betrifft: integration 3/95

Themenbereiche: Schule, Recht
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Integration: Österreich / Verein Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen (Hrsg.): betrifft: integration Nr. 3/1995, Herold Druck- und Verlagsges.m.b.H., Wien betrifft: integration (3/95)
Copyright: © betrifft: integration 1995

Liebe Leserin, Lieber Leser!

Willkommen im neuem Schuljahr

Frischen Wind bringt uns der Herbst und ist nach dem Krafttanken in den Ferien auch in der Integrationsbewegung zu spüren.

Fahrtrichtung: Gesetz!

Die Segel sind gesetzt! Vertreterinnen der Elterninitiativen haben die Verhandlungen mit dem Unterrichtsministerium aufgenommen. Prinzipiell wurde die Fortsetzung des integrativen Unterrichts in der Sekundarstufe im Koalitionsabkommen festgelegt. Eine erste Sitzung fand im Mai im Ministerium statt, zwei weitere Termine im Herbst sind vorgesehen.

Aus dem ersten MINI-SYMPOSIUM von INTEGRATION : ÖSTERREICH heraus hat sich eine engagierte Kleingruppe gebildet, die an einem Gesetzesentwurf für die Sekundarstufe arbeitet. Über Umwege und mehr oder weniger zufällig wurde uns bekannt, daß sich auch im Auftrag des Ministeriums eine Expertinnengruppe - ohne Elternvertreterinnen - mit Bestimmungen für einen gemeinsamen Unterricht im Sekundarbereich auseinandersetzt. Um Kooperation noch im Vorfeld der politischen Verhandlungen bemüht, schlagen wir dem Unterrichtsministerium bereits jetzt eine Zusammenführung der beiden Expertinnengruppen an.

Der Countdown läuft!

Wenn rechtliche Bestimmungen für die Sekundarstufe rechtzeitig, das bedeutet zur Schuleinschreibung, in Kraft treten sollen, dann müßte für die Sekundarstufe spätestens im Jänner 1997 ein entsprechendes Gesetz im Parlament verabschiedet werden. Nur so haben die Kinder, welche seit dem Schuljahr 1993/94 in den "Genuß" der 15. SchOG-Novelle kommen, die Möglichkeit, ohne Behördenbittgänge in eine integrative Sekundarschule aufzusteigen.

Wer noch vor unserer nächsten Ausgabe Aktuelles und weitere Schritte des "mühsamen Wegs der Integration" erfahren und sich rege am Diskussionsprozeß und Informationsaustausch beteiligen möchte, kann dies beim zweiten MINISYMPOSIUM von INTEGRATION : ÖSTERREICH tun. Es wird am 8. und 9. Dezember in Burgenland, im MALKO (7411 Markt Allhau) stattfinden.

Bundesministerin Gehrer

bekennt sich zur Integration geistig behinderter Kinder in die AHS. "Wenn eine Integration kommt, dann muß sie für die ganze Sekundarstufe kommen. Die Eltern sollten jenes Modell wählen, dessen Rahmenbedingungen ihrem Kind am besten gerecht werden. Das muß in individuellen Beratungen mit den Eltern festgestellt werden." (aus: Wiener Lehrer, Nr. 72/9/95)

Achtung Lehrerinnen

In der Sommerausgabe von "betrifft:integration" (2/95, Mittelteil) haben wir das Gerichtsurteil bekanntgegeben, in dem bestätigt wird, daß Integrationslehrerinnen bei der Bezahlung rechtswidrig benachteiligt werden! Das gilt nur für die Phase des Schulversuches, Nachforderungen können für die Klassen ab Juli 92 gestellt werden.

Wermutstropfen: Was Gerichte bestätigt haben, widerlegt das Landeslehrerdienstrechtsgesetz, welches vor der 15. SchOG-Novelle schnell und undiskutiert beschlossen wurde. Wir können nicht glauben, daß die Gewerkschaft das übersehen oder zugelassen hat. Der Zeitpunkt ist günstig, im Herbst sind Personalvertretungswahlen. Vielleicht beweist uns die Gewerkschaft, daß sie nicht (nur) aus der Defensive agiert. Diesbezügliche Aufforderungen und Unterschriftenliste finden sie in "betrifft:integration" (2/95).

Fünf-Sterne-Ghettos

In dieser Nummer starten wir eine neue Serie: "Ghettos im Gespräch - Abgängerinnen aus Fünf-Sterne-Ghettos berichten". Betroffene sollen hier Platz finden, über ihre Erfahrungen aus diversen Sondereinrichtungen zu berichten. Den Auftakt macht Theresia Haidlmayr (Abg. zum NR.).

In dieser Ausgabe

Zur Zeit ist es für Eltern, deren Kinder vor einem Übertritt in die Sekundarstufe stehen, äußerst mühsam, für ihr Kind die Chance eines gemeinsamen Unterrichts zu erhalten. Diesmal berichten zwei Elternpaare über ihre Erfahrungen, Ängste und ihre offenen Fragen zu diesem Thema. Das Redaktionsteam und Karl Heinz Pohler geben Antworten. Die beiden Beiträge bilden eine wichtige Ergänzung zu der in der letzten Nummer von engagierter Lehrerseite gebrachten Stellungnahme für den gemeinsamen Unterricht.

Apropos letzte Nummer:

Achtung Fehlerteufel

Hat sich doch glatt der Fehlerteufel eingeschlichen und das im Leitartikel "Integration im Sekundarbereich - Modellvergleich und Erkenntnisse daraus" in b:i 2/95. Erstens wurde der Autor - Karl Heinz Pohler, HS-Lehrer - verschwiegen und zweitens wurde auch der letzte Satz abgeschnitten: sorry! Hier (sicherheitshalber) der gesamte letzte Absatz:

Dem Erfahrungsbericht einer Sonderschullehrerin, die vier Jahre lang in einer Kooperationsklasse gearbeitet hat, hatte Karl Heinz Pohler nichts hinzuzufügen:

"Trotz intensiver und engagierter Bemühungen des Lehrerteams kann von Integration im Sinne eines gegenseitigen Lernens, Helfens und Akzeptierens keine Rede sein, wenn man als Maßstab für eine geglückte Integration die dereinstigen Resultate aus der Volksschule herannimmt. Im Gegenteil: Es ist ganz entgegen den proklamierten Zielen einer Integration eine sich in allen Bereichen des täglichen Miteinanders äußernde Zwei-Klassen-Gesellschaft entstanden."

(Anm. der bidok Redaktion: Vollständig in der bidok-on-line-Ausgabe 2/95)

Landesausführungsgesetze

Unglaublich aber wahr! Am 10. August 1995, 2 Jahre(!!) nach der Verabschiedung der 15. SchOG-Novelle, hat es Vorarlberg als letztes Bundesland geschafft, sein geändertes und den integrativen Unterricht berücksichtigendes Landesausführungsgesetz herauszugeben. Vergleichsweise besser ist es deshalb nicht ausgefallen. Im Gegenteil. Über die verschiedenen Varianten zur Festlegung der Klassenschülerinnenhöchstzahl oder des Einsatzes der Zusatzlehrerin soll der Vergleich der wichtigsten Passagen aller 9 Landesgesetze auf Seite 8 und 9 dienen.

Detail am Rande

Zur Beschaffung dieser Gesetze benötigt die mündige Bürgerin im Durchschnitt 4,75 Telefongespräche, in deren Rahmen sie 12,33 Mal verbunden wird, ehe sie zur zuständigen und wissenden Beamtin vordringt; immer vorausgesetzt, die Anruferin weiß sicher, daß es ein Landesgesetzblatt gibt und läßt sich vorher nicht abwimmeln.

Viel Spaß beim Lesen!

Ihr Redaktionsteam

Ernst Berger: Integration ist unteilbar

Doz. Dr. Ernst Berger: Ärztlicher Leiter des neurologischen Krankenhauses am Rosenhügel

Diese Losung aus dem Sprachschatz der Integrationsbewegung hat eine gute und zutiefst menschliche Tradition: es gibt keinen "harten Kern" behinderter Menschen, der von der Integration auszuschließen ist! Das Prinzip der Integration ist ein Menschenrecht und gilt für alle!

Das Anliegen in diesem Beitrag ist es, bewußt an dieser Tradition anzuknüpfen, den Blick aber in eine andere Richtung zu lenken: Die Forderung nach Integration bezieht sich auf alle, die von gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen ausgegrenzt werden. Der Kampf um die Integration behinderter Menschen ist nicht trennbar von der Forderung nach der Integration lernbehinderter und "verhaltensgestörter" sowie sozial benachteiligter Kinder und von anderssprachigen Kindern. Selbstverständlich hat die Integrationsbewegung -und INTEGRATION : ÖSTERREICH besonders - diesen Aspekt stets implizit mitgedacht; er hat aber in unserem konkreten Handeln der letzten Jahre keinen praktischen Stellenwert gehabt.

Diesem Gedanken einen wachsenden Stellenwert in unserem Handeln einzuräumen, scheint mir aus zwei Gründen an der Zeit zu sein: Je stärker Tendenzen gesellschaftlicher Ausgrenzung artikuliert werden, desto stärker muß dem eine umfassende Solidarität entgegengesetzt werden. Außerdem besteht die Gefahr, daß wir durch unser Handeln zur Stabilisierung des Systems der Ausgrenzung beitragen, indem wir ihm ein weiteres Kästchen - die "I-Klasse" - hinzufügen, ohne das Selektionssystem selbst in Frage zu stellen. Deshalb ist es notwendig, die Unteilbarkeit von Integration in der ganzen Breite des Wortsinns zu betrachten.

Aufgrund spezifischer gesellschaftlicher und politischer Konstellationen ist es gelungen, ein zusätzliches Element in das österreichische Schulsystem einzuführen - die Integrationsklasse.

Einerseits wurde damit die organisatorische Voraussetzung geschaffen, behinderten Kindern den Schulbesuch gemeinsam mit anderen Kindern zu ermöglichen; andererseits wurde damit in der Praxis deutlich sichtbar, daß Schulunterricht auch in anderer Weise möglich ist, als es viele Jahrzehnte hindurch die Regel war: Kooperation von Lehrerinnen im Team-teaching-Modell, innere Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts und Veränderung der didaktischen Methoden standen auf der Tagesordnung. Damit ist auch ein umfassenderes Thema angesprochen - die Veränderung des Schulsystems. Nur, dieses Thema wurde bisher kaum aktualisiert!

Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, daß das Problem der Integration von dem Ende her in Angriff genommen wurde, wo es eigentlich nicht zu erwarten und methodisch wohl auch am schwierigsten zu realisieren war: bei der Integration von Kindern mit schweren körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen. Die Mehrzahl der Kinder, die die Sonderschulen bevölkern, wären wohl mit geringeren Veränderungen des Schulsystems integrierbar gewesen. Allerdings sind diese Kinder viel zahlreicher und haben überdies meist keine Eltern, die sozial wirksames Lobbying betreiben könnten.

So stehen wir nun vor der Situation, daß es gelungen ist, die Veränderbarkeit schulischer Strukturen praktisch zu beweisen, ohne daß es bisher zu einer Verallgemeinerung dieser Erkenntnis gekommen wäre.

Der Kernbereich des Schulsystems, das auf Ausschluß und Selektion gegründet ist, ist gewissermaßen "ein Stück zur Seite gerückt" und hat Platz gemacht für einen neuen "Mitschüler", der wiederum ein Mascherl tragen muß - die "Integrationsklasse". Wenn wir uns mit diesem Erfolg zufrieden geben, haben wir zwar einigen Kindern deutlich bessere Möglichkeiten für ihr Leben geschaffen, lassen aber gleichzeitig die inhaltliche Sprengkraft unseres Anliegens verpuffen. Deshalb müssen wir deutlich machen: INTEGRATION IST UNTEILBAR - sie gilt für alle Kinder. Die Integration behinderter Kinder hat bewiesen, daß dieser Weg gangbar ist. Das heißt, der Kampf gegen die Sonderschule muß fortgesetzt werden, solange es auch nur eine davon gibt!

Solidarität

Genau dazu ist jetzt auch die richtige Zeit. Denn die politischen Kräfte in unserer Gesellschaft, die all jene ausschließen wollen, die nicht ihrem Bild eines "guten und echten Österreichers" entsprechen, oder die sie zu "Schmarotzern" erklären, versuchen immer lauter, ihre menschenverachtenden Ansichten publik zu machen: "Die Schlechten ins Kröpfchen!" - sprich ins soziale Abseits - vorerst. Aus diesem Grund ist die Solidarität aller, die Betroffene einer solchen Politik wären, notwendig. Und ein Blick in die Geschichte zeigt, wer die "Schlechten" sind. Im Jahr 1939 wurde damit begonnen, eine Kartei der "negativen Auslese Groß-Wiens" anzulegen. Sie umfaßte über 15 Prozent der Bevölkerung Wiens: Geisteskranke und Psychopathinnen, Trinkerinnen, Prostituierte sowie 40.000 schwer erziehbare und psychopathische Kinder aus asozialen Familien. Großzügig wird bei der Definition des "Negativen" vorgegangen! Deshalb nochmals gesagt: Integration ist unteilbar!

Integration in "Krähwinkel"

Das gemeinsame Leben und Lernen ist - immer wieder - ein Gnadenakt. Oder zu früh geboren?

Am 3. Mai 1985 kommt unser erstes von drei Kindern, Tobias, zur Welt. Bereits wenige Stunden nach der Geburt erfahren wir, daß er behindert ist. Tobias hat Down-Syndrom.

Mit 3 Monaten muß er zum ersten Mal ins Krankenhaus. Bei den Untersuchungen stellt sich heraus, daß er einen schweren Herzfehler hat, ohne Operation würde seine Lebenserwartung maximal 18 Monate betragen. Im Großspital in Wien: Herzkatheter, Ultraschall. Die Frau Institutsvorstand teilt uns mit, daß die Chancen bei einer Operation eher gering seien und im Falle eines Erfolges mit schrecklichen Nebenwirkungen zu rechnen sei: Die Lebenserwartung unseres Kindes würde "dramatisch steigen", es könnte uns vielleicht sogar überleben. Sie gibt uns den wohlwollenden Rat, es Tobias noch schön zu machen und ihn dann friedlich sterben zu lassen. "Bedenken sie doch, was es kostet, für so ein Kind die modernsten und teuersten Mittel der Medizin einzusetzen. Und es wird nie etwas für die Gesellschaft leisten können. Außerdem können Sie noch gesunde Kinder haben."

Nach gelungener Operation entwickelt sich Tobias gut, der Kindergarten kommt heran. Die Gespräche mit der äußerst aufgeschlossenen Kindergärtnerin, der Inspektorin und der Integrationsabteilung des Landes Niederösterreich sind ermutigend, es scheint eine gute Lösung zu werden. Da tritt der Kindergartenerhalter in Form eines Bürgermeisters auf den Plan, der bei der zuständigen Landesrätin interveniert, den unterschriftsreifen Akt nicht zu unterzeichnen. Wir versuchen die Situation im persönlichen Gespräch zu klären: "Wenn ich so ein Kind hätte wie sie, wäre ich froh, wenn es überhaupt in den Kindergarten gehen könnte, da würde ich nicht noch Ansprüche stellen."

Nach zwei guten Jahren im Kindergarten wollen wir Tobias für ein Jahr von der Schule zurückstellen lassen. Ein Routinevorgang bei einem Kind mit Down-Syndrom? Es dauert vier Monate, bis wir den Aufschub erkämpft haben.

Das Ansinnen, eine Integrationsklasse einzurichten, stößt in der Volksschule auf Skepsis und Widerstand. "Wozu? Die Sonderschule ist doch im selben Haus!" Es gibt allerdings eine Lehrerin, die sich die Integration nach Montessori-Prinzip "antun" möchte, und Eltern, die ihre Kinder in diese Klasse geben wollen. Die Einzelintegration mit 16 Kindern und einer Lehrerin ohne Stützlehrkraft kommt zustande.

Tobias hat jetzt die dritte Klasse abgeschlossen, wie soll's weitergehen? Für die weitere Schullaufbahn gibt es mehrere denkbare Möglichkeiten:

  1. Die Klasse könnte beisammenbleiben, wir könnten einen Schulversuch "gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen" starten. Dieses Modell würde sowohl uns als auch den meisten Eltern gut gefallen, scheidet aber aufgrund der derzeitigen politischen Lage praktisch aus.

  2. Ein Teil der Klasse geht mit in eine I-Klasse in der örtlichen Hauptschule.

  3. An der Hauptschule wird eine I-Klasse eingerichtet. Die Zusammensetzung ergibt sich vollkommen neu.

  4. Ein Teil der Klasse geht mit in eine I-Klasse in eines der beiden in Frage kommenden Gymnasien der nächstgelegenen Bezirksstädte.

  5. Die Klasse löst sich ganz auf, die einen gehen in die HS, die anderen in die AHS, Tobias geht in die Sonderschule.

Im November klappere ich die in Frage kommenden Schulen ab. Der Direktor der örtlichen Hauptschule ist interessiert, hat aber noch keine konkreten Vorstellungen. Er zeigt sich aufgeschlossen und gesprächsbereit, auch ein zufällig in der Direktion anwesender Lehrer reagiert ähnlich.

Im Gymnasium der Bezirkshauptstadt, die aber nicht "unsere" Schulstadt ist, ein ähnliches Bild. Der Direktor kommt gerade von einer Direktorenkonferenz, berichtet von der durchwegs ablehnenden Stimmung seiner Kolleginnen, möchte sich aber selbst noch nicht festlegen. Er hat sich mit der Materie bisher noch nicht beschäftigt, meint aber, daß man in der Schule immer auf der Suche nach neuen Wegen sein müsse.

"Ermunternde Worte" gibt es dann vom Direktor des nächstgelegenen Gymnasiums: Er bezeichnet die Idee der AHS-Integration wörtlich als "Verbrechen", weil man dadurch alle Kinder schädige. Unter Berufung auf seine christliche Weltanschauung tritt er für eine möglichst große Differenzierung im Schulsystem ein.

Er erzählt mir stolz von seiner eigenen Tochter, die in eine (andere) AHS geht und vor Schularbeiten regelmäßig erbricht, weil der Leistungsdruck so hoch ist. So stellt er sich Schule vor, nicht als Nivellierung nach unten und Gleichmacherei. Er fragt mich noch, wie ich mir vorstelle, daß mein Sohn maturieren soll und ob ich glaube, daß er dann auch an der Universität integriert werden soll. Für den Fall, daß ich alle Eltern überrede, ihre Kinder in eine I-Klasse in der HS zu geben, droht er mir ein Disziplinarverfahren an (ich bin selbst Lehrer), gleichzeitig kann er sich überhaupt nicht vorstellen, daß ein HS-Kind später ins Gymnasium übertreten könnte. Das ist zwar theoretisch denkbar, aber praktisch durch den Charakter seines Institutes als Eliteschule unmöglich.

Bei unserem nächsten Elternabend zeigt sich, daß ein Teil der Kinder in die AHS gehen will, ein paar wollen sich noch nicht festlegen, für ca. die Hälfte steht die Hauptschule so gut wie fest. (Lesen Sie bitte dazu die Stellungnahme einer Mutter.)

Als realistischster Weg zeichnet sich somit die Integration an der örtlichen HS ab, mit einer großteils neu zusammengesetzten Klasse.

Im Mai und Juni erfolgen Kontakte zum wissenschaftlichen Begleiter unseres Schulprojektes, er ist sehr für eine Fortsetzung und sieht dabei eigentlich keine großen Probleme. Ähnlich der Bezirksschulinspektor: Grundsätzlich hat er nichts einzuwenden. Seiner Ansicht nach kann der Schulversuch nahtlos weitergehen, nur eben mit anderen Kindern. I-Lehrerinnen bzw. Stützstunden sind nach derzeitigem Stand eher unwahrscheinlich. Konkrete Gespräche soll es dann im Herbst geben.

Wie eine solche Klasse funktionieren soll, ist mir allerdings noch nicht klar.

Wichtige Grundforderungen von INTEGRATION : ÖSTERREICH:

  • Jedes Kind, unabhängig vom Schweregrad der Behinderung, soll - wenn die Eltern es wünschen - integrativ beschult werden.

  • Auch Kinder in der AHS sollen die Chance auf einen gemeinsamen Unterricht bekommen.

  • Die Klassenschülerinnenhöchstzahl soll sich an den Empfehlungen der erläuternden Bemerkungen zum Gesetz für die Grundschule orientieren (ca. 20 Kinder).

  • Das Lehrerinnenteam soll über den gesamten Stundenpool für die Klasse verfügen.

Aktuelle Situation:

Integration im Sekundarbereich ist Schulversuch. Rein nach der Gesetzeslage dürften solche Versuche nur für Kinder eingerichtet werden, die im Rahmen der VS an integrativen Schulversuchen teilgenommen haben.

Die ersten mit der 15. SchOG "gesetzlich legitimierten Integrationskinder" kommen mit dem Schuljahr 1997/98 in die Sekundarstufe. Sie alle müßten - ohne rechtzeitiger Gesetzesänderung - die Sonderschule besuche, weil HS und AHS Schulversuche eben nur für Kinder zulässig sind, die in der Volksschule in integrativen Schulversuchen unterrichtet wurden.

Integration am Scheideweg?

Wie kann es nach dem integrativen Unterricht in der VS weitergehen?

Viele Gedanken und Fragen von der Mutter eines nichtbehinderten Kindes.

Mein Sohn besucht zur Zeit mit 15 anderen Kindern, darunter ein Kind (Tobias) mit Down-Syndrom, die 3. Klasse Volksschule. Diese Klasse wurde als Schulversuch "Integration" begonnen, geführt wird sie von einer sehr engagierten Lehrerin, die nach Montessori unterrichtet. Besonders die Eltern von Tobias haben sich dafür eingesetzt, daß diese Klasse zustande gekommen ist. Sie fanden eine Lehrerin, die bereit war, sich dieser Aufgabe zu stellen, und sie fanden Eltern, die bereit waren, mit ihren Kindern bei diesem Schulversuch mitzumachen. Keine leichte Aufgabe angesichts der vielen Fragen und Bedenken, die vor allem von Unbeteiligten vorgebracht wurden und so manchen zum Zweifeln brachten. Z.B.:

  • Wird das Kind in dieser Klasse soviel lernen wie in einer "normalen"?

  • Riskiere ich ein geringeres Grundwissen meines Kindes, damit ein behindertes Kind nicht in die Sonderschule gehen muß?

  • Kann sich die Lehrerin genug um alle kümmern, oder wird sie hauptsächlich von dem behinderten Kind gebraucht?

  • Kann mein Kind aufgrund der nicht herkömmlichen Lehrmethode (Montessori) in einer weiterführenden Schule bestehen, oder hat es dadurch dann Schwierigkeiten?

Ich war von Anfang an überzeugt, daß sich diese Integrationsklasse schon wegen der unkonventionellen Lehrmethode und nicht zuletzt aufgrund der geringen Schülerzahl nur positiv auf die Kinder auswirken wird.

In diesen letzten drei Jahren hat sich bestätigt, daß die anfänglichen Bedenken absolut unnötig waren. Nicht nur, daß sich unsere Kinder großes Wissen angeeignet haben und der Lernerfolg in keiner Weise hinter dem einer herkömmlichen 3. Klasse zu reihen ist, machten wir noch viele weitere positive Erfahrungen.

So z.B. haben die nichtbehinderten Kinder durch den Umgang mit Tobias gelernt, Schwächen anderer zu akzeptieren und damit umzugehen. Die Klassengemeinschaft ist besonders gut, die Atmosphäre eher ruhig und angenehm. Das Sozialverhalten der Kinder in dieser Klasse ist besonders ausgeprägt. Sehr viel wird gemeinsam erarbeitet. Die Bereitschaft, jemand anderem zu helfen, aber nicht nur dem behinderten Kind, sondern auch allen anderen, ist sehr groß.

Ein weiterer positiver Aspekt ist, daß die Kinder aufgrund der Unterrichtsmethode und der guten Motivation durch die Klassenlehrerin gelernt haben, selbstständig und eigenverantwortlich zu lernen, und nicht, weil die Lehrerin es so verlangt oder wegen einer guten Note. Bisher gab es nur verbale Beurteilung und keine Noten, was sich meiner Meinung nach nur positiv auf die Klassengemeinschaft ausgewirkt hat, da dadurch das Konkurrenzdenken unter den Kindern ausblieb.

Die Entscheidung

Die Volksschulzeit ist nun bald vorbei, und wir stehen wieder vor der Entscheidung, bei einem eventuell zustandekommenden weiterführenden Integrationsprojekt mitzumachen oder nicht. Es wäre nicht sehr sinnvoll und sehr schade, wenn Tobias nach den vier Volksschuljahren, die er problemlos und mit großem Erfolg (er kann lesen, schreiben und rechnen) absolviert hat, seine Schullaufbahn in der Sonderschule beenden müßte. Am realistischsten wird die Fortsetzung der Integrationsklasse in einer Hauptschule sein.

Mein Sohn will jedoch ein Gymnasium besuchen, was ich aufgrund seiner Begabung auch unterstützen möchte. Die Probleme sind daher diesmal ein wenig anders gelagert. (Fragen siehe Kasten)

Die Entscheidung fällt schwer, nicht zuletzt deswegen, da ich für die Entscheidungen, die unser Kind betreffen, verantwortlich bin, ich mich aber auch mitverantwortlich fühle, sollte die Fortführung eines Integrationsprojektes scheitern.

Auf die Fragen, die sich der Autorin - und mit ihr sicherlich vielen Müttern und Vätern - stellen, geben wir hier Antwort.

Fragen einer Mutter rund um die Integration in der Sekundarstufe

1.-Wo und in welcher Form wird dieses weiterführende Projekt zustandekommen?

Schwer zu beantworten; unser Tip: Im Kollegium einer weiterführenden Schule (HS,AHS) Lehrerinnen finden, die aus persönlicher Motivation bereit wären, die Errichtung einer Integrationsklasse an ihrer Schule voranzutreiben, Informationen über bestehende Modelle einzuholen (bei INTEGRATION : ÖSTERREICH) und sich mit Erfahrungen bereits bestehender Klassen auseinanderzusetzen.

2.-Kann es aufgrund der derzeitigen Einsparungsmaßnahmen im Schulbereich überhaupt zustandekommen?

Das darf aus mehreren Gründen überhaupt nicht in Frage gestellt werden:

  1. Gemeinsames Leben und Lernen ist ein Menschenrecht, das nicht aufgrund von allfälligen finanziellen Problemen mißachtet werden kann.

  2. Integrationsmaßnahmen im Sekundarbereich sind im Koalitionsabkommen vereinbart.

  3. Berechnungen zeigen, daß "teuer" nur die "zweigleisige Lösung" ist: Integration und Sondereinrichtungen! Ausschließliche Integration wäre nicht teurer und käme allen Kindern zugute.

  4. Der Stundenplan für die jeweiligen Bezirke sieht genügend Stunden für Stützmaßnahmen vor, nur werden diese meist nicht ausgenützt!

3.-Finden sich genug engagierte Lehrerinnen, die bereit wären, ein weiteres Integrationsprojekt durch ihre Mitarbeit zu unterstützen?

siehe Frage 1. Wenn Lehrerinnen ihren Beruf ernst nehmen, dann müssen sie sich selbstverständlich mit den Bedürfnissen der Kinder und deren Familien auseinandersetzen und auf diese eingehen. Schon von daher müßte sich diese Frage mit ja beantworten lassen. Außerdem zeigt die Erfahrung, wie bereichernd, persönlich und beruflich die Arbeit in Integrationsklassen ist.

4.-Wären sie bereit, sich fachspezifisches Wissen vor allem in den Bereichen Integration und Offenes Lernen anzueignen?

Hängt mit Frage 3 zusammen. Natürlich müssen bestimmte Rahmenbedingungen für gemeinsames Leben und Lernen geschaffen werden und auch bestimmte Strukturen - vor allem in der Sekundarstufe - geändert werden, die dann wieder allen Kindern zugute kommen! Wesentlich ist aber eine bestimmte positive Grundeinstellung zu Integration als Menschenrecht. Darüber hinaus ist auf die Dauer auch eine didaktisch-methodische Umstellung auf die - gegenüber den meisten Regelklassen - geänderten Bedingungen nötig. Eine zusätzliche Ausbildung bzw. eine auf integrativen Unterricht bedacht nehmende Grundausbildung wird schon lange von uns gefordert. Da und dort wird schon damit begonnen. Die meist noch fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten sollten keine Ausrede dafür sein, daß gemeinsamer Unterricht nicht durchgeführt werden kann. Vieles kann man sich auch selbst aneignen, wenn man will!

5.-Wäre unser Kind in der Hauptschule unterfordert? Wäre ein Versuch "Gesamtschule" möglich, in dem begabtere Schülerinnen Gymnasiumniveau erreichen können? Oder gibt es diesen Unterschied ohnehin nicht? Kann ein Kind nach vier Jahren Integrationsklasse in der Hauptschule in ein Gymnasium umsteigen, oder wären Umsteigschwierigkeiten vorprogrammiert?

Diese Fragen hängen insofern zusammen, als sie Ängste von Eltern widerspiegeln, ob ihr Kind in einer Integrationsklasse auch "genug" lernt oder ob das Eingehen auf leistungsschwächere "behinderte" Kinder nicht automatisch den Lernfortschritt der anderen Kinder bremsen muß. Darüber ließe sich viel sagen, aber in Kürze: Es gibt umfangreiche Untersuchungen im In- und Ausland, die Integrations- mit Regelklassen vergleichen (soweit das überhaupt möglich und zulässig ist). Alle stimmen sie aber in dem einen Punkt überein, daß Kinder in Integrationsklassen im ungünstigsten Fall gleich viel lernen, in vielen Bereichen aber sogar mehr und besser! Von Bereichen des sozialen Klimas und des Übens im Umgang mit "anderen Kindern" ganz abgesehen. Natürlich darf auch nicht verschwiegen werden, daß einige Kinder beim Umstieg auf eine weiterführende Schule zumindest anfänglich gewisse Probleme haben können. Ob diese ausschließlich mit der Integrationsklasse zusammenhängen, ist offen. Es darf auch einmal die Frage erlaubt sein, ob die Art und Weise, wie weiterführende Schulen mit Fähigkeiten und Bedürfnissen der neu zu ihnen kommenden Kinder und Jugendlichen umgehen, das Maß aller Dinge ist. Inhalt "eines nichtbehinderten Kindes."

Integrationsklasse bleibt!

Mit absichtlich schlecht geschriebenen Klassenarbeiten haben 22 Bremer Grundschülerinnen den Kampf um ihre behinderten Mitschülerinnen gewonnen. Bremens Schulsenator Henning Scherf (SPD) gab sich geschlagen und genehmigte die Fortsetzung der Integrationsklasse.

Die etwa zehnjährigen Schülerinnen hatten lauter Fünfen und Sechsen auf Schularbeiten geschrieben, um trotz Schulwechsels mit den fünf behinderten Schülerinnen in einer Klasse zu bleiben. Diese Protestaktion war von Eltern und Lehrerinnen unterstützt worden. Die Schulbehörde hatte nämlich ursprünglich, um am Bildungssektor Einsparungen zu erlangen, geplant, die Integrationsklasse auseinanderzureißen. Auf Grund der großen Identifikation der Beteiligten und der Effizienz einer Integrationsklasse hat sich Senator Scherf entschlossen, die Kooperation auch im neuen Schuljahr sicherzustellen.

Ein gutes Beispiel, um zu sehen, wie viel erreicht werden kann, wenn Schülerinnen gemeinsam eine Protestaktion veranstalten, um sich gegen Einsparungen am Bildungssektor zu wehren.

Protest von 21 Vereinen gegen die Neuerrichtung eines Behindertenheimes

Im Areal des Psychiatrischen Krankenhaus Hall in Tirol soll für geistig behinderte Menschen ein "Heilpädagogischen Zentrum" errichtet werden

Mit dem Inkrafttreten des Unterbringungsgesetzes 1991 wurde die Unterbringung geistig behinderter Menschen in Österreichs psychiatrischen Krankenanstalten gesetzwidrig.

Für die ca. 120 geistig behinderten Mitbürgerinnen, die sich 1991 im Psychiatrischen Krankenhaus Hall i.T. befanden, gründete sich der "Verein zur Integration geistig behinderter Menschen IGB" mit dem Ziel, deren Re-Integration außerhalb der Psychiatrie voranzutreiben.

Bisher wurden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Behinderteneinrichtungen für ca. 40 Menschen mit geistiger Behinderung Wohngemeinschaften sowie ambulante Betreuungsformen in Tirol aufgebaut.

Im Herbst 1994 legte der Verein IGB dem Land Tirol Angebote und Konzepte für die noch ca. 70 geistig behinderten Menschen des PKH Hall vor, wonach für sie alle Wohngemeinschaften außerhalb der Psychiatrie vorgesehen waren.

Das Land Tirol entschied gegen die Hälfte der angebotenen Projekte, forciert gleichzeitig aber die Errichtung eines "Heilpädagogischen Zentrums im Areal des Psychiatrischen Krankenhauses.

Der Verein IGB fordert vom Land Tirol ein klares Bekenntnis für die Integration aller behinderter Menschen, eine entsprechende finanzielle Unterstützung für die Realisierung integrativer Wohn- und Lebensformen und die Wiederaufnahme der abgelehnten Projekte.

Kontakt:

Verein zur Integration geistig behinderter Menschen - IGB,

Thurnfeldgasse 14

6060 Hall i.T.

Tel. 05223/45633

Folgende Vereine und Sozialeinrichtungen in Tirol unterstützen den Protest des Vereins IGB gegen die Neuerrichtung eines Behindertenheimes im Psychiatrischen Krankenhaus Hall :

Arche Tirol, Caritas Innsbruck, Die Johanniter, Elisabethinum Axams, Heilpädagogische Familien, Mobiler Hilfsdienst, Österreichische Autistenhilfe, Landesstelle Tirol, Österreichischer Zivilinvalidenverband, Landesverband Tirol, Patientenanwaltschaft Hall i.T., Patientenanwaltschaft Innsbruck, Sachwalterschaft Innsbruck, Selbstbestimmt Leben Initiative, Sozialberatung für Menschen mit Behinderung, Tafie Außerfern, Tafie Innsbruck-Land, Tafie Tirol, Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder, Verein Eule, Verein IWO, Volkshilfe Tirol;

Landesgesetze Teil 1

In Verordnungen haben die Bundesländer ihre Sonderpädagogischen Zentren (SPZ) festgelegt, die einzig und allein im niederösterreichischen Landesgesetz Erwähnung finden: Das SPZ wird angehört, wenn es um die Herabsetzung der Klassenschülerinnenhöchstzahl bei kooperativen Klassen geht.

Wien und Kärnten, deren Landesgesetz als erstes (mit 9. September 1994) herausgegeben wurden, haben zwei interessante Zusätze aufzuweisen: In Kärnten hat die Landesregierung dem Landtag über die Entwicklung der Schülerinnenzahlen in VS-Klassen mit Kindern mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) zu berichten, erstmals am 1.10.1995. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.

Wien wiederum gibt bestimmten Unterrichtsmodellen den Vorzug: "Der gemeinsame Unterricht von nicht behinderten Kindern und Kindern mit SPF erfolgt in der Regel in Form der Integrationsklasse, der Aufbauklasse oder in Form des Stützlehrermodells ..." Schön, daß wenigstens ein Bundesland erkannt hat, daß in Kooperationsklassen nichts Integratives passiert.

Schmunzelecke

"Werden Kinder mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam in einer Volksschule unterrichtet, hat die Höchstzahl niedriger als 30 zu sein." § 23, Abs. 2 Salzburger Landesgesetzblatt

Salzburger Volksschulen werden sich in Zukunft, um einen "Alibi-Behinderten" reißen. Wird nämlich an der ganzen Volksschule auch nur ein einziges Kind mit SPF integriert, haben (offenbar) alle Klassen einen niedrigere Klassenschülerinnenhöchstzahl. Da werden die Anträge der Schulleiterinnen nur so hereinflattern.

Im Burgenland werden laut Gesetz behinderte Kinder "mit"-aufgenommen. Sind halt doch nur Menschen zweiter Klasse, aber wir sind sicher, so war das nicht gemeint. (siehe Burgenland S. 8)

An sich durchaus begrüßenswerte Ausführung bei der Klassenschülerinnenhöchstzahl. Klarer kann nicht mehr ausgedrückt werden, daß nur auf Kosten dritter gespart werden darf. (siehe Kärnten S. 8)

Ludwig Volker Toth: Wie steht es um die Integration?

Mag. Ludwig Volker Toth

Seit fast einem Monat läuft das dritte Schuljahr mit der gesetzlich verankerten Integration in der Volksschule." Anlaß, um eine kritische (Selbst)Bilanz zu ziehen.

Die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den normalen Ablauf eines Volksschulalltages war und ist für uns betroffene Eltern der größte Wunsch. Der Gesetzgeber hat dem engagierten Drängen von uns Eltern mit dem Wahlrecht auf schulische Integration Rechnung getragen. Die Praxis der tatsächlichen Integration nach den Jahren der Schulversuche ist zum Teil ernüchternd bis erschreckend. Die (Hinter)Gründe dafür zu sehen und zu analysieren ist vorderste Pflicht der Integrationsbewegung. Nur so können Entwicklungen rechtzeitig erkannt und notwendige Schlüsse und Korrekturen gezogen werden.

Erwartungen an die Integration

Solange sich der gemeinsame Unterricht noch im Stadium der Schulversuche befand, war - wenn auch schmerzlich - bewußt, daß Integration die Ausnahme und nicht die Regel darstellte. Eltern wußten um die Schwierigkeiten des gemeinsamen Unterrichts für ihre Kinder - Schwierigkeiten, die nicht selten zum (Macht)Kampf mit allen Begleiterscheinungen ausarteten. Die Erwartungen waren eine bessere gesellschaftliche Akzeptanz der Kinder und somit auch der Eltern, verbunden mit solidarischer Unterstützung bei der täglichen Bewältigung des gemeinsamen Lebens mit einem behinderten Menschen. Freilich war die Angst vor einer Stigmatisierung, die lebensbestimmend werden könnte, mit einer der Gründe, die nicht leichtfertig mit dem Hinweis auf Verweigerungs- und Verdrängungsmechanismen abgewertet werden dürfen. Gerade der fast tägliche Kampf und die von anderen aufgezwungene Selbstrechtfertigung haben aber verhindert, daß die Integration als (All)Heilmittel gegen die Behinderung und ihre Folgen gesehen worden ist. Wer sich so bedingungslos und in aller Öffentlichkeit für seine Kinder eingesetzt hat, der hat sich damit auch unwahrscheinlich der öffentlichen Kritik und Besserwisserei ausgesetzt. Es war aber ein Teil des Elternseins, sich so deutlich zu seinen Kindern zu bekennen und sich für sie so einzusetzen.

Änderung und Abwehr

Jetzt allerdings vernehme ich eine Änderung in der Erwartungshaltung. Die 15. SCHOG-Novelle wird in ihrer Faktizität schon so interpretiert, als hätte ihr bloßes (papierenes) Vorhandensein bereits den Zustand unserer Gesellschaft und das allgemeine Bewußtsein Behinderten und anderen Randgruppen gegenüber geändert. Aus dieser Fehlinterpretation kommt es dann zur fatalen Fehleinschätzung der allgemeinen Bereitschaft zur Integration im Klassenzimmer und -verband. Bisher fühlte sich niemand so wirklich vom Gedanken der Integration betroffen und aufgefordert - die Schulversuche waren ja eine begrenzte Minderheitensituation. Die Tatsache, daß im Prinzip in jeder Volksschule, ja in jeder Volksschulklasse Integration die Wirklichkeit für die eigenen Kinder werden könnte, hat erst so richtig die Gegner auf den Plan gerufen und aus der Reserve und Zurückhaltung gelockt. Hier haben vor allem viele Kommunal- und auch Bildungspolitikerinnen, aber auch manche Pädagoginnen ihr wahres Gesicht gezeigt. Die einst "frommen" Bekenntnisse zur Integration und ihrer gesellschaftlichen wie bildungspolitischen Berechtigung sind bald durch extrem pragmatische Abwehrhaltungen ersetzt worden. Die eigenen Ängste vor dem Schwachsein und dem Aushaltenkönnen eines solchen Zustandes sind nur ungenügende Erklärungen für ein derartiges Verhalten. Die Scheu vor Veränderungen gerade zugunsten einer Minorität mag ein anderes Indiz dafür sein. Viel deutlicher kommt der zutiefst inhumane Charakter unserer derzeitigen Gesellschaft und deren Strukturen zum Ausdruck. Verschleiert wird diese Unmenschlichkeit aber immer mit dem Verweis, doch nur das Beste für die Behinderten zu wollen - und dies wäre doch nur in den entsprechenden sonderpädagogischen Einrichtungen zu erreichen. So werden unter diesem Vorwand den Eltern neuerlich Angst und ein schlechtes Gewissen eingejagt; einfach, indem man sie verunsichert oder nur halb bis gar nicht über alle Möglichkeiten informiert und ihren vom Gesetz begründeten Wunsch als ungebührend, ja als Anmaßung (z.B. für den Gemeindesäckel) hinstellt. Die derart behandelten Eltern erfahren nicht nur eine neuerliche tiefe Kränkung und Verhärmung in ihrem Schicksal, sondern verlieren nicht selten jeden Mut, sich weiterhin um die Integration ihres behinderten Kindes zu bemühen. Sie scheuen den Kampf aus Selbstschutz und der Erfahrung des öffentlichen Ausgeliefertseins und der Diffamierungen. Die Beamtinnen und Pädagoginnen sind nicht die - wie vom Gesetz intendierten - Förderinnen und Vollzugsorgane der Integration. Sie schlüpfen selbst in die Rolle der Opfer, die von unverständigen und schwierigen Eltern zu solchen gemacht worden sind. Als solche müssen sie sich dann selbstverständlich gegen diese unqualifizierten und ungerechtfertigten Wünsche und Angriffe verteidigen. Dabei wird allerdings übersehen, daß das Machtgefälle, das unserem Schulsystem innewohnt, hier eindeutig mißbraucht und einseitig angewendet wird. - In diesem Zusammenhang fällt mir der Befund eines meiner Universitätslehrer, eines deutschen Theologen und Juristen, ein, der da sagte: "Wenn man in Österreich sein Recht verlangt, gilt man als Querulant!"

Nach der ersten unliebsamen Konfrontation reagieren viele Eltern mit Resignation und Rückzug. Entweder sie "fügen" sich kraftlos aber immer noch unwillig in die Lösung Sonderschule, oder sie treten mit einigen Illusionen den Weg in die eigene kleine, alternative Privatschule an, um so dem Fatalismus des öffentlichen Systems zu entgehen. Aus vielen Gesprächen mit solchen engagierten Eltern und Initiativen sehe ich aber mehrere Gefahren dieser Entwicklung: Bildung ist wie die allgemeine Befindlichkeit einer Person, also auch deren Behinderung, kein bloßer Privatzustand. Krankheit, Behinderung, Bildung dürfen auch nicht wie die Wirtschaft zunehmend privatisiert werden, um effektiv zu sein. Dieses Bekenntnis schreibe ich im vollen Bewußtsein, selbst zwei Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht gegründet zu haben. Der Schritt dazu erfolgte zwar auch aus Verzweiflung und Verweigerung des öffentlichen Schulsystems zur Integration. Dennoch verstehen wir uns als Teil des öffentlichen Systems, ja als Stachel im Fleisch dieses Systems, das wir auch gerade durch unser hartnäckiges Vorhandensein verändern wollen, als Salz in der Suppe, das erst dem ganzen Gericht den richtigen würzigen Geschmack gibt. Die Integration behinderter Menschen in die Schule und damit in die Gesellschaft ist gemäß 15. SCHOG-Novelle und damit kraft einer eindeutigen Willenskundgebung des Nationalrates eine vorrangige Aufgabe der Öffentlichkeit, der wir alle in gleicher Weise ohne Unterschied so lange wir leben angehören. Diese Öffentlichkeit muß nun mutig gestaltet und gelebt werden. Das kann aber nicht in Konventikeln oder der häuslichen Abgeschiedenheit erfolgen. Solche Gedanken sind sektiererisch und im Falle der Integration unangemessen. Oder wollen wir die Gestaltung der Gesellschaft irrationalen Kräften überlassen, wie sie sich auch in unserem Land schon zu deutlich und gewalttätig gezeigt haben? Gerade die Angst vor solchen Entwicklungen aber steigert meine Einsatzbereitschaft für eine "inklusive Gesellschaft".

Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß wir auf die 15. SCHOG-Novelle gerade im internationalen Vergleich mit Recht stolz sein können. Das österreichische Schulsystem bietet eine Reihe von Möglichkeiten und Freiheiten, um die uns andere beneiden. Es ist nun an der Zeit, diese Chancen um unseretwillen endlich auch einmal zu verwirklichen und nicht erst zu warten, bis alles "von oben" angeschafft wird. Unser Schulsystem braucht wieder mehr Phantasie und Lebendigkeit bei der Umsetzung und nicht so viel falsche "Beamtinnenmentalität" ("Ist denn das auch alles erlaubt?"). Phantasie steigert die Kreativität, das heißt, sie macht erfinderisch. Das wiederum könnte wieder mehr Lust statt des dauernden Frustes in die Schule bringen.

Chancen und Grenzen

Die Integration könnte endlich der Auslöser der längst (über)fälligen kindgemäßen Reform des Bildungssystems sein (vgl. dazu Hans Eberwein). Weil der Unterricht in einer Integrationsklasse aus der Natur ihrer Zusammensetzung ganz anders gestaltet und organisiert werden muß (Individualisierung, Projekte, freie Lernphasen, Teamteaching, etc), ist die Integration doch endlich als Chance und nicht als Bedrohung für die Pädagogik des kommenden Jahrtausends zu sehen. Diese Einsicht erfordert aber wieder mehr Nüchternheit und Klarheit bei der Debatte. Emotionen sind lebensnotwendige Elemente unseres Menschseins. Sie müssen aber auch immer durch die Rationalität und Reflexion unseres Tuns begleitet und ergänzt werden. So darf die Integration nicht mehr länger zum Terrain für falsch verstandenes Prestigedenken und Machtstreben mißbraucht werden. Ebensowenig aber darf die Integration mit falschen Erwartungen überhöht und unglaubwürdig gemacht werden.

Integration verändert

Integration kann die Behinderung eines Menschen nicht "wegzaubern", sie ist auch keine Therapie an sich, auch wenn sie therapeutische Züge hat. Integration kann allerdings das eigene wie das fremde Bewußtsein und die gegenseitige Wahrnehmung und Akzeptanz verändern und somit wiederum zu einer Umgestaltung der gesellschaftlichen Interaktionen und der zwischenmenschlichen Befindlichkeit beitragen (vgl. dazu Emil Kobi). Im Klartext heißt das: Unterschiedliches bleibt unterschiedlich; es verschieben sich aber die Wertigkeiten. Das Gefälle, und damit die Abwertung, wird aufgegeben und ersetzt durch eine Gleichwertigkeit und Toleranz frei nach dem Motto: "normal ist es, verschieden zu sein" (vgl. dazu Gottfried Adam).

Die letzte Feststellung erscheint mir deshalb so wichtig, weil in manchen Integrationsklassen eine eigenartige Tendenz zu bemerken ist. Der gemeinsame Unterricht in einer Regelschule soll für manche Eltern nicht nur das Phänomen der Stigmatisierung aufheben, ja gelegentlich die Behinderung selbst. Die Folge dieser in der Regel unbewußten Einstellung ist eine unnötige Überforderung der behinderten Kinder und eine aussichtslose Konkurrenzsituation mit nichtbehinderten Kindern, die noch immer - wenn auch manchmal verständlich und daher nachvollziehbar - als der Maßstab der Entwicklung gesehen werden. Die ständige Gemeinsamkeit verbunden mit den gleichen Bildungsangeboten, auch dort, wo sie pädagogisch nicht begründet sind, werden dann ebenso gefordert, wie der direkte Konkurrenzkampf unter den behinderten Kindern selbst gefördert wird ("Dieses Kind stört ständig mein Kind"). Diese besondere Form der Ab/Bewertung wirkt nicht nur desolidarisierend und extrem kränkend. Sie spielt gerade den Skeptikern und Gegnern die dringend benötigten Argumente gegen die Integration und für die Homogenität der Sonderschule in die Hände und fördert die Ausgrenzung bestimmter Kinder.

Diese so schmerzliche Ausgrenzung und damit verbundene Abwertung darf aber nicht verwechselt und gleichgesetzt werden mit der wichtigen Frage und Diskussion um die Grenzen bzw. Unteilbarkeit der Integration.

Dieser eben angerissene Bereich gehört wohl zu den sensibelsten Fragen im Zusammenhang der Integration. Daher fällt es mir auch gar nicht leicht, darüber zu schreiben und somit Position zu beziehen.

Ich weiß um die Gefahr, der ich mich nun aussetze, vor allem um der Gefahr der bewußten und unbewußten Fehlinterpretation, aber auch der Ideologisierung. Ich bin aber der Meinung, daß gerade dieses Thema nicht weiterhin publizistisch tabuisiert werden darf, entscheidet sich doch in der Bewältigung dieser komplexen Problematik nicht bloß die Glaubwürdigkeit der Integrationsbewegung, sondern in viel stärkerem Maße die wahre Menschlichkeit unserer Gesellschaft. Damit habe ich auch klar zu machen versucht, daß die Frage nach den Grenzen der Integration behinderter Kinder und Erwachsener nicht bloß auf diesen Personenkreis zu beschränken ist. Aus meiner beruflichen Erfahrung als Seelsorger (besonders in Krisen und Extremsituationen) weiß ich nur zu genau, daß diese Frage auch im Umgang mit Hochbetagten und unheilbar Kranken zu stellen und letztlich auch gemeinsam zu beantworten ist. Wir leben längst in einer Gesellschaft, in der es sogenannte "Restgruppen" sogar in quantitativ hohem Maße gibt. Wir verdrängen diese Tatsache allerdings nach Kräften, solange es nur irgend geht, d.h. solange wir oder nahe Angehörige zu diesen "Restgruppen" gehören. Dann allerdings sind wir hellauf empört über diesen Zustand und fordern sofort deren professionelle Beseitigung.

Freilich bekenne auch ich mich aus gutem Grund und mit noch besserem Gewissen zu dem Grundsatz: Integration ist unteilbar. Und dennoch muß ich mich gerade im über 10-jährigen Zusammenleben mit behinderten Menschen (privat wie institutionell) ebenso unumwunden bekennen: es gibt Grenzen der Integration; und diese Grenzen liegen in uns selbst begründet. Wer dies leugnet, betrügt sich selbst und noch mehr andere, einfach weil er sich und eben auch andere überschätzt und überfordert. Für über 30% der Ehen wird das tägliche Zusammenleben zum Problem, das letztlich über kurz oder lang in der Scheidung endet. Wie problematisch kann erst das gemeinsame Leben werden, wenn ungewohnte Situationen und gar Belastungen auftreten. Das Krisenmanagement in einer solchen Lage ist sehr kompliziert und komplex.

Im Detail auf die vielschichtigen Gründe für unsere individuellen Grenzen einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. In diesem Zusammenhang muß ich aber vor einer Gefahr warnen, die ich selbst in meinem beruflichen Umfeld erlebt habe. Gerade dort, wo man sich der Integration verschrieben hat, lauern die Routineteufelchen und das Trägheitsmoment der Gewöhnung an bestimmte Phänomene. Integration aber bedeutet nach meinem Verständnis das Eingehen auf jeden einzelnen Menschen, d.h. die Fähigkeit der zumindest gedanklichen Auseinandersetzung mit jedem Menschen und jeder Situation im Sinne einer Herausforderung. Gerade diese gilt es nun richtig einzuschätzen und abzuwägen. Bei aller Individualisierung geschieht der Unterricht in einer Integrationsklasse aber nicht als Einzelgeschehen, sondern immer auch in einem gruppendynamischen Kontext, an dem alle beteiligt sind und der letztlich für das Gelingen einer Gemeinschaft entscheidend ist. Ich ziehe daraus den Schluß, daß Integration (und nicht Kooperation) in der Praxis noch mehr Formen haben kann, als uns derzeit bewußt ist.

Freude und Sorge

Die derzeitige Situation der Integration erfüllt mich gleichzeitig mit Freude ("Wir haben etwas bewegt. Es geht weiter!") und mit Sorge. Mir war bewußt, daß nach dem intensiven Engagement von Eltern und Lehrerinnen und dem Wohlwollen der Politikerinnen jetzt eine Phase der Stagnation eintreten wird. Das liegt in der Natur der Sache, ebenso wie die Tatsache, daß diese Phase von den Gegnerinnen für ihre Zwecke der Verhinderung gebraucht, um nicht zu sagen mißbraucht wird.

Meine Sorge liegt aber vor allem darin begründet, daß wir als engagierte Streiterinnen für die Integration, als Eltern wie als Pädagoginnen, nicht blind für Fehlentwicklungen gerade in den eigenen Reihen und im eigenen Engagement werden. Ich habe gerade im Kampf für die Rechte meines behinderten Sohnes soviel Selbstkritik gelernt, daß ich die Kritik nicht den Verhinderern überlassen möchte. Weil ich mich zu meiner eigenen Schwäche habe bekennen können, bin ich stark geworden im solidarischen Kreis meiner Familie, meiner Freunde , vieler Betroffener. Mit ihnen möchte ich weiter wachsen und reifen können in einer Gesellschaft, die sich inklusiv und nicht exklusiv versteht.

(evangelischer Pfarrer; Vater von drei Kindern - darunter ein Sohn mit Morbus Down; Gründer eines Integrativen Kindergartens, einer privaten Integrativen Volks- und Hauptschule mit Öffentlichkeitsrecht; Geschäftsführer des Diakonievereins Salzburg)

Ghettos im Gespräch

Teil 1: Die Käseglocke im Föhrenwaldinhalt

Theresia Haidlmayr, Behindertensprecherin der Grünen, setzt sich im Elektrorollstuhl zurecht, rückt ein wenig an der Brille herum und klopft mit der Hand leicht nervös auf ein Papier, das vor ihr auf dem Tisch liegt: "Beim Lesen der Studie über die Waldschule hab ich eine richtige Ganslhaut kriegt, bis über die Ohren".

Mit neun Jahren wurde Haidlmayr 1964 in die Waldschule nach Niederösterreich gebracht, 300 km von ihrem Zuhause in Oberösterreich entfernt.

"Ich und meine Schwester, die ebenfalls die Glasknochenkrankheit hat, wurden hineingestellt, Puppen in die Hand, und weg waren meine Eltern. Ich habe nur gebrüllt."

Auch den Eltern fiel die Trennung nicht leicht. "Für die war es ein Schock. Noch heute kann ich mit ihnen nicht darüber reden." Vergeblich hatten sie versucht, für ihre körperbehinderten Töchter eine Schule im Ort zu suchen. Von der Schulbehörde wurde eine Integration jedoch abgelehnt, "dafür gibt es ja die Waldschule. Da lernens viel. Es ist eine Eliteschule für Körperbehinderte".

Sieben Jahre verbrachte Theresia Haidlmayr mit ihrer Schwester in der Waldschule, versteckt im niederösterreichischen Föhrenwald. Ein Tag verlief wie der andere, durchstrukturiert waren sogar die Abwechslungen: Jeden Sonntag Messe, Besuche waren nur jeden ersten Sonntag im Monat erlaubt - bis 16 Uhr. Haidlmayr: "Da war nix, nur Wald. Du hast dir nit einmal eine Wurstsemmel kaufen können. Wenn du eine alte Odol-Zahnpasta abgegeben hast, hast eine neue gekriegt. Das war die Vorbereitung aufs Leben". Das Schlimmste war für sie aber das Streben der Erzieher nach "Normalität": "Das Größte war, daß du einen Schritt hast gehen können. Auf zwei Fiaß stehn, das war das wichtigste. So schwer behindert hast gar nit sein können, daß sie die nit aufgestellt haben. Das war pervers. Die habn mich nicht so akzeptiert, wie ich bin."

Haidlmayr sitzt auch heute im Elektrorollstuhl. Und sie fühlt sich wohl so. Mit ihrer Behinderung zurechtzukommen, wurde ihr allerdings durch die Sonderschulkarriere - die nach der Waldschule logischerweise in die Wiener Hochheimgasse (damalige Handelsschule für Körperbehinderte) weiterführte- schwer gemacht: "Ich war ja jahrelang nur mit Behinderten zusammen, in dieser Käseglocke. Freundinnen hab ich außerhalb keine mehr gehabt."

Sie hatte es verlernt, mit Nichtbehinderten locker und natürlich umzugehen. Die Zeit nach der Waldschule war geprägt von Krisen, der "Angst, übrig zu bleiben" und den Schwierigkeiten, sich Beziehungen aufzubauen. Das alles, glaubt Theresia Haidlmayr, wäre ihr erspart geblieben, wenn sie in einer integrierten Schulform gebildet worden wäre. Auch hätte sie in einer Regelschule wohl eine bessere Ausbildung erhalten: "Es hat zwar immer geheißen, das ist eine Eliteschule. Seid's brav, auf eure Stelle warten hundert andere. Aber wie schlecht mein Wissensniveau war, habe ich erst nach der Schule gemerkt". Viel hat sie im Selbststudium nachholen müssen. Daß sie heute Nationalratsabgeordnete ist, will sie auf keinen Fall auf die Waldschule zurückgeführt wissen.

Existenzkrise

Die "Waldschule im Föhrenwald" steckt heute in einer Identitäts- und Existenzkrise. Durch die internationale Integration von behinderten Kindern im Bildungsbereich, die in den 80er Jahren auch in Österreich Fuß faßte, kamen der Sonderschule im Wald die Schülerinnen abhanden. Während in den 70er Jahren durchschnittlich 30 Klientinnen aufgenommen worden waren, sind es jetzt in den 90er Jahren nur noch zwischen 10 und 15 Kinder aus fünf Bundesländern.

Univ. Doz. Dr. Ernst Berger, der im Auftrag der Niederösterreichischen Landesregierung die Situation dieser Schule untersucht hat, konstatiert der Waldschule eine schlechte Diagnose: Das Betreuungsteam ist nach wie vor auf körperlich behinderte Eliteschülerinnen eingestellt. Diese kommen jedoch nicht mehr. Bei Schwerstbehinderungen, Verhaltensauffälligkeiten, geistiger Behinderung und medizinischer Betreuungsintensität "stößt das Team an die Grenzen seines Selbstverständnisses". Die Pädagoginnen und Erzieherinnen der Waldschule wollen ein solches Klientel "nicht als künftigen Aufgabenbereich definiert" sehen. Überdies "entwickelt das derzeitige Leitungsteam wenig Vorstellungskraft über Perspektiven und Alternativen zur derzeitigen Situation" und trauert lieber den alten Zeiten nach.

Probleme bereitet auch das erst 1992 errichtete Schulgebäude. Bei der "wenig gegliederte Baustruktur mit stereotypen Raumabfolgen", haben "Konzepte einer moderneren Schularchitektur, die auf Individualisierung und Differenzierung" Rücksicht nimmt, "keinen Niederschlag gefunden" (Berger). Somit sind integrative, gruppenzentrierte und familienähnliche Betreuungskonzepte nur schwer umzusetzen.

Die einzige Möglichkeit, die Schule zu retten, liegt Berger zufolge in einer völligen Reform: Integrative Kindergartengruppen und Integrationsklassen (auch mit basaler Förderung) für Kinder aus der Region; Werkstattzentrum für behinderte Jugendliche und junge Erwachsene; einige betreute Wohngruppen, organisiert auf Prinzipien der Autonomie und Selbstversorgung; und eine medizinisch-rehabilitative Station für neurologisch und orthopädische Patientinnen.

Theresia Haidlmayr sieht die Zukunft der Waldschule skeptischer: "In dem Wald kannst keine Integration aufbaun. Gar nix kannst da tun, nur auflassen. Solln´s draus Ferienwohnungen machen. Drei Wochen im Wald sind klass. Aber sonst geht da gar nix".

Zivilcourage oder Behindertenfeindlichkeit

Firma Neoopotik contra familie Reischl

betrifft:integration prüft, ob die Firma NEOPOTIK mit dem großen Preis für Kinder- und Behindertenfreundlichkeit ausgezeichnet oder an den Pranger für Ausgrenzung gestellt werden soll

Da war einmal der Vorfall:

Herr Reischl besuchte mit seiner Tochter Anna die Geschäftsstelle der Firma NEOOPTIK im Donauzentrum. Beide werden aus dem Geschäft geworfen.

Verständnislos

Die Firma NEOOPTIK weist im Brief vom 7. Juli an die Mutter des Kindes darauf hin, daß den "Mitarbeitern im Donauzentrum - darunter eine Mutter und mehrere Väter - die Behandlung des Kindes durch den Vater unerträglich geworden ist".

Und weiter: "Wir haben vollstes Verständnis für die Krankheit Ihres Kindes, haben aber absolut kein Verständnis für Ihr persönliches Verhalten. Das Kind ist total verschmutzt, der Nasenschleim hängt ihm weit aus der Nase, Speichel rinnt aus dem Mund. Es stolpert herum und schleckt Möbel ab. Sie jedoch kümmern sich in keiner Weise um die hygienische Pflege und das Verhalten Ihres Kindes. Uns tut das Kind so leid, daß wir überlegen, uns an die Fürsorge zu wenden. Bitte ersparen Sie uns dies und besuchen Sie einen anderen Optiker im Donauzentrum. Diese sind alle wesentlich bis zu einem Vielfachen größer als unser kleines Geschäft, und es wirkt sich dort das erschütternde Auftreten Ihres Kindes und Ihr krasses Fehlverhalten nicht so dramatisch aus, wie bei uns auf engstem Raum. Wir bitten Sie nochmals uns nicht mehr zu besuchen, da Sie uns ansonsten zu einer Handlung zwingen, die wir nicht unbedingt anstreben" (Brief NEOOPTIK, 23.Juni 1995 an Georg Reischl).

Lokalverbot

Also absolutes Lokalverbot für Herrn Reischl und seine Tochter. Als Zeichen, daß sich das Verbot nicht gegen die Behinderung der Tochter richtet, haben die Verkäufer von NEOOPTIK öS 5.000 gesammelt, die sie der Familie Reischl schicken, mit der Bitte das Geld "absolut nur für das Kind zu verwenden, in welcher immer gearteten Form, um den hygienischen Zustand des Kindes zu verbessern oder ihm Freude zu bereiten".

Familie Reischl möchte das nicht so hinnehmen, sieht in diesem Akt eine "heuchlerische Besorgtheit", die "nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß behinderte Menschen in Ihrem Geschäft unerwünscht sind. Oder ist es bei Ihnen üblich, allen Kunden mit Schnupfen eine Abstandszahlung für künftiges Fernbleiben anzubieten? Wir erachten Ihre höflich vorgetragene Perfidie für nicht weniger verachtenswert menschenfeindlich als die Äußerung `Ab ins Gas´. Im übrigen möchten wir noch klarstellen, daß gerade der gute Allgemeinzustand unserer Tochter monatlich mindestens einmal anläßlich ärztlicher Konsultationen attestiert wird. Sollten Sie Ihre Äußerungen, wonach Anna verwahrlost sei, nicht schriftlich binnen Wochenfrist zurücknehmen, steht Ihnen eine Strafanzeige ins Haus". (Mag. Irmgard Reischl am 28. Juli an NEOOPTIK)

Schlüsselfragen

Bleibt nun die Frage, ob die Firma NEOOPTIK mit dem großen Preis für Kinder- und Behindertenfreundlichkeit ausgezeichnet oder an den Pranger für Ausgrenzung gestellt werden soll.

Wenn NEOOPTIK wirklich ohne Rücksicht auf das eigene Geschäft für das Recht eines behinderten Kindes eintritt, so wäre es wohl eines der letzten Betriebe mit Zivilcourage.

Wenn NEOOPTIK allerdings der Anblick und das Verhalten des behinderten Kindes unerträglich geworden ist, ist die Vorgangsweise der Firma auf das schärfste zu verurteilen.

Die Schlüsselfragen bleiben wohl:

Warum hat der Vater nicht Abhilfe bei dem Zustand seiner Tochter geschaffen? Richtet sich die Abscheu von den Angestellten der Firma NEOOPTIK gegen die Behinderung des Kindes oder gegen seine Verwahrlosung? - War der Schleim aus der Nase behinderungsbedingt? Oder hatte Anna einfach Schnupfen? Und warum hat ihr dann niemand die Nase geputzt?

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Die Blattlinie ergibt sich aus der Zielsetzung von I:Ö, nämlich einerseits die Öffentlichkeit über die Anliegen und Forderungen von Eltern behinderter Kinder/ Jugendlicher und behinderter Menschen zu informieren, andererseits die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, den einzelnen Initiativen von Eltern und darüber hinaus zu den Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen zu fördern.

Jede Ausgabe beinhaltet einen thematischen Schwerpunkt, in dem Anliegen und Forderungen für ein gemeinsames Leben und Lernen und die dazu notwendigen sozial- und bildungspolitischen Überlegungen vorgestellt werden.

Grundlegende Richtung nach §25/2 Mediengesetz:

Information und Kommentar zu Fragen gesellschaftlicher Integration, insbesondere behinderter und nichtbehinderter Menschen.

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Quelle:

Integration: Österreich / Verein Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen (Hrsg.): betrifft: integration Nr. 3/1995, Herold Druck- und Verlagsges.m.b.H., Wien

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Stand: 19.04.2005

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