Traumziel erreicht: Aus der Teestube wurde ein Hotel

Autor:in - Ines Boban
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: vorgesehen zur Veröffentlichung in der Zeitschrift ZUSAMMEN
Copyright: © Inses Boban 1995

Traumziel erreicht: Aus der Teestube wurde ein Hotel

Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, daß 1990 im Heft 8 der ZUSAMMEN von einer Initiative zu lesen war, die für eine Gruppe von jungen Leuten mit verschiedenen Behinderungen eine Wohn- und Arbeitsperspektive entwickeln wollte - zum Beispiel eine Teestube. Und vielleicht haben Sie inzwischen im Fernsehen oder in der Zeitung etwas vom STADTHAUS-HOTEL in Hamburg erfahren. Ja richtig, hier schließt sich der Kreis. Aus den eher vorsichtigen und bescheidenen Vorstellungen von einer kleinen gemütlichen Teestube mauserte sich allmählich die Idee von einer kleinen gemütlichen Pension - und heute, nunmehr seit September 1993, sprechen wir davon, daß obige junge Leute ein HOTEL betreiben! O ja, wir sind alle sehr stolz - das können Sie uns glauben...

Grundlage war die Überlegung, daß die herausragendste Fähigkeit "unserer Kinder und Freunde" die war und ist, aufmerksame Gastgeber zu sein und eine annehemende Atmosphäre zu garantieren. Und diese Fähigkeit kommt sowohl Teetrinkern als auch Übernachtungsgästen natürlich sehr zu gute - mehr verdienen läßt sich aber mit einer Tasse Tee (oder Kaffe, versteht sich), die zu einem üppigen Frühstücksbuffet nach einer gut durchschlafener Nacht genossen wird!

So wohnt und arbeitet denn nun also diese Gruppe in Hamburg-Altona unter dem Dach eines großen Mehrfamilienhauses und führt ihren Integrationsbetrieb sehr ähnlich wie einen Familienbetrieb. Das Integrative ergibt sich nicht nur durch das gemeinsame Leben in einem Haus mit vielen anderen Mietern oder dadurch, daß das Hotel für alle Gäste, z.B. auch rollstuhlbenutzende oder blinde, gemacht ist und gerade auch Eltern behinderter Kinder das Angebot macht, stundenweise Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Das Integrative ist auch darin zu sehen, daß hier nichtbehinderte Gäste Behinderten als Gastgebern begegnen und unter einem Dach leben, wie die Sozialsenatorin Fischer-Menzel anläßlich der Verleihung des Senator-Neumann-Preises betonte. Vor allem aber arbeiten hier zu orts- und branchenüblichen Tarifen entlohnt Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam in einem Betrieb, tragen alle die typische feine schwarzweiße Berufskleidung und mehr oder weniger Verantwortung für das Wohlbefinden der Gäste im direkten Kontakt mit ihnen. So finden sich denn auch im Gästebuch mehr als einmal Eintragungen mit dem Tenor: "Wir kamen als Fremde und gehen als Freunde!"

Das Familienähnliche ergibt sich u.a. aus der Tatsache, daß fast alle auch in der Etage über dem Hotelbetrieb wohnen und ihre Dienstpläne aufeinander abstimmen können, sich gegenseitig vertreten und ergänzen, in nur zwei Minuten am Arbeitsplatz sein können.

Auch Claudia Pokojewski, die erst später zur Gruppe stieß und zwei Hauseingänge weiter eine eigene Wohnung hat, fühlt sich voll zugehörig. Sie hatte die Wahl, unterstützt durch die Hamburger Arbeitsassistenz in einem Altenheim zu arbeiten oder aber im Service des STADTHAUS-HOTELS. Sie entschied sich für das Hotel und sagt auf Nachfrage strahlend: "Ich bin froh, daß ich diese Arbeit habe!" Montagabends geht die sehr kommunikative junge Frau zu einem Englischkurs des Spastikervereins, um mit den ausländischen Gästen auch ein paar Worte plauschen zu können. Ihre Eltern sagen, Claudia heute so leben zu sehen, sei besser als sechs Richtige im Lotto.

Dirk Becker ist sehr ordnungsliebend, er weiß immer, wo was hingehört, seine Kollegen müssen nur bei ihm nachfragen - und aushalten, daß er sie dann mal anraunzt: "Sag mal, wie lange arbeitest Du eigentlich schon hier?" Zu den Gästen sagt er nach eigener Einschätzung meist nur: "Schön'n Tag noch!" Seine Mutter wußte immer, daß er bestimmt gut mit dem Zimmerservice oder in der Küche und mit dem Aufbau des Frühstücksbuffets zurechtkommen würde, erstaunt aber ist sie über seine zunehmende Selbstsicherheit und den plötzlichen Wunsch, nun doch noch das Lesen zu lernen. Stolz, ja fast schwärmerisch beobachtet sie diesen großen jungen Mann mit Fliege, als er ihr bei der Weihnachtsfeier gekonnt den Wein einschenkt.

Kerstin Buhr war bereits in der Näherei einer WfB beschäftigt und ist durch den Einsatz einer Erzieherin zu diesem Hotelteam gekommen. Sie mag alle Tätigkeitsbereiche im Hotel, liebt aber besonders das Arbeiten in der hoteleigenen Wäscherei. Bei elf Betten fallen immer gerade gut bewältigbare Wäscheberge an, und wenn das weiße Tuch duftend, feucht und warm durch die Mangel dampft und glatt und glänzend wird, dann hört man Kerstin manchmal zufrieden summen.

Auch Gunther Faß und Clemens Paschen kamen während der Berufsvorbereitung zur Gruppe dazu, die ansonsten ja schon seit frühen Kinderjahren ihren Weg gemeinsam geht. Und auch sie haben nicht nur zu den MitarbeiterInnen im Hotel ein kollegiales Verhältnis gefunden und einen Draht zu den Gästen ("Am wichtigsten bei meiner Arbeit ist mir der Kontakt zu den Gästen" - so Clemens), sondern auch ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren MitbewohnerInnen. Zwei von ihnen, Annalena Kuhtz und Britta Born, sind nicht im Hotel tätig, sondern - hin und wieder - für das Hotel. Sie weben Tischsets mit Handführung, fertigen Postkarten, z.B. mit Seidenmalereien, stellen z.B. Obstschalen aus Pappmachee her oder beteiligen sich am Kochen, z.B. von Marmeladen. Alle anderen können sich in ihrer Freizeit an ihren Tätigkeiten beteiligen. Oder Britta krabbelt in ihrer Pause mal in die Wäscherei und riecht, lauscht und beobachtet, was hier los ist und lacht! Oder Annalena erhält von Dirk Besuch zwecks Händchenhalten und stummer Beratung, wie der gemeinsame Geburtstag gefeiert werden könnte. Vielleicht fragt er sie auch, wie es ihr beim Reiten gestern nachmittag gefiel und ist zufrieden, wenn sie dann nicht grimmig schnauft, sondern lächelt.

Jens Lüttensee wäre zwar eigentlich lieber Dirigent und pflegt in seiner reich bemessenen Freizeit diese Passion - er arbeitet wie die anderen mit halber Stelle. Aber zumindest scheint die edle Robe eine Brücke zum doch nunmehr voll akzeptierten "Hoteliersberuf" zu bilden. Gern tritt er auch als Referent bei Tagungen auf und stellt seine Crew und ihr Angebot vor. Auf so indiskrete Fragen, wieviel er denn verdiene, antwortet er - sehr diplomatisch: "Einzelzimmer 130 DM, Doppelzimmer 180 DM und Familienzimmer 220 DM!" Seine Mutter, die aufgrund einer schweren Erkrankung ihn nur selten in seiner neuen Lebenswelt erleben kann, ist erleichtert, daß er sich so gut eingelebt hat, denn für alle war die Aufnahmen des Arbeitslebens zugleich der Auszug und somit doppelter Abnabelungsbeginn von Zuhause. Beim Essengehen kann es schon mal passieren, daß Jens die Kellnerin korrigiert und das Besteck umsortiert - wozu war man schließlich auf einer Hauswirtschaftsschule?

Mirco Bark, sein alter Freund und Kumpel seit der Kindergartenzeit, spielt die Rolle des Hotelbetreibers perfekt - schließlich ist es immmer noch sein Traum und Ziel, als Schauspieler auf einer Bühne im Applaus zu baden. Und so nutzt er zum Beispiel das Polieren der Armaturen im Bad für genüßliche und intensive Gesangsübungen - Tendenz Phantom der Oper - und Selbstbeobachtungen im vorher penibel geputzten Spiegel. Zwar stellen die gelben Handschuhe zum schwarzen Anzug einen sehr krassen Kontrast dar, aber der Chef konnte eine praktischere Kleiderregelung nicht durchsetzen. Die Augen von Mircos Mutter strahlen, wenn er als Anleiter sein Wissen über korrektes Bedienen an eine Betriebspraktikantin aus einer Schule weitergibt. Größere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nunmehr gewohnt, gibt er gelassen und gekonnt Auskunft über seine Einstellung zur Arbeit: "Bettenmachen kann ich nicht so gut, Kloputzen auch nicht, aber manchmal arbeite ich sehr viel. Laß die Gäste mal herkommen zum Verwöhnen, wir schaffen das schon!" Ganz souverän nahm er denn auch den gratulierenden Händedruck der Sozialsenatorin zum obigen Preis entgegen, entgegnete ihn jedoch mit einer Umarmung - und da Jens sich dieser Aktion anschloß, verschwand die Senatorin für einen Moment im entsprechenden Gewühl. Frisch geküßt und über den Kopf gewuschelt, wurde sie der Öffentlichkeit wieder preisgegeben; im Fernsehrbericht wurde dazu festgestellt, daß sie sich trotz zerstörter Frisur sehr gefreut haben dürfte, denn "nur selten lösen PolitikerInnen derartig positive Reaktionen aus!".

So ungefähr sieht es aus - das ist aus unserem alten Traum geworden. Aber am Ziel sind wir natürlich immer noch nicht und werden es wohl auch nie sein, denn der Weg ist das Ziel und so gehen und träumen wir weiter: von der Erweiterung unseres Angebots durch ein zusätzliches Gebäude für mehr Zimmer und vielleicht auch Tagungsräume, damit wir auch größere Gruppen aufnehmen können. Allerdings holt uns die Realität auch immer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen mit seinen finanziellen und konzeptionellen Stolpersteinen. Seien wir also erstmal zufrieden mit dem bisher zurückgelegten Weg. Das bisher Erreichte ist, jetzt können wir es ja verraten, mehr als wir je zu träumen wagten!

Infos

Stadthaus-Hotel Hamburg, Holstenstraße 118, 22765 Hamburg; Tel. 040 / 38 99 20 - 0;

Fax 040 / 38 99 20 - 20

Für weitere Informationen: Ines Boban, Flotowstraße 7, 22083 Hamburg, Tel. 040 / 220 45 40

Quelle:

Ines Boban: Traumziel erreicht: Aus der Teestube wurde ein Hotel

vorgesehen zur Veröffentlichung in der Zeitschrift ZUSAMMEN

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Stand: 08.02.2005

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