Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 5/01, Thema: Bewegung statt Fitness Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (5/2001)
Inhaltsverzeichnis
Wer schon einmal einen sportlichen Wettbewerb, an dem Menschen mit speziellen Bedürfnissen teilnahmen, miterleben durfte, weiß, dass Bewegung mit Freude gekoppelt sein kann. Das verbissene Siegenwollen, die demütigende Pose den Verlierern gegenüber, der übertriebene Perfektionismus weicht der Freude über die Erweiterung der Bewegungsräume und damit der Handlungsmöglichkeiten jedes einzelnen Menschen.
Der postmoderne Körper - so Zygmunt Bauman - ist vor allem ein Empfänger von Empfindungen, er trinkt und verdaut Erfahrungen, lustvolle Fitnesserfahrungen. Und wie tief diese Gefühle auch sind, sie könnten noch intensiver sein. Es gibt eine ansteigende und unendliche Skala des Entzückens, die Unzufriedenheit und Ruhelosigkeit ohne Ende hervorruft.
Und da der Körper jetzt Privateigentum ist, ist jeder Einzelne von uns auch verantwortlich, dass es auf dem Weg für Selbstgeißelungen keine Grenzen gibt. War früher das Bild eines vollkommenen Körpers geprägt von Harmonie, Ausgewogenheit, Ruhe und Stabilität, so werden heute die ultimativen Erfahrungen in nie abreißenden Spannungsbögen gesucht. Der Körper, vor allem seine Fitness, erscheint von allen Seiten bedroht. Und in diesem lebenslangen (fiktiven) Belagerungszustand leben nicht wenige von uns. Dagegen hinterlassen leibbezogene Erfahrungen nachhaltige Spuren im Bildungsprozess.
Der sich bewegende Leib eröffnet:
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weite, aber individuell abgegrenzte und abgestimmte Lern- und Handlungsfelder
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Bewusstmachen von Erlebnissen und Gefühlen
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Wohlfühlen und die Erweiterung von Ausdrucksmöglichkeiten
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Genuss der gewonnen Bewegungsmöglichkeiten und -fertigkeiten
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persönliches Selbstsein für das offene Begegnen mit den Mitmenschen.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht die abstrakte Fitness, sondern die Gewinnung des persönlichen Sinns durch bewegtes gemeinsames Tun. Dabei geht es auch um die Ersetzung der Unruhe durch Behutsamkeit. Jemanden in der Bewegung begleiten, könnte eine Zielvorstellung sein, die Offenheit und Respekt zulässt und vielleicht Leichtigkeit anstelle von Fitness aufkeimen lässt.
Josef Fragner
Quelle:
Josef Fragner: Vorwort - Bewegung statt Fitness
Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 5/01; Reha Druck Graz
bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Stand: 13.09.2005