderpädagogischen Grundsätzen und Förderungen durchgeführt wird, zu den grundlegenden Lernzielen der Volks- und Hauptschule hingeführt.

Im allgemeinen wird in der Förderklasse, die jeweils zwei Schulstufen zugeordnet ist, nach dem Lehrplan der Volks- bzw. Hauptschule unterrichtet. Gemäß entsprechender Leistungsentwicklung sind daher Übergänge der SchülerInnen von Förderklassen in reguläre Klassen möglich. Im Unterricht der Förderklasse wird auf die Koordination zu den anderen Klassen ("Normalklassen") geachtet, damit der Anschluß der SchülerInnen der Förderklassen an den Leistungsstand der "Normalklassen" gewährleistet ist. Um diesen Anschluß realisieren zu können, bedarf es einer Abstimmung der Jahresplanungen für die einzelnen Schulstufen und Klassen. Die allgemeine Zielsetzung der Förderklassen ist die baldige "Rückführung" der SchülerInnen in eine Regelklasse.

Bei der Evaluation der Schulversuche übten befragte Lehrpersonen an folgenden Punkten Kritik am Modell der Förderklasse:

  • Durch die Einrichtung von Förderklassen wird die Aussonderung lernschwacher SchülerInnen nicht vermieden. Oft wird das Gegenteil bewirkt, indem sie plakativ gemacht wird.

  • SchülerInnen mit schweren Behinderungen finden in Förderklassen keinen Platz.

  • Die Rückführung in Regelschulklassen gelingt nur teilweise, da sich sowohl die alters- als auch die entwicklungsmäßige Heterogenität hemmend auswirken.

  • Die Kooperation von Kleinklassen und Regelklassen ist meist zu wenig intensiv. Dadurch gelingt es nicht, den Fördereffekt auf Seiten der SchülerInnen zu verstärken und der Vereinzelung der Lehrperson der Förderklasse entgegenzuwirken.

Im Modell der Förderklasse wird bewußt auf die räumliche und soziale Gemeinsamkeit von Schülern/Schülerinnen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf verzichtet, um die lernbehinderten SchülerInnen in Kleinklassen zu fördern, und somit die Belastung durch "schwierige" SchülerInnen von den Regelklassen zu nehmen.

In diesem Modell, welches aus berechtigten Gründen nicht in das Regelschulwesen übernommen wurde, kann unter Integration nur noch der Besuch derselben Schule von "normalen" und lernschwachen Schülern/Schülerinnen verstanden werden.

"Wer unter Integration "Gemeinsam leben - gemeinsam lernen" versteht, für den können die "Kooperative Klasse" und die "Förderklasse" keine ernstzunehmenden Alternativen darstellen." (Pohler K., 1994, S.39)

4. Behinderte in Schulen ja, Unterstützung?

Das Ja zu behinderten Kindern in Schulen oder zumindest ein "wackeliges" Ja wurde mit der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle rechtlich festgelegt. Die Eltern behinderter Kinder haben nun das Recht, die Auswahl der Schulart zu treffen, also die schulische Integration zu fordern, was für viele Lehrpersonen ein "Sprung ins kalte Wasser" bedeutet. Damit "das Wasser aber nicht allzu kalt ist", sollen Sonderpädagogische Zentren sowie eine wissenschaftliche Begleitung zur Unterstützung der LehrerInnen beitragen.

4.1. Die 15. Schuloraganisationsgesetz-Novelle (15. SchOG-Novelle)

Die 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle mit ihren Nebengesetzen, dem Schulpflichtgesetz (SchPflG), Schulorganisationsgesetz (SchOG), Schulunterrichtsgesetz (SchUG), Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, die das gesetzliche Ja zur gemeinsamen Erziehung und Bildung behinderter und nichtbehinderter Kinder begründet, wurde im Juli 1993 mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen.

4.1.1. Konsequenzen der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle

Dieses Gesetz, das per 1. August 1993 für Vorschulkinder und Kinder im ersten Jahr der allgemeinen Schulpflicht wirksam wurde, bringt zahlreiche Veränderungen für Eltern, LehrerInnen und Behörden mit sich, wobei die wesentlichen Veränderungen für die einzelnen Personengruppen im folgenden Kapitel dargestellt werden.

ELTERN:

  • Da die Volksschule für alle SchülerInnen, sowohl für behinderte als auch nichtbehinderte, da ist, verfügen die Eltern für ihr behindertes Kind nun über die Wahlmöglichkeit des Besuchs einer Sonderschule oder einer den sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllenden Grundschule. Nicht jede beliebige Grundschule kann von den Eltern gewählt werden, da unter Umständen erst personelle oder materielle Veränderungen durchgeführt werden müssen, damit der Schulbesuch für das behinderte Kind bzw. das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf überhaupt möglich ist.

  • Der sonderpädagogische Förderbedarf, dessen Feststellung für den Besuch des behinderten Kindes einer allgemeinen Grundschule oder Sonderschule notwendig ist, wird auf Antrag der Eltern von dem/der Bezirksschulrat/-rätin festgestellt.

Zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs können von den Eltern Gutachten bisheriger BetreuerInnen des Kindes beigezogen, sowie mündliche Verhandlungen unter Einbeziehung von Gutachtern/Gutachterinnen ihres Vertrauens beantragt werden.

  • Die Eltern verfügen zudem über die Möglichkeit einen Antrag zu stellen, damit der sonderpädagogische Förderbedarf von dem/der Bezirksschulrat/-rätin wieder aufgehoben wird. Weiters können sie gegen die Entscheidungen des/der Bezirksschulrates/-rätin bei dem/der Landesschulrat/-rätin, der/die die letzte Instanz ist, Berufung einlegen.

  • Außerdem haben die Eltern das Recht, daß ihr behindertes Kind für höchstens fünf Monate zum Zwecke der Beobachtung aufgenommen wird, was jedoch nicht automatisch sonderpädagogische Förderung inkludiert.

  • Schulpflichtige Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf können auf Empfehlung des/der Bezirksschulrates/-rätin die Vorschulstufe einer Volksschule besuchen.

VOLKSSCHULLEHRER/-LEHRERIN:

  • Die SchülerInnen einer Klasse müssen nun nicht mehr alle nach dem selben Lehrplan unterrichtet werden, was bedeutet, daß für SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf alle Lehrpläne erlaubt sind, sofern sie keine Überforderung darstellen. Hierzu wird in der Schulkonferenz entschieden, welcher Lehrplan in welchem Gegenstand für das jeweilige Kind angewendet wird, wobei sämtliche Abweichungen vom Lehrplan der Schulart und Schulstufe zu vermerken sind. Zudem wird in dieser Konferenz über die Aufstiegsmöglichkeit in die nächste Schulstufe entschieden.

  • Liegen medizinische Gründe vor, die einen Schulbesuch ausschließen, kann nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum mit besonderer Förderung kein Fortschritt in der Entwicklung festgestellt werden, oder stellt der Schulbesuch eine zu große Belastung dar, kann das Kind als schulunfähig erklärt werden.

  • Ein Schulausschluß ist dann zulässig, wenn eine dauernde Gefährdung der MitschülerInnen in Bezug auf deren Sittlichkeit, körperliche Sicherheit oder Eigentum besteht.

  • Die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf einer Klasse darf im Normalfall vier nicht überschreiten. Die Ausführungsgesetze der Länder bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß die SchülerInnenzahl weniger als 30 beträgt, wobei die Zahlen 16 + 4, die bisher in Schulversuchen gewählt wurden, zu berücksichtigen sind.

  • Die Möglichkeit einer zweiten Lehrperson besteht je nach Art und Ausmaß der Behinderung, SchülerInnenzahl und SchülerInnenzusammensetzung, oder wenn der/die VolksschullehrerIn aufgrund der Ausbildung die Situation alleine nicht bewältigen kann. Inwieweit diese Voraussetzungen zutreffen, kann nur in der jeweiligen konkreten Einzelsituation festgestellt werden und erfordert eine exakte Beurteilung der pädagogischen Gesamtsituation.

  • Durch die Zusammenarbeit mit anderen Lehrern/Lehrerinnen sowie gemeinsamen Beratungen mit Eltern über Integrationsfragen werden neue Anforderungen an die Lehrpersonen gestellt.

  • Die IntegrationslehrerInnen sind von sonderpädagogischen Zentren zu betreuen.

SONDERSCHULLEHRER/-LEHRERIN:

  • An Sonderschulen können die SchülerInnen nach allen Lehrplänen unterrichtet werden.

  • Die Klärung der Schulunfähigkeit kann nur durch Beobachtung in einer Sonderschulklasse mit Fördermöglichkeiten für schwerstbehinderte Kinder erfolgen.

VOLKSSCHULDIREKTOR/-DIREKTORIN:

  • Die Feststellung sowie die Aufhebung des sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von dem/der VolksschuldirektorIn bei dem/der zuständigen Bezirksschulrat/-rätin beantragt werden.

  • Der/die VolksschuldirektorIn hat die Möglichkeit, Integrationskonferenzen einzuberufen, um die pädagogische Arbeit zu koordinieren.

  • Bezüglich der sozialintegrativen Vorschule können ab dem Schuljahr 1994/95 Schulversuche eingerichtet werden, wenn diese kostenneutral sind.

SONDERSCHULDIREKTOR/-DIREKTORIN:

  • Neben den Eltern und dem/der VolksschuldirektorIn kann auch der/die SonderschuldirektorIn bei dem/der zuständigen Bezirksschulrat/-rätin die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs beantragen.

  • Das erstellte sonderpädagogische Gutachten hat eine Förderungsdiagnostik, und keine Selektionsdiagnostik, zu sein.

  • Der/die Bezirksschulrat/-rätin kann bei dem/der Landesschulrat/-rätin den Antrag einreichen, die Sonderschule in ein Sonderpädagogisches Zentrum umzuwandeln. Das Sonderpädagogische Zentrum, das auch bezirksübergreifend arbeiten kann, hat die Aufgabe, sonderpädagogische Betreuung sicherzustellen, LehrerInnen und Eltern zu beraten und zu unterstützen, Lehrmittel und LehrerInnen bereitzustellen, sowie sonderpädagogische Maßnahmen in anderen Schularten zu koordinieren.

BEZIRKSSCHULINSPEKTOR/-INSPEKTORIN

  • Der/die BezirksschulinspektorIn, der/die den sonderpädagogischen Förderbedarf feststellt, entscheidet, ob und in welchem Ausmaß der Unterricht des/der Schülers/Schülerin nach dem Lehrplan einer anderen Schule erfolgt.

  • Er/sie hat die Aufgabe, die Eltern über die bestehenden Möglichkeiten der Antragstellung (GutachterInnen, mündliche Verhandlungen) sowie der zur Auswahl stehenden Schulen und den zweckmäßigsten Schulbesuch zu beraten.

  • Auf Wunsch der Eltern hat er/sie die nächstgelegene Volksschule, an der dem sonderpädagogischen Förderbedarf entsprochen werden kann, festzustellen. Ist keine solche Schule in der Umgebung vorhanden, so hat er/sie zur Ermöglichung des Volksschulbesuches im Rahmen der Landesgesetze entsprechende materielle und personelle Maßnahmen für die Sprengelvolksschule bzw. nächstgelegene Volksschule zu ergreifen.

  • Weiters kann er/sie, wie bereits erwähnt, den sonderpädagogischen Förderbedarf aufheben, die Schulunfähigkeit feststellen, sowie bei dem/der Landesschulrat/-rätin die Errichtung Sonderpädagogischer Zentren beantragen.

PSYCHOLOGE/-LOGIN, ARZT/ÄRZTIN, THERAPEUT/THERAPEUTIN:

  • Zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs können auf Antrag der Eltern Gutachten bisheriger pädagogischer, therapeutischer sowie ärztlicher BetreuerInnen hinzugezogen werden, wobei diese Gutachten Aussagen für die Beratung der Eltern enthalten müssen. Medizinische Gründe können zur Feststellung von Schulunfähigkeit herangezogen werden.

LANDESSCHULRAT/-RäTIN:

  • Bei Berufungen gegen Entscheidungen des/der Bezirksschulrates/-rätin stellt der/die Landesschulrat/-rätin die letzte Instanz dar.

  • Sonderpädagogische Zentren werden vom Kollegium des/der Landesschulrates/-rätin bestimmt. Verfügt eine Region über keine Sonderschule, so kann eine andere Schule, der eine Sonderschulklasse angeschlossen ist, die Aufgaben des Sonderpädagogischen Zentrums übernehmen. Der durch die Führung eines Sonderpädagogischen Zentrums entstehende finanzielle Mehraufwand wird vom Bund getragen.

4.1.2. Mängel und Kritikpunkte an der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle

  • Der § 8a des Schulpflichtgesetzes BGBL 513/1993 besagt, daß schulpflichtige Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf berechtigt sind, eine Volksschule, die den sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllt, zu besuchen, wenn eine solche Volksschule vorhanden ist, der Schulweg dem Kind zugemutet werden kann oder mit Zustimmung der Eltern eine Unterbringung in einem SchülerInnenheim erfolgt.

Den Eltern wird zwar gesetzlich das freie Wahlrecht zwischen einer Volksschule und einer Sonderschule eingeräumt, die endgültige Entscheidung ist jedoch davon abhängig, ob eine entsprechende Volksschule existiert oder geschaffen wird. Ist dies nicht der Fall, so kann laut § 8b des Schulpflichtgesetzes der Besuch einer Sonderschule erzwungen werden. Es stellt sich nun die Frage, was den Eltern die Möglichkeit der freien Schulwahl nützt, wenn die Zuweisung in die jeweilige Schule (Volks-, Sonderschule) schlußendlich von der Willkür der Schulverwaltung sowie deren Bereitschaft, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Integration zu schaffen, abhängt.

  • Um die Integration nicht nur im schulischen Bereich sondern auch im direkten sozialen Umfeld gewährleisten zu können, muß der gemeinsame Schulbesuch von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf in der Schule "ums Eck" erfolgen, damit Kontakte zu (Schul-)Freunden/Freundinnen, zur Nachbarschaft etc. erhalten bzw. aufgebaut werden können.

Der § 8 Abs2 des Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetzes BGBL 515/1993 besagt, daß Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in eine sprengelfremde Volksschule verwiesen werden können, wenn im eigenen Schulsprengel keine entsprechende Förderung möglich ist. Dies birgt die Gefahr des Aufbaus spezialisierter Integrationsschulen, die wieder nur spezielle "Sonderschulen" darstellen, was zu einer erneuten Differenzierung des Schulwesens führt.

  • Der/die Bezirksschulrat/-rätin hat laut § 8 Abs1 des Schulpflichtgesetzes BGBL 513/1993 für ein Kind, unter Hinzuziehung von sonderpädagogischen, schul- oder amtsärztlichen Gutachten, sowie eines, mit dem Einverständnis der Eltern erstellten, psychologischen Gutachtens, den sonderpädagogischen Förderbedarf und die Schulunfähigkeit festzustellen. Bestehen die Eltern nicht auf einer mündlichen Verhandlung, bei der dem Kind vertraute Personen anwesend sind, so obliegt es dem/der Bezirksschulrat/-rätin, der/die das Kind im allgemeinen nur aus einer für das Kind abstrakten Testsituation kennt, über die zukünftige schulische Laufbahn zu entscheiden.

In einem Gespräch mit Adriane Feurstein, Obfrau des Vereins "Integration Vorarlberg", wies sie genau auf dieses Problem hin:

" ...... Das Kind wäre meiner Meinung nach so gut integrierbar, aber man hat sich schon so ein Bild gemacht von dem Kind. Also der Inspektor hat das Kind einmal öffentlich bei einem Stammtisch der KindergärtnerInnen beschrieben, da habe ich mir gedacht, komisch, das Kind kenne ich gar nicht, wer ist das, von dem habe ich noch nie gehört. Nacher erst bin ich draufgekommen, daß er den X beschreibt. Also da habe ich dann auch gesagt, das geht nicht. Er soll das Kind einmal besuchen und anschauen und nicht nur die Beschreibungen hören." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

  • Die Entscheidung, nach welchem Lehrplan der/die SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet wird, liegt bei dem/der Bezirksschulrat/-rätin (§ 17 Abs4a SchUG). Dadurch, daß diese Aufgabe wieder dem/der Bezirksschulrat/-rätin obliegt, und nicht den Lehrpersonen, die das Kind kennen und mit ihm vertraut sind, findet erneut eine formale Abstempelung des Kindes statt.

  • Weiters hat die Schulkonferenz festzulegen, ob und in welchem Unterrichtsgegenstand nach dem Lehrplan einer anderen Schulstufe unterrichtet wird (§ 17 Abs4b SchUG), und entscheidet zudem über das Aufsteigen der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (§ 25 Abs5a SchUG).

Da das Kind im integrativen Unterricht nicht an einer allgemeinen Leistungslatte gemessen, sondern von dessen vorhandenen Fähigkeiten ausgegangen wird und somit kein Durchfallen mehr möglich sein kann, ist der § 25 Abs5a SchUG überflüssig.

Sämtliche Abweichungen vom Lehrplan der Schulart und Schulstufe müssen vermerkt werden.

Hier sind vor allem zwei Punkte zu kritisieren: Einerseits ist es die Schulkonferenz, (und nicht die von Elterninitiativen seit langem geforderte Integrationskonferenz, in der Eltern, in der Klasse unterrichtende Lehrpersonen, GutachterInnen etc, zugegen sind), die die Entscheidungen bezüglich des Lehrplanes trifft, andererseits muß jede Abweichung vom Lehrplan festgehalten werden, wodurch erneut der Stempel "Sonderschule" aufgedrückt wird, was erneut zur Stigmatisierung des Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf führt.

  • Laut § 15 des Schulpflichtgesetzes können Kinder weiterhin als schulunfähig vom Unterricht ausgeschlossen werden. Durch diesen Passus entzieht sich die Schulverwaltung der Verantwortung für "besonders" schwer behinderte Kinder und riskiert somit zugleich einen Verfassungsbruch, da der Art.2 des 1.ZP zur MRK besagt, daß Niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden darf.

  • Die Rahmenbedingungen für Integrationsklassen, die einen wichtigen Stellenwert für die Qualität des integrativen Unterrichtes haben, sind gesetzlich nicht geregelt. Zwar wird in den Erläuterungen zur 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle von einer durchschnittlichen SchülerInnenzahl von 20 Kindern (bei max. vier Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf) ausgegangen, aber dies ist gesetzlich nicht gesichert. Ebenso findet die Stundenzuteilung für zusätzlich eingesetzte Lehrpersonen zur Unterstützung der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf keine Berücksichtigung.

  • Im § 11 Abs4 des Schulorganisationsgesetzes wird das Modell der kooperativen Klasse besonders aufgewertet. Dieses Modell erhält den Vorzug, da es die Möglichkeit einer verminderten SchülerInnenzahl mit sich bringt.

Aufgrund zahlreicher Untersuchungen stellt dieses Modell jedoch die schlechteste Form eines Integrationsversuches dar, weil es weiterhin auf der Trennung von behinderten und nichtbehinderten Kindern aufbaut! Das Modell der integrativen Klasse hingegen findet in den Gesetzesänderungen keine Erwähnung, obwohl es sich am besten bewährt hat und die meisten Erfolge erzielt (siehe Kapitel 3.4.).

  • Ein weiterer Mangel in der Novelle stellt § 13 Abs1 des Schulorganisationsgesetzes dar, welcher besagt, daß für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und/oder nichtdeutscher Muttersprache zusätzlich entsprechend ausgebildete LehrerInnen eingesetzt werden können. Diese Kann-Bestimmung ist unbedingt in ein Muß umzuwandeln, da der Einsatz einer weiteren Lehrperson für eine erfolgreiche Integration notwendig ist.

  • Derzeit besteht nach § 13 Abs2 des Schulorganisationsgesetzes eine Ungleichbehandlung von Sonderschullehrern/-lehrerinnen und Klassenlehrern/-lehrerinnen in Integrationsklassen. Auch wenn der/die SonderschullehrerIn eine gesamte Lehrverpflichtung in der Integrationsklasse erfüllt, kommt ihm/ihr laut Gesetz nur eine assistierende Rolle zu.

Bei einer gesamten Lehrverpflichtung des/der Sonderschullehrers/-lehrerin hat die Klasse von beiden Lehrpersonen mit den gleichen Rechten und Pflichten geführt zu werden!

Bei genauerer Auseinandersetzung mit der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle ist uns aufgefallen, daß im Gesetz zahlreiche "Schlupflöcher" vorzufinden sind, mit Hilfe derer Integration umgangen werden kann. Das endgültige Ja zur Errichtung einer Integrationsklasse und somit zum gemeinsamen Leben und Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern, Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, hängt schlußendlich von der Willkür einer einzigen Person (Bezirksschulrat/-rätin, Landesschulrat/-rätin) ab. Obwohl dieser/diese eine neutrale Position bezüglich der schulischen Integration zu vertreten hat, sind wir der Ansicht, daß er/sie seine/ihre eigene Meinung und Geschichte nicht völlig aus dem Spiel lassen kann, also immer wieder an seine/ihre eigenen Grenzen stößt.

Allein die Bezeichnung "schulunfähig" bzw. "entwicklungsunfähig" zeigt die Grenzen, die wir der Integration setzten, sehr deutlich auf. Wer kann denn überhaupt bestimmen, was Entwicklung ist und was nicht, was schulfähig ist und was nicht? Ist es denn nicht schon als Entwicklung zu bezeichnen, wenn ein schwerstbehindertes Kind lernt, seine Wünsche und Bedürfnisse im Klassenverband zu äußern? Wenn es zu lächeln beginnt, weil es sich unter den Schulkameraden/-kameradinnen wohlfühlt?

Nein, es ist nicht das Kind, das sich an unseren Entwicklungsbegriff anzupassen hat, sondern es sind wir, die wir unseren Entwicklungsbegriff an das jeweilige Kind anzupassen haben (vgl. Kap. 5.4.5.)!

4.2. Sonderpädagogische Zentren

Mit der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle, die das "Elternrecht" auf gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern, Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf festlegt, wurden unter anderem die Voraussetzungen für die Einbeziehung von bisher ausschließlich segregierend arbeitenden sonderpädagogischen Institutionen in das Integrationsgeschehen geschaffen.

Diese Einbeziehung soll durch sogenannte "Sonderpädagogische Zentren" erfolgen, die laut § 27a Abs1 der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle folgendermaßen beschrieben werden:

"Sonderpädagogische Zentren sind Sonderschulen, die die Aufgabe haben, durch Bereitstellung und Koordination sonderpädagogischer Maßnahmen in anderen Schularten dazu beizutragen, daß Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in bestmöglicher Weise auch in allgemeinen Schulen unterrichtet werden können." (15.SchOG-Novelle, 1993, S.807f.)

Die Festlegung bestimmter Sonderschulen als Sonderpädagogische Zentren erfolgt auf Antrag des/der Bezirkschulrates/-rätin bei dem/der Landesschulrat/-rätin.

4.2.1. Aufgaben der Sonderpädagogischen Zentren

Die Hauptaufgaben der Sonderpädagogischen Zentren, welche von Dr. Hans Hovorka erarbeitet wurden, liegen in einem Kompetenztransfer sonderpädagogischer Inhalte, der Sicherstellung sonderpädagogischer Betreuungsqualität, sowie in der Beratung und Unterstützung von Eltern und Lehrern/Lehrerinnen durch die Bereitstellung materieller und personeller Resourcen.

Genauer betrachtet lassen sich die Aufgaben in solche der Beratung/Betreuung und Kooperation/Vernetzung unterteilen:

  • Beratung/Betreuung

In Sonderpädagogischen Zentren tätige Lehrpersonen (BeratungslehrerInnen, SprachheillehrerInnen, StützlehrerInnen etc.) haben die Aufgabe, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Regelschule zu betreuen und für diese Kinder individuelle Förderpläne zu erstellen sowie die Unterrichtsarbeit individuell zu planen. Weiters tragen sie mit ihrer fachlichen Kompetenz und Erfahrung dazu bei, Berührungs- und Begegnungsängste im Umgang mit behinderten Menschen abzubauen. Zudem informieren sie die Lehrpersonen über Materialien und Literatur zur Verbesserung des integrativen Unterrichtes und sind in der Planung oder auch direkt in der Fortbildung für integrativ arbeitende LehrerInnen tätig.

Ein weiterer Aufgabenbereich stellt die Information von Lehrpersonen und von Schulleitern/-leiterinnen über mögliche schulorganisatorische Maßnahmen bezüglich der Integration dar.

Die in den Sonderpädagogischen Zentren Tätigen beraten unter anderem den/die Bezirksschulrat/-rätin bezüglich der Gutachtenstellung, den integrativen Maßnahmen (z.B. integratives Modell für Fall X, gestütztes Modell für Fall Y) und informieren ihn/sie über das "Integrationsgeschehen" in seinem/ihrem Bezirk.

Die Eltern erhalten von Mitarbeitern/-arbeiterinnen der Sonderpädagogischen Zentren Beratung über Unterstützungsmöglichkeiten außerhalb der Schule, hinsichtlich Therapien, finanzieller Unterstützung, behindertenspezifischer Hilfsmittel, sowie der rechtlichen Situation (z.B. 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle). Bei auftretenden Problemen zwischen den Eltern und der Schule kommt den Mitarbeitern/-arbeiterinnen der Sonderpädagogischen Zentren die Rolle des/der Vermittlers/Vermittlerin zu.

  • Kooperation/Vernetzung

In Bezug auf die Kooperation und Vernetzung ist es die Aufgabe der Sonderpädagogischen Zentren, Kontakte zu anderen Institutionen, wie Regelschulen, Kindergärten, medizinisch-therapeutischen und sozialen Einrichtungen, Arbeitsstätten etc. herzustellen und systematisch auszubauen. Ziel dieser Zusammenarbeit soll das Sammeln von Informationen sein, welche im Rahmen von Beratungsangeboten und Beratungsgesprächen an Interessierte weitergegeben werden.

"Erst wenn die Zusammenarbeit über das administrativ erforderliche Mindestmaß hinausgeht, erst wenn ein intensiverer Austausch im Interesse der Kinder stattfindet und zur festen Gepflogenheit zwischen den beteiligten Institutionen geworden ist, kann von kooperativen Strukturen, von beginnender Vernetzung gesprochen werden." (Sander A., 1993, S.59)

Weiters ist der Kontakt zu Partnern/Partnerinnen, die nicht der öffentlichen Hand angehören, von großer Bedeutung. Je nach lokalen Gegebenheiten handelt es sich hierbei um Vereine aus dem Freizeit- und Hobbybereich, um öffentliche Bürgerinitiativen und andere.

Diese Einbindung der Sonderpädagogischen Zentren in das soziale Umfeld trägt wesentlich zur Unterstützung der Integration von "Behinderten" und ihren Familien bei.

"Sonderpädagogische Zentren können (...) einen bedeutsamen Beitrag leisten, wenn sie praktisch mithelfen, die traditionelle Aufgabenverteilung von Sonder- und Sozialpädagogik aufzuheben und stattdessen kooperative Arbeitsstrukturen entwickeln, die demokratische und toleranzfördernde Lern- und Entwicklungsprozesse auf Gemeinde- und Stadtteilebene zulassen." (Hovorka H., 1993, S.52)

4.2.2. "Alter Wein in neuen Schläuchen" (Feuser G., 1989, S.13)

Das von Dr. Hans Hovorka und Alfred Sander dargestellte Anforderungsprofil an die Sonderpädagogischen Zentren beschreibt einen Idealzustand der Kooperation von Sonderpädagogik und Integrationspädagogik. Hovorka und Sander beschreiben bewußt einen Soll-Zustand, von dem wir derzeit noch weit entfernt sind, denn bei der Umwandlung von Sonderschulen in Sonderpädagogische Zentren handelt es sich oft nur um "alten Wein in neuen Schläuchen".

Alter Wein darum, da es sich in vielen Fällen um eine bloße Umetikettierung handelt, denn die Sonderschulen bleiben in vollem Umfang weiterhin existent. Neben ihren bisherigen Aufgaben sind sie, bei Ernennung zu einem Sonderpädagogischen Zentrum, dazu verpflichtet, Integration zu begleiten, zu unterstützen und zu fördern.

Die Doppelrolle, einerseits Sonderschule - andererseits Sonderpädagogisches Zentrum, ist für alle Beteiligten sehr problematisch, denn allein durch eine vorgenommene Umetikettierung der Institution Sonderschule erfolgt noch keine Änderung der Einstellungen jener, die in diese Institution eingebunden sind.

Uns ist in Gesprächen mit Sonderpädagogen/-pädagoginnen aufgefallen, daß der Großteil von ihnen von der Wichtigkeit ihrer Institution überzeugt sind und sich eine Umwandlung oft nur bei Fortbestehen der Sonderschule vorstellen können. Ein Sonderpädagoge antwortete uns auf die Frage, was er von der Umwandlung der Sonderschulen in Sonderpädagogische Zentren - statt der Sonderschulen - halte, folgendermaßen:

"Das ist ein interessanter Ansatz. Er gefällt mir sehr gut, nur das "statt Sonderschulen" gefällt mir nicht. (...) Sonst, die Idee selber - Sonderpädagogische Zentren an Sonderschulen - eine super Idee."

Uns stellt sich hier die Frage, ob jemand, der sich aus Überzeugung von der Notwendigkeit der Sonderschule, für das Fortbestehen dieser einsetzt, den von Hovorka und Sander dargestellten Anforderungen gerecht werden und die Integration in bestmöglicher Weise unterstützen kann?

"(...), daß für die Durchsetzung der Integration nicht nur bestimmte Informationen, sondern vor allem die Einstellungen der Beteiligten wichtig sind, da sie den Erfolg oder Mißerfolg integrativer Bemühungen wesentlich beeinflussen, d.h. die Weiterentwicklung des Integrationsgedankens steht und fällt mit der Integration von Gedanken und Gefühlen in uns selbst bzw. in der Kooperation der beteiligten Pädagogen/innen." (Quitmann H., 1990, S.206)

4.3. Wissenschaftliche Begleitung

Dr. Ilsedore Wieser, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, hat mehrere Abhandlungen zur wissenschaftlichen Begleitung von integrativen Schulversuchen veröffentlicht, die die Grundlagen des nachstehenden Kapitels bilden.

Die wissenschaftliche Begleitung setzt sich aus drei Aufgabenbereichen zusammen. Es sind dies die Betreuung, Entwicklung und Evaluation, wobei alle in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen, um herauszufinden,

"WIE integrativer Unterricht zum Vorteil behinderter und nichtbehinderter Schüler durchgeführt und sukzessive verbessert werden kann." (Wieser I., 1994, S.114)

4.3.1. Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung

Dr. Reinhard Hug, der gemeinsam mit Dr. Wieser am Forschungsprojekt Hug/Schönwiese/Wieser (1992) an der wissenschaftlichen Begleitung der integrativen Schulversuche in Tirol mitgewirkt hat, stellt folgende Anforderungen an die wissenschaftliche Begleitung.

  • "Teilnahme an Besprechungen des LehrerInnenteams,

  • Unterrichtshospitation und Dokumentation unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Fragestellungen, die innerhalb der Teambesprechungen auftreten (Differenzierung, Individualisierung, Beobachtung bestimmter Kinder),

  • Einzelgespräche mit Lehrpersonen aus verschiedenen Fachbereichen,

  • Kontakt zu Eltern; Teilnahme an Elternabenden,

  • Beschaffung von Materialien und Literatur."

  • (Hug R., 1994, S.106f.)

Wie dieses Anforderungsprofil zeigt, ist der Diskurs für die wissenschaftliche Begleitung von großer Bedeutung. Der Diskurs kann als Erkenntnisprozeß verstanden werden, der durch den permanenten Austausch von Erfahrungen zustande kommt.

Weiters soll die wissenschaftliche Begleitung in einem handlungsorientierten Rahmen erfolgen. Handlungsorientiert bedeutet in diesem Sinne, daß sich die Wissenschaft nicht als eine messende und kontrollierende Instanz versteht, sondern einen Prozeß der Entwicklung darstellt, in dem jeder/jede Betroffene seinen/ihren Teil beiträgt. Die wissenschaftliche Begleitung stellt eine Unterstützung dar, die schwierige Alltagssituationen erleichtert aber keinerlei Anspruch auf Kontrolle erhebt.

"Die WIB "neuen Typs" stellt Beobachtungsergebnisse, Wirklichkeitsinterpretationen und Reflexionshilfen zur Verfügung, fordert zur Verständigung darüber auf, ist an Konsens interessiert, läßt sich aber auch auf unterschiedliche Sichtweisen ein, provoziert sogar Streitgespräche, um den Blick zu schärfen für Veränderungsnotwendigkeiten bzw. für zielgerichtete und realisierbare Interventionen." ( Wieser I., 1994, S.115)

4.3.2. Qualifikationsprofil an die wissenschaftliche Begleitung

In Österreich ist es die Aufgabe der Landesschulinspektoren/-inspektorinnen, wissenschaftliche Begleitung zu initiieren, und eine fachlich kompetente Person damit zu beauftragen.

Der Landesschulinspektor für Sonderpädagogik und Integration des Landes Vorarlberg, Herr Günter Gorbach, erhielt zu diesem Zweck ein Qualifikationsprofil, welches folgende Anforderungen stellt:

  • Wissenschaftliche Grundhaltung: von dem/der wissenschaftlichen BegleiterIn wird die Fähigkeit und Bereitschaft gefordert, soziale Daten sowie Informationen ohne Berücksichtigung eigener Interessens- und Verwertungszusammenhänge zu beurteilen und zu interpretieren. Wünschenswert wäre eine wissenschaftliche Qualifikation in Form eines Studiums der Pädagogik, Psychologie oder Soziologie.

  • Informiertheit: der/die wissenschaftliche BegleiterIn soll über zentrale Fragen und Zusammenhänge der schulischen Integration behinderter Kinder informiert sein, ohne dabei jedoch in einem engen Verhältnis zu Interessensverbänden und Initiativgruppen zu stehen.

  • Kein Interessens- und Loyalitätsverhältnis: der/die wissenschaftliche BegleiterIn darf in keinem engeren Interessens- und Loyalitätsverhältnis zum nominierten Schulstandort stehen, da dadurch eine Selektion von Wahrnehmung und Bewertung erfolgen könnte, die die Informationen beeinflussen würde.

  • Sozialkompetenz: der/die wissenschaftliche BegleiterIn soll über die Fähigkeit, mit ihm/ihr fremden Personen Gesprächskontakte zu knüpfen, sowie über die Grundqualifikationen wissenschaftlicher Gesprächsführung verfügen.

  • Berichterstattung: der/die wissenschaftliche BegleiterIn muß den Anforderungen, der Verfassung formal und inhaltlich anspruchsvoller Berichte gerecht werden.

4.3.3. Ende der Schulversuche - was dann?

Gesetzlich ist die wissenschaftliche Begleitung nur für Schulversuche vorgesehen. Da seit dem Schuljahr 1993/94 die integrativen Schulversuche von den ersten Volksschulklassen her in das Regelschulwesen übernommen werden, droht die Gefahr, daß parallel dazu auf die wissenschaftliche Begleitung verzichtet werden muß.

Aber die Übernahme der Schulversuchsklassen bedeutet noch lange nicht, daß bei den Integrationslehrern/-lehrerinnen keinerlei Probleme und Fragen mehr auftreten, bei denen sie fachliche Unterstützung benötigen.

Besonders in der Sekundarstufe I, in der integrative und gestützte Klassen noch als Schulversuche geführt werden, ist die wissenschaftliche Begleitung ein notwendiger Bestandteil für die Lehrpersonen. Da bisher nur wenige Erfahrungen in Bezug auf integrativen Unterricht in der Sekundarstufe I gemacht wurden, stehen die einzelnen LehrerInnen einer großen Herausforderung gegenüber, die sie nur mit gutem Willen und Engagement allein nicht bewältigen können.

"Diese Lehrer - wie einstmals die Integrationspioniere im Grundschulbereich - "im Regen stehen zu lassen" - wäre unverantwortlich." (Wieser I., 1994, S.119)

Was geschieht dann, wenn auch in der Sekundarstufe I der Fall eintritt, daß die Schulversuche keine solchen mehr sind? Wer weiß, ob zu diesem Zeitpunkt alle Probleme bewältigt und alle Fragen beantwortet sind?

Die wissenschaftliche Begleitung darf nicht länger davon abhängen, ob es sich um einen Schulversuch handelt oder nicht, sondern sollte zur Selbstverständlichkeit für alle Lehrpersonen, egal ob diese in einer Integrationsklasse unterrichten oder nicht, werden.

Kurt Reininger, ehemaliger wissenschaftlicher Begleiter des Landes Vorarlberg, wies in einem Gespräch auf die Wichtigkeit einer wissenschaftlichen Begleitung hin:

"Wichtig ist, daß es so eine Koordinationsstelle (=wissenschaftlicher Begleiter) gibt, daß wenigstens einer weiß, wer für welchen Bereich Spezialist ist, wie ein Lexikon, und wo diese Person zu erreichen ist. (...) Ich denke mir, so viele Stellen es auch gibt, es ist einfach fein, wenn auch jemand einmal vorbeischaut." (Reininger K., 20. Februar 1995)

5. Rahmenbedingungen für den integrativen Unterricht

Das Gelingen der Integration stellt eine große Herausforderung an die Pädagogik dar, da alte und gewohnte Wege verlassen werden müssen, um neue Lösungen für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder zu finden.

In der integrativen Schule gilt es nun, sich von der Praxis des herkömmlichen Unterrichtes, indem alle Kinder am selben Leistungsniveau gemessen werden, abzuwenden, hin zu einem, sich am einzelnen Kind orientierenden Unterricht.

"Eine Integrative Schule erwartet nicht, daß die Kinder für die Schule "reif" werden - eine Integrative Schule stellt sich auf den individuellen Entwicklungsstand eines jeden Kindes ein." (Schöler J., 1993, S.73)

Ziel des integrativen Unterrichtes ist die Schaffung einer "Kindgerechten Schule", was bestimmte Rahmenbedingungen wie Team-Teaching, Kooperation und Kompetenztransfer der Lehrpersonen, aber auch die Umsetzung alternativer Lernformen erfordert.

5.1. Integrativer Unterricht als Herausforderung

Zu den grundlegenden Prinzipien des integrativen Unterrichtes zählen Team-Teaching, Kooperation und Kompetenztransfer, deren Umsetzung eine Herausforderung für den Großteil der Lehrpersonen darstellt. Eine Herausforderung deshalb, da LehrerInnen bisher als EinzelkämpferInnen in der Klasse ihr "eigener Herr und Meister" waren und sich die Zusammenarbeit mit dem LehrerInnenkollegium meist auf wenige Absprachen bei Konferenzen beschränkte.

Der integrative Unterricht erhebt nun aber den Anspruch auf ein gemeinsames Arbeiten, sowie einen gegenseitigen Austausch von allen am integrativen Prozeß Beteiligten und erfordert somit ein Umdenken sowie ein Umlernen!

5.1.1. Team-Teaching

Team-Teaching bedeutet im integrativen Unterricht die gleichzeitige, gemeinsame Tätigkeit von mindestens zwei Lehrpersonen in einer Klasse. Im Idealfall verfügt die eine der Lehrpersonen über eine GrundschullehrerInnenausbildung und die andere über eine Sonderpädagogik-Ausbildung.

Team-Teaching meint aber nicht, daß der/die GrundschullehrerIn für die nichtbehinderten Kinder und der/die SonderschullehrerIn für die behinderten Kinder zuständig ist. Die Rollen sind also nicht starr verteilt.

Team-Teaching bedeutet, daß

  • beide Lehrpersonen gleichberechtigt in der Klasse arbeiten.

  • sie die Unterrichtsinhalte und Unterrichtsmethoden gemeinsam auswählen.

  • beide Lehrpersonen abwechselnd unterrichtsleitend bzw. unterrichtsunterstützend tätig sind.

  • sie die gemeinsame Verantwortung für alle Kinder übernehmen.

Das Team-Teaching stellt für viele Lehrpersonen einen Grund dar, sich ihr "Ja" zum integrativen Unterricht sehr intensiv zu überlegen. Denn viele LehrerInnen haben mehr "Angst" vor dem zweiten Erwachsenen in der Klasse, als vor dem behinderten Kind.

Und gerade an diesen Ängsten, die durchaus ernstzunehmen sind, gilt es anzusetzen. Es ist wichtig, den Lehrern/Lehrerinnen Hilfe und Unterstützung anzubieten, damit sie die notwendigen Verhaltensformen für das Team-Teaching erlernen können.

Jutta Schöler hat sich damit auseinandergesetzt, wie Teamarbeit bzw. Team-Teaching am besten gelingen kann, und dazu einige Regeln aufgestellt, die zu beachten sind:

  • Bei ständiger Zusammenarbeit zweier Pädagogen/Pädagoginnen ist es wichtig, daß rechtzeitig vor Beginn des integrativen Arbeitens eine Phase des Kennenlernens erfolgt, um sicherzustellen, ob eine Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.

  • Weiters sollten die Auswahl der Schulbücher und die Anordnung der Möbel im Klassenzimmer, sowie die Entscheidungen für bestimmte unterrichtsdidaktische Elemente (Morgenkreis, Wochenplan etc.) gemeinsam, vor Schulbeginn getroffen werden.

  • Sind Fortbildungsveranstaltungen geplant, so ist es sinnvoll, daß diese von beiden Lehrkräften besucht werden. Jutta Schöler schreibt hierzu:

an derartigen Fortbildungen teilnehmen zu lassen. Durch ein solches Verfahren ist aber bereits der Keim für eine möglicherweise sich entwickelnde Konkurrenz im Team gelegt." (Schöler J., 1993, S.81)

  • Ist der/die Sonderpädagoge/-pädagogin bzw. der/die "zweite" GrundschullehrerIn auch nur für einige Stunden pro Woche in der Klasse anwesend, bedarf es auch hier eines genauen Kennenlernens und einer unterrichts-organisatorischen Absprache.

  • Zur Klärung der Reaktion auf bestimmte Verhaltensweisen der Kinder sind von Beginn an regelmäßige Absprachen notwendig, damit keine Mißverständnisse bezüglich der LehrerInnenreaktionen auftreten. Laut Schöler kommt es nach einem gewissen Zeitraum zur Festlegung von gemeinsamen, mit den Kindern erarbeiteten Verhaltensregeln. Aber trotz dieser Regelungen sind im Team weiterhin genaue Absprachen notwendig, einerseits um den Kindern eine gewisse Verhaltenssicherheit gewährleisten zu können, andererseits um bei den Schülern/Schülerinnen nicht den Eindruck zu erwecken, daß sich die LehrerInnen gegenseitig ausspielen. Ein gleichberechtigtes Auftreten beider Lehrpersonen, sowohl vor der Klasse als auch vor den Eltern, ist von großer Bedeutung.

  • Zu Beginn einer Teamarbeit hat es sich für die beteiligten Lehrpersonen als sehr hilfreich erwiesen, einmal wöchentlich über die gemeinsamen Tage zusammen zu reflektieren, sowie die neue Woche vorauszuplanen.

  • Auftretende Probleme im Team sind möglichst offen zu besprechen, wobei die Hinzuziehung eines/einer außenstehenden Kollegen/Kollegin oder die Begleitung durch eine Supervisionsgruppe sich als sehr sinnvoll herausgestellt hat, so Jutta Schöler.

Obwohl Team-Teaching (vor allem zu Beginn) meist mit einem zeitlichen Mehraufwand verbunden ist, bringt es im integrativen Unterricht zahlreiche Vorteile für die LehrerInnen und SchülerInnen mit sich.

Durch die Anwesenheit einer zweiten Lehrperson in der Klasse kann laut Jutta Schöler

  • der Individualität eines jeden Kindes entsprochen werden, da immer ein Erwachsener in der Nähe ist, der zuhört, anregt, hinweist, ermutigt, anspornt und die bereits ausgeführten Arbeitsschritte bestätigt.

  • auf das individuelle Lerntempo und die verschiedenen Interessen der Kinder besser eingegangen werden, da ein einzelner Lehrer/eine einzelne Lehrerin mit der Auswahl und Bereitstellung der verschiedenen benötigten Unterrichtsmaterialien allein oft überfordert ist.

  • eine Lehrperson sich in bestimmten Unterrichtsphasen auf die Beobachtung eines SchülerInnenverhaltens konzentrieren, ohne unter dem Druck zu stehen, die ganze Klasse "beschäftigen" zu müssen, was eine große Entlastung darstellt.

  • eine differenzierte Beobachtung der SchülerInnenverhalten, die für die verbalen Beurteilungen und Gespräche mit den Eltern notwendig sind, erfolgen. Zudem können zwei miteinander kooperierende Lehrpersonen den gestiegenen Erwartungen der Eltern besser entsprechen.

"Lehrerinnen und Lehrer, welche ihre Anfangsschwierigkeiten mit dem Zweipädagogenprinzip einmal überwunden haben, wollen zumeist nicht mehr zum Einzelkämpfertum zurückkehren." (Schöler J., 1993, S.89)

5.1.2. Kooperation

Der schulische Bereich, der bisher durch ein starres Festhalten an herkömmlichen Spezialisten-/Spezialistinnenrollen gekennzeichnet war, verlangt nun für den integrativen Unterricht eine Erweiterung der Zusammenarbeit des für die behinderten Kinder verantwortlichen Personenkreises.

Dies bedeutet, daß LehrerInnen, Eltern, VertreterInnen der Schulbehörde, Therapeuten/Therapeutinnen, Ärzte/Ärztinnen miteinander kooperieren, also eine Zusammenarbeit aller stattfindet, in der jeder/jede eine sinnvolle Aufgabe übernimmt, in Bezug auf

  • die Klärung des Entwicklungsstandes eines/einer Schülers/Schülerin und dessen/deren Stellung in der Gruppe.

  • die Planung der Unterrichtsangebote.

  • die bestmöglichste Unterrichtsgestaltung unter Berücksichtigung von Therapie- und Hilfsfunktionen.

  • die gemeinsame Reflexion des Unterrichts- und Erziehungsgeschehen zur Planung des weiteren Vorgehens.

Die Umsetzung der Kooperation ist dann zum Scheitern verurteilt, wenn von den Monopol- und Machtstellungen einzelner Berufsgruppen, den sogenannten "Spezialisten/Spezialistinnen", nicht abgekommen wird. Kooperation bedeutet nämlich, daß jeder/jede ein wichtiges und gleichberechtigtes Mitglied im integrativen Prozeß darstellt.

5.1.3. Kompetenztransfer

Das Gelingen der Kooperation erfordert den Kompetenztransfer, also den Austausch der verschiedenen fachlichen Qualifikationen aller MitarbeiterInnen im integrativen Prozeß, unter Voraussetzung einer gemeinsamen Zielsetzung, worunter die Schaffung der bestmöglichen Bedingungen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulklassen verstanden wird.

Dem Kompetenztransfer liegt das Bewußtsein der eigenen Arbeitsweise und der dahinterstehenden Absichten zugrunde, was bedeutet, daß jeder/jede MitarbeiterIn seine/ihre eigene Arbeitsweise sowie die Gründe, Ziele und Richtigkeit dieser regelmäßig zu hinterfragen, und wenn notwendig zu verändern hat.

Dies macht eine ständige Überprüfung der eigenen Einstellung und Haltung, sowie die Bereitschaft, immer wieder (von anderen) neu zu lernen, erforderlich.

"Der Vorteil ist, daß das eigene Handeln dadurch neue Bedeutung gewinnt und infolgedessen besser im Gesamtzusammenhang eingeordnet und damit effizienter, und daher auch befriedigender, eingesetzt werden kann. Kompetenztransfer ist also verbunden mit einer Erweiterung der Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten." (Daxbacher R., 1993, S.71)

5.2. Fachliche Unterstützung und Beratung für IntegrationslehrerInnen

Der Großteil jener Lehrpersonen, die in integrativen Klassen zu unterrichten beginnen, verfügt meist über keine oder nur wenig Erfahrung im gemeinsamen Unterrichten von behinderten und nichtbehinderten Kindern, Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß sie im Zuge der LehrerInnenausbildung nicht, oder nur in einem sehr geringen Umfang, auf diese Aufgabe vorbereitet wurden, da in den Lehrplänen der Pädagogischen Akademien nahezu keine integrationspädagogischen Inhalte vorgesehen sind.

Es sind aber nicht nur die RegelschullehrerInnen, die sich mit integrativem Unterricht, vor allem zu Beginn ihrer integrativen Arbeit, meist überfordert fühlen. Auch ausgebildete Sonderpädagogen/-pädagoginnen, die sowohl während ihrer Ausbildung als auch in ihrer Tätigkeit an Sonderschulen meist ausschließlich mit behinderten Kindern gearbeitet haben, fühlen sich dieser Aufgabe oft nicht gewachsen.

"Mit der Integration von Kindern mit Behinderungen in die Regelschule verlassen auch die Sonderpädagoginnen und -pädagogen den Schonraum Sonderschule. Sie müssen sich in völlig anderer Form als bisher mit der Normalität der behinderten und nichtbehinderten Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen." (Schöler J., 1993, S.96)

Um die GrundschullehrerInnen und die SonderschullehrerInnen für ihre integrative Arbeit zu "qualifizieren", ist die begleitende LehrerInnenfortbildung von großer Bedeutung.

5.2.1. LehrerInnenfortbildung

Als sehr hilfreich haben sich jene Fortbildungsveranstaltungen erwiesen, die in Form von Theorie-Praxis-Seminaren angeboten werden, da die LehrerInnen laut Schöler in diesem Rahmen die Möglichkeit haben, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu beraten und zu unterstützen.

Fortbildungsveranstaltungen werden im allgemeinen von den Sonderpädagogischen Zentren oder den Pädagogischen Instituten der Länder angeboten und organisiert, wobei derzeit ein großer Mangel an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für den Bereich integrative Pädagogik besteht. Generell ist es den Lehrpersonen selbst überlassen, ob und wieviele Veranstaltungen sie im Rahmen ihrer Fort- und Weiterbildung besuchen.

Jene SeminarleiterInnen, die Erfahrung mit integrativem Unterricht gesammelt haben, sowie regelmäßig in Integrationsklassen hospitieren, sind am besten dazu geeignet, um nach optimalen Förderungsmöglichkeiten für behinderte SchülerInnen bzw. SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu suchen, sowie beratend und unterstützend tätig zu sein.

Dr. Werner Specht hat im Rahmen seiner Evaluation der Schulversuche Lehrpersonen in ganz Österreich unter anderem nach ihren Wünschen bezüglich der Fortbildung befragt, wobei er zu folgenden Ergebnissen kam:

  • An der Spitze der Fortbildungswünsche stehen Inhalte alternativer pädagogischer Ansätze (Montessori, Freinet) und kooperativer Lernformen, wie z.B. Methoden des Projektunterrichtes, aber auch Ansätze und Methoden der Förderdiagnostik.

  • Weiters sind Hilfestellungen in Bezug auf Probleme der Individualisierung des Unterrichtes, kooperativen Projektlernens und Ansätzen optimaler individueller Förderung erwünscht.

  • An der mittleren Position der Wünsche sind vor allem bei Nicht-Sonderpädagogen/-pädagoginnen sonderpädagogische Themen, sowie Informationen über spezielle Behinderungsarten, zu finden.

  • Ganz unten auf der Wunschliste stehen Fortbildungsangebote zu den Schwerpunkten Selbsterfahrung, Verbesserung der LehrerInnenkooperation und der Problematik der Leistungsbeurteilung.

[Graphik von Specht, leider nicht verfügbar]

(Specht W., 1993, S.127)

Dr. Specht war vor allem von dem letzten Punkt der Auswertung sehr überrascht, was er folgendermaßen begründet:

"Das Bemühen um eine gerechte Leistungsbeurteilung in der heterogenen Klasse etwa gehört zu den am häufigsten genannten Belastungsfaktoren der Lehrer und das Gelingen einer harmonischen Kooperation der Versuchslehrer kann nach unseren Daten als die alles in allem wichtigste Einflußgröße auf Arbeitszufriedenheit und Engagement im Schulversuch angesehen werden. Dennoch scheint man sich in diesen Bereichen von Fortbildungsmaßnahmen wenig zu erwarten." (Specht W., 1993, S.127)

Der Arbeitskreis "Initiative soziale Integration", dem Eltern behinderter und nichtbehinderter Kinder, Volks-, Haupt- und SonderschullehrerInnen angehören, hat sich ebenfalls mit der LehrerInnenfortbildung auseinandergesetzt:

"Erfahrungsgemäß liegen die Schwierigkeiten in jenen Bereichen, die in der Lehrerbildung nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden. Dazu zählt die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kollegen in einer Unterrichtsstunde (Team-teaching), der Unterricht mit heterogenen Gruppen (Binnendifferenzierung, handlungsorientierter Unterricht), Erfahrung und Sicherheit mit Schülern außerhalb des gewohnten Schultyps, sowie der soziologische Aspekt von Leistungsbeurteilung und Unterrichtsmaßnahmen (Pygmalioneffekt, Stigma, Etikettierung u.a.)." ("Initiative soziale Integration", 1994, S.120)

Die "Initiative soziale Integration" schlägt vor, daß (je nach Bedürfnis) die erwähnten Bereiche von den betroffenen Lehrern/Lehrerinnen selbst in einem Fortbildungsprogramm geplant und behandelt werden. Weiters fordert sie eine Unterstützung des Fortbildungprogrammes von Seiten der Schulleitung und der Schulbehörde.

Die LehrerInnenfortbildung stellt einen sehr wichtigen Aspekt für das Gelingen des integrativen Unterrichtes dar, da dieser den Anspruch auf eine neue Qualifikation erhebt, dem aber allein, ohne fachliche Unterstützung und Beratung, nicht entsprochen werden kann.

5.2.2. Supervision

Eine weitere Form der fachlichen Unterstützung und Beratung stellt die LehrerInnen -Supervision dar, der mit zunehmender Zahl der Integrationsklassen immer mehr Aufmerksamkeit zukommt.

"Supervision ist ein - innerhalb einer bestimmten Zeit - kontinuierlich verlaufender Lehr- und Lernprozeß, der in methodisch geführten Gesprächen zwischen Supervisor und Supervisand, bezogen auf fachliche soziale Praxis, sowohl auf rationaler als auch auf emotionaler Ebene abläuft. Er kann innerhalb einer Zweierbeziehung oder in Gruppen stattfinden." (Montag E., 1993, S.111)

Da in integrativen Klassen ein neuer Unterrichtsstil (siehe Kapitel 5.4.) gefordert wird, soll die begleitende Supervision dazu beitragen, eingefahrene Verhaltensmuster zu überwinden, sowie einen Erfahrungsaustausch und eine Kontaktaufnahme integrativ arbeitender LehrerInnen zu ermöglichen.

Zudem sollen durch die Supervision Hilfen im Umgang mit sich selbst und anderen angeboten, und Anregungen für eine Veränderung der Berufspraxis gegeben werden.

Supervision stellt nicht den Anspruch eine Praxisanleitung zu sein und kann mangelnde Aus- bzw. Fortbildung nicht ersetzen. Sie bedeutet vielmehr,

"die jeweiligen Einflüsse, Bedingungen und Auswirkungen getrennt zu sehen und erleben zu können, um so zu vermehrter Handlungsfreiheit zu kommen, um Gestaltungsmöglichkeiten ebenso wie Abhängigkeiten erkennen zu können." (Tatschl S., 1993, S.8)

Bei Supervision handelt es sich also in erster Linie um die Unterstützung pädagogischen Handelns und nicht um einen Kontrolleffekt!

Supervision sollte regelmäßig, in nicht zu großen Abständen, von den kooperierenden Lehrern/Lehrerinnen gemeinsam in Anspruch genommen werden. Gemeinsam darum, da bei auftretenden Konflikten im LehrerInnenteam die Möglichkeit einer gemeinsamen Besprechung und Bewältigung mit Hilfe der Supervision besteht. Konflikte werden somit direkt besprochen und nicht zu Lasten der SchülerInnen ausgetragen, die zumeist sehr sensibel auf emotionelle Spannungen im LehrerInnenteam reagieren.

Für Susanna Bews, die selbst Lehrerin in einer Integrationsklasse ist, stellt der Besuch von Supervision eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Team-Teaching dar: "Ohne kontinuierlichen Besuch von Supervision, die eine permanente Reflexion mit dem Geschehen in der Klasse ermöglicht, ist ein positiv verlaufender Entwicklungsprozeß meist unmöglich." (Bews S., 1992, S.42)

Supervision ist aber nur dann von Nutzen, wenn die Entscheidung dazu freiwillig erfolgt, also eine Bereitschaft zu einem eigenverantwortlichen Reflektieren und Handeln besteht. Der Zwang zu Supervision stellt einen Widerspruch zur notwendigen Bereitschaft dar, sich offen mit schwierigen und tabuisierten Bereichen der Arbeit auseinanderzusetzen, sowie die notwendige Eigenverantwortlichkeit und Selbstkontrolle zu übernehmen.

Viele LehrerInnen sind sich der positiven Auswirkungen und Einflüsse, die dieser Lehr- und Lernprozeß auf ihre gesamte integrative Tätigkeit mit sich bringt, nicht bewußt.

Allzu oft herrscht noch die Vorstellung, daß nur diejenigen Supervision in Anspruch zu nehmen brauchen, die selber mit Problemen (vor allem im Team) nicht mehr fertig werden. Aber:

"Supervision zu wollen ist ein Ausdruck von Kompetenz, sich Beratung und Unterstützung zu organisieren, Ausdruck der Fähigkeit, sich ein Lernfeld schaffen zu können, bereit zu sein, sich - wohl in einem geschützten Rahmen - "in die Karten schauen zu lassen". Und nicht zuletzt ist das Ausdruck von Interesse und Engagement für die Arbeit." (Tatschl S., 1993, S.7)

5.3. Alternative Lernformen

Um im integrativen Unterricht jedem Kind, egal ob mit oder ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, gerecht zu werden, es also dort abzuholen, wo es mit seinen Fähigkeiten und Interessen steht, bedarf es pädagogischer und didaktischer Maßnahmen, mit Hilfe derer allen Schülern/Schülerinnen auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau entsprochen werden kann. Dies hat zur Folge, daß in integrativen Klassen die Aufmerksamkeit immer mehr auf alternative Lernformen gerichtet wird.

Bei Hospitationen in verschiedenen integrativen Klassen sind wir immer wieder auf zwei alternative Lernformen, oder zumindest Teile davon, gestoßen, die sowohl von den Schülern/Schülerinnen als auch von den Lehrern/Lehrerinnen begeistert angewendet wurden. Bei diesen alternativen Lernformen handelt es sich um die Montessori-Pädagogik und die Freinet-Pädagogik, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden.

5.3.1. Montessori-Pädagogik

"Wie Maria Montessori ihre Pädagogik umgesetzt hat, kann sie wohl besser erklären als wir das könnten, wenn sie schreibt: "Unsere Methode hat in der Praxis mit den alten Traditionen gebrochen. Sie hat die Bänke abgeschafft, weil das Kind nicht mehr bewegungslos dem Unterricht der Lehrerin zuhören soll. Sie hat das Katheder abgeschafft, weil die Lehrerinnen (und Lehrer - Anm. des Autors) keine üblichen Gesamtübungen, wie sie allgemein als nötig erachtet werden, machen sollen. Diese Dinge sind die ersten äußeren Schritte einer tieferen Umwälzung, die darin besteht, das Kind frei, seinen natürlichen Neigungen entsprechend, handeln zu lassen ... Das neue Problem fußt vielmehr auf folgendem: Dem aktiven Kind eine angepaßte Umgebung zu schaffen. Das ist eine augenscheinliche Notwendigkeit; denn - haben wir die Stunden abgeschafft, und haben wir uns vorgenommen, sie durch die Tätigkeit des Kindes selber zu ersetzen, so ist es notwendig, dieser Aktivität greifbare Dinge zu geben, an denen das Kind sich üben kann." (5)" (Eichelberger H., 1993, S.147f.)

Die Italienerin Maria Montessori (1870-1952), die ausgebildete Ärztin war, hat sich nach ihrer Assistentinnenzeit an einer psychiatrischen Klinik immer mehr der Pädagogik zugewandt. Der Auslöser dafür ist in ihrer Auseinandersetzung mit einer Gruppe von "schwachsinnigen" Kindern zu sehen, mit deren Problemen sie sich zu beschäftigen begann. Um eine Antwort auf ihre entstehenden Fragen bezüglich der Erziehung und des Lernens behinderter Kinder zu finden, studierte sie unter anderem Werke von Itard, Seguin, Rousseau, Pestalozzi und Fröbel. Sie kam anhand dieser Literatur und ihrer therapeutischen Arbeit zu der Überzeugung, daß es sich bei der Erziehung und Behandlung dieser Kinder in erster Linie um ein pädagogisches Problem handle.

Um diese Annahme zu bestätigen, gründete Montessori sogenannte "Kinderhäuser", in denen sie ihre Vorstellungen der grundsätzlichen Erziehung aller Kinder und das Zusammenwirken von Pädagogik und Therapie umsetzen konnte. Sie bewies mit ihrer Arbeit in den Kinderhäusern, daß zwischen der Pädagogik als Bildung für Gesunde und der Sonderpädagogik als Therapie für Kranke keine starren Grenzen gezogen werden dürfen.

Montessori machte in ihren Beobachtungen und der daraus entstehenden Entwicklung von Materialien keine Unterschiede zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern, so daß ihre Unterrichtsmaterialien für alle Kinder gleichermaßen Anwendung finden.

Mittelpunkt ihrer Pädagogik stellt für Montessori die Eigengesetzlichkeit des Kindes dar.

"Der Säugling ist nicht einem leeren Gefäß vergleichbar, das die Eltern oder Erzieher nun beliebig zu füllen hätten. Seine Entfaltung vollzieht sich vielmehr nach einem individuellen Plan, in einem Tempo, das das Kind und nicht der Erwachsene bestimmt. Das Kind ist, wie Montessori sagte, Baumeister seiner selbst. Mit diesem Begriff verdeutlicht sie ihre Überzeugung, daß jedes Kind über die Fähigkeit verfügt, seine Persönlichkeit selbst aufzubauen." (Esser B., Wilde Ch., 1994, S.31)

Die Auffassung, daß das Kind Baumeister seiner selbst ist, bildet nun den Mittelpunkt eines völlig neuen Unterrichtes.

* Die Vorbereitete Umgebung

Für Montessori ist es wichtig, dem Kind eine liebevolle Atmosphäre sowie eine Umgebung, die sowohl Anregungen als auch Möglichkeiten und Tätigkeiten bereitstellt, zu schaffen. Damit das Kind aktiv handeln kann, ist es die Aufgabe der ErzieherInnen, für eine Vorbereitete Umgebung zu sorgen, in der es auf seiner jeweiligen Entwicklungsstufe ein Angebot entsprechend seiner sensiblen Phase vorfindet.

Sensible Phasen sind, laut Montessori, von großer Bedeutung für das Lernen des Kindes. Mit Hilfe der sensiblen Phasen kann sich das Kind die Voraussetzungen für den nächst- folgenden Entwicklungsschritt aneignen. Sie treten bei jedem Kind zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf, wobei von außen kein Einfluß auf das Tempo der Entwicklung möglich ist.

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In der Vorbereiteten Umgebung als pädagogisch gestalteter Lebens-, Lern- und Entwicklungsraum sind alle Materialien bewußt ausgewählt und für jedes Kind, an einem gut erreichbaren Ort, frei benutzbar. Das Klassenzimmer ist in verschiedene Bereiche (Deutsch, Mathematik, Sinnesmaterialien, Übungen des praktischen Lebens, etc.) gegliedert und mit kindgerechten Einrichtungsgegenständen ausgestattet.

Es gilt in der Vorbereiteten Umgebung bestimmte Regeln einzuhalten: benützte Materialien sind wieder an ihren Platz zurückzustellen, kein Kind darf bei seiner Arbeit durch andere gestört werden, Gespräche finden im Flüsterton statt.

"Zur Vorbereiteten Umgebung zählen jedoch nicht nur die Gegenstände in ihr, auch der Erzieher ist ein Teil derselben. Er schafft die vertrauensvolle Atmosphäre, ohne die kein Lernen möglich ist. Er führt das Kind in den Gebrauch des Materials ein. Von seinem Einfühlungsvermögen und Wissen um kindliche Entwicklungsstufen hängt es ab, ob es sich frei entfalten kann. Häufig wird er die Vorbereitete Umgebung so ergänzen, daß sie dem ganz spezifischen Bedürfnis eines Kindes entspricht." (Esser B., Wilde Ch., 1994, S.45)

* Das Montessori-Material

Das Montessori-Material bildet gemeinsam mit der Vorbereiteten Umgebung und dem/der vorbereiteten ErzieherIn eine Einheit, die es dem Kind ermöglicht, sich seinen eigenen Gesetzen entsprechend zu entfalten.

Montessoris Materialien bauen systematisch aufeinander auf, wobei sie von einfachen zu komplexen Lernschritten führen. Damit sich das Kind auf eine wesentliche Sache konzentrieren kann, vermittelt jedes Material nur einen einzigen Lernschritt und ist somit auf eine einzige Schwierigkeit begrenzt. Zudem bietet es die Möglichkeit direkter und indirekter Fehlerkontrollen.

Das von Montessori entwickelte Material führt nicht nur zu kognitiven Leistungen, sondern spricht zudem alle Sinne an, da es ein Arbeiten mit konkreten Gegenständen erfordert. Da die einzelnen Materialien nur jeweils einmal in der Klasse vorhanden sind, erfolgt zusätzlich ein soziales Lernen durch Absprachen und Kompromisse, die die SchülerInnen untereinander zu treffen haben.

Um zu wissen, wann der/die LehrerIn einem Kind ein bestimmtes Material anbieten kann, muß er/sie dieses genau kennen. Die Einführung des Materials ist dabei von großer Bedeutung, was erfordert, daß sich der/die LehrerIn ausschließlich auf das Kind und dessen Einführung in den Umgang mit dem Material konzentriert.

Bei der Material-Einführung gelten folgende Grundsätze:

  • Das Material, das sich immer am selben Platz befindet, wird von dem/der LehrerIn mit dem/der SchülerIn gemeinsam zum Arbeiten geholt und später auch wieder zurückgebracht.

  • Die Lehrperson, welche neben dem Kind Platz nimmt, hat darauf zu achten, daß außer den für diese Arbeit benötigten Hilfsmitteln nichts auf dem Tisch oder dem Arbeitsteppich liegt.

  • Da das Material für sich selbst spricht, sollten nur die wichtigsten Erklärungen dazu abgegeben werden. Mit zunehmender Komplexität können auch mehr sprachliche Erklärungen benötigt werden.

  • Arbeitet das Kind selbständig und sicher mit dem Material, zieht sich der/die LehrerIn zurück, beobachtet es aber noch einige Zeit.

  • Hat sich ein Kind für ein bestimmtes Material entschieden, so hat es die Arbeit auch zu Ende zu führen. Montessori spricht in diesem Zusammenhang von einer Bindung an das Material, die von großer Bedeutung ist, da sich eine Polarisation der Aufmerksamkeit nur bei intensiver Beschäftigung einstellen kann.

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Wie sehr Montessori-Materialien für den integrativen Unterricht geeignet sind, zeigt folgendes Zitat von Wilhelm Hochreiter:

"Der Anstoß für die Entwicklung der Materialien erfolgte für Maria Montessori bei ihrer Arbeit mit behinderten Kindern. Die Materialien, die durch ihre Gestaltung großen Aufforderungscharakter haben, sind z.T. so aufgebaut, daß das Kind am selben Material zu verschiedenen Entwicklungsstufen verschiedene Erkenntnisse und Erfahrungen gewinnen kann." (Hochreiter W., 1992, S.28)

* Freie Wahl der Arbeit - Freiarbeit

Da jedes Kind eine individuelle Persönlichkeit darstellt und sich, laut Montessori, nach einem inneren Plan entwickelt, kann unmöglich das Interesse aller Kinder zur selben Zeit für das selbe Thema erwartet werden.

Die Montessori-Pädagogik beruht auf der Annahme, daß das Kind dann intensiv und leicht lernt, wenn der Gegenstand von ihm selbst ausgesucht werden kann, also seinem Interesse entspricht.

Um dieses individuelle Lernen zu ermöglichen, nimmt die Freiarbeit einen Großteil der Unterrichtszeit in der Montessori-Pädagogik ein. In dieser Arbeitsphase, in der von der 50-Minuten Einheit Abstand genommen wird, wählen die Kinder das für sie relevante Material aus der Vorbereiteten Umgebung aus, wobei es wiederum ihnen selbst überlassen bleibt, ihr eigenes Lerntempo und die Lerndauer zu bestimmen.

In der Freiarbeit können die Kinder sowohl alleine als auch in Kleingruppen arbeiten, wobei niemand in seiner Arbeit durch andere gestört werden darf.

Wilhelm Hochreiter bemerkt hierzu:

"Speziell für Kinder mit Behinderung ermöglicht dieses Prinzip ein Lernen in kleinsten Schritten und nach individuellem Lernrhythmus. (...) Durch das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung werden gerade bei Kindern mit Behinderung wesentliche Lernprozesse in Gang gebracht." (Hochreiter W., 1992, S.27)

Während der Freiarbeitsphase können sich die Kinder frei in der Klasse bewegen. Weiters können sie selbst entscheiden, wo sie ihren Arbeitsplatz einrichten möchten - sei es am eigenen Platz, in einer Arbeitsecke, auf dem Flur oder auf einem der typischen Montessori-Teppiche.

Mit einem Sitzkreis, in dem die Kinder von ihrer Arbeit und ihren Erkenntnissen erzählen, sowie aktuelle Themen und Probleme besprechen, findet die Freiarbeitsphase ihren Ausklang.

Die Freiarbeit führt die Kinder zu einer, in unserer Gesellschaft immer bedeutender werdenen Fähigkeit, nämlich zu wissen, wie man lernt, also lernen, wie man sich Wissen selbst aneignen kann, was wichtiger ist als jedes Detailwissen. Da in der Grundschule die Einstellung eines Kindes zum Lernen wesentlich geprägt wird, versucht die Freiarbeit zu vermitteln, daß das Lernen Spaß machen kann, indem sie Erfolgserlebnisse sowie neue Erfahrungsmöglichkeiten eröffnet.

"Ein Ziel der Grundschule muß es daher sein, die Freude des Kindes an der Arbeit zu bewahren und ihm Wege zu eröffnen, wie es selbständig arbeiten lernen kann. Das "Wie" ist dabei oft von größerer Bedeutung als der Lernstoff. Ein Kind, das gelernt hat, selbständig und mit Freude zu arbeiten, wird sich später auch viele andereWissensgebiete erschließen können." (Esser B., Wilde Ch., 1994, S.67)

* Soziales Lernen

Zu den wichtigsten Formen des sozialen Lernens zählen in der Montessori-Pädagogik das gemeinsame Arbeiten, das Treffen von Absprachen, das Warten auf ein bestimmtes Material, das gegenseitige Helfen, das aufeinander Rücksicht nehmen und das Akzeptieren der Eigenart der anderen. Klassenübergreifende Projektarbeiten bieten eine gute Möglichkeit, um von älteren Kindern bestimmte Handlungs- und Verhaltensweisen zu lernen.

Auch das Einhalten einer vorgegebenen Ordnung ist ein Teil der Sozialerziehung. Da jedes Material seinen gewohnten Platz hat, erfahren die Kinder vor allem dann die Notwendigkeit einer Ordnung, wenn das Material nicht an seinem üblichen Ort zu finden ist. Soziale Verhaltensweisen werden aber auch in Kreisgesprächen (Klassenrat, Morgenkreis, ...) und Gruppenarbeiten, Projektwochen etc. automatisch geübt.

Für Montessori ist die jahrgangsübergreifende Zusammensetzung der Kindergruppen der wesentlichste Beitrag zum sozialen Lernen. So faßte sie in ihren Kinderhäusern Kinder in Altersgruppen von drei- bis sechsjährigen, sechs- bis neunjährigen und neun- bis zwölfjährigen zusammen, wodurch sich eine alters-, leistungs- und geschlechtsspezifische Zusammenarbeit ergibt. Durch diese Mischung und durch das gegenseitige voneinander Lernen erfahren die Kinder ein "realistisches soziales Weltbild". (Hochreiter W., 1992, S.28)

* Die Rolle des/der Lehrers/Lehrerin

Bei der Betrachtung der Tätigkeit eines/einer Montessori-Lehrers/-Lehrerin fällt auf, daß sie sich wesentlich von der Arbeit der RegelschullehrerInnen unterscheidet.

Das Grundanliegen des/der Montessori-Pädagogen/-Pädagogin ist, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Kindes, nach dem Motto "Hilf mir es selbst zu tun", zu fördern. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, steht er/sie als InitiatorIn für Lernschritte, BeobachterIn und BeraterIn des Kindes im Hintergrund.

Durch eine didaktisch gut vorbereitete Umgebung und eine gute Einführung in das Material, schafft er/sie die Voraussetzung für die Eigenaktivität des Kindes.

Das grundsätzliche Vertrauen in die Entwicklungs- und Lernfähigkeit des einzelnen Kindes ist unumgänglich für jeden/jede Montessori-Lehrer/-Lehrerin.

"Bereits während ihrer ersten Erfahrungen mit Klassen stellte Maria Montessori fest, daß sich ein neuer Typ der Lehrerin herausgebildet habe: "... statt des Redens muß sie das Schweigen lernen, statt zu unterrichten muß sie beobachten; statt der stolzen Würde dessen, der unfehlbar erscheinen will, muß sie das Kleid der Demut anlegen." (Montessori, Schule der Kindes, S.122f.)" (Esser B., Wilde Ch., 1994, S.121)

Für Montessori stellt die Pädagogik eine Hilfe zum Leben dar, in der die Lehrperson ein/eine HelferIn ist, der/die durch seine/ihre Unterstützung zur Persönlichkeitsentfaltung des Kindes beiträgt. Dazu ist die Bereitschaft des/der Lehrers/Lehrerin notwendig, sich den Problemen und Eigenarten der Kinder zu stellen, und diese als Herausforderung anzusehen, was eine ständige wissenschaftliche und persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln erfordert.

* Montessori-Pädagogik und Integration

Die Montessori-Pädagogik ermöglicht es, wichtige Aspekte des integrativen Unterrichtes

zu verwirklichen:

  • Eines der Hauptanliegen der Montessori-Pädagogik ist es, jedem Kind zu ermöglichen, sich gemäß seinem Entwicklungstempo und seinen Fähigkeiten zu entfalten. Wahrnehmung, Bewegung und Sinnesempfindungen werden in den Lernprozeß miteinbezogen.

  • In Montessori-Klassen lernen sowohl behinderte als auch nichtbehinderte Kinder am gleichen Material. Das anschauliche Material ermöglicht kleine Lernschritte, zahlreiche Wiederholungs- und Übungsmöglichkeiten und sichert somit jedem Kind auf seinem individuellen Niveau Lernfortschritte.

  • Das Lernen am gleichen Material hat zudem den Vorteil, daß sich Prozesse des sozialen Lernens ohne Zwang und in Kontinuität entwickeln können, was wiederum der Persönlichkeitsentwicklung zugute kommt.

  • Montessoris Grundsatz, daß das Kind dort abgeholt werden muß, wo es gerade steht, bestätigt unsere Forderung, daß sich die Schule den Fähigkeiten des Kindes, auch denen des behinderten, und nicht das Kind sich der Schule anzupassen hat.

5.3.2. Freinet-Pädagogik

Der Franzose Celestin Freinet (1896-1966), ausgebildeter Pädagoge, entwickelte aus Unzufriedenheit mit sich selbst und seinen Schülern/Schülerinnen um 1920 eine alternative Pädagogik. Er beobachtete, wie die SchülerInnen das Lernen als Zwang empfanden und passiv, ohne Interesse, auf das Ende eines jeden Schultages warteten. Er suchte nach Gründen für dieses Desinteresse am Unterricht und stellte dabei fest, daß das schulische und das außerschulische Leben nahezu keinen Bezug zueinander hatten.

Freinet machte sich weiters Gedanken über die Art der Wissensvermittlung anhand von Schulbüchern, die seiner Meinung nach den realen Bedürfnissen, Handlungstendenzen und Interessen der SchülerInnen nicht entsprachen, und es zudem nach deren Lektüre nichts mehr zu erarbeiten bzw. zu entdecken gab.

Der Pädagoge Freinet begab sich mit diesen Erkenntnissen auf die Suche nach einer neuen Art des Unterrichtens und Lernens, wobei er, laut Felber, zu folgendem Schluß kam:

"Die Interessen und Bedürfnisse der Schüler sollen im Mittelpunkt aller Erneuerungen stehen und die Pädagogen sich ihnen anpassen." (Felber A., 1982, S.223)

* Grundzüge der Freinet-Pädagogik

  • Freinet geht in seinen Überlegungen vom Leben des Kindes selbst aus.

Er mißt dem Milieu, in dem das Kind aufwächst, eine sehr große Bedeutung bei, da für ihn die Verknüpfung der Schul- und Lebenswelt wichtig ist.

  • Als Ausgangspunkt und Motivation für das Lernen sieht Freinet die Erlebnisse und Fragen, sowie das natürliche Mitteilungs- und Kommunikationsbedürfnis der Kinder an. Da für ihn die Lernprozesse immer auf Kommunikation aufbauen, hat der/die LehrerIn dem Kind unterschiedliche Arten des Sich-Mitteilens zu ermöglichen.

  • Damit die freie Entfaltung der Persönlichkeit eines Kindes stattfinden kann, hat der/die LehrerIn dem Kind große Handlungsspielräume zu bieten.

"Eine ganzheitliche, prozeßhafte Aneignung von Kenntnissen wird dem passiven Berieselt-Werden mit reproduzierbarem Wissen entgegengesetzt." ( Bews S., 1992, S.69)

  • In der Freinet-Pädagogik kommt es zu keiner starren Rollenverteilung von LehrerIn und SchülerIn, sondern zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

* Änderung der Lerntechniken

Uns fiel bei Hospitationen in Integrationsklassen auf, daß sich vor allem die von Freinet eingeführte Druckerei, die als Symbol der Freinet-Pädagogik verstanden werden kann, großer Beliebtheit erfreute.

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Die Druckerei ermöglicht den Schülern/Schülerinnen ihre Texte völlig frei, ohne inhaltliche Vorgaben, zu gestalten, zu setzen und zu drucken. Dem eigenen Ausdruck des Kindes kommt dabei große Bedeutung zu, wobei es zu einer Stärkung des Selbstvertrauens und zu einer Förderung der Kreativität kommt.

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Wir haben beobachtet, daß die SchülerInnen mit großer Begeisterung sowohl selbstverfaßte als auch aus Büchern entnommene Texte drucken. Durch das "Veröffentlichen" dieser Texte in der Klasse, in "Schülerzeitungen" etc. werden sie für alle zugänglich gemacht und verschwinden somit nicht in Schulheften unter der Bank, wo sie erfahrungsgemäß ins Vergessen geraten.

Damit sich auch jedes Kind an der Druckerei betätigen kann, ist eine genaue Einteilung und Absprache, sowie die Errichtung einer eigenen Druckerecke, in der sie ungestört tätig sein können, notwendig.

Auch in der Freinet-Pädagogik gehören Freiarbeitsphasen zur Tagesordnung, die mittels von Lehrern/Lehrerinnen und Schülern/Schülerinnen gemeinsam erstellten Wochen- oder Tagesplänen organisiert werden. Die Durchführung dieser Pläne, die auch eine Anzahl obligatorischer Arbeiten enthalten, kann der/die SchülerIn seinem/ihrem eigenen Lerntempo anpassen.

"So bleibt auch einem langsameren Kind die Situation des Versagens erspart, der Maßstab für die Bewertung der eigenen Arbeit liegt im Kind selbst und nicht in einer vorgegebenen Norm." (Bews S., 1992, S.70)

Eine weitere Form der Änderung der Lerntechniken stellt für Freinet das Herantasten an den Lerngegenstand dar, welches durch das forschende und experimentierende Verhalten des Kindes gekennzeichnet ist. Durch das Forschen und Experimentieren soll dem Kind die Möglichkeit geboten werden, schrittweise zu Erkenntnissen zu gelangen, Zusammenhänge zu erfassen und Neues zu (er)finden, wobei das Kind die Möglichkeit hat, zwischen Einzelarbeit und Gruppenarbeit zu wählen.

Gleich der Montessori-Pädagogik fordert die Freinet-Pädagogik nicht, daß alle SchülerInnen zur selben Zeit das Gleiche tun. Das Angebot verschiedenster Lehrbücher und Arbeitsmaterialien ermöglicht ein Lernen gemäß den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen.

* Die Rolle des/der Lehrers/Lehrerin

In der Freinet-Pädagogik kommt es zu einem veränderten Rollenverständnis des/der Lehrers/Lehrerin. Aufgabe der Lehrperson ist es, der Klasse zu helfen, sich langfristig selbst zu organisieren, also möglichst selbständig zu werden, wobei sie selbst ein Teil der Zusammenarbeit wird und ihr Wissen anbietet.

Dietlinde Baillet, eine französische Freinet-Pädagogin, schildert die Aufgaben des/der Freinet-Lehrers/-Lehrerin.

  • "Der Erzieher respektiert das Recht des Kindes, sich seiner eigenen Persönlichkeit entsprechend zu entfalten.

  • Er bietet ihm die Möglichkeit, seinen natürlichen Wissensdrang aktiv in der kritischen Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu befriedigen.

  • Er lehrt das Kind, selbst Verantwortung für seine Arbeit zu übernehmen.

  • Und er ermöglicht ihm ein positives soziales Leben als mitverantwortliches Glied der Klassengruppe." (Baillet D., 1993, S.17)

* Freinet-Pädagogik und Integration

Auch in der Freinet-Pädagogik kommen wichtige Aspekte des integrativen Unterrichtes zum Tragen.

  • Mittels der Wochen- und Tagespläne, die LehrerIn und SchülerIn gemeinsam erstellen, kann auf das Lerntempo und die Fähigkeiten eines/einer jeden Schülers/Schülerin, auch auf jene mit sonderpädagogischem Förderbedarf, individuell eingegangen werden.

  • Jeder/jede SchülerIn hat das Recht, sich von den anderen zu unterscheiden, und wird in dieser Verschiedenheit anerkannt. Durch die Möglichkeit, den Unterricht frei, also kindgerecht zu gestalten, kann der/die Pädagoge/Pädagogin die behinderten SchülerInnen sehr gut einbeziehen.

  • Das Vorhandensein einer Vielzahl von Schulbüchern, sowie verschiedener Arbeitsmaterialien, bietet allen Schülern/Schülerinnen die Möglichkeit, auf ihrem jeweiligen Lern- und Interessensniveau zu arbeiten.

  • Das von Freinet geforderte Lernen in kleinen Schritten stellt unter anderem auch für das behinderte Kind eine große Hilfe dar, da Zusammenhänge auf diese Art besser erfaßt werden können.

  • Durch die Einbindung der Lebenswelt (Familie, soziales Umfeld) in die Lernwelt kann das behinderte Kind seine Erfahrungen, die es als "Behinderter" in der Familie, Nachbarschaft, Therapie etc. macht, in der Schule verarbeiten und den Mitschülern/ -schülerinnen vermitteln, die wiederum daraus sehr viel lernen können.

5.4. Offener Unterricht, damit Integration nicht nur ein räumliches Miteinander ist

"Das Öffnen des Unterrichts, die Gestaltung des Schulalltags mit offenen Lernphasen ist die unbedingte Voraussetzung für einen integrativen Unterricht, wenn man Integration nicht nur als räumliches Miteinander verstehen will." (Niedermair C., 1993, S.179f.)

Der integrative Unterricht erfordert also eine Öffnung, die, wie im vorangegangenen Kapitel über "Alternative Lernformen" ersichtlich ist, durch die Umsetzung der Ideen von Maria Montessori und Celestin Freinet sehr gut zu verwirklichen ist. Für viele Lehrpersonen stellen die Anforderungen der beiden Pädagogen/Pädagoginnen ein "Neuland" dar, das sie einerseits aus Angst vor der eigenen Überforderung und andererseits aus Angst davor, in dieser neuen Art des Unterrichtens keinen Zuspruch von Seiten der Schulleitung und -behörde erhalten, nicht betreten. Aber:

"Die besonderen Unterrichtsformen in der Integrationsklasse sind nichts anderes als die konsequente Verwirklichung der dem österreichischen Grundschullehrplan zugrundeliegenden Prinzipien: Anschaulichkeit, Lebensnähe, Handlungsorientiertheit, soziales Lernen usw. Diese Leitgedanken sollten die Basis der Unterrichtsarbeit in jeder Klasse sein. In der Integrationsklasse jedoch zwingen die oft so verschiedenartigen Ansprüche und Voraussetzungen der Kinder zu einer kompromißlosen Beachtung dieser Grundsätze. Ein einseitig verbaler Unterricht ist für manche Kinder - und nicht nur für sogenannte "behinderte" - nicht zielführend. Erst das Anschauen, Be-greifen, Tun und Erleben bringt den Erfolg." (Hofbauer B., Prader U., 1993, S.132f.)

Eine Öffnung des Unterrichtes zugunsten des Kindes wird im Rahmen des Grundschullehrplanes indirekt befürwortet, da sie das Anschauen, Be-greifen, Tun und Erleben ermöglicht. Wulf Wallrabenstein, Professor am Fachbereich für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg, versteht unter der Öffnung des Unterrichtes,

"daß die Kinder mit ihren Lernmöglichkeiten und ihren Einstellungen, mit ihrer Begeisterung für die Sache im Mittelpunkt des Unterrichts stehen." (Wallrabenstein W., 1994, S.34)

Wallrabenstein unterscheidet drei Dimensionen der Öffnung des Unterrichtes:

  • die inhaltliche Dimension: Die inhaltliche Dimension hat eine Veränderung des Lernens, welches vom Interesse und den individuellen Erfahrungen des Kindes ausgeht, zur Folge. Wallrabenstein spricht von einer Öffnung für die Erfahrungs- und Lebenswelt der Kinder.

  • die methodische Dimension: Hinsichtlich der Methode bedeutet die Öffnung eine Beteiligung der SchülerInnen an der Gestaltung und Planung des Unterrichtes unter Berücksichtigung neuer Lernformen.

  • die organisatorische Dimension: Veränderte Unterrichtsformen und verschiedenste Organisationsformen wie Freie Arbeit, Offenes Lernen, Projekte und Wochenplan sind wesentliche lernorganisatorische Aspekte des Offenen Unterrichtes.

5.4.1. Die Freiarbeitsphase - das Offene Lernen

Das Zentrum des Offenen Unterrichtes stellen die Freiarbeit und das Offene Lernen dar, die durch eigene Entscheidungen der SchülerInnen bezüglich dem Lernmaterial und Lerntempo gekennzeichnet sind. Wallrabenstein beschreibt dies wie folgt:

"Kinder wählen aus einem Angebot von Lernmöglichkeiten in einer Lernlandschaft freie Aktivitäten für sich aus, folgen ihren Lernbedürfnissen und beginnen im Rahmen ihrer Lernbiographie eigene Lernwege." (Wallrabenstein W., 1994, S.95)

Das Offene Lernen fordert von Schülern/Schülerinnen wie Lehrern/Lehrerinnen ein neues Rollenverständnis:

Die Lehrperson steht nicht mehr ständig im Mittelpunkt des Unterrichtes, sondern begibt sich auf die Position eines/einer Beobachters/Beobachterin, Beraters/Beraterin, um dann helfend und unterstützend einzugreifen, wenn es unbedingt notwendig ist. Dies setzt voraus, daß er/sie den Schülern/Schülerinnen einen Großteil der Eigenverantwortlichkeit für ihr Lernen und Arbeiten überträgt, was wiederum Vertrauen in ihre Lernbereitschaft und Lernfähigkeit fordert.

Geduld ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Eigenschaft für die Lehrperson, um das Kind eigenverantwortlich handeln und lernen lassen zu können, denn bringt er/sie sich bereits beim Auftreten von geringen Schwierigkeiten sofort ein, so verliert das Kind das Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten.

Die SchülerInnen nehmen in der Freiarbeitsphase nicht mehr länger die Rolle des/der "Passiv Lernenden" ein, sondern werden zu einem/einer aktiven MitgestalterIn des Unterrichtes. Sie erfahren, daß sie nicht mehr das Gleiche wie ihre MitschülerInnen zu machen brauchen, sondern sich ihren eigenen Interessen und Vorlieben entsprechend für ein bestimmtes Lernangebot entscheiden und dies gemäß ihrem individuellen Lerntempo bewältigen können.

Damit jeder/jede in Bezug auf seine/ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten etwas Geeignetes findet, stehen ihm/ihr eine reiche Auswahl an verschiedensten Arbeitsmaterialien zur Verfügung. Hat der/die SchülerIn sich für ein bestimmtes Material entschieden, so ist es wichtig, daß er/sie, auch bei auftretenden Schwierigkeiten, die Arbeit, unter Hinzuziehung von Hilfsmitteln bzw. der Hilfe einer Lehrperson oder eines/einer Mitschülers/-schülerin, zu Ende führt. Dies ist darum von Bedeutung, da es die Ausdauer und das Durchhaltevermögen stärkt, sowie einen Lernprozeß bewirkt.

Weiters ist es die Aufgabe des/der Schülers/Schülerin, die Kontrolle seiner/ihrer Lernergebnisse selbst vorzunehmen, da aus den eigenen Fehlern wiederum gelernt wird, also ein neuer Lernprozeß erfolgt.

In Phasen des Offenen Unterrichtes obliegt es den Schülern/Schülerinnen, ihre Zeit bzw. ihre Lern- und Übungsphasen eigenverantwortlich einzuteilen, wobei ihnen genügend Raum und Zeit gelassen werden muß. Dies erfordert das Abkommen von der 50-Minuten-Einheit, in der der Lernprozeß beim Ertönen der Schulglocke jäh abgebrochen werden muß, was eine zeitlich individuelle Arbeit und ein Beenden dieser meist unmöglich macht.

Die SchülerInnen können in der Freiarbeit zwischen Einzel- und Gruppenarbeit wählen, wobei bereits der Prozeß der Partnerfindung und die daraus resultierende Gruppenarbeit ein soziales Lernen bewirken. Denn dies erfordert ein aktives aufeinander Zugehen, das Formulieren und gegenseitige Abstimmen der Arbeitswünsche und -ziele, aber auch das Erstellen von Regeln für die Zusammenarbeit. Die SchülerInnen lernen dadurch, Verantwortung zu übernehmen sowie Grenzen anderer zu respektieren.

"Die Begründung für die Freie Arbeit ergibt sich aus dem Verständnis des Offenen Unterrichts für eine andere Praxis des Lernens in der Schule und des Umgangs mit dem Kind. So lernen Kinder in der Freien Arbeit auf natürliche Weise, sich im Helfersystem aufeinander einzustellen, aber auch verantwortlich das eigene Lernen zu gestalten, zu planen, durchzuhalten und die Ergebnisse zu vermitteln." (Wallrabenstein W., 1994, S.96)

5.4.2. Der Wochenplan

Der Tages- oder Wochenplan bietet die Möglichkeit eines Überblicks der Planung und Organisation, sowie der Überprüfung der Lernarbeit im Offenen Unterricht. In der Regel werden Wochenpläne individuell für jedes Kind einzeln erstellt, wobei sie meist Pflichtaufgaben sowie Anregungen bezüglich frei wählbarer Lernaktivitäten beinhalten.

Wann und in welcher Reihenfolge die SchülerInnen die Pflichtaufgaben des Wochenplans erfüllen, können sie selbst entscheiden. Dadurch lernen sie, wie sie ihre Arbeitszeit in einer sinnvollen Weise einteilen können, um sowohl dem Lernpensum als auch den eigenen Anforderungen gerecht zu werden.

Der/die LehrerIn kann sich anhand der Wochenpläne ein gutes Bild darüber machen, was der/die einzelne SchülerIn erarbeitet hat, und wo er/sie noch Hilfestellungen benötigt bzw. in welchen Bereichen seine/ihre Interessen liegen.

Wochenpläne stellen zwar eine organisatorische Hilfe dar, sie dürfen aber nicht überbewertet werden, da sich in der Praxis bereits viele Lehrpersonen gegen Wochenpläne entschieden haben. Denn diese bergen die Gefahr in sich, daß der/die LehrerIn aus Angst vor dem Nicht-einhalten-können des Lehrplanes den/die SchülerIn mit Pflichtaufgaben völlig auslastet, und dieser/diese somit den individuell wichtigen und interessanten Lernzielen nicht mehr nachgehen kann. Zudem ist zu beachten, daß die SchülerInnen auch ohne Wochenpläne sinnvoll arbeiten können, und ihre Lernaktivität nicht von diesen abhängig wird.

Wochenpläne sind nur dann sinnvoll, wenn sie gemeinsam mit dem/der SchülerIn erstellt werden und ein ausgewogenes Verhältnis von Pflichtaufgaben und frei wählbaren Lernaktivitäten berücksichtigt wird.

Beispiel für einen Wochenplan: (Wallrabenstein W., 1994, S.99)

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5.4.3. Die Projekte

Projekte bauen auf gemeinsamen Lernsituationen auf, in denen die SchülerInnen über einen längeren Zeitraum hinweg an einer bestimmten Aufgabenstellung arbeiten, für deren Planung und Durchführung sie selbst verantwortlich sind.

Projekte bieten im Offenen Unterricht die Möglichkeit der Öffnung nach außen durch die Einbeziehung der außerschulischen Erfahrungswelt.

Für Wallrabenstein stellen die außerschulischen Erfahrungen einen wesentlichen Teil des Weltverständnisses eines Kindes dar. Er beschreibt sie als "Anschauungsmaterial" für das menschliche Zusammenleben in der unmittelbaren Umgebung bzw. in der Lebenswelt der SchülerInnen. Die Öffnung des Unterrichtes bietet die Möglichkeit, diese außerschulische Lebenswelt und die darin gemachten Erfahrungen in den Lernprozeß miteinzubeziehen, sowie zusätzliches Wissen zu vermitteln.

"Wenn die Schule sich nicht mehr als Schonraum versteht und sich öffnet, ist die ganze Umgebung ein praktischer Lernanlaß für die Kinder - der Supermarkt, die Tankstelle, der Bäcker, die Gärtnerei u.a. Solche außerschulischen Lernorte ermöglichen den Kindern, der Entfremdung schulischen Lernens von ihren unmittelbaren Erfahrungen zu begegnen und den häufig im Unterricht zu erlebenden Widerspruch zwischen der in Schulbüchern und Arbeitsbogen dargestellten Sach- und Erfahrungswelt und den konkreten außerschulischen Erfahrungen der Kinder aufzulösen." (Wallrabenstein W., 1994, S.68)

Um sich unter einem Projekt auch etwas Konkretes vorstellen zu können, beschreibt Dr. Susanna Bews, wie in ihrer Klasse das Thema "Einkaufen" bearbeitet wurde:

"So z.B. ist es selbstverständlich, daß wir beim Thema "Einkaufen" kleine Geschäfte, den Supermarkt und den nahegelegenen Bauernmarkt besuchen. Bei solchen Lehrausgängen werden die Kinder vorher in kleine Gruppen geteilt. Sie können sich aber auch selbst für die Erarbeitung einer Detailfrage eines Themas entscheiden, wodurch die Gruppenzugehörigkeit auch indirekt von den Kindern gewählt wird. Dann ziehen wir - meist helfen uns Mütter bei der Betreuung in Kleingruppen - los. In die Schule zurückgekehrt, berichten die Einzelgruppen von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen, und so fügen sich die Einzelthemen wieder zu einem Ganzen. Gleichzeitig leistet das einzelne Kind seinen spezifischen Beitrag zum Gesamtergebnis. Arbeitsgruppen tauschen untereinander Informationen über die durchgeführten Aktivitäten aus. Die Möglichkeit zum Austausch der Informationen garantiert, daß die Erfahrungen einer Gruppe auch zur Erfahrung der anderen Gruppen werden. Diese Möglichkeit zum Austausch des Gelernten erzeugt eine Gelegenheit des Voneinander-Lernens, die alle Kinder in den Mittelpunkt des Lehrens rückt, von dem sie selbstverantwortlich Gebrauch machen. Wir versuchen auch immer wieder den Zeitraum eines "Projektes" über mehrere Tage auszudehnen, arbeiten somit am gleichen Thema eine längere Zeit. So gemachte Erfahrungen werden dann z.B. in einer "Ausstellung" dargeboten oder in einer "Projektmappe" festgehalten. (Bews S., 1992, S.81f.)

Das "Projektlernen" stellt einen Forschungsprozeß dar, in dem die SchülerInnen lernen, wie und wo sie Dinge in Erfahrung bringen können, sei dies durch Literatur, Medien, durch Kontaktaufnahme mit verschiedenen Personen, Behörden etc..

Beim Lernen in Projekten kommt den komplexen Fähigkeiten, wie dem Erkennen von Zusammenhängen und dem Planen von Handlungsabläufen, eine größere Bedeutung, als dem bloßen Wissen von Fakten, zu.

Dr. Almut Köbberling, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rahmen der wissenschaflichen Begleitung von Integrationsklassen an Hamburger Gesamtschulen, sieht folgende Vorteile in der Durchführung von Projekten:

  • Die SchülerInnen können bezüglich der Aufgabenstellung auf ihre Erfahrungen mit der eigenen, realen Lebenswelt zurückgreifen.

  • Die jeweilige Aufgabe kann durch das Einbringen von individuellen Beiträgen sowie frei wählbaren Herangehensweisen auf unterschiedliche Art erarbeitet werden.

  • Die Einzelerkenntnisse werden gemeinsam von der Klasse zu einem Gesamtergebnis zusammengefaßt, was einen wesentlichen Aspekt des Projektes darstellt.

5.4.4. Der Stuhlkreis

Im Offenen Unterricht fördert der Stuhlkreis, welcher als Morgenkreis, Abschlußkreis, Klassenrat etc. gehalten wird, die gegenseitige Verständigung und die Gemeinschaft in einer Klasse, indem er die Möglichkeit zum gemeinschaftlichen und individuellen Erfahrungsaustausch bietet.

Der Stuhlkreis stellt eine Bereicherung für das Zusammenleben in der Klasse dar, da ...

  • der/die SchülerIn lernt, sich vor und in der Klassengemeinschaft sprachlich auszudrücken.

  • der/die SchülerIn sowohl schulische als auch außerschulische Konflikte und Probleme offen in der Gruppe äußern kann.

  • dem/der SchülerIn bewußt wird, daß er/sie sich an bestimmte Gesprächs- und Verhaltensregeln zu halten hat.

  • der/die SchülerIn sich anhand von dargestellten Arbeitsergebnissen der MitschülerInnen Anregungen für neue Lernprozesse holen kann.

  • der/die SchülerIn die Möglichkeit hat, gemeinsam mit den Kollegen/Kolleginnen Arbeiten zu planen und auszuwerten.

Das Miteinander im Stuhlkreis fordert alle SchülerInnen auf, sich offen, ehrlich und eigenverantwortlich einzubringen.

"So erlebt das Kind sein eigenes Ich, sein Wissen, bedeutungsvoll in der Erfahrung, daß auch die Perspektive der anderen etwas gilt." (Wallrabenstein W., 1994, S.94)

5.4.5. "Offenheit fängt bei uns selber an" (Wallrabenstein W., 1994, S.7)

Das Gelingen von schulischer Integration fordert die Öffnung des Unterrichtes, und dies wiederum fordert die Offenheit von uns selbst. Es liegt an uns, an der Gesellschaft, Veränderungen zu treffen, die es jedem behinderten Kind ermöglichen, gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern dieselbe Schule, eine Schule für ALLE, zu besuchen.

Eine Schule für ALLE, Integration "ohne Wenn und Aber", setzt die ...

  • ... Offenheit in Bezug auf die Veränderung unserer Vorstellung davon, wie Unterricht zu sein hat, voraus. Dies fordert die "Sicherheit des Alten" zu verlassen, und sich Neuem, in Form von individualisierenden und kooperierenden Unterrichtsformen (Offener Unterricht) zu öffnen.

"(...) daß heterogene Klassen, in denen Kinder nicht nach Leistung sortiert sind, übrigens ohne Aussonderung von behinderten Kindern, individualisierende und kooperative Unterrichtsformen (wie z.B. offener Unterricht, Projektunterricht, Gruppenunterricht usw.) erzwingen. Das wirkliche Phänomen ist, daß die didaktische Erkenntnis, daß individualisierende und kooperative Lernformen durchgängig frontalen Unterrichtsformen vorzuziehen sind, obwohl seit über 100 Jahren bekannt und seit Jahrzehnten allgemein akzeptiert, so wenig in der Schulrealität verankert ist." (Schönwiese V., 1995, S.8)

  • ... Offenheit der Eltern gegenüber den Fähigkeiten des Kindes und dessen Lehrern/Lehrerinnen voraus. Eltern stehen dem Offenen Unterricht sehr häufig skeptisch gegenüber, indem sie sich fragen, ob die Kinder im Offenen Unterricht gleich viel lernen, wie sie es im Frontalunterricht würden; ob offen bedeutet, daß sie tun und lassen können was sie wollen; ob Offener Unterricht nicht mit Chaos gleichzusetzen ist; ob behinderte Kinder den Lernprozeß der nichtbehinderten im Wege stehen; ....

"Es kann aber mit Sicherheit gesagt werden, daß die nichtbehinderten Kinder in Integrationsklassen mindestens genauso gut gefördert und gefordert werden wie in Regelklassen. Behinderte Kinder behindern also keineswegs, sie sind vielmehr eine Bereicherung und zwar sowohl in emotionalen, sozialen, kreativen als auch in kognitiven Aspekten schulischen Lernens und Lebens." (Feyerer E., 1993, S.85)

Die Unsicherheit der Eltern ist meist auf ihre Vorstellung, ein Kind könne nur im Frontalunterricht, der für sie selbst meist die einzige vertraute Unterrichtsform darstellt, etwas lernen, zurückzuführen. Die Eltern werden daher vielfach von Klassen, in denen Offener Unterricht praktiziert wird, aufgefordert und eingeladen, den Offenen Unterricht vor Ort zu erleben, um somit zu erkennen, daß hier sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen sich ständig weiterentwickeln und Lernarbeit leisten.

  • ... Offenheit des/der Lehrers/Lehrerin voraus, seine/ihre Vorstellungen, wann und wie Lernen zu erfolgen hat, zu ändern. Denn:

"Die schlechteste Voraussetzung für Integrativen Unterricht ist bei der folgenden

Ausgangssituation gegeben:

Alle Kinder müssen immer zur selben Zeit

dasselbe lernen,

mit denselben Methoden;

an denselben Inhalten werden sie

zu einheitlich denselben Zielen geführt und

am Ende eines Lernprozesses nach denselben einheitlichen Kriterien bewertet.

Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen werden nicht berücksichtigt."

(Schöler J., 1993, S.90)

Für den/die LehrerIn bedeutet Offener Unterricht in erster Linie, Vertrauen in die Fähigkeiten und den Lernwillen des Kindes zu setzen, ihm Zeit für die individuelle Entwicklung zu lassen, sowie ihm hilfreich zur Seite zu stehen. Weiters ist es seine/ihre Aufgabe, sich unterschiedliche Lernmethoden anzueignen, um somit den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Kinder gerecht zu werden.

  • ... Offenheit gegenüber einer Veränderung des Leistungsgedankens voraus. Es ist wichtig davon abzukommen, unter Leistung nur sichtbare, innerhalb einer bestimmten Zeit erarbeitete Ergebnisse, die im Rahmen von Schularbeiten, Tests, Hausübungen, etc. erbracht werden, zu verstehen. Die Leistung des/der einzelnen Schülers/Schülerin soll nicht mehr länger mit denen anderer MitschülerInnen verglichen werden, sondern in Beziehung zu seinen/ihren eigenen früheren Leistungen gesetzt werden.

"Welcher Vergleichsmaßstab aus pädagogischer Sicht angemessen ist, hat vor über 150 Jahren JOHANN FRIEDRICH HERBART deutlich gemacht: "Der Erzieher vergleicht seinen Zögling nicht mit anderen, er vergleicht ihn mit sich selbst." (1831, 210). Herbart's Schüler ZILLER empfiehlt, "daß ein jeder an seinem Maß zu messen ist und daß man zufrieden sein muß, wenn er geworden ist, was er werden kann" (1884, 260)." (Wocken H., 1987, S.118)

Wie starr wir an unseren Vorstellungen von Leistung festhalten, läßt sich daraus erkennen, daß bereits vor über 100 Jahren Herbart und Ziller darauf hingewiesen haben, wie unsinnig gleiche Leistungsanforderungen für alle SchülerInnen sind, da diese unmöglich über die gleichen Leistungsmöglichkeiten verfügen können. Aber werden nicht oft wesentliche Dinge übersehen, wenn die Aufmerksamkeit nur auf vorzeigbare Leistungen gerichtet wird?

"Wie oft können wir gar nicht erkennen, welche Prozesse der Auseinandersetzung sich - für uns unsichtbar - abspielen, wie oft lassen wir zu wenig Zeit für Prozesse nach eigenem Tempo, und wie unwichtig kann ein vorzeigbares "Ergebnis" sein!" (Boban I., Köbberling A., 1994, S.23)

  • ... Offenheit für Offenen Unterricht voraus. Die Offenheit zu erkennen, daß wir Erwachsenen es sind, die wir mit der schulischen Integration aller behinderten Kinder und den damit verbundenen neuen Unterrichtsformen nicht umgehen können, und nicht die SchülerInnen!

"Integration ist und bleibt - das zeigt unsere gesamte Erfahrung in diesem Bereich - zuerst in unseren Köpfen zu leisten; sie ist nicht das Problem der Kinder, seien sie behindert oder nicht, sondern unser Problem: das unseres Bewußtseins und unserer täglichen Praxis." (Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.25)

5.5. Zensuren - Lebenslüge oder Notwendigkeit?

... oder eine als notwendig angesehene Lebenslüge?

"Anhand weniger Ziffern, die kaum interpretierbar sind und aus denen kein Mensch der Erde ablesen kann, unter welchen individuellen und sozialen Bedingungen, mit welchen Anstrengungen, mit welchen Lehrern hinsichtlich deren Persönlichkeitsstruktur und professionellem Grad ihres Könnens (in Didaktik, Methodik, bezogen auf den Unterrichtsstil u.a. berufsbezogener Aspekte) ein Schüler gelernt hat, werden Menschen durch die Schule ins Leben "kanalisiert"." (Feuser G., Meyer H., 1986, S.209)

Zensuren stellen insofern eine Lebenslüge dar, da sie davon ausgehen, daß Jeder/Jede mit Jedem/Jeder verglichen werden kann, ohne individuelle und soziale Bedingungen zu berücksichtigen. Zensuren beziehen sich immer nur auf das Endergebnis einer Leistung, lassen dabei die Voraussetzungen und Bedingungen des vorangegangenen Lenrprozesses außer acht. Zensuren erwecken den Anschein, als würde das, was von einem/einer LehrerIn im Unterricht an Inhaltlichem dargeboten wird, bei jedem/jeder SchülerIn gleich ankommen. Ist dies nicht der Fall, so täuschen Zensuren vor, es liege allein an dem/der SchülerIn.

Ist es wirklich notwendig, an dieser Lebenslüge weiterhin festzuhalten?

Unserer Meinung nach ist es an der Zeit, die Endrunde für die Zensuren einzuläuten, um diese durch die verbale Beurteilung zu ersetzen.

5.5.1. "ADIOS - ihr tüchtigen Zensuren!"

Die Endrunde wird eine lange sein, denn obwohl es kaum jemandem gelingt, die Schule ohne negative Erfahrungen mit den Ziffernnoten zu verlassen, hält die Gesellschaft/die Schule an der Tradition fest, Leistung mittels Noten zu be- bzw. entwerten.

Warum so starr an diesem System festgehalten wird, zeigt folgendes Zitat:

"Mit Hilfe von Zensuren will man zu mehr Leistung animieren, die Klasse disziplinieren, die Eltern informieren, so daß sich jeder zu orientieren vermag und die Schüler selektiert werden können. Zusammengenommen ergeben die Anfangsbuchstaben dieser fünf Funktionen einen hübschen Gruß - adios! Na dann: Auf Wiedersehen, ihr tüchtigen Zensuren!" (G.G.G.1982)". (Zitat in BMUK, S.45)

Um den Anschein äußerer Gerechtigkeit zu wahren, wird vielfach verbissen an den Ziffernzensuren festgehalten. Ziffernzensuren mögen nach außen gerecht wirken, genauer betrachtet hängen sie jedoch stets von der Willkür einer Lehrperson ab.

So hat zum Beispiel Rudolf Weiss, Professor am Institut für Psychologie an der Universität Innsbruck, eine Untersuchung zur Objektivität in der Beurteilung von Mathematikaufgaben durchgeführt, in dem er dieselben Rechnungen mit denselben Fehlern mehreren Mathematiklehrern/-lehrerinnen zur Beurteilung gab. Obwohl in Mathematik eigentlich am besten zwischen richtig und falsch unterschieden werden kann, kam es zu den unterschiedlichsten Benotungen. Denn während der/die eine LehrerIn nicht den geringsten Rechenfehler duldete, gab sich der/die andere bereits damit zufrieden, wenn allein der Rechengang richtig gelöst wurde.

Weiss folgerte daraus, daß die gegebenen Zensuren in verschiedenen Klassen nicht miteinander vergleichbar sind, da sie von der jeweiligen benotenden/beurteilenden Lehrperson abhängen.

Trotz dieser Subjektivität, die der Benotung zugrunde liegt, verfügen Ziffernnoten über eine enorme Macht: Noten bestimmen über das Sitzenbleiben bzw. das Aufsteigen eines/einer Schülers/Schülerin; Noten bestimmen über den Besuch von weiterführenden Schulen; Noten bestimmen die gesamte berufliche Zukunft.

"Durch ihren "kategorialen Wert" erweisen sie sich für Schüler, Lehrer, Eltern, zukünftige Arbeitgeber und Dienstherren als in einer Weise norm- und wert-"besetzt", daß es ungeachtet bzw. über das Zeugnis hinaus "keine Möglichkeit der Aktion oder Annäherung gibt". Demgemäß entscheiden sie gewissermaßen über den Lebensweg eines Schülers." (Feuser G., Meyer H., 1986, S.209)

Jörg Ramseger hat sich mit den Vor- und Nachteilen der Ziffernbenotung auseinandergesetzt, wobei er zu folgenden Thesen kam, die in den "Materailien zur sozialintegrativen Schule - Leistungsbeurteilung" (S.65) veröffentlicht wurden.

Vorteile

  • "Zensuren sind ökonomisch"

Der/die LehrerIn kann mittels der Ziffernbenotung relativ rasch eine große Anzahl von Schülern/Schülerinnen systematisch beurteilen.

  • "Zensuren erlauben eine kühle Kommunikation"

Zensuren ermöglichen einen distanzierten Umgang zwischen dem/der LehrerIn und dem/der SchülerIn, da sich die Beurteilung "nur" auf die Leistung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bezieht. Dies erleichtert es, sowohl positive als auch negative Einstellungen aus dem Spiel zu lassen.

  • "Zensuren haben eine Signalfunktion"

Sie zeigen klar und deutlich, wie es um die Leistungen des/der Beurteilten steht.

Nachteile

  • "Zensuren korrumpieren die Schüler"

  • Sehr oft bewirken Zensuren, daß nicht mehr aus Interesse gelernt wird, sondern um möglichst besser als die anderen zu sein und im schulischen Konkurrenzkampf an vorderster Stelle zu stehen.

  • "Zensuren täuschen Objektivität vor"

... und dennoch handelt es sich immer um ein subjektives LehrerInnenurteil.

  • "Zensuren täuschen Vergleichbarkeit vor"

Obwohl sie immer wieder als Vergleich der SchülerInnen untereinander dienen, wird nicht berücksichtigt, daß sie in unterschiedlichen Lernsituationen entstehen.

  • "Zensuren sind ungerecht"

Bei der Zensurengebung wird nicht berücksichtigt, unter welchen Bedingungen (z.B. Probleme im Elternhaus, Krankheit, ...) die Leistung erbracht wurde.

  • "Zensuren sind unehrlich"

Unehrlich deshalb, da die Tatsache, daß der/die LehrerIn bzw. die Schule gleichermaßen wie der/die SchülerIn für eine Zensur mitverantwortlich ist, nicht berücksichtigt wird.

  • "Zensuren sind unmoralisch"

Zensuren heben das Selbstwertgefühl der ohnehin guten SchülerInnen zu Lasten des Selbstwertgefühles der "schlechten" SchülerInnen.

  • "Zensuren sind grobschlächtig"

Eine differenzierende Bewertung der Leistung ist mittels Zensuren unmöglich.

  • "Zensuren helfen nicht"

Zensuren beinhalten keinerlei Information darüber, wie sie zustande gekommen sind, und geben keinerlei Auskunft über erfolgreichere Lernstrategien.

Das Grundproblem an der Ziffernbeurteilung ist, daß sie auf den Fehlern die der/die SchülerIn macht, aufbaut, die immer als Mißerfolg gewertet werden und somit mehr zur Verurteilung eines/einer Schülers/Schülerin, als zu dessen/deren Beurteilung beitragen.

Im integrativen/Offenen Unterricht ist die Ziffernbeurteilung so fehl am Platz, wie "ein Elefant im Porzellanladen":

"Wenn behinderte Kinder immerfort an dem gemessen würden, was nichtbehinderte Kinder zu leisten imstande sind, hätten sie keinerlei Chancen, je etwas zu leisten. Für behinderte Kinder können kleine Lernfortschritte große Leistungen sein. Allein die Anwendung der individuellen Bezugsnorm gewährleistet, daß Leistungsentwicklungen behinderter Kinder wahrgenommen und angemessen gewürdigt werden." (Wocken H., 1987, S.119)

5.5.2. Verbale-Beurteilung anstatt Ziffern-Verurteilung

Der integrative, Offene Unterricht, wie er bisher dargestellt wurde (vgl. Kapitel 5.4.) fordert ein Überdenken der Ziffernbenotung, denn diese Art der Beurteilung setzt voraus, daß alle SchülerInnen an einer Norm gemessen werden, und somit die Individualität des/der einzelnen in den Hintergrund oder gar ins Vergessen gerät.

"(...), daß (...) bei der Bewertung und Beurteilung Ziffernnoten ein völlig unzureichendes und inadäquates Mittel darstellen. Es ist ganz einfach praktisch unmöglich, derart differenzierte und über ein weites Spektrum verteilte Leistungen in das Korsett einer Ziffer zu zwängen und dann auch noch so zu tun, als sei dies "objektiv"!" (Pohler K., 1994, S.38)

Mit Hilfe der verbalen Beurteilung, die den individuellen Lernvoraussetzungen und Lernentwicklungen der SchülerInnen Rechnung trägt, kann das Dilemma der Ziffernbenotung umgangen werden.

Während eine Ziffer nichts über die damit beurteilte und oft auch verurteilte Person aussagt, so kann mittels verbaler Beurteilung über den jeweiligen Lernprozeß eines/einer Schülers/Schülerin, ohne diesen/diese mit anderen zu vergleichen, informiert werden.

Ein weitere Aufgabe der verbalen Beurteilung ist die Beschreibung und Anerkennung der momentanen Fähigkeiten, sowie des neu Hinzugelernten. Den Eltern und den Kindern werden durch die Beschreibung von Stärken und Schwächen Hinweise zur konkreten Unterstützung der künftigen Gesamtentwicklung gegeben.

Karl-Heinz Pohler, Lehrer der Hauptschule Untermarkt in Reutte/Tirol, stellt die Aufgaben der verbalen Beurteilung wie folgt dar:

1.) "Beschreibung des Entwicklungsfortschrittes innerhalb einer bestimmten Beobachtungsperiode

2.) Diagnose allfälliger leistungshemmenden Faktoren

3.) Vorschläge anbieten, um weitere Entwicklungsschritte machen zu können"

Pohler schreibt weiters

"Wie der Name schon ausdrücken soll, handelt es sich bei unseren "Zeugnissen" nicht um eine BeURTEILung im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr um eine Beschreibung des jeweiligen Entwicklungsfortschrittes des jeweiligen Kindes in einem bestimmten Zeitraum. Dabei muß selbstverständlich vom jeweiligen individuellen Stand ausgegangen werden. Nur so ist es möglich, auf individuelle Leistungen und Veränderungen einzugehen, anstatt jede einzelne Leistung an einer bestimmten, weitgehend anonymen Norm zu messen." (Pohler K., 1994, S.38f.)

Ziel der verbalen Beurteilung ist es, daß der/die SchülerIn lernt, sich selbst und seine Fähigkeiten einzuschätzen, damit keine emotionale Abhängigkeit von einer Fremdbeurteilung entsteht. Dies erfordert die Einbeziehung des Kindes in den Informationsprozeß "Zeugnis", wobei hier unter Zeugnis nicht unbedingt ein offizielles Blatt Papier, sondern auch ein "Eigenzeugnis" des/der Schülers/Schülerin oder ein Gespräch von LehrerIn, Eltern, SchülerIn verstanden werden kann.

Beim "Eigenzeugnis" erhalten die SchülerInnen die Möglichkeit, selbst Stellung zu ihren Leistungen zu nehmen, und sich somit selbst einzuschätzen. Auch beim gemeinsamen Gespräch mit den Eltern und den Lehrern/Lehrerinnen, kann er/sie sich selbst in Bezug auf seine/ihre eigene Beurteilung einbringen.

Während das "Eigenzeugnis" nur in Kombination mit einer offiziellen Beurteilung oder einem Eltern-LehrerIn-SchülerIn Gespräch möglich ist, kann letzteres durchaus ein Zeugnis ersetzen. Die verbale Beurteilung birgt aber auch eine Gefahr in sich. Es ist dies die Gefahr eine ledigliche Umschreibung der Ziffern zu sein (z.B. deine Leistungen in Mathematik genügen noch nicht). So schreibt Jutta Schöler:

"Wenn dagegen Ziffernzensuren lediglich durch verbale Umschreibungen von Zensuren ersetzt werden, hat sich nichts geändert. Worte können dann oft verletzender sein als Ziffern." (Schöler J., 1993, S.288)

Schöler fordert daher, daß der/die LehrerIn die Prinzipien des Offenen Unterrichtes umsetzt und somit individuelles Lernen sowie individuelle Leistungen zuläßt bzw. adaptiert, was eine verbale Beurteilung sehr viel leichter macht.

Beispiel einer verbalen Beurteilung (Schöler J., 1993, S.301)

[Beispiel leider nicht verfügbar]

5.5.3. Beurteilungsmöglichkeiten in integrativen Klassen

In integrativen Klassen können folgende Beurteilungsformen angewendet werden:

A.) Mündliche, umfassende Information der Eltern

Die Grundlage bilden die laufenden Beobachtungen der LehrerInnen bezüglich des Lernstandes bzw. Lernfortschrittes. Von diesen Gesprächen sind Protokolle anzufertigen, die von den Eltern unterzeichnet werden müssen. Aufzeichnungen wie Beobachtungsbogen, Lernziellisten usw., die er/sie während des Schuljahres festgehalten hat, können Protokolle ersetzen. Zusätzlich erhalten die Eltern eine Schulnachricht/ein Jahreszeugnis oder eine Schulbesuchsbestätigung für ihr Kind.

Die verbale Beschreibung soll, wie bereits erwähnt, Auskunft über den Leistungsstand und den Lernfortschritt geben. Sie soll jedoch keinen Leistungsvergleich der SchülerInnen anstellen.

C.) Ziffernbeurteilung und verbale Zusätze

Die verbalen Zusätze informieren über individuelle sowie situative Lernbedingungen des/der Schülers/Schülerin.

D.) Kombination von Ziffernbeurteilung und verbaler Beschreibung

In den jeweiligen Unterrichtsgegenständen kann entweder mit Ziffern oder verbal beurteilt werden, wobei die Ziffernnote auch mit verbalen Zusätzen versehen werden kann.

Erfolgt in einem oder mehreren Unterrichtsgegenständen eine Abweichung vom Lehrplan der jeweiligen Schulart oder Schulstufe, so ist dies in der "Beurteilungsnachricht" zu vermerken.

Bei anstehendem Schulwechsel bzw. in der Abschlußklasse der jeweiligen Schule ist eine Leistungsbeurteilung mittels Ziffernnoten in den Pflichtgegenständen durchzuführen.

Wie aus diesem Kapitel ersichtlich ist, stehen den Lehrpersonen mehrere Beurteilungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ebenso ersichtlich ist die Tatsache, daß nicht mittels jeder dieser Möglichkeiten individuell auf jeden/jede SchülerIn eingegangen werden kann, geschweige denn diesem/dieser Genaues über seinen/ihren Lernprozeß mitgeteilt werden kann.

Vor allem die Beurteilung anhand von Ziffern vermag letztlich nichts über den/die SchülerIn auszusagen und ist somit denkbar ungeeignet, sowohl für den integrativen als auch für den herkömmlichen Unterricht. Es ist daher ein anzustrebendes Ziel, die Ziffernnoten endgültig aus dem Schulalltag zu verbannen, wobei die verbale Beurteilung, z.B. in Form von Eltern-LehrerIn-SchülerIn Gesprächen, einen wertvolle, schülerInnengerechte Alternative darstellt.

5.6. Résumé

Im ersten Teil unserer Arbeit haben wir das Bild des behinderten Menschen in der Gesellschaft sowie in der Medizin und dessen "Entstehungsprozeß", durch den der behinderte Mensch ja erst zum sogenannten "Behinderten" wurde, dargestellt.

Der Beginn dieses Entstehungsprozesses liegt weit zurück und ist nicht ohne Folgen geblieben. So nehmen behinderte Menschen heute in unserer Gesellschaft die Rolle eines Außenseiters ein, die sie nur sehr schwer, wenn überhaupt, aus eigener Kraft überwinden können. Und wir, mit unserer Vorstellung von "Normalität", leisten einen wesentlichen Beitrag dazu. Denn mit unserer Vorstellung von "Normalität" schließen wir all jene aus, die dieser nicht völlig entsprechen. Es liegt nun an uns, vom Normalitätsbegriff abzukommen, um behinderten Menschen ihr Recht auf ein Leben in unserer Gesellschaft zuzugestehen, was eine Abschiebung in diverse "Sonderinstitutionen" völlig ausschließt.

Dieses Recht auf Teilnahme an der Gesellschaft beinhaltet auch den gemeinsamen Schulbesuch von behinderten und nichtbehinderten Kindern, welcher den Schwerpunkt unserer Arbeit darstellt. Indem wir uns ausführlich mit den Rahmenbedingungen dieses gemeinsamen Unterrichtes auseinandergesetzt haben, hoffen wir den/die LeserIn davon überzeugt zu haben, daß es allein an uns liegt und nicht an den Kindern, schulische Integration zu verwirklichen.

Schulische Integration behinderter Kinder zu verwirklichen heißt offen sein für Neues, in Form von ...

  • alternativen Unterrichtsformen,

  • schülerInnengerechter Beurteilung,

  • einer Veränderung des Leistungsgedankens,

  • einer ständigen Reflexion der eigenen Praxis,

  • einer Neuorganisation der LehrerInnenausbildung,

  • fachlich kompetenten Kooperationspartnern/-partnerinnen.

Schulische Integration behinderter Kinder zu verwirklichen heißt sich auf einen persönlichen und fachlichen Entwicklungs- und Lernprozeß einzulassen, von dem nicht nur die Kinder, sondern wir ALLE profitieren!

6. DIE SCHULISCHE INTEGRATION IN VORARLBERG

Warum gerade Vorarlberg, werden sich so manche LeserInnen an dieser Stelle fragen. Uns ist es durchaus bewußt, daß Vorarlberg nicht gerade zu den Integrationspionieren zählt, und dennoch haben wir uns als gebürtige "Xi-Bergerinnen" die Frage gestellt, was denn so im Ländle in puncto schulischer Integration behinderter Kinder, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, läuft.

Zu diesem Zweck haben wir uns in das Feld der Aktionsforschung gewagt, um direkt vor Ort Informationen zu sammeln. Ohne die weitere Vorgehensweise genau festzulegen, haben wir dem Landesschulinspektor für Sonderpädagogik und Integration einen Besuch abgestattet, ihn interviewt und das Gespräch, aufgrund des technischen Versagens unseres Tonbandgerätes, protokolliert. Nach diesem ersten Gespräch begaben wir uns auf die erfolgreiche Suche nach weiteren Ansprechpartnern/-partnerinnen, die sich als sehr offen auf unsere Fragen erwiesen und uns zahlreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt haben.

Wir bedanken uns hiermit bei all unseren Gesprächspartnern/-partnerinnen für ihre Unterstützung, die wesentlich zur Vorstellung der einzelnen Institutionen beigetragen hat, aber auch bei jenen Lehrern/Lehrerinnen, die uns die Möglichkeit geboten haben, in verschiedenen integrativen Klassen zu hospitieren, um somit einen Einblick in die Praxis zu gewinnen.

Ein weiterer wichtiger Teil unseres Forschungsprozesses stellt die in Kapitel 7 vorgestellte Fragebogenuntersuchung dar. Je tiefer wir uns in das Forschungsfeld hineinbegaben, desto klarer wurde für uns das Bild der schulischen Integration in Vorarlberg. Wir hoffen, im folgenden zumindest eine Reproduktion dieses Bildes wiedergeben zu können.

6.1. Fortschritte und Rückschritte der Integrationsbewegung in Vorarlberg

In diesem Kapitel beziehen wir uns vor allem auf die Ausführungen von Hiltrud Rauchegger (Diplomarbeit: "Politische und innerschulische Akzeptanz von Integrationsklassen in Vorarlberg") sowie von Otto Anlanger ("Behinderten Integration - Geschichte eines Erfolges") und auf verschiedene Zeitungsartikel.

Verglichen mit den anderen Bundesländern Österreichs stellt Vorarlberg in der Einrichtung von Integrationsklassen einen "Nachzügler" dar.

Während in Oberwart (Burgenland) bereits 1984 die erste Integrationsklasse Österreichs, auf massives Fordern von Eltern behinderter Kinder, zustande kam, folgte Vorarlberg diesem Beispiel erst 1990. Zu diesem Zeitpunkt (Schuljahr 1990/91) gab es österreichweit 133 integrative Klassen, 21 kooperative Klassen sowie 30 Förder-/ Kleinklassen.

6.1.1. Erste Schritte zur schulischen Integration

Die erste offizielle Veranstaltung bezüglich der "Schulischen Integration behinderter Kinder" fand im Herbst 1989 auf Initiative des SPÖ-Politikers Elmar Mayer im Rahmen eines VN- (Vorarlberger Nachrichten - Tageszeitung) Stammtisches statt. Bei den Diskussionsteilnehmern/-teilnehmerinnen handelte es sich um Volker Schönwiese und Reinhard Hug als Vertreter des Institutes für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, die Unterichtsministerin Hilde Hawlicek und Elmar Mayer als VertreterInnen der politischen Seite, die ASO-Direktoren Peter Georg, Karl Idl, Norbert Syrow, den Bezirksschulinspektor für das Sonderschulwesen Philipp Bitsche und den Landesschulinspektor Ernst Wieser.

Pro und Kontra trafen bei dieser Veranstaltung aufeinander, was zu heftigen Diskussionen führte. Michael Dünser berichtete im Kommentar der VN unter dem Titel "Illusion und Realität" von diesem Stammtisch:

"Es wurde viel und - bei allen Emotionen - fair diskutiert, pro und kontra erörtert, es wurden Informationen und Meinungen ausgetauscht. Es fällt nach all dem Gehörten schwer, sich eine endgültige Meinung zu diesem sehr heiklen Thema zu bilden. Zu vieles, was gerade noch plausibel klang, wurde kurz darauf scheinbar wieder widerlegt." (Dünser M., 19.Septemeber 1989)

Als positive Bilanz der Veranstaltung ist die daraus resultierende Einrichtung einer Arbeitsgruppe von betroffenen Eltern und Lehrern/Lehrerinnen zu sehen, die sich im Jänner 1990 zum Verein "Arbeitsgemeinschaft für Integration behinderter Kinder" (siehe Kapitel 6.2.5.) zusammenschlossen.

Ingrid Buck, die damalige Obfrau des Vereins, stellt die Pionierin der Vorarlberger Integrationsbewegung dar. Ingrid Buck, Mutter eines behinderten Sohnes, war unzufrieden, daß ihr Sohn nach dem Besuch des ersten Vorarlberger Kindergartens, dessen Grundstein sie gelegt hatte, nun, mangels einer Alternative, eine Allgemeine Sonderschule besuchen mußte. Deshalb kämpfte sie für die Einrichtung einer Integrationsklasse an der Sprengelschule ihrer Heimatgemeinde Lustenau, was jedoch fast am Kontingent der 10%-Klausel (Schulversuche in Rankweil und Feldkirch erfüllten diese bereits) scheiterte.

Gleichzeitig mit Frau Buck versuchte eine Mutter in Andelsbuch die schulische Integration ihrer Tochter durchzusetzen. Die Schulbehörde gab trotz der bereits bestehenden Ausschöpfung der 10%-Klausel das Einverständnis zur Einrichtung von Integrationsklassen, verknüpfte dies aber mit der Bedingung, daß sich all jene Eltern, deren Kinder im Herbst 1990 in einer der beiden geplanten Integrationsklassen eingeschult werden sollen, schriftlich mit dem Schulversuch einverstanden erklären.

Zur Information der Eltern fanden eigens Veranstaltungen statt, nach denen sich diese mit den Schulversuchen einverstanden erklärten. Und trotzdem schien das ganze Vorhaben doch noch zu scheitern. Die Schulbehörde erklärte sich nämlich nicht bereit, einen/eine SonderschullehrerIn für Andelsbuch zur Verfügung zu stellen.

"Das Ansuchen eines Sonderschullehrers, in die geplante Integrationsklasse in Andelsbuch versetzt zu werden, wurde von der Schulabteilung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft mit der Begründung abgewiesen, daß es in Vorarlberg nicht genügend SonderschullehrerInnen gebe und nicht so ohne weiters zehn Schüler lehrerlos gemacht werden könnten, nur damit vier Kinder aus Andelsbuch eine zusätzliche Betreuung erhielten." (Rauchegger H., 1994, S.25)

Auch Frau Buck hatte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: sie erhielt im Juni 1990 vom Bund die Zusage für die Einrichtung einer integrativen Klasse in Lustenau mit Beginn des Schuljahres 1990/91. Die Sonderschullehrerin, die um die Versetzung in die Integrationsklasse nach Lustenau gebeten hatte, wurde dann aber von der ASO-Dornbirn aufgrund von LehrerInnenmangel nicht für diesen Schulversuch "freigegeben".

"Der Bezirksschulinspektor für Dornbirn betonte, man habe immer gesagt, daß der Schulversuch nur dann zustandekomme, wenn es personell möglich sei. Landesrätin Elisabeth Gehrer, (...), beteuerte ihr Interesse am Zustandekommen des Schulversuches, schränkte aber ein, daß die Regelklassen mit Lehrern versorgt werden müßten, bevor ein außerordentliches Projekt realisiert werden könne." (Rauchegger H., 1994, S.25f.)

Schlußendlich kam es doch noch zu einer positiven Wende, da sich zwei Sonderschullehrerinnen aus anderen Bundesländern (Kärnten/Tirol) bereit erklärten, in den integrativen Schulversuchen zu unterrichten. Mit der Einrichtung der ersten Integrationsklassen in Lustenau und Andelsbuch im Schuljahr 1990/91 wurde der Grundstein für die weitere Entwicklung der Integrationsbewegung in Vorarlberg gelegt.

6.1.2. Die schulische Integration nimmt ihren Lauf

Durch die Erhöhung der integrativen Schulversuche von 10% auf 20% der Sonderschulklassen wurden im Schuljahr 1991/92 zwei weitere Integrationsklassen mit den Standorten in Bürs und in Dornbirn-Rohrbach genehmigt.

Neben der Einrichtung dieser Integrationsklassen war das Schuljahr 1991/92 vor allem durch Aktivitäten der AIV und der Landesrätin Gehrer gekennzeichnet. So versprach Frau Gehrer Anlaufstellen für die Integrationsberatung in allen Bezirken Vorarlbergs, durch das Institut für Sozialdienste sowie die Bestellung eines/einer Landesschulinspektors/-inspektorin für Sonderpädagogik und Integration. Zudem veranlaßte die Landesschulrätin die Erstellung einer Punktation zur "Integration Behinderter in Kindergärten und Schulen".

Auffallend und zugleich traurig an dieser Punktation ist, daß von einer "Möglichkeit der Integration" ausgegangen wird, die wiederum von verschiedenen Bedingungen abhängt:

  • "Integrationsfähigkeit des Kindes.

  • Art der Behinderung (...).

  • Soziales Umfeld des Kindes inbesondere Familie, Eltern.

  • Rahmenbedingungen der betreffenden Schule (LehrerInnen, Didaktik, Schulorganisation)."

(Landesschulrat für Vorarlberg, 1991, S.6)

Ganz erstaunt waren wir über jene Feststellung der VerfasserInnen dieser Punktation, daß Vorarlberg Vorreiter (!) in den Bemühungen um Integration sei.

"In Vorarlberg gehen die Bemühungen um die Integration von Behinderten weit zurück. Auch wenn keine formal als Schulversuche deklarierten Integrationsmodelle angemeldet wurden, kann festgestellt werden, daß Vorarlberg auch auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle inne hat." (Landesschulrat für Vorarlberg, 1991, S.14)

Beim Durchlesen dieses "Lobgesangs" mußten wir uns nochmals rückversichern, was die Autoren/Autorinnen unter dem Begriff "schulische Integration" verstehen. Denn bei den Ausführungen zu dieser angeblichen Vorreiterrolle scheiden sich die Geister der Vorstellung von Integration. So ist es für uns ein Rätsel, daß Maßnahmen wie Rehabilitationsprogramme, Pflegegeld und Familienzuschüsse, Ausbau von therapeutisch ambulanten, heilpädagogischen Beratungsstellen etc. (siehe S.14f. der Punktation), die unumstritten einen wichtigen Stellenwert einnehmen, automatisch mit schulischer Integration zu verbinden sind bzw. diese bewirken sollen.

Aber nicht genug der Lorbeeren, Vorarlberg hatte stets "die Nase vorn":

"Auch im Schulbereich war die Integration stets ein pädagogisches Anliegen. So läuft bspw. seit mehr als 10 Jahren in Vorarlberg das Modell "Integration von Gehörlosen in der Berufsschule", das zwar nicht offiziell als Integrationsmodell angemeldet wurde, sich jedoch sehr bewährt hat und eines der ersten Integrationsmodelle in Österreich darstellt. Hervorragende Beispiele liefern jene vier Blinde, welche Gymnasium, Handelsschule oder Universität besuchen." (Landesschulrat für Vorarlberg, 1991, S.15)

Vor allem das Beispiel der vier Blinden erweckte bei uns den Anschein, daß krampfhaft nach sogenannten "Integrationsbeispielen" gesucht wurde, die eigentlich nur insofern als Integration bezeichnet werden können, als daß es eben Blinde waren, die mit Sehenden ein und dieselbe Schule besucht haben, ohne daß integrationsspezifische Maßnahmen, wie sie heute der Fall sind, vorgenommen wurden. Uns ist durchaus bewußt, daß in Vorarlberg einiges für behinderte Menschen getan wird. Bezüglich der schulischen Integration jedoch hat Vorarlberg, ohne jeden Zweifel, vieles aufzuholen, was auch durch die in der Punktation angeführten Beispiele schulischer Integration nicht verschleiert werden kann.

Zusätzlich zum verherrlichenden Rückblick wurde auf die Zukunft bedacht und Bezirksschulinspektor Philipp Bitsche, der laut Eltern behinderter Kinder und Integrationslehrern/-lehrerinnen ein Gegner der Integration ist, als wissenschaftlicher Begleiter zur Betreuung der Integrationsprojekte bestellt.

Die AIV, die bereits 1991 das Recht der Eltern auf freie Schulwahl forderte, veranstaltete im Dezember 1991 ein Pressefrühstück/-gespräch, zu dem VertreterInnen verschiedener Medien (VN, ORF, Tiroler Tageszeitung etc.) eingeladen wurden. Die VertreterInnen des Vereins informierten über die zweijährige Tätigkeit der AIV, über die laufenden Schulversuche, sowie über anstehende Probleme, wie die generelle Zuteilung von sechs Stunden für einen/eine SonderschullehrerIn pro behindertem Kind, der finanzielle Nachteil von in Integrationsklassen unterrichtenden Sonderschullehrern/-lehrerinnen und das Fehlen einer fachlich geeigneten Person für die wissenschaftliche Begleitung. Weiters forderten sie den Ausbau unterstützender Strukturen für Eltern und LehrerInnen, sowie die Errichtung unabhängiger kompetenter Integrations-Beratungsstellen. Zusätzlich wurden auch Ausschnitte der von Landesrätin Gehrer vorgelegten Punktation bemängelt.

"Landesrätin Gehrer setzte den erhobenen Vorwürfen entgegen, daß die Eltern "offene Türen einrennen" würden. Die von den Eltern eingeforderten Maßnahmen seien in dem von ihr vorgelegten Integrationskonzept enthalten, aber offensichtlich zu wenig bekannt. (...) Die Integration sei für sie kein Gnadenakt der Schule, sondern selbstverständliches Recht." (Rauchegger H., 1994, S.35)

Hier stellt sich uns unweigerlich die Frage, wie sich das selbstverständliche Recht auf Integration mit den Bedingungen, die ein Kind für die schulische Integration erfüllen muß (vgl. S.103), vereinbaren läßt?

Da mit dem Schuljahr 1992/93 das Auslaufen der integrativen Schulversuche gesetzlich vorgesehen war (11.SchOG-Novelle), fand im Mai 1992 eine bundesweite Unterschriftenaktion "Resolution zur Wahrung der Menschenrechte von Familien mit behinderten Kindern" statt, an der sich die AIV beteiligte.

"Wir haben eben vor drei Jahren, da ist es losgegangen, da haben wir dann angefangen, ganz aktiv zu werden, damit die Integration Gesetz wird. Da haben wir österreichweit Unterschriften gesammelt. Und in Vorarlberg haben wir über 14.000 Unterschriften gesammlt." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Im Juli 1992 wurde auf Wunsch der Eltern die Beratungsstelle "DIALOG" im Institut für Sozialdienste eingerichtet (vgl. Kapitel 6.2.6.).

Die pro und kontra Stimmung, die die Integrationsbewegung von Beginn an begleitet hat, war auch 1992 noch präsent, was sich unter anderem durch die Medien äußerte. So nahm Landesschulrat Wieser in Bezug auf die Frage nach der gesetzlichen Verankerung der Integration positiv dazu Stellung:

"Während die oberste Schulbehörde in dieser Frage noch zaudert, ist für Ernst Wieser die Sache klar: "Die Schulversuche müßten eigentlich bewiesen haben, daß Integration sinnvoll ist." Eine Verlängerung wäre für ihn deshalb nicht mehr als eine Verlegenheitslösung." (VN, 13.Mai 1992)

Negative Äußerungen kamen unter anderem von Seiten der Sonderschule:

"Von den Sonderschuldirektoren werden die Integrationsbemühungen mit Skepsis betrachtet. Sie befürchten eine Überforderung der behinderten Kinder und glauben, daß ihnen der Schutzraum genommen wird." (VN, 24.Juli 1992)

Lustenau-Kirchdorf, Lustenau-Rheindorf und Dornbirn-Haselstauden waren die drei weiteren Integrationsklassen, die im Schuljahr 1992/93 eingerichtet wurden. Auch hier trug der Mangel an Sonderschullehrern/-lehrerinnen fast zum Scheitern bei. Politisch ist dieses Schuljahr bezüglich der schulischen Integration im Land Vorarlberg vor allem durch folgende Aktivitäten gekennzeichnet:

  • Enquete zur Integration behinderter Kinder in Kindergarten und Schule: Zur Information der Abgeordneten wurden im September 1992 vom Vorarlberger Landtag Sachverständige sowie InteressensvertreterInnen eingeladen.

Bei dieser Enquete wurde folgende Schlußfolgerung gezogen:

"Daß die Integration behinderter Kinder in erster Linie vom politischen Willen und nicht zuletzt vom nötigen Geld abhänge." (Rauchegger H., 1994, S.41)

  • Im November 1992 richteten die Grünen eine Anfrage an die Landesrätin Gehrer bezüglich der Ausbildungsmöglichkeiten und der finanziellen Gleichstellung von Sonderpädagogen/-pädagoginnen in Sonderschul- und in Integrationsklassen, sowie der Übernahme integrativer Schulversuche in das Regelschulwesen. Landesrätin Gehrer nahm dazu Stellung, indem sie die Zuständigkeit für die Übernahme der Schulversuche in das Regelschulwesen und das Schaffen attraktiver Rahmenbedingungen dem Bund zuschrieb. In Bezug auf die Ausbildungsmöglichkeiten wies sie auf das seit einem Jahr angebotene berufsbegleitende Kontaktstudium, und den sich in Planung befindenden Studiengang für Sonderpädagogik an der Pädagogischen Akademie in Feldkirch hin.

  • Bestellung des Landesschulinspektors für Sonderpädagogik und Integration: Philipp Bitsche, Bezirksschulinspektor von Feldkirch, wurde im Jänner 1993 zum Landesschulinspektor für Sonderpädagogik und Integration bestellt, und übte somit einen "Doppelposten" aus. Zu dieser Ernennung haben sich zahlreiche kritische Stimmen im Land erhoben, da Bitsche als Sonderpädagoge bekannt war, der sich des öfteren gegen die schulische Integration ausgesprochen hatte. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, daß er dieses Amt Ende 1993, mit Pensionsantritt, schon wieder zurücklegen würde.

Die 15.SchOG-Novelle (vgl. Kapitel 4.1.), die im Juli 1993 beschlossen wurde, bewirkte bei zahlreichen Sonderschulpädagogen/-pädagoginnen berufliche Existenzängste, so daß sich Philipp Bitsche dazu veranlaßt fühlte, diesen neuen Mut zu machen:

"Jetzt gehe es darum, daß die Sonderschulen ein so gutes Angebot parat haben müßten, daß nicht nur Lernerfolge erzielt, sondern daß Eltern ihre Kinder auch wieder gerne in die Sonderschule schicken würden." (Rauchegger H., 1994, S.44)

Bezüglich des Standes an integrativen und gestützten Klassen im Schuljahr 1993/94 konnten wir lediglich in Erfahrung bringen, daß an 18 Standorten 23 Klassen geführt wurden, wobei wir nicht feststellen konnten, um wieviele integrative bzw. gestützte Klassen es sich dabei handelte.

Der Höhepunkt der Integrationsbewegung in Vorarlberg stellte das 9. Gesamtösterreichische Integrationssymposium in Feldkirch dar, welches im Oktober 1993 unter dem Motto "Bewegte bewegen" stattfand. Die AIV, die Organisator war, lud als Hauptreferenten/-referentinnen Jutta Schöler, Georg Feuser, Volker Schönwiese, Heinz Forcher u.a. ein, die zum Schwerpunkt "Integration in der Sekundarstufe" mit ihrer Kompetenz neue Sichtweisen eröffneten. Das Symposium wurde von rund 400 Fachleuten, Betroffenen und Interessierten besucht, was die Erwartungen der VeranstalterInnen weit übertraf.

Im November 1993 erfolgte der Spatenstich für die "Schule Weidach", die als "Integrationsmodell" vorgestellt wurde. Dieses "Integrationsmodell" beschrieben die VN wie folgt:

"Der dreigeschossige Schulbau ist als Integrationsschule für behinderte und nichtbehinderte Volksschüler konzipiert. Er beinhaltet 16 Normalklassen mit fünf dazwischenliegenden Gruppenräumen und Nebenräumen sowie acht Sonderklassen mit Nebenräumen und einem Sondergruppenraum." (VN - Heimat, 4.November 1993) (vgl. Kapitel 6.1.3.)

Nachdem der Landes- bzw. Bezirksschulinspektor Philipp Bitsche per 31.Dezember 1993 in den Ruhestand trat, übernahm der Sonderpädagoge Günter Gorbach die Stelle des Landesschulinspektors für Sonderpädagogik und Integration.

Der Sonderschullehrer Kurt Reininger, der nach Philipp Bitsche mit der wissenschaftlichen Begleitung beauftragt wurde, legte dieses Amt mit dem Ende des Schuljahres 1994 nieder, wobei bis zum jetzigen Zeitpunkt diese Stelle von keinem/keiner NachfolgerIn angetreten wurde. (vgl. Kapitel 6.2.3.)

6.1.3. Die schulische Integration im Rückzug?

Zu Beginn des Schuljahres 1994/95 wurden in Vorarlberg von 157 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf 107 SchülerInnen in 26 Integrationsklassen an 24 Standorten, und 50 SchülerInnen in 38 gestützten Klassen an 35 Standorten unterrichtet.

Bei den 26 integrativen Klassen handelt es sich um 24 Volksschulklassen und zwei Hauptschulklassen (HS Egg, HS Lustenau). Die StützlehrerInnenklassen beschränken sich derzeit auf den Bereich der Volksschule.

Die Behauptung der Landtagsabgeordneten Hiltraud Wieser, daß es geradezu paradox und realitätsfern sei, geistig behinderte SchülerInnen in Allgemeinbildende Höhere Schulen integrieren zu wollen, löste eine Welle von Reaktionen aus. Diese Stellungnahme von Frau Wieser stellt für uns einen der größten Rückschritte in den Bemühungen um schulische Integration dar.

Der Leserbrief von Frau Wieser, der in den VN (3.Februar 1995) veröffentlicht wurde, vermag besser als tausend Umschreibungen, ihre Einstellung zur Integration zu vermitteln.

Integration geistig Behinderter in AHS

Daß sich auch die SPÖ-Zukunftswerkstätte dieses Themas annimmt, verdeutlicht die Richtung, woher dieser ideologische "Integrationswind" weht. Es ist geradezu paradox und zudem realitätsfern, geistig(!) behinderte Schüler in die Allgemeinbildenden Höheren Schulen integrieren zu wollen, denn ein Vergleich mit den Hauptschulen zeigt, daß bei gleichem Bildungsziel sämtliche Leistungsgruppen in der ersten Stufe absolviert werden müßten, und dies schaffen bekanntlich nicht alle Hauptschüler. Für geistig und körperlich behinderte Menschen wurde und wird sehr viel getan in unserem Land, mit dem Ziel die Selbständigkeit und Integration in die Gesellschaft zu fördern. Dafür wurden mit großem finanziellen Aufwand (Steuergelder und Spenden) Sonderschulen, Tagesheimschulen, Beschützende Werkstätten errichtet sowie Pädagogen und Betreuungspersonal ausgebildet. Als interessierte Politikerin und Sozialsprecherin der Freiheitlichen konnte ich mich bei Besichtigungen und in Gesprächen persönlich über die Funktionalität der Einrichtungen überzeugen und feststellen, mit wieviel Engagement die Betreuer ihre, nicht immer leichte, Arbeit verrichten. Es ist wichtig behinderte Menschen nicht zu isolieren, sondern sie in die Gesellschaft zu integrieren. Im Rahmen des Projektunterrichts ist es den meisten Schulen möglich, auf sportlicher, kultureller oder sozialer Ebene, auch längerfristige Kontakte zu behinderten, gleichaltrigen Menschen zu knüpfen zum gegenseitigen Kennenzulernen und um Verständnis für eine Behinderung zu wecken. Daß Behinderte für fragwürdige Experimente mißbraucht werden, muß entschieden abgelehnt werden!

LABG. Hiltraud Wieser, Frastanz

Die emotionalen Reaktionen darauf:

"Integration ist Herzenssache"

Vorneweg: Seit fünf Jahren bin ich in Integrationsgruppen tätig. Ich möchte also nicht Gefahr laufen, in einen ideologischen Grabenkampf (F gegen SPÖ) hineingezogen zu werden, wie dies die LAbg. Wieser gerne hätte. Mir ist bisher zwar noch nie aufgefallen, daß es einer ideologischen Richtung vorbehalten wäre, ein behindertes Kind zu bekommen und es dann menschenwürdig in seinem Leben zu begleiten. Meine bisher gemachten Erfahrungen sind die, daß die Integration von Kindern mit geistiger Behinderung für jede Gruppe eine enorme Bereicherung darstellt. Ich möchte sogar soweit gehen, daß eine Gesellschaft, die aufhört, Alte, Kranke oder Behinderte auszugrenzen, an Menschlichkeit und innerer Wärme gewinnt. Seine eigenen Schwächen und die der anderen zu kennen und zu akzeptieren, ist ein Wesensbestandteil der Integration - genauso wie seine Stärken zu erkennen und diese in den Dienst der Gruppe (bzw. der Gesellschaft) zu stellen. Diese Menschlichkeit, dieses soziale Lernen möchte ich auch angehenden Akademikern in den AHS nicht vorenthalten. Menschlichkeit hat keine Grenzen, also hat auch die Integration keine.

Andreas Holzknecht, Wolfurt

(VN, 18.Februar 1995)

Verhinderung Behinderter

Wäre es nicht ein ernstes Thema, könnte man leichthin den Kopf schütteln und lächeln. Man will politisches Kleingeld verdienen, indem beim Thema geistig Behinderter Stimmung gemacht wird. Ist das die Freiheit, die die "F" meinen? Aber nun in aller Ruhe noch einmal, damit Frau LAbg. Wieser versteht, was gemeint ist: 1. Es geht darum, nicht von vornherein Grenzen der Integration zu fordern, sondern Integration, wo immer sie möglich ist, zu unterstützen. 2. Es geht darum, daß gerade Mittelschüler, also künftige Führungskräfte, in mitmenschlichen Belangen sensibilisiert werden. Weshalb sollten Hauptschüler Kontakte mit behinderten Menschen haben, nicht aber Gymnasiasten? Gerade in den Chefetagen mancher Unternehmen fehlt es oft nicht an fachlicher, wohl aber an menschlicher Kompetenz. 3. Es geht vor allem auch darum, Behinderte nicht immer nur als Menschen, denen etwas fehlt, zu begreifen. Wir wollen doch nicht neuen Ghettos das Wort reden, oder Frau Wieser? Wir brauchen keine Politik, die Mehrheiten gegen Minderheiten mobilisiert!

Dr. Brigitte Baschny, Feldkirch, Leiterin der Zukunftswerkstatt

(VN, 14.Februar 1995)

Auch die AIV bezog Stellung zur Integration in der AHS und sprach von der Wichtigkeit des gemeinsamen Aufsteigen-Könnens. Dabei geht es der AIV nicht um einen Maturaabschluß für behinderte Kinder, die weiterhin nach dem ihrer Behinderung entsprechenden Lehrplan unterrichtet werden sollen, sondern darum, daß die Klasse nicht auseinandergerissen wird.

Ein weiterer Rückschritt in der Integrationsbewegung ist im Projekt "Schule Weidach" zu sehen, wobei die Vorgeschichte zuerst sehr vielversprechend war.

Bereits vier Jahre vor der Eröffnung der Schule Weidach wurde auf Anraten des Bregenzer Bürgermeisters Siegfried Gasser eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE), die sich aus Volks- und Sonderschullehrern/-lehrerinnen aus Bregenz und Umgebung zusammensetzte, zur Erstellung eines pädagogischen Konzepts gegründet.

Die Arbeitsgemeinschaft sah ihre Aufgabe in der konsequenten Verwirklichung des Integrationsgedankens, der durch das bereits geplante räumliche Nebeneinander von Volks- und Sonderschule mit gemeinsamer Direktion erheblich gefährdet war.

"Die Kernpunkte des Konzepts sind pädagogische Argumente, weshalb gemeinsames Leben und Lernen für alle Kinder wertvoll und wichtig ist. Weiters enthält es eine Vielzahl an Ideen, wie ein kindgerechter Unterricht an dieser Schulform gestaltet werden kann, eine Vorstellung bestehender Konzepte europaweit und nicht zuletzt Wünsche und Vorstellungen der Eltern, erarbeitet vom AIV." (Sieber-Mayr B., Dreier-Graninger S., 1994, S.8)

Außerdem fanden regelmäßig Sitzungen mit Vertretern/Vertreterinnen der Stadt, des Landes- und der Bezirksschulbehörde sowie den Direktoren der Volks- und Sonderschule Bregenz-Augasse statt, in denen die Voraussetzungen zur Realisierung integrativer Ziele für das Projekt Weidach diskutiert wurden. Das geringe Interesse von Seiten der Sonderschule äußerte sich darin, daß nur jene SonderschullehrerInnen, die bereits in der ARGE mitarbeiteten, sowie der Sonderschuldirektor Erich Franz, der zukünftige Leiter der Schule Weidach, an den Sitzungen teilnahmen.

"Ein konstruktiver Verlauf dieser Gespräche scheiterte meist an den Befürwortern der althergebrachten Form der Sonderschule, die sich eine derart innovative Schulgestaltung nicht vorstellen können. Es tauchte sehr bald die prinzipielle Frage auf: Kann eine Schule mit dem Auftrag, integrative Ziele zu erfüllen, von Leuten geleitet und vertreten werden, die immer noch dem herkömmlichen Modell der Sonderschule das Wort reden und Integration für eine Modeströmung halten, die bis in wenigen Jahren wieder von der Bildfläche verschwinden wird?" (Sieber-Mayr B., Dreier-Graninger S., 1994, S.8)

Mitte 1993 wurde das Vorkonzept der ARGE in einer dieser Sitzungen vorgestellt und löste großes Interesse sowie den Wunsch, es in die weitere Planung und Durchführung des Projektes "Schule Weidach" einzubinden, aus. Daraufhin wurde das Vorkonzept dem Lehrkörper der Volks- und Sonderschule Augasse vorgestellt. Einige SonderschullehrerInnen und der Direktor Erich Franz reagierten mit einem Gegenkonzept.

"Dieses "Konzept" und die vielen öffentlichen Äußerungen des zukünftigen Direktors der Schule Weidach, Erich Franz, gegen den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder schmerzen jeden Integrationsbefürworter." (Sieber-Mayr B., Dreier-Graninger S., 1994, S.8)

Im Zuge dieser Auseinandersetzung zog sich Bürgermeister Gasser mit der Begründung, die Unterrichtsgestaltung sei Sache der LehrerInnen, zurück, worauf auch von der Stadt keine Sitzungen mehr einberufen wurden. Auch die ARGE stellte in Folge der offensichtlichen Resignation ihre Arbeit ein.

Die Schule Weidach wurde im März 1995 der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit der Eröffnung bewahrheiteten sich die Befürchtungen der ARGE, da innerhalb dieses Millionenprojektes immer noch eine äußere Differenzierung der SchülerInnen stattfindet, denn es handelt sich bei der Organisationsform um eine "Volksschule mit angeschlossenen Sonderschulklassen".

"Neu an diesem Konzept ist, daß alle Formen des integrationsorientierten Unterrichts angeboten werden. Von der regulären Klasse über die Integrationsklasse, in der die besonders betreuungsbedürftigen Kinder von einer zusätzlichen Lehrperson unterstützt werden, bis hin zur Schulklasse von Schwerstbehinderten." (NEUE, 8.März, 1995)

Was ist das für ein Verständnis von Integration, wenn

  • gesunde Kinder in regulären Klassen,

  • betreuungsbedürftige ("gut" integrierbare) Kinder in Integrationsklassen und

  • "schwer"behinderte Kinder in Schwerstbehindertenklassen unterrichtet werden?

Im Fall der Schule Weidach, die von den Medien als "neuer Weg zur Integration" beschrieben wird, beschränkt sich die Integration im Großen und Ganzen wieder nur auf ein räumliches Nebeneinander von behinderten und nichtbehinderten Kindern.

Traurig aber wahr ist, daß trotz der vorhandenen finanziellen Mittel (geschätzte Baukosten 185 Millionen Schilling) und eines vollkommen behindertengerechten Gebäudes, des pädagogischen Know-how (vier Jahre unendgeldliche Arbeit der ARGE) sowie der notwendigen Volks- und SonderschullehrerInnen auf dem Weg zur Integration "ohne Wenn und Aber" ein großer Schritt zurück gemacht wurde!

6.1.4. Widerstände gegen die schulische Integration

Die Widerstände gegen die schulische Integration, die Adriane Feurstein folgendermaßen beschreibt, begleiten diese seit Beginn der Integrationsbewegung 1989: "Und der Widerstand von Seiten der Schulbehörde war unheimlich groß damals. Es waren auch noch andere Leute, teils vom Inspektor, teils von der Landesschulabteilung her. Aber das hat uns Eltern eher mobilisiert. Dadurch sind wir noch stärker geworden. Und durch großen Widerstand sind dann die ersten zwei Integrationsklassen eingerichtet worden." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Widerstände machten sich auch im November 1991 bemerkbar, als Brigitte Flinspach (die Grünen) und Elmar Mayer (SPÖ) den Antrag stellten, Volker Schönwiese und Reinhard Hug zum Thema "Integration behinderter Kinder in Kindergarten und Schule" in den Ausschuß des Landtags einzuladen. Dieser Antrag wurde jedoch im Landtag mit ÖVP-Mehrheit abgelehnt. Die Grünen und die SPÖ zogen daraufhin aus dem Ausschuß aus und gaben eine Pressekonferenz, deren Ergebnis in der bereits erwähnten Enquete (siehe Kapitel 6.1.2.) zu sehen ist.

"In einem Leserbrief in der NEUEN kritisierte Dr. Josef Christian Aigner die "kindische" Haltung der zuständigen Landesrätin, die - wie man aus gutinformierten Elternkreisen höre - mit diesen hochqualifizierten Experten einfach nicht mehr rede. Es sei doppelzüngig, das Fehlen wissenschaftlicher universitärer Kompetenz im Land zu bejammern, solche Kompetenz aber zurückzuweisen, wenn sie nicht den ideologischen Vorgaben der Landesregierung entspreche." (Rauchegger H., 1994, S.33f.)

Zusätzlich zum Widerstand von Seiten der Schulbehörde und der Landesregierung formierte sich eine Elternbewegung, die sich gegen die schulische Integration aussprach. Im Zuge dessen übergaben sie im Jänner 1993 der Landesrätin Gehrer 700 Unterschriften zugunsten der Sonderschule mit der Begründung, daß Integration nicht für alle Kinder erstrebenswert sei. Sie waren der Ansicht, viele Kinder könnten dem Druck der Regelschule nicht standhalten, da ihnen dort ihre Rolle als VersagerInnen stets vor Augen geführt werde.

Auch der Widerstand aus dem Lager der Sonderschule, der bereits in den vorangegangenen Kapiteln erwähnt wurde, begleitete die Integrationsbewegung von Beginn an und scheint in absehbarer Zeit auch kein Ende zu nehmen.

6.2. AnsprechpartnerInnen rund um die schulische Integration in Vorarlberg

Die schulische Integration bedarf nicht nur innerschulischer Veränderungen, sondern auch Informations- und Beratungsstellen zur Unterstützung von Eltern, Lehrern/Lehrerinnen - kurzum aller, die an Integration interessiert sind.

Im Zuge unserer Auseinandersetzung mit der schulischen Integration in Vorarlberg haben wir uns nach dem Motto "wer suchet der findet" auf die Suche nach solchen Ansprechpartnern/-partnerinnen gemacht.

In den folgenden Kapiteln stellen wir nun diese AnsprechpartnerInnen rund um die schulische Integration vor.

6.2.1. Gespräch mit dem Landesschulinspektor für Sonderpädagogik und Integration

PROTOKOLL

Gespräch mit dem Landesschulinspektor, Herrn Gorbach Günter, am 27. Jänner 1995, von 8.15 Uhr bis 9.15 Uhr, im Amt des Landesschulrates für Vorarlberg in Bregenz.

"Schulische Integration in Vorarlberg"

15. Schulorganisationsgesetz-Novelle

Gemeinsame Besprechung der 15. Schulorganisationsgesetz-Novelle unter besonderer Berücksichtigung folgender Paragraphen:

§ 27a (1) und (2): "Sonderpädagogische Zentren" (SchOG);

§ 8 "Schulbesuch bei sonderpädagogischem Förderbedarf" (SchPflG)

Über Sonderpädagogische Zentren

In Vorarlberg gibt es derzeit noch keine Sonderpädagogischen Zentren. Demnächst findet eine Sitzung der verschiedenen Gremien statt, in der die Standortbestimmung solcher Zentren festgelegt wird. LSI Gorbach kann sich nicht vorstellen, daß die Sonderschulen als sonderpädagogische Zentren nur noch Beratungs- und Koordinationsfunktion haben. Für ihn ist es wichtig, daß für die Eltern weiterhin die Möglichkeit besteht, daß sie zwischen der Sonderschule und der Regelschule wählen können.

LehrerInnen - LehrerInnenausbildung - LehrerInnenfortbildung

Zum Großteil wird den Lehrern/Lehrerinnen freigestellt, selbst zu entscheiden, ob sie in einer Integrationsklasse unterrichten wollen oder nicht. LehrerInnen, die sich nicht freiwillig für eine Integrationsklasse entscheiden, können im äußersten Bedarfsfall jedoch eingeteilt werden. LSI Gorbach geht davon aus, daß einige LehrerInnen, die nicht freiwillig in einer Integrationsklasse unterrichten, doch Gefallen daran finden. Es gibt aber auch welche, deren Arbeitshaltung durch die mangelnde Qualifikation und Motivation beeinträchtigt bleibt. Für manche LehrerInnen ist, wie LSI Gorbach aus gemeinsamen Gesprächen erfuhr, das Unterrichten in der Integrationsklasse eine neue Motivation für ihren Beruf. Laut LSI Gorbach ist die Bereitschaft, in einer Integrationsklasse zu unterrichten, größtenteils vorhanden, obwohl es auch SkeptikerInnen unter den Lehrpersonen gibt.

Derzeit herrscht ein großer Mangel an Sonderschullehrern/-lehrerinnen. Grund für den Mangel ist, daß es in Vorarlberg keine spezielle SonderschullehrerInnenausbildung gibt. Diese Ausbildung ist im Land nur für diejenigen möglich, die bereits LehrerInnen (Kontaktstudenten/-studentinnen) sind sowie für Studenten/Studentinnen der Pädagogischen Akademie. Sie kann nebenberuflich als Weiterführung des Studiums (Angebot vom pi des Landes) absolviert werden, was jedoch mit viel Zeitaufwand verbunden ist.

An der PädAk werden nur wenige Vorlesungen, denen sonderpädagogische Inhalte zugrunde liegen, angeboten. Es werden seit längerem Gespräche darüber geführt, die derzeitige LehrerInnenausbildung zu verändern - so zum Beispiel, daß ein Schwerpunkt Sonderpädagogik im Hinblick auf die Integration eingerichtet wird.

Vom Pädagogischen Institut (pi) des Landes Vorarlberg werden einige Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, sowie Supervision in Bezug auf die Integration angeboten. Die Angebote werden allgemein von den Lehrern/Lehrerinnen sehr gut angenommen.

Das pi veröffentlicht pro Semester eine Broschüre "fortbilden, weiterbilden", in der sämtliche Veranstaltungen aufgelistet sind.

Beratungs- und BetreuungslehrerInnen

Derzeit sind in Vorarlberg fünf Beratungs- und BetreuungslehrerInnen tätig. LSI Gorbach gab uns hierzu ein Informationsblatt, welches eine Kurzbeschreibung ihrer Tätigkeit sowie Kontaktadressen enthält (siehe Anhang).

Beginn der Integrationsbewegung in Vorarlberg

LSI Gorbach setzt den Beginn der Integrationsbewegung vor ungefähr fünf Jahren fest (mit dem Schuljahr 1994/95 erste integrative Hauptschulklasse). Die Integrationsbewegung wurde hauptsächlich von betroffenen Eltern, die sich zu Elternvereinen zusammenschlossen, initiiert. Im Zusammenhang mit dieser Bewegung wurden verschiedene Anlaufstellen, wie die Arbeitsgemeinschaft AIV und das DIALOG, gegründet (vgl. Kap. 6.2.5., 6.2.6.).

Stand der Integrationsbewegung

Aktueller Stand der schulischen Integration: siehe Anhang.

Wissenschaftliche Begleitung

LSI Gorbach mißt der wissenschaftlichen Begleitung einen hohen Stellenwert bei. Bis zum Herbst 1994 war Herr Reininger als wissenschaftlicher Begleiter tätig, legte dieses Amt jedoch zurück. Derzeit wird noch nach einem/einer NachfolgerIn für diese Tätigkeit gesucht (vgl. Kap. 6.2.3.).

Elternbereitschaft

Laut LSI Gorbach gab es bisher bei der Einrichtung von Integrationsklassen keine Probleme von Seiten der Eltern nichtbehinderter Kinder. Es gibt aber auch Eltern, die der Integration skeptisch gegenüberstehen. Eltern behinderter Kinder entscheiden sich sowohl für Sonderschulen als auch für Integrationsklassen.

Die SchülerInnenzahlen in den Sonderschulen sind nicht merklich zurückgegangen, wobei jedoch beachtet werden muß, daß immer mehr Kinder, die bisher als schulunfähig bezeichnet wurden, nun den Unterricht der Sonderschulen in Anspruch nehmen.

Öffentlichkeitsarbeit

Die Öffentlichkeitsarbeit liegt im Aufgabenbereich der Direktoren/Direktorinnen und Bezirksschulräte/-rätinnen. Diese haben die Eltern darauf hinzuweisen, welche Möglichkeiten der Beschulung es gibt. Der LSI als zweite Instanz ist unter anderem für die Fort- und Weiterbildung der LehrerInnen zuständig. Er ist auch Koordinator zwischen verschiedenen Institutionen. Weiters besucht er diverse Veranstaltungen und Versammlungen von Elternvereinen, sowie LehrerInnenstammtische.

Wünsche für die Integration

LSI Gorbach wünscht sich das Weiterbestehen der Sonderschule neben den Integrationsklassen, da die Sonderschule gewisse Vorteile, wie die Arbeit in Kleingruppen, mit sich bringt.

Für manche Kinder soll nicht das Erlernen von Kulturtechniken im Vordergrund stehen, sondern eine basale Förderung. Hier stellte er die Überlegung an, ob Lesen und Schreiben für jedes behinderte Kind einen derart hohen Stellenwert haben, wie wir ihn diesen Kulturtechniken beimessen. Er hält es in einigen Fällen für sinnvoller, sich auf basale (also grundlegende Dinge), in Bezug auf die Nahrungsaufnahme, soziale Kontakte etc. zu konzentrieren. LSI Gorbach berichtet von einer Gruppe von Lehrpersonen, die sich seit längerer Zeit mit der Konzepterstellung eines neuen Lehrplanes für die basale Förderung befaßt.

Die Vorteile von Integration liegen für LSI Gorbach im Abbau von Berührungsängsten. Für ihn ist es wichtig, daß der Blickwinkel weiterhin auf Integration gelegt wird. Sie muß jedoch nicht um jeden Preis verwirklicht werden. Er sieht es als seine Aufgabe an, Integration zu begleiten und zu initiieren.

Probleme der Integration liegen für LSI Gorbach darin, daß behinderte Kinder in den Integrationsklassen zu Anschauungsobjekten degradiert werden. Die radikale Forderung nach Integration birgt laut Gorbach das Problem in sich, daß das Wesentliche übersehen wird. Integration geht dann zu weit, wenn Sonderschulpädagogen/-pädagoginnen für ihre Arbeit in Sonderschulen beflegelt werden.

Hierzu zitierte er folgende Stelle des Artikels "Sonderpädagogik in einer Integrationsklasse?" von B. Husinsky:

" ... der Helfer ist als Vertrauter der Institution für uns zuständig, und zwar für die Gesamtheit unserer Verhaltensweisen und unseres Zustandes. Die Zuständigkeit entspricht der des Sklavenhalters." (Husinsky B., 1994, S.21)

Fragebogen

Am Ende des Gespräches haben wir LSI Gorbach mitgeteilt, daß wir einen Fragebogen an alle in Integrationsklassen tätigen LehrerInnen senden möchten. LSI Gorbach, dem wir den Fragebogen auch gegeben haben, erklärte sich damit einverstanden.

6.2.2. Das Pädagogische Institut des Landes Vorarlberg (pi)

Das Pädagogische Institut (pi) befindet sich in 6911 Lochau, Schloß Hofen, und wird von Dir. Prof. Albert Skala geleitet.

Die Hauptaufgabe des Pädagogischen Institutes besteht darin, die Fort- und Weiterbildung für Lehrpersonen zu organisieren. Zu Beginn jedes Semesters erscheint die Broschüre "fortbilden und weiterbilden", in welcher sämtliche Veranstaltungen aufgelistet und kurz beschrieben werden.

Hartwig Morscher ist pädagogischer Mitarbeiter des pi im Bereich "Landesweite Planung" mit dem Schwerpunkt "Sonderpädagogik und Integration", wobei der Bereich Integration seit drei Jahren mit zu seinem Aufgabengebiet zählt.

Hauptberuflich unterrichtet Hartwig Morscher, welcher ausgebildeter Sonderpädagoge ist, in der sogenannten Schwerstbehindertenklasse einer Allgemeinen Sonderschule. Zusätzlich ist er für sechs Stunden pro Woche als Beauftragter für "Sonderpädagogik und Integration" beim pi beschäftigt, wobei für eine pi Stunde zwei Arbeitsstunden gerechnet werden.

Hartwig Morschers Aufgabe ist es, die Bedürfnisse und Wünsche aller im Integrations- und Sonderschulbereich tätigen Lehrpersonen bezüglich Fort- und Weiterbildung zu erfassen. Hierzu besucht er alle, in seinen Tätigkeitsbereich fallenden Schulen, um so direkten Kontakt mit den Lehrern/Lehrerinnen aufzunehmen, damit er erfassen kann, in welchen Bereichen Fortbildung gewünscht und benötigt wird. Als nächster Schritt wird abgeklärt, wieviele Lehrpersonen sich für die jeweiligen geäußerten Weiterbildungsvorschläge interessieren. Weiters kümmert er sich darum, inwieweit die Durchführung vom Finanziellen her möglich ist, und ob die Veranstaltung bezirks- oder landesweit angeboten werden soll.

Hartwig Morscher, für den es sehr wichtig ist, den Kontakt auch unter den Lehrenden herzustellen, lädt diese deshalb zu bezirksweise organisierten Stammtischen für IntegrationslehrerInnen ein. Diese Stammtische, an denen er als Mit-Initiator auch selbst teilnimmt, werden laut Morscher von 75% der IntegrationslehrerInnen besucht und finden jeweils an unterschiedlichen Schulen statt.

Zur Zeit befinden sich die Schwerpunkte für das nächste Semester (Herbst 1995) in Planung, wobei es sich hier vor allem um die Bereiche der Förderdiagnostik und der Freiarbeit handelt.

Bei seiner Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter stößt er immer wieder auf das Problem, daß es keine Ausbildung zum/zur IntegrationslehrerIn gibt. Jede Lehrperson hat die Möglichkeit, soviele Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen wie sie möchte, erhält dafür aber kein Zeugnis, das mit einem Lehramtsabschlußzeugnis, wie es z.B. in der Zusatzausbildung zum/zur SonderschullehrerIn der Fall ist, zu vergleichen wäre. Hinzu kommt, daß es durch die Freistellung für diverse Kurse zwar keine finanziellen Einbußen gibt, jedoch auch keine Gehaltserhöhung erwartet werden kann.

"Selbst der größte Idealist sagt halt irgendwann einmal, wenn ich kein Zeugnis bekomme, dann laß' ich's. Und dann auch nicht mehr bezahlt bekomme dafür." (Morscher H., 23. Februar 1995)

Pädagogisches Institut des Landes Vorarlberg

Schloß Hofen

Postfach 86

6911 Lochau

6.2.3. Der wissenschaftliche Begleiter

Kurt Reininger, Sonderpädagoge, übernahm als Nachfolger von Philipp Bitsche das Amt des wissenschaftlichen Begleiters, das er bis zum Ende des Schuljahres 1993/94 inne hatte. Für die Arbeit des wissenschaftlichen Begleiters wurde vom Land Vorarlberg eine halbe Planstelle zur Verfügung gestellt, so daß Kurt Reininger zusätzlich noch einer halben Lehrverpflichtung an einer Sonderschule nachkam.

Die Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung, die wir in allgemeiner Form bereits im Kapitel 4.3. vorgestellt haben, bezogen sich im Falle der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern auf die Evaluation der Sekundarstufe I.

Für diese österreichweite Untersuchung wurden von dem/der jeweiligen Landesschulrat/-rätin pro Bundesland zwei Standorte der Sekundarstufe I ausgesucht, die es wissenschaftlich zu betreuen galt, um bis spätestens Juli 1996 einen Endbericht über die Vor- und Nachteile, sowie die Probleme schulischer Integration von behinderten Schülern/Schülerinnen in der Sekundarstufe I zu erstellen. Dieser Endbericht soll dann zur Entscheidung der Übernahme dieser Schulversuche in das Regelschulwesen beitragen.

Da es in Vorarlberg jedoch erst ab dem Schuljahr 1994/95 integrative Hauptschulklassen gab, konnte Kurt Reininger zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit diesen Anforderungen nicht nachkommen.

"Also ich war jetzt weniger dafür zuständig, wissenschaftlich zu untersuchen, weil wenn nichts da ist, kann ich nichts untersuchen. Ich war eigentlich, ich hatte eine Betreuerfunktion." (Reiniger K., 20.Februar 1995)

An dieser Stelle muß bemerkt werden, daß jetzt, wo integrative Hauptschulklassen geführt werden, die Stelle des/der wissenschaftlichen Begleiters/Begleiterin unbesetzt ist!

Seine Aufgaben als wissenschaftlicher Begleiter beschreibt Reininger folgendermaßen:

"Das heißt, ich bin hingefahren, wie geht es euch, was braucht ihr. Ich habe Konferenzen mit ihnen gemacht und einfach Tips gegeben, wie das funktionieren kann, weil das von der Lehrerausbildung her einfach nicht da ist. Wenn sie Unsicherheiten hatten, habe ich ihnen Arbeitsmaterialien gebracht.(...) Also das war meine Aufgabe, und dann noch den Ist-Zustand zu beschreiben. Wie weit ist die Entwicklung, wieviel Lehrer unterrichten da drinnen, wie schaut das aus von der Unterstützung vom Direktor und das ganze Umfeld zu erkundigen." (Reininger K., 20.Februar 1995)

Neben der Betreuung von integrativ arbeitenden Lehrpersonen und der Sicherstellung der Rahmenbedingungen für die jeweiligen Klassen hat Kurt Reininger Moderationen über die schulische Integration in verschiedenen Gemeinden übernommen.

Diese Moderationen erfolgten auf die Anfrage einzelner Bürgermeister und dienten der Information von Eltern.

Eine weitere Aufgabe war das Sammeln der unterschiedlichen, in Vorarlberg verwendeten Formulare zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, um diese in das Schulentwicklungszentrum nach Graz zu schicken, damit eine bundesweit geltende Richtempfehlung erstellt werden kann (Vorentwurf des Formulars zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs siehe Anhang).

Bei der Vorbereitung der Übernahme der integrativen Schulversuche in die Sekundarstufe hat Reininger ebenfalls einen Beitrag geleistet, indem er Kontakte zu Hauptschulklassen in Österreich hatte (Sattledt, Linz, Wien etc.) und in diesen auch hospitierte. Die dort gewonnenen Erfahrungen hat er dann an die LehrerInnen in Vorarlberg weitergegeben, wobei einer der wichtigsten Aspekte für ihn das Aufzeigen verschiedener Möglichkeiten von Unterrichtsformen in integrativen Klassen war.

Kurt Reininger hatte auch regelmäßigen Kontakt mit dem DIALOG und der AIV.

"Da waren wir immer vier, fünf Leute, die sich regelmäßig getroffen haben, oder wo man miteinander Endlossitzungen hatte. Dadurch waren eigentlich sehr enge Kontakte möglich, und das war eigentlich das Wichtigste." (Reininger K., 20.Februar 1995)

Wie bereits erwähnt, ist Kurt Reininger Sonderpädagoge. Wir haben ihn gefragt, wie sich die "Doppelrolle", einerseits praktizierender Sonderschullehrer, andererseits wissenschaftlicher Begleiter für integrative Schulversuche, miteinander vereinbaren ließ.

"Klar, ich komme von der Sonderpädagogik und unterrichte praktisch an einer Sonderschule. Das war natürlich am Anfang, wie mich die Leute noch nicht gekannt haben, suspekt. Das kann man sich ja vorstellen. Der kommt da von der Sonderschule und meint, der kann da praktisch sagen, wie man, also ist urplötzlich für Integration, unterrichtet aber an einer Sonderschule. Das war halt schon ein bißchen suspekt. Wobei es ja an sich nicht darum gegangen ist, ob ich jetzt für Integration oder gegen die Integration bin. Sondern es ist einfach darum gegangen, das möglich zu machen bzw. die Möglichkeiten aufzuzeigen. (Reininger K., 20.Februar 1995)

6.2.4. FRAZ

FRAZ - FReiArbeitsZentrum des Pädagogischen Institutes Vorarlberg - wurde im Oktober 1991, gemeinsam mit dem "Zentrum für interkulturelles Lernen" gegründet. Das Pädagogische Institut schuf damit zwei neue Einrichtungen der LehrerInnenfortbildung in Vorarlberg, welche beide im Erdgeschoß der Volksschule Markt in Dornbirn dieselben Räumlichkeiten benutzen.

Das "Zentrum für interkulturelles Lernen", das jeden Freitag von 14.30 - 17.00 Uhr geöffnet ist, hat das Ziel, Lehrern/Lehrerinnen Hilfesstellungen beim Unterrichten von Migranten-Kindern zu geben.

Das FRAZ ist jeden Mittwoch für interessierte LehrerInnen von 14.30 - 17.00 Uhr geöffnet.

Im FRAZ sind derzeit drei Lehrpersonen beschäftigt, von denen an den jeweiligen Nachmittagen stets zwei anwesend sind, und die vom Pädagogischen Institut bezahlt werden. Es sind dies Karin Dorner, Ruth Ender-Burger und Norbert Grabher. Bei allen dreien handelt es sich um in der Praxis stehende Lehrpersonen mit diversen Zusatzausbildungen in Richtung "Offener Unterricht", "Freiabreit" und "Montessori- Pädagogik", etc..

FRAZ ist Kommunikations-Treffpunkt für LehrerInnen, die an offenen Unterrichtsformen interessiert sind. FRAZ bietet den Lehrpersonen die Möglichkeit, in einem "neutralen" Rahmen Erfahrungen auszutauschen, um sich so neue Anregungen und Impulse zu verschaffen.

FRAZ bietet durch die erfahrenen MitarbeiterInnen die Möglichkeit individueller, praxisbezogener Beratung in Bezug auf

  • Integration behinderter Kinder in Volks- und Hauptschulen. FRAZ stellt an den integrativen Unterricht den Anspruch, besser als im herkömmlichen Unterricht auf die individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen einzugehen, wobei eine Änderung der Unterrichtsgestaltung und der Lernmaterialien zu erfolgen hat.

  • die Arbeit mit Montessori-Materialien und Materialien, die für handlungsorientiertes Lernen geeignet sind.

  • die Organisation von freien Lernphasen, Wochenplanarbeit, alternativer Beurteilung, Team-Teaching, etc..

FRAZ verfügt über zahlreiche Lernmaterialien, wie das gesamte Montessori-Material und solches aus der Freinet-Pädagogik, verschiedene Lernkarteien und Lernspiele, sowie Prospekte zur Anschauung sämtlicher Lern-Materialien und Bestelladressen verschiedenster Verlage.

FRAZ stellt eine große Anzahl pädagogischer Fachliteratur zum Schmökern, Bestellen und Mitnehmen zur Verfügung. Es handelt sich hierbei unter anderem um Fachliteratur zur Gestaltung von Stundenblättern für diverse Unterrichtsfächer sowie zur Erstellung verschiedener Lernkarteien und um Integrationsliteratur. Zusätzlich können im FRAZ verschiedene pädagogische Filme (z.B. Filme über Freinet-Pädagogik) angeschaut und auch ausgeliehen werden.

FRAZ besitzt eine Anzahl technischer Geräte (Folienkaschiergerät, Spiralbindegerät, Kopierer, Schneidemaschinen, Videoapparat, Diaprojektor, Overhead) zur Erstellung von Lernmaterialien. Diese Geräte stehen jedem/jeder zur Verfügung, der in Eigenarbeit, aber auch mit Unterstützung eines/einer Mitarbeiters/Mitarbeiterin, verschiedene Materialien herstellen möchte.

FRAZ informiert alle Volksschulen, Hauptschulen und Sonderschulen des Landes Vorarlberg mittels jährlichen Aussendungen über die laufenden Aktivitäten.

FRAZ versteht sich als eine Art "Lernwerkstatt", die neben der Möglichkeit des "Ausprobierens" und "Arbeitens" mit Materialien, fachspezifische Literatur anbietet sowie eine Kommunikations- und Beratungsstelle darstellt.

FReiArbeitsZentrum

des Pädagogischen Institutes

des Landes Vorarlberg

Volksschule Markt

Schulgasse 42

A-6850 Dornbirn

6.2.5. Integration Vorarlberg - AIV

Am 17.Jänner 1990 wurde der Verein "Arbeitsgemeinschaft für Integration behinderter Kinder Vorarlberg" (AIV) im Hotel "Weißes Kreuz" in Feldkirch von Eltern behinderter Kinder gegründet.

Hauptanliegen der Gründungsmitglieder war der Wunsch nach Integration ihrer behinderten Kindern in Kindergarten und Schule. Viele der Eltern, die es leid waren, als EinzelkämpferInnen gegen den Widerstand von Seiten der Schulbehörde anzukämpfen, sahen ihre Chance zur besseren Durchsetzung ihrer Forderungen nach Integration in einer Vereinsgründung.

Die derzeitige Obfrau des Vereins ist Frau Dr. Adriane Feurstein.

Für den Verein, der derzeit ca. 180 Mitglieder zählt, bei denen es sich um Eltern behinderter und nichtbehinderter Kinder, LehrerInnen, KindergärtnerInnen, Therapeuten/Theraupeutinnen, Ärzte/Ärztinnen und andere interessierte Personen handelt, ist die Parteiunabhängigkeit ein sehr wichtiger Faktor.

"Wir bringen immer unseren Pfeffer hinein, unsere Kritik. Wir trauen uns das, weil uns tut niemand etwas, und das ist unsere Stärke. (...) Wir haben eine Narrenfreiheit, also wir können einfach stark auftreten und stark kritisieren. Wir müssen es natürlich aushalten, aber wir werden nicht gekündigt, wir verlieren keine Stelle. Also wir sind Bürger, wir haben einfach politische Rechte, wir sind Wählerstimmen und wir können Eltern mobilisieren." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Mittlerweile ist der Verein, der sich seit der Jahreshauptversammlung am 21.Februar 1995 "Integration Vorarlberg" nennt, zur Drehscheibe für Informationen, zu einem Treffpunkt für Betroffene und Interessierte, zum Initiator der praktischen Umsetzung von Integration sowie zum Vertreter der Eltern behinderter Kinder bei öffentlichen Veranstaltungen geworden.

Zu den weiteren Aufgaben des Vereins, der eindeutig für die Integration berät, so Adriane Feurstein, zählen:

  • Anleitung zur Selbsthilfe: Ein Mal pro Monat finden Eltern-, LehrerInnen- und KindergärtnerInnenstammtische an den unterschiedlichsten Orten statt. Diese Stammtische bieten die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen, Probleme zu diskutieren, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, kurzum, Erlebtes aufzuarbeiten.

  • Regelmäßige Gespräche mit Ämtern und Behörden (Bürgermeistern, Schulbehörde, Schulen, etc.) sowie Institutionen (aks, IFS, Lebenshilfe, MOHI und andere).

Für Adriane Feurstein ist es sehr wichtig, daß die Eltern die verschiedenen Behördengänge nicht alleine tätigen müssen:

"Da gehen wir von unserem Verein oft mit. Weil mir war es immer klar, ich bin die Vertreterin für die Eltern, ich bin eben für die Integration. Ich bin halt immer hart aufgetreten: das Kind braucht die und die Bedingungen, ja und jetzt müßt ihr euch halt einfach bemühen, das einzurichten." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

  • Kooperation mit den Integrationsinitiativen der anderen Bundesländer

  • Mitarbeit in verschiedenen Arbeitsgruppen:

In der ministeriellen Arbeitsgruppe, in der Adriane Feurstein als Vertreterin für Vorarlberg tätig ist, werden hauptsächlich Schulgesetze besprochen und Berichte der verschiedenen Bundesländer ausgetauscht.

In der Arbeitsgruppe des Landes Vorarlberg, die derzeit von LSI Günter Gorbach geleitet wird, werden allgemeine, sich aus der schulischen Integration ergebende Themen besprochen. Adriane Feurstein bemerkte zu dieser Arbeitsgruppe folgendes:

"Und es ist jetzt allgemein, über alles, was so anfällt. Es ist eigentlich ordentlich impulsiv, es geht lebhaft zu. Ich glaube, wenn wir Eltern nicht drinnen wären, dann würde man sich eher nett tun. Wir bringen immer unseren Pfeffer hinein, unsere Kritik." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

  • Öffentlichkeitsarbeit:

Durch Unterschriftenaktionen, die Organisation von Podiumsdiskussionen, Informationsveranstaltungen und Stammtischen, die für alle Interessierten zugänglich sind, macht der Verein auf seine Anliegen und auf bestehende Probleme bezüglich der Integration aufmerksam.

Die derzeitigen Arbeitsschwerpunkte des Vereins liegen im Bereich der Weiterführung der Integration in der Sekundarstufe sowie in der Konzepterstellung für Arbeits- und Berufsmöglichkeiten für behinderte Jugendliche.

"Momentan haben wir gerade das Thema Bregenzerwald. Da wollen sie eine riesige Förderwerkstätte und Wohnheime bauen. Da gibt es nächste Woche ein Gespräch, wobei wir sagen werden, daß sie unsere Kinder, also von Integrationseltern, nicht automatisch einplanen. Wir finden den Weg falsch, daß man quasi schon Werkstätten baut und Fachleute anstellt. Dann sagen sie, jetzt haben wir schon eine Institution, gebt eure Kinder hin, aber das wollen wir ja gar nicht." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Abschließend soll die Antwort Adriane Feursteins auf die Frage der Stellung des Vereins zur Integration, die die Haltung des Vereins "Integration Vorarlberg" wiederspiegelt, stehen:

"Also für uns ist die Integration unteilbar, das heißt, unabhängig von der Behinderung. Wir wollen auch, daß Schwerstbehinderte integriert werden. Und das eckt überall an. Also da sind wir radikal, aber das braucht es, daß sie immer wissen, da gibt es einen Verein." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Ansprechpartnerinnen:

Ursula Witwer

Sapradweg 5

6700 Bürs

Dr. Adriane Feurstein

Langegasse 1

6850 Dornbirn

Ingrid Rüscher

Hof 368

6866 Andelsbuch

Ingrid Buck

Pontenstraße 7

6890 Lustenau

Dipl.Ing. Judith Bechtold

Halden 18

6911 Lochau

 

6.2.6. DIALOG

DIALOG - Service- und Beratungsstelle in Sachen "Integration" - wurde 1992 auf Wunsch verschiedener Selbsthilfegruppen von Eltern behinderter Kinder in der Bregenzer Beratungsstelle des Instituts für Sozialdienste (Römerstraße 35, 6900 Bregenz) eingerichtet, und wird vom Land Vorarlberg finanziert.

Im DIALOG sind derzeit zwei Personen beschäftigt: Dr. Peter Reinelt, Klinischer Psychologe und Psychotherapeut, Leiter des DIALOG und Rita Halmer, Diplomierte Sozialarbeiterin, seit 1993 Mitarbeiterin im DIALOG.

DIALOG versteht sich als Servicestelle für alle integrationsrelevanten Bedürfnisse von behinderten Menschen, Eltern, Lehrpersonen, Kindergärtnern/Kindergärtnerinnen für Behörden, Schulen und öffentliche Stellen. Mittelpunkt der Beratung bilden die Bedürfnisse des behinderten Kindes sowie das Wahlrecht der Eltern auf die Beschulungsart.

DIALOG beschäftigt sich in Zusammenarbeit mit den Eltern behinderter Kinder, Therapeuten/Therapeutinnen, Kindergärtnern/Kindergärtnerinnen, Lehrpersonen, (Schul-) Psychologen/Psychologinnen und Ärzten/Ärztinnen mit der Entwicklung der notwendigen Rahmenbedingungen für die Integration im Kindergarten, in der Schule und in der Freizeit:

  • Kindergarten: Im Bereich des Kindergartens stehen die Gruppengröße, die Beschaffung verschiedener Hilfsmittel, die Einstellung zusätzlicher Betreuungspersonen, die psychologische Betreuung des Kindergartenpersonals sowie eventuelle bauliche Veränderungen im Vordergrund.

  • Schule: Im schulischen Bereich geht es um die KlassenschülerInnenzahl, die Schulwegbewältigung, die Einrichtung verschiedener Integrationsmodelle und um bauliche Änderungen sowie die Anschaffungen von Hilfsmaterialien.

  • Freizeit: DIALOG steht in Kontakt zu diversen Jugendorganisationen, die behinderte Kinder in ihre Gruppen aufnehmen. Initiiert von der Beratungsstelle DIALOG und in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Kinderdorf werden integrative Sommerferienturnusse angeboten. DIALOG ist auch Ansprechpartner in Bezug auf die Gestaltung von Freizeit, Urlaub und Reisen für behinderte Menschen.

Zu diesen Punkten muß gesagt werden, daß sich die Beratungsstelle DIALOG als BERATUNGSstelle und nicht als Problemlösungsstelle versteht, indem sie die Bedürfnisse der kontaktierenden Personen wahrnimmt, um dann an die dafür zuständigen Stellen zu vermitteln.

DIALOG sieht es als Aufgabe an, Ansprechpartner für Eltern behinderter Kinder zu sein, und diese auf verschiedenen Wegen, wie Besuchen von in Frage kommenden Schulen, zu Förderausschußsitzungen, auf Elternabende etc., zu begleiten.

Derzeit wird die Beratungsstelle DIALOG in erster Linie von Eltern behinderter Kinder in Anspruch genommen, wenn diese vor der Entscheidung Sonderschule oder Integrationsklasse stehen, sowie bei anstehenden Problemen und Schwierigkeiten in der Integrationsklasse.

DIALOG nimmt weiters an Integrationskonferenzen mit dem Landesschulrat und dem Landeskindergarteninspektorat, die regelmäßig alle sechs bis acht Wochen stattfinden, teil. Derzeit wird in diesen Konferenzen u.a. auf die Veränderung der LehrerInnenausbildung bezüglich der Integration hingearbeitet.

DIALOG arbeitet mit dem Pädagogischen Institut (pi) und dem Freiarbeitszentrum (FRAZ) zusammen, da diese über das spezielle "Know-how" in Bezug auf die Tätigkeit von Lehrpersonen in Integrationsklassen verfügen, und somit zu deren Hauptansprechpartnern zählen.

DIALOG nimmt in der Frage nach Integration eine neutrale Stellung ein, indem den Eltern die Wahl der Beschulung des behinderten Kindes bewußt selbst überlassen wird. So möchte DIALOG, daß die Eltern behinderter Kinder alle möglichen Schulen (Sonderschulen, Volksschulen mit Integrationsklassen, Schulheim Mäder, ...) kennenlernen, mit der Begründung, daß sie ihr Kind am besten kennen und die Kompetenz für die Entscheidung der in Frage kommenden Schule haben.

"Abschließend soll ein Gedanke von Univ.-Prof. Dr. Georg Feuser, Professor für Behindertenpädagogik in Bremen stehen, vorgetragen beim 9. Symposium zur Integration behinderter Menschen in Feldkirch. "Die Arbeit an der Aufgabe Integration braucht Zeit, Hilfen und Unterstützung, und wir alle müssen auch Erfahrungen machen dürfen." (Rita Halmer Ilg, 1993, S.21)

DIALOG

Beratungsstelle für die Integration von

behinderten Kindern und Jugendlichen

Römerstraße 35, 6900 Bregenz

6.3. Gedanken zur schulischen Integration in Vorarlberg

Vorarlberg kann sich glücklich schätzen, daß es einen Verein wie die AIV gibt, denn ohne ihn und seine konsequenten Forderungen wäre die schulische Integration nicht auf dem heutigen Stand. Leider haben die Eltern der AIV immer noch mit vielen Widerständen und fehlenden bzw. unzureichenden Rahmenbedingungen zu kämpfen.

Auffallend in Vorarlberg ist die Tatsache, daß alle wichtigen Ämter, die zur Unterstützung und Initiation von schulischer Integration gedacht sind, von ausgebildeten Sonderpädagogen/-pädagoginnen eingenommen werden. Es hat fast den Anschein, als herrsche im Land die Angst, ausgesprochene IntegrationsbefürworterInnen auf relevante Posten zu setzen, vor. Wir möchten hier nicht alle Sonderpädagogen/-pädagoginnen als IntegrationsgegnerInnen darstellen aber uns ist einfach aufgefallen, daß die Stimmung unter den Sonderpädagogen/-pädagoginnen Vorarlbergs bezüglich der schulischen Integration eine skeptische ist.

Zudem stellt sich für uns die Frage, wieviele unterschiedliche Definitionen von schulischer Integration im Land vorherrschen. Denn wenn Projekte, wie die Schule Weidach, als "neuer Weg zur Integration" (NEUE, März 1995) bezeichnet werden, stellt dies mehr ein Etikettenschwindel aber keinesfalls "echte" Integration dar. Es ist traurig aber wahr, daß mit diesem Projekt, welches medial in höchsten Tönen glorifiziert wurde, den "Integrationsunerfahrenen" der Bevölkerung ein verfälschtes Bild von schulischer Integration, dessen sie sich nicht bewußt sein können, vermittelt wird. Denn "echte" Integration bedeutet nicht ein räumliches Nebeneinander von Sonderschul- und Regelschulklassen, also keine äußere Differenzierung. "Echte" Integration ist vielmehr der gemeinsame Besuch von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf von ein und derselben Klasse!

Eine weitere Aufgabe, die wir als sehr wichtig erachten, liegt in der Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt zwar Anlaufstellen, die zum Thema "schulische Integration" beraten, diese befinden sich jedoch alle im Raum Bregenz/Dornbirn, also im Unterland. Im Oberland (Raum Feldkirch/Bludenz) und im Bregenzerwald hingegen, sind uns keinerlei integrationsspezifische Einrichtungen bekannt. Damit aber alle Eltern behinderter Kinder über ihr Recht Bescheid wissen bzw. darin bekräftigt werden, muß die Öffentlichkeitsarbeit forciert und die Anzahl der Anlaufstellen ausgebaut werden. In Betracht der Widerstände, die die schulische Integration Vorarlbergs von Beginn an begleitet haben, ist es bewunderswert, was Eltern, LehrerInnen, ... zu leisten vermögen.

7. Befragung von Lehrern/lehrerInnen zur schulischen Integration

Ein wichtiger Punkt unserer Arbeit liegt für uns in der Erfassung des IST-Zustandes bezüglich der schulischen Integration im Schuljahr 1994/95 in Vorarlberg. Da es in diesem Schuljahr 65 integrative bzw. gestützte Klassen gibt (Stand siehe Kap. 6.1.3. und Anhang), war es uns zeitlich nicht möglich, in jeder dieser Klassen zu hospitieren. Um aber nicht auf Informationen "aus erster Hand" verzichten zu müssen, entschlossen wir uns, eine "Fragebogen-Aktion" zu starten. Von den 65 angeschriebenen Klassen erhielten wir 31 Fragebogen sowie einen Brief, in dem uns ein Direktor das Auflösen einer gestützten Klasse mitteilte, zurück. (Fragebogen siehe Anhang)

An dieser Stelle möchten wir uns bei all jenen bedanken, die es uns durch das Bearbeiten des Fragebogens ermöglicht haben, diese Untersuchung durchzuführen, sowie bei Michael Schratz für seine Hinweise bei der Erstellung des Fragebogens.

Im folgenden stellen wir die Auswertung des Fragebogens, der aus offenen und geschlossenen Fragen aufgebaut ist, vor, und hoffen somit, einen Einblick in den Schulalltag und die daraus resultierenden positiven und negativen Aspekte zu geben. Die Ausgangsbasis dieser Auswertung bilden die 31 Klassen (100 %), wobei hier zu bemerken ist, daß nicht jeder Fragebogen vollständig ausgefüllt wurde.

7.1. Allgemeine Erhebungen

Bei den 31 Klassen handelt es sich um 29 Volksschul- und 2 Hauptschulklassen. Die Volksschulklassen unterteilen sich in 15 gestützte Klassen, wobei eine ohne StützlehrerIn ist, sowie in 14 integrative Klassen. Die beiden Hauptschulklassen werden integrativ geführt. Unter den 31 Klassen sind 13 erste -, 8 zweite -, 1 dritte -, 3 vierte -, 4 mehrstufige Klassen sowie die beiden ersten Hauptschulklassen.

Gesetzlichen Bestimmungen zufolge (vgl. Kap. 4.3.3.) werden seit dem Schuljahr 1993/94 die integrativen Schulversuche in das Regelschulwesen übernommen, was bedeutet, daß die ersten und zweiten Volksschulklassen nicht mehr als Schulversuche gelten. In unserer Befragung geben zehn Lehrpersonen an, ihre Klassen als Schulversuch zu führen. Es sind dies die drei vierten -, zwei mehrstufige -, die beiden Hauptschul-, eine zweite -, sowie zwei "Vorschul-/Integrationsklassen" (= erste Volksschulklassen). Eine dritte Klasse ist, laut Lehrperson, bereits im Regelschulwesen.

Die 31 Klassen werden von 90 Schülern/Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht. Zwölf der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf kommen von außerhalb des Einzugsgebietes der jeweiligen Schule, wobei zwei SchülerInnen erst aufgrund einer Sprengeländerung während des Schuljahres von außerhalb sind. Bisher fand ein Schulwechsel von einer integrativen Klasse an eine Sonderschule statt, der, laut Angabe der Lehrperson, auf Wunsch der Erziehungsberechtigten stattfand.

7.1.1. Diagnose "sonderpädagogischer Förderbedarf"

Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs (siehe Kap. 4.1.) ist für das "behinderte" Kind Voraussetzung für den Besuch einer Regelschule. Um herauszufinden, was wirklich hinter dem Status "sonderpädagogischer Förderbedarf" steht, haben wir die LehrerInnen nach der Diagnose der einzelnen SchülerInnen befragt und konnten dabei folgendes in Erfahrung bringen. Die einzelnen Kategorien des Diagramms (Tab.1) haben wir aus den Angaben der LehrerInnen zusammengefaßt.

[Tabelle 1, leider nicht verfügbar]

Wie aus dem Diagramm unter der Kategorie "Sonstige" ersichtlich ist, erfolgt bei der Hälfte der SchülerInnen von Seiten der LehrerInnen keine Angabe über die Diagnose bzw. lediglich darüber, von wem (IFS, schulpsychologischer Dienst, Heilpädagogischer Sprechtag, ...) sie erstellt wurde. Bei vier Schülern/Schülerinnen, die wir ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet haben, handelt es sich um VorschülerInnen, die, mangels einer solchen, in eine Integrationsklasse eingeschult wurden. Zusätzlich zu dieser Klasse existiert ein weitere, deren Anzahl an Vorschülern/-schülerInnen uns jedoch nicht bekannt ist, und wir sie deshalb als integrative Klasse gewertet haben. Unter "Sonstige" fallen auch jene SchülerInnen die, auf Grund allgemeiner Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die schulische Leistungsfähigkeit, besondere Förderung erhalten.

Sonderpädagogischer Förderbedarf ist aber nicht mit dem Unterrichten nach dem Sonderschul- bzw. Schwerstbehindertenlehrplan gleichzusetzen. So werden zehn SchülerInnen nach dem Volksschullehrplan unterrichtet, bei denen entweder keine Diagnose angegeben wurde, oder es sich um eine Hörbehinderung, Sehbehinderung, körperliche Behinderung, Verhaltensauffälligkeit handelt. Sechs SchülerInnen werden in einzelnen Fächern je nach "Bedarf und Können" entweder nach dem Volksschul- oder nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet. Für 52 SchülerInnen erfolgt der Unterricht nach dem Sonderschullehrplan, und für weitere 18 nach dem Schwerstbehindertenlehrplan. Bei den Vorschülern/-schülerinnen erfolgt keine Angabe über die Art des Lehrplans.

7.1.2. Die wissenschaftliche Begleitung

Wie aus dem Kapitel 6.2.3. über die wissenschaftliche Begleitung ersichtlich ist, gibt es derzeit in Vorarlberg keine solche. Mit der Hoffnung, daß doch jemand, dessen Existenz wir nicht in Erfahrung bringen konnten, die LehrerInnen unterstützt, haben wir dennoch die Frage nach einer wissenschaftlichen Begleitung gestellt. Lediglich ein/eine HauptschullehrerIn gibt an, eine solche Betreuung zu erhalten. Durch wen diese erfolgt, konnte dem Fragebogen nicht entnommen werden.

7.1.3. Räumliche Veränderungen

In dreizehn Klassen wurden spezielle räumliche Veränderungen vorgenommen, wie die Anschaffung zusätzlicher Regale, Kästen, Tische und Spezialstühle. Sieben dieser Klassen erhielten zusätzliche Nebenräume. Im Fall des Kindes mit Hörbehinderung erfolgte die Wahl einer ruhig gelegenen Klasse, die mit einem Teppich zur Schalldämpfung, um, nach Angaben der Lehrperson, die Störgeräusche im Hörgerät zu vermindern, ausgestattet wurde.

In der Frage nach der Klassenraumgestaltung und in der Bitte nach einer kleinen Skizze haben sich manche LehrerInnen als "wahre KünstlerInnen" entpuppt. Ecken, seien dies nun Lese-, Kuschel-, Druckerecken, sind in zwei Drittel der Klassen vorhanden. Ebenso viele LehrerInnen sind von der traditionellen Anordnung der Bänke, wie wir sie vom Frontalunterricht her kennen, abgekommen, und haben ihre Klasse ähnlich der nachstehenden Skizze eingerichtet.

[Skizze vom Klassenzimmer, leider nicht verfügbar]

7.2. Organisatorische Erhebungen

Die Anzahl der Stunden, in denen zwei bzw. drei LehrerInnen anwesend sind, variiert sowohl in integrativen als auch in gestützten Klassen. Die Regelung der sechs Stunden pro Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf trifft für elf der gestützten Klassen in Vorarlberg zu. Den zwei blinden Schülern/Schülerinnen werden jeweils für zehn Stunden und einer Schülerin mit Lernbehinderung für fünf Stunden eine zweite Lehrperson zur Verfügung gestellt. Im Fall eines Kindes mit Hörbehinderung wurde, nach Angaben der Lehrperson, eine gestützte Klasse initiiert, die aber aus Mangel an einem/einer LehrerIn keine zusätzliche personelle Unterstützung erhält, was für ihn/sie jedoch kein Problem darstellt.

Von den vierzehn integrativen Klassen geben acht an, in allen Unterrichtsstunden als Team, also zu zweit, zu unterrichten. Bei den anderen belaufen sich die zugeteilten Stunden von 10 bis 25. Die zehn Stunden beziehen sich auf jene Klasse, die von den vier Vorschülern/-schülerinnen besucht wird.

In den beiden integrativen Hauptschulklassen sieht die Stundenzuteilung folgendermaßen aus: in 23 bzw. 28 Stunden sind jeweils zwei und in 9 (in den Hauptfächern) bzw. 6 Stunden (in den Freiarbeitsphasen) jeweils drei LehrerInnen anwesend.

Auf die Frage, wieviele Lehrpersonen in welchem Stundenausmaß anwesend sein sollten, geben 25 LehrerInnen an, sich eine Unterstützung für ihren Unterricht zu wünschen, wobei 22 deren Anwesenheit in den gesamten Stunden, zwei in zwölf Stunden und eine/einer in acht Stunden als wichtig erachten. Eine Volksschulklasse würde in manchen, und die beiden Hauptschulklassen in mehreren Stunden eine dritte Lehrperson bevorzugen.

7.2.1. Ausbildung und Aufgaben der "zweiten" Lehrperson

Die zur Unterstützung der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf anwesenden Personen bzw. die "ZweitlehrerInnen" verfügen über folgende Ausbildungen (Tab.2):

* VolkschullehrerInnenausbildung: 12 Personen

* HauptschullehrerInnenausbildung: 5 Personen

* SonderschullehrerInnenausbildung: 8 Personen

* Sonstige Ausbildung: 6 Personen

Jene sechs Personen mit sonstiger Ausbildung sind Heilpädagogen/-pädagoginnen, KindergärtnerInnen sowie BeratungslehrerInnen. Einige der Lehrpersonen können zusätzliche Qualifikationen, wie das Montessori-Diplom, die Ausbildung zum/zur Therapeuten/Therapeutin und zum/zur SprachheillehrerIn etc., vorweisen.

In 26 Fragebogen erhalten wir Auskunft über die Aufgaben der "ZweitlehrerInnen":

So geben zehn Teams an, gleichermaßen für alle SchülerInnen zuständig zu sein, wobei es sich hierbei um sechs integrative und vier gestützte Klassen handelt. In sieben integrativen und in neun gestützten Klassen wird, nach Angaben der Lehrpersonen, zwischen den Kindern differenziert, was bedeutet, daß einer/eine der beiden Erwachsenen speziell für die Unterstützung der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf anwesend ist.

7.2.2. Vorbereitungszeit in integrativen und in gestützten Klassen

26 LehrerInnen geben an, daß sie für die Vorbereitung des Unterrichtes mehr Zeit benötigen. Diese Klassen unterteilen sich in 12 integrative und in 14 gestützte Klassen.

Wie aus dem Diagramm (Tab.3) ersichtlich ist, benötigt der Großteil der Lehrpersonen (23) zusätzliche Vorbereitungszeit für die Arbeit im Team. Für 19 LehrerInnen bedeutet die Einzelvorbereitung für die SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen zeitlichen Mehraufwand. Die Vorbereitung des gesamten Unterrichtes und "Sonstiges" nehmen bei jeweils 14 Lehrpersonen mehr Zeit in Anspruch.

Unter "Sonstiges" fallen hauptsächlich die Herstellung und Vorbereitung von Unterrichtsmaterialien, Besprechungen mit Eltern, Therapeuten/Therapeutinnen usw., sowie Hospitationen in anderen Klassen.

Die restlichen fünf Befragten, zu denen vier integrative und eine gestützte Klassen zählen, haben keinen zeitlichen Mehraufwand, wobei dies von einer Lehrperson folgendermaßen begründet wird:

"würde genauso in einer "nicht integrativen" Klasse unterrichten".

Für die zusätzlich benötigte Vorbereitungszeit erhalten drei KlassenlehrerInnen Lehrpflichtermäßigungen. Dabei handelt es sich um jene gestützte Klasse ohne StützlehrerIn, sowie um eine Hauptschulklasse, die beide jeweils eine Stunde vergütet bekommen. Ein/eine VolksschullehrerIn erhält eine Lehrpflichtermäßigung im Ausmaß von drei Stunden.

7.2.3. Supervision

Das Angebot der Supervision erfolgte bei 12 der 31 Befragten, mit Ausnahme von zwei Lehrpersonen, denen es von Seiten der Schule angeboten wurde, vom pi (vgl. Kap. 6.2.2.).

Insgesamt befinden sich vier LehrerInnen in Supervision, von denen drei in integrativen und einer/eine in einer gestützten Klasse unterrichten. Die Gründe, warum Supervision für die vier LehrerInnen wünschenswert ist, sind folgende:

  • "Ich kann Probleme und wie es mir im Team geht besprechen."

  • "Bestmögliche Hilfe für Lehrerin und Klasse."

  • "Möglichkeit der Reflexion."

Für 14 der Befragten ist Supervision nur dann wünschenswert, wenn Probleme in der Praxis auftreten, und der Bedarf nach Hilfestellung sowie zur Unterstützung von außen vorhanden ist.

Nein zur Supervision sagen sieben Lehrpersonen, was sie mit einem zu großen Zeitaufwand, keinen Problemen im Team und alternativen Austauschmöglichkeiten begründen.

7.3. Erhebungen zur Unterrichtspraxis

Bei den Erhebungen zur Unterrichtspraxis hat uns vor allem interessiert, welche Elemente der Unterrichtsgestaltung (vgl. Kap. 5.4.) Anwendung finden. In folgenden Diagrammen (Tab.4), die nach integrativen und gestützten Klassen unterschieden werden, ist die Häufigkeitsverteilung graphisch dargestellt.

Aus den Diagrammen lassen sich folgende Tendenzen feststellen:

  • Weder integrativ noch gestützt unterrichtende Lehrpersonen geben an, ausschließlich frontal zu unterrichten. Allgemein läßt sich in beiden Unterrichtsmodellen ein Abkommen vom Frontalunterricht beobachten.

  • Parallel dazu nehmen freie Arbeitsphasen einen auffallend hohen Stellenwert ein, denn nur eine integrative und zwei gestützte Klassen geben an, selten dieses Unterrichtselement zu verwenden. Die Zahl jener, die nie freie Arbeitsphasen in den Unterricht einbauen, beläuft sich auf null.

  • Der Morgenkreis ist bei 25 der Befragten zu einem wichtigen Bestandteil geworden. Lediglich in einer gestützten Klasse wird gänzlich auf den Morgenkreis verzichtet.

  • Der Projektunterricht scheint sich weniger Beliebtheit zu erfreuen, da 19 von 27 Antwortenden selten bzw. nie in Projekten arbeiten.

  • Exkursionen werden jeweils von der Hälfte der befragten Lehrpersonen selten/nie bzw. regelmäßig/oft durchgeführt.

Unter der Rubrik "Sonstige" finden sich Elemente der Unterrichtsgestaltung, wie gemeinsames Zubereiten der Jause, Theateraufführungen, PartnerInnen- und Gruppenarbeiten, Wochenpläne sowie der Klassenrat, wieder.

7.3.1. Unterrichtsbeschreibungen und Unterrichtsmodelle

Da die Vorstellung der einzelnen Unterrichtsbeschreibungen den Rahmen unserer Arbeit sprengen würde, haben wir Kategorien gebildet, in denen wir ähnliche Beschreibungen zusammenfassen. Die Antworten auf die Frage 2 "Unterrichtsmodelle" und die Frage 4 "Unterrichtsbeschreibung" finden sich hier in einem Punkt wieder, da sich die Aussagen oft überschneiden bzw. ident sind.

Kategorie 1: Alternative Unterrichtsmodelle

Zu dieser Kategorie zählen wir jene Lehrpersonen, die eigenen Angaben zufolge hauptsächlich auf der Basis der Montessori-Pädagogik aufbauen, und diese somit einen Hauptbestandteil des Unterrichtes bildet. Dies bedeutet jedoch nicht, daß in den Klassen, die den anderen Kategorien zugeordnet sind, keine Montessori-Materialien verwendet werden. Von den 16 integrativen Klassen lassen sich vier, und von den 15 gestützten Klassen zwei hier zuordnen.

"Offenes Lernen nach Montessori, d. h. die Kinder lernen in ihrem eigenen Rhythmus und so lange sie wollen mit dem Material."

"Unterricht so ziemlich auf der Basis der Montessori-Pädagogik mit Elementen aus der Freinet-Pädagogik (Druckerei, Klassenrat, ...). Wenig gelenkter Unterricht, keine Sondermaßnahmen für bestimmte Kinder."

Kategorie 2: Morgenkreis - gebundene Phase - Freiarbeit

Unter diese Kategorie fallen die Klassen, in denen der Tagesablauf jeweils in die drei Elemente - Morgenkreis, gebundene Phase und Freiarbeit - gegliedert ist. Unter gebundener Phase verstehen wir den gemeinsamen Lernprozeß aller SchülerInnen, sei dies nun in Form von Frontalunterricht oder gemeinsamen Übungsphasen, in denen meistens Neues erlernt wird. Drei integrative und zwei gestützte Klassen lassen sich, ihrer Unterrichtsbeschreibung zufolge, diesem Modell zuordnen.

"1. Phase: Morgenkreis - Lesekreis - selbständiges Üben der Merkwörter während 10 bis 15 Minuten, Niederschreiben 4 bis 5 Sätzchen mit Merkwörtern;

2. Phase: gemeinsames Erlernen von Neuem - Üben von Gelerntem;

3. Phase: Freiarbeit, selbständiges Arbeiten der SS, mitunter Werkstattunterricht - je nach Thema."

Kategorie 3: Kombination von freien Arbeitsphasen und Frontalunterricht

Jene Klassen, in denen eine Kombination von freien Arbeitsphasen und Frontalunterricht stattfindet, haben wir dieser Kategorie zugeordnet. Hier lassen sich drei Tendenzen unterscheiden:

  • Überwiegender Anteil an freien Arbeitsphasen

In zwei gestützten Klassen nimmt der Frontalunterricht einen sehr geringen Teil der Unterrichtszeit ein, da überwiegend freie Arbeitsphasen den Tagesablauf bestimmen.

  • Ausgewogenes Verhältnis zwischen freien Arbeitsphasen und Frontalunterricht

15 Lehrpersonen gestalten ihren Unterricht gleichermaßen mit freien und frontalen Arbeitsphasen, wobei diese in sieben integrativen und in acht gestützten Klassen unterrichten.

"Frontalunterricht zur Erarbeitung neuer Lerninhalte, viele verschiedene Lernspiele zur Übung, freie Lernphasen mit Wochenplan, manchmal Gruppenarbeit, oft Partnerarbeit."

  • Überwiegender Anteil an Frontalunterricht

In zwei integrativen und in einer gestützten Klasse überwiegen die Phasen des frontalen Unterrichtes gegenüber jenen der freien Arbeit.

"Sehr viel Frontalunterricht, wenig freie Phasen. Wir haben wenig Arbeitsmittel bekommen."

7.3.2. Wünsche bezüglich des Unterrichtsmodelles

Insgesamt erhalten wir 20 Rückmeldungen bezüglich der Wünsche des Unterrichtsmodelles. Acht integrativ und sechs gestützt unterrichtende LehrerInnen geben an, mit "ihrem" Modell zufrieden zu sein, während sich die anderen sechs ausnahmslos mehr StützlehrerInnenstunden wünschen. Den Wunsch nach mehr Stunden begründen die Lehrpersonen damit, daß die SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf besser unterstützt werden können, und sie selbst entlastet werden.

7.3.3. Unterrichtsmaterialien

Die Häufigkeitsverteilung der Verwendung der Unterrichtsmaterialien, wie Montessori- und Freinet-Materialien (vgl. Kap. 5.3.), selbst Hergestellte und "herkömmliche" Schulbücher, zeigt sich in den folgenden Diagrammen (Tab. 5).

Aus den Diagrammen ist folgendes ersichtlich:

  • Auf die Frage nach Montessori - und Freinet-Materialien bleiben sieben (integrative Klassen) bzw. zwölf (gestützte Klassen) Antworten aus. Bei jenen Lehrpersonen, die auf die Frage bezüglich des Montessori-Materials eingehen, läßt sich bei 13 integrativ und 7 gestützt Unterrichtenden eine häufige Verwendung feststellen. Vor allem in den integrativen Klassen erfreut sich das Montessori-Material großer Beliebtheit.

  • Bezüglich der Freinet-Materialien geben jeweils acht der Befragten an, diese nie/selten bzw. regelmäßig/oft zu verwenden. In drei integrativen Klassen sind sie, laut Angaben der Lehrpersonen, fixer Bestandteil des Unterrichtes. Allgemein läßt sich beobachten, daß besonders in integrativen Klassen die Tendenz zur Verwendung von Freinet-Materialien vorhanden ist.

  • Auffallend an den selbst hergestellten Materialien ist deren Vorhandensein und die ständige Verwendung in jeder der 31 antwortenden Klassen.

  • "Herkömmliche" Schulbücher nehmen weiterhin einen großen Stellenwert im Unterricht ein. Mit Ausnahme von drei integrativen Klassen, die nie zu "herkömmlichen" Schulbüchern greifen, bilden sie einen mehr oder weniger wichtigen Bestandteil der Unterrichtspraxis.

Sonstige Materialien, die Anwendung finden, sind: (Lern-)Spiele, Arbeitskarteien, Arbeitsblätter mit Selbstkontrolle, Computer, LÜK, sowie Materialien aus Umwelt und Alltag.

7.3.4. Wünsche bezüglich der Unterrichtsmaterialien

Mehr als ein Drittel der Befragten äußert den Wunsch nach der Anschaffung bzw. der Erweiterung der Montessori-Materialien, wobei dieser bei sieben integrativen und bei sechs gestützten Klassen vorhanden ist. Jeweils zwei integrative und zwei gestützte Klassen wünschen sich den Ankauf bzw. den Ausbau der Freinet-Druckerei. Zwei LehrerInnen geben an, sie hätten gern sowohl Montessori - als auch Freinet-Materialien.

Die Tatsache, daß sich 15 der 22 Antwortenden für die Anschaffung alternativer Materialien aussprechen, zeigt deutlich die Tendenz zur Veränderung und Öffnung des Unterrichtes.

Die restlichen sieben LehrerInnen wünschen sich Materialanschaffungen wie Tastmaterialien, Karteien, Material zur Rhythmikerziehung, Physiologie und Konzentrationsschulung, Lernkarteien sowie Computerprogramme.

7.3.5. Therapie während des Unterrichtes

Elf der Befragten geben an, daß SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf den Unterricht für Therapiezwecke verlassen. Dabei handelt es sich um sieben integrative und vier gestützte Klassen, in denen einzelne SchülerInnen im Ausmaß von zehn Minuten bis zu zwei Stunden pro Woche Logo- bzw. Ergotherapie erhalten.

Auf die Frage, ob Therapie während des Unterrichtes in der Klasse stattfindet, antworten zwei LehrerInnen von integrativen Klassen ja, alle werden in den Therapieprozeß miteinbezogen. Bei jeweils zwei Lehrern/Lehrerinnen findet Therapie während des Unterrichtes statt, indem TherapeutIn und SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf ohne Einbeziehung der Klasse gemeinsam in dieser arbeiten. In 12 integrativen und in 13 gestützten Klassen findet keine Therapie während des Unterrichtes in der Klasse statt.

7.3.6. Beurteilungsformen

Über die verschiedenen Beurteilungsformen haben wir bereits im Kapitel 5.5.3. berichtet. Auffallend in unserer Befragung ist, daß lediglich in neun integrativen und in neun gestützten Klassen die SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf auf die gleiche Art und Weise beurteilt werden. So erfolgt in jeweils einer integrativen und in einer gestützten Klasse eine Kombination von verbaler Beurteilung und Ziffernbenotung. In vier integrativen und in zwei gestützten Klassen werden alle verbal beurteilt. Die Ziffernbenotung wurde von drei gestützten Klassen gewählt. Eltern-LehrerInnen-SchülerInnen-Gespräche stellen in vier integrativen Klassen die Beurteilungsform dar.

Eine Unterscheidung in der Benotung der Kinder mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf findet in sieben integrativen und in neun gestützten Klassen statt.

Von den sieben integrativen und den fünf gestützten Klassen, die eine andere Beurteilungsform bevorzugen würden, wünschen sich die sieben integrativ unterrichtenden Lehrpersonen verbale Beurteilungsformen (wie z. B. Gespräche), und die fünf gestützt unterrichtenden Lehrpersonen eine Kombination von verbaler - und Ziffernbenotung. Hier ist zu bemerken, daß sich genau jene sieben LehrerInnen von integrativen Klassen, sowie vier der neun LehrerInnen von gestützten Klassen eine andere Form der Beurteilung wünschen, die im Zuge der "Leistungsbewertung" zwischen Schülern/Schülerinnen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf unterscheiden.

7.4. LehrerInnen über Integration

In diesem Kapitel versuchen wir, aus der Perspektive von Lehrpersonen integrativer und gestützter Klassen, die Situation des gemeinsamen Unterrichtes behinderter und nichtbehinderter SchülerInnen, SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, zu erkunden. Grundlage dafür bildet die Frage 14 des Fragebogens bezüglich der Vor- und Nachteile für LehrerInnen und SchülerInnen der beiden Unterrichtsmodelle. Gleichzeitig versuchen wir, die so gewonnenen Einblicke mit Literatur zu fundieren.

7.4.1. Integration steht und fällt mit "Team-Teaching"

Team-Teaching (vgl. Kap. 5.1.1.) spielt sowohl im integrativen als auch im gestützten Unterricht eine wichtige Rolle für das Gelingen der Integration. Probleme im Team, die durch ungleiche Rollenverteilung, unklare Positionen der beiden LehrerInnen, Zuweisung von Seiten der Behörde ohne Rücksicht auf Sympathie auftreten, können die Integration "ins Wanken bringen" und oft auch zum Einsturz führen.

"..., daß es für Kooperation allgemein grundsätzlich unverzichtbar ist, als kooperierende Lehrer

- einen identischen gemeinsamen Gegenstand und

- identische Ziele zu haben und

  • eine Einigung über die Verfahren, wie das Ziel erreicht werden kann, herbeizuführen."

(Feuser G., Meyer H., 1986, S.171)

In unserer Befragung geben zwei LehrerInnen, jeweils einer gestützten und einer integrativen Klasse, an, Probleme im Team zu haben.

"Ich verstehe mich mit meiner Co-Lehrerin nicht sehr gut, verschiedene Ziele, Erziehungsstile sind sehr unterschiedlich. Es ist manchmal sehr schwierig für mich."

Trotz der problembeladenen Situation, in der sich beide LehrerInnen befinden, scheinen sie dennoch der Integration positiv gegenüberzustehen. Dies zeigt sich darin, daß sie angeben, in jedem Fall (LehrerIn der integrativen Klasse) bzw. situationsabhängig (LehrerIn der gestützten Klasse) diesen Schritt erneut zu machen. Auffallend ist auch der Wunsch beider LehrerInnen nach Supervision, in der sie eine zusätzliche Hilfe für die Arbeit im Team sehen, die sie aber nicht besuchen.

Zwei weitere LehrerInnen äußern Bedenken bezüglich der mangelnden Vorbereitung auf die Teamarbeit während der Ausbildung. Diese Aussagen spiegeln das Problem wieder, daß es in Vorarlberg nahezu keine integrationsspezifischen Schwerpunkte in der LehrerInnenausbildung gibt (vgl. Kap. 6.2.1.).

Positiv über Team-Teaching, sowohl für LehrerInnen als auch für SchülerInnen äußert sich die Hälfte der Befragten. Die neun integrativ und die sechs gestützt Unterrichtenden sprechen unter anderem folgende positive Aspekte an:

"Zu zweit in der Klasse, bessere Übersicht der Freiarbeit, Entlastung des einzelnen Lehrers, kein Kind wird übersehen, niemand kommt zu kurz. Zwei Sichtweisen von allem!"

"Zwei Lehrer haben wesentlich mehr Möglichkeiten, sowohl bei Lehrausgängen und Projekten als auch im täglichen Unterricht. Mehr Zeit für genauere Schülerbeobachtungen."

"Aufteilung von Arbeiten, Entlastung in Streßsituationen, Möglichkeit von anderen etwas zu lernen, Erfahrungsaustausch."

"Gemeinsame Verantwortung, Möglichkeit der Reflexion, unterschiedliche Sichtweisen bereichern, Zusammenarbeit ist positiv und lebendig."

"Zwei Lehrer bringen doppelt so viele Ideen."

"Vier Augen sehen mehr als zwei."

"Ich könnte mir kaum vorstellen in einer gewöhnlichen Klasse zu unterrichten, man gewöhnt sich an die Arbeit im Team. (...) Zu zweit ist es viel interessanter, da ergänzt man einander und erfährt oft Dinge und Begebenheiten, Episoden, die alleine untergangen oder übersehen würden."

Aus den Antworten hat sich herauskristallisiert, daß Team-Teaching für viele eine Bereicherung darstellt, indem er/sie die Rolle des "Allein-Verantwortlichen" verlassen kann, was sowohl für SchülerInnen als auch für LehrerInnen neue Wege eröffnet.

Es sind dies Wege, die zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem/der einzelnen SchülerIn und infolge dessen zu einer kindgerechten Schule führen.

Es sind dies Wege, die durch die Aufteilung der Arbeit, durch die Anwesenheit eines/einer Anspechpartners/-partnerin und durch den gegenseitigen Austausch bzw. das gegenseitige Lernen auch zu einer lehrerInnengerechten Schule führen.

7.4.2. Unsicherheit und Überforderung der LehrerInnen

Menschen neigen in ungewohnten Situationen dazu, sich überfordert und unsicher zu fühlen. Auch im Bereich der schulischen Integration, die in Vorarlberg ja noch "in den Kinderschuhen steckt", trifft dies vor allem auf "Neulinge" auf diesem Gebiet zu. So haben wir festgestellt, daß vor allem Lehrpersonen der ersten und zweiten Klassen sowie einer Hauptschulklasse von Überforderung sprechen, während wir den Fragebogen der dritten und vierten Klassen keine solchen Angaben entnehmen konnten.

Diese Mehr-Belastung trifft hauptsächlich in gestützten Klassen bei Abwesenheit des/der Stützlehrers/-lehrerin zu, was bei vielen Lehrpersonen eine Unzufriedenheit mit der generellen 6-Stunden-Zuweisung pro Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf zur Folge hat. Mit einer flexibleren Umgangsweise mit den StützlehrerInnenstunden könnte diesem Problem sicher entgegengewirkt werden. Auch Specht ist in seiner Evaluation der Schulversuche zu diesem Schluß gekommen.

"In den Fällen jedoch, in denen schwerer (insbesondere geistig) behinderte Kinder in den Klassen anwesend sind, steigt die Belastung der Lehrer, und die Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen des Schulversuchs verringert sich." (Specht W., 1993, S.84)

Specht spricht von auftretenden Problemen bei "schwerer" und geistig behinderten Schülern/Schülerinnen. Auch wir sind zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. So fühlen sich vor allem jene zwei Lehrpersonen, die jeweils ein blindes Kind unterrichten, bei Abwesenheit des/der Stützlehrers/-lehrerin überfordert. Mit den selben Problemen ist ein/eine LehrerIn einer mehrstufigen Volksschule, der/die ein Kind mit Trisomie 21 unterrichtet, konfrontiert.

Laut unserer Befragung sprechen zwei integrative Klassen von einer, als negativ empfundenen, Mehr-Belastung. Hierbei ist von Bedeutung, daß es sich in einem Fall um eine Hauptschulklasse handelt, die ohne eine wissenschaftliche Begleitung einer völlig neuen Situation gegenübersteht, und zudem mit schulinternen Konflikten zu kämpfen hat.

Wir fühlen uns durch diese Angaben der Lehrpersonen in unserer Forderung nach einer wissenschaftlichen Begleitung auch im Regelschulwesen bestärkt.

"Der gemeinsame Unterricht von Kindern unterschiedlicher Lernvoraussetzungen, unterschiedlicher sozialer oder ethnischer Herkunft, unterschiedlichen Geschlechts etc. gilt in demokratischen sowie sich als human verstehenden Gesellschaften als unverzichtbares Ziel. LehrerInnen bedürfen breiter Unterstützungen, wenn sie derartigen Herausforderungn gewachsen sein sollen." (Wieser I., 1994, S.115)

Neben der fehlenden wissenschaftlichen Begleitung ist auch die fehlende finanzielle Entschädigung ein häufig auftauchender Kritikpunkt.

"Im Gegenteil -0,65 h bekomme ich weniger an administrativer Belastung 2x jährlich ausbezahlt, ca. 4.000,-- S brutto."

"Sehr viel mehr persönlicher Einsatz, der finanziell nicht gewürdigt wird."

"Ein unbezahlter full-time Job ist daraus geworden."

Vor allem durch die Aufteilung der administrativen Zulage fühlen sich viele Lehrpersonen für ihre integrative Arbeit bestraft.

Über Unsicherheiten bezüglich der eigenen Integrationsarbeit berichten zwei LehrerInnen, indem sie sich die Frage stellen, ob das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer Sonderschule nicht besser gefördert werden könnte bzw. Probleme in der Übernahme an weiterführende Schulen sehen.

"Angst, ob das Kind genügend gefördert wird, oder ob die ASO in der Kleingruppe nicht doch besser gewesen wäre."

"Für manche I-Kinder wäre eine Sonderschulklasse trotzdem von Vorteil."

Wir sind der Meinung, daß diesem Gefühl der Unsicherheit und Überforderung durch die Schaffung einer adäquaten Ausbildung entgegengewirkt werden kann.

"Selbstverständlich müssen an den Pädagogischen Akademien und an den Sonderpädagogischen Instituten der Universitäten raschest integrationspädagogische Ausbildungslehrgänge eingerichtet werden, die eine Rückführung der Sonderpädagogik in die Allgemeine Erziehungswissenschaft als Grundvoraussetzung und eine sozialorientierte, integrative Pädagogik der Nichtaussonderung zum Ziel hat."

(Hovorka H., 1993, S.173)

7.4.3. Auswirkungen auf die Unterrichtssituation

Wie bereits erwähnt (siehe Kap. 7.3.), bringt Integration eine Veränderung des herkömmlichen Unterrichtes mit sich, die nicht ohne Auswirkungen auf LehrerInnen und SchülerInnen bleibt. So ermöglichen die "neuen" Unterrichtsformen bzw. das Zwei-LehrerInnen-System eine intensivere Betreuung und ein besseres Eingehen auf ALLE SchülerInnen. Vor allem integrative Klassen heben die Vorteile ihrer Praxis hervor.

"Jeder wird gefördert, wo er steht - auch die sehr guten Schüler. Sie können über den Lehrplan hinaus arbeiten und sich entwickeln. Es gibt keinen künstlich gemachten "Durchschnitt"."

"Chance für ALLE Kinder, LehrerInnen, Eltern (ev. Kollegen). Kann nur so den Bedürfnissen, dem Entwicklungsstand aller Kinder gerecht werden! und und und".

Das differenzierte Eingehen und die alternativen Unterrichtsformen bringen sowohl für die LehrerInnen- als auch für die SchülerInnenwelt einen Aufschwung mit sich. So fühlen sich viele der befragten LehrerInnen deutlich mehr motiviert und herausgefordert, als es der herkömmliche Unterricht zu leisten vermag. Die SchülerInnen profitieren davon, in dem sie in ihrer Selbständigkeit gestärkt und unterstützt werden.

Diese Selbständigkeit war es auch, die wir in jeder unserer Hospitationsklassen beobachten konnten. Ein Auszug aus einem unserer Hospitationsprotokolle schildert diese Eindrücke sehr deutlich:

"Als die SchülerInnen nach dem Turnunterricht so nach und nach die Klasse betraten, nahm jeder/jede ohne Aufforderung von Seiten einer Lehrperson ein Arbeitsmaterial aus den wohlgeordneten Regalen, um alleine oder in der Gruppe damit zu arbeiten. Das Umfeld schien dabei völlig ins Vergessen zu geraten. Wenn wir die wahllos im Klassenraum durcheinander sitzenden, in ihre Arbeit versunkenen SchülerInnen so beobachten, und mit unserer Schulzeit, in der wir die Schulbank drückten und auf Anweisungen unseres/unserer Lehrers/Lehrerin warteten, vergleichen, packt uns fast der Neid."

Eine weitere Auswirkung auf die Unterrichtssituation stellt der, sich aus der Eigenaktivität der Kinder ergebende, erhöhte Lärmpegel in der Klasse dar. Zwei der Betroffenen machen die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf für die Unruhe, und die sich daraus ergebende Konfliktsituation, verantwortlich.

"Störung des Unterrichtes durch Lärm von I-Kindern."

"Zusätzliche Konfliktsituation (Verhalten des Behinderten), Unruhe in der Klasse."

Hinsichtlich des erhöhten Lärmpegels haben wir den Eindruck, daß dies mehr ein Problem der Lehrpersonen als der SchülerInnen darstellt. Denn wie wir aus Beobachtungen erkennen konnten, sind die SchülerInnen durchaus in der Lage, Lärm zu ignorieren bzw. die LernverursacherInnen in ihre Schranken zu weisen.

7.4.4. Schulische Integration und Leistung

"Es ist eine unpädagogische Tradition von Schulen alle Kinder über einen Kamm zu scheren und sie an einer imaginären Durchschnittsnorm zu messen." (Wocken H., 1987, S.118)

Aussagen, wie "Integrationskinder müssen zuviel lernen", "das Kind hat oft einen Leerlauf, wenn seine Kräfte erschöpft sind oder die Motivation fehlt", "Behinderte können nicht akzeptieren, daß sie nicht mit dem Klassendurchschnitt mithalten können", zeigen das immer noch vorhandene Messen der Leistung am Durchschnit. Der/die LeserIn mag vielleicht denken, daß es sich hierbei um eine Unterstellung handelt. Deshalb ist es für uns wichtig, diese Behauptung auch zu begründen:

"Integrationskinder müssen zuviel lernen"

Wer stellt fest, in welchem Ausmaß gelernt werden muß? Wenn dem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Möglichkeit geboten wird, das zu lernen, was es kann, sich also seine Leistungslatte selbst zu setzen, wird es kein Zuviel an zu Lernendem geben.

"Das Kind hat oft einen Leerlauf, wenn ..."

Wenn Leerläufe als Verschnaufpause im Lernprozeß akzeptiert werden, stellen sie weder für LehrerInnen noch für SchülerInnen ein Problem dar.

"Behinderte können nicht aktzeptieren, daß ..."

Wenn das "Weniger-leisten-können" dem/der SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht dauernd als Schwäche vorgehalten bzw. bewußt gemacht wird, empfindet es dieser/diese auch nicht als solche, und kann sich durchaus mit seinem/ihrem "Leistungsniveau" abfinden.

"Die integrative Schule will zu gegenseitiger Hilfe erziehen, das kooperative Verhalten fördern, Einfühlungsvermögen und Sensibilität füreinander entwickeln, solidarisches Verhalten unterstützen, Mitmenschlichkeit einüben (MUTH 1986). Eine Schule, die ausdrücklich das soziale Miteinander verschiedener Kinder zur programmatischen Aufgabe erhoben hat, wird deshalb auch soziale Handlungsmotive und -kompetenzen als höchst anspruchsvolle "Leistungen" zu würdigen wissen." (Wocken H., 1987, S.116f.)

Auch die Tatsache der Differenzierung in der Benotung der Kinder mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf bei der Hälfte der Befragten zeigt für uns, daß die Leistung noch immer an einer Durchschnittsnorm gemessen wird, der nicht alle Kinder entsprechen können. Deshalb werden Auswege in anderen Beurteilungsformen gesucht.

Wir konnten aber auch feststellen, daß eine Tendenz des Abkommens vom Leistungsdenken vorhanden ist:

"Der Unterricht wird gezielter auf die verschiedenen Kinder abgestimmt. Das integrierte Kind merkt seinen Sonderstatus nicht - es ist integriert. Das Kind hat Lernerfolge - bekommt Selbstvertrauen - Lehrperson steht nicht unter Notendruck - das Kind hat weinger Leistungsdruck - weniger Versagen."

"Möglichkeit der Erfahrung, daß der Wert eines Menschen nicht von der Leistung abhängt."

7.4.5. Soziales Lernen

"Aber wir sind überzeugt, daß die Kinder in der Integrationsklasse so ganz "nebenbei" viele Dinge lernen, die mit herkömmlichen leistungsorientierten Tests nicht meßbar sind, wie zum Beispiel Selbständigkeit, Akzeptieren von Andersartigkeit und soziales Verhalten." (Czekelius M., Husinsky B., 1989, S.131)

Das soziale Lernen stellt auch für die von uns Befragten einen wesentlichen Vorteil des gemeinsamen Unterrichtes von behinderten und nichtbehinderten Kindern dar. So berichten alle integrativ und 14 der 15 gestützt unterrichtenden Lehrpersonen von den positiven Auswirkungen des gemeinsamen, sozialen Lernens auf alle SchülerInnen. Aber auch bei den Lehrern/Lehrerinnen selbst finden Lernprozesse statt, in denen sie durch die Konfrontation mit "Behinderung", den Umgang mit und die Akzeptanz von behinderten Menschen lernen (können).

"Für die nichtbehinderten Kinder ist es eine tolle Erfahrung, mit Kindern mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen in die Klasse zu gehen. Das wirkt sich später bestimmt sehr positiv auf Charakter und Einstellung aus."

"Erfahrung im Umgang mit Behinderten sammeln, was sehr schön sein kann."

Das soziale Lernen bringt nicht nur Vorteile für den/die einzelnen/einzelne LehrerIn oder SchülerIn mit sich, sondern wirkt sich auch positiv auf die Atmosphäre in der Klasse, sowie auf die LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung aus, wie wir den verschiedenen Fragebogen entnehmen konnten.

Ein häufig angesprochener Vorteil ist auch in der Akzeptanz eines Menschen mit Behinderung zu sehen. So teilten uns viele LehrerInnen mit, daß das "behinderte" Kind in ihrer Klasse nicht die Rolle des/der Zu-Bemitleidenden einnimmt, sondern als vollwertiges Mitglied in die Gemeinschaft einbezogen wird.

"Kinder lernen mit Behinderungen umzugehen - es wird zu etwas Alltäglichem - Kinder lernen Rücksicht zu nehmen und zu helfen - sind offen für "andere"."

"Besseres Akzeptieren des Verschiedenseins; Annehmen des anderen; Aufbauen des Selbstwertgefühls aller Kinder"

"I-Kinder werden nicht als Sonderschulkinder abgestempelt"

Der Aspekt der Wohnortnähe wird von mehreren Befragten als positive Konsequenz der Integration angesehen. Mit Ausnahme von 12 der 90 SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (siehe Kap. 7.1.) haben alle die Möglichkeit, innerhalb ihres Schulsprengels eine Regelschule zu besuchen. Dadurch werden sie nicht aus ihrem außerschulischen, sozialen Umfeld herausgerissen und können auch in der Freizeit Kontakte zu ihren Mitschülern/-schülerinnen aufrecht erhalten.

"Das behinderte Kind lebt im Dorf und kann so besser in die Dorfgemeinschaft hineinwachsen."

"Das Kind kann im Dorf bleiben und gerät nicht ins Abseits."

"Das Kind verbleibt in der gewohnten Umgebung."

"Die Integration behinderter Kinder muß in aller Regel in der Schule "ums Eck" erfolgen: Nur dann bleiben Kontakte zu Nachbarn und FreundInnen erhalten bzw. können aufgebaut werden." (Anlanger O., 1993, S.220)

Neben den vielen Vorteilen, die das soziale Lernen mit sich bringt, sprechen manche Lehrpersonen zusätzlich auch Nachteile an, die vor allem dann zutage treten, wenn sich SchülerInnen ohne sonderpädagogischem Förderbedarf vernachlässigt fühlen. So gibt ein/eine LehrerIn an, daß manche Kinder nicht richtig verstehen können, wenn anderen mehr Aufmerksamkeit zukommt.

"Für die meisten Schüler wirkt sich der gemeinsame Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder positiv auf ihre Persönlichkeit aus. Manche Kinder leiden aber doch ein wenig darunter, daß ein integriertes Kind z. B. mehr Zeit in Anspruch nimmt, und sie dabei zu kurz kommen (können)."

Eine weitere Lehrperson sieht ein Problem in einer Verhaltensübernahme der Kinder ohne sonderpädagogischem Förderbedarf von jenen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

"Verhalten überträgt sich: "dann muß ich das auch nicht tun!"."

Trotz der erwähnten Nachteile, die übrigens in einem sehr geringen Verhältnis zu den positiven Äußerungen der Befragten stehen, fühlen wir uns in unserer Ansicht bestätigt, daß durch den kontinuierlichen Kontakt von Menschen mit und ohne "Behinderung" Berührungsängste abgebaut und gegenseitige Akzeptanz/Verständnis aufgebaut werden. Dies fanden wir auch in unseren Hospitationen immer wieder begründet. So fiel es uns oft schwer, jene Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Gruppe auszumachen, da sie keinerlei Sonderstellung einnahmen. Auch gegenüber jenen Kindern mit einer "offensichtlichen" Behinderung konnten wir keine "Aussonderungstendenzen" beobachten.

7.4.6. Integration als Chance für ALLE

"Auch ich genieße es, die Kinder zu beobachten, wie sie miteinander umgehen, wie Nichtbehinderte und Behinderte einander helfen, miteinander spielen, sich an der Wirklichkeit erproben. Das liebe ich einfach, wenn sich (einander) Menschen, Kinder, so annehmen, wie sie sind."

Aussagen wie diese bestätigen uns in unserer Forderung nach einer Schule für ALLE, nach Integration "ohne Wenn und Aber". Bestätigt fühlen wir uns auch durch die Tatsache, daß, mit Ausnahme einiger weniger, auf die wir später noch eingehen werden, alle LehrerInnen die schulische Integration durchaus positiv bewerten und als Prozeß ansehen, in dem gelernt wird und gelernt werden muß.

"Integration muß gelernt werden - Schüler bringen das schneller als Erwachsene zusammen - sie lernen Rücksicht nehmen - andere verstehen - also viele Vorteile - ich sehe keine besonders erwähnenswerten Nachteile."

"Integration, "Behinderung" sollte normal werden."

So gibt die Hälfte der LehrerInnen auf die Frage nach möglichen Nachteilen der schulischen Integration für die SchülerInnen an, daß es keine solchen gibt, was wiederum bestätigt, daß die Vorteile überwiegen.

"Ich glaube, für die Schüler hat es nur Vorteile! Lernen von und miteinander."

"Ich sehe keine Nachteile, nur Vorteile!!! Soziales Lernen, individuelle Fördermöglichkeiten und Unterrichtsabläufe."

Auch für die LehrerInnen selbst ergeben sich in den meisten Fällen "nur" organisatorische Nachteile aus der schulischen Integration. So durchzieht vielfach die Forderung nach einem finanziellen Ausgleich des zeitlichen Mehraufwandes, der als größter Nachteil empfunden wird, den Fragebogen.

"Keine Nachteile, außer mehr Aufwand (Zeit) für Besprechungen."

"Finanzieller Nachteil, Administration muß geteilt! werden."

Zwei LehrerInnen geben an, durch hyperaktive bzw. aggressive Kinder im Klassenverband an ihre Grenzen zu stoßen. Auch wir hatten die Gelegenheit, ein sogenanntes "hyperaktives" Kind im Umgang mit seinen Klassenkameraden/-kameradinnen zu beobachten. So konnten wir feststellen, was auch von Seiten dessen Lehrerinnen bestätigt wurde, daß das Kind selbst mit seiner "Behinderung" sehr wohl akzeptiert wird, seine Verhaltensausbrüche jedoch, die sich in Fremdaggressionen äußerten, bei einigen Angst und bei anderen einen Zustand der Gereiztheit auslöste. Diese Akzeptanz gegenüber der Behinderung und den Unwillen gegenüber der Verhaltensauffälligkeit beschreibt ein/eine LehrerIn sehr treffend:

"Die Kinder meiner Klasse haben oft Schwierigkeiten mit den Temperamentausbrüchen des schwerhörigen Kindes. Die Hörbehinderung an sich akzeptieren sie voll, aber mit Verhaltensauffälligkeiten umzugehen, fällt vielen schwer und muß mühsam erlernt werden."

Grenzen der Integration werden von drei Lehrern/Lehrerinnnen angesprochen. So schreiben jeweils ein/eine LehrerIn einer gestützten und einer integrativen Klasse, ohne die genaueren Umstände anzuführen, daß ihre integrierten Kinder in der Sonderschule, in der sie die entsprechende Förderung erhalten würden, besser aufgehoben wären. Eine Lehrperson sieht Probleme in der Unteilbarkeit der schulischen Integration, in dem sie je nach Grad der Behinderung der schulischen Integration Grenzen setzt.

An dieser Stelle möchten wir noch einmal die Wichtigkeit der Integration "ohne Wenn und Aber" herausstreichen:

"Je schwerer die Behinderung ist, um so notwendiger braucht ein Kind die vielfältigen Anregungen der nichtbehinderten Kinder:

  • deren Bewegungen es mit den Augen verfolgen kann,

  • deren Geräusche es mit den Ohren wahrnimmt,

  • deren Gerüche es mit der Nase unterscheiden lernt,

  • deren Hände es am eigenen Körper spürt."

(Schöler J., 1993, S.49f.)

7.5. Motiv: Eine Schule für ALLE

In diesem Teil versuchen wir die Beweggründe, die wir mit der Frage 15 ergründen wollten, der LehrerInnen darzustellen, die sich für den Weg der schulischen Integration entschieden haben. Mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten und Unterstützungen, seien diese nun personeller oder finanzieller Art, werfen die Frage auf, warum der oft holprige Weg der Integration einer geebneten Straße des "herkömmlichen" Unterrichtes vorgezogen wird?

7.5.1. Integration als Herausforderung

Eine Herausforderung, der Wunsch etwas Neues auszuprobieren, Neugierde, ... sind die am häufigsten genannten Beweggründe der Befragten, um integrativ tätig zu sein.

"Herausforderung für mich als Lehrer, etwas "Neues" zu versuchen."

"Ich wollte nicht einfach auf die Pension hin langsam in einen gewohnten Trott geraten."

"Das Bedürfnis, etwas anderes zu tun. Neugierde, eine neue Herausforderung."

Neben dem Lernen mit "Behinderten" zu leben, dem Umsetzen neuer Unterrichtsmethoden/-formen motiviert der Aspekt der Teamarbeit zahlreiche der befragten Lehrpersonen.

"Die Klasse wurde von der Volksschule übernommen. Erproben neuer Unterrichtsaspekte: Freiarbeit, Teamteaching, Umgang mit Behinderten."

Für ein Drittel der LehrerInnen besteht die Motivation darin, eine Schule für ALLE zu schaffen. Eine Schule für ALLE soll den Kindern die Chance bieten, gemeinsam zu leben und zu lernen, wovon nicht nur die behinderten Kinder profitieren.

"Ich habe schon drei Jahre vorher eine Schülerin integriert und bin überzeugt von den sozialen Vorteilen für alle Beteiligten. (...) Die Integrationsklassen erfüllen überdies ein Grundrecht aller Integrationskinder auf ein Lernen in einem natürlichen Umfeld (mit den Nachbarskindern)."

"Gedanke der Integration entspricht unserer Vorstellung und Vision einer gemeinsamen Schule für alle Kinder bis 14 Jahre. Eine Gesellschaft, die Gruppen ausschließt, ist nicht vollwertig."

Zwei LehrerInnen hinterlassen bei uns den Eindruck, daß sie sich vor allem aufgrund der "guten Integrationsfähigkeit" des Kindes zunächst in den Dienst der Sache gestellt haben. Während eine der beiden Lehrpersonen immer noch je nach Art der Behinderung Grenzen in ihrer Bereitschaft zieht, erklärt sich der/die andere eindeutig dazu bereit, wieder integrativ oder gestützt zu unterrichten.

Ihre integrative Tätigkeit begründen eine in einer gestützten Klasse und zwei in integrativen Klassen unterrichtende LehrerInnen mit der Zuweisung seitens der Behörden. Die Freiwilligkeit bei der Entscheidung pro und kontra integrative/gestützte Klasse muß von zwei Aspekten her betrachtet werden: einerseits wird der Widerstand durch den Zwang zum Problem für alle Beteiligten, andererseits entziehen sich die "ArbeitgeberInnen" durch die Freiwilligkeit der Verantwortung, Fort- bzw. Ausbildungsveranstaltungen in ausreichendem Maße anzubieten.

"Und die Lehrerinnen und Lehrer haben ein Recht darauf, dafür eine gute Fortbildung zu erhalten! So lange die Aufgabe der Integration von Kindern mit Behinderungen der freiwilligen Entscheidung der Lehrerinnen und Lehrer überlassen bleibt, müssen sich die Engagiertesten von ihnen vor denjenigen rechtfertigen, die sich darauf berufen, daß sie freiwillige Leistungen nicht übernehmen." (Schöler J., 1993, S.24)

Schulische Integration soll nicht zum Zwang werden. Das gemeinsame Unterrichten von behinderten und nichtbehinderten Kindern muß so selbstverständlich sein, wie z.B. das gemeinsame Unterrichten von Blond- und Braunhaarigen!

7.5.2. Integration als soziale Pflicht?

"Wenn Du glaubst, Du bist so normal, daß Dich Behindertenprobleme nichts angehen, so überleg einmal, ob Du Nochnichtbehinderter nicht doch ganz schön behindert bist. Zum Beispiel durch Bretter vorm Kopf, Splitter in den Augen, Fischwasser im Blut, durch eine schöne Maske überm Gesicht ... Schau in den Spiegel und sei ehrlich: Bist Du frei? Kannst Du Deine Bedürfnisse erfüllen? Bist Du glücklich? Du hast wohl Mitleid mit Behinderten? Wann hast Du Mitleid mit Dir?" (Schönwiese V., 1979, S.74)

Dieses Zitat vermittelt uns folgendes: kein Mensch ist so vollkommen und so "nichtbehindert", daß er seine Augen vor "Behinderung" verschließen kann. Es ist daher notwendig, sich mit Behinderung auseinanderzusetzten und sich dabei ständig die Nutzlosigkeit von Mitleid vor Augen zu halten. Denn Mitleid vermag dem behinderten Menschen nicht zu helfen. Mitleid vermag ihm nicht das Gefühl zu geben, als Individuum akzeptiert zu werden.

Mitleid und soziales Pflichtgefühl sind Schlagworte, die im Zuge der Integrationsbewegung verschwinden müssen, da sie einen Widerspruch zum Integrationsgedanken darstellen.

Bei der Auswertung des Fragebogens sind wir auf einige wenige solcher Widersprüche gestoßen. Denn jene, die als Beweggründe "Mitleid mit den Eltern des behinderten Kindes", "nicht als Behindertenfeind zu gelten", angeben, hinterlassen bei uns den Eindruck , u.a. aus sozialem Pfichtgefühl (z.B. dem "armen Behinderten" helfen zu müssen), eine integrative bzw. gestützte Klasse übernommen zu haben. So antworten sie auf die Frage, ob und warum sie wieder ein Kind schulisch integrieren würden, folgendes:

"Weil die Kinder Hilfe nötig haben."

"Bei Bedarf; bin aber froh, wenn es keine behinderten Kinder in unserem Dorf mehr gibt."

"Ja! Weil ich den Erfolg sehe und weil ich nicht als "Behindertenfeind" klassifiziert werden will."

Aussagen und Beweggründen wie diesen möchten wir jene einer anderen Lehrperson entgegenstellen, die sich nicht auf der Mitleidsschiene, sondern auf der Schiene des Rechts auf Nichtaussonderung bewegt.

"In der Bewerbung schrieb ich dann, daß ich am liebsten eine Integrationsklasse hätte, und ich bekam sie auch. Der Grund war u. a. auch, daß die Stigmatisierung von Schülern der ASO, die nicht zu leugnen ist, mit der Zeit ein Ende nimmt."

7.5.3. Integration aus Überzeugung

Auf die Frage, ob sie noch einmal bereit wären, eine integrative bzw. gestützte Klasse zu übernehmen, erhalten wir von 29 Befragten Rückmeldungen. So antworten 15 integrativ und neun gestützt unterrichtende LehrerInnen mit einem eindeutigen Ja. Die Lehrpersonen von jeweils einer integrativen und einer gestützten Klasse sprechen sich gegen ein erneutes integratives Unterrichten aus, während zwei LehrerInnen von gestützten Klassen sowie der/die LehrerIn einer integrativen Klasse es von den jeweiligen Umständen (StützlehrerInnenstunden, finanzieller Ausgleich, ...) abhängig machen.

Als Gründe für das Nein zum erneuten integrativen Unterrichten werden folgende angegeben:

"- Integrationsschüler sind sehr egoistisch.

- Integrationslehrer ist nur "ihr" Lehrer.

- Sozial einseitige Rücksicht."

Die beiden ablehnenden Haltungen kamen für uns sehr überraschend, da jene zwei Lehrpersonen weder auffallend über Nachteile berichten, noch besondere Wünsche bezüglich der Zukunft äußern.

Auffallend bei den Begründungen jener LehrerInnen, die mit Ja antworten, ist, daß sie in ihren Erwartungen bzw. in ihrer Motivation bezüglich der schulischen Integration, Bestätigung gefunden zu haben scheinen. Dies zeigt sich in einem häufigen Verweis bei der Frage "Würden Sie diesen Schritt heute noch einmal machen? Warum?" zu ihrer Antwort bezüglich der Motivation, die wir in den beiden vorangegangenen Kapiteln bereits behandelt haben.

Die Ja-Antworten spiegeln die positive Einstellung und die positiven Erfahrungen der Lehrpersonen bezüglich der schulischen Integration wieder.

"Ja, ich bin von dieser Form sehr überzeugt."

"Ja, persönliche Bereicherung. Pädagogische Arbeit führte zum Erfolg in Bezug auf soziale Integration der Kinder mit erhöhtem Förderbedarf."

"Ja, die Erfolge überwiegen die Enttäuschungen - das Kind ist glücklich!"

"Ja, sehr viele Erfolgserlebnisse - jeder lernt von jedem."

7.6. Wünsche für die zukünftige Arbeit

An letzter Stelle der Auswertung sollen die Wünsche der LehrerInnen für ihre zukünftige Arbeit stehen. Die Wünsche, die sich über ein weites Spektrum belaufen, beziehen sich vor allem auf jene Bereiche, die schon bei den Nachteilen der schulischen Integration angeführt wurden.

Auf Platz 1 der Wunschliste findet sich die Forderung nach mehr bzw. der flexibleren Verteilung der StützlehrerInnenstunden, sowie der ständigen Anwesenheit einer zweiten Lehrperson. Weiters sind die finanzielle Unterstützung und die Anschaffung zusätzlicher Materialien von großer Bedeutung für die Befragten. Bezüglich dieser Wünsche, die oberste Priorität zu haben scheinen, gilt es anzumerken, daß sie durch das Aufstocken der Gelder für die schulische Integration gelöst werden könnten. Aber leider sind es gerade immer wieder finanzielle Gründe, die die Integration oft zum Scheitern verurteilen.

"Das ist auch etwas, dieses Argument, das wir von Eltern hören müssen, Integration koste Geld, die Lehrer verdienen weniger. Also immer diese Geldfrage. (....) Und Integration ist eigentlich eine Umschichtung. Ein Monat im Schulheim Mäder kostet 30.000 Schillinge. Also wenn die X in Mäder wäre, was wir eigentlich der Allgemeinheit ersparen helfen." (Feurstein A., 24.Februar 1995)

Adriane Feurstein spricht ein wahres Wort. Denn werden die Kosten für die sonderpädagogische und therapeutische Betreuung, die die SchülerInnen in Spezialeinrichtungen erhalten, gerechnet, so ist die Begründung, daß die zweite Lehrperson in integrativen Klassen und gestützten Klassen nicht finanzierbar ist, nicht gerechtfertigt.

"Bei der Entstehung von Integrationsklassen sollten pädagogische Werte im Vordergrund stehen, vor Zahlen und Kosten (z.B. sechs Stunden pro Kind? ...)."

Ein äußerst verständlicher Wunsch stellt jener nach Ausbildungsmöglichkeiten für integrativ unterrichtende Lehrpersonen dar, der zu unserer Überraschung allerdings nur von zwei der Befragten geäußert wird. Überrascht waren wir deshalb, da es in Vorarlberg, wie bereits erwähnt, nahezu keine spezifischen Ausbildungsmöglichkeiten gibt, so daß der Großteil der LehrerInnen lediglich als AutodidaktIn in die integrative Praxis gehen kann.

Wissenschaftliche Unterstützung, engere Zusammenarbeit mit der Sonderschule sowie mit verschiedenen Institutionen wie AKS, IFS, Schulbehörde, ... werden als weitere Wünsche angeführt. Hierzu kritisiert eine Lehrperson die mangelnde Klarheit von Seiten der Behörden bezüglich Bezahlung und Beurteilungsmöglichkeiten.

Neben der intensiveren behördlichen und institutionellen Zusammenarbeit wird zudem der Wunsch nach einer Kooperation von Eltern und Lehrern/Lehrerinnen geäußert.

"Mehr Unterstützung und Vertrauen von den Eltern und Allseits!"

Ein wichtiger Punkt, mit dem die schulische Integration steht und fällt, ist deren gesellschaftliche Akzeptanz. Leider haben integrativ und gestützt unterrichtende Lehrpersonen noch immer mit dem Vorurteil, "ihre" Kinder könnten mit dem Leistungsstand jener anderer Klassen nicht mithalten, zu kämpfen. Und dies, obwohl vielfach schon das Gegenteil bewiesen wurde. So wünschen sich einige der Befragten:

"Daß die gesellschaftliche Akzeptanz und Identifikation mit dieser Art des Unterrichtes wächst und sich öffnet."

"Daß das Integrationsmodell weniger umstritten sein wird."

"Daß Integration kein Thema mehr ist sondern NORMAL!"

Integration soll so normal werden, daß der reibungslose Übergang an weiterführende Schulen gewährleistet ist, so einige LehrerInnen.

7.7. Schlußfolgerungen der Befragung

Die wesentlichen Ergebnisse unserer Befragung möchten wir abschließend kurz darstellen:

  • Die Arbeit im Team ist ein zentraler Punkt, der in Zukunft sowohl finanziell als auch ausbildungsmäßig berücksichtigt werden muß.

  • Wissenschaftliche Begleitung, Ausbildungsmöglichkeiten und Supervision werden in zu geringem Maße angeboten.

  • Ein flexiblerer Umgang mit der Stundenzuteilung pro Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist ein absolutes Muß, für die optimale Förderung aller Kinder, sowie für ein Arbeiten des/der Lehrers/Lehrerin ohne Überforderung.

  • Der Ausbau von regionalen Anlaufstellen, die die LehrerInnen bei Problemen und Fragen in Bezug auf die schulische Integration beraten und unterstützen, ist unumgänglich.

  • Die LehrerInnen zeigen die Bereitschaft, die alten Unterrichtsformen zugunsten neuer langsam aufzugeben, was sie als durchaus positiv bewerten.

  • Das soziale Lernen ist eine unwiderrufliche Konsequenz des gemeinsamen Lebens und Lernens von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, die sich als Vorteil für alle Beteiligten auswirkt.

  • Die SchülerInnen von integrativen und gestützten Klassen stehen dem "Leistungsniveau" jener aus Regelklassen keineswegs nach. Im Gegenteil, durch die Anwesenheit zweier Lehrpersonen, kann individuell auf die Fähigkeiten und Interessen jedes Kindes eingegangen werden.

  • Der Großteil der befragten Lehrpersonen äußert sich durchaus positiv bezüglich der schulischen Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Bereitschaft der LehrerInnen ist vorhanden. Jetzt liegt es in der Zuständigkeit der Schulbehörde, der schulischen Integration eine Chance zu geben.

"ohne Wenn und Aber"

  • Integration "ohne Wenn und Aber" kann nicht von heute auf morgen verwirklicht werden, sondern ist als Prozeß zu sehen, der ständiges Wachstum erfordert. Dieser Prozeß setzt unsere Bereitschaft, uns selbst zu verändern, und unsere Offenheit gegenüber Neuem voraus.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" stellt noch immer etwas Besonderes in unserer Gesellschaft dar und stößt häufig auf Unverständnis sowie auf Ablehnung.

"Integration zu realisieren heißt, noch heute mehr Gegner als Befürworter, mehr Feinde als Freunde zu haben - und das wird noch auf lange Zeit so bleiben." (Feuser G., Wehrmann I., 1985, S.62)

  • Integration "ohne Wenn und Aber" fordert, für die notwendigen Rahmenbedingungen zu kämpfen. Denn wenn wir die Hände in den Schoß legen und darauf warten, bis die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden, bedeutet das, diese nie zu erhalten.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" ist als Chance für ALLE zu sehen, da sie sowohl eine schülerInnen- als auch lehrerInnengerechte Schule zu schaffen vermag, in der jeder/jede von jedem/jeder zu lernen vermag.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" bedeutet, "behinderte" Menschen nicht länger in eigens für sie geschaffenen Institutionen "verschwinden" zu lassen, sondern ihnen ihr Recht auf Teilnahme an der Gesellschaft zuzugestehen und auf ein selbstbestimmtes Leben in dieser zu gewähren.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" fördert die menschliche Qualität unserer Gesellschaft, da sie den Umgang mit "behinderten" Menschen zur Normalität werden läßt. Diese Normalität wiederum eröffnet uns neue Denk- und Lebensweisen.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" ist unabhängig von der Art und dem Ausmaß der Behinderung eines Menschen.

  • Integration "ohne Wenn und Aber" gesteht jedem Menschen das Recht auf Individualität zu und akzeptiert ihn in dieser!

8. Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

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Gesetzestext: 15.SchOG-Novelle, 127. Bundesgesetz vom 30.07.1993, BGBl. Nr.512/1993

mit dem das Schulorganisationsgesetz geändert wird

Diverse Zeitungsartikel:

- VN, 19.09.1989, "Illusion und Realität"

- VN, 13.05.1992, "Verlängerung nur Verlegenheitslösung"

- VN, 24.07.1992, "Neue Integrationsklassen, doch Sonderschullehrer fehlen"

- VN, 04.11.1993, (Heimat) "Projekt "Schule Weidach" im Plan"

- VN, 03.01.1995, "Was sind "Behinderte"?"

- VN, 03.02.1995, "Integration geistig Behinderter in die AHS"

- VN, 14.02.1995, "Verhinderung Behinderter"

- VN, 18.02.1995, "Integration ist Herzenssache"

  • NEUE, 08.03.1995, "Schule Weidach: der neue Weg zur Integration"

9. Lebenslauf

Annette Dür

geb. am 7. Juli 1972 in Dornbirn

1978 - 1981

Volksschule Bildstein

1981 - 1986

Hauptschule Wolfurt

1986 - 1991

HLW Marienberg Bregenz

1991 - 1995

Pädagogik-Studium mit der Fachkombination "Theoretische Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung" am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck

Brigitte Scheidbach

geb. am 29. Oktober 1972 in Feldkirch

1979 - 1983

Volksschule Feldkirch

1983 - 1987

Hauptschule Levis

1987 - 1991

BORG Feldkirch

1991 - 1995

Pädagogik-Studium mit der Fachkombination "Theoretische Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung" am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck

Quelle:

Annette Dür/Brigitte Scheidbach: "ohne Wenn und Aber". Über die schulische Integration "behinderter" Kinder Situationsbezogen auf Vorarlberg

Diplomarbeitzur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie, an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens Universität Innsbruck, eingereicht bei: Univ.-Doz. Dr. Volker Schönwiese, Institut für Erziehungswissenschaften, Innsbruck, im Mai 1995

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 27.09.2005

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