Referat anlässlich der IntegrationsforscherInnentagung, Feber 2001, Eisenstadt

Autor:in - Maria Brandl
Themenbereiche: I-Tagung
Textsorte: Referat
Copyright: © Maria Brandl 2001

Inhaltsverzeichnis

Sehr geehrte Damen und Herren!

Als Vertreterin von Integration:Österreich, der bundesweiten Elterninitiative die sich gegen die Aussonderung ihrer behinderten Kinder und Jugendlichen engagiert und für ein gemeinsames Leben von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen einsetzt, freut es mich von Herzen Sie als wissenschaftliche Expertinnen und Experten zu dieser Tagung begrüßen zu dürfen. Besonders freue ich mich darüber, dass erstmalig eine Elterninitiative in Kooperation mit der Universität Wien und der Universitäts-Klinik für Neuropsychiatrie zur Organisation dieser Tagung mitbeigetragen hat, heute und hier die Möglichkeit hat Begrüßungsworte zu Ihnen zu sprechen und Sie damit uns Eltern behinderter Kinder als Expertinnen und Experten in eigener Sache anerkennen und so unsere Stimme, unsere Ansprüche und Vorstellungen tatsächlich ernst genommen werden. In jahrelanger Zusammenarbeit mit oftmaligen intensiven Meinungsturbulenzen und eventuellen unterschiedlichen Denkansetzen haben wir Eltern uns so, weg vom Forschungsobjekt hin zum Forschungspartner entwickelt.

Nun diese Tagung hat bereits einmal in Österreich stattgefunden, damals in einem westlichen Bundesland, in Tirol, geographisch umgeben von Bergen, einer damals möglichen winterlichen Gebirgslandschaft und intensiven Arbeitsatmosphäre. Diesmal sind sie in ein östliches Bundesland, ins Burgenland gereist. Langsam erhalten Sie so die Möglichkeit Österreich zu durchqueren und näher kennenzulernen. Mit Bergen und einer winterlichen Gebirgslandschaft können wir hier leider nicht dienen, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass auch die Ebene, die Weite und die leicht hügelige Landschaft hier rund um Eisenstadt ihre Reize anzubieten hat. Man muss sich diese nur bewußt ins Gedächtnis rufen. Diese geographische Umgebung möchte ich auch als Symbol für diese IntegrationsforscherInnentagung heranziehen - durch die Weite wird es ermöglicht neue Sichtweisen zuzulassen und auch neue zu schaffen, scheinbar offene Räume bewußt betrachten, offen sein für die Weite und das Neue an Erkenntnissen, Neuerungen in den Raum stellen, Platz dafür finden in der Weite der Möglichkeiten, sich nicht einengen lassen in seinen Visionen und Realisierungsmöglichkeiten, offen sein für Zusammenarbeit, Kooperation und Meinungsaustausch.

Vielen von Ihnen ist ja Integration:Österreich, unsere Bemühungen, unser jahrelanger Kampf, unser permanenter Einsatz für die Gleichstellung unserer Kinder ein Begriff. Vieles an positiven Veränderungen in der Integrationsbewegung konnte jedoch nur deshalb realisiert werden, weil es bereits jahrelange intensive Unterstützung engagierter Vertreterinnen und Vertretern von fortschrittlichen Universitäten ... gab und gibt, deren voller Einsatz der Umsetzung und Durchführung des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen gilt. Auch wenn mancherorts noch katastrophale Zustände herrschen und oftmals mit Eltern immer noch haarsträubend umgegangen wird, Integration von behinderten Kindern im Jahr 2001 mancherorts noch immer keine Selbstverständlichkeit ist, möchte ich heute und hier die Gelegenheit nutzen und allen engagierten Integrationsbefürworterinnen und -befürwortern, Ihnen als wissenschaftliche Expertinnen und Experten von seitens der Eltern unseren Dank und meine ganz persönliche Hochachtung für Ihr jahrelanges Engagement aussprechen.

Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass wir Eltern der Wissenschaft und ihrer Umsetzung oftmals auch recht kritisch gegenüberstehen. Was uns Eltern oftmals Angst macht, ist die Tatsache, wozu die Wissenschaft fähig ist, genauso wie wir vor der Vorstellung Angst haben, wozu der Mensch alles fähig sein kann und auch ist. Die Wissenschaft ist ein mächtiges Instrument des menschlichen Verstandes, solange es mit Achtung und im Hinblick auf die Einheit alles Lebendigen angewandt wird. An sich brauchen wir die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse nicht zu fürchten, wenn uns die Sicherheit geboten wird, dass sie die Gleichstellung von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen als Selbstverständlichkeit ansieht.

Zur Verdeutlichung dieser Gleichstellung möchte ich Ihnen einige Auszüge aus den Standard Rules in Erinnerung rufen:

"Menschen mit Behinderungen sollen dieselben Rechte und Möglichkeiten haben, wie alle anderen."

"Sie haben eine aktive Rolle im Prozess der vollständigen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben."

"Sie haben Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, fundamentale Freiheiten, Recht auf Würde und Wertschätzung."

"Sie haben Anspruch auf höhere Lebensstandards und auf volle Beschäftigung."

Sicherlich kann es als Erfolg der Integrationsbewegung angesehen werden, dass wir nun in Österreich seit 1993 gesetzliche Regelungen für den Volkschulbereich und 1996 für die Sekundarstufe I erwirkt haben und im Jahr 1997 die Verfassungsänderung in Kraft getreten ist: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten."

Trotzdem hat die Integrationsbewegung noch immer alle Hände voll zu tun um Rückschritte und Missverständnisse zu vermeiden. Immer wieder müssen wir uns mit Kompromissen und auch Misserfolgen auseinandersetzen. Notwendige Rahmenbedingungen, damit gemeinsamer Unterricht in der jeweiligen Situation gelingen kann sind unzureichend verankert. Es gibt zwar die Möglichkeit für integrativen Unterricht, aber oftmals und regional sehr unterschiedlich kaum Veränderungen im System Schule. Dieses Schulsystem hat sich von sich aus nicht verändert, notwendige Entwicklungsanstöße wurden nicht vollzogen. Es gibt zwar mittlerweile zahlreiche Integrationsklassen, aber in geringerer Anzahl findet auch tatsächlich gemeinsamer Unterricht statt. Darüber hinaus reichen derzeit die gesetzlichen Bestimmungen nicht bis zur Vollendung der Schulpflicht, sondern nur bis zur achten Schulstufe. Das bedeutet für viele SchülerInnen aus integrativen Klassen, dass sie zur Absolvierung des neunten Schuljahres zurück in die Sonderschule müssen. Ab September dieses Jahres soll nun die gesetzliche Regelung für Integration in der Polytechnischen Schule in Kraft treten. Alle anderen integrativen schulischen Möglichkeiten über die Schulpflicht hinaus werden derzeit gestoppt und einfach tabuisiert.

Ich habe jetzt nur einen kurzen kritische Umriß der Situation dargestellt - zu einem inhaltlich aufschlussreicheren Dialog bezüglich der Erfahrungen von uns Eltern, unseren Forderungen und Wünschen Ihnen als IntegrationsforscherInnen gegenüber - haben wir am Freitag vormittag noch Gelegenheit -

aber sicherlich ist auch Ihnen bei meinen Kurzausführungen ganz deutlich bewußt und auch spürbar geworden, wie sehr Engagement und Einsatz der Eltern, der Integrationsbefürworterinnen und Befürwortern der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten als wichtiger Bestandteil unserer weiteren Tätigkeitsbereiche anzusehen ist.

Aber auch aktives Eltern-Sein ermüdet mit der Zeit, permanentes Engagement und persönlicher Einsatz weit über den Bereich Schule hinaus kostet immense Kraft und sehr viele persönliche Einbußen. Einerseits wird durch die gesetzlichen Regelungen den Eltern ein mühsamer Weg erspart, andrerseits wird ihnen Integration falsch dargestellt und weit unterm Wert verkauft. Noch immer getrauen sich Eltern nicht ihr Recht einzufordern, noch immer lassen sie sich einschüchtern und wissen zu wenig über wirklich integrative Angebote und deren Umsetzung Bescheid bzw. werden darüber ausreichend informiert.

Integration:Österreich hat es sich deshalb auch zur Aufgabe gemacht, Elternbildung für betroffene Eltern anzubieten. Aufbauend auf den Erfahrungen eines einzigartigen 2jährigen EU-Pilotprojektes absolvieren betroffene Eltern eine einjährige Bildungsreihe, reichend über 6 Wochenendmodule, in denen ihnen die Möglichkeit geboten wird sich einerseits mit ihrer eigenen Betroffenheit auseinanderzusetzen, sie dabei unterstützt werden sogenannte Tabu-Themen wie Schuldgefühle, Wut, Trauer, Zorn anzusprechen ohne dabei abgeurteilt oder bewertet zu werden und andrerseits auch rechtliche Schulung, Kommunikationstechniken, Umgang mit Konflikten, mit Behörden, Medien und vieles andere mehr zu erfahren.

Eltern werden so in ihrem Empowerment-Prozess unterstützt, können in der Peer-Group ihre Erfahrungen austauschen, und können sich so Kraft und Motivation holen, damit sie ihr Kind bestmöglich auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben begleiten können.

Integration Österreich hat sich 1993 als Verein konstituiert, damals haben sich die Eltern formiert um die Grundrechte für ihre Kinder einzufordern. Bis heute haben sich die Tätigkeitsbereiche dieser Eltern- Interessensvertretung um ein vielfaches erweitert. Obwohl die politische Vertretung und Durchsetzung von gesetzlichen Veränderungen noch immer im Vordergrund stehen, sind die Familienberatung mit Schwerpunkt Integration, gerade für Eltern, LehrerInnen und Lehrer oder in irgendeiner Form betroffene Menschen, die bereits erwähnte Bildungsreihe für betroffene Eltern, Projekte für den nachschulischen Bereich zum Thema "Neue Bilder einer Einstellung, Sensibilisierung der Wirtschaftstreibenden" und vermehrte und intensive Öffentlichkeitsarbeit zu weiteren wichtigen Standbeinen Integration:Österreichs geworden.

Der Wind weht uns rauh entgegen, der finanzielle Überlebenskampf ist beinharte gelebte Realität, mit Ehrenamtlichkeit alleine und nebenberuflichen Engagement sind diese Tätigkeiten nicht mehr abzudecken, neue Wege sind auch in der Elternbewegung gefragt und angesagt. Ein gemeinsames Miteinander von professionellen bezahlten MitarbeiterInnen und professionellen ehrenamtlich tätigen MitstreiterInnen erfordert neue Umgangsformen in der gegenseitigen Anerkennung und der gemeinsamen zu erledigenden Arbeit.

Der vermehrte und intensive Dialog mit der Gesellschaft und ihrem Denken, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit zur Thematik Integration ist deshalb als Aufgabe der Zukunft zu sehen

Mit einem dazu passenden Zitat von Prof. Feuser möchte ich deshalb meine Worte schließen:

Integration ist kein Luxusanspruch von Eltern, sondern kulturelle Notwendigkeit und ethische Verpflichtung vom Rang eines Menschenrechtes.

Herzlichen Dank

Maria Brandl/ Vorsitzende

Integration:Österreich

Referat anlässlich der IntegrationsforscherInnentagung, Feber 2001, Eisenstadt

Quelle:

Maria Brandl: Referat anlässlich der IntegrationsforscherInnentagung, Feber 2001, Eisenstadt.

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Stand: 02.11.2005

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