betrifft: integration 4/96

Themenbereiche: Schule
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Integration: Österreich / Verein Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen (Hrsg.): betrifft: integration Nr. 4/1996, Herold Druck- und Verlagsges.m.b.H., Wien betrifft: integration (4/96)
Copyright: © betrifft: integration 1996

Liebe Leserin, lieber Leser,

einfach war´s in dem ganzen Trubel der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit rund um die Integration in die Sekundarstufe nicht, die eigene Zeitung mit den aktuellsten Informationen zu bestücken. Bis kurz vor Druckbeginn war unklar, ob und wie der Gesetzesentwurf zur 17. SchOG-Novelle im Unterrichtsausschuß und Parlament beschlossen wird. Welche Möglichkeiten und Hemmnisse nun durch die neue Schulreform gegeben werden, können Sie unter dem Artikel "Ein ‚Schulreform' - und kein Weihnachtspaket" nachlesen.

Wie die verantwortlichen Politikerinnen zur Integration in der Sekundarstufe stehen, erfahren Sie durch die Zitatesammlung aus dem Parlament (Artikel "Aus dem Parlament"). Neu und ab jetzt regelmäßig wollen wir die Möglichkeit zu Rechtsauskunft und -beratung geben und einem Erfahrungsaustausch über Tips und Tricks in der integrativen Praxis Platz bieten (bei "§§ Dschungel - I N F O - E C K´ "). Schicken Sie uns doch Ihre Fragen oder positiven wie negativen Erfahrungen! Einem kleinen Schritt näher gekommen ist die österreichische Integrations- und Behindertenbewegung dem lange eingeforderten Antidiskriminierungsgesetz. Durch die internationale Arbeitstagung "gleich.beRECHTigt" wurden Betroffene gestärkt und hoffentlich gelingt es politischen Gegnerinnen nicht so einfach, Aktivistinnen auseinanderzubringen und in ihrem Vorhaben zu schwächen. In den nächsten Ausgaben von BETRIFFT:INTEGRATION werden wir noch laufend über die ausgearbeiteten Ergebnisse berichten und Auszüge aus den Referaten abdrucken. Wie es dazu kommt, daß das Bundesland Kärnten - in Sachen schulischer Integration immer Schlußlicht - nun eine extrem hohe Zahl an sonderpädagogisch zu fördernden Kindern hat, erklärt Frau Dr. Zöhrer, wissenschaftliche Begleiterin (Artikel: "Dagmar Zöhrer: Integration in Kärnten"). Zum Schluß bleibt noch der Hinweis auf unsere vollgefüllte Buchseite und den extra Kinderbuchtip.

Mit dem (der Druckversion) beiliegenden Erlagschein hoffen wir, Ihnen vom Weihnachtsgeld noch etwas "abzwacken" zu können. Ein frohes Fest und angenehme Feiertage!

Ihr Redaktionsteam

Ein "Schulreform"- und kein Weihnachtspaket

Die am 28. November vom Nationalrat beschlossene 17. SchOG-Novelle, die Integration in die Hauptschule und AHS-Unterstufe ermöglicht, hätte weder 12jähriger praktischer Erfahrung noch wissenschaftlicher Begleitung gebraucht.

Noch vor der Adventszeit wurde der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern für die sogenannte Sekundarstufe (HS, AHS-Unterstufe) im Parlament gesetzlich verabschiedet. Ruckzuck durchliefen die Novellierungen die legistischen Wege, passierten in Windeseile den Ministerrat, Unterrichtsausschuß und schließlich den Nationalrat.

Eigentlich ein Grund zum Freuen! Schließlich engagieren wir uns für den gemeinsamen Unterricht, im Namen der behinderten Kinder, deren Eltern aber auch im Namen der nichtbehinderten Kinder und für eine große Anzahl von Lehrerinnen, die in den Elterninitiativen ihr emotionales zu Hause gefunden haben.

Die Gewißheit, daß für ALLE Beteiligten Vorteile entstehen, wenn Kinder mit unterschiedlichen (sonder)pädagogischen Bedürfnissen - wann gibt es die nicht? - gemeinsam in einem Klassenverband unterrichtet werden, verbindet sie. Das entspricht nicht nur den Erfahrungen der Elterninitiativen, sondern wird auch mittels vieler wissenschaftlicher Studien belegt. Selbst die Auswertung der Schulversuche durch das Unterrichtsministerium hat gezeigt: In diesen (kleineren) Klassen finden alle Kinder leichter Freundinnen, und alle, sogar die sogenannten "Hochbegabten" werden intensiver gefördert.

Unterrichtsministerin Gehrer spricht in Zusammenhang mit den vorliegenden Gesetzesnovellierungen von einem "Quantensprung in eine menschliche Gesellschaft". Was läßt uns an den hehren Worten der Ministerin zweifeln? Es wird von Integration geredet, beim genauerem Hinschauen wird deutlich: die vorliegenden "Schulreformen" geben Integration vor, enthalten aber dafür keine Rahmenbedingungen. Da die Allgemeinbildenden Höheren Schulen in Bundeskompetenz fallen, müssen Begleitmaßnahmen bereits in den vorliegenden Gesetzen geregelt werden. Die Hauptschulen hingegen unterstehen der jeweiligen Landesgesetzgebung (wie Volksschule), es ist erfahrungsgemäß in den nächsten zwei Jahren mit entsprechenden Landesausführungsgesetzen zu rechnen. (Wobei die Länder sich an den Bundesgesetzen orientieren werden.) Die vorliegenden Gesetze enthalten nur ein bisserl Integration, in dem Sinne: wo es gewollt ist, dürfen behinderte Kinder in die Klasse mit den nichtbehinderten Kindern. Allerdings: Wo kein Wille ist, gibt es auch keinen Weg.

Nun wissen wir, daß in Österreich Schulreform zu betreiben, ein schwieriges Unternehmen ist. Die Schule als Großinstitution ist außerordentlich statisch und wehrt sich immer an allen Gliedern, wenn Veränderungen angesagt sind. Der Plan der Regierung, den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern nach der Volksschule auch für die Hauptschule und AHS zu ermöglichen, blieb ganz den österreichischen Wurzeln treu, dementsprechend zaghaft und von Kompromissen geprägt ist das Gesetz ausgefallen. Das Menschenrecht auf Nichtaussonderung wurde nicht anerkannt, an dessen Stelle rückt die "Herbergsuche". Es kann Eltern eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf passieren, daß sie Schule für Schule abklappern müssen, bis sie eine Schule finden, die bereit ist, ihr Kind aufzunehmen. Im Gesetz ist lediglich festgeschrieben, daß bei bereits erfolgter Integration "ordentlich" zu unterrichten ist.

Die Krux beginnt bereits bei den Aufnahmebestimmungen. Die bestehenden Kriterien bleiben auch im Zusammenhang mit der neu vorgesehenen Aufnahme von behinderten Kindern aufrecht. Bei großem Andrang in eine AHS - wo ist das nicht der Fall - werden unter anderem die besseren Lernerfolge als Auswahlkriterium herangezogen. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf erhalten damit keine reellen Chance für den Besuch einer AHS.

In der 15. SchOG (Volksschulgesetz- gebung) wurde für die Klassenbildung "in der Regel vier Kinder" mit sonderpädagogischem Förderbedarf festgeschrieben, diese Beschränkung wird nun mit der 17. SchOG-Novelle, auch für die Volksschule, aufgehoben. Als Richtzahl wird für die AHS, festgeschrieben, daß "im Durchschnitt mindestens fünf(!) Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf" in einer Integrationsklasse zu unterrichten sind. Eine Höchstbeschränkung gibt es nicht!. Damit wird eine unzumutbare Unterrichtssituation vorprogrammiert, die Wiederbelebung der "Eselsbank" droht.

Sonderpädagogische Zentren (SPZ) wurden zur Unterstützung des gemeinsamen Unterrichts an Regelschulen - bereits 1993 zur Volksschulgesetzgebung - eingerichtet. Damit sie diesen Aufgaben gerecht werden können, ist es notwendig, daß sie vordringlich an Schulen mit integrativer Erfahrung installiert werden. Das Ministerium selbst wollte im ursprünglichen Gesetzesentwurf SPZ an (integrativen) Schulen ermöglichen. In der letzten Fassung wurde dieser Wunsch revidiert. SPZ´s können weiterhin nur an Sonderschulen geführt werden. Sonderschulen sollen also weiterhin gegen ihre eigenes Bestehen beraten und sich um ihr "Klientel" bringen. Daß das dann nicht im Sinne eines möglichst objektiven Abwägens der Argumente in Respekt des Elternwunsches passiert, ist einsichtig und gehört zu den Schlüsselerlebnissen im Alltag der Beratungsstellen für schulische Integration.

Weiters wurde im Gesetz keine Gelegenheit ausgelassen, Kooperationsklassen zu stärken. Abgesehen davon, daß ein zeitweises Zusammensein von Klassen unterschiedlicher Schulart immer möglich war und ist und keiner gesetzlichen Absicherung bedarf, ist hinlänglich bekannt, daß Kooperationsklassen keine Alternative darstellen und statt sozialer Integration unheilvolle Mitleidsgefühle fördern. Auch von Lehrerinnen werden diese Klassen äußerst ungünstig und als nicht integrativ beurteilt. (Studie des BMUkA, Zentrum für Schulentwicklung, Graz, Dr. Specht)

Die Koalitionspartnerinnen waren sich wider besseren Wissens einig und sprachen von einer "großen Palette an Fördermöglichkeiten für behinderte Kinder, dazu gehören Sonderschulen, Kooperationsmodelle, das Stütz-Lehrerinnen-System und die Integrationsklassen". "Ein Team aus Sonderpädagoginnen, Schulbehörde und Eltern wird in Zukunft gemeinsam für das behinderte Kind den bestmöglichen Weg wählen können", meint der SPÖ Schulsprecher Antoni. Wann diese Zukunft beginnt und wieviele Gesetzesänderungen es bis dahin noch braucht, hat er nicht erwähnt. Der mangelnde politische Wille zu einem gemeinsamen Leben und Lernen von behinderten und nichtbehinderten Menschen wird mit diesem Gesetz geradezu bestätigt. "Wenn man Integration von behinderten und nichtbehinderten Kindern in der Schule aus gesellschaftspolitischen Erwägungen heraus politisch will (wofür sehr vieles spricht), dann besteht die größte Chance für eine auch pädagogische Wirksamkeit dieser Intention darin, sie möglichst konsequent umzusetzen. Konsequent heißt, auf alle segregierenden Momente zu verzichten, die im Sinne der Betreuung und Förderung der betroffenen Kinder nicht unbedingt erforderlich sind." (BMUkA 1993, Specht).

Dieses Gesetz ist nicht konsequent!

red.

Erste Auswirkungen

An Vorarlberger Gymnasien wird es auch in Zukunft nicht zu einer Integration von behinderten Schülerinnen kommen. Die zuständige LR Eva-Maria Waibel erteilte den Integrationsklassen mit der Begründung, es herrsche Platzmangel und es fehle die nötige Infrastruktur, eine Absage. Selbst Kinder, die alle Voraussetzungen für höhere Schulen erfüllen, können nicht in allen Fällen in solche Schulen aufgenommen werden, sagte Waibel.

Zitiert

Der schwerbehinderte Nobelpreisträger Stephen Hawking in seiner Rede 1990 an der University of Southern Californi

"Es ist unglaublich wichtig, daß man behinderten Kindern ermöglicht, mit anderen gleichaltrigen Kindern zusammenzusein. Das ist entscheidend für ihr Selbstwertgefühl. Wie kann man sich als Mitglied der menschlichen Rasse fühlen, wenn man bereits im frühen Alter von ihr getrennt wird? Das ist eine Form von Apartheid."

§§ Dschungel - I N F O - E C K´

Auf Fragen, Probleme, juristische Spitzfindigkeiten und Alltagshürden wollen wir in Zukunft versuchen, Antwort und Hilfe zu geben. Eine erste Anfrage erreichte uns von der Beratungsstelle "Die bunte Rampe" in Graz. Die Beantwortung übernahm der juristische Berater von INTEGRATION : ÖSTERREICH, Dr. René Schindler.

Muß in der VS die Zuerkennung von SPF immer mit einer Abstufung im Lehrplan in mindestens einem Gegenstand einhergehen?

Überhaupt nicht! Das sind zwei völlig getrennte Dinge: Ob sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF) besteht, ist bei der Schuleinschreibung zu prüfen. Dabei geht es gerade darum, daß ohne spezielle Förderung der Regellehrplan nicht erfüllt werden könnte. Ziel ist daher: Mit Förderung soll es möglich sein, das Kind nach dem VS-Lehrplan zu unterrichten. Natürlich wird das nicht immer gehen. Dann - und nur dann - muß der Unterricht in einzelnen Fächern nach einem Sonderschullehrplan erfolgen. Aber das muß sich im Lauf der Zeit erweisen: Von vornherein, etwa gar zugleich mit dem SPF-Bescheid, den Unterricht nach dem Sonderschullehrplan anzuordnen ist glatter Rechtsbruch. Dagegen würde ich jedenfalls Berufung einlegen! Wenn umgekehrt in manchen Bundesländern gedroht wird, keinen sonderpädagogischen Förderbedarf anzuerkennen, wenn die Eltern nicht im vorhinein - ehe das Kind noch die Schule besucht! - dem Sonderschullehrplan in mindestens einem Fach zustimmen, ist das genauso gesetzwidrig und sinnlos: Auch auf den SPF besteht ein durchsetzbarer Rechtsanspruch. Wird der Antrag abgelehnt: Berufung erheben!

Wer adaptiert Schulgebäude?

Für Pflichtschulen ist der Schulerhalter = die Gemeinde zuständig. Für alle ausgefalleneren Wünsche ist kein Geld da. Eine Rampe, ein Lift, ein Rollstuhlklo ist vor allem dann ein ausgefallener Wunsch, wenn jenes Kind, das diese Adaptierung benötigt, aus einer anderen Gemeinde kommt. Hier ist es dann sonderpädagogischer Förderbedarf, daß die Integrationslehrerin das Kind die Stufen hinaufschleppt oder es aufs Klo trägt. Oder es wird versucht, die Kosten einer Adaptierung eines öffentlichen Gebäudes auf eine Einzelperson zu übertragen, Ansuchen auf Übernahme der Kosten aus der Behindertenhilfe.

Eigentlich ist das generell unzulässig: Das Pflichtschulerhaltungsgrundsatzgesetz verpflichtet alle Gemeinden (Gemeindeverbände), die Schulen in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten bzw. zu bringen. In einigen Ländern (Stmk, Vbg, Tirol) ist eine behindertengerechte Adaptierung sogar ausdrücklich durch das Schulgesetz dieses Landes angeordnet. Aber auch wo das nicht der Fall ist: Der ordnungsgemäße, den pädagogischen Anforderungen entsprechende Zustand umfaßt - seit es einen gesetzlichen Anspruch auf Integration gibt - jedenfalls auch die dazu nötigen Umbauten. Nur: Eltern haben keinen persönlichen Rechtsanspruch darauf und das heißt: Wenn es nicht gemacht wird, kann man es nicht mit rechtlichen Mitteln durchsetzen. Aber: Bürgermeister, die ihren Pflichten bewußt nicht nachkommen, begehen Amtsmißbrauch - das ist strafbar! In Zweifelsfällen kann die Gemeindeaufsicht bei der Landesregierung angerufen werden und vor allem die Öffentlichkeit.

Wie finanziert man Ausstattung und Hilfsmittel?

Ist schon die Ausstattung für die nichtbehinderten Schülerinnen meist nicht besonders haltungsfreundlich, so sind z.B. die Sitzmöbel für körperlich behinderte Kinder meist ungeeignet. Es gibt zwar verstellbare Sitzmöbel, aber: die Krankenversicherung fühlt sich nicht zuständig, die Schulbehörde nicht, die Behindertenhilfe meist auch nicht, also finanzieren die Eltern oder eine Sponsorin oder eben niemand. Noch schwieriger wird es mit einer "Zweit"-Ausstattung an Hilfsmitteln, z.B. elektronischen Kommunikationshilfsmittel für seh- und hörbehinderte Schülerinnen. Aufwendiges Fundraising ist notwendig.

Da gilt das vorher Gesagte genauso. Allerdings ist es meist viel schwieriger, die Öffentlichkeit zu interessieren.

Gibt es therapeutische Hilfestellungen?

Mobile Therapie, die auf Lebens- und Lernsituationen des Kindes Bezug nimmt und mit Eltern und Lehrerinnen im Austausch ist, scheint derzeit ein organisatorischer Wunschtraum zu sein. Zur Unterstützung der ständig anwesenden Lehrerin wäre oft eine Person mit besonderen Fachkenntnissen, z.B.: für blinde und sehbehinderte, für Kinder mit autistischer Wahrnehmung, nötig.

Diesbezüglich sind leider auch die Gesetze absolut hilflos. Der einzige Anhaltspunkt, den es gibt, ist die Pflicht der SPZ, Integration und die Integrationslehrerinnen zu unterstützen. Mobile Lehrerinnen mit speziellen Kenntnissen müßten also vom SPZ im Bedarfsfall gestellt werden - aber ich formuliere das bewußt als reine Theorie; wirklich gemacht wird das in den seltensten Fällen. Alle Therapie ist derzeit Privatsache. Manchmal müssen Eltern darum streiten, daß von ihnen organisierte Therapien in der Schule, sinnvoll eingefügt, durchgeführt werden dürfen. Denn die Therapeutin ist ja eine "schulfremde Person". Eine vernünftige Kooperation mehrerer öffentlicher Dienste ist, so scheint´s, kaum erreichbar.

Besteht Anspruch auf pflegerische Hilfe?

Einige behinderte Kinder brauchen Hilfe beim Gang aufs WC, bei der Jause, beim An- und Ausziehen etc. Dort, wo es nicht möglich ist, daß dies von Eltern und Lehrerinnen gemacht wird, benötigt das Kind jemand zusätzlichen. Bescheidene Ansätze, zusätzliches, meist unausgebildetes Personal anzustellen, sind von Bundesland zu Bundesland völlig unterschiedlich geregelt und zumindest in der Steiermark mit einem verhältnismäßig hohen Aufwand aus dem Pflegegeld bedacht.

Auf die nötige pflegerische Hilfe besteht leider nur in Kt, NÖ und OÖ ein gesetzlicher Anspruch! Wenn in diesen Ländern Pflegepersonal gebraucht wird, muß es eingestellt werden. In allen anderen Ländern gibt es einen derartigen Anspruch nicht. Dort muß nur das Schulgebäude erhalten werden. Das Überleben der Schülerinnen interessiert offenbar weniger. Mit rechtlichen Mitteln ist also zum Beispiel in der Steiermark nichts zu machen. Mit politischen aber schon: Wir informieren gerne die Journalisten der Lokalzeitung, setzen eine öffentliche Diskussion an und vieles mehr. Schließlich ist es den Gemeinden ja nicht verboten, persönliche Assistenz zu organisieren; verpflichtet sind sie dazu nur in den erwähnten drei Ländern. In letzter Zeit setzen Gemeinden oft Zivildiener ein. Das ist immerhin etwas. Aber natürlich nur akzeptabel, wenn die nötige Ausbildung sichergestellt ist. Außerdem sollte man bedenken, daß oft doch eine Kontinuität in der pflegerischen Assistenz nötig ist. Am Rande: Für Assistenz-Dienste dürfen keinerlei Kosten verrechnet werden! Schulgeld darf nur für Ganztagsbetreuung verlangt werden. Wenn die Steiermark für die Unterrichtszeit Anteile des Pflegegeldes verrechnet, halte ich das auf den ersten Blick für rechtswidrig. Außer es gäbe ein Landesgesetz, das derartiges deckt, weil die Assistenz vom Land - nicht den Gemeinden - geleistet wird.

Eine curriculare Fabel oder Das Konzept der Unterschiede

Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Tiere eine Schule. Das Lernen bestand aus Rennen, Klettern, Fliegen und Schwimmen. Und alle Tiere wurden in allen Fächern unterrichtet. Die Ente war gut im Schwimmen; besser sogar noch als der Lehrer. Im Fliegen war sie durchschnittlich, aber im Rennen war sie ein besonders hoffnungsloser Fall. Da sie in diesem Fach so schlechte Noten hatte, mußte sie nachsitzen und den Schwimmunterricht fallen lassen, um das Rennen zu üben. Das tat sie so lange, bis sie auch im Schwimmen nur noch durchschnittlich war. Durchschnittsnoten aber waren akzeptabel, darum machte sich niemand Gedanken darum, außer der Ente.

Der Adler wurde als Problemschüler angesehen und unnachsichtig und streng gemaßregelt, da er, obwohl er in der Kletterklasse alle anderen schlug, als erster den Wipfel eines Baumes zu erreichen, darauf bestand, seine eigene Methode anzuwenden. Das Kaninchen war anfänglich im Laufen an der Spitze der Klasse, aber es bekam einen Nervenzusammenbruch wegen des vielen Nachhilfeunterrichts im Schwimmen und mußte von der Schule abgehen. Das Eichhörnchen war Klassenbester im Klettern, aber sein Fluglehrer ließ ihn seine Flugstunden am Boden beginnen, anstatt vom Baumwipfel herunter. Es bekam Muskelkater durch die Überanstrengung bei den Startübungen und immer mehr "Dreier" im Klettern und "Fünfer" im Rennen.

Die mit Sinn fürs Praktische begabten Präriehunde gaben ihre Jungen zum Dachs in die Lehre, als die Schulbehörde es ablehnte, Buddeln in das Curriculum aufzunehmen. Am Ende des Jahres hielt ein anormaler Aal, der gut schwimmen, etwas rennen, klettern und fliegen konnte, als Schulbester die Schlußansprache.

Autorin unbekannt (in erweiterter Fassung als Bilderbuch erschienen, siehe Buchtip!)

Zur Gesetzwerdung

Was INTEGRATION : ÖSTERREICH, alles unternommen hat, um das Gesetz für die Sekundarstufe I zu verbessern.

Wie schon zur Volksschulgesetzgebung trafen Eltern- und Integrationsinitiativen aus ganz Österreich zusammen, um einen Forderungenkatalog mit dem Hintergrund von zwölf Jahren Erfahrung mit schulischer Integration zu erarbeiten.

  • Im Frühjahr kam es zum ersten und bisweilen einzigen Gesprächstermin mit Frau Minister Gehrer. Unsere gemeinsam ausgearbeitenden Wünsche haben sie sehr aufgebracht, sie verließ wutentbrannt den Verhandlungstisch.

  • Dennoch wurden zahlreiche Gespräche mit den Bildungsverantwortlichen der jeweiligen Partei im Vorfeld von Gesetzesentwürfen geführt und ihnen unsere gesetzlichen Forderungen, anknüpfend auf unsere langjährige Erfahrung, übermittelt.

  • Sämtliche Mitglieder des Unterrichsauschusses wurden kontaktiert und in ihrem jeweiligen Bundesland in Integrationsklassen eingeladen.

  • Mit Veröffentlichung des Geset-zesentwurfes wurde eine Analyse erstellt, diese an alle begutachtenden Stellen mit einer Einladung zu einer Veranstaltung versandt. Bei dieser haben wir ihnen differenziert unsere Bedenken vorgebracht.

  • Die Mitglieder der Plattform "Integrationsinitiativen" wiederum haben während der Sommermonate den "Begutachterinnen" ihre Stellungnahmen zu den Gesetzesentwürfen geschickt.

  • Weiterhin wurden laufend Gespräche mit bildungsverantwortlichen Beamtinnen und Politkerinnen gesucht und geführt.

  • Wir haben uns stark engagiert, damit Univ.-Prof. Georg Feuser seinen Vortrag "Geistig Behinderte gibt es nicht" vor den Abgeordneten im Parlament referieren durfte. Im Anschluß daran überreichte die Plattform "Integrationsinitiative" die gesammelten Unterschriften "für ein sinnvolles integratives Gesetz im Sekundarbereich" den (leider spärlich) anwesenden Abgeordneten zum Nationalrat.

  • Regelmäßig haben wir Journalistinnen über unsere Bedenken und Erfahrungen informiert, haben Pressekonferenzen abgehalten, zahlreiche Sendungen in Rundfunk und Fernsehen initiiert, aber auch zu den zahlreichen unqualifizierten Äußerungen von sogenannten Lehrervertreterinnen bzw. "besorgten" Expertinnen Stellung genommen.

  • Schließlich haben wir Ministerinnen im Vorfeld der Ministerratssitzung informiert, sie gebeten, diesen Gesetzen, welche vom Grundsatz "Behinderte zuletzt" getragen sind, in der Form nicht zuzustimmen. Dies geschah in Erinnerung an die Volksschulgesetzgebung - die damalige Familienministerin Rauch-Kallat hatte kraft ihres persönlichen Engagements wesentliche und essentielle Veränderungen erreicht. Diesmal: Umsonst!

  • Die Klubobleute der Koalitionsparteien wurden um Hilfe gebeten.

  • Nochmals die Mitglieder des Unterrichtsausschusses kontaktiert (unterstützt vom Wiener Stadtschulratspräsidenten). Sie wurden noch knapp vor der Ausschußsitzung zu einem Gespräch geladen.

Das alles durchzuführen hat viel Kraft gekostet. Schließlich mußte jede Information erkämpft und jeder vollzogenen Änderung im Gesetzesentwurf nachgelaufen werden. Wir sind enttäuscht über dieses mangelnde (schul)partnerschaftliche Verhältnis - "Partnerinnen sehen anders aus" - oder spiegelt dieses Umgehen das Beziehungsverhalten im System Schule?

- Zu den - für das Gesetz - verantwortlichen Politkerinnen ist zu sagen: Sie alle haben wider besseren Wissens gehandelt!

gleich.beRECHTigt

Am 1. und 2. November haben in Wien/Strebersdorf bei der gleichnamigen Arbeitstagung 250 (behinderte) Expertinnen aus vielen Behindertenorganisationen des Landes, interessierte Menschen und betroffene Eltern den internationalen Referentinnen gelauscht und in Arbeitskreisen viele Aspekte der Diskriminierung, deren mögliche Überwindung und klare Forderungen besprochen.

Behinderte Menschen stellen die Welt auf den Kopf! Gemeinsam fordern wir die Einhaltung der Menschenrechte - ein Gleichstellungsgesetz für Österreich! Österreich hat eine lange und wenig rühmliche Tradition, behinderte Menschen zu befürsorgen - also gerade am Leben zu erhalten, um den Preis des Stillhaltens, Dankbarseins und Nicht-Auffallens. Bis jetzt gibt es in Österreich noch kein rechtliches Instrumentarium, um sich gegen diese Diskriminierungen zur Wehr zu setzen. Aber die Zeiten ändern sich: Gemeinsam werden Elterninitiative(n) und betroffene Menschen für die Anerkennung der Menschenrechte, für ein Gleichstellungsgesetz zu kämpfen! Dr. Adolf Ratzka (Gründer der schwedischen Selbstbestimmt Leben Bewegung und der STIL-Genossenschaft von Assistenzbenützerinnen, Leiter des Institute on Independent Living) wies in seinem Referat auf die Tatsache hin: "Man (der behinderte Mensch) lebt in Sonderkindergarten, Sonderschule, Sonderwerkstatt, Sonderwohnung - jedoch nur auf dem Friedhof sind wir dann alle wieder integriert. Hier erst wird es bedeutungslos, ob man behindert oder nichtbehindert ist". Klar und deutlich hielt er fest, wo behinderte Menschen zu "Bürgerinnen zweiter Klasse" werden und verdeutlichte die Grundidee von "Selbstbestimmt Leben".

Marilyn Golden (Mitkämpferin der US-Behindertenrechtsbewegung, zur Zeit als politische Analytikerin beim Behinderten-, Ausbildungs-, Rechts- und Verteidigungsfonds tätig) versuchte allen Bürgerrechtsaktivistinnen Mut zu machen, motivierte zum Weiterkämpfen und zeigte Strategien auf. "Uns allen muß deutlich klar werden, daß wir für jede Art von behinderten Menschen eintreten und nach außen geschlossen für unser Anliegen kämpfen, klar dafür eintreten. Wenn innere Konflikte aufbrechen, so gilt es diese innerhalb der Bewegung auszudiskutieren, denn Einzelkämpferinnen werden zwar gehört, jedoch von den politisch verantwortlichen Menschen kaum ernst genommen. Durch eine derartige Veranstaltung gestärkt, gelingt es politischen Gegnerinnen nicht so einfach, Aktivistinnen auseinanderzubringen und in ihrem Vorhaben zu schwächen." Viktor Wahlström (Direktor der Schwedischen, nationalen Gesellschaft für geistige Behinderung) referierte emotional und eindrucksvoll über die inhaltliche Umsetzung der "UN standard rules" (Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit für behinderte Menschen).

Vorbild im Bereich der Bürgerrechtsgesetzgebung ist und bleibt die USA, wo 1990 das "Gesetz für Amerikaner mit Behinderungen" verabschiedet wurde. Mit Strafdrohungen verpflichten die 513 Paragraphen öffentliche wie private Stellen, Benachteiligungen für behinderte Menschen zu beseitigen. In Österreich fehlt es noch immer an "Banalitäten", wie Printmedien in Braille-Schrift, der Benützbarkeit der "Öffis", aber auch von Theater, Kino etc. für Rollstuhlfahrerinnen, der Verwendung von Gebärdensprache im ORF (das tschechische Fernsehen kann das bereits) usw. Bei uns gibt es noch keinerlei Berufungsmöglichkeit gegen die vielfältigen Formen der Diskriminierung. Erstmals fordern behinderte Menschen gemeinsam die Einhaltung der Bürgerrechte. Das Gleichstellungsgesetz soll die Bereiche Bildung, Mobilität, Arbeit, Wohnen, Telekommunikation und auch die rechtlichen Durchsetzungsmechanismen regeln.

Evald Krog (Präsident von EAMDA- Dänemark) stellte sein Konzept von "Selbstbestimmt-Leben" mit persönlicher Assistenz dar. Durch das Gleichstellungsgesetz gehe es auch darum, persönliche Assistenz als einklagbares Recht zu garantieren. "Was hilft mir der Bus mit Hubaufzug an der nächsten Straßenecke, wenn mir niemand morgens aus dem Bett hilft? Betroffene Menschen selbst müssen die Leistungen bestimmen, die sie zur Chancengleichheit benötigen. Behinderte Menschen sollen sich nicht in der Opferrolle sehen, denn dieses Verhalten macht unproduktiv. Es nützt nichts, auf Wunder zu warten, vielmehr gilt es mit Hilfe von persönlicher Assistenz das Leben selbst zu organisieren." Für uns alle gilt, es das politische und menschliche Thema des nächsten Jahres zu konturieren: Die Bürgerrechte behinderter Menschen und deren faktische Gleichstellung.

gleich.beRECHTigt

Der Vorstand von INTEGRATION : ÖSTERREICH bedankt sich bei Maria Brandl und René Schindler recht herzlich für die Organisation und Durchführung der Tagung "gleich.beRECHTigt".

Aus dem Parlament

Wir bringen Auszüge aus den Reden der Abgeordneten bei der Beschlußfassung des "Schulreformpakets" - 17. SchOG-Novelle und Begleitgesetze - am 28.11.1996:

Theresia Haidlmayr (Die Grünen)

... "Dieses Gesetz hat uns ein kleines Stück vorwärts gebracht - und gleichzeitig um Jahre zurück geworfen." ...

... "Es wird von einer Palette an Fördermöglichkeiten gesprochen, in dem Zusammenhang werden Kooperations- mit Integrationsklassen gleichgesetzt, obwohl Kooperationsklassen keinesfalls Integrationsklassen sind. Wer sein Kind in eine Kooperationsklasse gibt, gibt es in eine Sonderschule!"...

Karl Öllinger (Grüne)

... "Premierministerin Thatcher ließ sich von ihrem Frisör und ihrer Putzfrau in bildungspolitischen Belangen beeinflussen. Frau Minister Gehrer hat keinen Frisör, keine Putzfrau, Gewerkschaftsfunktionäre haben die Ziele der Schulreform diktiert."...

... "Einige Punkte in diesem Gesetz sind sinnvoll, in der Summe ist es zu wenig. Der Tendenz des Gesetzes kann nicht zugestimmt werden."...

... "Das bißchen, was im Gesetz verankert ist, ist dem Engagement der Integrationsinitiativen zu verdanken."...

... "Mit diesem Gesetz wird Integration erschwert und behindert. Sie wird Widerstände hervorrufen! Im Report letzten Dienstag war ein ausgezeichneter Beitrag, das Thema wurde differenziert dargestellt. Das Modell Kooperation findet so statt, daß behinderte Kinder in Leistungsfächern hinausgeführt werden. Das ist nicht Integration!"...

... "Integration kämpft mit dem Kostenfaktor, Panzer hingegen können angeschafft werden."... ... "In Österreich würde der schwerbehinderte Nobelpreisträger Hawkings nicht erfolgreich sein und forschen dürfen, weil seine Behinderung als zu schwer eingestuft werden würde."...

Maria Schaffenrath (LIF)

... "Nachdem die ÖVP-Erfolgsbilanz in Bildungsfragen 1995 noch lautete: Keine Integration geistig behinderter Kinder in die AHS, bzw. sinnvolle Integration von geistig behinderten Kindern in die Volksschule - versteht man die Grundhaltung dieses Gesetzes."...

... "Ich anerkenne, daß das Gesetz nur aufgrund des innerparteilichen Engagements der Ministerin zustande gekommen ist. Es beinhaltet Integration nur auf formaler Ebene, wird aber nicht dem Anspruch behinderter Kinder gerecht, sondern ist als bedauerlicher Kompromiß zusehen."...

... "Integration ist ein Menschenrecht. Dieses Gesetz ist geprägt vom Geist der Ausgrenzung." ...

... "Es wurde ein deutliches Signal an Eltern und deren Kinder gesetzt, nämlich: In Wirklichkeit wollen wir euch gar nicht. Wir sind gar nicht bereit, Rahmenbedingungen zu schaffen." ...

Volker Kier (LIF)

... "Wer Feuser gehört hat hier im Parlament und dieses Gesetz mitträgt, handelt wider besserer Erkenntnis im menschenrechtlichem Sinne."...

... "Wenn schon nicht mehr möglich ist, dann soll wenigstens die Kritik der Fachleute angenommen werden. Wenn das Anliegen für Integration da ist, dann soll es glaubwürdig umgesetzt werden."...

Partik-Pable (FPÖ)

... "das Ausmaß an Problematik ist mir klar, ich bekenne mich auf der Suche zu sein, denn ich bin zur Überzeugung gelangt, daß die vollkommene Integration der bessere Weg ist."...

... "Ich wende mich gegen diese Regierungsvorlage, weil mit diesen Rahmenbedingungen nicht das Ziel einer guten Integration erreicht werden kann."...

Schweitzer (FPÖ)

... "Vorweg eine Frage: wo werden behinderte Kinder das neunte Schuljahr absolvieren können? Integration wurde nicht auf die Oberstufe festgelegt."...

..." "Innerhalb des Ministeriums wurde das Behinderteneinstellungsgesetz nicht erfüllt!"...

Erwin Niederwieser (SPÖ)

... "Integration ist stark verankert. Das Schulpflichtgesetz sieht vor, daß der Bezirksschulrat im Rahmen seiner Zuständigkeiten Schritte zur Einrichtung einer Integrationsklasse zu setzen hat."...

... "die Kosten sind deshalb hoch, weil wir uns Parallelsysteme leisten."...

Dieter Antoni (SPÖ)

... "Künftig werden Sonderpädagogen, Schulbehörde und Eltern als Team gemeinsam für das behinderte Kind den bestmöglichen Weg wählen können."...

Robert Rada (SPÖ)

... "Die Auflösung von Leistungsgruppen bei Integration ist nur als Möglichkeit verankert. Leistungsgruppen und Integration widersprechen sich. Dieses Gesetz ist manchmal zu wenig."...

Josef Höchtl (ÖVP)

... "Dieses Reformpaket ist vergleichbar mit dem großem Reformpaket von 1962."... (Anm. der Red.: Damals wurden Sonderschulen bekräftigt, deren Differenzierung vorgenommen)

... "Wir als österreichische Nation können Kindern das Beste mitgeben, was wir können, nämlich Wettbewerbsfähigkeit."... ... "Die Vielfalt der Möglichkeiten ermöglicht nach Beratung die beste Möglichkeit für das Kind. Nicht für jedes Kind ist die gleiche Lösung gut."...

... "Das Prinzip Freiwilligkeit, dazu stehen wir, zur Sicherheit für alle engagierten Lehrerinnen"....

... "Volkswirtschaftlich gesehen: Uns kostet die Betreuung nach der Spezialschule, um nachzureifen, um versorgt zu werden, Unsummen."...

Amon (ÖVP)

... "Das vorliegende Paket ist das umfassendste seit den 60er Jahren."...

... "Es stört mich, wenn hier Feindbilder aufgebaut werden, die gar nicht vorhanden sind. Die Schulpartner werden im vorhinein verteufelt, Integration kann aber nicht ohne die Gesamtheit der Partner funktionieren."...

... "Bei den Lehrern gibt es berechtigte Ängste."...

... "Bei dieser Gesetzwerdung wurde mit großer Sensibilität und Beharrlichkeit vorgegangen."...

BM Elisabeth Gehrer (ÖVP)

... "Bei uns ist jedes Kind in der Regelschule. Auch die Sonderschule ist eine Regelschule!"...

... "Spezialschulen muß es geben, wo Kinder bestimmte Fähigkeiten erlernen können."...

... "Ein eigenes Referat für Begabtenförderung wurde eingerichtet, es wird demnächst vorgestellt." ...

... "Integration wird sehr ernst genommen, es wurden bereits umfangreiche Maßnahmen getroffen. Jede HS, jede AHS soll im Frühjahr Veranstaltungen haben. Ebenso wird ein umfangreiches Informationspaket im Frühjahr kommen. Wir schlagen einen Integrationstag an Schul- und Bezirksebene vor. Weiters gibt es Möglichkeiten der Hospitatiton und Nachbesprechung. Eine Million zusätzlich wird den Pädagogischen Instituten eingeräumt."...

Getrude Brinek (ÖVP)

... "Geistig Behinderte gibt es doch - sonst würden wir Integration nicht brauchen."...

... "Dieses Gesetz gibt Vertrauen."... ... "Der wahre Ethos liegt nicht im Finanziellen, sondern im Herzen der Lehrer."...

Das Schulpaket wurde mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP und somit mit der für Schulgesetze notwendigen Zweidrittelmehrheit beschlossen.

Barbara Weigele: Verfassungsrecht auf schulische Integration

In Deutschland muß die Integration von behinderten Menschen in Bildungseinrichtungen aus verfassungsrechtlicher Perspektive vom Staat angeboten werden.

Die "Heidelberger Initiative zur Gründung einer Schule für alle e.V." hat ein Rechtsgutachten bei dem renommierten Verfassungsrechtler Prof. Dr. Jochen A. Frowein in Auftrag gegeben, um die Frage zu klären, inwieweit behinderte Kinder einen Anspruch haben, in allgemeinen öffentlichen Schulen aufgenommen zu werden. Prof. Dr. Frowein, derzeit Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches und Völkerrecht in Heidelberg, kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Integration von Behinderten in Bildungseinrichtungen aus verfassungsrechtlicher Perspektive vom Staat angeboten werden muß. Das verfassungsmäßig gebotene Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der in Artikel 1 Grundgesetz formulierte Schutz der Würde des Menschen sind im vorliegenden Fall besonders bedeutsam. Der Staat und seine Organe haben alles zu unterlassen, was die Persönlichkeitsentfaltung behindert. Eine Gefährdung der Persönlichkeitsentfaltung kann aber schon darin bestehen, daß behinderte Kinder eine Sonderschule besuchen müssen; hierdurch werden sie in ihren sozialen Beziehungen eingeschränkt, diese sind aber notwendige Voraussetzung jeder Persönlichkeitsentwicklung. Verstärkt wird der Schutz der Behinderten - so der Gutachter - durch die Neufassung des Artikels 3 Absatz 3 Grundgesetz. Hierin wird ausdrücklich bestätigt, daß niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Der Ausschluß Behinderter von Regeleinrichtungen der Bildung und Erziehung stellt aber stets eine Benachteiligung in diesem Sinne dar. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich auch, daß der Staat dafür Sorge tragen muß, daß Behinderte tatsächlich am allgemeinen öffentlichen Schulwesen teilnehmen können.

Die Verpflichtung des Staates, In- tegration zu ermöglichen, ist dann gegeben, wenn Eltern das Ziel der Integration zu einem Bestandteil ihres verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsplanes machen. Das Elternrecht ist sowohl im Grundgesetz als auch der Landesverfassung verankert. Dies bedeutet nach Auffassung des Gutachters nicht, daß nun an allen Schulen die besonderen Vorkehrungen, die für die Umsetzung der Integration notwendig sind, geschaffen werden müssen. Es erscheint aber als Verstoß gegen die Verfassung, wenn der Staat die Beschulung Behinderter lediglich an Sonderschulen zuläßt. Die Rechtssprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte stützt die Argumentation für die Integration. Aus ihr ergibt sich, daß eine staatliche Politik, die die Integration von Behinderten in allgemeine öffentliche Schulen generell ablehnt, zu einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention führen kann. Auch die Landesverfassung Baden-Württembergs verpflichtet den Gesetzgeber zur Integration. Dies ergibt sich - laut Gutachten - aus dem in der Verfassung niedergelegten Gebot der sozialen Ethik und aus den Ausführungen zum Elternrecht.

Schließlich weist das Gutachten auf das Förderungsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Behinderte hin; daraus folgt, daß die dort ausdrücklich betonte Zielsetzung der Integration Behinderter in das allgemeine öffentliche Schulwesen von einem deutschen Bundesland nicht unmöglich gemacht werden darf, da dieses Land damit gegen bindendes Europarecht verstößt.

Fünf-Sterne-Ghettos im Gespräch Teil 5:

"Licht in die Köpfe bringen"

Franz-Joseph Huainigg im Gespräch mit Mag. Michael Krispl

Der Verein "Blickkontakt" zählt zu den jungen, aufmüpfigen Vereinen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein wenig Licht in die Köpfe der Leute zu bringen und über Blindheit aufzuklären. Hinter dem Verein steckt unter anderem der 27jährige Michael Krispl, junger Akademiker, Musiker, Konsulent beim ORF und ein Mann, der es gewagt hat, dem allgegenwärtigen Blindenverband die Stirn zu bieten. Der starke Verband reagierte auf die Aktivitäten des kleinen Vereines "Blickkontakt" sehr gereizt und schloß alle Mitglieder aus dem Verbandsgeschehen aus.

>Könntest Du Dich kurz vorstellen?

K: Ich heiße Michael Krispl, habe Jus studiert, ich bin mit 14 Jahren erblindet, bin 27 Jahre und mache nebenbei auch Musik. Zur Zeit arbeite ich als Jurist in der MA 12.

>Wie war Deine Schulzeit?

K: Ich war in der Volksschule und dann in der Hauptschule, ab der 1.Klasse bemerkte ich eine Sehschwäche, die sich immer verschlimmerte. So wechselte ich in der 2.Klasse in die Sehbehindertenschule. Es hat ca. 4 Jahre bis zur Erblindung gedauert. Meine Eltern konnten damit überhaupt nicht umgehen, und auch in der Hauptschule war es klar, daß ich dort nicht weiter bleiben konnte. Ich habe mich damals mit meiner Behinderung nicht auseinandergesetzt, darum hatte ich auch keine Probleme damit. Erst viel später wurden mir manche Dinge klar. Für meine Eltern war es lange Zeit ein großes Problem, sich auf die neuen Umstände einzustellen. Die Schule war eher kein Problem für mich, die zweite und dritte Klasse war ich ja in der Sehbehindertenschule. Von dort wechselte ich dann in die Blindenschule, dieser Umstieg war dann schon schwieriger. Im Blindeninstitut gab es weiters die gezielte Schulausbildung eben in Blindenschrift,und außerdem gab es dort die Möglichkeit der Berufsausbildung. Ich habe dort die Stenoausbildung gemacht. Im Blindeninstitut hatte ich zu ersten Mal mit Menschen zu tun, die große motorische Problem hatten. Diese Dinge haben mich mit 14 Jahren einfach erschreckt. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich dort wohl gefühlt habe. Außerdem hatte ich am Anfang Probleme, die Blindenschrift zu erlernen.

>War es für Dich ein Problem, daß keine Integration stattgefunden hat?

K: Es war mir egal, daß es keine Integrationsschule war, ich habe immer nur zwischen sympathischen und weniger sympathischen Menschen unterschieden, aber nie zwischen Blinden und Sehenden. Da ich nicht im Internat war, ist es für mich vielleicht auch leichter gewesen als für die anderen. Aus diesem Grund gab es für mich auch nicht die Welt "draußen", da ich jeden Tag zur Schule gefahren bin und wieder nach Hause, im Gegensatz zu den Internatsbewohnern, die nur eine Welt kannten. Andere Perspektiven als die gegebenen Berufsausbildungen bekam ich dort aber nicht. Als ich das erste Mal in den Ferien als Stenotypist gearbeitet habe, wurde mir klar, daß das nicht meine Lebensaufgabe wird. Nachdem ich die Blindenschule beendet hatte, begann ich mit der Maturaschule, die noch zwei andere aus der Blindenschule mit mir machten. Ich habe damals gewußt, die Matura Schule Roland für Blinde offen.

>Kannst Du von der Gründung von "Blickkontakt" erzählen?

K: Wir haben den Verein 1993 gegründet, weil wir der Meinung waren, daß für Blinde und Sehbehinderte in Österreich ein anderer Weg eingeschlagen werden muß. Wir sind alle einmal im Blindenverband tätig gewesen, ich habe damals die Jugendarbeit geleitet. Dort konnten wir aber nicht in unserem Sinn arbeiten. Die Entwicklung im Pflegegeldbereich war für uns der Grund, eine eigene Initiative zu gründen. Wir waren mit dem Weg, den der Blindenverband ging und noch immer geht, nicht zufrieden. Unsere Ansichten sind vom Blindenverband nicht ernst genommen. Wir organisierten damals eine Bürgerinitiative und bekamen 1500 Unterschriften. Sie wurde aber von den Politikern in der Legislaturperiode nicht behandelt und so konnte kein Erfolg erzielt werden. Aus diesem Einstieg entstand die Initiative, die zum Ziel hat, die Integration in der Praxis umzusetzen. Wir haben z.B. durchgesetzt, daß im Naturhistorischen Museum ein Führer in Blindenschrift aufgelegt wurde, und wir haben auch erreicht, daß man einige Exponate im Museum angreifen darf. Für uns war das ein fundamentales Projekt, da wir überzeugt waren, daß man am Sinn eines Museumsbesuches für Blinde sicher zweifeln wird. Wir bekamen bei dieser Aktion aber viel Unterstützung vom Ministerium, da sie unsere Arbeit schätzen. Wir haben uns auch für das Thema "mehr Sicherheit im öffentlichen Verkehr" eingesetzt und begannen auch in den Schulen und Kindergärten mit einer Bewußtseinsbildung für diese Thematik.

>Wo liegt der Unterschied zwischen dem Blindenverband und Euch?

K: Der Blindenverband setzt auf Versorgung und wir auf Selbsthilfe und Integration.

>Der Blindenverband reagierte ja sehr zynisch auf eure Gründung?

K: Die Reaktion auf unsere Pflegegeldinitiative war: "Ihr müßt es ja nicht nehmen, lehnt es halt ab". Wir haben nie am Sinn der Zahlungen gezweifelt sondern an den Voraussetzungen, aber das hat der Blindenverein nicht verstanden. Uns ging es darum, sich die Frage zu stellen, ob es der richtige Weg ist, alles auf dem Schlagwort Pflegebedürftigkeit, Hilflosigkeit und Betreuungsbedürftigkeit aufzubauen. Ich glaube nicht, daß irgendein Behinderter von sich aus sagt: " Ich bin ein armer Hund". Nur die Richtung, die vom Blindenverband eingeschlagen wird, geht eben dahin, durch Spenden für die armen Behinderten sein eigenes Gewissen zu beruhigen.

>Hat Euch der Blindenverband mit der Kündigung der Mitgliedschaft gedroht?

K: Ja, einige wurden gezwungen, selbst den Verein zu verlassen, andere sind ausgeschlossen worden. Viele sind dann freiwillig gegangen, weil sie gemerkt haben, daß "Blickkontakt" eher ihre Interessen vertritt als der Blindenverband. Es gibt daher auch leider keine Zusammenarbeit mit dem Blindenverband, was in vielen Bereichen natürlich besser wäre. Wir versuchen zwar immer Kontakt herzustellen, aber es gibt keine sachliche Ebene mehr.

>Wodurch entstand diese Splitterung? Hängt es davon ab, ob behinderte Menschen integriert oder nichtintegriert aufgewachsen sind?

K: Ich glaube, daß es sehr personenabhängig ist, denn ich kenne sehr viele, die immer in Sonderschulen oder Internaten untergebracht waren, die aber sehr fortschrittlich denken. Andere, die in Integrationsschulen gegangen sind, haben oft eine sehr veraltete Einstellung. Ich glaube, daß die Zusammenarbeit der einzelnen Organisationen auf den Unis zeigt, wie wichtig es ist, Verständnis zwischen den einzelnen Gruppen zu haben.

>Welche Ziele habt ihr noch verfolgt?

K: Unser Verein beschäftigt sich auch mit der Frage des Antidiskriminierungsgesetzes und der Schulintegration. Wir versuchen so aufzuzeigen, wo die Diskriminierung vorkommt, mit Hilfe unserer Zeitschrift oder auch durch Öffentlichkeitsarbeit. Ein gutes Beispiel dafür war die Ausstellung "Dialog im Dunklen". Auf der anderen Seite versuchen wir auch mit der Zusammenarbeit mit anderen Vereinen Ziele schneller zu erreichen. Wir waren lange Zeit nur auf dem Weg des Vehandelns tätig, jetzt werden wir aber langsam offensiver. Nur mit Verhandlungen kommt man bei manchen Dingen nicht weiter. Man muß das Bewußtsein der Menschen einfach durch andere Aktionen wecken. Sei es durch Aktionen oder Demonstrationen. Wenn man soviel Sendezeit wie "Licht ins Dunkel" zu Verfügung hätten, könnten wir natürlich mehr machen.

>Wo fühlst Du Dich diskriminiert?

K: Sicher am Arbeitsmarkt, z.B. ist es mir nicht möglich Richter, zu werden. Vor allem, daß man nichts dagegen tun kann, ist diskriminierend. Es gibt keine gesetzlichen Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Die Richteramtsprüfung gilt als Ausleseverfahren, bei dem man als Blinder sicher auf der Strecke bleibt.

>Wie ist die Lage bei Unterschriftsleistungen?

K: Bei allen Arten von Verträgen stellt sich dieses Problem. Man muß mit allen Verträgen zu einem Notar gehen, um dort einen Notariatsakt aufsetzen zu lassen, das bringt natürlich enorme Kosten mit sich. Man darf selbst mit Zeugen weder einen Mietvertrag noch einen Kaufvertrag unterschreiben. All diese Dinge passieren unter dem Deckmantel "Schutz". Daraus stellt sich natürlich die Frage, ob ein Behinderter wirklich so schutzbedürftig ist. Wenn man auf ein selbstbestimmtes Leben aus ist, so muß man den Menschen auch die Eigenverantwortung zusprechen.

>Wie siehst Du die Zukunft von "Blickkontakt"?

K: Ich glaube, daß der Begriff Antidiskriminierung das Ziel ist. Wir müssen diesen Begriff in die Köpfe der Menschen bringen, denn das ist der Beginn von all den anderen Dingen, die dann als Folge geschehen können.

>Wie ist das Leben der Blinden in Österreich, gibt es z.B. noch Besenbinder?

K: Ja, die gibt es noch, genauso wie Korbflechter, aber es gibt wenige Menschen mit höheren Qualifikationen, die in andere Bereiche eindringen, und dort vielleicht unangenehm werden könnten. Es sollten sich mehr Blinde finden die in höhere Berufe vordringen.

Notiert

verringerte Schulzeit

Via Erlaß wurde still und heimlich der Schulbesuch für "schwerstbehinderte Kinder" herabgesetzt. War es bisher möglich, über die Pflichtschulzeit hinaus die Sonderschule zu besuchen, um nachzureifen, wird nun ein strenger Maßstab angelegt. Kindern, deren Schulfähigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird, weil sie bei der Schuleinschreibung keine "Schulreife" zeigten, wird die Schulpflichtbefreiung in die Dauer der Schulpflicht eingerechnet. In jedem Fall beträgt die Schulpflicht neun Jahre, bisherige Verlängerungen sind nicht mehr möglich. Mit der Begründung, daß durch einen übermäßig langen Schulbesuch eine Eingliederung in nachschulische Einrichtungen nicht verzögert werden sollen" ist nur in wenigen Ausnahmefällen ein elftes Schuljahr zu genehmigen.

17. SchOG-Novelle

Neben der Integration enthält das Schulgesetzpaket Neuerungen bei: Wiederholung: Wer eine Klasse wiederholt und neuerlich einen Fünfer kassiert, darf aufsteigen, wenn er im Vorjahr in diesem Fach zumindest ein befriedigend hatte. Polytechnischer Lehrgang: Dieser heißt künftig Polytechnische Schule und wird von Grund auf verändert. Für alle Schülerinnen wird es künftig eine berufliche Orientierungsphase geben, sie dauert acht Wochen und gilt als Berufsgrundbildung. Bei Übertritten in andere Schulformen und Fachrichtungen wird die Schulzeit angerechnet, wenn die Pflichtgegenstände lehrplangleich sind. Berufsbildende Höhere Schulen: Die Aufnahmetests für BHS werden für HS-1-Leistungsgruppe- und AHS-Unterstufe-Absolventinnen abgeschafft, ausschlaggebend wird in Zukunft das Zeugnis sein. Bei Schülerinnen der zweiten Leistungsgruppen dürfen in den Hauptfächern keine schlechteren Noten als "Gut" aufscheinen - sonst müssen sie eine Prüfung machen. Lockerung des Werbeverbots: In Schulen darf künftig geworben werden. Ausnahme: einseitige Parteienwerbung, Werbung für Sekten, Zigaretten und Alkohol. Mitbestimmung: Eine Klassenschülerinnenvertretung gibt es nun bereits in der 5. bis 8. Schulstufe. Mitspracherecht: Es wird für Eltern und Mitschülerinnen bei der Wahl der Unterrichtsmitteln ausgebaut.

Pädak-Stoff

Nach dreieinhalb Jahren gesetzlich verankerter schulischer Integration ist es nun soweit: Alle Volks- und Hauptschullehrerinnen werden für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Schülerinnen künftig eine Mindestausbildung erhalten. Das sieht der ministerielle Entwurf zu den neuen Pädak-Lehrplänen vor. Frau Minister Gehrer kürzlich in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage: Mit den neuen Lehrplänen würde auch die Autonomie an den Pädagogischen Akademien erweitert. Die Pädaks würden zwar schon jetzt im Rahmen autonomer Studienkonzepte "integrationspädagogische Ausbildungsinhalte" realisieren, trotzdem müsse eine grundlegende Ausbildung "auch im Rahmen der pflichtigen Studienbereiche vorgesehen werden", betonte Gehrer.

Kirche und Antidiskriminierung

Aus Anlaß der Arbeitstagung "gleich.beRECHTigt" wurde der Arbeitskreis "Kirche und Antidiskriminierung" gebildet. Erste konkrete Schritte waren eine ganze Reihe von Kontakten mit Menschen in verschiedenen kirchlichen Positionen: Caritas, Erzbischof, Kardinal, Generalvikar, Moraltheologie, Pfarrer, Pastoralamt, -institut, Krankenhausseelsorge, Behindertenseelsorge und Ökumene. Deutlich wurde dabei, - daß der Arbeitskreis als wichtig, das Anliegen der Nichtdiskriminierung behinderter Menschen als berechtigt anerkannt wurde. - daß Informationsaustausch, Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen bereits bestehenden Gruppierungen innerhalb der Kirche und der Bewegung der Betroffenen dringenden Nachholbedarf aufweist! (Ernennen einer "Integrationsbeauftragten" auf Seite der Kirche und einer "Kirchenbeauftragten" auf Seite der Betroffenen). - daß in verschiedener Weise Unterstützung zugesagt wurde (Gespräch mit Kardinal König und anderen zur Klärung der Situation und ersten gemeinsamen Zielsetzung). - daß konkret gelebte Solidarität in den Pfarren ermöglicht werden muß und dazu strukturelle Veränderungen notwendig sind. Dazu "sollte in jedem Dekanat, in möglichst vielen Pfarren ein Arbeitskreis existieren, wo Betroffene selbst, ihre Angehörigen sowie Fachleute vertreten sind, um vorhandene Benachteiligungen von behinderten Mitbürgerinnen zu beseitigen", so Kardinal König in seiner Grußbotschaft. Kontaktperson: Renate Jung, Khekg. 49, 1230 Wien, Tel.: 0222/8690256

Materialien zur sozialintegrativen Schule

Die vom Zentrum für integrative Betreuung (ZIB), Beratungsstelle des Landesschulrates für Steiermark, teilweise schon seit 1990 erstellten Materialien werden seit März 1996 von INTEGRATION : ÖSTERREICH herausgegeben, vom BMUK (Zentrum für Schulentwicklung) hergestellt, von ZIB redaktionell betreut und gegen einen Druckkostenbeitrag abgegeben. Dieses komplizierte Zusammenspiel wurde notwendig, weil dem Zentrum für Schulentwicklung die Erstellung von weiteren Broschüren für schulische Integration zu teuer war. Für die Sonderbeschulung von behinderten Kindern werden nach wie vor Hochglanzbroschüren erstellt. Unter diesen Voraussetzungen wurden in 8 Monaten 1780 Broschüren versandt! Reißenden Absatz fand dabei die Broschüre über "Leistungsbeurteilung" (242 Stück), dicht gefolgt von den zwei Bänden "Praktikum 93: Wochenpläne, Projekte und Vorbereitungen aus sozialintegrativen Klassen" (219 Stück). Vom Band "Didaktik und Praxis" wurden 214 Stück, von "Einführung und Grundlagen" 188 Stück versendet. Ähnlich starke Nachfrage galt den restlichen bis jetzt erschienenen Bänden: "Das autistische Kind in der I-Klasse", "Das hörbehinderte Kind in der I-Klasse", "Das sehgeschädigte Kind in der I-Klasse" und "Integration aus 27 Blickwinkeln". Speziell hinweisen wollen wir auf den erst im Juni 1996 erschienenen Band "Praktikum 94: Wochenpläne, Projekte und Vorbereitungen aus sozialintegrativen Klassen, Bd. 3; Sekundarstufe I! Es ist geplant, die Reihe fortzusetzen.

Bestellungen an:

ZIB, Klusemannstr. 21, 8053 Graz; Tel.: 0316/2724470, Fax: 0316/261050

Bücher

Österreichischer Studienverlag, 1996

Arbeit mit pädagogischen Fallgeschichten Anregungen und Beispiele für Aus- und Fortbildung

Michael Schratz, Josef Thonhauser (Hrsg.)

Das Buch regt nicht nur dazu an, über die Auseinandersetzung mit der Erfahrung anderer die eigene Erfahrung ernst zu nehmen, sondern gibt auch konkrete Hilfen für die didaktische (Selbst-) Reflexion. Fallgeschichten haben eine lange Tradition, sind in der Pädagogik aber in Vergessenheit geraten. Dieser Band holt sie als Methode in die erziehungswissenschaftliche Diskussion zurück und präsentiert sie - über eine grundsätzliche Standortbestimmung hinaus - als aktuelles Medium der Aus- und Fortbildung. Die Beiträge stammen von Verfasserinnen aus drei österreichischen Universitäten und behandeln die Themenbereiche: Grundlegung der Fallgeschichte als Methode, Fallgeschichten als didaktisches Instrument, Fallarbeit mit der "Guided Autobiography", Supervision und Professionalisierung in der Erziehungswissenschaft.

Österreichischer Studienverlag, 1996

Mikropolitik der Schulentwicklung

Förderliche und hemmende Bedingungen für die Innovationen in der Schule

Herbert Altrichter, Peter Posch (Hrsg.)

Ein Buch für alle, die Schulentwicklungsprozesse besser verstehen und unterstützen wollen und die für die Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen an Schulen, in Lehrerinnenfortbildung und Schulverwaltung Verantwortung tragen. Der erste Teil zeigt drei Studien von Lehrerinnen zur Koordination von Projektunterricht, zur Einführung zielorientierter Leistungsbeurteilung und zu Erfahrungen mit selbstinitiierter Organisationsentwicklung. Im zweiten Teil werden Beispiele aus der Betreuungsarbeit mit diesen Schulen vorgestellt und analysiert. Im dritten Teil werden praktische Erfahrungen unter mikropolitischer Perspektive analysiert. Dabei erfolgt zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Brauchbarkeit dieses theoretischen Ansatzes zur Erklärung von Schulentwicklungsprozessen. Im vierten Teil schließlich werden einige zentrale Rahmenbedingungen innovativer Arbeit an Schulen untersucht: die Bedeutung von schulinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen, die Bedeutung der Nutzung des an Schulen bereits verfügbaren Potentials und die Bedeutung dosierter Außenstützung.

Gabriel Verlag, 1996

Fred hat Zeit Freds Uhren ticken anders

Oder: Wer langsam lebt, lebt länger

Franz-Joseph Huainigg Annegret Ritter

Dieses Bilderbuch zeigt am Beispiel eines kleinen Jungen, der für seine Langsamkeit verspottet wird, in lockerer, unterhaltsamer Form Verhaltensmuster auf, die uns vielfach Gewohnheit geworden sind: "Sie leben zu schnell", sagt schließlich der Arzt zu Freds Vater. "Nehmen Sie sich Zeit. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Fred." Mit detailreichen, fröhlichen bunten Bildern ist dieses 32 Seiten umfassende Bilderbuch für Kinder ab fünf Jahren empfohlen.

Perspektiven und Strategien einer gemeindenahen schulübergreifenden Integrationspädagogik

Dokumentation des interdisziplinären Workshops

Hans Hovorka

Die vorliegende Dokumentation des zweitägigen Workshops belegt facettenreich - insbesondere mit den "Zukunftsszenarien" - wie weit fortgeschritten, aber auch von wie vielen Schwierigkeiten begleitet der Paradigmenwechsel zur Unteilbarkeit von Integration an österreichischen Universitäten und darüber hinaus bereits ist. Im Tagungsband enthalten sind auch erste Ergebnisse einer Expertinnenbefragung. Sie bestärken die auch beim Workshop festgestellte Notwendigkeit, universitäre Integrationsforschung und -lehre stärker praxis- und berufsbezogen zu gestalten und auch die Zusammenarbeit mit nichtuniversitären Ausbildungsstätten und mit Einrichtungen der Sozial- und Behindertenarbeit zu fördern, damit die Qualität von Integrationsmaßnahmen allseitig sichergestellt werden kann.

Bestelladresse: UNI Klagenfurt, Univ.-Prof. Mag. Dr. Hans Hovorka, Universitätsstr. 65-67, 9020 Klagenfurt, Tel.: 0463/2700/DW 523, Fax: DW 562

Elefanten Press

Herr Groll erfährt die Welt

Erwin Riess

"Im Rollstuhl durch gelähmte Zeiten" schreibt sich Erwin Riess mitten durch das Herz der österreichischen Seele. Unter dem Motto "wer im Rollstuhl sitzt, schaut der Wirklichkeit unter den Rock", präsentieren die Hauptfiguren, Groll und Tritt, ihre Gedanken zu Politik und gesellschaftlichem Umgang mit "gehinderten" Menschen. Daß das mit viel Humor und Einfühlungsvermögen getan wird, zeichnet dieses Buch aus. Erinnerungen an den legendären "Herrn Karl" werden wach. Bilder vom "Quasi" (Qualtinger) im Rollstuhl tauchen auf. Ein ideales Buch, um die Welt aus dem Rolli zu erfahren, ohne daß der Frust - dessen kann sich genug ansammeln in einer Welt, die oft nur noch Ignoranz gegenüber Andersartigkeit aufbringt - überhand nimmt. Wenn das Granteln der Österreicherinnen charakteristischer Wesenszug ist, werden sie den im Rollstuhl sitzenden, grantelnden Groll besonders gut annehmen können, im bekannten, eigenen Sprachstil sozusagen.

Rowohlt Verlag, 1996

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden

Grundrecht und Alltag - eine Bestandsaufnahme

Hans-Günter Heiden (Hrsg)

"Behinderung ist weniger eine Frage des individuellen Schicksals und der Wohltätigkeit, sondern vielmehr eine Bürgerrechtsfrage. Mit unser körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung können wir leben, doch die gesellschaftliche Entmündigung und Diskriminierung, die unser Leben tagtäglich bestimmt, ist für uns nicht hinnehmbar!" (Miles-Paul) Im neuen Grundgesetz Deutschlands sind die Rechte Behinderter ausdrücklich berücksichtigt. Artikel 3, Absatz 3: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Wie aber sieht die Wirklichkeit aus - und wie könnte sie aussehen?

Die Beiträge dieses Bandes, engagierte Auseinandersetzungen mit alltäglichen Diskriminierungen, machen deutlich, daß sich mit dem Grundgesetz noch lange nicht die "Verfassungswirklichkeit" geändert hat. Sie stellen aber auch positive Entwicklungen und Ansätze heraus und formulieren zum Ende jeweils einen Katalog politischer Forderungen. Die unterschiedlichen Institutionen, Verbände und Arbeitsbereiche, aus denen die Autorinnen kommen, machen zugleich die Vielfalt innerhalb der modernen Behindertenbewegung deutlich. Gemeinsam ist allen das Bewußtsein, Teil einer Bürgerinnenrechtsbewegung zu sein: Es geht um Selbstbestimmung statt um fürsorgliche Entmündigung, um Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben statt um Aussonderung.

TIP: Blinde Leserinnen können dieses Buch als Tonkassette kostenlos ausborgen: Deutsche Zentralbücherei für Blinde, Gustav Adolf Str. 7, D-04105 Leipzig, Tel.: 0341/71130.

Buchtip

Wolfgang Mann Verlag

Wenn die Ziege schwimmen lernt

Nele Moost, Pieter Kunstreich

Ein Bilderbuch,das hervorragend und humorvoll die Vielfalt der Begabungen und den Unsinn der Gleichmacherei aufzeigt. Beim Klettern: ..."Und als der Fisch zum achten Mal versuchte, sich mit dem Maul am Baum festzusaugen, und wieder der Länge nach auf die Erde plumpste, konnte der Lehrer nur noch mit den Achseln zucken. Dieser Schüler war ein hoffnungsloser Fall! Aber der Fisch hatte Glück. Gerade als der Lehrer ihm eine Fünf in sein Notenbuch schreiben wollte, ereignete sich ein Skandal."...

Dagmar Zöhrer: Integration in Kärnten

Die Gesamterhöhung aller sonderpädagogisch zu fördender Kinder seit Inkrafttreten der 15. SchOG-Novelle wird nach ihren Ursachen hinterfragt.

Die sonderpädagogische Förderung innerhalb des österrei- chischen Schulwesens hat im Jahre 1993 eine grundlegende Neuordnung erfahren, da die schulische Betreuung behinderter und beeinträchtigter Kinder seit Inkrafttreten der 15. Novelle des Schulorganisationsgesetzes im September 1993 mittels gesetzlicher Bestimmungen als Aufgabe der Regel(volks)schule definiert wird und nicht mehr ausschließlich der Sonderschule vorbehalten ist. Diese revolutionäre legistische Maßnahme im österreichischen Bildungssystem soll die Re-Integration von Schülerinnen, die aufgrund bestimmter oder vermutlicher Behinderungen aus dem Schulsystem desintegriert worden sind, ermöglichen und gleichzeitig deren Integration in das jeweils bestehende gesellschaftliche Umfeld bewirken.

Der vorliegende Bericht soll aufzeigen, wie der deklarierte Wille der österreichischen Bundesregierung, Integration in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, sowie die 15. SchOG-Novelle, die dieses Postulat für den schulischen Bereich ausführt, im Kärntner Schulwesen umgesetzt werden konnte und kann, welche Fortschritte durch diese politische Willensbekundung tatsächlich für den schulischen Alltag behinderter Kinder nachzuvollziehen sind und wo allfällige Mängel oder hemmende Bedingungen behoben werden müssen, um dem Ziel einer einzigen, vielseitigen Schule für alle Kinder zumindest einen Schritt näher kommen zu können.

Die folgenden Ausführungen stellen eine empirische Erhebung des Ist-Zustandes der sonderpädagogischen Förderung im Kärntner Schulwesen dar und beinhalten daher neben der quantitativen Erfassung aller Schülerinnen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF), die in Regelschulen integriert wurden, auch die Entwicklung des Sonderschulwesens.

Der Erhebungszeitraum erstreckt sich über die drei Jahre nach Inkrafttreten der 15. SchOG-Novelle, also die Schuljahre 1993/94, 1994/95 und 1995/96. (Tabelle 1 bis 3) Das Datenmaterial stammt aus den Eröffnungsberichten der Kärntner Pflichtschulen und läßt somit etwaige Veränderungen während der Schuljahre unberücksichtigt.

Interpretation der Kärntner Entwicklung seit 1993

Stellt man die Entwicklung der Schülerinnen mit SPF an Volks- und Hauptschulen jener der Sonderschülerinnen gegenüber, so ist eine Gesamtsteigerung aller sonderpädagogisch zu fördernden Kinder seit Inkrafttreten der 15. SchOG-Novelle festzustellen, wie die Zusammenfassung in Tabelle 4 belegt.

Wie die statistischen Werte belegen, hat auch in diesem Bereich - der Logik des Marktes folgend - das Angebot die Nachfrage erheblich gesteigert, d.h. die Integration die Häufigkeit der sonderpädagogischen Bedarfsfeststellungen begünstigt. Damit hat sich aber auch eine Befürchtung bewahrheitet, die schon im Vorfeld dieser 15. SchOG-Novelle seitens vieler Integrationsbefürworterinnen geäußert wurde: Das nämlich mit diesen Bestimmungen eine neue Gruppe sogenannter "Behinderter" geschaffen werden könnte, die zuvor weder als sonderpädagogisch förderbedürftig noch als Sonderschülerinnen gegolten hätte. Nachdem nicht davon ausgegangen werden kann, daß "unsere Kids immer dümmer werden", wie eine Zeitschrift jüngst vermutete, muß die Gesamterhöhung aller sonderpädagogisch zu fördernden Kinder auf ihre Ursachen hinterfragt werden.

Zum einen kann als gesichert angenommen werden, daß die Zuerkennung eines SPF im Vergleich zur seinerzeitigen Feststellung der Sonderschulbedürftigkeit weniger Gegenwehr der Eltern auslöst, da die Folge keine institutionelle Separation, sondern "lediglich" die Zuerkennung zusätzlicher Fördermaßnahmen innerhalb der Regelschule darstellt. Daher ist auch das schlechte Gewissen bzw. das Gefühl, im Unterricht versagt zu haben, bei Lehrerinnen wesentlich seltener vorhanden, was die häufigeren Antragstellungen belegen.

Der methodisch-didaktische Ehrgeiz, auch Schülerinnen gerecht zu werden, die nicht der "Norm" entsprechen, scheint erheblich geringer zu sein, wenn durch die legistische Möglichkeit einer zusätzlichen - entsprechend ausgebildeten - Lehrerin diese "normabweichenden" Schülerinnen an Expertinnen delegiert werden können, wodurch zumindest in dieser Zeit der Regelschulunterricht von lernschwachen Schülerinnen "entlastet" wird.

Angesichts der begrenzten Ressourcen stellt sich jedoch die Frage, ob diese gehäuften Feststellungen eines SPF für lernschwache Kinder nicht die Ressourcen für jene beschneidet, die ihrer nachweislich bedürfen, um in die Regelschule re-integriert zu werden (schwerstbehinderte Kinder). Es kann also davon ausgegangen werden, daß auch Schülerinnen in den "Genuß" dieser Maßnahme kamen, die zwar außerhalb der Schule nicht als "Behinderte" benannt, aufgrund von Lernschwächen durch diese neue gesetzliche Definition jedoch als solche etikettiert werden, da sie dem Unterricht "aufgrund einer physischen oder psychischen Behinderung ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu folgen vermögen".

In einer Zeit, in der die Klagen über erschwerte Unterrichtsbedingungen in Regelschulklassen immer häufiger werden, bedeutet die Unterstützung bei der Unterrichtung "schwieriger" oder "lernschwacher" Kinder für viele Lehrerinnen verständlicherweise eine große Hilfe. Wenngleich diese vielfach geäußerten erschwerten Bedingungen ironisch anmuten, hat sich doch der an einem Mittelmaß ausgerichtete Regelschulunterricht einiger Lehrerinnen seit Jahrzehnten nicht wesentlich verändert.

Darüber hinaus sollte aber nicht vergessen werden, daß die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfes für lernschwache Kinder und die damit häufig verbundene Abstufung in mindestens einem Gegenstand in den Sonderschullehrplan einen Stigmatisierungseffekt bedeutet und daneben durch die sich progressiv öffnende Schere zwischen den Anforderungen der beiden Lehrpläne eine nicht zu vernachlässigende Chancenbeschneidung gegeben ist, dem Regelschullehrplan nach Jahren "reduzierter Angebote" wieder folgen zu können. Die vielzitierte Möglichkeit einer späteren Aufhebung des sonderpädagogischen Förderbedarfes muß aufgrund der Beobachtungen ohnehin bezweifelt werden. Es stellt sich dabei jedoch die Frage, ob diese Möglichkeit deshalb so selten gewählt wird, um einmal gewährte zusätzliche Ressourcen nicht wieder "freigeben" zu müssen, weil dies vor allem in Integrationsklassen (Zweipädagoginnen-System) zu erheblichen Nachteilen führen könnte, wenn dadurch nämlich die durchgehende Doppelbesetzung gefährdet ist. Dieser beobachtete Trend ist neben der Legalisierung vieler bisher als "wild" integrierter Schülerinnen sicherlich mitverantwortlich für eine stetige Steigerung der Schülerinnenzahlen mit SPF.

Ressourcenbeschaffung

Wenn die ursprüngliche Intention der Gesetzesnovelle, nämlich die Ressourcensicherung für die Integration behinderter Kinder in der Regelschule, zur Ressourcenbeschaffung für lernschwache Regelschülerinnen mutiert, darf angesichts der Sparmaßnahmen nicht verwundern, wenn "integrationsfeindliche" Maßnahmen zur Eindämmung der Feststellungen des SPF seitens der Schulaufsicht erwägt werden. Fazit dieser Entwicklung müßte ein Umdenkprozeß innerhalb der Regelschule sein: der kausale Zusammenhang zwischen einer Behinderung und dem Umstand, dem Unterricht nicht folgen zu vermögen, muß gegeben sein, bevor die Maßnahme des SPF ins Auge gefaßt wird. Dieser Nachweis sollte zwar mittels sonderpädagogischer Diagnostik sichergestellt sein. Doch ist es ein unausgesprochenes Faktum, daß diese sich aus der seinerzeitigen normorientierten Statusdiagnose (kindorientiert) zum Zwecke der Aussonderung nicht wesentlich weiterentwickelt hat und den prozeßdiagnostischen Förderaspekt, der auch das jeweilige Unterrichtskonzept einbindet (umfeldorientiert), weitgehend unberücksichtigt läßt.

Eine Förderdiagnostik zum Zweck der Nichtaussonderung müßte den ganzheitlichen Aspekt betonen, nämlich möglichst viele individuelle und außerindividuale Faktoren, die zu pädagogischen Problemsituationen führen, einbeziehen und darauf individuelle Förderkonzepte aufbauen. Daraus folgt aber, daß eine einmalige Querschnitterhebung dieser mehrperspektivischen Betrachtungsweise nicht gerecht werden kann, weshalb die betreffenden Lehrerinnen zunehmend in den Prozeß der Diagnostik einbezogen werden müßten. Derart in ihrer Verantwortung gestärkt, könnten sich Lehrerinnen als wichtiger Teil in der gemeinsamen Entscheidungsfindung mit den offiziellen Gutachterinnen (Sonderpädagoginnen) verstehen. Wobei nicht mehr eine wie immer geartete Etikettierung im Vordergrund steht, sondern das entsprechende Förderkonzept.

Solange jedoch die eingesetzten Ressourcen für zusätzliche sonderpädagogische Förderung aufgrund kindspezifischer Merkmale bemessen werden, kommt der Diagnostik die Aufgabe zu, die entsprechenden Verteilungsentscheidungen zu begründen, weshalb auch die Ressourcenvergabe grundlegend überdacht werden müßte (z.B. flexible regionsspezifische Kontingentierung), um entsprechend stigmatisierende Diagnosen hintanzuhalten - die der Grundidee einer nichtaussondernden Pädagogik zuwiderlaufen - und dennoch bedürfnisgerechte Förderungsangebote sicherzustellen.

Pädagogische Förderbedürfnisse

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß einerseits ein Teil der zusätzlichen Bedarfsfeststellungen auf das Konto der Legalisierung bisher "wild" integrierter Schülerinnen geht. Eine weitere Ursache dürfte aber in der Tatsache liegen, daß eine mangelnde Effektivitätskontrolle dazu führt, daß Schülerinnen, die möglicherweise der zusätzlichen Fördermaßnahmen nicht mehr bedürfen, für eine Ressourcensicherung am Standort herhalten müssen (z.B. zur Aufrechterhaltung der durchgehenden Doppelbesetzung in Integrationsklassen) und damit berechtigten Ansprüchen behinderter Kinder, die weiterhin in Spezialklassen unterrichtet werden, die personellen Mittel für eine schulische Integration entziehen.

Eine Hauptursache der geschilderten Entwicklung dürfte aber in der unklaren Abgrenzung zwischen pädagogischen Förderbedürfnissen einerseits und dem sonderpädagogischen Förderbedarf aufgrund einer physischen oder psychischen Behinderung andererseits liegen. Ein Teil der bisher ergangenen Bescheide hätte durch ausreichende differenzierende Maßnahmen im Rahmen der Regelschule (siehe "Didaktische Grundsätze" des Lehrplanes der VS) möglicherweise verhindert werden können. Es bleibt zu hoffen, daß die Regelschule früher oder später erkennen wird, daß sie im Rahmen des Regelunterrichts auch für lernschwache Schülerinnen zuständig und verantwortlich ist und nicht jedes "Problem" an sogenannte Expertinnen delegiert werden muß (verhaltensauffällige Kinder an Betreuungslehrerinnen, lernbehinderte Kinder an Stützlehrerinnen, Schülerinnen nichtdeutscher Muttersprache an entsprechende Lehrerinnen usw.). Durch dieses Aufspalten in Zuständigkeitsbereiche verliert der Klassenraum seine Rolle als sicherer, verläßlicher und schützender Ort, der eine Vielzahl kindlicher Lebensäußerungen, Tätigkeiten und damit verbundener Unterschiedlichkeiten zuläßt und zum Ausgangspunkt schulischen Lernens macht.

Soziale Benachteiligung

Darüber hinaus hat sich durch die geschilderte "Doppelgleisigkeit" der Sonderbeschulung neben der integrativen Beschulung auch das Problem der benachteiligten Kinder verschärft, die großteils weiterhin in Sonderschulen verbleiben. Diese benachteiligten Schülerinnen stammen meist aus Familien, in denen soziale und ökonomische Nachteile emotional kaum ausgeglichen werden können und deren intellektuelle und bildungsmotivierte Ansprüche andere sind. Viele dieser Schülerinnen stammen auch aus Familien mit nichtdeutscher Muttersprache, deren kulturelle und sprachliche Unterschiede in der Schule nicht als anregende Bereicherung verstanden werden. Eine aufgrund dieser Nachteile getroffene Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfes führt einerseits erneut vor Augen, wie aussondernd das Schulsystem insgesamt auf jegliche Form von Abweichungen reagiert. Die zunehmende Anzahl dieser Schülerinnen in Allgemeinen Sonderschulen macht andererseits aber deutlich, daß es anscheinend "integrationstaugliche" und "-untaugliche" Schülerinnen mit SPF zu geben scheint. Durch diese Entwicklung wird die Allgemeine Sonderschule zu einer Restschule für (sozial-) benachteiligte Schülerinnen verkümmern, was in Folge zu einer schulischen Ghettobildung gesellschaftlich ohnehin am Rande stehender Schülerinnengruppen beitragen wird.

Bei aller Euphorie über die 15. SchOG-Novelle und die damit zweifellos erreichten schulischen Fortschritten für behinderte Kinder muß das Interesse in Zukunft auch jenen Schülerinnen gelten, deren Erziehungsberechtigte durch soziale und ökonomische Nachteile diesen Kampf um Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht führen (können), die aber ebenfalls das Recht haben müssen, am Regelschulunterricht teilzuhaben und ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert zu werden. Die Benennung dieser benachteiligten Kinder als "schonraumbedürftig" bzw. "nicht integrationsfähig" entspricht der Umkehrung der Verhältnisse: das Regelschulsystem ist es, das sich als "nicht integrationsfähig" erweist, und nicht die Schülerinnen.

Das Zusammenleben von Kindern bzw. Menschen unterschiedlichster Lebensvoraussetzungen - unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalem, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten - und die damit verbundene Akzeptanz dieser Unterschiedlichkeit kann nur im Zusammenleben erlernt werden, weshalb das Ziel auch nur eine gemeinsame Schule für alle lauten kann, in der alle Schülerinnen ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert werden, ohne Etikettierungen und damit einhergehenden Stigmatisierungen.

Aus technischen Gründen sind die Tabellen in Onlineversion nicht verfügbar

Tabelle 1: Schülerinnen mit SPF in Kärnter Volksschulen (15. SchOG)

Tabelle 2: Schülerinnen mit SPF in Kärntner Hauptschulen (Schulversuch)

Tabelle 3: Schülerinnen mit SPF in Kärntner Sonderschulen

Tabelle 4:

Impressum

Die Blattlinie ergibt sich aus der Zielsetzung von I:Ö, nämlich einerseits die Öffentlichkeit über die Anliegen und Forderungen von Eltern behinderter Kinder/ Jugendlicher und behinderter Menschen zu informieren, andererseits die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, den einzelnen Initiativen von Eltern und darüber hinaus zu den Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen zu fördern.

Jede Ausgabe beinhaltet einen thematischen Schwerpunkt, in dem Anliegen und Forderungen für ein gemeinsames Leben und Lernen und die dazu notwendigen sozial- und bildungspolitischen Überlegungen vorgestellt werden.

Grundlegende Richtung nach §25/2 Mediengesetz:

Information und Kommentar zu Fragen gesellschaftlicher Integration, insbesondere behinderter und nichtbehinderter Menschen.

betrifft:integration ist der UN-Erklärung der Menschenrechte und der Rechte des Kindes und den UN-Erklärungen über Rechte behinderter und geistig behinderter Menschen verpflichtet.

betrifft:integration ist unabhängig von politischen Parteien und Kirchen und erscheint mindestens viermal jährlich.

Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken.

Verleger und Medieninhaber:

INTEGRATION:ÖSTERREICH, Elterninitiativen für gemeinsames Leben behinderter und nicht behinderter Menschen

Vorstand von I:Ö: Brandl Maria

Vorsitzende; Pröglhöf Ingeborg

Vorsitzende Stellvertreterin; Riegler Kurt

Kassier; Dr. Franz-Joseph Huainigg

Schriftführer; Wita Bernhard

Sitz:Tannhäuserplatz 2/1. Stock, 1150 Wien

Tel.: 01/7891747, Fax: 01/7891746

e-mail: info@ioe.at

http://www.ioe.at/

Bankverbindung: Erste BankKtonr.: 038-47934 BLZ 20 111

Herausgeber:

INTEGRATION:ÖSTERREICH,

Tannhäuserplatz 2/1. Stock, 1150 Wien

Redaktion:

Brigitta Aubrecht, e-mail: brigitta.aubrecht@ioe.at, Tel. 01-7891747-26, Fax. 01-7891746, Tannhäuserplatz 2/1. Stock, 1150 Wien

Layout:

pablo graphics vienna

Druck: Herold Druck- und Verlagsges.m.b.H., Faradayg. 6, 1032 Wien

DVR: 0803936

GZ-Nr.: 02Z032371

Wir freuen uns über Briefe, Informationen, Beiträge und Hinweise auf Veranstaltungen. In dieser Zeitung wird im Zweifelsfall feminin geschrieben! Nicht gekennzeichnete Fotos stammen aus dem Archiv von I:Ö.

Anmerkung zur Internet-Ausgabe

Betrifft: Integration ist der Rundbrief von Integration : Österreich der Zusammenschluß der Elterninitiativen für gemeinsames Leben behinderter und nichtbehinderter Menschen. BIDOK übernimmt diese Zeitschrift mit geringen Anpassungen. Die Anpassungen sind erforderlich aufgrund von technischen, ressourcemäßigen und terminlichen Einschränkungen (z. B. keine Verarbeitung von Photographien, geringe Layout-Gestaltung). Die Erfahrungen mit dieser Form der Veröffentlichung werden kontinuierlich gesammelt, überprüft und adaptiert für die Bedürfnisse unserer Benützerinnen und Benützer.

Die Internet-Ausgabe soll nicht mit der gedruckten Form konkurieren, sondern lediglich dem Internet-Publikum ergänzend zur Verfügung stehen. Wenn Sie als Benützer/Benützerin am Rundbrief interessiert sind, empfiehlt BIDOK die Bestellung von Betrifft : Integration unter folgender Adresse: Integration:Österreich, Tannhäuserplatz 2/1. Stock, 1150 Wien

Quelle:

Integration: Österreich / Verein Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen (Hrsg.): betrifft: integration Nr. 4/1996, Herold Druck- und Verlagsges.m.b.H., Wien

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 22.08.2006

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