Empowerment für Menschen mit Beeinträchtigung

Ein Konzept und seine Umsetzung im deutschsprachigen Raum

Autor:in - Irene Bindreiter
Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Bachelorarbeit
Releaseinfo: Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“ im Sommersemester 2010 an der Universität Salzburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft Studienfach: Pädagogik, Betreuer: Dr. Gottfried Wetzel, Datum der Abgabe: Juli 2010
Copyright: © Irene Bindreiter 2010

Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den benutzten Quellen entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde

vorgelegt noch veröffentlicht.

Irene Bindreiter

Sankt Valentin, im Juli 2010

Danksagung

Hiermit möchte ich mich bei all jenen Menschen bedanken, die mich im Laufe meines Bachelorstudiums auf die eine oder andere Weise unterstützt haben:

Dr. Gottfried Wetzel möchte ich danken, weil er meine Arbeit mit freundlichem Wohlwollen betreute und mich mit zahlreichen fachlichen Anregungen unterstützte.

Des Weiteren bedanke ich mich bei allen Personen, die es mir ermöglicht haben, meine Befragungen durchzuführen und all jenen, die mir einen Teil ihrer Zeit schenkten, indem sie meine Fragebögen ausfüllten.

Sie haben einen bedeutenden Beitrag zum Gelingen meiner Arbeit geleistet.

Helmut Narnleitner und Manuela Mauthner möchte ich für ihre Unterstützung danken - durch sie wuchs die Idee in mir, zu diesem Thema meine Arbeit zu verfassen.

Außerdem danke ich meiner Studienkollegin Sandra für unsere „Donnerstagsrunden“ und die fachliche und freundschaftliche Unterstützung in den letzten sechs Semestern; ich freue mich auf die nächsten vier.

Ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, Anton und Elfriede Bindreiter, meinem Bruder Stefan, meinem Freund Christian und dessen Eltern, die mich bestärkt haben, mit diesem Studium meinen Interessen nachzugehen.

Ihnen widme ich diese Arbeit.

Einleitung

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer das Unmögliche versucht werden“

(Hermann Hesse)

Selbstbestimmt Leben …

… Viele von uns denken erst über die Bedeutung dieser beiden Wörter nach, wenn sie in ihrem Leben oder einem Bereich ihres Lebens diskriminiert werden.

Deshalb interessiere ich mich dafür, welche Bedeutung die eigene Selbstbestimmung für Menschen mit Beeinträchtigung hat. Denn diese werden, zum Beispiel durch bauliche Barrieren oder Vorurteile von Mitmenschen, in ihrer persönlichen Freiheit (noch) häufig beschnitten.

Der Blickwinkel des Empowerment-Konzeptes, mit dem ich mich in meiner Arbeit befasse, „richtet sich gezielt auf die Ressourcen und Stärken der Menschen, auf ihre Potentiale zur Lebensbewältigung und - gestaltung“ (Stark, 1996, S. 108).

Im ersten Kapitel meiner Arbeit gehe ich auf Begrifflichkeiten und Definitionen des Empowerment-Konzeptes ein, und auf das Bild des Menschen aus Sicht des Selbstbestimmt-Leben-Ansatzes. Das zweite Kapitel beleuchtet die Geschichte des Empowerment-Konzeptes, seine Ursprünge und seine Entwicklung bis heute in Österreich.

Um Ressourcen und Formen der Unterstützung nach dem Ansatz des „Independent-Living“ geht es im dritten Kapitel. Anschließend, im Kapitel 4, werden einige Zahlen und Daten über Menschen mit Beeinträchtigung genannt.

Ab dem fünften Kapitel bezieht sich meine Arbeit auf meine Untersuchung in Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen in Österreich und Deutschland. Ich habe Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und/oder Lernschwierigkeiten befragt, um herauszufinden, welche Bedeutung Selbstbestimmung für sie hat.

Ziel meiner Arbeit war es herauszufinden, welche Ressourcen Menschen mit Beeinträchtigung in Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und - Beratungsstellen bereits nutzen und in welchen Lebensbereichen sie selbstbestimmt handeln können. Des Weiteren interessiert mich, wo sie sich diskriminiert fühlen - welche (Lebens-)Bereiche ihrer Meinung nach also noch Entwicklungspotential haben, um Selbstbestimmung zu ermöglichen.

1. Empowerment – Begrifflichkeiten

Zum weiteren Verständnis meiner Arbeit möchte ich zu Beginn einige verwendete Begriffe kurz erläutern:

1.1. Allgemeine Begriffe zum Thema Behinderung

- Menschen mit Lernschwierigkeiten ist eine neuere Bezeichnung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Der Begriff kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und stammt von Betroffenen-Bewegungen wie People First (vgl. Schirbort, 2007, S. 214).

Im ICD 10 (International Classification of Diseases) werden Lernschwierigkeiten unter den Nummern F70-F79 geführt und wie folgt definiert:

Ein Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten; besonders beeinträchtigt sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und die zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten. Eine Intelligenzstörung kann allein oder zusammen mit jeder anderen psychischen oder körperlichen Störung auftreten. (DIMDI, 2009)

Festgestellt werden Lernschwierigkeiten mittels standardisierter Intelligenztests, die Diagnose ist aber auch abhängig von der Beurteilung der allgemeinen geistigen Funktionsfähigkeit durch einen erfahrenen Diagnostiker. Da sich intellektuelle Fähigkeiten verändern können, zum Beispiel durch Rehabilitation und Übungen, soll sich die Diagnose immer auf die gegenwärtige Situation beziehen (vgl. DIMDI, 2009). Im Gegensatz zu dieser medizinischen Klassifizierung, wird von Vertretern des Selbstbestimmt-Leben Ansatzes davon ausgegangen, dass sich die Schwierigkeiten aus dem lebensweltlichen Kontext heraus ergeben.

- Körperliche Beeinträchtigung: Der §3 des Bundesbehinderungsgleichstellungsgesetzes definiert Behinderung folgendermaßen:

Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes Österreichs ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, [geistigen oder psychischen] Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (vgl. BGStG. 2010)

In der Stellungnahme der Lebenshilfe Österreich vom 3. Februar 2010 (Lebenshilfe Österreich, 2010) zum „Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Behinderteneinstellungsgesetz und das Bundesbehindertengesetz geändert werden sowie Entwurf einer Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) […]“ wird diese Formulierung insofern kritisiert, als dass die Begründung für eine erschwerte Teilhabe des Menschen mit Behinderung nicht ausschließlich auf dessen längerfristigen Beeinträchtigung liegen dürfe. Sozialen Barrieren würde hierbei keine Beachtung geschenkt. Diese Ansicht deckt sich weitgehend mit derjenigen der eingangs erwähnten Betroffenenbewegungen.

- Sinnesbeeinträchtigung ist der Oberbegriff für jene Beeinträchtigungen, welche die Fern - Sinneskanäle betreffen. Dazu gehören Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit und Fehlsichtigkeit sowie Blindheit. Davon ausgeschlossen sind Beeinträchtigungen der Nah-Sinneskanäle, wie Geruchssinn, Geschmacksinn und Tastsinn (vgl. Nagy, 2006, S. 48).

In einigen wörtlichen Zitaten wird in meiner Arbeit der Begriff „Behinderung“ verwendet. Ich bitte die LeserInnen, diesen - meine Arbeit betreffend - mit dem Begriff Beeinträchtigung gleichzusetzen.

1.2. Das Normalisierungsprinzip

Erstmals formuliert wurde das Normalisierungsprinzip 1959 in Skandinavien von dem dänischen Juristen Bank-Mikkelsen. Er forderte, Menschen mit der Bezeichnung „geistige Behinderung“ Bedingungen zu ermöglichen, die mit denen der übrigen Bevölkerung so weit als möglich übereinstimmen (vgl. Knust-Potter, 1998, S.51). Eine weitere Definition und zugleich auch Forderung in Bezug auf dieses Prinzip ist nach Kniel und Windisch (vgl. 2005, S. 19), dass Menschen mit Beeinträchtigung „ein Leben so normal wie möglich“ leben können sollen. Sie sollten Lebensstandards haben, wie jeder andere Mitbürger/jede andere Mitbürgerin auch. Hierbei verweisen die Autoren deutlich auf Menschen mit Lernschwierigkeiten. Mit dieser Forderung ist verbunden, dass Menschen mit Beeinträchtigung ihre Bedürfnisse selbst definieren und ausdrücken sollen, ihre Wünsche respektiert werden sollen und dass sie einen Anspruch auf Selbstbestimmung und Selbstvertretung haben.

In den USA nahm Wolfenberger den Gedanken Bank-Mikkelsens auf und entwickelte ein eigenes Konzept. Durch ihn erhielt das Normalisierungsprinzip eine wissenschaftliche Initiation und Legitimation (vgl. Knust-Potter, 1998, S. 54).

1.3. Der Begriff Empowerment

Im Begriff Empowerment steckt das Wort „power“, frei aus dem Englischen übersetzt also „Antriebskraft“, „Energie“, „Mächtigkeit“.

Der Begriff „Em-powerment“ meint demnach Selbst-Befähigung und Selbst-Bemächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbst-Verfügung (vgl. Theunissen, 2007, S. 94).

Selbstbestimmtheit oder Autonomie bedeuten, dass eine Willensfreiheit besteht betreffend der eigenen Lebensbereiche […]. Selbstbestimmtes Leben als Idealnorm enthält Elemente von Gleichheit, wenn sie für alle gelten soll, von Würde, weil sie Respekt fordert, von Freiheit und Individualität, weil sie das Recht auf Anderssein beinhaltet, sicher auch von Gesundheit, da sie eine Rolle für das Wohlbefinden spielt. Für behinderte Menschen spielt Helfen eine besonders große Rolle, Hilfe bedeutet dann Unterstützung und Assistenz. Selbstbestimmung ist somit unabhängig von Selbstständigkeit und beruht auf Gleichheit und Individualität wie auf Wahlfreiheit. (Dommermuth, 2004, S. 27)

Selbstbestimmung besagt also Entscheidungsautonomie, für Menschen mit Beeinträchtigung heißt das, dass sie selbst wählen, in welchem Lebensbereich und zu welchem Zeitpunkt sie Unterstützung (Assistenz) benötigen.

Grundsätzlich geht das Empowerment-Konzept davon aus, dass jeder Mensch für sich selbst bestimmen und entscheiden kann. Das schließt allerdings nicht aus, dass diese Fähigkeit im Einzelfall erst entwickelt werden muss (vgl. Theunissen & Plaute, 1995, S. 61-62).

Mag. Wolfgang Glaser (2009, S. 89), Leiter des Empowerment-Centers der Selbstbestimmt-Leben-Initiative (SLI) Oberösterreich, meint hierzu: „Selbstbestimmung kann auch so interpretiert werden, sich selbst zu bestimmen und wer als Mensch mit Behinderung selbstbestimmt leben möchte, kommt auch nicht darum herum, sich mit sich selbst zu konfrontieren und sich selbst neu zu bestimmen“.

Also ist Empowerment kein „Einmal-Akt“ sondern fordert Prozesse, auf die ich im folgenden Punkt eingehe.

1.4. Empowermentprozesse

Empowermentprozesse berichten von Menschen und ihren Zusammenschlüssen, denen es gelungen ist, ihre eigenen Ressourcen und Stärken zu erkennen und diese in Handlungen umzusetzen. Empowerment ist demnach als ein Prozess zu verstehen, in dem Menschen, Organisationen, Vereine oder Gemeinschaften ihren ökologischen und sozialen Lebensraum gestalten und mit Barrieren kreativ und ihren Bedürfnissen gemäß umgehen lernen. Der Fokus richtet sich hierbei gezielt auf die Ressourcen und Stärken der Menschen, auf ihre Potentiale zur Lebensbewältigung und- gestaltung (vgl. Stark, 1996, S. 107-108). Diese Prozesse finden immer auf drei Ebenen statt (vgl. Herriger, 1997, S. 85):

  1. Die individuelle Ebene: Auf dieser Ebene interessiert die Biographie der Person, die aus eigener Kraft aus einer (zugeschrieben) Opferrolle heraustritt, um ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.

  2. Die Gruppenebene: Der Fokus des forscherischen Blicks liegt hier auf den Solidargemeinschaften, den Menschen also, die durch die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft neue Ressourcen der Stärke erschließen und so die Umweltbedingungen beeinflussen.

  3. Die institutionelle Ebene: Auf der letzten Ebene wird Empowerment in Aktionen umgesetzt, die sich als Ziel setzen, Türen zu öffnen. Das Öffnen von Türen bezieht sich auf Dienstleistungsorganisationen, Verwaltungen und politische Entscheidungsgremien; sie sollen sich öffnen für das Engagement und die Teilhabe engagierter BürgerInnen.

In Anlehnung an Kieffer (1984) führt Stark (vgl. 1996, S. 127) an, Empowermentprozesse wären gekennzeichnet durch die „untrennbare Verknüpfung zwischen Konflikt und Wachstum“.

Diese Konflikte müssten „wahrgenommen und bearbeitet werden, um das Wachstum aufrechtzuerhalten […]“ (Stark, 1996, S. 127).

Weiters meint er (vgl. S. 127):

Empowermentprozesse als Entwicklung einer gesellschaftlichen Konfliktfähigkeit bedingen und veranlassen daher die Herausbildung und die Pflege von Strategien:

  • die gelernte Erwartung, hilflos zu sein, umzudefinieren

  • die eigene Unsicherheit durchzuhalten, Konflikte einzugehen

  • gegenseitige Unterstützung zu festigen

  • Einschüchterungsversuchen von außen zu begegnen

  • die damit verbundene Belastung privater Beziehungen durchzustehen.

Demnach bedeutet Empowerment, den Blick auf das eigene Selbst zu verändern – aber insbesondere der Blick der Umwelt auf Menschen mit Beeinträchtigung muss verändert werden. Das Bild vom Menschen mit Beeinträchtigung soll nicht länger das vom „Opfer“ sein.

1.5. Menschenbild aus Sicht des Empowerment-Konzeptes

Welches Bild hat das Empowerment-Konzept vom Menschen?

Welche Werte werden vertreten?

Um diese Fragen zu beantworten, wird im Anschluss darauf eingegangen, wie der Mensch mit körperlicher Beeinträchtigung und/oder Lernschwierigkeiten aus dem Blickwinkel des Empowerment-Konzeptes gesehen wird.

Ein erklärtes Ziel des Empowermentkonzeptes ist der Perspektivenwechsel. „Der Blick auf die Schwächen und Abhängigkeiten, der das Klientenbild der traditionellen psychosozialen Arbeit bis heute über weite Strecken prägt, wird verabschiedet“ (Herriger, 1997, S.73). Der Beziehungsaspekt zwischen der Person, die Hilfe in Anspruch nimmt, und dem Helfer/der Helferin soll verändert werden. Nach Dodd und Gutierrez (1990, zitiert nach Theunissen & Plaute, 2002, S. 35) ist die Grundlage aller helfenden Empowerment-Beziehungen die Kollaboration (Zusammenarbeit). Diese meint ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Adressaten und Professionellen und wird von drei Prinzipien geleitet:

  1. eine geteilte Anerkennung der Dringlichkeit von Problemen, mit denen sich der Klient konfrontiert sieht

  2. eine gemeinsame Verpflichtung bezüglich der Problemlösungen auf einer größtmöglichen demokratischen Basis

  3. eine durch den Helfer initiierte Wertschätzung der menschlichen Würde beider Partner der Beziehung.

Natürlich kann Empowerment auch durch verschiedene Lebensumwelten, Handlungen, Sichtweisen und Barrieren gehemmt werden. Reinalter und Rubisch (vgl. 1999, S. 7) unterscheiden zwischen technischen und gesellschaftlichen Barrieren. Technische Barrieren sind zum Beispiel die fehlende Zugänglichkeit oder Nutzbarkeit von Veranstaltungsorten oder Verkehrsmitteln. Mit gesellschaftlichen Barrieren ist der häufig fehlende Zugang von Menschen ohne Beeinträchtigung zu Menschen mit Beeinträchtigung gemeint. Ein weiteres Beispiel für eine gesellschaftliche Barriere bzw. ein Hemmnis für Selbstbestimmung ist die „Infantilisierung“ von erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten oder wenn Eltern oder enge Bezugspersonen mit der Situation, einen Angehörigen/eine Angehörige mit Beeinträchtigung zu haben, schwer umgehen können. Ebenso problematisch wie die „Überforderung“ der Person mit Beeinträchtigung ist die Aufopferung der Bezugspersonen durch überfürsorgliches Verhalten (Overprotection) gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung (vgl. Theunissen & Plaute, 1995, S. 57). Der Fokus des Empowerment-Gedankens liegt auf der Stärkenorientierung. Sie bezieht sich sowohl auf Einzelne als auch auf Familien, Gruppen oder das soziale Umfeld. Ausgangspunkt der professionellen Unterstützung ist die Erschließung individueller und sozialer Stärken. Talente, Ressourcen, Interessen und Lebenskräfte ergeben das Ziel dieser Suche. Des Weiteren wird der Blick in Richtung Zukunft gerichtet. Zukunftsentwürfe, Ziele oder Lebensmöglichkeiten sowie Überlegungen im Hinblick auf eine individuelle Stärken-Performance und Nutzung sozialer Stärken stehen im Mittelpunkt (vgl. Theunissen & Plaute, 2002, S. 35-36).

Michael Kennedy & Lori Lewin (vgl. 2004, S. 2) führen Werte an, die durch Selbstbestimmung gestützt werden. Diese sind:

  • Respekt

  • Wahlmöglichkeiten

  • Eigentümerschaft

  • Unterstützung und

  • Möglichkeiten.

Kennedy und Lewin verstehen unter Respekt, Menschen mit Beeinträchtigung als vollwertige Menschen zu sehen. Es geht darum, die Person individuell wertzuschätzen und ihre Besonderheit zu erkennen. Des Weiteren führen sie an, dass viele Menschen mit Beeinträchtigung nur scheinbar eine Wahlfreiheit hätten. Sie könnten sich eine Zimmernachbarin aussuchen, aber die Entscheidung ob sie überhaupt eine haben wollten oder nicht, stünde ihnen nicht frei. Wirkliche Wahlfreiheit würde bedeuten, von derselben Breite an Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu können, wie andere Menschen auch. Der Mensch mit Beeinträchtigung solle Chef sein über sein eigenes Leben und über die Dienstleistungen die er/oder sie in Anspruch nehmen möchte. In Bezug auf die Unterstützung sollen sie selbst wählen können, von wem und wie viel Unterstützung sie bekommen möchten. Das Schaffen, Wahrnehmen und Nutzen von (neuen) Möglichkeiten ist der letzte von den Autoren angeführte Wert. Dieser impliziert, dass Möglichkeiten die Fähigkeiten einschließen, Risiken und Fehler einzugehen, daraus zu lernen und stärker zu werden.

Die Ausführungen von Kennedy und Lewin haben mit dem „Normalisierungsprinzip“ sehr viel gemein.

Dass sich durch die Auseinandersetzung mit dem Empowerment-Konzept die Einstellung zu sich selbst verändert, beschreibt Wolfgang Glaser (vgl. 2009, S. 89): Sah er früher seine Beeinträchtigung nur durch die körperliche Einschränkung bedingt, so ergibt sich für ihn die Beeinträchtigung jetzt auch aus umweltbedingten Faktoren der Gesellschaft. Während früher Fachleute Experten für seine Belange waren, sieht er sich jetzt als „Experte in eigener Sache“.

1.6. Ziele von Empowermentprozessen

Das Ziel des Empowermentkonzeptes ist es, von der Betroffenen-Perspektive aus neue und zukunftsweisende Prozesse zu planen und umzusetzen. Theunissen und Plaute (1995, S. 64) meinen hierzu: „Anstelle einer institutionsbezogenen Praxis, die Menschen in marginalisierter Position an bestehende traditionelle Hilfesysteme überantwortet, tritt ein klientenorientiertes, bedarfsgerechtes und flexibles Konzept, das die Betroffenen dort abholen will, wo sie sich gerade befinden“. Die Autoren meinen weiter, es müsse an den jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnissen angesetzt werden. Selbstbestimmung ist nach ihnen auf den verschiedensten Ebenen möglich, sei es, dass sich der Mensch mit Beeinträchtigung selbst dafür entscheidet, was er/sie anziehen möchte, frühstückt, oder aber auch dass er oder sie selbst entscheidet, wo und wie er/sie leben möchte und in welchem Bereich er/sie Unterstützung benötigt. Die Autoren benutzen hierfür die Überbegriffe „Subjektzentrierung und Dialogische Assistenz“ (vgl. Theunissen & Plaute, 1995, S. 65-69). Außerdem weisen sie auf die Priorität des „Lebensweltbezuges“ hin, ohne diesen wäre Empowerment zum Scheitern verurteilt. Durch die Berücksichtigung sozialer Zusammenhänge und Widersprüche in der Gesellschaft zwischen Individuum und Umwelt, arbeitet Empowerment auf der Grundlage eines dialektischen Denkens und begreift Selbstbestimmung als eine soziale Kategorie (vgl. Theunissen & Plaute, 1995, S. 63).

Die Empowerment-Philosophie baut auf einer „Drei-Werte-Basis“ auf, nämlich dem Wert der Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Verteilungsgerechtigkeit. Letztere wird daran gemessen, ob und wie Ressourcen fair und gerecht verteilt sind (vgl. Theunissen & Plaute, 2002, S. 22-32).

Damit Empowerment gelingen kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Sichtweisen sollen und müssen hierfür verändert werden. Das bezieht sich auf den Kontext, wie auch auf das Individuum selbst.

1.7. Voraussetzungen für das Gelingen von Empowerment

Glaser (vgl. 2009, S. 90; auch Herriger, 1997, S. 73-80) nennt folgende Voraussetzungen für das Gelingen von Empowerment:

  • die Wahrnehmung von Selbstbestimmungsrechten und das Recht auf Mitbestimmung.

  • das Vertrauen in die Fähigkeiten jedes Einzelnen, sein Leben selbst zu gestalten

  • die Akzeptanz von Eigenheiten und die Achtung vor unkonventionellen Lebensentwürfen

  • der Verzicht auf entmündigende Expertenurteile

  • die Anerkennung der Tatsache, dass der Weg zur Selbstbestimmung oft kein leichter ist und auch mit Misserfolgen und Fehlentscheidungen verbunden sein kann.

  • Misserfolge und Fehler als normale menschliche Erfahrungen anzusehen, aus denen auch Menschen mit Behinderung viel lernen können.

Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie sich das Empowerment-Konzept historisch entwickelt hat.

2. Geschichte und Entwicklung von Empowerment im Sozialbereich

Die Reise zurück zu den Anfängen des Empowerment-Gedankens ist eine Zeitreise durch die Entwicklungslinien der Neuen Sozialen Bewegungen, die […] seit den 60er Jahren das Gesicht nicht nur der USA, sondern aller fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften des Westens nachhaltig verändert haben […]. Träger der sozialen Bewegungen sind Akteursgruppen, die in besonderer Weise von den Strukturmustern sozialer Ungleichheit verletzt worden sind und die – eingebunden in die Solidargemeinschaften alternativer Organisationen – für ein Mehr an Lebensregie, Partizipation und politischer Durchsetzungskraft eintrete. (Herriger, 1997, S. 19-20)

Stark meint zur Empowerment-Bewegung (vgl. 1996, S. 38): Das Auftauchen des Konzepts „Empowerment“ in der wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskussion kann also als Interesse an den Versuchen erklärt werden, die Knappheit der Lebensbedingungen und die Knappheit der Ressourcen des Lebens aufzuheben – d.h. die Möglichkeiten eigener Stärken mit denen des sozialen Zusammenlebens zu verknüpfen.

2.1. Civil Rights Movement- Bürgerrechtsbewegung des schwarzen Amerikas

Als „Geburtsort der Philosophie und der Praxis des Empowerments“ bezeichnet Herriger (1997, S. 20) die Bürgerrechtsbewegung (civil-rights-movement) der farbigen Minderheitsbevölkerung in den USA. Herriger bezieht sich auf David Garrow und Irving Solomon, welche laut ihm meinen, dass diese Bewegung an Vorläufer anknüpfen würde, die weiter zurück lägen als Martin Luther King. Die jüngere Geschichte der civil-rights-Bewegung ist eng mit dem Wirken von Martin Luther King verbunden. Er symbolisierte das neue politische Selbstbewusstsein der „black nation“.

Die Bewegung, die sich unter dem Dach des Southern Christian Leadership Councils (das 1957 in Atlanta gegründet wurde) organisierte, verfolgte eine Doppelstrategie:

Zum einen setzten sie direkte Aktionen von gewaltfreiem Widerstand. Instrument waren hierbei konfrontative Strategien zivilen Ungehorsams, zum Beispiel das Besetzen von Rathäusern und Ämtern, Sitzblockaden und dergleichen. Der zweite Teil der Strategie bestand aus Multiplikatorenprogrammen zur Aufklärung von Bewusstseinsbildung und wirkte eher im Hintergrund. Das Augenmerk lag auf unterschiedlichen Schlüsselstellen der Herstellung gleicher Rechte (vgl. Herriger, 1997, S. 20-23).

2.2. Self-Advocacy-Bewegung

In Schweden, den USA und Großbritannien entwickelten sich in den 60er und 70er Jahren die ersten „Self-Advocacy Gruppen“. Dieser Bewegung liegt das Anliegen nach Selbstbestimmung und Selbstvertretung zu Grunde. Die Mitglieder vertreten den Standpunkt, dass die Fähigkeiten und Ressourcen von Menschen mit Beeinträchtigung häufig unterschätzt werden, wenngleich auch der Grad der Selbstbestimmung von Mensch zu Mensch verschieden ist (vgl. Knust-Potter, 1998, S. 94). Herriger (1997, S. 26) bezeichnet die 70iger Jahre als „Dekade der Selbsthilfebewegungen“. Knust-Potter (1998, S. 94) definiert diese Bewegung so: „Self Advocacy steht für eine radikale Abfuhr an bevormundende, defizitorientierte Interaktionsstrukturen, denen Menschen mit Behinderung oft ausgesetzt sind. Self Advocacy ist eine Reise von (aufgezwungener) Fremdbestimmung zu (unterstützter) Selbstbestimmung“.

Wie eingangs bereits erwähnt geht die Entwicklung weg vom Betreuen und hin zum Unterstützen und Assistieren.

2.3. Independent Living

We all care about independence. When we are young, independence is something we struggle to achieve. When we are old, it is something we struggle to retain. Disabled people face particular difficulties in achieving independence, and campaigns for independent living have formed a key part of the movement for their emancipation. (Lakey, 1994, S.1).

Ungefähr zeitgleich zur Self-Advocacy-Bewegung, nämlich in den 1960iger Jahren, schlossen sich an der Universität Berkeley (Kalifornien) mehrere StudentInnen mit Beeinträchtigung zusammen, die eine Konzeption für selbstbestimmtes Leben entwickelten. Sie suchten nach UnterstützerInnen und setzten sich für behindertengerechte Wohnmöglichkeiten ein. Aus dieser Konzeption entstand eine internationale Bewegung, die sich auch in Europa verbreitete (Independent-Living) (vgl. Glaser, 2009, S. 88 und Theunissen, 2001, S. 2-3). Kniel & Windisch (vgl. 2005, S. 19) weisen darauf hin, dass das Selbstbestimmt-Leben-Modell ohne die Independent-Living-Bewegung undenkbar wäre.

Mit „Nothing about us without us“ wurde in den 1980iger Jahren das Anliegen und die Forderung der Independent-Living-Bewegung in den USA zusammengefasst, unabhängig vom Einfluss und der Bevormundung durch (nicht-behinderte) Experten zu leben“ (vgl. Kniel & Windisch, 2005, S. 22). Nach Volker Schönwiese (vgl. 2009) ist Independent-Living kein Konzept, das sich auf ohnehin schon unabhängige Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung bezieht. Es ist ein Konzept, das in seinen Prinzipien für alle Personen mit Beeinträchtigung, aber auch alte Menschen mit Unterstützungsbedarf sowie Menschen mit dauerhaft psychischer Beeinträchtigung gilt. Das Konzept geht davon aus, dass nicht nur die UnterstützerInnen geschult werden müssen, sondern vor allem auch die betroffenen Menschen mit Beeinträchtigung ihre Fähigkeiten schulen bzw. entwickeln sollen, gegenüber den UnterstützerInnen Anleitungs- bis ArbeitgeberInnen-Funktionen zu erfüllen. Im besten Fall geht es darum die Personalauswahl zu treffen und deren Anleitung und Bezahlung selbstständig abzuwickeln. Die Ausbildung der Menschen mit Beeinträchtigung funktioniert meist über Peer-Counseling, also über Menschen, die selbst betroffen sind. Der Fokus des Independent-Living liegt nicht darauf, selbstständig zu werden, sondern dass jeder Mensch mit Beeinträchtigung die ihm möglichen Schritte setzt. Schönwiese führt weiter an, dass Zentren für ein selbstbestimmtes Leben und Assistenz-Genossenschaften hierfür wichtige unterstützende Organisationen sein können (vgl. S. 3).

2.4. Community Living und Community Care

Vertreter des Community Living haben die Ansicht, dass Menschen [mit Lernschwierigkeiten] in Langzeiteinrichtungen, Wohnheimen und dergleichen unter Umständen leben, die sie selbst für sich nicht wählen würden. Community Living bedeutet, Menschen die Möglichkeit zu geben, diese Einrichtungen zu verlassen um in einem eigenen Zuhause in der Kommune/Gesellschaft zu leben (vgl. Knust-Potter, 1998, S. 71). Mit Community Care ist gemeint, dass die Gemeinde (Kommune) die Sorge der Menschen mit Beeinträchtigung übernehmen soll und bedeutet die Antithese zur Verwahrung und Therapeutisierung. Care bedeutet auch das bewusste Engagement, jene Menschen, die von Marginalisierung bedroht sind, in die Gemeinde zurückzuholen und sie in das Gemeindeleben wertschätzend mit einzubinden (vgl. Wunder, 2006, S. 1-3). Der Diplompsychologe und Leiter des Beratungszentrums der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Dr. Michael Wunder, meint in der Zeitschrift für Inklusion hierzu weiter:

Es gibt jedoch zwei Warnschilder, die ich hier deutlich aufstellen möchte. Das eine betrifft, dass spezialisiertes Wissen nicht abgeschafft werden darf und dass es durchaus eine Berechtigung von besonderen Versorgungsangeboten gibt. Das andere betrifft die absolute Notwendigkeit von hoch professionellen Mitarbeitern, gerade wenn Nachbarschaftsnetzwerke und bürgerschaftliches Engagement stärker einbezogen werden sollen, aber auch schwerer behinderte Menschen Nutznießer dieser Entwicklung werden sollen. Umbau statt Abbau von Professionalität ist hier das Stichwort. (Wunder, 2006)

Wunder schlussfolgert, dass Community Care ein Konzept der Re-Kommunalisierung der Gemeinden sei. Die professionellen Unterstützer hätten hierbei einen genauso hohen Stellenwert wie bürgerschaftlich engagierte Personen. Beide würden unverzichtbare und tragende Aufgaben haben (vgl. 2006, S. 7).

2.5. People First – Mensch zuerst

Im Vergleich zur amerikanischen Self-Advocacy-Bewegung ist die People First-Bewegung, deren erste Gruppe sich 1973 in Oregon (USA) entwickelte, im deutschsprachigen Raum noch relativ jung. People First als Organisation trat in Deutschland 1997 mit dem Projekt „Wir vertreten uns selbst“ ins Leben, die Leitung des Projektes lag damals noch nicht in der Hand der Betroffenen (vgl. Schirbort, 2007b, S. 253-254). Im Jahr 2000 hielt Michael Long, ein Mann mit Lernschwierigkeiten, der Berater des Gouverneurs von Kalifornien war, jeweils einen Vortrag in Wien und Tirol über „People First“. Kurz darauf wurde People First Vienna gegründet. Auch die SLI-Tirol nahm den Vortrag zum Anlass und startete das Projekt „Wir bestimmen selbst“ kurz „WIBS“. Hierbei handelt es sich um eine Beratungsstelle, die sich dafür einsetzt, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten für ihre Arbeit auch gerecht entlohnt werden (vgl. Gritsch, Köbler, Köfler, Rauchberger & Scheiblauer, 2009, S. 20). Für die People-First-Bewegung bedeutet Selbstbestimmung auch, dass sich Personen mit Lernschwierigkeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, lokal und überregional zusammenschließen können. Hierbei soll es keine Einschränkung hinsichtlich der Art und des Schweregrades der Lernschwierigkeiten geben. Sie schaffen die Möglichkeit für die TeilnehmerInnen, selbstbestimmt zu handeln - eine Chance und Möglichkeit, die viele der Betroffenen bislang nicht hatten. Sinn und Zweck der People First Bewegung ist die gegenseitige Unterstützung und Stärkung (peer support) von und durch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Wenn nötig, erhalten die TeilnehmerInnen bei Gruppentreffen und Tagungen Assistenz (vgl. Kniel & Windisch, 2005, S. 23).

2.6. Disability Studies

Im Zentrum der Disabilty Studies steht „Behinderung neu zu denken“ (Dederich, 2007; zitiert nach Grevning und Ondracek, 2009, S. 152).

Begründet wurden die Disability Studies in erster Linie von der Behindertenbewegung in Amerika (vgl. Grevning & Ondracek, 2009, S. 152). Mitglieder sind zum Großteil Menschen mit Beeinträchtigung, deren Ziel es ist, ihre Rechte als gleichberechtigte BürgerInnen der Gesellschaft offen zu fordern. Neben den eigenen persönlichen Erfahrungen standen zuerst politische Ziele im Vordergrund. Mit der Zeit entstand des Weiteren ein Interesse an der Wissenschaft und Forschung. Die theoretischen Fragen die hierbei auftraten, wurden von WissenschaftlerInnen mit Beeinträchtigung aufgegriffen (vgl. Dederich, 2007; zitiert nach Grevning und Ondracek, S. 152). Dederich (2007, zitiert nach Grevning und Ondracek, 2009, S. 152) meint hierzu: „ Sie begannen, aus ihrer gesellschaftlichen Unsichtbarkeit herauszutreten und wandten sich einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit besonders vordringlich erscheinenden Problemen zu“.

2.7. Selbstbestimmt-Leben-Organisationen und Initiativen in Österreich

In Österreich fanden sich Ende der 80iger Jahre die ersten autonomen Gruppen von Menschen mit Beeinträchtigung zusammen, die sich mit dem Konzept des „Independent Living Movement“ identifizierten. Grundsatz dieser Bewegung ist, dass Menschen mit Beeinträchtigung „Experten in eigener Sache“ sind. Sie sollen nicht als Objekt, sondern als Subjekt der Politik und Gesellschaft gesehen werden. In Österreich existieren in fast allen Landeshauptstädten einschlägige Vereine oder Beratungsstellen, die in unterschiedlichem Grad die Ideen des „Independent-Living“ verfolgen. In den Beratungsstellen können Menschen mit Beeinträchtigung, zum Beispiel mit sehr hohem Pflegebedarf, oder aber auch deren Angehörige, Informationen über Möglichkeiten und Ressourcen einholen. Ziel ist es, Menschen mit Beeinträchtigung eine neue Perspektive „außerhalb von Institutionen oder einem überbehütenden Elternhaus“ zu geben. Selbstbeststimmt-Leben-Zentren bieten persönliche Beratung, Unterstützung und Begleitung bei der Durchsetzung individueller Rechte und selbstbestimmter Lebensmöglichkeiten an (vgl. Riess, 1999, S. 32).

Charakteristisch für alle Selbsthilfebewegungen sind folgende Elemente (vgl. Herriger, 1997, S. 27– 28):

  • Im Vordergrund steht die Betroffenenperspektive.

  • Hilfe und Dienstleistungen werden selbst organisiert und initiiert.

  • Das Schaffen von sozialer Nähe und Gemeinschaft.

  • Die Einübung der Betroffenen in die Rolle von kritischen Konsumenten sozialer - -

  • Dienstleistungen

  • Die Ausübung eines sozialpolitisch relevanten Einflusses.

In der Ausübung der Selbsthilfe-Unterstützung können verschiedene Arbeitsschwerpunkte unterschieden werden. Erstens können SLI-Vereine-oder Beratungsstellen eine Wegweiserfunktion haben. Interessierte Menschen bekommen ein Bild von der Selbsthilfe-Szenerie, Kontakte können geknüpft werden. Zweitens vermitteln Kontaktstellen Selbsthilfe-Initiativen in der ersten Phase ihrer Arbeit rechtliche, organisatorische und administrative Starthilfen und stärken so die bürokratische Kompetenz der Interessierten. Drittens kann ein weiterer Schwerpunkt die Vernetzung der Netzwerke sein, benachbarte Initiativen können einander kennen lernen und in einem gemeinsamen Interesse zusammenarbeiten. Viertens ist auch das Forcieren und der Ausbau von Weiterbildungsangeboten ein Schwerpunkt von Selbsthilfe-Kontaktstellen. Und als letzter wichtiger Punkt anzuführen ist der Aufbau von Beteiligungsnetzwerken. Dieser bedeutende Arbeitsbereich meint das Schaffen eines Dialogs zwischen Vertretern der Gesundheitsselbsthilfe auf der einen Seite und Vertretern von gesundheitsbezogenen professionellen Diensten auf der anderen (vgl. Herriger, 1997, S. 143).

3. Empowermentmethoden für Menschen mit Beeinträchtigung in SLI-Vereinen- und Beratungsstellen

Im Hinblick auf Menschen mit Beeinträchtigung ist der Ausgangspunkt des Empowermentkonzeptes der radikale Bruch mit dem Defizit-Blickwinkel in der Heilpädagogik. Sie und ihre Angehörigen werden nicht mehr ausschließlich in Bezug auf ihre Schwächen und ihre Hilflosigkeit wahrgenommen und behandelt (vgl. Theunissen & Plaute, 2002, S. 20). Ralph Dommermuth, ein studierter Sozial- und Organisationspädagoge meint, ein denkbarer Weg zu mehr Selbstbestimmung der Adressaten sozialer Arbeit wäre, diese als „Kunden“ anzusehen (vgl. 2004, S. 41). Dieser Gedanke fordert eine Neudefinition professioneller Dienste. „Helfer sollen nicht mehr be-treuen, be-handeln oder gar be-stimmen sondern assistieren“ (Theunissen & Plaute, 1995, S. 68).

In den Vereinen und Beratungsstellen in Österreich, welche sich für (mehr) Selbstbestimmung und Barrierefreiheit für Menschen mit Beeinträchtigung einsetzen, wird mit folgenden Methoden gearbeitet:

3.1. Arbeitsassistenz/ Arbeitsbegleiterin

Nach Klicpera und Innerhofer (vgl. 1992, S. 5-8) bedeutet Erwerbstätigkeit für Menschen mit Beeinträchtigung:

  • Existenzsicherung

  • Erweiterung des geistigen Horizontes

  • einen strukturierten Alltag

  • Entwicklung

  • Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

  • Entwicklung hin zu mehr Verantwortung

  • Identität

Meiner Ansicht nach lässt sich die Bedeutung der oben genannten Punkte auf alle Menschen verallgemeinern, gleichgültig ob diese eine körperliche Beeinträchtigung und/oder Lernschwierigkeiten haben oder nicht.

Eines der zukunftsträchtigsten Konzepte, welches einen wichtigen Schritt in Richtung Empowerment bedeutet (und Menschen mit Beeinträchtigung nicht mehr vom herkömmlichen Arbeitsmarkt diskriminiert), ist das Konzept der Arbeitsassistenz aus den USA. Nach dieser und ähnlichen Konzeptionen entstanden auch in Österreich verschiedene „integrative Projekte“.

Das Konzept der Arbeitsassistenz, nach dem in den USA und in Kanada Menschen mit Beeinträchtigung in den/die Arbeitsprozess/e bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingegliedert werden, geht von folgendem Grundprinzip aus: Arbeitnehmer, Kollegen und Arbeitgeber bekommen dann Hilfe, wenn sie diese brauchen und zwar in einer quantitativen und/oder qualitativen Form, die auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt ist (vgl. Theunissen & Plaute, 2002, S. 318-321). In das Aufgabengebiet der Arbeitsassistenz fällt die Beratung und Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung zum Erwerb und zur Sicherung eines Arbeitsplatzes. Dazu zählen die Begleitung und Klärung von beruflichen (Zukunfts-) Perspektiven, die Beratung von DienstgeberInnen im Betrieb, die Zusammenarbeit mit Behörden und die Unterstützung der sozialen Sicherheit außerhalb des Arbeitsplatzes (vgl. Nagy, 2006, S. 55). Es besteht auch die Möglichkeit, Menschen mit Beeinträchtigung speziell beim Berufseinstieg zu unterstützen.

ArbeitsbegleiterInnen werden auch oft als „Job-Coach“, „Job-Trainer“ oder „Job-Koordinator“ bezeichnet. Sie unterstützen Menschen mit Beeinträchtigung in der ersten Phase des Einstiegs in einen Beruf oder an einem neuen Arbeitsplatz. Ihre Aufgaben sind die Begleitung der ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz und das Einarbeiten der ArbeitnehmerInnen in den Betrieb mittels „training on the job“ (vgl. Firlinger, 2003, S. 15). Eine weitere Möglichkeit ist die Unterstützung des Menschen mit Beeinträchtigung durch eine Kollegin/einen Kollegen.

3.2. Mentoring/Natural Support

Im Unterschied zur Arbeitsassistenz weisen beim Mentoring nicht externe ArbeitsassistentInnen, sondern KollegInnen aus dem Betrieb einen Menschen mit Beeinträchtigung in die neue Arbeitsstelle ein. Dieser Mentor wird von einer Supported-Employment-Agentur in seine/ihre Aufgaben eingeführt und bei eventuellen Problemen unterstützt. Das Modell des Mentoring wird auch als „Natural Support“ bezeichnet (vgl. Firlinger, 2003, S. 17).

Eine weitere und mit Sicherheit sehr wichtige und wertvolle Unterstützung ist die Unterstützung von Betroffenen für Betroffene. Hier können Erfahrungen ausgetauscht werden. Ein Berater/eine Beraterin, der/die mit denselben Barrieren konfrontiert ist oder war, kann eine sehr wertvolle Ressource sein um neue Möglichkeiten aufzudecken und zu schaffen. Auf diese Art der Beratung gehe ich im folgenden Punkt ein.

3.3. Peer Counseling

Unter Peer Counseling versteht man eine Beratung von Betroffenen für Betroffene. Dieser Beratungsansatz orientiert sich stark an Elementen der klientenzentrierten Psychotherapie von Carl Rogers. Die zentrale Annahme der Methode ist das unbedingte Vertrauen in die Fähigkeiten aller Menschen, ihre Probleme und Schwierigkeiten selbst lösen zu können. Die Dauer und Organisationsform dieser Beratung ergeben sich aus den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Person (vgl. Schirbort, 2007a, S. 252).

Verschiedene Beratungstechniken wie Aktives Zuhören, Problemlösung, Planung, Körperbewusstsein und Persönliches Wachsen finden hier ihre Verwendung (van Kann, 2000, zitiert nach Schirbort, 2007a, S. 252).

3.4. Persönliche Assistenz

Persönliche Assistenz meint eine auf die jeweiligen Bedürfnisse der AssistenznehmerInnen „maßgeschneiderte“ Hilfe, die ihnen Selbstbestimmung ermöglicht. Sie bezieht sich unter anderem auf die Bereiche Körperpflege, Haushaltshilfe, Mobilitätshilfe sowie Kommunikationshilfe. Die persönliche Assistenz wird von den KundInnen angeleitet. Die persönliche Assistenz wird vom Kunden selbst ausgewählt. Dieser entscheidet auch über deren Einsatz, also wo und wann sie eingesetzt wird. Das schafft für Menschen mit Beeinträchtigung eine Unabhängigkeit von Institutionen. (Firlinger, 2003, S. 18).

Die persönliche Assistenz kann zur Unterstützung von KundInnen einerseits im Berufsleben benötigt werden - andererseits aber auch, und darauf weisen Hähner, Niehoff, Sack und Walther (vgl. 2005, S. 166-167) hin, im Bereich des Wohnens.

Denn von sehr großer Bedeutung in Hinblick auf Selbstbestimmung ist es nach den AutorInnen, dem Einzelnen das Wohnen in einer privaten Wohnung zu ermöglichen. Die Wohnung stellt einen Platz der Individualität und Privatheit dar. Die mobile Assistenz ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigung das Leben in einer privaten Wohnung. Unterstützung erhalten sie bei der Haushaltsführung, Körperpflege, bei Behördengängen und beim Aufbau und Aufrechterhalten von Sozialkontakten.

4. Einige Daten zur Situation von Menschen mit Beeinträchtigung

Nach Riess (vgl. 1999, S. 13) der sich auf die Daten der UNO bezieht, haben in Österreich rund 47.000 Menschen Lernschwierigkeiten. Ca. 400.000 Menschen werden als in ihrer Bewegungsfähigkeit beeinträchtigt bezeichnet. Ungefähr 8.600 Menschen werden als vollkommen und 13.200 Menschen als praktisch blind bezeichnet. Von ca. 400.000 Menschen mit Hörbeeinträchtigung sind 7.000 gehörlos. Nagy (vgl. 2006, S. 50) folgert aus den Statistiken des Bundesministeriums für Finanzen, dass in Österreich rund 820.000 Menschen eine Beeinträchtigung haben würden.

In der Studie von Gertrud Hanslmeier-Prockl zur Teilhabe (Mitbestimmung/Partizipation) von Menschen mit Lernschwierigkeiten nennen 75% der befragten Personen überwiegend den Assistenten/die Assistentin als wichtigste Unterstützungsperson im Haushalt (vgl. Hanslmeier-Prockl, 2009, S. 199). Des weiteren führt sie an (vgl. S. 130), dass der Großteil der von ihr befragten Personen (67,4%) alleine wohnen, 19,1% der Personen leben in einer Partnerschaft, 7,9% in einer Wohngemeinschaft, 4,5% sind AlleinerzieherInnen mit Kind(ern) und bei 1,1% der befragten Personen handelt es sich um verheiratete Frauen mit Kind(ern). Zur Berufstätigkeit führt sie in ihrer Studie (vgl. S. 211) an, dass die meisten Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden und nur in Werkstätten Beschäftigung finden.

Eine Studie des AMS Österreich befasste sich mit der Arbeitsintegration von Menschen mit Lernschwierigkeiten (vgl. Schabmann & Klicpera, 1997, S.29-54). Die Autoren führen an, dass aus den Gesprächen, die sie mit Menschen mit Lernschwierigkeiten und mit deren Eltern geführt haben, eindeutig die positiven Seiten hervorgehen würden, die die Arbeit an einem „regulären“ Arbeitsplatz mit sich bringen würde. Es wurde die Arbeitszufriedenheit untersucht und keiner der Befragten gab an, mit der Beschäftigung im Betrieb weniger zufrieden zu sein als in einer Beschäftigungseinrichtung. Der Großteil der Personen führte eine Verbesserung an, nur zwei von 33 aus dem „geschützten Bereich“ übergewechselten Personen gaben an, keinen Unterschied zu verspüren. Die Autoren weisen weiters darauf hin (vgl. S. 30), dass es sich bei den sehr positiven Aussagen der ArbeitnehmerInnen nicht um eine Entschuldigung des persönlichen Aufwandes und Wagnisses handelt. Sie beziehen sich hierbei auf einen Vergleich der Aussagen der ArbeitnehmerInnen mit den Aussagen von deren Eltern. Die Meinung der Eltern wurde deshalb herangezogen, weil Schabmann und Klicpera der Ansicht sind, diese würden die allgemeinen Vor- und Nachteile der beruflichen Integration besser erkennen können als andere Gruppen. Bei 81% ihrer Kinder wurden Veränderungen der Lebenssituation festgestellt, beispielsweise die Verfügbarkeit eigenen Geldes (56%) oder mehr Freiheit für partnerschaftliche Beziehungen zu haben (38%). 25% der befragten Bezugspersonen beobachteten eine Erweiterung des Freundeskreises ihres Angehörigen. „Insgesamt kann also kein Zweifel bestehen, dass die Integration in Berufe der freien Wirtschaft für Menschen mit einer Lern- bzw. geistigen Behinderung einen wesentlichen Schritt in Richtung unabhängiges, eigenverantwortliches Leben bedeutet“(Schabmann & Klicpera, 1997, S. 31).

5. Fragestellung

5.1. Forschungsfrage

Meine zentrale Forschungsfrage lautet:

Welche Bedeutung haben Selbstbestimmung und der Kontakt zu Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen für Menschen mit Beeinträchtigung aus heutiger Sicht und welche Ressourcen nutzen sie, um selbstbestimmter leben zu können?

Mit Ressourcen meine ich zum Beispiel die Unterstützung durch eine Arbeitsassistenz oder eine persönliche Assistenz, aber auch durch Freunde und die Familie.

Herausarbeiten möchte ich anhand meiner Untersuchung folgende Themen:

Ressourcennutzung: Mich interessiert, welche Ressourcen die von mir befragten Menschen mit Beeinträchtigung nutzen, um zu mehr Selbstbestimmung zu gelangen.

Berufstätigkeit: Herausgearbeitet soll werden, welcher Anteil der befragten Personen in welchem Ausmaß erwerbstätig ist. Des Weiteren möchte ich herausfinden, wie viele der Befragten selbst MitarbeiterInnen von Selbstbestimmt-Leben-Vereinen/Beratungsstellen sind und wie viele neben ihrer Erwerbstätigkeit (in diesem Verein/dieser Beratungsstelle) noch ehrenamtliche Aufgaben erfüllen.

Kontakt: Mich interessiert, wie die befragten Personen mit diesem Verein/dieser Beratungsstelle in Kontakt kamen, ob dieser eher durch Medien oder soziale Netzwerke, wie etwa Freunde oder Bekannte, entstanden ist. Außerdem möchte ich herausfinden, wie lange der Kontakt schon besteht.

Diskriminierung: Des Weiteren soll festgestellt werden, in welchen Lebensbereichen sich welche Personengruppe am meisten diskriminiert fühlt.

Freizeitverhalten: Für sehr interessant halte ich es auch, ob sich seit dem Kontakt zum Verein/der Beratungsstelle das Freizeitverhalten der Personen verändert hat.

Selbstsicherheit und Selbstbestimmung: Da sich das Empowerment-Konzept als Ziel setzt, Selbstsicherheit und Selbstbestimmung zu fördern, befrage ich die Personen zu deren Einschätzung diese beiden Bereiche betreffend. Einerseits dazu, ob sie autonomer entscheiden und andererseits ob sich ihrer Meinung nach ihr Selbstwert verändert hat seit sie in Kontakt zu diesem Verein/dieser Beratungsstelle stehen.

5.2. Hypothesen

Hypothese 1:

HA: Die beiden höchsten Ränge in Bezug auf die Angaben zum Empfinden von Diskriminierung unterscheiden sich bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung im Vergleich zu jenen mit Lernschwierigkeiten.

H0: Die beiden höchsten Ränge in Bezug auf die Angaben zum Empfinden von Diskriminierung unterscheiden sich nicht bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung im Vergleich zu jenen mit Lernschwierigkeiten.

Hypothese 2:

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Personen mit körperlicher Beeinträchtigung und Personen mit Lernschwierigkeiten in Bezug auf die Einschätzung des Ansprechens von Ungerechtigkeiten.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Personen mit körperlicher Beeinträchtigung und Personen mit Lernschwierigkeiten in Bezug auf die Einschätzung des Ansprechen von Ungerechtigkeiten.

Hypothese 3

HA: Menschen mit Beeinträchtigung gelangen am häufigsten durch Freunde oder Bekannte zu Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen.

H0: Menschen mit Beeinträchtigung gelangen nicht am häufigsten durch Freunde oder Bekannte zu Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen.

Hypothese 4:

HA: Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung unterscheiden sich von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Angaben zu ihrem Selbstwert.

H0: Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung unterscheiden sich nicht von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Angaben zu ihrem Selbstwert.

Hypothese 5:

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, was die Einschätzung der Veränderung ihrer Selbstbestimmung betrifft, seit sie in Kontakt mit dem Verein/der Beratungsstelle stehen.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, was die die Einschätzung der Veränderung ihrer Selbstbestimmung betrifft, seit sie in Kontakt mit dem Verein/der Beratungsstelle stehen.

Hypothese 6:

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung zur persönlichen Veränderung durch die Umsetzung des Empowerment-Konzeptes.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung zur persönlichen Veränderung durch die Umsetzung des Empowerment-Konzeptes.

Hypothese 7:

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Einschätzung der Veränderung ihres Freizeitverhaltens.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Einschätzung der Veränderung ihres Freizeitverhaltens.

6. Methodisches Vorgehen

6.1. Untersuchungsdesign

Bei meiner Literaturrecherche stieß ich auf einige Studien, die sich mit der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung befassen. Für meine Untersuchung gab es explizit noch kein Instrument, da alle bisherigen Untersuchungen eher qualitativ angelegt waren, zum Beispiel von Erlinger, 2004 und Ablinger, 2004 die sich beide mit der Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten befassten. Diese beschäftigen sich mit Teilen meines Forschungsfeldes, behandeln aber zum größten Teil andere Schwerpunkte. Aus diesem Grund handelt es sich bei meiner Studie um eine eher explorative, weshalb ich dazu einen eigenen Fragebogen erstellte.

6.2. Beschreibung des Instruments

Mein Fragebogen besteht aus 16 Fragen. Großteils habe ich geschlossene Fragen verwendet, jedoch immer mit der Antwortmöglichkeit „Sonstiges“ in Kombination mit einem Schriftfeld, um keine Kategorien auszuschließen und alle Antwortmöglichkeiten erfassen zu können. Mit den Antworten im Feld „Sonstiges“ bildete ich neue Kategorien um die Ergebnisse detaillierter und differenzierter beschreiben zu können. Einige der Fragen erstellte ich als sogenannte „Skipfragen“, diese dienen dazu um zur jeweiligen Antwort noch mehr Details zu erfragen. Beispielsweise bat ich Personen, die sich diskriminiert fühlen, von mir vorgegebene Bereiche nach dem Grad zu reihen, wie stark sie diese Diskriminierung empfinden.

Das Ausfüllen des Bogens nahm in etwa 10-15 Minuten in Anspruch.

6.3. Gütekritierien:

6.3.1. Objektivität

Nach Bortz und Döring (vgl. 2006, S. 195) gibt die Objektivität eines Tests oder Fragebogens an, in welchem Grad die Testergebnisse vom Testanwender unabhängig sind. Die Objektivität ist bei meiner Untersuchung demnach sehr hoch, da ich die Bögen postalisch bzw. per Email versandt habe. Somit konnte ich die befragten Personen durch mein Verhalten nicht beeinflussen.

Die Autoren verweisen darauf, dass auch bei selbst erstellten Fragebögen das Gütekriterium „Objektivität“ leicht zu erfüllen ist, solange der Untersuchungsleiter standardisiert festlegt, wie die Durchführung, Auswertung und die Interpretation der Ergebnisse handzuhaben sind.

6.3.2. Validität

Validität bedeutet Gültigkeit - ist ein Test valide, dann misst er das, was er messen soll. Wie bei der Reliabilität kann die Validität eines Tests auf verschiedene Arten bestimmt werden. Zum Beispiel und unter anderem durch das Bestimmen der Inhaltsvalidität. Wenn die Gültigkeit so offensichtlich ist, dass keine Zweifel über das, was der Test messen soll, aufkommen können, dann ist der Test inhaltlich valide (vgl. Rost, 2007, S. 158). Durch die intensive Auseinandersetzung mit Literatur zum Empowerment-Konzept und dessen Umsetzung in Vereinen und Beratungsstellen sehe ich die Inhaltsvalidität insofern als gegeben an, als dass die bedeutungsvollsten Themen und Bereiche in meinem Fragebogen enthalten sind.

Nach der Inhaltsvalidität führen Bortz und Döring (vgl. 2006, S. 200; auch Rost, 2007, S.159) als zweite Hauptart der Validität die Kriteriumsvalidität an. Um diese zu überprüfen besteht die Möglichkeit, empirisch die Beziehung des Testwertes zu einem schon bestehenden oder später bestimmten (Außen)-Kriterium zu ermitteln. Es wird also außer dem Fragebogen noch eine Variable erhoben, mit der man Anhaltspunkte auf das zu messende Konstrukt erhält. Die Höhe der Korrelation zwischen Test und (Außen)-kriterium gibt den Grad der Kriteriumsvalidität an. Ein Außenkriterium wäre beispielsweise ein Beobachtungssachverhalt, der erst zu einem späteren Zeitpunkt gemessen werden kann.

Für meine Untersuchung im Rahmen der Bachelorarbeit wäre die Messung eines Außenkriteriums zu umfangreich gewesen.

Die dritte Hauptart der Validität, die Bortz und Döring anführen (vgl. 2006, S. 201) ist die Konstruktvalidität. Ein Test ist dann konstruktvalide, wenn es möglich ist, aus dem zu messenden Zielkonstrukt Hypothesen abzuleiten, die anhand der Testwerte bestätigt werden können. Statt „nur“ ein Außenkriterium festzulegen wird ein ganzes Netz von Hypothesen über das Konstrukt und seine Relationen zu anderen manifesten und latenten Variablen formuliert. Wenn die Testwerte so ausfallen, wie es die aus Theorie und Empirie abgeleiteten Hypothesen vorgeben, kann das als Indiz für die Konstruktvalidität eines Tests gewertet werden. Eine Konstruktvalidierung verspricht nur dann Erfolg, wenn neben dem zu prüfenden Fragebogen ausnahmslos gut gesicherte Instrumente verwendet werden.

Auf diese Art der Validierung habe ich bei meiner Untersuchung verzichtet, da diese den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen meiner Bachelorarbeit überschritten hätte.

6.3.3. Reliabilität

Die Reliabilität eines Tests weist den Grad der Genauigkeit auf, mit dem das geprüfte Merkmal gemessen wird. Der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs-Alpha zeigt die untere Grenze der Reliabilität an. Er informiert auch darüber, inwieweit die Aufgaben eines Fragebogens inhaltlich das Gleiche erfassen, also wie homogen der Test oder Fragebogen ist. Der Wert des Cronbachs-Alpha soll über 0,7 liegen (vgl. Rost, 2007, S. 156 ; Bortz & Döring 2006, S. 196-199). Handelt es sich, so wie bei meiner Untersuchung, um einen mehrdimensionalen Test, kann der Homogenitätsindex (Cronbachs-Alpha) auch für verschiedene Untertests gemessen werden.

Ich habe in meiner Untersuchung die Variablen „Entscheidungen selbstbestimmter“, „Selbstwert“ und „Hinweisen auf Ungerechtigkeiten“ zu einer Skala („Einschätzung zur persönlichen Veränderung“) zusammengefasst und den Cronbachs-Alpha berechnet. Dieser ergibt einen Wert von 0,734 und erfüllt somit die eingangs erwähnten Voraussetzungen.

6.4. Stichprobenkonstruktion

Mein Ziel war es, mindestens 30 Personen zu befragen, um die Stichprobe mittels des U-Tests nach Mann und Whitney auswerten zu können.

Um meine Fragestellung beantworten zu können, suchte ich nach Vereinen und Beratungsstellen in Österreich und Deutschland die sich mit dem Selbstbestimmt-Leben-Konzept für Menschen mit Beeinträchtigung auseinandersetzen. Den LeiterInnen, GeschäftsführerInnen bzw. Obmännern/Obfrauen sendete ich eine schriftliche Anfrage für die Untersuchung zu. Bei einem Verein stellte ich mich Anfang des Jahres persönlich vor.

Die Zusammenstellung der Stichprobe erfolgte so, dass ich die GeschäftsführerInnen bzw. Obmänner/Obfrauen der Vereine und Beratungsstellen bat, die Bögen an ihre MitarbeiterInnen und KundInnen weiterzuleiten. Demnach handelt es sich bei meiner Stichprobe um einen „Schneeballeffekt“, da ich ab diesem Zeitpunkt die Auswahl der Personen nicht mehr beeinflussen konnte.

Um Menschen mit Lernschwierigkeiten von der Untersuchung nicht auszuschließen, erstellte ich für diese einen Bogen in einfacher Sprache. Beide Bögen enthalten dieselben Fragen und Antwortmöglichkeiten und wurden immer gemeinsam versendet. Einer Beratungsstelle sendete ich die Bögen nach Absprache postalisch zu.

Ich vereinbarte mit den Vereinen und Beratungsstellen die Art und Weise der Befragung, da sie auswählen konnten, ob die ProbandInnen die Bögen am Computer ausfüllen wollten oder per Hand. Falls die Befragten keine Möglichkeit hatten selbst zu schreiben, konnten sie dies auch mit Unterstützung einer Vertrauensperson tun. Die meisten LeiterInnen der Vereine oder Beratungsstellen boten mir an, die Bögen per Mail an ihre KlientInnen weiterzuleiten. Zwei Vereine druckten die Bögen für mich aus und sandten sie mir ausgefüllt zurück. Die TeilnehmerInnen, die den Bogen per E-Mail erhielten, hatten nunmehr die Wahl mir die Bögen ausgefüllt zurückzumailen oder anonym und per Post an mich zurückzusenden. Den Hinweis, dass die Befragung in der Auswertung anonymisiert werden würden, habe ich im Anschreiben vermerkt.

6.5. Untersuchungsdurchführung

Die ersten Vereine und Einrichtungen befragte ich Anfang Mai und gab ihnen zwei Wochen Zeit um die Bögen auszufüllen. Da einige Stellen um Verlängerung der Frist baten, weitete ich diese auf Ende Mai/Anfang Juni aus. Ich kontaktierte in diesem Zeitraum auch weitere Vereine und Beratungsstellen um meinen Rücklauf zu erhöhen. Gritsch et al. (vgl. 2009, S. 16) beschreiben ihrerseits auch Erfahrungen mit einem eher geringen Rücklauf in diesem Forschungsfeld. Bei ihnen lag der Rücklauf unter 10%, bei meiner Untersuchung zwischen 40% - 50% in Bezug auf alle kontaktierten SelbstvertreterInnen. Der Wert kann in Hinblick auf meine Untersuchung insofern geschätzt werden, weil ich meist ungefähre Angaben erhielt, an wie viele Personen der Fragebogen weitergesendet wurde. Die Menschen von denen Rückmeldungen kamen, reagierten sehr positiv und waren interessiert und engagiert mich bei meiner Befragung zu unterstützen. Ich erhielt auch Anfragen von Personen, die Interesse an der Arbeit und den Ergebnissen der Fragebogenauswertung haben.

6.6. Datenanalyse

Die Auswertung der gewonnenen Daten erfolgte mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS. Da es sich bei den Variablen um nominal- und ordinalskalierte handelt, verwendete ich den nonparametrischen U-Test von Mann und Whitney (vgl. Bühl, 2008, S. 318). Dieser dient dazu, Unterschiede in Bezug auf erreichte Ränge oder Rangnennungen zwischen Gruppen herauszuarbeiten. Einige Häufigkeiten und Angaben von Personen stellte ich deskriptiv anhand von Diagrammen dar. Die qualitativen Angaben (zum Beispiel Anmerkungen) im Schriftfeld „Sonstiges“ fasste ich zu neuen Kategorien zusammen.

7. Ergebnisse:

7.1. Allg. Informationen zur Zusammensetzung der befragten Personengruppe

Mein Fragebogen wurde von 45 Personen beantwortet, davon sind 55,6% weiblich und 44,4% männlich. 51,1% haben eine ausschließlich körperliche Beeinträchtigung, während 48,9% der befragten Personen angaben, Lernschwierigkeiten zu haben. Von den Personen mit körperlicher Beeinträchtigung hat eine Person zusätzlich eine Sinnesbeeinträchtigung. Ursprünglich hatte ich geplant drei Gruppen miteinander zu vergleichen, da aber die Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten und Einschränkung der Mobilität nur 2 Personen umfasste, konnte ich diese in eine statistische Auswertung leider nicht mit einbeziehen.

Die Altersverteilung der Personen in meiner Befragung stellt sich folgendermaßen dar:

Altersverteilung der befragten Personen

Abbildung 1. Abbildung 1: Altersverteilung der befragten Personen

Abbildung 1: Altersverteilung der befragten Personen

Der Anteil der 42-49jährigen Personen ist in meiner Umfrage der höchste, dicht gefolgt von den 25-33jährigen und 34-41jährigen Personen, die jeweils einen Anteil von 24,44% ausmachen. Die Gruppe der 58-65jährigen ist in meiner Stichprobe mit 2,22% am wenigsten vertreten. Betrachtet man Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten im Vergleich, so sind die Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Vereinen/Beratungsstellen im Schnitt etwas jünger als die Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. In ersterer Gruppe sind 65,2% zwischen 18 und 41 Jahren alt, bei den Menschen mit Lernschwierigkeiten sind es 59,1%.

7.2. Ausmaß der Erwerbstätigkeit der befragten Personen:

Das Ausmaß der Erwerbstätigkeit der in meiner Stichprobe befragten Personen ist in der folgenden Abbildung ersichtlich:

Ausmaß der Erwerbstätigkeit der befragten Personen

Tabelle 1: Ausmaß der Erwerbstätigkeit, N = 45

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

Valid

Nicht erwebstätig

6

13,3

13,3

13,3

1-10 Wochenstunden

1

2,2

2,2

15,6

11-20 Wochenstunden

14

31,1

31,1

46,7

21-30 Wochenstunden

20

44,4

44,4

91,1

31-40 Wochenstunden

4

8,9

8,9

100,0

Total

45

100,0

100,0

Vergleicht man die Menschen mit Lernschwierigkeiten mit den Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf die Stichprobe, so ergibt sich folgende Verteilung im Hinblick auf das Ausmaß der Erwerbstätigkeit:

Ausmaß der Erwerbstätigkeit im Vergleich

Abbildung 2. Abbildung 2: Ausmaß der Erwerbstätigkeit - Menschen mit Lernschwierigkeiten vs. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigung, N = 45

Graphik: Ausmaß der Erwerbstätigkeit im Vergleich

Um feststellen zu können, welche Personen fixe Mitarbeiter des Selbstbestimmt-Leben-Vereines/der Beratungsstelle sind, wie viele Personen ehrenamtliche Mitarbeiter sind und wieviele der befragten Personen Mitglieder einer Interessensgruppe sind (zum Beispiel Chor,Theatergruppe etc.), erstellte ich dichotome Antwortmöglichkeiten (0 = nicht angekreuzt, 1=angekreuzt). Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. Aus diesem Grunderstellte ich eine Zusammenfassung (Variablenset) aus den Variablen, „BezahlterMitarbeiter“, „Ehrenamtlicher Mitarbeiter“ und „Interessensgruppe“.

Mitarbeit beim Selbstbestimmt-Leben-Verein/bei der Beratungsstelle

Tabelle 2: Angaben zur Mitarbeit im Selbstbestimmt-Leben-Verein/ in der Beratungsstelle, N = 45

Cases

Valid

Missing

Total

N Percent

N

Percent

N

Percent

$mitarbeita

36

80,0%

9

20,0%

45

100,0%

a. Dichotomy group tabulated at value 1.

Die Fallzusammenfassung (Tabelle 2) ergibt folgende Werte:

Von den 45 Fällen liegen 36 (80%) gültige Antworten, sowie 9 (20%) fehlende Antworten vor. „Fehlend“ nennt man einen Fall dann, wenn keine der in die Setvariable aufgenommenen Variablen einen gezählten Wert hat (vgl. Bühl, 2008, S. 286).

18 Personen der Stichprobe sind bezahlte MitarbeiterInnen der Vereine/Beratungsstellen. Das sind 45% der gegebenen Antworten (40) und 50% derjenigen Befragten (36), die mindestens eine Antwort angekreuzt haben. 13 Personen (32% der gegebenen Antworten) sind ehrenamtliche Mitarbeiter und 9 (22,5% der gegebenen Antworten) sind Mitglieder einer Interessensgruppe.

7.3. Zur Wohnsituation der Befragten

Wohnsituation der befragten Personen im Vergleich

Abbildung 3. Abbildung 3: Wohnsituation der befragten Perosn, N = 45

Abbildung 3: Wohnsituation der befragten Perosn, N = 45

Von den Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung wohnen 47,8% alleine in einer Wohnung, bei den Menschen mit Lernschwierigkeiten sind es 50,0%. In einer Wohngemeinschaft (WG) leben 4,3% mit körperlicher Beeinträchtigung und 27,3% der Menschen mit Lernschwierigkeiten. Mit dem/der PartnerIn gemeinsam in einer Wohnung wohnen 21,7% der Personen mit körperlicher Beeinträchtigung und 13,6% der Personen mit Lernschwierigkeiten, der Anteil der mit einer Familie (Partner und Kind/ern) zusammenlebt liegt bei der ersten Gruppe (körperliche Beeinträchtigung) bei 8,7% und bei der zweiten bei 4,5%. AlleinerzieherInnen sind nur in der Gruppe der körperlich Beeinträchtigten zu finden, der Anteil liegt bei 8,7%. Bei den Eltern wohnen 4,3% der körperlich beeinträchtigten Personen und 4,5% der Menschen mit Lernschwierigkeiten. 4,3% der körperlich Beeinträchtigten Personen leben in einem Studentenheim.

7.4. Diskriminierung

Die Frage, ob sie sich in ihrer Lebensumwelt diskriminiert fühlen würden, bejahen 68,9% der ProbandInnen. Davon sind 51,6% Menschen mit Lernschwierigkeiten und 48,4% Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Eine Person vermerkte bei der Frage, wie Ärzte oder Fachleute ihre Beeinträchtigung bezeichnen würden, dass diese Unselbstständigkeit hineininterpretieren würden, Selbstbestimmung nicht einmal andächten und sie als „medizinischer Fall“ bezeichnet werden würde. Ich gehe davon aus, dass die beiden Gruppen (Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung) die Barrieren, mit denen sie in ihrem Leben konfrontiert sind, unterschiedlich gewichten. Für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung werden vermutlich Barrieren in Hinblick auf die Mobilität stärker gewichtet als von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Für diese stehen unter Umständen Vorurteile von Mitmenschen in Hinblick auf das Diskriminierungsempfinden noch mehr im Vordergrund.

HA: Die höchsten Ränge (Rang 5 und 6) in Bezug auf die Angaben zur Diskriminierung unterscheiden sich bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung um Vergleich zu jenen mit Lernschwierigkeiten.

H0: Die höchsten Ränge (Rang 5 und 6) in Bezug auf die Angaben zur Diskriminierung unterscheiden sich nicht bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung um Vergleich zu jenen mit Lernschwierigkeiten.

Um herauszufinden, für welchen Lebensbereich in Hinblick auf das Empfinden von Diskriminierung am öftesten der höchste Rang (6) vergeben wurde, erstellte ich aus den Variablen „Vorurteile von Mitmenschen“, „Wohnen“, „Mobilität“, „Informationen in schwieriger Sprache“, „Freizeit“ und „Arbeit“ eine Setvariable und verglich mittels einer Häufigkeitstabelle Menschen mit Lernschwierigkeiten“ und „Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung“ miteinander.

Empfinden der höchsten Diskriminierung – Rang 6

Tabelle 3a: Emfpinden der höchsten Diskriminierung, N = 31 - Körperliche Beeinträchtigung

Am meisten diskriminierta

Responses Percent of Cases
N

Percent

Öffentlicher Verkehr

6

40,0%

40,0%

Beruf

2

13,3%

13,3%

Vorurteile

4

26,7%

26,7%

Wohnen

2

13,3%

13,3%

Freizeit

1

6,7%

6,7%

Total

15

100,0%

100,0%

a. Dichotomy group tabulated at value 6.

Tabelle 3b: Empfinden der höchsten Diskrimnierung, N = 31 - Lernschwerigkeiten

Am meisten diskriminierta

Responses

Percent of Cases

N

Percent

Vorurteile

7

43,8%

43,8%

Informationen in schwieriger Sprache

9

56,3%

56,3%

Total

16

100,0%

100,0%

a. Dichotomy group tabulated at value 6.

Die meisten Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung fühlen sich im Bereich „Öffentlicher Verkehr-Mobilität“ am stärksten diskriminiert, 40% der Höchstnennungen dieser Gruppe fallen auf diesen Bereich. Von Menschen mit Lernschwierigkeiten wurde als höchster Rang „Informationen in schwieriger Sprache“ am häufigsten genannt (56,3%). Um herauszufinden, welcher Bereich bei beiden Gruppen an zweithöchster Stelle genannt wird, ging ich wie oben bereits angeführt vor. Bei den Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung wird am häufigsten der „Wohnbereich“ (35,7%) genannt, Menschen mit Lernschwierigkeiten nennen „Vorurteile von Mitmenschen“ auf Rang 5 am öftesten (53,3%). Zusammengefasst fühlen sich Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung am meisten im Bereich Mobilität und Wohnen diskriminiert, Menschen mit Lernschwierigkeiten hingegen am meisten von Informationen in schwieriger Sprache und Vorurteilen von Mitmenschen.

Das bedeutet, dass sich Rang 5 und 6 jeweils im Gruppenvergleich unterscheiden, die Nullhypothese darf somit verworfen werden und die Alternativhypothese kann angenommen werden.

Mittels des U-Tests nach Mann und Whitney (vgl. Bühl, 2008, S. 318-320) habe ich berechnet, ob sich in meiner Stichprobe Menschen mit Lernschwierigkeiten von Personen mit körperlicher Beeinträchtigung unterscheiden, was ihre Einschätzung betrifft, ob sie sich seit dem Kontakt zum Selbstbestimmt-Leben-Verein/Beratungsstelle bei Ungerechtigkeiten eher wehren. Das von mir gewählte Signifikanzniveau liegt bei p = 0,05.

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Personen mit körperlicher Beeinträchtigung und Personen mit Lernschwierigkeiten in Bezug auf die Einschätzung des Ansprechens von Ungerechtigkeiten.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Personen mit körperlicher Beeinträchtigung und Personen mit Lernschwierigkeiten in Bezug auf die Einschätzung des Ansprechen von Ungerechtigkeiten.

Bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ergab sich ein mittlerer Rang von 25,17, bei Personen mit Lernschwierigkeiten ein mittlerer Rang von 20,73. Das Signifikanzniveau liegt bei (Z = -1,244, p = 0,214). Demnach besteht kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die Alternativhypothese wird also verworfen und die Nullhypothese angenommen.

7.5. Kontaktentstehung

HA: Menschen mit Beeinträchtigung gelangen am häufigsten durch Freunde oder Bekannte zu Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen.

H0: Menschen mit Beeinträchtigung gelangen nicht am häufigsten durch Freunde oder Bekannte zu Selbstbestimmt-Leben-Vereinen und Beratungsstellen.

Liegt der Anteil der Personen, die durch Bekannte oder Freunde zu dem Verein/der Beratungsstelle gelangt sind, bei über 50%, sehe ich die Nullhypothese als widerlegt an.

Kontaktentstehung

Tabelle 4: Angaben wordurch der Kontakt zum Verein/zur Beratungsstelle entstanden ist, N=45

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

Bekannte/Freunde

29

64,4

64,4

64,4

Arzt

4

8,9

8,9

73,3

Persönliche Assistenz/Betreuer

2

4,4

4,4

77,8

Bewerbung oder Stellenvermittlung

2

4,4

4,4

82,2

Studium

2

4,4

4,4

86,7

PsychologIn/ Sozialarbeiterin

2

4,4

4,4

91,1

Verwandte

1

2,2

2,2

93,3

Ämter/ Beratungsstellen

3

6,7

6,7

100,0

Total

45

100,0

100,0

Der Anteil der Personen, die über Bekannte oder Freunde zum Selbstbestimmt-Leben-Verein/zur Beratungsstelle gekommen sind, liegt weit über 50%, nämlich bei 64,4%. Somit kann die Nullhypothese verworfen und die Alternativhypothese angenommen werden.

Zeitpunkt der Kontaktentstehung mit dem Verein oder der Beratungsstelle

Abbildung 4. Abbildung 4: Angaben wie lange der Kontakt zum Verein/zur Beratungsstelle bereits besteht, N = 45

Graphik: Angaben wie lange de Kontakt zum Verein/zur
                        Beratungsstelle bereits besteht

Wie in Abbildung 4 ersichtlich, sind die meisten Personen meiner Stichprobe seit 1-3 Jahren beim Selbstbestimmt-Leben-Verein/bei der Beratungsstelle. 20% seit 4-6 Jahren und 17,78% seit 7-9 Jahren. Weniger als ein Jahr und somit ganz neu dabei sind nur 6,67% der befragten Personen. Interessant ist auch festzuhalten, dass, betrachtet man die Zeitspanne zwischen weniger als einem Jahr und drei Jahren, 40,9% der Menschen mit Lernschwierigkeiten erst seit diesem Zeitraum beim Verein/bei der Beratungsstelle sind, bei den Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung sind es lediglich 17,4% (vgl. Abbildung 5).

Dauer des Kontaktes zum Verein/zur Beratungsstelle im Vergleich

Abbildung 5. Abbildung 5: Dauer des bestehenden Kontaktes zum Verein/zur Beratungsstelle, getrennt in Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, N= 45

Graphik: Dauer des Kontakts zur Beratungsstelle, nach
 Menschen in
                        Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher
                        Beeinträchtigung

7.6. Ressourcennutzung

Um herauszufinden, welche Ressourcen die von mir befragten Personen nutzen und welche am häufigsten genutzt werden, habe ich die Variablen „Persönliche Assistenz“, „Mobiler Hilfsdienst“, „Hilfe von Freunden“, „Hilfe von der Familie“ und „Sonstige Hilfe“ zu einem Variablenset zusammengefasst. Die Variablen sind jeweils dichotom kodiert. Anschließend habe ich eine Fallzusammenfassung (Tabelle 5) und eine Häufigkeitstabelle (Tabelle 6) erstellt. Von den 45 Fällen der Datendatei liegen 40 (88,9%) gültige Antworten sowie 5 (11,1%) fehlende Antworten vor (siehe Tabelle 5). Die fehlenden Antworten beziehen sich auf Personen, die keine Unterstützung bekommen und somit keine der Ressourcen angekreuzt haben.

Fallzusammenfassung zur Ressourcennutzung

Tabelle 5: Unterstützung im Lebensalltag von anderen Personen, N = 45

Cases

Valid

Missing

Total

N

Percent

N

Percent

N

Percent

$Ressourcennutzunga

40

88,9%

5

11,1%

45

100,0%

a. Dichotomy group tabulated at value 1.

Die Ressource, die in meiner Stichprobe am häufigsten genutzt wird, ist die Familie. Diese wurde von 65% der in die Auswertung eingeschlossenen Personen angekreuzt. 23 befragte Personen gaben an, eine persönliche Assistenz zu haben. Das sind 28,4% der gegebenen Antworten (81) und 57,5% derjenigen Befragten (40), die mindestens eine Antwort angekreuzt haben. Den dritten Rang nimmt die Hilfe von Freunden ein, der Anteil der Personen, die diese Ressource in Anspruch nehmen liegt bei 40%. Einen mobilen Hilfsdienst nutzen 20% der Antwortgeber. Sonstige Hilfe erhalten 20% der unterstützten Personen, hier wurden von den befragten Personen folgende Ressourcen genannt: Mobilitätsdienst, Wohnassistenz, Arbeitsassistenz und SozialarbeiterIn.

Ressourcennutzung

Tabelle 6: Angaben zur Ressourcennutzung (Mehrfachnennung möglich), N = 40

Responses

Percent of Cases

N

Percent

Persönliche Assistenz

23

28,4%

57,5%

Mobiler Hilfsdienst

8

9,9%

20,0%

Hilfe von Freunde

16

19,8%

40,0%

Hilfe von der Familie

26

32,1%

65,0%

Sonstige Hilfe

8

9,9%

20,0%

Total

81

100,0%

202,5%

a. Dichotomy group tabulated at value 1.

Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Menschen, die angekreuzt haben, in ihrem Lebensalltag Unterstützung von anderen Personen zu bekommen:

  • Persönlichen Assistenz: 73,7% der Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung erhalten Unterstützung von einer persönlichen Assistenz, bei den Menschen mit Lernschwierigkeiten sind es 42,9%.

  • Mobiler Hilfsdienst: Auf einen mobilen Hilfsdienst greifen 15,8% der Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung zurück und 23,8% der Menschen mit Lernschwierigkeiten.

  • Hilfe von Freunden: Unterstützung von Freunden erhalten 57,9% der Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und 38,1% der Menschen mit Lernschwierigkeiten.

  • Unterstützung durch die Familie: Hilfe von der Familie bekommen 57,9% der Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und 71,4% der Menschen mit Lernschwierigkeiten.

  • Sonstige Hilfe: Auf weitere Formen der Unterstützung greifen 15,8% der körperlich beeinträchtigten Personen zurück und 23,8% der Menschen mit Lernschwierigkeiten. In der Kategorie „Sonstiges“ wurden beispielsweise die Unterstützung im Alltag durch Fahrtendienste genannt, sowie Hilfe durch eine Sozialarbeiterin.

7.8. Selbstwert und Selbstbestimmung

Ich möchte herausfinden, ob sich Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung von Menschen mit Lernschwierigkeiten signifikant voneinander unterscheiden (p= 0,05), was die Angaben zu ihrem Selbstwert betrifft. Da die Variable „Selbstwert“ ordinalskaliert ist, muss ein nonparametrisches Verfahren verwendet werden. Zur Hypothesenprüfung verwendete ich den U-Test nach Mann und Whitney.

HA: Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung unterscheiden sich von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Angaben zu ihrem Selbstwert.

H0: Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung unterscheiden sich nicht von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Angaben zu ihrem Selbstwert.

Der U-Test ergibt bei Menschen mit Lernschwierigkeiten einen mittleren Rang von 18,41 und bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung einen mittleren Rang von 27,39. Das bedeutet aufgrund der geringen Irrtumswahrscheinlichkeit, dass sich die beiden Gruppen in meiner Untersuchung dahingehend signifikant voneinander unterscheiden (Z= -2,583, p = 0,010). Menschen mit Lernschwierigkeiten schätzen die Verbesserung ihres Selbstwerts durch den Kontakt zum Verein/Beratungsstelle höher ein als Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Somit muss die Nullhypothese verworfen und die Alternativhypothese angenommen werden.

Des Weiteren wurden die Personen auch befragt, ob sie Entscheidungen seit dem Kontakt zur SLI-Einrichtung selbstbestimmter treffen würden.

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, was die Einschätzung der Veränderung ihrer Selbstbestimmung betrifft, seit sie in Kontakt mit dem Verein/der Beratungsstelle stehen.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, was die die Einschätzung der Veränderung ihrer Selbstbestimmung betrifft, seit sie in Kontakt mit dem Verein/der Beratungsstelle stehen.

Für die Berechnung gilt wieder das Signifikanzniveau p = 0,05.

Die Variable „Selbstbestimmung“ ist ordinalskaliert, das nonparametrische Verfahren (UTest) ergab bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung einen mittleren Rang von 25,82 und bei Personen mit Lernschwierigkeiten einen mittleren Rang von 20,05. Durch das Signifikanzniveau unter 0,05 (Z = -2,049, p =0,040) kann die Alternativhypothese angenommen werden. Es besteht ein signifikanter Unterschied zwischen Personen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, dahingehend, dass Personen mit Lernschwierigkeiten im Fragebogen öfter angeben, dass sie seit dem Kontakt zum Verein/zur Beratungsstelle selbstbestimmter handeln und entscheiden als vorher. Die drei Variablen „Selbstwert“, „selbstbestimmte Entscheidungen“ und „Hinweisen auf Ungerechtigkeiten“ habe ich zu einer Skala („Einschätzung zur persönlichen Veränderung“) zusammengefügt, der Cronbachs-Alpha beträgt hierfür 0,734. Diese Skala soll messen, wie sich die Einschätzung zur Selbstbestimmung der befragten Personen zusammengefasst darstellt und ob es einen Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung gibt.

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf ihre Einschätzung zur persönlichen Veränderung durch das Empowerment-Konzept.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf ihre Einschätzung zur persönlichen Veränderung durch das Empowerment-Konzeptes.

Wieder wurde das Signifikanzniveau 0,05 ausgewählt. Um herauszufinden ob bei der neu erstellten Variable „Einschätzung zur persönlichen Veränderung“ eine Normalverteilung vorliegt und somit im späteren Verlauf ein parametrischer Test zur Verwendung kommen könnte, führte ich mittels des Kolmogorov-Smirnov-Tests eine Prüfung auf Normalverteilung durch.

Anhand dieses Tests lässt sich die Verteilung einer Variablen auf Normalverteilung, Poissonverteilung, Gleichverteilung oder exponentielle Verteilung prüfen. Eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung ist bei p < 0,05 gegeben (vgl. Bühl, 2008, S. 328). Im Fall der Variable „Einschätzung zur persönlichen Veränderung“ liegt bei einem Wert von p = 0,04 demnach eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung vor. Deshalb muss auf ein nonparametrisches Verfahren ausgewichen werden. In diesem Fall ist der U-Test nach Mann und Whitney anzuwenden. Der mittlere Wert der körperlich beeinträchtigten Menschen liegt bei 26,52. Bei den Menschen mit Lernschwierigkeiten liegt der Wert bei 19,32. Letztere schätzen die Veränderung also höher ein, jedoch ist das Ergebnis in Bezug auf diese Variable knapp nicht signifikant (p > 0,05). Dadurch wird die Alternativhypothese verworfen und die Nullhypothese angenommen. Es besteht kein signifikanter Unterschied zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung zur Umsetzung des Empowerment-Konzeptes.

7.9. Freizeitverhalten

Ich befragte die ProbandInnen auch, ob sich seit dem Kontakt zum Verein/zur Beratungsstelle ihr Freizeitverhalten verändert hätte und in welche Richtung, weil ich herausfinden wollte, ob sich Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung von Menschen mit Lernschwierigkeiten bei den Angaben unterscheiden:

HA: Es besteht ein Unterschied zwischen Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Einschätzung der Veränderung ihres Freizeitverhaltens.

H0: Es besteht kein Unterschied zwischen Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten in Hinblick auf die Einschätzung der Veränderung ihres Freizeitverhaltens.

Zur Hypothesenprüfung verwendete ich wieder das nonparametrische Verfahren nach Mann und Whitney. Ich legte das Signifkanzniveau p = 0,05 fest. Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und einem mittleren Rang von 23,91 unterscheiden sich nicht signifikant (Z = -0,523, p = 0,601) von Menschen mit Lernschwierigkeiten mit einen mittleren Rang von 22,05. Dadurch wird die Alternativhypothese verworfen, und die Nullhypothese angenommen.

8. Diskussion der Ergebnisse in Hinblick auf die Forschungsfrage und Kritik des methodischen Vorgehens

Ich möchte anmerken, dass es sich in meiner Studie um keine Wirkungsanalyse des Empowerment-Konzeptes handelt. Demnach heißt ein signifikantes Ergebnis in Bezug auf den Unterschied in der Einschätzung der Veränderung des Selbstwertes nicht, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten einen höheren Selbstwert haben als Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Vielmehr bedeutet das Ergebnis, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten die Veränderung ihres Selbstwertes seit dem Kontakt zum Selbstbestimmt-Leben-Verein/ zur Beratungsstelle im Vergleich zu Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung als stärker einschätzen, beispielsweise von gering auf sehr hoch. Das könnte etwa bedeuten, dass der Selbstwert von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung zu Beginn schon höher war und sich deshalb weniger stark verändert hat. Auch die Einschätzung der Veränderung der Selbstbestimmung ergibt ein signifikantes Ergebnis (p = 0,040) (vgl. S. 45), und zwar dahingehend, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten diese als höher einschätzen als Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Das kann daran liegen, dass von der Umwelt bei Menschen mit Lernschwierigkeiten die eigene Selbstbestimmung noch seltener angedacht wird als der bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Demnach könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass sie sich durch den Kontakt zum Selbstbestimmt-Leben-Verein/zur Beratungsstelle gestärkter fühlen und sich so häufiger zutrauen, selbstbestimmt und autonom zu entscheiden. Sehr wichtig oder am wichtigsten innerhalb von Vereinen/Beratungsstellen scheinen soziale Netzwerke zu sein, immerhin geben 64,4% aller befragten Personen an, durch Bekannte oder Freunde darauf aufmerksam geworden zu sein. Tendenziell ist der Anteil der Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Vereinen/Beratungsstellen etwas jünger und noch nicht so lange in Kontakt. In Bezug auf die Wohnsituation ist anzumerken, dass in meiner Untersuchung, wie auch in der Studie von Hanslmeier-Prockl (vgl. 2009) der höchste Anteil der Menschen mit Lernschwierigkeiten alleine in einer eigenen Wohnung wohnt. In meiner Studie liegt der Anteil bei 50%. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl technische als auch gesellschaftliche Barrieren im Leben von Menschen mit Beeinträchtigung eine sehr große Rolle spielen. Nahezu 70% (68,9) der befragten Personen fühlen sich von ihrer Umwelt diskriminiert, das Empfinden der stärksten Diskriminierung ist unterschiedlich. Obwohl Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung an höchster Stelle den Bereich „Mobilität“ und an zweithöchster den Bereich „Wohnen“ nennen, ist an der Äußerung einer befragten Person (vgl. S. 36) ersichtlich, dass auch Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung von gesellschaftlichen Barrieren sehr stark betroffen sind und ihnen ihre Selbstbestimmung abgesprochen wird.

Selbstbestimmung ist den befragten Personen sehr wichtig, nach der Ressource „Familie“ wird als häufigste genutzte Ressource die Persönliche Assistenz genannt. Wie in meiner Arbeit eingangs erwähnt, bestimmen hierbei die KundInnen selbst, wann und in welchem Bereich ihres Lebens sie Unterstützung benötigen, sie entscheiden also selbstbestimmt.

Wie in der Untersuchungsdurchführung (vgl. S. 29) bereits beschrieben, erwies sich die Suche nach SelbstvertreterInnen, die bereit waren, den Bogen auszufüllen, als äußerst zeitaufwändig. Es waren hierfür viele Internetrecherchen nach geeigneten Vereinen und Beratungsstellen, sowie zahlreiche persönliche Anschreiben notwendig um auf die gewünschte Stichprobengröße zu kommen. In Hinblick auf die Durchführung der Befragung wäre es rückblickend vorteilhafter gewesen, für die Antwortsendungen mehr als zwei Wochen zu veranschlagen. Einige Vereine und Beratungsstellen baten um eine längere Rücksendefrist. Teilweise war es mir möglich, diese auszuweiten. Außerdem wäre es, auch wenn der Kostenpunkt dadurch erheblich ansteigt, eventuell von Vorteil, die Bögen postalisch anstatt per E-Mail zu versenden. Dies wäre für die Befragten, die die Bögen händisch ausfüllen, mit weniger Aufwand verbunden.

9. Ausblick

Interessant wäre es anhand eines standardisierten Testverfahrens zu untersuchen, inwieweit sich der Selbstwert der Mitglieder der Vereine und Beratungsstellen tatsächlich verändert. Dadurch, dass in der vorliegenden Untersuchung Menschen mit Lernschwierigkeiten die Veränderungen von Selbstwert und Selbstbestimmung höher einschätzen als Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, wäre eine Langzeitstudie hierzu sicherlich von Bedeutung.

10. Verzeichnisse

Inhaltsverzeichnis

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Anhang

Fragebogen in einfacher Sprache

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mein Name ist Irene Bindreiter.

Ich schreibe gerade für mein Studium eine Arbeit.

Darin geht es um Selbstbestimmung von Menschen mit (Lern)-Schwierigkeiten.

Deshalb möchte ich Sie befragen, weil Sie ExpertInnen sind.

Mich interessiert, was sich verändert hat,

seit Sie bei diesem Selbstbestimmt-Leben-Verein sind,

oder bei dieser Beratungsstelle waren.

Ich werde Sie zu folgenden Themen befragen:

zu ihrer Freizeit

Bild: Haus

wie Sie wohnen

Bild: Mann bei der Arbeit am Computer

Ihrer Arbeit

Es freut mich, wenn Sie den Fragebogen ausfüllen!

Bitte senden Sie ihn spätestens am _________________an mich zurück

Danke für Ihre Hilfe! Irene Bindreiter

Fragebogen zum Thema Selbstbestimmung in Leichter
Sprache, Seite 1
Fragebogen Leichte Sprache, Seite 2
Fragebogen Leichte Sprache, Seite 3
Fragebogen Leichte Sprache, Seite 4
Fragebogen Leichte Sprache Seite 5
Fragebogen schwer, Seite 1
Fragebogen schwer, Seite 3
Fragebogen schwer, Seite 4
Fragebogen schwer, Seite 5
Fragbogen schwer, Seite 5
Fragebogen schwer, Seite 6
Fragebogen schwer, Seite 7

Quelle

Irene Bindreiter: Empowerment für Menschen mit Beeinträchtigung – Ein Konzept und seine Umsetzung im deutschsprachigen Raum: Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“ im Sommersemester 2010 an der Universität Salzburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft Studienfach: Pädagogik, Betreuer: Dr. Gottfried Wetzel, Datum der Abgabe: Juli 2010

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 15.04.2015

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