Therapie innerhalb eines heilpädagogischen Gesamtkonzeptes

Autor:in - Angelika Gäch
Themenbereiche: Therapie
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 6/2000; Reha Druck Graz S. 27-30 Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (6/2000)
Copyright: © Angelika Gäch 2000

Der Arzt innerhalb der anthroposophischen Heilpädagogik

Im Konzept der anthroposophischen Heilpädagogik ist der Arzt als Mitglied eines pädagogisch ausgerichteten Kollegiums nicht nur zuständig etwa für somatische oder neurologische Fachfragen oder für die akute gesundheitliche Befindlichkeit der betreuten Kinder, Jugendlichen oder Erwachsenen, sondern Partner im interdisziplinär-kollegialen Gespräch. Noch vor Kretschmer, der mit seiner Arbeit "Körperbau und Charakter" für die Psychiatrie der Erwachsenen den Zusammenhang der biologisch-körperlichen Konstitution mit der Persönlichkeitsstruktur darlegte, und vor der später in der französischen Schule (Corman 1947) entwickelten kindlichen Typologie wies Rudolf Steiner in seinem "Heilpädagogischen Kurs" 1924[1] darauf hin, dass der Heilpädagoge für die individuelle Förderung eines Kindes dessen Leiblichkeit als Instrument von Seele und Geist verstehen müsse. Dieser Verstehensansatz bedingt ein empathisches Sich-Einfühlen in die kindliche Konstitution auf der Basis eines medizinischen Grundlagenverständnisses. Dieses wird in seinen Grundzügen während der Ausbildung erworben und muss während der beruflichen Tätigkeit weiterentwickelt werden.



[1] Rudolf Steiner, Heilpädagogischer Kurs, GA 317, Dornach 1924

Die Kinderkonferenz

In heilpädagogischen Kollegien, die auf der Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde arbeiten, wird die medizinisch-pädagogische Weiterbildung unter Mitwirkung des Arztes in der wöchentlichen Kinderkonferenz gepflegt. Diese dient zunächst dem Anliegen, von den betreuten Kindern und Jugendlichen laufend ein aktuelles diagnostisches Bild und einen entsprechenden Förderansatz zu erarbeiten. Darüber hinaus ist sie durch den ihr zugrunde liegenden Sozialprozess auch geeignet, kollegiales Vertrauen und gemeinsame Willensbildung wesentlich zu befördern. Vor allem jedoch ist sie die Basis eines abgestimmten und einheitlichen heilpädagogischen Beziehungsfeldes für das einzelne Kind.[2] Die kollegiale Weiterbildung ist eher ein Nebenergebnis, wenn auch ein wesentliches.



[2] Johannes Bockemühl, Eine menschengemäße Kinder- und Patientenbesprechung, Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie 1, Ostern 1994

Das Therapiekonzept

Gemäß dem Ansatz, die kindliche Leiblichkeit in das therapeutische Konzept stringent mit einzubeziehen, wird im anthroposophischen Zusammenhang in stationären Einrichtungen, aber auch in Schulen, Kindergärten und Tageseinrichtungen eine Therapiepalette eingesetzt, die dort sonst eher ungewöhnlich ist. Sie setzt "leibnah" an und führt schrittweise über die Belebung und Strukturierung der Leiberfahrung zur Öffnung eines seelischen und zwischenmenschlichen Beziehungsraumes, in dem heilpädagogische Wirksamkeit neu ansetzen kann.

Dieses Therapieangebot umfasst physiotherapeutische Maßnahmen ebenso wie typische heilpädagogische und auf künstlerischem Tun und Erleben basierende Therapieformen. Einige Beispiele:

  • Medizinische Bäder, z.B. als Öldispersionsbäder zur Wärmeanregung oder als Bewegungs-Wannenbäder,

  • Einreibungen und Massagen, z.B. als Rhythmische Massage zur Anregung der Tast-, Bewegungs- und Gleichgewichtswahrnehmung,

  • Chirophonetik als Methode zur Sprachanregung über die Körperwahrnehmung,

  • Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage,

  • Basale Sinnespflege,

  • Heilpädagogische Spiel- und Übungstherapie,

  • Therapeutisches Zeichnen, Malen, Plastizieren, z.B. als Dynamisches oder Formenzeichnen, als Fußzeichnen und -schreiben oder als Aquarellieren "nass in nass",

  • Musik-Therapie,

  • Farb-/Licht-Therapie und

  • Eurythmie und Heileurythmie.

Selbstverständlich wird nicht jede anthroposophisch-heilpädagogische Einrichtung diese Palette vorhalten können, sondern je nach Konzept Schwerpunkte setzen. Der Gesamtansatz wird jedoch in der Regel sein, in einer sinnvoll aufgebauten Therapiekette von der Leiberfahrung her das seelische Erleben anzuregen und zu strukturieren und so den Boden für Lernerfahrungen mit der Umwelt und in den zwischenmenschlichen Bezügen aufzuschließen.

War in den mehr leibgerichteten Therapieformen die Anregung der Wahrnehmung der Hauptansatzpunkt, so stehen in den darauf aufbauenden weiterführenden Therapien die Wahrnehmungsvertiefung und die Anregung des eigenen Tuns in einem frei zu gestaltenden Wechselspiel. Wie dies je nach Behinderungsbild und einzelner Aufgabenstellung differenziert werden kann, wäre einer eigenen Betrachtung wert.

Die Heileurythmie

Auf die Heileurythmie[3] als noch wenig bekannte aber für die anthroposophische Heilpädagogik essentielle Therapieform sei hier noch besonders hingewiesen. Sie stützt sich auf Sprache (und Musik) nach den Gesetzen der Gestaltbildung, d.h. dass nicht die inhaltliche Bedeutung eines Textes in Bewegung umgesetzt wird, sondern der Charakter der einzelnen Sprachlaute in die Gestaltung eingeht. Dass sie über das Medium der Bewegungsförderung auf viel weitreichendere Entwicklungsziele hinarbeitet, hat die Heileurythmie mit anderen heilpädagogischen Therapieansätzen gemeinsam. Ihr konsequenter Bezug zu den Grundstrukturen der Sprache macht sie jedoch besonders geeignet, im Entwicklungsfeld zwischen vorbegrifflichem leiblichem Lernen im oben skizzierten Sinne und dem Einsetzen des abstrakten Weltverstehens wirksam zu werden. Darüber hinaus kann sie mit lösender oder befestigender, weckender oder beruhigender Wirkung eingesetzt werden, in noch stärkerem Maß als die Sprache allein.

Selbstverständlich muss für diesen knappen Aufriss des anthrosophisch-heilpädagogischen Therapiekonzeptes auf weiterführende Literatur oder besser noch "weiterführende Anschauung" verwiesen werden.



[3] Grimm, Rüdiger (Hrsg.), Heilende Kräfte in der Bewegung, Stuttgart 1997

Literatur

Rudolf Steiner, Heilpädagogischer Kurs, GA 317, Dornach 1924

Johannes Bockemühl, Eine menschengemäße Kinder- und Patientenbesprechung, Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie 1, Ostern 1994

Grimm, Rüdiger (Hrsg.), Heilende Kräfte in der Bewegung, Stuttgart 1997

Die Autorin

Angelika Gäch, Dr.med., Allgemeinärztin, Eurythmistin, langjährige Tätigkeit in heilpädagogischen Arbeitszusammenhängen, seit 1992 Leiterin des Rudolf Steiner Seminars für Heilpädagogik, D 73087 Bad Boll, überregionale Kurstätigkeit, seit 1995 u.a. regelmäßig in der Russischen Föderation.

Rudolf-Steiner-Seminar

Michael-Hörauf-Weg 6

D-73087 Bad Boll

Tel. 07164/3149

Fax 7164/940220

Quelle:

Angelika Gäch: Therapie innerhalb eines heilpädagogischen Gesamtkonzeptes

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 6/2000; Reha Druck Graz S. 27-30

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 17.03.2005

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