Der Mini-Freak

Teil 10 c

Themenbereiche: Kultur
Schlagwörter: Kultur, Theater
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr.5/2001; Thema: Bewegung statt Fitness Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (5/2001)
Copyright: © Franz-Joseph Huainigg 2001

Inhaltsverzeichnis

Teil 10 c

Nachdem uns Franz-Joseph Huainigg in den letzten Monaten Einblicke in sein Leben gewährt hat, interessiert uns das, was er in dieser zehnteiligen Serie verschwiegen hat. Wie war das beispielsweise mit dem Kabarett Herr Huainigg?

Mein erstes Programm ist so zustandegekommen: Ich wollte Kabarett spielen und denk mir, alle Stars fangen im Niedermair an. Also roll ich hin. Der Eingang vom Niedermair ist ebenerdig, also ohne Stufen, aber ziemlich steil. Ich denk mir, ob ich das schaffe. Aber ich wollte unbedingt spielen und dachte, wer wagt, gewinnt. Also tauchte ich an und fahr über die Rampe, werd immer schneller und schneller, die Hände glühen an den Treibrädern, ich kann nicht mehr bremsen, zisch durch die Tür, der Rollstuhl kippt um und ich lieg mitten im Niedermair auf dem Boden. Der I Stangl schaut mich ganz betroffen an. Ich sag: Ich möcht Kabarett spielen. Der I Stangl lacht, "gute Nummer. Wie wärs am 1. April". Ich sag: Wollen Sie keinen Text sehen? Der I Stangl: "Na, das hat mich schon überzeugt". So war das.

Ich spiele nicht nur gerne Kabarett, ich geh selbst sehr gern ins Theater. Vor allem wegen der Feuerpolizei. Die begrüße ich immer ganz besonders, weil die ja immer entscheiden, was für die Behinderten an Kultur zuträglich ist und was nicht. Finde ich eh gescheit. Ich mein, wer soll es sonst entscheiden? Und wer ist prädestinierter dazu als der Herr Feuerwehrinspektor, der jeden Abend in einer anderen Kulturveranstaltung sitzt. Gesetzlich ist die Entscheidungsmacht der Feuerpolizei voll gedeckt. Im Wiener Veranstaltungsstättengesetz steht, dass überall dort, wo mehr als eine Stufe vorhanden sind, Rollstuhlfahrer nicht rein dürfen. Völlig zurecht, wie ich meine. Denn, so harmlos die Behinderten auch aussehen, so gefährlich sind sie auch. Wer, glauben Sie wohl, hat den großen Wiener Ringtheaterbrand ausgelöst. Damals waren die Rollstühle ja noch aus Holz... Deshalb gibt es jetzt diese strengen Feuerwehrbestimmungen.

Wir wollen ja auch keine Mitleidsgaben, sondern gleiche Rechte. Was hat man davon, wenn man im Burgtheater nur 20 Schilling zahlt, dafür aber hinter einer Säule sitzt, und den Herrn Voss nicht sieht. Außer, man ist blind. Ich bin gegen solche falsche Privilegien. Deshalb hab ich auch beim Krüppelkabarett gesagt: Keine verbilligten Eintrittspreise für Behinderte. Aus. - Jeder bekommt das Gleiche zu sehen - nämlich mich. Außer er ist blind ... na dann bekommt halt jeder das Gleiche zu hören. Außer er ist gehörlos. - Egal.

Einmal gab es einen Eklat. Eine Rollstuhlfahrerin empörte sich völlig, dass sie nicht gratis reinkommt und ihr Lebensgefährte nicht wenigstens zum halben Preis. Sie hat die Zivilinvaliden-Club-Card gezückt und ausgerufen, dass das diskriminierend sei und unterm Haider als Bundeskanzler sicherlich nicht gegeben hätte. "Wozu sitz ich dann im Rollstuhl!" hat sie laut geschrien und ist aufgestanden und unter Protest - wie sie gesagt hat - nach Hause gegangen. Spontanheilung. Eine Nebenwirkung des Krüppelkabaretts.

Aufgrund meines großen Kabaretterfolges hab ich auch viele Interviews geben müssen. Ein Journalist hat mich gefragt: "Du hast in Deinem Programm Dein Leben aufgearbeitet, geht's Dir jetzt besser?" Ich: "Na ja, ganz geheilt bin ich noch nicht." Der Journalist: "Du bist ja trotz Deines Erfolges erstaunlich normal geblieben?" Ich: "Ja, 0816 - gleich eine Nummer nach der Norm".

Wie gehen die anderen mit mir um? Man muss da wirklich sehr vorsichtig sein. Vor kurzem bin ich in meiner Arbeit im Ministerium wieder einmal mit dem Rollstuhl gekippt und auf dem Boden gelegen.

Das war wirklich ein Wahnsinn. Wie von selbst richtet sich mein Rollstuhl wieder auf, und beginnt langsam in die Höhe zu schweben. Ich streck die Hand aus und ruf: "Nimm mich mit!" - Da beutelt es ihn vor lauter Lachen und er lässt ein wenig überflüssige Schmiere auf mich runterprasseln. "Ich komm in den Himmel!" ruft er, "weil ich Dir immer, ohne zu murren gedient habe, während du nur blöde Faxen im Kabarett gemacht hast!" Ich senke resigniert meinen Kopf. Da passiert es: Mein Chef hatte recht gehabt: Meine Persönlichkeit ist an den Rollstuhl gefesselt. Plötzlich spannt sich ein für mich bisher unsichtbares Seil - ich war tatsächlich an den Rollstuhl gefesselt, mit dem ich leicht wie eine Feder grinsend in den Himmel schwebe.

Ich komme an die große Himmelspforte und freu mich wahnsinnig. Ich will die Türe öffnen, aber der Griff ist viel zu hoch angebracht. Ich will an der Himmelsglocke läuten, aber auch die Glocke erreiche ich aus dem Rollstuhl nicht. Ich klopfe an die Türe, schreie, aber niemand hört mich. "Saftladen", schimpfe ich, da hör ich jemanden hinter der Türe sagen, "ja, Franz-Joseph bist Du's?". Die Türe geht auf und es ist Jesus selbst, der mich mit den Worten "Dich hätt ich hier nicht erwartet" begrüßt. Hinter Jesus eröffnet sich ein schöner, hell erleuchteter Raum mit einer in weißem Marmor erbauten, weit ausladenden Wendeltreppe. Links und rechts entlang der Handläufe singen jubilierende Engel, unten ein Schild "Ins Himmelreich". "Wo ist der Lift?", frage ich Jesus. Der sieht mich fragend an. "Kein Lift, alles hoch montiert, nicht einmal ein Treppenlift, da entspricht ja nix der Ö-NORM 1600, die Toilette möchte ich erst gar nicht gesehen haben, na viele Behinderte dürften hier noch nicht versammelt sein."

Da kommt lässig lachend eine Gruppe von Menschen vorbei. "Ja, hallo Franz-Joseph", begrüßen sie mich, "bist Du auch da?" - "Hey", sag ich, "Freunde, gut, dass ihr da seid, könnt ihr mir da über die Stufen helfen?" Alle fünf lachen und schütteln den Kopf. "Wozu?", fragt der Charlie, "wir sind eh schon im Himmel". "Geh hörts auf, den Armen zu erschrecken", ergreift die Melanie für mich Partei. Sie nimmt mich an die Hand und fährt zu einer Türe, die sie ins Freie öffnet. Vor mir erstreckt sich eine weite Wiese aus flauschigen Wolken. Einige Kinder spielen lachend, wie in einem riesigen Schaumbad. "Komm", sagt die Melanie, "steh auf!" - "Aber ich bin behindert", sage ich. "Aber doch nicht im Himmel", lacht die Melanie, "steh auf, Du kannst gehen. Du bist nicht länger gelähmt". - "Wirklich?", frage ich erstaunt. "Ja sicher", sagt die Melanie und zwinkert mir aufmunternd zu, "Du musst nur daran glauben!" - Also probier ich es und zieh mich mit den Armen aus dem Rollstuhl, belaste meine Beine, den linken und dann auch den rechten. Und tatsächlich: Ich kann stehen. "Geil!" ruf ich. "Probier einmal zu gehen", ermuntert mich Melanie. Ich mach vorsichtig einen Schritt. Und tatsächlich: Es geht - bzw. ich gehe! "Geil!" ruf ich. Alle fünf klatschen. "Wahnsinn!", ruf ich, ich kann das gar nicht glauuuuu ... In dem Moment bricht die Wolkendecke und ich sause in rasender Geschwindigkeit nach unten, tiefer und tiefer und tiefer. Und lande direkt im brodelnden Suppentopf des Teufels. "Willkommen im Reich der Ungläubigen", sagt eine bekannte Stimme. "Hallo", sag ich, "Sie kenne ich, nur weiß ich im Moment nicht ..." Die Frau lacht nur und bückt sich. Ich seh mich um: Überall Schweiß-, Schwitz- und Streckgeräte vollbesetzt mit vor Anstrengung schwitzenden Körpern. Da erhebt sich die Frau wieder, hält grinsend einen Apfel in der Hand und sagt: "Komm, fass den Apfel, hol Dir den Apfel, komm, streng dich an!"

In dem Moment komme ich wieder zu Bewusstsein. Ich lieg am Boden und seh direkt meinem über mir stehenden Chef in die Augen. Ich grinse, "das erste Mal in meinem Leben fühl ich mich im Unterrichtsministerium so richtig wohl", sag ich. Mein Chef und meine Arbeitskollegen sehen sich fragend an. "Darf ich Ihnen helfen?" fragt mein Chef. "Nein, dürfen Sie nicht", sage ich ernst, "ihr werdet euch durch mich nicht mehr einen Platz im Himmelreich erschleichen". Das hatte meinen ersten Besuch in der Psychiatrie zur Folge.

Die Mini-Freak-Geschichten sind jetzt auch als Buch erschienen und im Buchhandel zu beziehen:

Ritter haben leicht lachen.

Lebensbetrachtungen aus dem Rollstuhl

Verlag Ibera Wien

ISBN 3-85052-114-1, ats 268,-

Quelle:

Franz-Joseph Huainigg: Der Mini-Freak Teil 10 c

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 5/01, Reha Druck Graz

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 14.03.2006

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