AUTISMUS - HÄUFIGKEIT UND SCHULLAUFBAHN SCHULISCHE INTEGRATION AUTISTISCHER KINDER IN WIEN

Themenbereiche: Schule, Medizin
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Med. f. Mensch. Behind. 2, 13-22, 2005
Copyright: © Ernst Berger, Regina Mutschlechner, Georg Feuser 2005

1. EINLEITUNG

Die Häufigkeit autistischer Störungen wurde über viele Jahrzehnte hinweg mit 0,45%0 bzw. 0,2%0 für die Kerngruppe (14, 17) angegeben. Ebenso wurde davon ausgegangen, dass die Schullaufbahn von Kindern mit autistischen Störungen - auch wenn sie im Einzelnen recht unterschiedlich sein kann - aufgrund der zentralen Problembereiche von Aufmerksamkeit, Sprachentwicklung und Sozialkontakt meist mit großen Schwierigkeiten verbunden ist (1,10,15). Beide Paradigmen sollen in dieser Arbeit im Lichte jüngerer Erfahrungen überprüft werden.

Der erste Teil der Arbeit ist der Frage der Häufigkeit autistischer Störungen gewidmet. Die epidemiologischen Studien berichten seit Anfang der 1980-er Jahre über veränderte Häufigkeitszahlen autistischer Störungen (10). Da die jüngsten dieser Studien zum Ergebnis kommen, dass Autismus gegenüber früheren Annahmen in zehnfacher Häufigkeit auftritt, soll dieser Umstand einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Der zweite Teil der Arbeit ist der Darstellung der mehrjährigen Erfahrung in einem integrativen Schulmodell für Kinder mit autistischen Störungen gewidmet, das unter anderem auch zu einer Veränderung der Ausprägung der autistischen Symptome beitragen konnte.

2.VERÄNDERTE HÄUFIGKEIT

2.1 .EPIDEMIOLOGISCHE STUDIEN

Das methodische Grundmodell epidemiologischer Forschung zum Autismus - gewissermaßen der "golden standard" - wurde von (14) entwickelt: in einer 2-Schritt-Populationsstudie wird an einer bestimmten Altersgruppe von Schulkindern in den Schulen der Verdacht auf Autismus erhoben, der in einem 2. Untersuchungsschritt durch die klinische Untersuchung überprüft wird. Die zentralen Punkte dieses Forschungsdesigns, dem alle relevanten Studien folgen, sind: die Auswahl der Definitionskriterien für die beiden Erhebungsschritte und die Methodenauswahl für die klinische Verifikation. LOTTER definierte nach KANNER und verwendete zur Fallverifikation (2. Untersuchungsschritt) ausschließlich die klinische Untersuchung jedes einzelnen Kindes. Das DSM-IV fordert für die Diagnose mindestens 6 Items, von denen mindestens 1 Item aus dem 1. Diagnosen-Cluster (soziale Interaktion) und je 1 weiteres Item aus dem 2. (Kommunikation) oder 3. (Interessen, Aktiviäten) Diagnosen-Cluster stammen müssen.

Am Beispiel von 2 Studien aus den USA und einer Arbeit aus Großbritannien über die Prävalenz des Autismus sowie an einer Inzidenzstudie aus den USA soll die Frage nach den Ursachen der veränderten Häufigkeitsangabe beantwortet werden.

2.1.1. Brick Township-Studie

Die Studie (3) stützt sich im ersten Erhebungsschritt auf die Analyse der Aufzeichnungen über N= ... Kinder im Alter von 3 - 10 Jahren von pädagogischen und medizinischen Diensten sowie von Elternselbsthilfegruppen und gelangt auf diese Weise zu 75 Verdachtsfällen (Fallidentifikation). Der 2. Untersuchungsschritt, die Fallverifikation, erfolgte bei 53 Kindern durch eine klinische Untersuchung, bei 22 Kindern durch eine klinische Aktenevaluation. Resultat dieses Erhebungsschrittes waren 60 Fälle, die nach DSM IV-Kriterien dem Autistischen Spektrum und 36 Fälle (davon 30 aus der Gruppe der klinischen Untersuchung), die den autistischen Störungen zuzuordnen waren. Dies ergibt eine Prävalenz von 4:10.000 für die autistischen Störungen und 6,7:10.000 für das autistische Spektrum.

2.1.2. Atlanta-Studie

Die Fallidentifikation (1. Erhebungsschritt) dieser Studie (18) erfolgt durch Auswertung der Datenblätter des Atlanta Public Health Surveillance Program (Aufzeichnungen über sonderpädagogischen Förderbedarf, Daten medizinischer Dienste und Selbsthilfegruppen; 3.-10. Lebensjahr). Aufgrund eines Expertenreview dieser Daten wurden N=987 Fälle nach reduzierten DSM-IV-Kriterien (mindestens 1 Item aus dem 1. und mindestens 1 Item aus dem 2. oder 3. Diagnosen-Cluster) identifiziert. Die Autoren weisen darauf hin, dass dennoch 91% der Fälle insgesamt 6 Items und 82% Vordiagnosen aus dem autistischen Spektrum aufwiesen. Die errechnete Prävalenz beträgt 3,4:10.000.

2.1.3. Doncaster -Studie

Diese Studie aus Großbritannien (12) stützt sich auf ein breites Ausgangsspektrum (Vorverdacht Autismus, unübliches Verhalten; 1. Erhebungsschritt) und eine Fallverifikation (2. Erhebungsschritt) von Störungen im autistischen Spektrum durch klinische Interviews bzw. multidisziplinäre Beobachtungen im Schulkontext. Der 1. Erhebungszeitpunkt (1997) umfasste die Geburtsjahrgänge 1983-94 und ergab eine Prävalenz von 2:10.000, der 2. Erhebungszeitpunkt (2001) in den Jahrgängen 1986-97 eine Prävalenz von 4:10.000.

2.1.4. Olmsted County -Studie

Diese retrospektive Inzidenzstudie aus den USA über die Jahre 1976-97 (2) geht der Frage nach der Häufigkeit des Neuauftretens von autistischen Störungen nach DSM-IV über den Zeitraum von 30 Jahren nach. Die Fallidentifikation (N=3109) erfolgte anhand des medizinischen Diagnosenindex von Olmsted County durch Suche nach Entwicklungsstörungen sowie nach psychiatrischen und neurologischen Störungen. Die Fallverifikation erfolgte durch Aktenanalyse nach Störungen im autistischen Spektrum (Kriterium: mindestens 2 Symptome aus dem Bereich der Störung reziproker sozialer Interaktion; N=257) bzw. autistischen Störungen (N=197). Die Autoren fanden eine ständige Steigerung über die Geburtsjahrgänge: 1980-83: 0,5 / 1984-87:0,8 / 1988-91: 1,2 / 1992-94: 3,0 / 1995-97: 4,9 (jeweils auf 10.000). Ergänzend wurde die altersspezifische Inzidenz erhoben, die für die Altersgruppe < 10. Lebensjahr über die Jahre 76-97 relativ stabil war, jedoch ab 1988 stark steigend war.

2.1.5. Interpretation

Die Autoren der Studien beantworten die Frage nach den Gründen für die veränderte Häufigkeit autistischer Störungen mit dem Hinweis auf die veränderten, weniger restriktiven diagnostischen Kriterien, die durch das DSM-III-R vorgegeben wurden (18,2) eine Interpretation, die einige Jahre zuvor von GILLBERG (2000) noch verworfen wurde. Als weiterer Aspekt wird die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit erwähnt, die dem Thema nach Publikation des DSM-III-R zugewandt wurde (18,2). Die zu 2 Zeitpunkten durchgeführte englische Studie weist auf die Diagnostik früher unerkannter Fälle insbesondere von high level Autisten hin (12).

Ein weiterer Interpretationsansatz bezieht sich auf spezielle pädagogische Angebote: parallel zur Zunahme der Häufigkeit autistischer Störungen lässt sich auch eine verbesserte Verfügbarkeit Autismus-spezifischer pädagogischer Angebote konstatieren (18,2).

Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Verifikation der Diagnose in den zitierten Arbeiten nur selten durch eine klinische Untersuchung erfolgt ist.

3. SCHULBESUCH AUTISTISCHER KINDER

Die Autoren der im vorigen Abschnitt zitierten epidemiologischen Arbeiten weisen auf den engen Zusammenhang zwischen spezifischen pädagogischen Angeboten und Beachtung des Problems "Autismus" hin. JORDAN (2005) betont, dass eine "Autismus - freundliche" Umwelt als relevanter Faktor für erfolgreiche und inklusive Lern- und Erziehungsprozesse gesehen werden muss: Verständnis für die spezifischen Bedürfnisse autistischer Kinder und Bereitschaft zum flexiblen Umgang mit diesen Bedürfnissen sind die entscheidenden Bedingungen. In diesem Kontext steht der zweite Teil der Arbeit, der über Autismus-spezifische Schulangebote in Wien berichtet.

3.1. DAS WIENER INTEGRATIVE SCHULMODELL FÜR AUTISTISCHE KINDER

Das österreichische Schulorganisationsgesetz beinhaltet seit dem Jahr 1993 für Grundschüler und seit dem Jahre 1996 für SchülerInnen der Sekundarstufe das Recht auf schulische Integration behinderter Kinder. Die dafür vorgesehene Struktur ist die "Integrationsklasse", in der 2 LehrerInnen maximal 20 SchülerInnen (16 Regelschülerinnen und 4 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf) unterrichten. Im Schuljahr 2004/05 existieren in Wien insgesamt 641 Integrationsklassen. Kinder mit autistischen Störungen waren aufgrund ihrer spezifischen Probleme (Aufmerksamkeit, Sprachentwicklung, Sozialkontakt) von dieser Möglichkeit in ganz Österreich vorerst ausgeschlossen.

In Wien wurde im Schuljahr 1996/97 auf Initiative der Elternselbsthilfegruppe "Österreichische Autistenhilfe" ein Projekt gestartet, das die Aufnahme von Kindern mit autistischen Störungen in Integrationsklassen möglich machte. Dieses Projekt wurde während der ersten 4 Schuljahre seiner Laufzeit evaluiert und ist seither Teil des Standardangebots der schulischen Integration in Wien. Es stützt sich auf folgende strukturelle Voraussetzungen:

  • Reduzierte Klassengröße innerhalb des Basismodells "Integrationsklasse":16 RegelschülerInnen, 1 Kind mit autistischen Störungen, 2-3 weitere Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Diese Voraussetzung wurde von der Schulbehörde (Wiener Stadtschulrat / Integrationsberatungsstelle) als Projektträger geschaffen.

  • Verfügbarkeit ergänzender pädagogischer Ressourcen: bei Bedarf können zusätzliche pädagogische Hilfskräfte (AusbildungspraktikantInnen pädagogischer, psychologischer bzw. psychotherapeutischer Studiengänge) stundenweise eingesetzt werden. Trägerorganisation ist die Elternselbsthilfegruppe "Österreichische Autistenhilfe".

  • Obligate Weiterbildung der LehrerInnen (Organisation durch die "Arbeitsgruppe Rehabilitation / Integration" der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters ; Konzept und Durchführung: G. FEUSER, Univ. Bremen):

- Vorbereitende Weiterbildung: In einem 5-tägigen Seminar werden die Grundlagen der Didaktik für den Unterricht von Kindern mit autistischen Störungen im Rahmen integrativer Pädagogik vermittelt.

- Begleitende Weiterbildung: jährliche 2-tägige Update-Seminare bieten die Möglichkeit der Aktualisierung der Kompetenzen.

Das pädagogische Konzept entspricht dem von G. FEUSER (4,5,6,7,8,9) entwickelten Ansatz der schulischen Integration behinderter Kinder im Allgemeinen und von Kindern mit autistischen Störungen im Besonderen.

Für den Fall akuter Krisensituationen bietet die Neuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche am Rothschild'schen Neurologischen Zentrum Rosenhügel die Möglichkeit der ambulanten oder stationären Krisenintervention.

Die Aufnahme der SchülerInnen mit autistischen Störungen in das Schulprojekt erfolgt in die 1. Klasse der Grundschule auf der Grundlage externer Diagnosen, die an fachspezifischen medizinischen oder pädagogischen Institutionen gestellt wurden. In die Evaluationsstudie wurden nur jene Kinder aufgenommen, bei denen die Diagnose "autistische Störung" anhand der Autism Diagnostic Observation Schedule (13) verifiziert wurde.

Die Evaluation des Projekts erfolgte durch die "Arbeitsgruppe Rehabilitation / Integration" der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters (Medizinische Universität Wien). Die erste Evaluationsphase (Grundstufe) wurde in den ersten 4 Schuljahren (1996/97 - 1999/2000) der Laufzeit des Projekts durchgeführt, die zweite Evaluationsphase (Sekundarstufe) erfolgt im Schuljahr 2004/2005 und steht vor dem Abschluss.

Der ersten Evaluationsphase lagen folgende Fragen des Projektträgers (Stadtschulrat für Wien) zugrunde:

  • Können Kinder mit autistischen Störungen in (modifizierten) Integrationsklassen des Wiener Schulsystems beschult werden?

  • Zeigen Kinder mit autistischen Störungen unter diesen Bedingungen Entwicklungsfortschritte?

Über die Ergebnisse dieser Evaluation sowie über den weiteren Schulweg der SchülerInnen wird im Folgenden berichtet.

3.2. EVALUATIONSTUDIE

3.2.1. STUDIENDESIGN

Die Datenerhebung erfolgte in jedem Schuljahr zu 2 Untersuchungszeitpunkten - jeweils im ersten und letzten Drittel des Schuljahres - durch eine schulexternen Untersucherin einerseits im Einzelkontakt mit den SchülerInnen, andererseits durch teilnehmende Beobachtung am Klassenbetrieb während der Schulstunden. Ergänzende Informationen wurden durch freie Gespräche mit den LehrerInnen gewonnen. Interviews mit den Eltern waren nicht realisierbar.

Zur Erfassung der individuellen Entwicklung der Kinder mit autistischen Störungen wurden folgende Instrumentarien verwendet:

  • Austism Diagnostic Observation Schedule (13) (deutsche Übersetzung (16): Diagnose und Ausprägungsgrad der autistischen Störung, sowie Quantität Autismus - spezifischer Symptome.

  • HAWIK-R (modifizierte Auswertung): Beurteilung der kognitiven Kompetenz anhand der Zahl der gelösten Subtests und der Summe der erzielten Wertpunkte.

  • Kompetenztafeln nach FEUSER u. MEYER (5): Rangskalenbeurteilung für die Bereiche: Soziale Kompetenz / Kommunikative Kompetenz

Fragestellung und Studiendesign sind Grundlage einer hypothesengenerierenden Studie, die auf den Vergleich mit einer Kontrollgruppe und auf experimentelle Eingriffe in den pädagogischen Prozess verzichtet.

3.2.2. STUDIENGRUPPE

Die Gesamtzahl der Kinder, die mit der externen Diagnose "autistische Störung" in das Projekt aufgenommen wurde betrug N = 26. Einschlusskriterien für die Aufnahme in die Evaluationsstudie waren die Zustimmung der Eltern und die Verifikation der Autismusdiagnose anhand der ADOS. Diese Bedingungen fehlten bei 9 Kindern (bei 5 Kindern fehlte die Elternzustimmung, bei 4 Kindern konnte die Diagnose nicht verifiziert werden). Die Studiengruppe umfasste somit N = 17 Kinder, die in der (Tab.1) angeführt sind (Alter und Schulstufe beziehen sich auf das Kalenderjahr 2000, den Endzeitpunkt der Evaluationsstudie).

Tab. 1

3.2.3. ERGEBNISSE

3.2.3.1. SYMPTOMINTENSITÄT

Die Symptomausprägung wurde am Anfang und am Ende jedes Schuljahres mittels ADOS semiquantitativ beurteilt. Um Veränderungen in der Ausprägung (Intensität) autistischer Symptome festzustellen wurde anhand des ADOS ein Veränderungsscore[1] gebildet. Die Jahresspalten geben die Veränderung zwischen den 2 Untersuchungszeitpunkten eines Schuljahres an, die letzte Spalte quantifiziert die Veränderung zwischen der ersten und der letzten Untersuchung

(Tab. 2).

Drei Kinder (A,K,N) zeigen über den gesamten jeweiligen Beobachtungszeitraum hinweg in Summe eine Verschlechterung der Symptome. Alle anderen Kinder (82,3%) zeigen überwiegend positive Veränderungen; bei drei Kindern (C,E,U) (17,6%) sind die positiven Veränderungen weniger deutlich ausgeprägt, bei 6 Kindern (B,D,G,I,J,Q) (35,3%) sind sie deutlich ausgeprägt und 5 Kinder (F,H,L,M,T) (29,4%) zeigen ausschließlich positive Veränderungen.

3.2.3.2. KOGNITIVE KOMPETENZEN

Die kognitiven Kompetenzen wurden in jedem Schuljahr zweimal durch Anwendung des HAWIK-R untersucht, wobei anstelle der Berechnung eines IQ die Anzahl gelöster Subtests sowie die Summe der erreichten Wertpunkte als Maßzahl der kognitiven Leistungsfähigkeit verwendet wird.

(Tab. 3)

Zwei Kinder (E, G) zeigen zu keinem Untersuchungszeitpunkt Kooperation bei der Testdurchführung; es sind jene beiden Kinder mit der höchsten Intensitätsskalierung in der ADOS. Weitere vier Kinder (I,N,Q,U) zeigen zu den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten schwankende bzw. sehr geringe Kompetenzen in der Aufgabenlösung. Bei den anderen neun Kindern (A,B,C,D,F,H,J,L,M) das sind 52,9% der Studiengruppe - finden wir messbare Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit.

3.2.3.3. KOMMUNIKATIVE UND SOZIALE KOMPETENZEN

Die Beurteilung der sozialen und kommunikativen Kompetenzen erfolgte zweimal pro Schuljahr auf der Grundlage der Skalen nach FEUSER, MEYER (5), die als Rangskalen mit Wertpunkten von 1-5 dargestellt werden. Die angegebenen Zahlenwerte (Differenzen der Mittelwerte zwischen jeweils 2 Untersuchungszeitpunkten) zeigen positive bzw. negative Veränderungen des Mittelwerts an. Die letzte Spalte gibt die Differenz zwischen der ersten und der letzten Messung an.

(Tab. 4)

Drei Kinder (M,N,Q - alle in der Gruppe 2) (17,6%) zeigen geringe negative bzw. keine Veränderungen der sozialen Kompetenz; 8 Kinder (A,G,H,I,K,L,T,U)(47%) zeigen mäßige positive Veränderungen (Mittelwertveränderungen <1), 6 Kinder (B,C,D,E,F,J) (35,3%) zeigen deutliche positive Veränderungen (Mittelwertveränderungen > 1).

(Tab. 5)

Vier Kinder (H,M,N,Q) (23,5%) zeigen keine bzw. mäßige negative Veränderungen der kommunikativen Kompetenz; 7 Kinder (A,B,G,I,K,L,U) (41,2%) zeigen mäßige positive Veränderungen (Mittelwertveränderungen <1); 6 Kinder (C,D,E,F,J,T) (35,3%) zeigen deutliche positive Veränderungen (Mittelwertveränderungen > 1).

3.2.3.4. SCHULLAUFBAHN

Im Schuljahr 2004/05 wurde der weitere Schul- und Ausbildungsweg der 17 Kinder der Studiengruppe erhoben und in der (Tab.6) dargestellt.

(Tab. 6)2

Alle SchülerInnen haben die Grundstufe zur Gänze in einer Integrationsklasse absolviert. Fünf SchülerInnen haben auch die Sekundarstufe in einer integrativen Schulform beendet (A,B,C,D,M), 2 davon befinden sich noch in einem integrativ geführten (A,B), 1 in einem sonderpädagogischen (M) ergänzenden Ausbildungsjahr. Weitere 8 SchülerInnen (F,G,H,I,L,N,Q,U) besuchen derzeit noch eine Integrationsklasse der Sekundarstufe. Zwei SchülerInnen (K,T) haben in den sonderpädagogischen Bereich gewechselt. Von zwei Kindern (E,J) liegen aufgrund ihrer Übersiedlung keine Informationen vor.

Bei 3 Kindern (G,H,I) kam es zu jeweils einmaligem Schulwechsel bzw. Klassenwiederholung, bei 1 Kind (T) kam es zu mehrmaligem Wechsel zwischen Schulbesuch und häuslichem Unterricht.

Insgesamt haben 13 Kinder (76,5%) ihren gesamten (bisherigen) Schulweg im Rahmen des integrativen Schulmodells absolviert, 2 SchülerInnen (11,8%) haben einen Wechsel in den sonderpädagogischen Bereich vollzogen.

3.2.3.5. ZUSAMMENFASSUNG

(Tab.7)

Eine Reduktion Autismus - spezifischer Symptome findet sich bei 82,3% der Kinder.

Bei 52,9% der Kinder können messbare Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit festgestellt werden.

Bei 82,3% der Kinder finden sich positive Veränderungen der sozialen Kompetenz.

Bei 76,5% der Kinder finden sich positive Veränderungen der kommunikativen Kompetenz.

76,5% der SchülerInnen haben ihren (bisherigen) Schulweg innerhalb des integrativen Schulmodells absolviert.

3.2.4. INTERPRETATION

Das integrative Schulmodell für autistische Kinder, das in Wien im Schuljahr 1996/97 gestartet wurde, hat sich bewährt. Es hat in allen untersuchten Bereichen bei der Mehrzahl der Kinder der Studiengruppe zu positiven Entwicklungen beigetragen.

Die Kinder mit der deutlichsten Ausprägung des autistischen Syndroms (E,G) zeigen zwar aufgrund mangelnder Kooperation in der Testsituation keine messbaren Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, aber positive Veränderungen ihrer sozialen und ihrer kommunikativen Kompetenzen sowie eine Verminderung der Ausprägung autistischer Symptome.

Bei drei Kindern (M,N,Q), die eine geringe bis mäßige Ausprägung des autistischen Syndroms zeigen, finden wir in allen 3 Entwicklungsbereichen (kognitive, soziale, kommunikative Kompetenz) keine Entwicklungsfortschritte und unterschiedliche Veränderungen der Ausprägung autistischer Symptome.

Die beobachtbaren Entwicklungsfortschritte können weder mit der Dauer des Autismus-spezifischen integrativen Schulbesuchs noch mit der Ausprägungsintensität des autistischen Syndroms in einen Zusammenhang gebracht werden. Die Veränderungen in den verschiedenen Beobachtungsbereichen zeigen untereinander keine eindeutigen Zusammenhänge.



[1] Jedes einzelne Item wurde danach beurteilt, ob es im Vergleich zur Voruntersuchung eine Besserung aufweist (+1), eine Verschlechterung aufweist (-1) oder unverändert geblieben ist (0). Die Summe der Veränderungswerte der Einzelsymptome (Summe aus positiven und negativen Veränderungen) wurde durch die Gesamtzahl der veränderten Einzelsymptome geteilt. Der Zahlenwert 1 bedeutet somit, dass nur positive Veränderungen aufgetreten sind, Werte zwischen 0 und 1 geben überwiegend positive Veränderungen an; der Wert -1 sagt aus, dass ausschließlich negative Veränderungen feststellbar waren, Werte zwischen 0 und -1 zeigen das Überwiegen negativer Veränderungen.

4. ZUSAMMENFASSUNG

Die in den rezenten epidemiologischen Studien festgestellte markant gestiegene Häufigkeit autistischer Syndrome ist mit großer Wahrscheinlichkeit einer veränderten Wahrnehmung zuzuschreiben. Vermutlich geht die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit, die Wahrnehmung eines quantitativ relevanten Bedarfs und die Schaffung von Angeboten Hand in Hand. Derartige Entwicklungen, die hilfreich für Kinder mit autistischen Störungen sind, sind zu begrüßen. Das Wiener Schulmodell zur Integration autistischer Kinder entspricht diesem Trend und realisiert die von JORDAN (11) geforderte "Autismus-freundliche" schulische Umgebung als Voraussetzung für erfolgreiche und inklusive Lern- und Erziehungsprozesse: bei 82,3% der Kinder trat eine Symptomverminderung ein, bei 52,9% der Kinder können messbare Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit festgestellt werden, bei 82,3% der Kinder finden sich positive Veränderungen der sozialen Kompetenz und bei 76,5% der kommunikativen Kompetenz. 76,5% der SchülerInnen haben ihren (bisherigen) Schulweg zur Gänze innerhalb des integrativen Schulmodells absolviert.

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass sinkende Ressourcen im Bereich der Pädagogik und der psychosozialen Versorgung auch die Gefahr der Segregation und damit der Verschlechterung der Lebensbedingungen von Kindern mit autistischen Störungen in sich tragen und unter diesen Bedingungen eine großzügigere Diagnosestellung nicht vorteilhaft ist.

LITERATUR

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Tabelle 1: Klienten

KIND

GESCHL.

ALTER

SCHUL-STUFE

AUTISMUS-INTENSITÄT (ADOS)

PROJEKT-TEILNAHME

A

m

10;9

4

1

4 JAHRE (GRUPPE 1)

B

m

11;2

4

2

 

C

m

10;2

4

1

 

D

m

12;9

5

2

 

E

f

10;1

4

3

 

F

m

9;9

3

1

3 JAHRE (GRUPPE 2)

G

f

9;9

3

3

 

H

m

9;0

2

2

 

I

m

9;8

2

2

 

J

f

9;3

3

1

 

K

m

9;2

2

2

 

L

m

8;6

3

1

2 JAHRE (GRUPPE 3)

M

m

11;0

4

1

 

N

m

9;5

3

2

 

Q

m

8;6

2

2

 

T

f

12;5

4

2

 

U

m

8;0

1

1

1 JAHR (GRUPPE 4)

Tabelle 2: Veränderung autistischer Symptome

   

ADOS- Veränderungsscore

     

KIND

1.Jahr

2.Jahr

3.Jahr

4.Jahr

Anfangà Ende

A

0,6

0,28

0,5

0,3

-0,16

B

0,53

0,29

0

1

0,88

C

1

0,2

-0,67

-1

0,16

D

0,25

0,33

0,33

0,8

0,93

E

0,67

0,09

0,36

-0,8

0,14

F

0,2

1

0

 

1

G

0,75

0,93

0,86

 

0,91

H

0,65

1

0,5

 

1

I

0,04

0,14

0,71

 

0,71

J

0,2

0,45

0,5

 

0,81

K

0,23

1

0,5

 

-0,07

L

1

1

   

1

M

x

1

   

1

N

0,14

1

   

-0,2

           

Q

1

0,3

   

0,8

T

0,55

0,81

   

1

U

0,6

     

0,16

Tabelle 3: Kognitive Kompetenzen

KIND

ZAHL GELÖSTER SUBTESTS JE TESTZEITPUNKT

   

WERTPUNKTE VERÄNDERUNG

       
   

1. JAHR

2. JAHR

3. JAHR

4. JAHR

1.à 2. J.

1.à 3. J.

1.à 4. J.

A

5/5/4/6/6/4/7/7

+1

+8

-5

+3

+6

-8

+9

B

2/3/3/6/5/6/6/7

-3

+10

+8

+5

-1

+12

+20

C

9/10/9/8/9/10/10/10

-1

-1

+6

+2

+16

+21

+22

D

1/2/3/3/3/3/4/5

+9

+4

-5

+2

+13

+7

+15

E

0

0

0

0

0

0

0

0

F

9/9/9/10/10/10

+15

+5

+7

 

+22

+7

 

G

0

0

0

0

 

0

0

 

H

2/3/5/4/5/6

+8

-2

+5

 

+1

+8

 

I

0/0/0/0/2/1

0

0

-1

 

0

+3

 

J

0/3/3/2/4/7

+11

-8

+4

 

+2

+18

 

K

5/7/6/5/6/5

+14

-3

+3

 

-4

-6

 

L

5/7/8/9

+18

+8

   

+48

   

M

?/?/7/7

?

+10

   

+10

   

N

1/1/0/0

0

0

   

-1

   

Q

0/5/0/0

+22

0

   

-1

   

T

2/5/3/5

+6

0

   

+6

   

U

0/2

+3

 

 

 

 

   

Tabelle 4: Soziale Kompetenzen

KIND

Soziale Kompetenz (Mittelwertsänderung)

       

1. Jahr

2.Jahr

3. Jahr

4.Jahr

gesamt

 

A

0

-0,2

0

0

0,2

B

1

0

0

0,2

1,6

C

1

0

0

-0,2

2

D

1,6

0,2

0

0,2

1,2

E

0,6

0,2

0

0

1,2

F

0

0,6

0

 

1,6

G

0

0,2

0

 

0,2

H

0,4

-0,2

0

 

0,8

I

0,4

0

-0,1

 

0,8

J

0,4

-0,2

0

 

1

K

0

0,2

0

 

0,2

L

x

0,2

   

0,2

M

x

-0,6

   

-0,2

N

0,6

0,2

   

-0,4

Q

0

0

   

0

T

0,4

0,4

   

0,2

U

0,4

     

0,4

Tabelle 5: Kommunikative Kompetenzen

Kommunikative Kompetenz

(Mittelwertsänderung)

         

KIND

1.Jahr

2.jahr

3.Jahr

4.Jahr

gesamt

A

0,1

-0,3

0,1

0,1

0,2

B

0,5

0,3

0,4

0,2

0,9

C

1

0,1

-0,1

0

1,6

D

1,1

0,3

0

0,3

1,4

E

0,7

0,1

0,1

0

1,1

F

0,4

0,5

0

 

1,6

G

0

0,4

0,3

 

0,6

H

-0,4

0,1

0

 

0

I

0,4

0,1

-0,1

 

0,8

J

0,2

0,3

0

 

1,3

K

0,2

0,3

0,1

 

0,3

L

x

0,2

   

0,2

M

x

-0,6

   

-0,2

N

0,6

0,2

   

-0,4

Q

0

0

   

0

T

0,6

0,4

   

1

U

0,3

     

0,3

Tabelle 6: Schullaufbahn2

 

Grundstufe beendet

Sekundarstufe beendet

Aktuelle Schulform

       

Kind

Integrativ

anders

Integrativ

andere Schulform

Integrativ

andere Schulform

Anmerkungen

A

4 Kl VS +

 

4 Kl HS +

 

PTS

   

B

4 Kl VS +

 

4 Kl HS +

 

PTS

   

C

4 Kl VS +

 

4 Kl HS +

     

verzogen (NÖ)

D

4 Kl VS +

 

4 Kl HS +

     

Schulweg beendet (17.Lj)

E

4 Kl VS +

     

?

 

verzogen (NÖ)

F.

4 Kl VS +

     

4.Kl HS +

   

G

4Kl VS +

     

4.Kl HS +

 

1Schulwechsel

H

5Kl VS +

 

 

 

3.Kl HS +

 

1Klassenwiederholung

I

5Kl VS +

     

3.Kl HS +

 

1Klassenwiederholung

J

?

         

Verzogen (NÖ)

K

4Kl VS +

       

7.Kl ASO

 

L

5Kl VS +

     

4.Kl HS +

   

M

4Kl VS +

 

4Kl HS +

   

SPZ

 

N

4Kl VS +

     

4.Kl HS +

   

Q

4Kl VS +

     

3.Kl HS +

   

T

4Kl VS +

   

SPZ / häusl.Unterr.

   

Mehrmaliger Wechsel

U

5Kl VS +

     

1.Kl HS +

   

Tabelle 7: Veränderungen, Übersicht

KIND

SYMPTOM-VERBESSERUNG

KOGNITIVE KOMPETENZ

SOZIALE KOMPETENZ

KOMMUNIKATIVE KOMPETENZ

A

-

++

+

+

B

++

++

++

+

C

+

++

++

++

D

++

++

++

++

E

+

-

++

++

F

++

++

++

++

G

++

-

+

+

H

++

++

+

-

I

++

-

+

+

J

++

++

++

++

K

-

+

+

+

L

++

++

+

+

M

++

++

-

-

N

-

-

-

-

Q

++

-

-

-

T

++

+

+

++

U

+

-

+

+

Korrespondenzadresse:

Univ.Prof.Dr. Ernst Berger

Krankenhaus Hietzing

NZ-Rosenhügel

Neuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche mit Behindertenzentrum Riedelgasse 5

A1130 Wien

Tel.: 0043 1 88000 321

Fax: 0043 1 88000 360

E-mail: ernst.berger@meduniwien.ac.at

Dr. Regina Mutschlechner

Krankenhaus Hietzing

NZ-Rosenhügel

Neuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche mit Behindertenzentrum

Riedelgasse 5

1130 Wien

Prof. Dr. Georg Feuser

Universität Bremen; FB 12

Erziehungs- u. Bildungswissenschaften

Sportturm C 5230

Postfach 330440 (SPT)

Quelle:

Ernst Berger, Regina Mutschlechner, Georg Feuser: AUTISMUS - HÄUFIGKEIT UND SCHULLAUFBAHN SCHULISCHE INTEGRATION AUTISTISCHER KINDER IN WIEN

erschienen in: Med. f. Mensch. Behind. 2, 13-22, 2005

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 26.09.2007

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