Ideologie, Vielfalt und Kultur

Vom Homo sapiens sapiens zum Homo amantis. Eine Verpflichtung zum Handeln

Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 4/5/2000, S. 11-34. Thema: Die Kultur der Vielfalt Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (4/5/2000)
Copyright: © Miguel López Melero 2000

1. Ideologie, Vielfalt und Kultur: Was verstehe ich unter der Kultur der Vielfalt?

In meinen Veröffentlichungen pflege ich meine intellektuellen Überlegungen, meine Überlegungen über den Sinn des Menschen, meine Gefühle, meine emotionalen, persönlichen und sozialen Konflikte, meine Zweifel und Überzeugungen zu erklären....ebenso wie meine Meinung und Einstellung über die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Kultur, die jedes menschliche Wesen so kennt, versteht, respektiert und bewertet, wie es ist und nicht, wie sie es gerne hätte. Außerdem sollte sich eine neue Kultur im Sinne der hegemonen Kultur nicht nur der Suche nach Mitteln und Wegen, "minoritäre Kulturen" zu integrieren widmen, sondern dem Kampf gegen jegliche segregierende Manifestation. Bourne bestätigte: "Es waren nicht die Schwarzen, die analysiert werden sollten, sondern die weiße Gesellschaft, man versuchte nicht, die Weißen und die Schwarzen zur Integration zu erziehen, sondern den institutionellen Rassismus zu bekämpfen, das Studienobjekt waren nicht die rassistischen Beziehungen, sondern der Rassismus an sich." (Barton, 1998). Das ist die fundamentale Frage der Kultur der Vielfalt: Der Kampf gegen Segregation.

1.1. Ideologie, Vielfalt und Kultur

Diese ersten Worte drücken meine Ideologie aus, die Einstellung, die ich gegenüber dem Leben habe. Ich glaube an das, was ich tue und wie ich es tue, und daran, dass es der Mühe wert ist. Es besteht einfach darin, an den Menschen selber zu glauben. Nur wenn das verstanden worden ist, handeln wir dementsprechend, denn "Ideologie ist als ein System von Einstellungen und Werten zu verstehen, dass uns den Weg für unsere Handlungen und unser Verhalten zeigt" (Apple, 1996, S. 34).

Meine Ideologie, als Produkt meiner Gedanken und Gefühle, beinhaltet alles, sie ist nicht etwas Unabhängiges und vom Rest meines Lebens Abgekoppeltes, sie betrifft politische, soziale, emotionale und intellektuelle Aspekte, die allem, was ich tue, Sinn geben. Ideologie und Vielfalt sind mein eigenes Leben. Aufgrund dessen werde ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung erzählen, was ich unter der Kultur der Vielfalt verstehe. Vielleicht haben Sie eine ganz andere Erfahrung, aber diese unterschiedliche Sichtweise sollte weit davon entfernt sein, ein Hindernis darzustellen, das uns von einer gemeinsamen Reflexion, die uns vereint, entfernt. Es existiert keine einzige Wahrheit, vielleicht existiert nicht einmal die Wahrheit an sich, sondern nur die Suche nach der Wahrheit (wie der spanische Dichter Antonio Machado sagte: "Es kann keinen Weg geben, wenn man ihn nicht beschreitet.").

Meine Worte sind also eine Einladung zum Dialog, als dem einzigen Weg, einen gemeinsamen Diskurs zwischen mir und meinen Lesern zu schaffen. Es ist wichtig, dass wir - als verpflichtete Lehrer - uns gemeinsam in jenem Gefühl verbunden fühlen, das zu einer tiefgreifenden Veränderung in unserem Denken und in unseren Handlungen führen wird (Denken und geteilte Handlungen = Wissenschaft) und uns dazu bringt, uns für eine neue Gesellschaft, eine neue Axiologie mit einem klaren Verständnis von dem, was wir als "Kultur der Vielfalt" bezeichnen, einzusetzen.

1.2. Was verstehe ich unter der Kultur der Vielfalt?

Wenn man sich die Manipulation bewusst macht, der die minoritären Kulturen unterworfen sind, muss man sich zwei Sichtweisen vor Augen führen: zum einen erkennt man, wenn man die Erziehungspraktiken bezüglich der Kultur der Vielfalt analysiert und wertet, dass diese die Vielfalt an sich nicht respektieren, sondern sie beiseite schieben. Zum anderen erkennt man aus dem theoretischem Diskurs, dass die Kultur der Vielfalt nicht in der Unterwerfung (Integration) der kulturellen Minderheiten besteht, so wie es die Bedingungen der hegemonen Kultur auferlegen, sondern genau im Gegenteil, dass die Kultur der Vielfalt erfordert, dass es die Gesellschaft ist, die ihr Verhalten und ihr Handeln aus Respekt gegenüber exzeptionellen Personen ändert, damit diese sich nicht der Tyrannei der Normalität unterworfen fühlen.

Wahrscheinlich besteht hier, im Konzeptionellen, eine der größten Schwierigkeiten, nämlich die Kultur der Vielfalt nicht als modernen Slogan über pädagogische Innovation zu verstehen, sondern ausschließlich als ideologischen Diskurs und tatsächliche Veränderung des Denkens und der pädagogischen Praxis, die einen Weg der Erziehung fordert, der die Vielfalt als das Genialste am Menschsein betrachtet: als Wert und als Recht.

Paradigmenwechsel

Es handelt sich genauer gesagt um einen Paradigmenwechsel im Sinne von Kuhn (1977), der fordert, dass das defizitäre, von medizinischen und psychologischen Einflüssen geprägte Paradigma von einem neuen Paradigma abgelöst wird, das exzeptionelle Menschen als wertvolle, nicht mehr als kranke Menschen sieht.

Der Diskurs über Vielfalt ist der Diskurs über die Begabung des Anderen, als wirklich Anderer. Das heißt, es ist die Anerkennung der persönlichen Identität und die Emanzipation exzeptioneller Menschen. Es ist der Kampf gegen jegliches Zeichen von Segregation oder Diskriminierung und nicht die Suche nach Mitteln und Instrumenten, die exzeptionelle Menschen Teil in einer feindlichen Welt sein lassen. Nicht die exzeptionelle Person hat Schuld, sondern wir selbst. Nicht die exzeptionellen Menschen sollen sich ändern, sondern die ganze Gesellschaft. Es geht nicht darum, exzeptionelle Menschen gemeinsam mit anderen zu erziehen, sondern darum, alles was in unseren Händen liegt zu tun, um gegen institutionelle Segregation anzukämpfen. Es geht nicht darum, die Spielregeln zu lernen, sondern ein neues Spiel zu schaffen. Wenn das nicht verstanden wird, ist es kaum möglich, die eigentliche Natur des "Problems" zu verstehen.

Man muss verstehen, dass es sich bei dem Diskurs der Vielfalt um den Diskurs der Legitimation jedes einzelnen Menschen handelt. Solange wir das nicht völlig klar sehen, wird unser Handeln ohne Wirkung bleiben.

Paulo Freire, der sein ganzes Leben lang gegen die Unterdrückung ankämpfte, erinnert uns daran: "Die Wahrheit ist, dass diejenigen unterdrückte Menschen sind, denen man es verboten hat, zu sein, was sie sind. Sie sind ausgebeutet und vergewaltigt worden und man hat ihnen gewaltsam des Recht zu existieren und sich auszudrücken genommen." (Freire, 1990, S.188)

Von dieser Perspektive ausgehend möchte ich meine Gedanken über die Kultur der Vielfalt der Kultur des Handicaps gegenüberstellen. Mein Ziel ist es, dies auf eine Weise zu tun, die Sie selber dazu bewegt, sich dazu verpflichtet zu fühlen, nach neuen Welten zu suchen, die diese unmenschliche Welt, in der wir uns befinden, etwas menschlicher machen.

Diese neue Vision der Vielfalt als Wert und Menschenrecht fordert, dass Definitionen, die das Defizit unterstreichen, isoliert und durch diejenigen, die die Solidarität und die Würde hervorheben, ersetzt werden, überzeugt davon, dass im 21. Jahrhundert der große kulturelle Umbruch durch die Rebellion der minoritären Kulturen gegen die Gesellschaft bestimmt ist, die diese als unnütze und unbrauchbare Menschen absondert. Nur wenn wir es schaffen, den homo sapiens (den biologischen Menschen) zu überwinden, können wir zum homo amans (dem Kulturmenschen) werden. Wir werden als unfertige Menschen geboren und erst die Kultur ermöglicht es uns, zu Menschen zu werden.

2. Kultur der Vielfalt und globales Denken

Die Kultur der Vielfalt als kritische edukative Bewegung beinhaltet als fundamentales Ziel zu wissen, wie man progressive Theorien und Praxis entwickelt und persönliche und soziale Emanzipation des Menschen ermöglichen und die inhumane Welt des globalen Denkens, als vorgegebene Ideologie in der ganzen Welt, stoppt.

Aber was ist das globale Denken? Meinem Urteil nach ist es ein Zusammenschluss der fundamentalen ökonomischen Kräfte, die die politische, soziale und kulturelle Welt bestimmen, und als neue Ideologie gibt sie ebenfalls die Menschenrechte vor. Sie schafft in diesen Momenten eine Folge von Widersprüchen in der Menschlichkeit, daraus ergibt sich eine Folge von verdeckten Konflikten, begründet auf einer falschen Rationalität.

2.1.Aktuelle Widersprüche, in denen wir uns befinden.

Erster Widerspruch: Die Nichteinhaltung der Menschenrechte

Es ist gewiss, dass alle mit der gleichen Würde und dem gleichen Recht geboren werden und alle einen Teil der gesamten Menschheit bilden. Es ist gewiss, dass alle Individuen und Gruppen das Recht auf Anderssein haben, sich selber als solche zu schätzen und geschätzt zu werden.

Wenn all das so sicher ist, wer kann mir erklären, wie wir zu dem in der Welt existierenden Ungleichgewicht gekommen sind, wo 80% des Reichtums in den Händen von 20% ihrer Bewohner ist. (225 Personen besitzen mehr Reichtum als 2500 Millionen anderer Menschen!)

Wer kann mir erklären, warum wir, obwohl wir uns dieser Barbarei bewusst sind, nicht gegen diese soziale Unmoral und Unverantwortlichkeit wehren? Wer kann mir erklären, warum exzeptionelle Menschen in dieser ständigen Situation der Ungleichheit unter Aufrechterhaltung des Mitleides, der Angst, des Paternalismus, des Misstrauens und der falsch verstandenen Nächstenliebe leben und niemals als Menschen angehört werden?

Wer kann mir erklären, wie die menschliche Kultur zu unserer Zeit in solch eine Barbarei verfallen konnte?

Das Ziel einer neuen internationalen Regelung, gegründet auf der universellen Erklärung der unveräußerlichen Menschenrechte, existiert nur auf bürokratischer Ebene. Wir benötigen heute mehr denn je ihre praktische Erfüllung.

Zweiter Widerspruch: Die Unterlassung der Verteidigung der Natur und der Beziehungen zwischen den Ländern

Während des 19. und 20. Jahrhunderts haben wir eine Kultur des homo sapiens bestärkt, den einen Teil (des Intellektuellen) verstärkend und den anderen Teil (der Liebe), die Kultur des homo amans, vergessend.

Nur von diesem Gesichtspunkt ausgehend versteht sich, dass die Kultur der Vielfalt in erster Linie eine ideologische und politische Überlegung ist, weil sie Veränderungen in den von der neoliberalen und postmodernen Gesellschaft gestützten materiellen Strukturen und ein neues ökonomisches Paradigma fordert, das den Wohlstand unter allen Menschen verteilt und Lebensqualität allen zukommen lässt. Nicht die Wirtschaft soll die Welt der Ideen formen, sondern die Ideologie sollte diejenige sein, die das Wirtschaftsmodell schafft. In diesem Sinne muss man ein historisches Bewusstsein wecken mit utopischer Perspektive (Utopie der Wiedergeburt Bacon, Campanella, Moro), im Sinne von Maturana "wie eine Sehnsucht nach einer Art des menschlichen Zusammenlebens in Ehre, Kooperation, Gerechtigkeit, Gleichheit, Respekt gegenüber anderen, harmonischer Integration mit der natürlichen Welt, in der keine Armut existiert und kein systematischer Missbrauch betrieben wird." (Maturana, 1994).

Dritter Widerspruch: Die beabsichtigte Verwirrung zwischen Wissenschaft und Technik

Zwischen Wissenschaft und Technik ist eine sehr gefährliche Beziehung entstanden, die zu der unlizenzierten Vorherrschaft der Naturwissenschaften über die Sozialwissenschaften geführt hat. Hier herrscht der homo sapiens sapiens und exzeptionelle Menschen zählen nicht, weil sie keine produktiven Kräfte sind. Eine "Ideologie der neoliberalen Wissenschaft" ist sehr gefährlich, da dabei der Wissenschaft die Rolle, Ziele der Produktanwendung, und der Technik die Rolle, die Prinzipien der Wissenschaft anzuwenden zugeschrieben werden und sie in dieser gegenseitigen Abhängigkeit ihre Macht ausüben, um Formen des Wissens, soziale Beziehungen und andere kulturelle Formen zu schaffen, die auf eine sehr subtile Art wirken und so still und leise den Menschen zum Schweigen bringen. Dieses Wissenschaftsverständnis ist meiner Meinung nach die gefährlichste und mächtigste Ideologie der neoliberalen und postmodernen Gesellschaft - obwohl sie üblicherweise nicht als in sich selbst gefährlich erkannt wird. Denn dadurch wird verhindert, dass etwas Neues geschaffen wird und eine Entwicklung der menschlichen Vorstellung voranschreitet. Wir müssen sehr sehr wachsam sein, damit wir nicht der neuen Macht der im Dienst des Neoliberalismus stehenden Wissenschaft verfallen, bei der wissenschaftliche Arbeit zur reinen Marktsache wird. Wir müssen verhindern, dass die Wissenschaft ein Werkzeug der Macht ist (kapitalisiertes Wissen = Fetischismus). Menschliches Wissen darf nicht zweckentfremdet werden. Die Wissenschaft des Neoliberalismus ist die Pseudogröße der Mittelmäßigen.

Ich denke, dass Wissenschaft nicht fähig ist, uns dauerhafte und unfehlbare Antworten zu geben. Es existiert weder eine Einheit von Wissen mit absolutem und außergeschichtlichem Charakter, noch eine Objektivität ohne Fehler. Lernen - und damit auch die Wissenschaft, entwickelt sich, so wie das menschliche Lebewesen selbst. Das Wichtigste für den Menschen ist, dass seine Fähigkeit sich zu verändern nicht zurückgestutzt wird. Wir lernen Wissenschaftler zu sein und Wissenschaft zu betreiben auf dieselbe Art, wie wir es lernen, Menschen zu werden, uns zu humanisieren. Dies wird durch die Liebe und das Zusammenleben verschiedener Kulturen erreicht. Die Liebe, nicht das Feuer, ist die große Entdeckung des Menschen. An die Stelle des homo sapiens sapiens, den die neoliberale Kultur unterstreicht und exzeptionellen Menschen keinen Platz lässt, müssen wir andere pädagogische Modelle setzen, die den homo amantis betonen, wenn wir uns wirklich als menschliche Lebewesen humanisieren wollen.

Ich betrachte die Wissenschaft als eine eminent humane Aktivität (durch Emotionen mitgeprägtes Denken und Handeln), d.h. eine soziale und humane Aktivität, die sich direkt in das Leben einbringt und deshalb nicht ihrer eigenen Dialektik entfliehen kann. Wissenschaft ist ein mächtiger Faktor, der die Wissenschaft selbst in Frage stellt, oder auch die Prämissen, auf welchen die Wissenschaft gegründet ist. Es ist eine Aktivität, die sich nicht entwickeln kann, wenn sie vom menschlichen Dasein getrennt ist.

Wissenschaft muss als eine Kraft betrachtet werden, die in sich selber etwas bewirken kann, nicht als etwas bereits Abgeschlossenes. Der Wissenschaftler soll sich selber als ein eigenständig denkendes und handelndes, mit Gefühlen beladenes aktives Subjekt verstehen und vermeiden, dass er nur ein angepasstes Wesen in dieser instrumentalisierten Welt bleibt. Er muss als denkendes Wesen auftreten und nicht als bloßes Instrument. Ich denke, dass wir die ideologische und soziale Komponente, die unsere wissenschaftliche Arbeit beeinflusst, mit einbeziehen müssen. Der Wissenschaftler kann sich ebensowenig wie irgendein anderer von uns seinem eigenen kulturellen Kontext entziehen. Die wahrgenommenen Dinge und der Wahrnehmende befinden sich innerhalb der Wahrnehmung selbst.

Vierter Widerspruch: Von der neoliberalen, hegemonischen Kultur und dem globalen Denken

Es ist festzustellen, dass seit den 70er-Jahren die neoliberale Ideologie immer hegemonischer geworden ist, und dies nicht nur in den entwickelten Ländern, nein, sie hat sich über den ganzen Planeten wie eine neue Religion ausgebreitet und umfasst alles: Politik, Ökonomie, Sozialbereich,... etc.! Es ist nicht leicht, den Neoliberalismus zu definieren, wo er doch in so vielen Bereichen vorkommt und es so viele Synonyme für ihn gibt, aber vergessen wir nicht, dass es sich immer um Manifestationen des konservativen Denkens handelt. Erlauben sie mir trotzdem, einige kurze Ausführungen dazu zu geben, was ich unter Neoliberalismus verstehe.

a. Im Bereich der Politik: Formale Demokratie

Was ist darunter zu verstehen?

Jeder stimmberechtigte Staatsbürger ist dazu aufgerufen, alle vier oder fünf Jahre seine Stimme abzugeben. Allerdings nehmen wir weder aktiv am politischen Leben, noch an der Kontrolle teil, und können keine Entscheidungen beschließen.

Alles, was wir tun können, ist, der dominierenden Klasse zuzuschauen, wie sie handelt. Und wer sind die Mächtigen?

Macht ist gekennzeichnet durch Reichtum und Geld und dieses ist im Besitz des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der Welthandelsorganisation - und der UNO. Sind wir nicht dazu imstande, uns eine andere Form der Politik als diese "formale Demokratie" vorzustellen, die wir zum Beispiel im Jahr 2041 schon verwirklicht haben könnten?

b. Im Bereich der Wirtschaft: Der freie Markt

Die Welt ist ein Markt. Alles kann man ein- und verkaufen, wenn es die Mächtigen erlauben. Auch das Wissen wird eingekauft und verkauft.

Der Staat ist "im Ausverkauf". Die Rolle des Staates ist minimal und hängt von den Mächtigen ab, die nur eine Axiologie kennen: die Wirtschaft.

Die Privatisierung der rentablen Unternehmen ist das Ziel der konservativen Regierungen. Das Ziel eines Unternehmens ist es immer, Geld zu verdienen - nicht der Menschheit Dienste zu leisten. Die Staatsbürger haben ihre Funktion als solche aufgegeben und sich in Konsumenten verwandelt.

c. Im Sozialbereich:

Es entstehen drei soziale Klassen:

  • Die immer kleiner werdende privilegierte Klasse ist diejenige, die den Rest der Gesellschaft reguliert und kontrolliert.

  • Die Mittelklasse ist von der oberen Klasse dazu beauftragt, den von ihr dirigierten Handel durchzuführen und leidet immer wieder unter der Ungerechtigkeit der ständigen Neuanpassungen.

  • Die dritte, immer größer werdende soziale Klasse besteht aus Arbeitslosen und Ausgegrenzten (die unsichtbare Gesellschaft).

In der heutigen Zeit sind etwa 200 Millionen Menschen unterernährt, 100 Millionen Analphabeten, 1300 Millionen befinden sich in absoluter Armut....In der EU gibt es 48 Millionen Arme und in Spanien sind es 9 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben.

Wer wird die Aufgabe übernehmen, diese neue neoliberale und postmoderne Orthodoxie auszurufen? Für den Neoliberalismus ist es klar, dass, wo ja alles käuflich ist, sich die Massenmedien in seinen Dienst stellen werden. Auf diese Weise führt die technische und wissenschaftliche Revolution unter Mitwirkung eines falsch interpretierten Bildes einer "Pseudofreiheit" dazu, dass uns Konsumismus als Konzept der Freiheit verkauft wird.

In dieser Konsumgesellschaft werden in jedem/r von uns neue Bedürfnisse geweckt, die uns so erscheinen, als hätten wir sie seit je gehabt. Ohne es zu merken, verfangen wir uns in den Netzen des wildesten Konsumismus.

Die Folge dieses neoliberalen Denkens ist die mentale Kastration des ideologischen Aspekts und die Hegemonie der Wirtschaft gegenüber dem Sozial- und Kulturbereich.

Im Bürger werden die Bedürfnisse des Konsumenten geweckt (Der Erfolg liegt im Geschäftemachen und die Wirtschaft ist die neue Axiologie). Du bist soviel wert, wie du produzierst (und nicht, wie viel du dazu beiträgst, dass die Menschen und Kulturen in sich selbst wertvoll sein können). Eine Welt des Wettkampfes entsteht, in der private und individuelle Unternehmen über kooperative und soziale Unternehmen die Oberhand gewinnen. Dies führt zu einem oberflächlichen leeren Glück, Egoismus und mangelnder Rücksichtnahme auf andere. Wir befinden uns in einem Moment der Krise, denn die alten Paradigmen sind geschwächt und die neuen haben sich noch nicht durchgesetzt.

Das kulturelle Klima der Postmoderne ist von einer Reihe von Merkmalen gekennzeichnet:

  • Skeptizismus, genauer gesagt Misstrauen in die Vernunft und all dessen, was sie uns verfügbar macht, während hingegen eine große Wertschätzung der Gefühle und Empfindungen entsteht.

  • Neophilismus, eine übertriebene Liebe für alles Neue, allein schon deshalb, weil es neu ist.

  • Konsumismus als eine neue Freiheit, alles haben zu können im Gegensatz zum Spardenken.

  • Ästhetizismus, oder eine Überbewertung des Äußeren im Gegensatz zur Ethik.

  • Opportunismus und Okkasionalismus - das Leben im Hier und Jetzt. Es gibt keine Zukunftsperspektiven, alles ist gegenwartsbezogen. Und diese Gegenwart wird geformt, indem sie die Vergangenheit recycled.

  • Ahistorizismus und das Ende der Geschichte, um die Welt als Projekt der Zukunft zu verstehen.

  • Übertriebener Individualismus, das heißt, jeder achtet am meisten auf sich selbst und nicht auf seine Beziehungen und Gefühle.

Dieses postmoderne und neoliberale Denken hat zu der Kultur der Unsolidarität und Intoleranz geführt, in der exzeptionelle Menschen als Problemfälle und "individuelle Tragödien" gesehen werden.

Diese Denkweise, die exzeptionelle Menschen nicht als wertvoll einschätzt, führt zu einer Kategorisierung, in welcher diese Menschen die unterste Stufe einnehmen und gegenüber dem Rest der Menschen benachteiligt sind.

Wie Lasch sagt, repräsentiert die Postmoderne "die Kultur des Narzissmus", weil sie eben die Solidarität annulliert, die Politik getötet und eine Welt geschaffen hat, in der jeder für sich alleine lebt, als Herrscher über eine große Leere und auf eine oberflächliche Weise glücklich.

2.2 Ethik, soziale Verantwortung und Lebensqualität

"Goyana, Brasilien, September 1987: Zwei Männer der Müllabfuhr finden ein Gefäß aus Metall, zurückgelassen auf einem Baugelände. Mit Hammerschlägen zerbrechen sie dieses und entdecken einen Stein mit weißem Licht. Der magische Stein lässt Licht durchschimmern, an der Luft blau gefärbt, und lässt alles, was mit ihm in Berührung kommt, erstrahlen.

Die zwei Männer zerstückeln den Glühkörper aus Stein und bieten kleine Teile davon den Nachbarn an. Wer sich mit diesem den Körper abreibt, leuchtet in der Nacht. Das ganze Viertel wirkt wie eine Lampe. Die Armen, plötzlich reich an Licht, feiern.

Am folgenden Tag übergeben sich die beiden Männer der Müllabfuhr. Sie haben Mangos und Kokosnüsse gegessen, sicherlich ist das der Grund. Aber alle aus dem Viertel übergeben sich, sie schwellen an, während ein inneres Feuer ihre Körper verbrennt. Das Licht verschlingt, verstümmelt und tötet und es verbreitet sich durch den Wind, den Regen, die Fliegen und die Vögel.

Nach Tschernobyl war dies die größte Nuklearkatastrophe in der Geschichte. Viele starben, wer weiß wie viele andere, noch weitaus mehr, tragen für immer Schaden davon. In diesem Viertel in der Umgebung von Goyana wusste niemand, was das Wort "Radioaktivität" bedeutet und niemand hatte je etwas über Cäsium 137 gehört." (Galeano, 1998)

Schon seit langem dient der Süden als Müllhalde für den Norden, oder besser gesagt als Entsorgung für die Abfälle, die die Industrie der Mächtigen produzieren. Anscheinend hat die Würde des menschlichen Lebens in der Gesellschaft der Globalisierung und des globalen Denkens keinen Platz. Die Angst ist das einzige, das unvorhersehbare Ausmaße angenommen hat, dies ist eine Welt, die in Perversität und Straflosigkeit lebt.

In solchen Momenten ist es notwendig, dass die Intellektuellen hervortreten und die Ethik der sozialen Verantwortung, der Respekt gegenüber den anderen und der Sinn nach solidarischer Gemeinschaft die Besonnenheit und das Verständnis für eine gerechtere und humanere Welt wiederkehren lassen.

Nur der Kampf für die Umwandlung all dessen, was uns in diesen Momenten unmöglich erscheint, ist die einzige Möglichkeit, die ‚Pappmaché-Gesellschaft', in der wir leben, zu zerstören und die Ethik des Habens (welche die Ethik des homo sapiens ist) in eine Ethik des Seins (welche die Ethik des homo amans ist) zu wandeln, als einzigem Weg, dem wir als uns fortentwickelnde Menschen folgen. Es ist keine einfache Aufgabe, aber es ist absolut notwendig. Die Ethik entsteht genau genommen in diesem Gefühl der Sorge, die wir als Konsequenz unseres Handelns anderen gegenüber erfahren. Und von der Kultur der Vielfalt aus betrachtet entsteht dieses Gefühl der Sorge und Verantwortlichkeit, wenn wir die exzeptionellen Menschen ihres menschlichen Miteinanders berauben, indem wir ihre Verschiedenheit nicht respektieren.

Dies ist die ethische Verantwortung des Diskurses der Kultur der Vielfalt, der Kampf gegen die Ungleichheit und weiter noch, unserer eigenen Existenz, ausgehend von den ethischen Prinzipien, an die wir glauben - obwohl es absolut kein ‚vernünftiges' Maß gibt, wie wir mit unserer Anstrengung erfolgreich sind, bis auf den symbolischen Wert, dass wir immer kampfbereit gegen Ungleichheit sind. Diese Art des Denkens muss sich auf das Empfinden stützen, das Bestandteil der Kultur der Vielfalt ist, auf die Verantwortung, die wir gegenüber anderen haben - in diesem Fall gegenüber exzeptionellen Menschen, nicht nur im generellen Sinne der Verantwortung (wir sind verantwortlich, weil wir uns unseres Handelns bewusst sind), sondern in einem offeneren Sinne, dass die Individuen gewisse Verantwortung für das Wohlbefinden und die Lebensqualität der anderen haben und die Verpflichtung haben, sie mit Würde und Respekt zu behandeln. Das bedeutet, dass die soziale Verantwortung und die Ethik Anlass geben müssen zu einer Art internationalen Regel, die für die Menschen Gültigkeit hat, nicht um die Dinge mit einigen persönlichen Normen in Einklang zu bringen, sondern mit einem sozialen Code.

Der Diskurs der Kultur der Vielfalt und der Lebensqualität ist vorzugsweise ethisch und das ist er, weil er uns in eine neue Axiologie und in eine neue Welt der Werte einführt, und vor allem ist es ein Diskurs, der in das Tiefste des Menschen eindringt (in die Moral), um den Anderen als legitimen Anderen in seiner Vielfalt anzuerkennen.

Definitiv befinden wir uns auf der Schwelle einer neuen Zivilisation, aber wenn sich neben dieser neuen Zivilisation nicht eine neue Ethik und eine neue mentale Haltung begründet, sozusagen eine neue Kultur, würden wir dann nicht den Untergang unserer eigenen Existenz als Menschen unterstützen? Wie kann sich die Menschheit in dieser enthumanisierten Welt mit sich selber versöhnen?

2.3 Das Lob auf die Verschiedenheit und der Kampf gegen die Ungleichheit.

Meiner Meinung nach aber kann diese Versöhnung nur dann erreicht werden, wenn wir den Menschen nicht bloß als "homo sapiens sapiens", sondern als "homo amantis" im Sinne von Maturana sehen:

"obwohl wir aus biologischer Sicht der Tierart "homo sapiens sapiens" angehören, zeigt unsere Lebensweise, das heißt unsere conditio humana, dass unsere Gattung von den Beziehungen, die wir mit anderen und mit der Welt haben, abhängt. Die Welt formen wir, indem wir leben" (1995, S. 9)

Der Autor unterstreicht dies, weil er sich darauf bezieht, dass der Mensch vor allem ein kulturelles Wesen ist:

"Ich sage, dass das menschliche Lebewesen erst aus der Kultivierung des homo sapiens sapiens hervorgeht, nicht schon vorher existiert. In anderen Worten ausgedrückt heißt das, dass wir also als "nichthumaner homo sapiens sapiens" geboren werden. Zum Menschen werden wir erst, wenn wir menschlich leben, obwohl die Biologie des homo sapiens sapiens das Resultat der menschlichen, kulturellen und phylogenetischen Derivation ist." (Maturana 1994, S.143)

Folglich wird ein Mensch nur dann menschlich, wenn er ein menschliches Leben führt. Weil aber die menschlichen Beziehungen und die menschliche Natur unter den aktuellen Bedingungen selbst beeinträchtigt sind und weder vor der Natur noch zwischen den einzelnen Völkern Respekt vorhanden ist, muss eine neue Welt konstruiert werden.

Ist es so schwierig, sich eine neue Welt auszudenken, in der die Liebe, nicht der Hass unter den Menschen regiert?

Wenn wir Menschen es schaffen, uns diese neue Art und Weise des Denkens, Fühlens, Handelns und Zusammenlebens mit anderen einzuverleiben und unser Denken dieser nahen Zukunft voller neuer Werte öffnen, ändern wir nicht nur die Gesellschaft - und damit auch die Schule - sondern auch uns selbst, als ‚Herren' über unsere eigene Freiheit.

Wenn ich in diesem Zusammenhang meine Ideen beschreibe und erkläre, möchte ich unterstreichen, was ich unter Modernität verstehe: sich die ständigen Veränderungen und die täglichen Verpflichtungen bewusst machen, auch wenn dies "alt und klassisch" klingt, ich jedoch bin dagegen, dass die Dialektik des Geistes, die Emanzipation der Person durch die Vernunft und Reflexion sich in die Pragmatik der Kultur des Konsumismus verwandelt. Mehr denn je möchte ich utopisch sein, weil es hier und jetzt in diesen schwierigen Zeiten für uns Männer und Frauen an der Zeit ist, den Sinn des Menschseins zu finden. Wir können das Projekt der Moderne, deren Botschaft die ständige Veränderung und Erneuerung war, nicht aufgeben, im Sinne von Habermas ist "die Moderne ein unabgeschlossenes Projekt." (Habermas, 1994)

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Europa des Jahres 2000 zwei großen Bedrohungen, die meiner Meinung nach eine einzige ist, gegenüber steht: Die neoliberale Philosophie und die Philosophie der Einheitskultur. Der neoliberale Flügel fördert, gestützt auf die Basis des scheinheiligen Axioms der europäischen Wiederherstellung einer wirtschaftlichen Idee, die die Natur der Ungleichheiten und nicht der Verschiedenheiten betont, eine kulturelle Idee, in der immer denjenigen mehr gegeben wird, die ohnehin schon viel haben.

Unterschiede sind natürlich, Ungleichheiten sind unnatürlich. Wir müssen die Besonderheiten jedes Menschen anerkennen und denen mehr geben, die weniger haben, anstatt diese Ungleichheiten zu vermeiden. Und diejenigen, die mehr benötigen, sind die exzeptionellen Menschen. Nach der WHO gibt es in der Welt eine halbe Billion exzeptionelle Menschen, von denen 80 % in den entwickelten Ländern leben. D.h., dass jede zehnte Person unter irgendeiner Form von physischer, mentaler oder sensorischer Beeinträchtigung leidet, was (indirekt) mindestens ein Viertel der Weltbevölkerung ausmacht. In den Ländern der EU übersteigt die Zahl der exzeptionellen Personen 30 Millionen. In Spanien sind schätzungsweise 10- 12 % der Bevölkerung von Behinderung betroffen. Von diesen sind 2 oder 3 Millionen nicht selbständig. Die Kultur der Vielfalt hat es sich als kritische, pädagogische Bewegung zum fundamentalen Ziel gemacht, progressive Theorien und Praktiken zu entwickeln, die zur sozialen und persönlichen Emanzipation beitragen und so zur Wiederfindung der Prinzipien des Wahren, Guten und Schönen beitragen.

Für alles, was ich bis jetzt ausgedrückt habe, möchte ich nun einige Prinzipien klarstellen, auf die ich meine Ideologie aufbaue und die meine Denkweise über die Kultur der Vielfalt im Gegensatz zur Kultur der Behinderung rechtfertigt:

1. Der Respekt, die Toleranz und die Gedankenfreiheit als Prinzip, das uns erlaubt, die Kultur der Vielfalt im Gegensatz zur Kultur der Behinderung aufzubauen. Nur von Emotionen getragene Rationalität kann die eigene Vernunft ein bißchen vernünftiger machen, ganz einfach weil nicht jeder das gleiche unter dieser neuen Kultur versteht, noch worin sie besteht und was sie fordert. Wenn wir von Rationalität sprechen, beziehen wir uns darauf, eine "klare Denkweise" zu haben, die unser Verständnis von der Kultur der Vielfalt verbessert. Ich würde es "Vernunft" nennen, wenn, nachdem dieses Dokument gelesen worden ist und genug Argumente darin gefunden worden sind, wie Schule und Gesellschaft verändert werden sollten, in den Lehrern das Bedürfnis entsteht, mit Engagement unsere sozialen und edukativen Einstellungen und Praktiken der Integration zu verändern: Es geht nicht darum, die Bedingungen für eine gute Integration zu verbessern, sonder darum, gegen jegliche Art von Segregation anzukämpfen. Wir sind auf dem Weg, eine neue Art des Menschseins zu entwerfen und miteinander als Menschen in Beziehung zu treten.

2. Die Vielfalt als Anerkennung der Identität jedes Lebewesens als etwas Wertvolles und unverfälscht Menschliches. Wenn ich von Vielfalt spreche, beziehe ich mich nicht auf die Menschen, die von der Gesellschaft als "behindert" angesehen werden, sondern ich gehe von einer offeneren Denkweise aus, die Geschlecht, Krankheit, Exzeptionelles, Außergewöhnliches, Rasse... mit einschließt. Vielfalt bezieht sich darauf, dass jede Person dadurch identifiziert wird, wie sie ist - und nicht, wie wir sie gerne hätten. Genau in dieser Anerkennung besteht die menschliche Würde. Die Verschiedenheit ist die (wenn auch subjektive) Bewertung der Vielfalt und genau in dieser Wertung finden sich verschiedene Manifestationen - ob nun ablehnende (Antipathie, Xenophobie, Rassismus, Intoleranz...) oder anerkennende (Sympathie, Fremdenfreundlichkeit, Toleranz, Solidarität...). Es ist die Anerkennung der Vielfalt als menschlicher Wert.

3. Die Kultur der Vielfalt als Kultur des "homo amantis" und nicht als "homo sapiens sapiens".

So wie Lyotard sagt, sind "die Menschen in einen unmenschlichen Prozess hineingezogen worden". Wir dürfen es nicht mehr wagen, diesen Prozess fortschrittlich zu nennen. Währenddessen sind wir zu Zeugen des Verschwindens einer humanen, politischen und philosophischen Alternative zu dieser Entwicklung geworden. Die einzige Möglichkeit besteht im Widerstand, der sich auf die andere menschliche Seite stützt: die ungezähmte Kindheit, die in jedem von uns schlummert, loszulösen und sich der offensichtlichen medien-beeinflussten Banalität des Neohumanismus entgegen zu stellen.

Welche Rolle sollte die Schule in dieser hegemonischen Gesellschaft spielen, um die bereits enthumanisierte Menschheit menschlicher zu machen? Oder anders ausgedrückt: Wie kann eine nicht hegemonische Schule geschaffen werden?

3. Eine neue Schule für eine neue Zivilisation

Wie also schafft man eine kontrahegemonische Schule in einer neoliberalen und postmodernen Gesellschaft?

3.1. Hegemone Kultur versus Schule der Vielfalt

Die öffentliche Schule kann nur auf dem Verständnis, dass alle Menschen anders sind, aufgebaut werden. Dieses Prinzip zu akzeptieren heißt, sich auf den Aufbau eines neuen edukativen Diskurses, der das Anderssein der Menschen als Wert und nicht als Defekt sieht, einzulassen und von hier aus einen Lehrplan und eine schulische Kultur auszuarbeiten, in welcher die Wesensart und Eigenheit der minoritären Kulturen respektiert werden - nur so können Ungleichheiten ausgeschlossen werden.

Welche Rolle gebe ich der Schule im Aufbau dieser Kultur der Vielfalt? Oder anders ausgedrückt, wie muss die öffentliche Schule handeln, um eine schulische Kultur zu schaffen, die allen Schülern gerecht wird, ihre Unterschiede respektiert und so die pädagogische Denkweise der Lehrer ändert und Menschen, die kognitiv, sozial, sprachlich, kulturell und ethnisch anders sind oder anderen Geschlechts sind, als Chance gesehen werden, ihre professionelle Praxis verbessern zu können und nicht als Möglichkeiten, um Ungleichheiten zu produzieren?

Die Antwort auf diese Fragen werde ich durch die Aufstellung einiger Schlüssel, die ich in der Skizze auf der folgenden Seite darstelle, geben.

3.2. Konstruktion einer kontrahegemonen Schule

Das Wiedererkennen der Vielfalt des Lehrenden erfordert den ersten Bruch in der Schule, gegen die Homogenität in den Klassen. Dieser Bruch erfordert einerseits eine aktive Toleranz, sozusagen eine Anstrengung und ein Interesse, den anderen zu verstehen wie er ist und auf der anderen Seite einen Bruch des unentwegten Wunsches in unseren Klassen nach Klassifizierung und Unterwerfung der Menschen unter eine Norm. Es ist ein Bruch der Ordnung, die die Homogenität erfordert, und gleichermaßen die Anerkennung der natürlichen Qualität der Verschiedenheit.

3.2.1. Erster Schlüssel: Die Anerkennung der Vielfalt des Schülers als Wert und nicht als Defekt.

Wenn ich von der Vielfalt spreche, sollte ich von etwas sprechen, das ich erlebt habe, um meine Denkweise in Bezug auf dieses schwierige Konzept, das mit den Verschiedenheiten und Eigenarten jedes menschlichen Lebewesens zu tun hat - das Konzept der Intelligenz, besser verständlich zu machen. Ich erinnere mich, dass eines Tages die Mutter eines als hochbegabt definierten Jungen zu mir in das Büro der Fakultät für Erziehungswissenschaften kam, besorgt darüber, dass sie die Fragen ihres Sohnes nicht beantworten konnte. Sehr bewegt erzählte sie mir, dass ihr Sohn und auch alle anderen so Begabten weder in der Schule noch zu Hause glücklich seien. "Unsere Kinder leiden...und zwar viel." Wir sprachen lange über ihre Sorgen und Erlebnisse und sie erzählte mir das aktuellste Problem, das sich am vorigen Abend gestellt hatte. Sie sagte mir konkret: "Miguel, gestern Abend bat mich mein Kind um ein Glas Milch und ich gab ihm ein Glas warme Milch. Seine Antwort, als er zu trinken begann, war: Mama, fass das Glas nicht mit der Hand an, weil sonst eine Ionen-entladung stattfindet, die durch deinen Arm in das Gehirn läuft und dort explodiert. Stell dir das vor, Miguel! Was soll ich diesem Kind antworten?"

Diese Worte brachten mich dazu, über die kognitive Vielfalt der Menschen nachzudenken, und ich stellte mir folgende Frage: Wie würde ein als von der Gesellschaft als behindert angesehener, wie ein normaler und wie ein hochbegabter Mensch - so wie der Sohn dieser Frau - auf dieses Glas warme Milch reagieren?

Wenn wir von unserer Vorstellungskraft Gebrauch machen, ist es vielleicht so, dass die Person A (von der Gesellschaft als intellektuell defizitär angesehen) auf das Glas Milch so reagiert, dass sie es in die Hände nimmt und nicht auslässt, bis die Mutter etwas sagt wie: "Kind, nimm doch die Hände vom Glas weg, sonst verbrennst du dich! Merkst du nicht, wie heiß das ist?"

Im Fall der "normalen" Person (als B bezeichnet) würde das mögliche Verhalten darin bestehen, dass sie, wenn sie das heiße Glas angreift, sagt: "Uh, uh ist das heiß!" und sich dann so die Hände reibt, wie das gewöhnlich eben jemand macht, der sich verbrannt hat. Das Logischste ist, dass sie dann einfach wartet, bis sich das Glas abkühlt.

Im Fall der als hochbegabt angesehenen Person, die wir mit C bezeichnen, kennen wir die Antwort bereits: "Mama, greif das Glas nicht mit der Hand an, weil sonst eine Ionenentladung stattfindet, die durch deinen Arm in das Gehirn läuft und dort explodiert."

Offensichtlich gibt es also drei mögliche Antworten auf die gleiche Situation. Welche der drei ist die zutreffendste? Warum passt eine besser als eine andere? Welchen sozialen Wert hat jede davon? Könnte es nicht sein, dass alle drei korrekt sind? Wir können uns diese und andere Fragen stellen und kommentieren. Vielleicht würden einige Profis der Erziehung angesichts der Reaktion des ersten Kindes sagen, dass Menschen mit geistigen Defiziten auch schmerzunempfindlich sind. Über lange Zeit hindurch wurde eine dieser drei Antworten über die anderen zwei gestellt und so die Unterschiedlichkeit nicht als etwas Wertvolles wahrgenommen und ein ungleicher, von den Verhaltensweisen und Einstellungen der jeweiligen Personen abhängiger Umgang etabliert. Des Weiteren hat sich eine Wertungsskala für den Menschen durchgesetzt, so dass Person C besser als B und diese besser als A ist.

Es ist weitgehend akzeptiert, dass diese Verhaltensweisen die Intelligenz einer Person bestimmen können, und letztlich wurde diese Theorie durch die "Gauss'sche Glocke" bekannt. Es wird allgemein angenommen, die Antworten A, B oder C beziehen sich tatsächlich auf die Fähigkeiten der Personen und daher - unabhängig von ihrer Kultur - Gruppen von Menschen, deren Ausgangspunkt ihre kognitive Kompetenz darstellen. Weiters sei es sehr schwer, die Grenzen von A zu B bzw. zu C zu überschreiten, vielmehr habe jeder sich an das anzupassen, wie er eben ist (soziologischer und biologischer Determinismus) und es bringe wenig, durch Erziehung das "Unglück" dieser Personen zu ändern.

Was bedeutet das wirklich, wenn ein Fachmann feststellt, dass es verschiedene Lerntypen gibt? Dass einige Menschen mehr kognitive Fähigkeiten haben als andere oder dass es verschiedene Wege gibt, um zur Lösung eines Problems zu gelangen? Oder ist es so, dass es überhaupt kein pädagogisches Modell gibt, dass diese kognitive Ausgangsleistung "besiegt"? Was geschähe aber, wenn nun irgendeine Person die anfangs auftauchenden Schwierigkeiten überwindet und es schafft, zu lernen? Wäre die Veränderung in der Person summativ oder würde sie sein/ihr Vorwissen neu organisieren? Heißt das, dass sich sein/ihr Wissen vergrößern würde oder aber sein/ihr Geist neu organisiert wird um weiter zu lernen?

Aus dem Blickwinkel der Kultur der Vielfalt müssen heute die Denkweise und die Einstellungen anders sein. Es ist zu bedenken, dass jede Person als anderes Wesen eine andere Antwort findet und dass alle drei Antworten (A, B und C) zwar ganz verschieden sind, aber dennoch alle auf das gestellte Problem antworten. Deshalb geht es darum, verschiedene Antworten zu suchen, nicht lauter gleiche, denn jeder Mensch ist anders. Nur eine Gesellschaft von Robotern könnte physisch und intellektuell gleich sein.

Humberto Maturana erinnert uns, dass

" ...eine Spinne anders als ein Insekt, ein Käfer anders als ein Schmetterling, eine Maus anders als eine Katze ist, ein Mensch anders als ein Elefant ist, und alle diese Wesen verschieden sind, weil sie auf eine andere Weise leben... Ein Mensch, der ein Bein verloren hat, ist anders als ein Mensch mit zwei Beinen... Vom biologischen Standpunkt aus gibt es keine Fehler, keine Behinderungen, keine Dysfunktionen... Nur ich, als Mensch, würde es bevorzugen, eine Spinne und kein Schmetterling zu sein... In dieser Hinsicht wünsche ich mir, dass sich die Welt der Spinne und die Welt des Schmetterlings vereinen, weil eine schöner ist als die andere.....Im Bereich der menschlichen Beziehungen geschieht es, dass das uneingeschränkte Kind zu einem eingeschränkten Kind wird....In der Biologie gibt es keine Behinderung (und auch keine positive soziale Wertung)..." (Maturana, 1995, S. 262-263)

Wenn die Schule der Vielfalt die Unterschiede im Lernprozess akzeptiert, muss sie ein offenes, flexibles, verständnisvolles und vielfältiges Curriculum anbieten, das jedem Menschen die Chance gibt, sich seinen Eigenarten entsprechend weiterzuentwickeln und sich dabei gleichzeitig nicht auf das lernende Subjekt, sondern vielmehr auf die ihn umgebenden Umstände, den familiären, sozialen und schulischen Kontext, zu konzentrieren. Ich möchte betonen, dass Veränderungen in den Menschen von den kontextuellen Änderungen abhängen und nicht umgekehrt.

Zu diesem Punkt möchte ich unterstreichen, dass wir in dem speziellen Feld der exzeptionellen Menschen (z. B. Menschen mit Down Syndrom) immer davon ausgegangen sind, dass sie sich als Menschen in allen Dimensionen entwickeln werden. Das heißt, vom kognitiven, affektiven, sprachlichen und autonomen Blickpunkt aus, immer dann, wenn die Umstände ihnen die Möglichkeiten dazu anbieten. In der folgenden Grafik wird diese Idee besser veranschaulicht:

Aufgrund des dialektischen und kognitiven Ansatzes von Vygotski und durch sein bekanntestes Konzept, der "Zone der nächsten Entwicklung" wollen wir Folgendes sagen: Dieses Konzept soll nicht als eine mechanische Formel für das tägliche Leben des Lehrers herhalten, denn es hat eine tief philosophische Bedeutung - die Untrennbarkeit des Individuums von seiner sozialen Umgebung. Es synthetisiert die ursprüngliche Idee von der Relation zwischen Lernen und Entwicklung. Das Lernen überholt immer die Entwicklung, es schafft die Entwicklung, denn es ist für die Zone der nächsten Entwicklung verantwortlich. In diesem Sinn bricht das Lernen kontinuierlich die Barrieren, die eine statische Entwicklung aufbauen würde, weil es einfach bewirkt, dass die Entwicklung immer ein offener Prozess ist, mit unmittelbaren Möglichkeiten des Fortschritts, des neuerlichen Lernens. Es geht um eine stark dialektische Beziehung mit gegenseitiger Abhängigkeit zwischen der Entwicklung und dem Lernen. Man kann sagen, dass das dynamischste Konzept in Vygotskis Theorien sein Entwicklungskonzept ist:

"Das essentielle Kennzeichen des Lernens besteht darin, dass es das potentielle Entwicklungsfeld hervorbringt. Lernen verursacht, stimuliert und aktiviert im Kind eine Reihe von internen Entwicklungsprozessen innerhalb des Bereiches der Beziehungen mit anderen. Diese Prozesse werden wiederum vom internen Kurs der Entwicklung aufgesogen und verwandeln sich in innere Erwerbungen des Kindes." (Vygotski, 1979b, S. 37).

Wir können nun feststellen, dass in dieser Theorie die Entwicklung auf einem sozio-historischen Niveau innerhalb eines kulturellen Kontextes stattfindet. Das Subjekt gelangt durch die Verinnerlichung der mentalen Prozesse von der sozialen zur individuellen Ebene, das heißt, vom interpsychologischen zum intrapsychologischen Funktionieren:

"Tatsächlich wird das individuelle Funktionieren nur durch das soziale Funktionieren determiniert, und die Struktur der mentalen Prozesse eines Individuums spiegelt seinen sozialen Kontext wieder." (Vygotski, S.54)

Dieser Prozess wird durch die Qualifikation des Kontextes oder des Lernmediators (ein Erwachsener oder Altersgenosse) erreicht. Vygotski definiert die Zone der nächsten Entwicklung als "... die Distanz zwischen dem aktuellen Entwicklungsniveau eines Kindes, bestimmt durch seine Fähigkeit, Probleme selbständig zu lösen, und der höheren Ebene als potentieller Entwicklung, die durch seine Fähigkeit bestimmt wird, Probleme unter Anleitung Erwachsener oder fähigerer Kameraden zu lösen." (Vygotski, 1978, S.84)

Der Erwachsene fungiert so als eine ständige Hilfe oder als ein Kollege, der durch soziale Interaktion den Informationserwerb, den Übergang ausgehend vom Entwicklungsniveau gleich welchen Subjektes (seinem aktuellem Entwicklungsstand) bis zu seinem potentiellen Entwicklungsniveau bewirkt.

Für Vygotski sind Lehren und Lernen zwei parallele Prozesse innerhalb der höheren psychologischen Prozesse. Tatsächlich hat das russische Wort "obutscheni" zwei Bedeutungen. Die Lehrkomponente wird als Teil des Lernprozesses gesehen, mehr noch glaube ich, dass das Lehren, verstanden als dialogisches Zusammentreffen, gemeinsames Lernen ist. Um lernfähig zu sein, muss das Lehren auf die kognitive Stufe des Kindes abgestimmt sein. Für Vygotski ist die Erziehung die Weiterführung des Dialoges zwischen Kindern und Erwachsenen, durch die eine soziale Welt entsteht. Das Bewusstsein des Lehrers, und seine Fähigkeit dieses Bewusstsein anderen als Hilfe, Wissen und Fähigkeiten zu erlangen, zugänglich zu machen, sind Angelpunkte in der Theorie von Vygotski.

Obwohl Vygotski diese Gedanken bereits vor mehr als fünfzig Jahren formuliert hat, gibt es aus verschiedenen Gründen, die wir hier nicht weiter analysieren, wenige sichtbare Ergebnisse im Vergleich zu anderen psychologischen Gesichtspunkten, wenn auch in den letzten Jahren diese Theorie klar wiederbelebt wird. Einer der bedeutendsten Autoren, die heute die Denkweise von Vygotski weiterführt, ist m. E. nach Jerome Bruner.

Bruner bestätigt, dass sich in den ersten Momenten des Lebens gleich welchen Kindes eine Art von Basis für das Verständnis zwischen der Mutter und dem Kind aufzubauen beginnt ("Formate des gemeinsamen Handelns", Bruner, 1989, S. 20), dies sind die ersten kulturellen Einflüsse auf das Kind. Wenn diese ersten Erfahrungen zwischen Mutter und Kind nicht gemacht wurden, wird der Austausch zwischen ihnen später erst stattfinden und eine Leere entsteht, die dazu führt, dass "Hilfsgerüste" gebildet werden. Das sind Schemata des gemeinsamen Handelns, die dem Kind zuerst einfache Tätigkeiten und dem Erwachsenen schwierigere erlernen lassen, um dann später dem Kind Aufgaben mit einer höheren Verantwortlichkeit und dem Erwachsenen geringere zu geben.

In diesem Austausch von Kompetenzen ist eine ganz besonders wichtig im Leben des Kindes: Die Sprache ist das fundamentale Instrument des Austausches zwischen Mutter und Kind. Die Sprache ist das Mittel, das die Mutter dem Kind anbietet, damit es in die Welt der Kultur eintreten kann.

Aus der Denkweise Vygotskis können wir folgende Hypothese ableiten: Die menschliche Fähigkeit Sprache zu entwickeln gibt den Kindern die Möglichkeit, sich mit Instrumenten auszustatten, die ihnen helfen, komplexe Aufgaben zu lösen und Strategien zu entwickeln, bevor sie diese in die Praxis umsetzen. Grundsätzlich dienen Zeichen und Wörter Kindern als Mittel, soziale Kontakte mit anderen Menschen zu knüpfen. In dem Maße, wie das Kind wächst, wird der (soziale und interpersonale) Sprachgebrauch intrapersonal und das Kind fähig, sich auf sein eigenes Wissen zu berufen. Was die Rolle des Erwachsenen für den Spracherwerb und die kognitive Entwicklung des Kindes betrifft, möchten wir auf die Ideen Vygotskis in Bezug auf die "Zone der nächsten Entwicklung" hinweisen.

Bruner ist einer der wichtigsten kontemporären Repräsentanten der Theorie, dass sich die Sprache im Kind durch die soziale Interaktion entwickelt. Wie auch Vygotski ist er an der Sprach- und Lernentwicklung der Kinder interessiert, bzw. wie Wahrnehmung, Kognition und Sprachentwicklung einander bedingen.

In seinen letzten Werken über den Spracherwerb betont er die Notwendigkeit, den linguistischen Gebrauch mit dem kommunikativen Kontext zu koppeln. Von dieser Sichtweise aus sind die Anfänge der Sprache des Kindes von der Gemeinschaft, deren Teil es ist, abhängig. Wenn Kinder versuchen, Gebrauch von Sprache zu machen, ist dies weit mehr als die Beherrschung eines Codes. Sie "verhandeln" mit Vorgehensweisen und Meinungen, um in die soziokulturelle Welt einzutreten. Bruner versucht zu verstehen, wie die Sprache funktioniert, wie man den Umgang mit Worten lernt. Wie lernt ein Kind sich auf Dinge zu beziehen und diese zu bezeichnen? Im kommunikativen Bereich erlangt das Sprechen Sinn und in diesem Kontext erwirbt das Kind die Sprache. In seinen Forschungen über diese Entwicklung versucht Bruner drei fundamentale Aspekte zu synthetisieren, wobei er die Imitation und das Angeborene als Mechanismen vernachlässigt.

a) Kinder lernen zu sprechen, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen.

b) Kinder geben ihren Handlungen Bedeutungen und verwenden ihre linguistischen und nichtlinguistischen Quellen, um Dingen Namen zu geben.

c) Kinder versuchen zu kommunizieren.

Zusammenfassend kann Bruners Theorie wie folgt synthetisiert werden: Der Spracherwerb reagiert sehr sensibel auf das Umfeld:

"...da sich das Kind über den Kontext im Klaren ist, ist es fähig nicht nur die entsprechende Lexik, sondern auch die grammatikalisch am besten passenden Aspekte zu verwenden."

(Bruner, 1989, S. 78)

Dann fügt er hinzu:

"...wir sind mit einer Reihe von Voraussetzungen auf die Welt gekommen, um die soziale Welt auf eine bestimmte Weise zu konstruieren und dieser Konstruktion gemäß zu handeln." (Bruner, 1989, S. 80)

Die Mutter und das Kind interagieren täglich in routinierten Spielen und Aktivitäten, was Burner "Format" nennt: "...ein durch Regeln definierter Makrokosmos, in dem der Erwachsene und das Kind Dinge mit- und füreinander machen... ist das Instrument einer regulierten menschlichen Interaktion... und ein essentielles Instrument für den Übergang von Kommunikation zu Sprache..." (Bruner, 1979, S. 179)

Auf diese Art und Weise verhelfen die Erwachsenen durch die Formate des gemeinsamen Handelns, essentiellen Hilfestellungen, dem Kind zum Lernen. Indem BRUNER dies mit der Theorie Vygotskis verbindet, führt er aus, dass es dieser Gerüstbau ist, der es dem Kind ermöglicht, die Zone der nächsten Entwicklung zu erreichen. Weiters verbindet sich der Gebrauch von Formaten mit der Transmission der Kultur, da diese nicht nur einen Rahmen für die Sprachentwicklung des Kindes, sondern auch für den Aufbau der Kultur für das Kind bietet: "Sprache ist ein kulturelles Phänomen und nur durch sie können wir kulturelle Konventionen annehmen oder verändern." (Bruner, 1989, S. 63)

Für Bruner bildet Sprache die Realität nicht nur ab, vielmehr schafft und formt sie Wissen. Das Vergnügen, das wir empfinden, wenn wir den Inhalt von Ideen, Vorstellung oder Gedanken durch Worte wiedergewinnen, fördert nicht nur die kognitive Entwicklung, sondern bereichert unsere Fähigkeiten ebenso wie unseren Selbstwert. Bruner, der ein statisches Konzept von Kultur als Ansammlung von mehr oder weniger expliziten Regeln und Normen ablehnt, tritt für eine dynamischere Vision ein: Die Kultur entsteht in der Ausarbeitung und erneuten Ausarbeitung der Kultur selbst.

Spezifische Kenntnisse werden in der Schule vermittelt. Die Art und Weise, wie die dafür beauftragte Person diese weitergibt (vor allem durch die Verwendung von Sprache) und die Haltung, die sie den Schülern gegenüber einnimmt, determinieren die mentalen Prozesse der "Edukanten".

"Nicht für einen Moment habe ich geglaubt, dass man Mathematik oder Physik unterrichten kann, ohne dabei eine Einstellung zur Natur oder zum Gebrauch des Geistes mit zu vermitteln." (Bruner, 1984, S. 204)

Die spezifischen Kenntnisse, die das Material der Erziehung ausmachen, sollten kulturelle Inhalte sein, die vor allem ausgewählt werden, weil man sie auf kreative Weise besprechen und verändern kann. Das Auftauchen von nicht streng operatorischen mentalen Prozessen und Strukturen wird das Erbe eines pädagogischen Vorgehens, dessen wichtigstes Instrument die gemeinsam von Lehrern und Schülern getragene Diskussion und Neuschaffung der Kultur ist, sein.

Gestützt durch diese Autoren und deren Theorien, die ich in meinen eigenen Forschungen in die Praxis umgesetzt habe (Melero, 1983, 1990, 1995), können wir heute bestätigen, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Intellekt, lernfähig ist. Diese meine Denkweise über die kognitive und kulturelle Kompetenz sollte nicht einfach unreflektiert übernommen werden. Vielmehr lade ich zum Dialog ein, der die einzige Möglichkeit ist, einen gemeinsamen Diskurs zwischen Ihnen und mir aufzubauen. Dadurch können wir uns in dem Gefühl einigen, das eine tiefgehende Veränderung in unserem Denken und in unserem Handeln hervorruft, in uns als engagierte Lehrer mit der sozialen Rolle der Schule: Die Transformation der Gesellschaft durch ihre eigene Transformation.

Wir (Erzieher), die wir uns mit Unterricht und Forschung beschäftigen, haben herausgefunden, dass manche Kinder ganz bestimmte Motive haben, um Antworten auf von uns gestellte Problemsituationen zu finden. Manche SchülerInnen konzentrieren sich auf Bilder, andere assoziieren "Inhalte" mit sehr lebendigen Situationen, wieder andere schaffen eine Organisation durch Schemata, Zeichnungen oder vielleicht symbolische Repräsentationen... etc. Manche bilden aus Wörtern Verse oder schaffen etwas, das nichts mehr mit dem zu tun hat, was es ursprünglich darstellte. Es kann vorkommen, dass sie manchmal, nach "frischer Luft" schnappend, aus der einengenden und beladenen Atmosphäre der Routine des Klassengeschehens ausbrechen und sich eine Welt schaffen, wo sie ihre Phantasie und ihre Vorstellungskraft auf andere Wege führt - weg vom üblichen Funktionieren im Klassenzimmer, und sie so das gewohnte Gleichgewicht der Schule durcheinanderbringen. (In der Schule der Vielfalt muss die Anwesenheit von exzeptionellen Menschen den bis dahin gewohnten Ablauf durchbrechen.)

Kinder sind so, und man muss nicht sehr schlau sein, um zu begreifen, dass diese Verhaltensweisen Indikatoren für etwas sind. Gleichzeitig müssen wir sie als Hilfen ansehen, die es den Kindern ermöglichen, von dieser schweren und sich ständig wiederholenden Welt zu fliehen und neue unterhaltsamere Wege zu finden, sich zu konzentrieren, zu erinnern, zu organisieren, zu genießen, zu leben, zu lernen... Diese Strategien des spontanen Handelns, die aus der persönlichen Initiative des Kindes erwachsen und auf die Familie oder Lehrer oft nicht richtig reagieren oder sie fälschlicherweise in dem Bestreben, die Kinder nach repetitiven, sinnentleerten Modellen zu unterrichten sogar unterdrücken, müssten eigentlich der Antriebsmotor aller unserer Interventionen als Lehrende sein.

Ich habe auch, gestützt durch diese Erfahrungen und Kenntnisse, gelernt, dass es eine große Vielfalt von Stilen und Rhythmen gibt, wie Kinder von klein auf ihr Wissen erwerben, organisieren, in Erinnerung rufen, kontrollieren und verwalten. Des Weiteren ist sicher, dass dieses Wissen von persönlichen Erfahrungen und der Welt der Bedeutungen, in der sie leben, beeinflusst wird.

Daher ist es besonders für ein exzeptionelles Kind von großer Bedeutung, so bald als möglich seine experimentalen Horizonte zu erweitern, Aktivitäten, die die Zone der nächsten Entwicklung fördern, durchzuführen, ihm Kompetenzen im Bereich der Autonomie erwerben zu lassen, die ihm helfen, Sozialkompetenzen aufzubauen und zu lernen. Dabei ist es fundamental, dass man Wege findet, bei denen das exzeptionelle Kind aktiv agiert und nicht passiv wartet, dass die anderen denken und organisieren, um zu demonstrieren, dass es nun "dies oder das" auf passive Art zu wiederholen gelernt hat.

Kinder sind naturgemäß kreativ und verwirklichen und entwickeln sich durch ihre eigene Kreativität (Handeln). Die schöpferische Aktivität ist für sie ein biologisches und anthropologisches Bedürfnis. Diese Aktivität zu verbieten heißt, Kinder zu enthumanisieren und domestizieren. Es gibt nichts Natürlicheres für das Kind, als seine Gefühle, Wünsche, Vorlieben, Phantasien und Erfindungen auszudrücken. Das ist das einzige Geheimnis einer schulischen Kultur, das von einem Teil der Lehrer anscheinend nie begriffen wird - vielleicht deshalb, weil wir überzeugt davon sind, dass erzieherisches Handeln mehr vom Lehrer als vom Kind abhängt. Kreativität hingegen ist die Fähigkeit, unsere inneren Gefühle freizulassen und auszudrücken. Deshalb muss die Schule aufhören, ihre pädagogische Methodik nach kalter Rationalität, Logik und formalen Mustern auszurichten, da auf diese Art die Entfaltung der Kreativität im Kind (ob dies nun "behindert" ist oder nicht) unterdrückt wird. Maturana erinnert uns:

"...vom biologischen Standpunkt aus gibt es keine Fehler, keine Behinderung, keine Dysfunktion...In der Biologie gibt es keine Behinderung... Im Bereich der menschlichen Beziehungen geschieht es, dass das uneingeschränkte Kind zu einem eingeschränkten Kind wird..."

In diesem Paradigmenwechsel, den die Kultur der Vielfalt voraussetzt, gehen wir von dem generellen Prinzip aus, dass jeder lernfähig ist. Diese Aussage ist gewaltig, weil wir sagen "alle Menschen" und nicht "einige Menschen". Wird dieses Prinzip akzeptiert, fordert dies eine Veränderung des Curriculums in allen Bereichen. Die Lehrpläne müssen es verstehen, "kognitive Brücken" zwischen den Schülern mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zu schaffen und so den Aufbau einer schulischen Kultur zu fördern. Macht sich die Schule diese Denkweise zu eigen, muss sie ermöglichen, dass jedes Kind in der Klasse die Möglichkeit hat, seine kognitiven, sozialen und kulturellen Kompetenzen zu zeigen. So wird auch mit dem psycho-biologischen Determinismus, der Unterschiede als etwas Endgültiges und Unveränderliches ansieht, gebrochen. Verschiedenheiten werden dann als etwas grundsätzlich Veränderbares gesehen. Nur so kann die Schule ihre soziale Rolle als Agent der Veränderung erfüllen, wenn sie selber und ihre Lehrer sich ändern und begreifen, dass jedes Kind seinen eigenen Lernstil und -rhythmus und eine andere Lernform hat. Jeder persönliche Lernstil fordert eine Änderung in der Unterrichtsform. Wir müssen nicht nur die Voraussetzungen und Eigenheiten der Schüler, sondern auch die verschiedenen Unterrichtsstile der Lehrer in Betracht ziehen, von der Annahme ausgehend, dass Unterricht eine bestimmte Art des gemeinsamen Lernens von Lehrern und Schülern ist.

3.2.2. Zweiter Schlüssel: Die notwendige Reprofessionalisierung des Lehrkörpers, zum Verständnis der Vielfalt des Schülers

Unterricht ist an die Lehrer gebunden, diese können sich nicht davon lösen. Der Unterricht hat eine Biographie. Der Lehrer ist eine Person und hat als solche eine Ideologie, Gefühle, Meinungen, Geschlecht... Es gibt nichts Mystisches am Unterrichten: Es geht einfach darum, es zu verstehen, das, was unterrichtet wird, mit dem alltäglichen Leben zu verbinden und dabei die Voraussetzungen des Lehrenden und des Lernenden im Kontext ihres Lebens und ihrer Gefühle zu berücksichtigen. So erinnert uns Aristoteles, dass "es leicht sei, den Effekt von Honig, Wein, Kräutern und den Vorgang ihrer Gewinnung zu kennen, aber zu wissen, wann, wie und an wen man sie verabreichen kann, das ist die Aufgabe des Doktors." Bruner sagt, dass in der Erziehung etwas Ähnliches vor sich geht: Das Hauptziel jedes Erziehers besteht darin, sein Wissen in dem lebendigen Kontext, den ein Problem hat, darstellen zu können.

Deshalb muss es den Lehrern sehr wohl bewusst sein, dass sie einen Schlüsselpunkt in dieser von der Kultur der Vielfalt geforderten Änderung darstellen. Die Lehrer sind das Hauptwerkzeug des pädagogischen Handelns in jeder Schule. Sicherlich sind schulische Institutionen keine unbeeinflussten Bereiche, abgeschlossene Orte, wo der Lehrer seine Konzentration und Arbeit ausschließlich auf das, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, richten kann. Die Verantwortlichkeit des Lehrers kann nicht von der gesellschaftlichen Realität mit ihrer ideologischen, ökonomischen und sozialen Pluralität, von der die Schule umgeben ist, getrennt sein.

Was meine Ideologie über Unterricht auszudrücken versucht, ist, dass Lehrer in einer Schule der Vielfalt Urteile und Wertungen über die kognitive Kompetenz und die Fähigkeiten von besonderen Menschen geben, aber manches Mal die kulturelle Kompetenz und Lernfähigkeit dieser außer Acht lassen. Das betrifft auch die kulturelle und fachliche Kompetenz, die Lehrer haben sollten, um den Bedürfnissen jedes Schülers gerecht zu werden. Die Frage ist: Sind Lehrer kompetent genug, um ihren Schülern das Lernen zu lehren? Diese Frage bleibt aufrecht. Aus dieser Perspektive ist die Kultur der Vielfalt eine permanente Herausforderung für Gesetzgeber, Forscher und Fachleute. Es geht nicht darum, kulturelle Inhalte oder Ziele in der Grundschule zu reduzieren, noch darum, isolierte Räume für den Unterricht in homogenen Gruppen zu schaffen, noch besondere Lernsituationen zu schaffen. Im Gegenteil, neue Stile des Lehrens und Lernens, neue Formen der Interaktion in den Klassen, eine neue Bedeutung der Fördermaßnahmen müssen gefunden werden. Anders ausgedrückt: eine neue Art und Weise des Lehrerseins.

So sagt uns Young: "in diesem Wechsel muss Erziehung sich als Prozess der Entkulturation sehen: ein Schritt in eine (neue) Form des Lebens. Ihr Medium ist die Sprache und die Erfahrung, ihre Methode der Dialog und ihr Produkt die Kultur. Sie gelingt nur, wenn die Schüler ihre Art und Weise zu leben ändern, nicht nur einen kleinen Bereich ihres Denkens." (Young, 1993, S. 41-42)

In diesem Sinne hat sich die Schule dazu verpflichtet, allen Schülern die Möglichkeit zu geben, an der Welt der Kultur teilzuhaben und so hierarchische (vertikale und autokratische) Relationen, in welchen die einen für die anderen entscheiden und bestimmen, was auf welche Art und wie oft gemacht, gesagt und gedacht werden muss, zu verhindern. In dieser Art von vertikalen Beziehungen sind die Lehrer die "Allwissenden" und die Schüler in der gegensätzlichen Position derjenigen, die nichts wissen und gehorchen müssen, wodurch das System so vereinfacht wird, dass es durch seine Linearität leichter "regierbar" ist. Das Netz der vertikalen Beziehungen führt zu einer strengen Struktur im hierarchischen Sinn. Es ist nötig, neue Formen der Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern aufzubauen, um diese hierarchische Struktur zu durchbrechen. Die Aufgabe der Erziehung als einem kommunikativen Prozess muss auf den Respekt und die Wertschätzung der Schüler gerichtet sein und Lehrer müssen sich dafür einsetzen, dass ein Dialog zwischen beiden Seiten entsteht. Die Erziehungsaufgabe wird zur Selbsterziehung. Es ist eine Art kultureller Lernprozess im Laufe des menschlichen Lebens.

Die Aufgabe des Lehrenden ist eine moralische Aufgabe, und unsere Denkweise kann nicht von der schulischen Praxis getrennt werden, viel mehr muss sie diese beeinflussen. Die moralische Absicht unserer erzieherischen Arbeit darf sich nicht darauf reduzieren, den Kindern eine Ansammlung von Wissen, Normen und Methoden zu vermitteln. Im Lehr-Lernprozess sollten vielmehr Meinungen und Verhaltensweisen geteilt und ausgetauscht werden (Schulkultur). Wir sprechen von einer Erziehung zum Miteinander.

Wenn die Lehrer diese kooperative und einfühlsame Art des Lehrens und Lernens akzeptieren, ermöglichen sie auf der einen Seite, dass Schüler lernen, wie sie in einer demokratischen und kooperativen Kultur leben sollen, und auf der anderen Seite, dass sie sich selber nur durch die ständige Selbstreflexion ihrer Arbeit und den Austausch mit anderen Kollegen verbessern können. Diese Lehrer, für die Kultur der Vielfalt eine pädagogische Erneuerung und professionelle Entwicklung bedeutet, entwickeln Werte in Bezug auf Unterschiedlichkeiten, Toleranz und Solidarität, welche typische Werte der öffentlichen Schule sind. Der Lehrer/die Lehrerin darf nicht nur ein reines Instrument sein, das nur Techniken und Methoden anwendet, sondern soll sich in einen neugierigen Forscher, eine autonome, freie und engagierte Lehrkraft verwandeln, der/die Räume erschließen kann, die das Klassenzimmer zu einem Ort werden lässt, an dem das Lernen miteinander und selbständig geschieht.

3.2.3. Dritter Schlüssel: Die Suche nach einer gemeinsamen, dialogischen Schulkultur

Die Schule der Vielfalt muss bei der Ausarbeitung pädagogischer Perspektiven von einer weiten Konzeption des Curriculums (eines Curriculums, das niemanden ausschließt) ausgehen, da immer schon offensichtlich war, dass die Menschen in einer Schule kognitiv, affektiv und sozial unterschiedlich sind, dass diese Unterschiede sich auf Geschlecht, Ethnie, Religion, Sprache oder Kultur beziehen. Die Schule ist der Ort, an dem sich alle diese Unterschiede begegnen können. Aus diesem Grund hat sich die pädagogische Planung auf diese Unterschiede bei den Schülern zu beziehen und nicht auf "hypothetische" Kinder. Das Zentrum des pädagogischen Planens muss die Vielfalt, nicht die Normalität sein. Den Verschiedenheiten durch die Qualität der Beziehungen der Schüler untereinander Sinn zu geben, muss die Zielsetzung aller Lehrplanentwicklungen sein.

Schüler brauchen mehr - viel mehr als Information (Instruktion), um dieses gemeinsame kulturelle Erbe zu erwerben, sie müssen befähigt werden, die Unterschiede zwischen den menschlichen Lebewesen als Werte zu erkennen. Sie sollen aber auch kritisch feststellen können, dass aufgrund von historischen oder ideologischen Bedingungen, die Ungleichheit zwischen einigen Menschen oder Gruppen unterstrichen worden sind.

Genau diese Schaffung eines engagierten Diskurses für das demokratische Zusammenleben in der Schule fordert, dass wir die technokratische und reproduzierende Vision der Schule, die immer noch weit verbreitet ist, zurücklassen.

Wird die Tatsache akzeptiert, dass exzeptionelle Menschen ein Motor der Veränderung in der Schule sind, zieht dies eine bedeutende Veränderung der Denkweise der Lehrer nach sich. Eine andere Form des Curriculums steht im Mittelpunkt: Es richtet sich auf die Lösung von für die Schüler realen, interessanten und lebensnahen Problemen und weniger auf die einzelnen Disziplinen, vielmehr werden die Disziplinen zur Unterstützung dieser Probleme verwendet. Es geht um ein auf die persönlichen und kontextuellen Bedürfnisse des Schülers abgestimmtes Curriculum, das die Herausbildung von Mechanismen und Strategien fördert, mit deren Hilfe der Schüler sich Wissensinhalte aneignet, die ihm wiederum bei der Lösung von Problemen des täglichen Lebens helfen.

Diese Form des Lernens fördert in jedem Menschen das Bedürfnis, nach Strategien zu suchen, die ihn weiterlernen lassen.

Das erste Ziel des hier beschriebenen Curriculums muss daher darin bestehen, den Schülern Prozesse und Strategien des effektiven Denkens zu vermitteln, die sie zum Lernen und Lösen von Problemen anwenden können. Das heißt, dass die schulische Kultur es ermöglichen muss, die Kinder zu befähigen, ihre eigenen Prozesse und Strategien des Denkens zu entwickeln (selbstgesteuertes Lernen). In der Schule ist der Schüler der Wissenschaftler, während die Funktion des Lehrers darin besteht, Wissen zu vermitteln und die lernförderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

In diesem Prozess der Konstruktion und Rekonstruktion des Wissens erhält der Schüler konzeptionelle Kenntnisse, die ihm die Interpretation der Wirklichkeit ermöglichen, Verfahren und logische Strukturen (praktischer Verstand), um Probleme des täglichen Lebens lösen zu können, und Werte, die seine soziale Lebensqualität steigern. Es geht darum, die Wirklichkeit zu problematisieren, um so schließlich Möglichkeiten, sie zu erklären, zu gewinnen. Die Erziehung muss die kognitive und moralische Autonomie des Schülers ermöglichen und nicht seine Abhängigkeit. Die Autonomie wird nicht von dem Niveau der schulischen Bildung bestimmt sein und man erreicht sie genauso wenig, wenn man auf die vorgegebene Taxonomie von Zielen, die Schritt für Schritt auf individuelle Weise erreicht werden müssen, einhält. Vielmehr gibt die Fähigkeit, Probleme des täglichen Lebens auf kooperative und solidarische Weise lösen zu können, das Niveau der Autonomie an.

Die öffentliche Schule übernimmt, von der Perspektive der Kultur der Vielfalt aus gesehen, eine bestimmte Rolle: Erziehung außergewöhnlicher Menschen besteht nicht darin, das beste individuelle pädagogische Modell zu finden, sondern darin, ein anderes Modell, andere Erziehungssysteme, andere Lehrpläne zu suchen, die Vielfalt verstehen und anerkennen. Diese Tatsache zu akzeptieren heißt, dass sich Schule in eine permanente Lerngemeinschaft verwandelt, in der die Lehrer selbst sich als Schüler betrachten, die gemeinsam mit anderen Schülern lernen, Probleme zu lösen. Diese Veränderung in der Lehrereinstellung wird verbesserte Lernbedingungen für deren Schüler mit sich bringen.

In diesem Prozess der ständigen Verwandlung durch die Kultur der Vielfalt laufen beide, der Lern- und der Lehrprozess simultan ab. Deshalb können wir sagen, dass es nur einen Prozess des "Lernens zu lernen" gibt - die einen von den anderen und umgekehrt. Es ist nicht notwendig, vom Unterrichten als einer Tatsache zu sprechen, sondern von einem permanenten, gegenseitigen und autonomen Lernprozess (selbstbestimmtes Lernen). Es ist ein dialogisches Zusammentreffen, bei dem das Lehren präzise ausgedrückt in diesem gemeinsamen Lernen besteht. Die Schule der Vielfalt konzentriert sich vor allem darauf, Strategien zu vermitteln, die der kooperativen und solidarischen Lösung von Problemstellungen des alltäglichen Lebens dient. Das ist der Sinn, den ich der öffentlichen Schule gebe. Wenn ich von der öffentlichen Schule spreche, beziehe ich mich nicht auf die staatliche Schule, sondern auf das Modell von einer Schule ohne Ausgeschlossene, wo jede/r willkommen ist und wo die Werte Solidarität, Würde, Freiheit, Respekt und Toleranz vermittelt werden.

3.2.4. Vierter Schlüssel: Der Unterricht als autonome Lerngemeinschaft oder die Notwendigkeit einer neuen räumlichen und zeitlichen Organisation des Unterrichts

Von den drei bisher genannten Punkten ausgehend können wir ableiten, dass Erziehung zur Vielfalt nicht heißt, dass der Schüler ganz alleine arbeiten muss, noch dass der Unterrichtsprozess nicht strukturiert ist. Wir sollten es nicht als eine offene Erziehung ohne Sinn verstehen, aber wir sollten sehen, dass der Klassenraum ein Ort ist, wo der Schüler Vielfalt genießt und wo der Lernprozess eine miteinander geteilte, spielerische und erbauliche Aktivität ist. Es ist eine Aktivität mit Kontrasten und Widersprüchen, wo die Vielfalt der Schüler mit dem eingespielten "normalisierten" Lernprozess der traditionellen Schule bricht und es nötig wird, neue Modelle des Lehr-Lernprozesses zu suchen, um das erzieherische Gleichgewicht in der Klasse aufrecht zu erhalten.

Und auf dieselbe Art, wie in der Konzeption von außergewöhnlichen Menschen ein Paradigmenwechsel geschehen ist, bringt diese neue Sichtweise von der "Schule der Vielfalt" eine andere Art, das Klassenleben zu organisieren mit sich, und bricht mit dem normalen Funktionieren der traditionellen auf das defizitäre Modell gestützten Schule, die auf eine individualisierende und separierende Art mit dem Rest der Schüler arbeitet. Wir sollten in Richtung einer kooperativeren Schule gehen, ein neues Schulsystem schaffen, das die Vielfalt der Lernenden berücksichtigt.

Dies möchte ich in untenstehender Grafik veranschaulichen.

Diesem Modell folgend muss zwischen Lehrern und Schülern eine Art von Verständnisplattform ("Formate des gemeinsamen Handelns", wie es Bruner nennt) geschaffen werden, um eine Klassenkultur, die allen Kindern gerecht wird, zu ermöglichen. In diesen Vermittlungsprozessen fokussieren wir uns aufgrund ihrer enormen Bedeutsamkeit auf die kooperative Organisation des Lernens im Gegensatz zu einer individualistischen und wettbewerbsorientierten Organisation, da nur erstere für eine substanzielle Verbesserung der Beziehungen sorgen kann. Was wir in diesem Vermittlungsprozess beabsichtigen ist, dass Lehrer und Familien ihre Handlungsweisen aufeinander abstimmen und so der Lernprozess in beiden Bereichen gelingen kann. Mediation (Vermittlung) zwischen familiärem und schulischem Kontext soll eine permanente Hilfe darstellen, die den Lernprozess selbst immer wieder ausrichtet. Durch diese kooperativen Strategien kann der Lehrer einige der sozialen Interaktionsprozesse begünstigen, besonders bei Schülern mit jeglicher Art von speziellen Bedürfnissen.

In heterogenen Klassen sind sich Lehrer und Mitschüler über die Verschiedenheiten im Klaren und betrachten sie als etwas Bereicherndes für die ganze Klassengemeinschaft und nicht als ein störendes Element in der Arbeitsdynamik der Klasse. Interaktiver Unterricht, die heterogene Gruppenarbeit ist die neue Struktur, die in einer Schule der Vielfalt benötigt wird.

Unterricht ist eine verwandelnde Handlung, die zwei untrennbar miteinander verbundene Momente beinhaltet, die sich auf dialektische Art und Weise ergänzen: Aktion und Reflexion. Unterrichten heißt "andere zum Lernen bringen, indem man selbst lernt." In diesem Sinn sind im Lehr- und Lernprozess alle Verhaltensweisen bedeutsam.

Diese Art und Weise, den Lehr-Lernprozess in der Schule der Vielfalt zu verstehen, fordert einen Wandel in der räumlichen und zeitlichen Organisation, die eine neue Kultur in der Schule schafft. Der Schüler hört dann auf, ein Konsument des individuellen Wissens zu sein und verwandelt sich in einen Menschen, der die mit Lehrern und Gleichaltrigen geteilte Kultur liebt.

In Bezug auf die Zeit:

des Lehrers: eine kooperative Vorbereitungs- und Arbeitszeit ist notwendig. Die professionelle Weiterentwicklung des Lehrers ergibt sich nicht nur aus einer verbesserten Praxis, sondern ebenso aus einer Zeit der gemeinsamen Reflexion mit anderen Kollegen über die verschiedenen Unterrichtsmodelle und -stile und der Analyse, der in der eigenen Praxis begegneten Schwierigkeiten.

des Schülers: fördern die verschiedenen Lernwege und Lernrhythmen und die beim Erwerb des verlangten Wissens auftretenden Schwierigkeiten eine sinnvolle Zeitaufteilung in der Klasse, die nicht von den Fächern und Aktivitäten bestimmt wird, sondern von der für die Entdeckung eines bestimmten Gegenstandes logischen Sequenzierung jeder einzelnen Gruppe.

In Bezug auf den Raum ist das Klassenzimmer nicht der einzige Lernort in der Schule, obwohl er der für das formale Lernen am geeignetste ist. Wir müssen aber die Lernorte neu konzeptionieren, so dass wirklich die ganze Schule Lernort ist. Lernen sollte durch gemeinsame Entdeckungen von Kindern, deren unterschiedliche Voraussetzungen respektiert werden, geschehen, wobei ein harmonisches Handeln von Stütz- und Klassenlehrkraft wichtig ist.

Ich schlage folgenden Weg für das Arbeiten in Projekten vor (Abbildung unten):

Man braucht Zeit, um all das wirklich zu verstehen. Sicherlich brauchen wir Zeit, um zu lernen, und Zeit, um zufriedenstellende Lösungen in den neuen kooperativen Arbeitsverfahren in der Klasse zu finden. Die Kultur der Vielfalt ist ein Prozess des permanenten Lernens, in dem wir alle lernen müssen, neue Verhaltensweisen in den zwischenmenschlichen Beziehungen aufzubauen. Die Kultur der Vielfalt wird uns ermöglichen, eine qualifizierte Schule, eine qualifizierte Didaktik und qualifizierte Fachleute zu erhalten. Alle müssen wir lernen "das Lernen zu lehren". Die Kultur der Vielfalt ist eine neue Art, uns selbst zu erziehen, bei der die Schüler gemeinsam mit ihren Lehrern eine neue schulische Kultur aufbauen. Durch diese wird die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen klar gezeigt und der Respekt vor anderen Kulturen ermöglicht. Durch die Entwicklung einer solidarische Haltung lernen Schüler mehr und mehr die Gründe für die wachsenden Ungleichheiten und der Intoleranz in der Welt zu durchschauen, wodurch erreicht wird, dass sie sich für die Menschenrechte inner- und außerhalb der Schule einsetzen werden. Aus diesem Grund ist auch die Kooperation zwischen der Schule und der Familie so wichtig, so können gemeinsam Lösungen gefunden werden. Denn Erziehung ist eine komplexe Aufgabe und nur, wer sie aus einer kritischen Perspektive als etwas miteinander Geteiltes sieht, kann ihr gerecht werden. Die vielfältigen Aufgaben der Erziehung fordern eine neue Konzeption der professionellen Kultur des Lehrers. Es handelt sich um eine Kultur, die Verbesserung der professionellen Praxis durch die Reflexion über die eigene Praxis und durch die Aufteilung der Verantwortung auf alle Beteiligten ermöglicht, um so neue pädagogische Theorien aufzustellen und zu entwickeln.

3.2.5. Fünfter Schlüssel: Zusammenleben, Demokratie und Humanisierung in der öffentlichen Schule oder die Suche nach gemeinsamen Lösungen zwischen Familien und Lehrern.

Ausgehend von einer Sichtweise des Curriculums als offenen und flexiblen Prozess und dem Vertrauen in eine Schule, die auf Unterschiede setzt (und nicht anders herum), wird die Schule als Agent der sozialen Änderung gesehen, und zwar durch den von Familien und Lehrern gemeinsam getragenen Gedanken, dass Schüler nicht nur in die Schule gehen, um Wissen zu erwerben, sondern dass sie etwas anderes, viel, viel mehr als Information (Instruktion) brauchen, um das kulturelle Erbe zu erwerben, das ihnen erlaubt, kritisch zu sehen, dass die Unterschiede zwischen den Menschen Werte für sich selber sind, aber dass oft historische und ideologische Bedingungen, die von der dominanten Kultur geschaffen wurden, zu Ungleichheiten zwischen den einen und den anderen geführt haben. All das ermöglicht, dass Mädchen und Jungen, die Jugendlichen allgemein, eine andere Kultur erwerben, in der sie die Unterschiede zwischen den Menschen als etwas Wertvolles, Solidarisches und Demokratisches erleben. Nur dann wird deutlich, dass die Qualität der Beziehungen die Kultur der Vielfalt ermöglicht. Eben dieser Aufbau eines engagierten Diskurses für das demokratische Zusammenleben in der Schule fordert die Überwindung der technokratischen und reproduzierenden Vision, um sich in der Kultur der Kooperation niederzulassen.

Die öffentliche Schule, die sich die Kultur der Vielfalt zu eigen macht, definiert sich durch ein pädagogisches Modell für das demokratische Zusammenleben und die Verbesserung der Unterrichtsqualität. Die Verbesserung der Unterrichtsqualität, die eine Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringt, wird von der Qualität der Beziehungen, die sich im Klassenzimmer entwickeln, bestimmt. Deshalb ist das Hauptziel der Schule die räumliche Öffnung und die Schaffung eines organisatorischen Rahmens, in dem jede/r SchülerIn die Chance hat, seine/ ihre Kompetenzen zeigen zu können. Damit werden Bürger geformt, die vor einem anderen Volk, Geschlecht, Kultur, Behinderung... Respekt zeigen. Es ist eine andere Art, uns selbst mit den exzeptionellen Menschen zu erziehen. Durch den Dialog, das Verständnis und die aktive Teilnahme in der Klasse kann dies gelingen. Man muss lernen, teilzunehmen.

Ich möchte klarstellen, dass, wenn ich von der Kultur der Vielfalt spreche, ich nicht davon spreche, "für" die Demokratie, noch für die Freiheit, noch für die Gerechtigkeit erziehe, sondern vielmehr "in" Demokratie, in Freiheit und in Gerechtigkeit. Es geht nicht darum zu lehren, was die Kultur der Vielfalt ist, sondern sie direkt zu leben. Dafür zu sorgen, dass das Kind im Laufe des Erziehungsprozesses als eine freie und verantwortungsvolle Person handelt, das ist Erziehung in Demokratie, in Gerechtigkeit und in Freiheit. Eines der Hauptziele der Schule ist demnach die Heranbildung von Bürgern, die aktiv am öffentlichen Leben in der Gesellschaft, in der sie leben, teilnehmen.

Ich akzeptiere völlig die Verantwortung, die pädagogisches Handeln mit sich bringt. Ich übe den Beruf des Lehrers mit Vergnügen aus und leide nicht unter der täglichen Arbeit, im Gegenteil, ich genieße meinen Beruf und stelle mich der sozialen und politischen Dimension, in die ich in meiner Aktivität als Lehrer und Forscher involviert bin, mit all ihren Risiken und Konsequenzen, als Prozess der menschlichen Entwicklung. Ich habe aus meinem Beruf eine politische und pädagogische Wahl gemacht, die nichts anderes ist, als eine Wahl fürs Leben.

Politische Wahl heißt, Stellung zu beziehen gegenüber der sozialen Wirklichkeit und nicht gleichgültig gegenüber der vernachlässigten Gerechtigkeit, der niedergetrampelten Freiheit, den verletzten Menschenrechten, den ausgebeuteten Arbeitern, dem fehlenden Respekt vor der Frau, der politischen, religiösen, ethnischen Intoleranz... zu werden. Es heißt, Partei für die Gerechtigkeit, die Freiheit, die Demokratie, die Ethik, dem gemeinsamen Gut zu ergreifen. Politische und pädagogische Wahl heißt, für die Kultur der Vielfalt im Gegensatz zur Kultur des Handicaps zu kämpfen und das ist meine Ideologie und mein Leben: die Kultur der Vielfalt ist meine ideologische Verpflichtung.

Meine politische und pädagogische Verpflichtung entsteht genau aus dieser meiner Sehnsucht und diesem Wunsch der Zusammenarbeit im Aufbau eines neuen pädagogischen Modells: vom "homo sapiens sapiens" zum "homo amantis".

4. Meine berufliche und persönliche Verpflichtung

Über die in diesem Dokument befindliche Beschreibung und Analyse und der Zurückweisung der Gesellschaft des Neoliberalismus (ökonomische und politische Vision) und der Postmoderne (soziale und kulturelle Vision) hinausgehend, wollen wir unsere Verpflichtung für die Konstruktion einer neuen Zivilisation, die durch die menschlichen Werte der Kooperation und Solidarität geeint ist und die ungezügelte Ausbreitung des Kapitalismus und der ihm eigenen Kultur bremst. So werden wir verstehen, dass der wahre Sinn der Menschen darin liegt, qualitätvolle Beziehungen untereinander aufzubauen und dass diese Qualität von ganz früh an erworben wird, wenn die Erziehung sich so weiterentwickelt, dass sie das Verständnis, den Respekt und die Wertachtung jedes einzelnen Menschen, wie er ist - und nicht, wie man ihn gerne hätte - fördert.

Aufgrund dessen bin ich nun ein wenig frech und stelle zum Ende meines Diskurses einige Ideen vor:

1) Wenn wir von den Überlegungen über die Kultur der Vielfalt überzeugt sind, müssen wir uns dafür, was wir vertreten, auch einsetzen. Es reicht nicht aus, dass wir versichern, damit einverstanden zu sein, sondern von diesem Moment an haben wir bereits die moralische Verpflichtung, gegen Ungleichheiten anzukämpfen. Wenn wir das nicht tun, würden wir unmoralisch handeln und, was noch schlimmer ist, wären wir Zyniker. Diese moralische Verpflichtung bedeutet, dass wir handeln, indem wir die Vernunft selbst durch unserer Gefühle rationalisieren. Das heißt, wir verschaffen uns eine klare Sicht darüber, was gut und was schlecht ist - und ich denke, dass immer dort schlecht gehandelt wird, wenn im Umgang mit exzeptionellen Menschen irgendeine Form von Segregation geschieht. Mein Dienst als Lehrer ist ein moralischer Dienst.

2) Das Wachstum der Ungleichheiten, das Zunehmen der Gewalt und des Rassismus, die Vernachlässigung unseres Planeten, der ökonomische Fundamentalismus etc. sind die logische Konsequenz der Starrheit des Denkens, das wir in der neoliberalen und postmodernen Gesellschaft von der Schule an bis hin zur Universität gelernt haben. Deshalb kann sozialer Wandel und die Emanzipation der Menschen nur durch gemeinsames Handeln geschehen, das die unmenschliche Entwicklung dieser neoliberalen Gesellschaft bremst. Dieses Handeln wird von einer pädagogischen Praxis bestimmt, die eine Verbesserung der Lebensqualität, der verschiedenen Kulturen, die in der Schule zusammenkommen, ermöglicht. Erziehung heute soll als Modell der Kultivierung und Humanisierung für morgen angesehen werden.

3) Die Kultur der Vielfalt ist ebenso ein Ideal wie ein Bezugspunkt für eine ständige Veränderung und für das Engagement für minoritäre Gruppen - und nicht nur eine wohlwollende Einstellung für einen Tag, sondern eine Verpflichtung fürs ganze Leben. In diesem anderen Projekt einer Gesellschaft und der Humanisierung für das XXI. Jahrhundert, müssen wir, als engagierte Lehrer und Staatsbürger dafür sorgen, dass Untersuchungen angestellt werden, die uns ermöglichen:

4) zu beschreiben, analysieren, studieren und bewerten, wie die Lebensqualität von exzeptionellen Menschen heutzutage in der Welt aussieht.

5) festzustellen, welche Faktoren dazu beitragen, dass exzeptionelle Menschen nicht die gleiche Lebensqualität wie der Rest der Menschen haben.

6) die internationalen, nationalen, regionalen und provinziellen Regierenden müssen sich dazu verpflichten, sich ausgehend von den durchgeführten Untersuchungen, für den Aufbau eines anderen, auf dem Verständnis für Minoritäten basierenden Modell für zwischenmenschliche Beziehungen und Lebensstile, einzusetzen - von klein auf bis ins Erwachsenenalter.

7) Die Kultur der Vielfalt und die Lebensqualität sind ein und derselbe Diskurs, der uns in eine neue Axiologie und eine neue Welt der Werte einführt, wo Menschen aufgrund ihrer selbst respektiert werden, weil sie Menschen sind, und nicht wegen der Stellung, die sie in der Gesellschaft einnehmen, noch aufgrund des Niveaus ihrer Produktion. Der Diskurs der Lebensqualität ist ethisch beladen, weil Vielfalt als Wert und nicht als Defekt betrachtet wird. Wir, als engagierte Lehrer, müssen den Diskurs der Kultur der Vielfalt als Lebensqualität unterstreichen, weil es der Diskurs der Kooperation und Solidarität ist (Paradigma der Kooperation). Und das sind die Werte, die die öffentliche Schule definieren (Vielleicht wäre es besser hier von der Allgemeinen Schule zu sprechen).

8) Die Kultur der Vielfalt ist ein Diskurs, der die Philosophie der Normalisation übersteigt, immer dann, wenn die Gesellschaft ethisch reif genug ist, um zu verstehen, dass alle unterschiedlichen Menschen die gleichen Chancen haben müssen, ihr Leben in Würde zu leben, wie der Rest der Menschheit. Die wahre Entdeckung besteht nicht darin, neue Landschaften zu finden, sondern darin, neu zu sehen. Das ist es, was ich mein ganzes Leben lang gemacht habe: Die Menschen, die von der Gesellschaft als "defizient" angesehen werden, auf eine andere Art zu sehen.

Der Diskurs über die öffentliche Schule und die Kultur der Vielfalt vermittelt eine Botschaft, die die Philosophie der Normalisation übersteigt und die Tiefen des menschlichen Lebens berührt. Wir alle können ein wenig menschlicher in dieser unmenschlichen Gesellschaft werden, indem wir die Grenzen des "homo sapiens sapiens", den die neoliberale Gesellschaft selbst geprägt hat, überschreiten - hin zum "homo amantis", als der wahren Entdeckung des Menschen.

* Anmerkung der Übersetzerin

Miguel Lopez Melero spricht niemals von "Behinderten", da diese Bezeichnung an sich schon ausgrenzend ist. Vielmehr spricht er von "personas excepcionales", was wörtlich "außergewöhnliche, besondere Menschen" bedeutet. Ich habe in der Übersetzung das Fremdwort "exzeptionell" eingeführt, aus der Not heraus, kein wirklich passendes deutsches Wort gefunden zu haben. Wichtig ist vor allem, dass der Leser erkennt, dass Miguel Lopez Melero exzeptionelle Menschen und die Vielfalt der Menschheit generell als "wertvoll an sich" ansieht.

Petra Heeger

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (auf spanisch) kann bei der Redaktion angefordert werden.

Der Autor

Prof. Dr. Miguel López Melero ist Fachmann für die Integration von Kindern mit Down-Syndrom und verfügt über umfassende internationale Erfahrungen sowohl in Europa als auch in Mittel- und Südamerika. Er arbeitet an seiner Universität in einem Forschungsteam mit folgenden, sehr interessanten Schwerpunkten: Evaluierung der Integration in Andalusien sowie Erarbeitung eines alternativen Lehrplanes für eine integrative Schule in Kooperation mit Lehrern und Eltern. Melero ist Erziehungswissenschaftler und war Lehrer.

Universidad de Málaga

Departamento de Didáctica y Organización Escolar

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Campus Universitario de Teatinos

E-29071 MALAGA

melero@uma.es

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Fax 0034 (95)213 14 60

Quelle:

Miguel López Melero: Ideologie, Vielfalt und Kultur. Vom Homo sapiens sapiens zum Homo amantis. Eine Verpflichtung zum Handeln

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 4/5/2000; Reha Druck Graz S. 11-34

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 17.08.2006

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