Berufsorientierung: Widersprüche und offene Fragen

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: IN: BWP – Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Zeitschrift des Bundesinstituts für Berufsbildung 1/2014, 43. Jahrgang, Bonn; S. 12–15; ISSN 0341-4515
Copyright: © Karin Büchter und Gerhard Christe 2014

Berufsorientierung: Widersprüche und offene Fragen

Portrait von Karin Büchter in schwarz-weiß.

KARIN BÜCHTER

Portrait von Gerhard Christe in schwarz-weiß.

GERHARD CHRISTE

In zahlreichen Förderprogrammen und Projekten sind Konzepte und Instrumente zur (außer-)schulischen Berufsorientierung entwickelt und evaluiert worden. Trotz der Vielfalt an unterschiedlichen Erfahrungsberichten, Gestaltungsvorschlägen und Absichtserklärungen scheint beim Verständnis von Berufsorientierung und den zugrunde liegenden pädagogischen Leitbildern weitgehend programmatischer Konsens zu herrschen. Dieser Konsens ist jedoch nicht frei von Widersprüchen und wirft einige Fragen auf, die im Beitrag reflektiert werden.

Begrifflicher und pädagogischer Konsens in der programmatischen Berufsorientierung

In den letzten zehn Jahren ist eine Vielzahl an Programmen und Initiativen gefördert und umgesetzt worden, um die Berufsorientierung von Jugendlichen in Schulen des Sekundarbereichs zu unterstützen (vgl. Kasten). Inzwischen sind die verschiedenen Programme und Projekte auf Bundes- und Länderebene beschrieben, miteinander verglichen und ausgewertet worden. Zudem liegen unter- schiedliche Bestandsaufnahmen und Erfahrungsberichte aus Einzelprojekten vor, ebenso wie eine Reihe an konstruktiven Vorschlägen zur Gestaltung von Berufsorientierung (vgl. z. B. NIEMEYER/FREY-HUPPERT 2009; DEEKEN/ BUTZ 2010; LIPPEGAUS-GRÜNAU/MAHL/STOLZ 2010).

Die größten Förderprogramme zur Berufsorientierung im Überblick

  • BMBF-Programm "Schule-Wirtschaft-Arbeitsleben" (1999–2007)

  • Programme der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur allgemeinen und vertieften Berufsorientierung (§§ 33 SGB III, Satz 1 bis 5) und zur erweiterten vertieften Berufsorientierung nach 421q SGB III (vgl. BA 2010)

  • laufende ESF-Programme des BMAS und des BMBF im Förderschwerpunkt "Beschäftigung und soziale Integration"

  • aktuelle Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung "Aufstieg durch Bildung"

  • BMBF-Programme "Lernen vor Ort" und "Berufsorientierung in überbetrieblichen und vergleichbaren Bildungsstätten"

Trotz der Vielzahl an Veröffentlichungen und Blickwinkeln hat sich im Hinblick auf das Verständnis von Berufsorientierung die Umschreibung der wissenschaftlichen Begleitung des Programms „Schule-Wirtschaft-Arbeitsleben“ (vgl. BRÜGGEMANN/RAHN 2013, S. 13; BIBB 2013, S. 254) weitgehend durchgesetzt. Danach ist Berufsorientierung zu verstehen als „lebenslanger Prozess der Annäherung und Abstimmung zwischen Interessen, Wünschen, Wissen und Können des Individuums auf der einen und Möglichkeiten, Bedarf und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt auf der anderen Seite“ (vgl. BUTZ 2008, S. 50). Angebote der Berufsorientierung sollen so gestaltet sein, dass dieser beidseitige Prozess gefördert und unterstützt wird (vgl. BIBB 2013, S. 254). Hierzu soll Berufsorientierung über den Charakter einseitigen Informierens über die Arbeits- und Berufswelt hinausgehen und Erfahrungen und Reflexionen der Jugendlichen im Arbeits- und Berufsalltag ermöglichen. Die Jugendlichen sollen lernen, ihre eigenen Interessen und Neigungen zu erkennen, um Orientierungen begründen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen zu können, kurz: sie sollen Berufswahlkompetenz entwickeln.

Begriffe wie "Berufswahlkompetenz", "berufsbiografische Gestaltungskompetenz" oder "subjektorientierte Berufsorientierung" sind inzwischen Schlüsselbegriffe in der Diskussion um Berufsorientierung. Sie betonen bei aller Differenz die Fähigkeit und Bereitschaft der Jugendlichen zur Selbstorganisation bei der Berufswahl, zur Einschätzung eigener Stärken und Schwächen, zur Auseinandersetzung mit phasentypischen Entwicklungsaufgaben und mit Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt unter dem Aspekt von Sinnstiftung und subjektiver Perspektive. Mit diesem Verständnis korrespondieren neuere Berufswahltheorien, in denen „Menschen als komplexe, sich selbst gestaltende, entwickelnde Systeme“ (vgl. HIRSCHI 2013, S. 38) verstanden werden.

Bei der Frage nach der praktischen Bewältigung der pädagogischen Aufgabe von Berufsorientierung wird in der Literatur zwischen Gestaltungsebenen unterschieden, zu denen "best-practice" Beispiele gegeben werden.

  • Auf institutioneller Ebene existieren bereits "Werkstattschulen", "Praxisklassen", "Schülerfirmen", "Schule-Wirtschaft-Partnerschaft", "Berufsinfobörsen".

  • Auf curricularer Ebene ist die Einbindung der Berufsorientierung in Lehrpläne und Unterrichtskonzepte sowie eine fächerübergreifende Integration bereits realisiert.

  • Auf didaktischer Ebene werden handlungsorientierte Lehr-Lern-Arrangements mit berufsorientierenden Bezügen, aufgabenorientierter berufskundlicher Unterricht sowie berufsorientierendes Unterrichts- und Lernmaterial eingesetzt.

  • Auf diagnostischer Ebene sollen Potenzialanalysen, Selbst- und Fremdeinschätzungen von Kompetenzen und individuelle berufsorientierende Förder- und Beratungskonzepte die Jugendlichen bei ihrer „Selbstexploration“ unterstützen.

  • Auf professioneller Ebene soll das in der Berufsorientierung tätige pädagogische Personal den komplexen Anforderungen von Didaktik, Diagnostik und Beratung in der Berufsorientierung gerecht werden. Konsens besteht auch darin, dass Berufsorientierung durch die Schulen allein schwer zu leisten und deshalb Kooperation mit externen Partnern, insbesondere ausbildenden Betrieben, Kammern, Berufsbildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen und nicht zuletzt Eltern notwendig sei.

Es geht bei der Berufsorientierung also darum, Jugendliche auf kommende Anforderungen vorzubereiten und die dafür notwendigen pädagogischen Bedingungen zu schaffen. Jugendliche sind demnach zentraler Bezugspunkt der Berufsorientierung, was zunächst durchaus dem pädagogischen Leitbild von Subjektorientierung entspricht, jedoch nicht ohne Widersprüche ist.

Widersprüche und offene Fragen

Widersprüche und offene Fragen werfen die Programme und Berichte zur Berufsorientierung insbesondere bei den Ansprüchen der „Annäherung und Abstimmung“ der beiden Seiten, der des Jugendlichen und der der Arbeits- und Berufswelt, der Förderung von Berufswahlkompetenz und Professionalität und der Etablierung eines Berufsorientierung fördernden institutionellen Kontextes auf.

Asymmetrische Zweiseitigkeit

Neben Kultusministerien, Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe unterstützen insbesondere Arbeitgeberorganisationen, Privatbetriebe und Stiftungen die Berufsorientierung von Jugendlichen mit vielfältigen Angeboten mit Praxisbezügen. Damit ist jedoch noch wenig darüber ausgesagt, in welcher Weise sich Anforderungen in Arbeit und Beruf den Interessen und Neigungen von Jugendlichen annähern und darauf abgestimmt werden. Eher zeigt sich, dass in den Angeboten der Berufsorientierung Jugendlichen „ein enges Spektrum von traditionellen Berufen“ (vgl. MANNEKE/LIPPEGAUS-GRÜNAU/STRAIF 2010, S. 8) geboten wird und dass eine „individuelle Auswahl der Berufe bzw. Berufsfelder nicht in allen Fällen gewährleistet ist“ (ebd., S. 9). Daran schließt sich die Frage an, welche Möglichkeiten der Einflussnahme und Mitgestaltung Jugendliche und die sie unterstützenden Akteure in der Berufsorientierung auf Arbeit und Beruf überhaupt haben, sodass tatsächlich von einem zweiseitigen „Prozess der Annäherung und Abstimmung“ gesprochen werden kann. Im Vergleich zu dem, was den Jugendlichen für diesen Prozess an Fähigkeiten und Bereitschaft abverlangt wird, wirkt die Arbeits- und Berufswelt eher unbeweglich. Fixpunkt von vielen Berufsorientierungsangeboten ist der gegebene regionale Arbeits- und Ausbildungsmarkt, der die Eckdaten für die berufliche Orientierung vorgibt und somit schließlich auch die individuellen Wünsche der Jugendlichen kanalisiert.

Double-Bind-Effekt von Berufswahlkompetenz

Je kleiner das Wahlangebot an möglichen Ausbildungsangeboten und je geringer die Realisierungsmöglichkeiten von Berufswünschen, umso mehr werden von den Jugendlichen Kompromissbereitschaft, das Zurückstecken von Erwartungen und Umorientierung gefordert. Dies betrifft vor allem Hauptschüler/-innen, denen entsprechend der Sortierlogik und den Zuordnungsmustern in der (Berufs-) Bildung eine „sukzessive Anpassung beruflicher Wunschvorstellungen an eine begrenzte Chancenstruktur“ (vgl. KONIETZKA 2010, S. 284) abverlangt wird. Aufgrund der „Personalisierung struktureller Effekte“ (vgl. Wahler/ Witzel 1996), d. h. der Selbstzuschreibung geringer Chancen, verlaufen diese Prozesse weitgehend unbemerkt und konfliktfrei, da die Jugendlichen im Prozess der Berufsorientierung auch lernen, ihre lebens- und berufsperspektivischen Grenzen zu akzeptieren. Berufswahlkompetenz als programmatisches Ziel von Berufsorientierungsprozessen schließt dann auch die Fähigkeit mit ein, Frustrationstoleranz zu entwickeln, um diese Begrenztheit oder Nicht- Realisierbarkeit subjektiver Interessen und Neigungen bei der Berufswahl auszuhalten und sich selbst zuzuschreiben.

Berufsorientierung unterliegt aus dieser Warte einem double-bind-effect, sie setzt das Dilemma der Identitätskonstruktion von Jugendlichen fort:

„Einerseits werden ihm Mündigkeit und Entscheidungsfähigkeit abverlangt, andererseits werden ihm die Möglichkeiten vorenthalten, sie zu realisieren. Das führt in den Widerspruch, dass man das, wozu man aufgefordert ist, doch nicht tun kann [...]. So lebt der Jugendliche im Paradox: Er bekommt Handlungsvorschriften, aber sein Handeln wird widerrufen, weil er noch gar nicht für sich alleine handeln können darf. Diese Doppelbindung ist unauflösbar: Will er ‚selbständig handeln', wird er oft genug kontrolliert und gemaßregelt (vorschnelle Identitätsaneignung), verzichtet er auf eigene Entscheidungen, wird auch dieses zum Vorwurf (befürchteter Identitätsverzicht). So wird […] Identität an ihrer eigenen Unmöglichkeit zuschanden“ (vgl. BAACKE 2004, S. 256).

Angesichts dieser paradoxen Identitätskonstruktion ist die eigentliche Bedeutung und Funktion zahlreicher Potenzialanalysen, Kompetenzfeststellungen, Selbst- und Fremdeinschätzungen zu diskutieren.

Zwiespältige Professionalität

Wenn davon auszugehen ist, dass Berufsorientierung und Berufswahlkompetenz einem double-bind-effect unterliegen, ist zu fragen, was dies für die Professionalität des Personals in der Berufsorientierung bedeutet. Müssen die Akteure der Berufsorientierung bei der Entwicklung von Berufswahlkompetenz der Jugendlichen nicht ebenso paradoxe Anforderungen erfüllen?

Einerseits sollen sie die Selbstständigkeit von Jugendlichen fördern, ihnen bei der Suche nach den eigenen Interessen und Neigungen helfen, sie darin unterstützen, Orientierungen und Entscheidungen zu reflektieren und ihre Chancen zu verbessern. Sie sollen Eltern, Lehrer/-innen, Betriebe und Behörden von den Fähigkeiten der Jugendlichen überzeugen und die Jugendlichen auf bestimmte Berufe einstimmen. Hierzu müssen sie Vorurteile und Befangenheiten bei allen an der Berufsorientierung Beteiligten abbauen. Andererseits kommen sie nicht umhin, Stigmatisierungen zu reproduzieren und Stereotype (z. B. über die kognitive Begrenztheit und praktische Orientierung von Hauptschülern/-innen) zu übernehmen, weil sie die Kanalisierung von Chancen und die Personalisierung struktureller Effekte angesichts eingeschränkter Berufswahlrealität allein kaum ändern können.

Ob und inwieweit Schüler/-innen sich aus einem Korsett von Zuordnungen und Zuschreibungen lösen können, hängt davon ab, inwieweit sie bis dahin die Möglichkeit hatten, eine autonome und stabile Ich-Identität zu entwickeln. Dies ist entwicklungspsychologisch betrachtet frühestens am Ende der Adoleszenz der Fall. Bis dahin spielen äußere Einflüsse eine nicht zu unterschätzende Rolle – auch in der Berufsorientierung. Viele Untersuchungen zur Berufsorientierung können belegen, dass Autoritätspersonen (Eltern, Lehrkräfte, Ausbilder/-innen) einen erheblichen Einfluss auf den Berufswahlprozess von Jugendlichen haben. Die so getroffenen Berufswahlentscheidungen Jugendlicher sind dann aber weniger das Ergebnis eigenständiger kritischer Prüfungen und Reflexion, sondern vielmehr von unreflektierten Übernahmen äußerer Wertvorstellungen und Maßstäbe. Dies steht aber den Leitideen der subjekt-orientierten Berufswahlkompetenz und der selbstständigen Gestaltung eigener Berufsbiografie entgegen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist zu fragen, inwieweit die Forderung an Jugendliche, die sich im Pubertätsalter auch mit einer Reihe anderer persönlicher Fragen befassen, ihre berufliche Zukunft zu planen und eine gezielte Berufswahl zu treffen, überhaupt realisierbar ist (vgl. hierzu auch KRACKE in diesem Heft).

Institutionelle Ideale und Realität

Es gibt zahlreiche Beispiele für schulisches Engagement in der Berufsorientierung, für umfassende Konzepte und für good-practice, die mit Gütesiegeln oder Preisen ausgezeichnet sind. Konsens besteht weitgehend darin, dass die schulische Berufsorientierung systematisch in der Schulprogrammatik verankert werden muss. In der Praxis hängen die konzeptionelle, inhaltliche, didaktische Gestaltung und professionelle Voraussetzung von Berufsorientierung häufig von den institutionellen Bedingungen und den schulischen Akteuren ab. KAMINSKI u. a. (2010) sprechen in ihrer Untersuchung von einem „Defizit in der schulischen Verankerung der Berufsorientierung“ und einem „erheblichen Handlungsbedarf an den allgemeinbildenden Schulen“ (S. 13).

Zur Frage nach dem schulischen Kontext von Berufsorientierung ist zu untersuchen, inwieweit die von POPP (2007) herausgestellten Widersprüche zwischen Anspruch und Realität schulischer Berufsorientierung noch Gültigkeit haben. Sie spricht vom Beharrungs- und Konservierungscharakter von Schulen, von der Produktion normierter Identitäten Jugendlicher, von der Dominanz asymmetrischer Kommunikationsbeziehungen und institutioneller Macht in Schule und Unterricht. All dies würde einer identitätsfördernden Berufsorientierung von Jugendlichen entgegenstehen.

Schulen haben die Möglichkeit, ihre eigene Berufsorientierung mit außerschulischen Angeboten von Kammern, Betrieben und Behörden zu verknüpfen. Über die Wirkung dieser Angebote beim Übergang an der ersten Schwelle liegen kaum Befunde vor, eher gibt es Belege dafür, dass es ihnen an Systematik und Didaktik fehlt (vgl. VOIGT 2012, S. 323 ff.) und dass eine milieu- und geschlechtsspezifische Orientierung der Jugendlichen deutlich wird, die die Selektion nach sozialer Herkunft, Vorbildung und Geschlecht in der Ausbildung reproduziert und zur Chancenungleichheit beiträgt (vgl. SCHMID-THOMAE 2012; TUNCER/SAHRAI 2012).

Demgegenüber sind auch die Befunde zu erwähnen, die zeigen, dass Jugendliche mit großer Mehrheit den subjektiven Nutzen von projektförmigen Berufsorientierungsangeboten etwa im Hinblick auf einen besseren Überblick über Berufe und die Einschätzung eigener Stärken hoch einschätzen (vgl. MANNEKE/LIPPEGAUS-GRÜNAU/STRAIF 2010). Welche einzelnen Faktoren es genau sind, die Jugendliche zu solchen positiven Einschätzungen führen, ist zu untersuchen, vor allem dann, wenn ihre eigene Berufsorientierung danach immer noch diffus und kein Ausbildungsplatz in Sicht ist.

Fazit und Forschungsbedarf

Die bisherigen Befunde zur Berufsorientierung geben noch keinen Aufschluss über längerfristige Wirkungen von Berufsorientierungsangeboten beim Übergang von Schule in Ausbildung. Es fehlen nach wie vor Längsschnittuntersuchungen mit mehreren Erhebungszeitpunkten. Diese zu intensivieren ist angesichts der Tatsache wichtig, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen (53 %), die eine Ausbildung vorzeitig beenden, angibt, „die Ausbildung sei nicht das Richtige für sie gewesen“ (vgl. BIBB 2013, S. 186).

Prozesse der Berufsorientierung brauchen Zeit, vor allem dann, wenn sie Jugendliche interessieren und begeistern wollen. Sie haben zu berücksichtigen, dass Jugendliche in ihrem Alltag und in ihrer Lebenswelt Fragen bewegen, die jenseits der Arbeits- und Berufswelt liegen, dass berufsbezogene Interessen und Neigungen möglicherweise vorhanden, aber noch nicht artikulierbar sind, dass die an sie von außen herangetragenen Informationen über Berufe, Angebote an Ausbildungsmöglichkeiten, Wünsche und Erwartungen an ihre berufliche Entwicklung von ihnen selber nicht hinreichend durchdacht sein können, da ihnen entsprechende Erfahrungen, Vergleiche und Auseinandersetzungen fehlen.

Berufsorientierung darf nicht einseitig an vorhandenen und naheliegenden und von anderen als passend erachteten Angeboten an Ausbildungsplätzen oder an einem angeblichen Bedarf an Fachkräften orientiert sein. Solche interessengesteuerten und sachlogischen Orientierungsgrößen sowie eine einseitige Ausrichtung der Berufsorientierung auf die Übernahme einer Ausbildungsstelle vernachlässigen, dass schulische Berufsorientierung in einen allgemeinen Bildungsauftrag eingebunden ist und daher auch die soziale und politische Dimension von Arbeit und Beruf zu berücksichtigen hat. Hierzu gehören Aspekte wie Interessen und Verteilung in der Arbeits- und Berufswelt, sozial und ökologisch verträgliche Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung im Sinne humaner Arbeitsgestaltung und Gerechtigkeit beim Zugang zu und bei der Bewertung und Vergütung von Arbeit und Beruf. Inwieweit, von wem und wo eine so verstandene bildungsbezogene Berufsorientierung bereits praktiziert wird und mit welchen Erfahrungen, ist bislang kaum systematisch erforscht worden.

Literatur

BAAKE, D.: Jugend und Jugendkulturen. 4. Aufl. Weinheim 2004

BIBB (Hrsg.): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2013. Bonn 2013 – URL: http://datenreport.bibb.de/html/dr2013.html (Stand: 22.11.2013)

BRÜGGEMANN, T.; RAHN, S.: Zur Einführung. In: dies. (Hrsg.): Berufsorientierung. Münster 2013, S. 11–21

BUTZ, B.: Grundlegende Qualitätsmerkmale einer ganzheitlichen Berufsorientierung. In: FAMULLA, G.-E. (Hrsg.): Berufsorientierung als Prozess. Hohengehren 2008, S. 42–62

DEEKEN, S.; BUTZ, B.: Berufsorientierung. Bonn 2010

HIRSCHI, A. (2013): Berufswahltheorien. In: BRÜGGEMANN, T.; RAHN, S. (Hrsg.): a.a.O., S. 27–41

KAMINSKI, H. u. a.: Berufsorientierung in der Schule. Oldenburg 2010

KONIETZKA, D.: Berufliche Ausbildung und der Übergang in den Arbeits- markt. In: BECKER, R.; LAUTERBACH, W. (Hrsg.): Bildung als Privileg. Wiesbaden 2010, S. 277–304

LIPPEGAUS-GRÜNAU, P.; MAHL, F.; STOLZ, I.: Berufsorientierung. Programme und Projekte. München 2010

MANNEKE, K.; LIPPEGAUS-GRÜNAU, P.; STRAIF, C.: Evaluierung des Berufsorientierungsprogramms. Frankfurt a.M. 2010

NIEMEYER, B.; FREY-HUPPERT, C.: Berufsorientierung an Allgemeinbilden- den Schulen. In: Deutschland. Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2009

POPP, U.: Widersprüche zwischen schulischer Sozialisation und jugendlichen Identitätskonstruktionen. In: KAHLERT, H.; MANSEL, J. (Hrsg.): Bildung und Berufsorientierung. Weinheim 2007, S. 16–39

SCHMID-THOMAE, A.: Berufsfindung und Geschlecht. Wiesbaden 2012

TUNCER, H.; SAHRAI, D.: Bildungspfade und Berufsorientierung. Essen 2012

VOIGT, J.: Berufliche Orientierung zwischen Anspruch und Realität. Chemnitz 2012

WAHLER, P.; WITZEL, A.: Berufswahl. In: SCHOBER, K.; GAWOREK, M. (Hrsg.): Berufswahl. Nürnberg 1996, S. 9–35

Quelle

Karin Büchter, Gerhard Christe: Berufsorientierung: Widersprüche und offene Fragen; IN: BWP – Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Zeitschrift des Bundesinstituts für Berufsbildung, Bonn; S. 12–15.

bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 09.04.2018

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